Mal ICE, mal Bummelzug - Was die Konjunkturlokomotive bewegt

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Hintergrund zur Sendung:
Mal ICE, mal Bummelzug - Was die Konjunkturlokomotive bewegt
Autor: Stefan Schmid
Einführung
Wenn Politiker eine günstige wirtschaftliche Entwicklung versprechen, benutzen Sie häufig
das Bild von der Konjunkturlokomotive, die langsamer oder schneller wird. Manchmal
sprechen sie auch vom Konjunkturmotor: Der gerät dann entweder in`s Stottern, oder er
kommt wieder in Schwung. Was sich hinter diesen Floskeln verbirgt, erklärt Stefan Schmid in
der Sendung "Mal ICE, mal Bummelzug - Was die Konjunkturlokomotive bewegt":
“Konjunktur” – was ist das?
Wer die Antriebskräfte der Konjunkturlokomotive kennen lernen will, muss zunächst einmal
klären, was "Konjunktur" bedeutet.
Der Begriff ist nämlich etwas unscharf. Wenn von "Konjunktur" die Rede ist, geht es in der
Regel um die Wirtschaftsleistung eines ganzen Landes. Maßstab für die Wirtschaftsleistung
ist das Bruttoinlandsprodukt, abgekürzt BIP.
Das Bruttoinlandsprodukt
Das Bruttoinlandsprodukt erfasst die gesamte Wirtschaftsleistung in einem Land in Mark und
Pfennig. Man kann sich das Ganze als riesigen Kuchen vorstellen, der im Laufe eines Jahres
gebacken, aber auch gleichzeitig verspeist wird. Denn was der eine produziert und verkauft,
wird ja vom anderen gekauft und verbraucht oder investiert.
Da die Wirtschaftsleistung normalerweise jedes Jahr zunimmt, misst man die Wachstumsraten
gegenüber dem Vorjahr oder gegenüber dem Vorquartal. Konjunktur meint dann die
Abweichung von der normalen Wachstumsrate. Die Fachleute sprechen von Hochkonjunktur,
wenn die Wachstumsraten des Bruttoinlandsprodukts besonders hoch sind, und von
Rezession, wenn die Wachstumsrate niedrig oder gar negativ ist.
1998 hat sich die Wirtschaftsleistung zum Beispiel auf 3679 Milliarden Mark summiert. Das
waren 78 Milliarden mehr als 1997. (Preissteigerungen sind dabei herausgerechnet.) Das
Bruttoinlandsprodukt ist also um 2,2 Prozent gewachsen. 1993 ist das BIP dagegen 47
Milliarden oder 1,7 Prozent geringer ausgefallen als ein Jahr zuvor.
Die Konjunkturlokomotive
Die Konjunkturlokomotive fährt also mal schnell wie ein ICE, mal langsam wie ein
Bummelzug. Da die Fahrgäste im Konjunkturzug letzen Endes alle Einwohner eines Landes
sind, haben kleine Unterschiede in der Geschwindigkeit große Wirkungen für viele Menschen:
Wenn die Wirtschaftsleistung zu langsam zunimmt oder gar schrumpft, werden Stellen
gestrichen und Arbeitnehmer entlassen. Die Einkommen steigen nicht mehr oder sinken gar,
letzten Endes geht es allen schlechter. Wenn die Wirtschaftsleistung dagegen rasch zunimmt,
findet man leichter eine Lehrstelle oder einen Job. Und man wird besser bezahlt.
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Wenn die Konjunkturlokomitive allerdings zu schnell beschleunigt, drohen ebenfalls
Gefahren. Dann werden nämlich meist Preise und Löhne zu stark erhöht. Dadurch werden
aber die Signale für Unternehmen und Verbraucher falsch gestellt, die Konjunkturlokomotive
fährt -im übertragenen Sinn- in die falsche Richtung - auch das ist schlecht.
Die Politiker würden deswegen die Konjunkturlokomotive gerne immer mit der optimalen
Geschwindigkeit laufen lassen. Aber das geht aber leider nicht: es gibt keinen Tempomaten,
um eine dauerhaft angenehme Reisegeschwindigkeit einzustellen.
Die Vergangenheit hat gezeigt: Mal beschleunigt sie, mal bremst sie, mal fährt sie schnell,
dann wieder langsam. Das Beständige ist dabei nur der Wechsel, der nach einem bestimmten
Muster erfolgt. Dieses Muster ist der so genannte Konjunkturzyklus. Solch ein
Konjunkturzyklus könnte zum Beispiel durch einen kräftigen Preissprung für Rohöl ausgelöst
werden, weil die deutsche Wirtschaft viel Öl verbraucht. Willi Leibfritz, Konjunkturexperte
am Münchner Münchner IFO-Institut für Wirtschaftsforschung, skizziert die Folgen so:
"Die Ölpreise sind gestiegen, die Menschen hatten weniger Geld dann um andere Güter zu
kaufen. Sie haben dann ihre Käufe entsprechend eingeschränkt. Damit haben die
Unternehmen auch weniger Geld gehabt, sie konnten weniger investieren. Gleichzeitig sind
auch andere Länder beeinflusst worden dadurch, das heißt die deutschen Unternehmen
konnten auch weniger exportieren. Und insgesamt hat das dazu geführt, dass das
Bruttoinlandsprodukt in Deutschland gesunken ist. Erst nachdem dann die Wirtschaftspolitik,
vor allem die Geldpolitik, auf einen expansiven Kurs geschaltet hat, also die Zinsen dann
allmählich wieder gesenkt hat, und dann auch die Exporte wieder gestiegen sind, ist diese
Rezession überwunden worden.”
"Rezession überwunden" heißt, dass die Talsohle durchschritten ist: Die
Konjunkturlokomotive beschleunigt wieder, das Wirtschaftswachstum nimmt zu. Die weitere
Entwicklung schildert Konjunkturexperte Willi Leibfritz so:
"Die Menschen geben wieder mehr Geld aus, es wird mehr verbraucht, die Unternehmen
haben mehr Gewinne, investieren die Gewinne wieder, dann steigt die gesamtwirtschaftliche
Nachfrage, und jetzt kann es zu Überhitzungserscheinungen kommen: Jetzt versuchen die
Tarifpartner, die Gewerkschaften, auch höhere Löhne zu fordern, und zwar mehr Löhne zu
fordern als im Grunde in der Realwirtschaft erwirtschaftet wird. Dadurch steigen die Preise, es
kommt zu einem inflationären Druck, und der bringt jetzt die Notenbank in Aktion. Denn sie
hat ja die Aufgabe, Preissteigerungen größeren Ausmaßes zu verhindern, sie hebt dann die
Zinsen an, und dies hat in der Vergangenheit häufig dazu geführt, dass auch wieder die
Konjunktur gekippt ist. Das heißt es waren häufig Fehler der Tarifpartner, die in der
Spätphase dieses Aufschwungs im Grunde Verteilungskämpfe gemacht haben, und dann
musste die Bundesbank bremsen, und die Sache ist wieder nach unten gegangen."
Rezession und Hochkonjunktur
Ein Konjunkturzyklus hat also zwei Wendepunkte: einen unteren, in der Rezession und
einen oberen, in der Hochkonjunktur.
Neben Preisschocks aus dem Ausland steuern aber noch viele andere Dinge die Konjunktur.
Die Wirtschaftsleistung hängt nämlich von der Nachfrage verschiedener Verbrauchergruppen
ab: Vom privaten Verbrauch aller Haushalte, vom Staatsverbrauch, und von den
Anlageinvestitionen der Unternehmen. Das zusammen ergibt die Inlandsnachfrage. Dazu
gesellt sich die Nachfrage aus dem Ausland, die unseren Export bestimmt. Davon muss aber
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unsere Nachfrage im Ausland abgezogen werden, der Import. Alles zusammen ergibt die
Wirtschaftsleistung im Inland, das Bruttoinlandsprodukt. Die Aufteilung in Privaten Konsum
und Staatskonsum, in Anlageinvestitionen und in Exporte ist sinnvoll, weil diese wichtigen
Teile im Getriebe der Konjunkturlokomotive sehr unterschiedlich funktionieren.
Konjunkturforscher schauen in erster Linie auf Investitionen und Exporte, weil die sehr sehr
schnell auf Veränderungen im Wirtschaftsleben reagieren. Der private Verbrauch und der
Staatsverbrauch ändern sich nur langsam, weil viele Ausgaben kurzfristig festgeschrieben sind
- die Mieten oder die Gehälter für Lehrer zum Beispiel.
Der Staat kann allerdings relativ leicht Geld borgen und mehr ausgeben. Die
Wirtschaftswissenschaftler haben den Politikern deswegen eine Zeit lang geraten, die
Konjunktur aktiv zu steuern: Bei schlechter Konjunktur sollten sie Schulden machen und viel
Geld ausgeben um die Wirtschaft anzukurbeln. Bei guter Konjunktur sollten sie allerdings
sparen und Schulden abbauen, um die Überhitzung des Konjunkturmotors zu vermeiden. Da
die Politiker das Sparen in der Hochkonjunktur aber nicht geschafft haben, hat diese schöne
Theorie in der Praxis leider nicht funktioniert.
Artikel abgedruckt in Schulfunk/Schulfernsehen Januar 2000
© Bayerischer Rundfunk, 2000
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