Dr. Wolfgang Kruse, Dr. Celia Oreja-Guevara, Prof. Dr. Klaus-Peter Hoffmann, Allgemeine Neurobiologie, Fakultät für Biologie Sehen und Bewegen: Ein Feuerwerk der Nervenzellen Neugierig verfolgt der Rhesusaffe über eine Computermaus mit dem roten Punkt den Zielkreis auf dem Monitor. Ein wahres Feuerwerk der Nervenzellen sorgt für die so einfach erscheinende Auge-Hand-Koordination. Bewegung sehen ist eine grundlegende Fähigkeit unseres Gehirns. Sie erlaubt Mensch und Tier, bewegte Objekte in einer Szene zu entdecken, Beute zu verfolgen und sich in der Welt zu bewegen. Selbst auf einer unruhig gemusterten Fläche und im schwachen Licht der Dämmerung sehen wir eine Fliege – wenn sie sich bewegt. Bewegte Objekte rufen eine erhöhte Aufmerksamkeit hervor. Zudem führt die Bewegung innerhalb einer visuellen Szene unwillkürlich zu einer Mitbewegung beim Betrachter: Er folgt dem Weg der Fliege mit den Augen und gegebenenfalls auch mit dem Kopf. Indem sich die Blickrichtung mitbewegt, bleibt das Objekt im Zentrum des Gesichtsfeldes (Fovea). In diesem zentralen Bereich der Netzhaut (Retina) ist die visuelle Auflösung am höchsten. Bei der Steuerung von glatten Augenfolgebewegungen (s. Info, S. 29) sind zwei Aspekte besonders wichtig: Die Bewegung des Objektes – seine Richtung und Geschwindigkeit – muss möglichst genau erfasst werden und die Augenmuskeln müssen beim Ansteuern des Objektes auf dessen Bewegung abgestimmt und kontinuierlich korrigiert werden. Für solche Anforderungen hat das Gehirn höher entwickelter Affen und des Menschen (Primaten) eine komplexe Aufgabenteilung entwickelt. So gibt es z.B. in der Großhirnrinde von Rhesusaffen eine Vielzahl räumlich getrennter Areale, denen spezielle funktionelle Eigenschaften zugeordnet werden können. Bei Primaten sind Areale bekannt, die spezifisch z. B. auf farbige Reizmuster oder auf Gesichter reagieren. Andere Areale antworten sehr selektiv auf bewegte Stimuli, wie etwa das sog. mediotemporale Areal (Area MT) am Scheitellappen ( Parietalkortex, s. Abb. 2). In Area MT haben Neurone meist eine „Vorzugsrichtung“, auf die sie besonders kräftig antworten, wenn sich ein Objekt und damit zugleich dessen Abbild auf der Retina in diese Richtung bewegt. Weicht die Objektbewegung von der Vorzugsrichtung ab, wird die Antwort der jeweiligen Neurone schwächer. Aufgrund der großen Anzahl von Neuronen und der gleichmäßigen Verteilung der Vorzugsrichtungen im gesamten Areal findet sich immer eine Vielzahl Neurone, die auf eine Bewegungsrichtung maximal antwortet. Die Kodierung der Bewegung des visuellen Reizes erfolgt quasi durch ein Feuerwerk zahlreicher Neuronen – man spricht von einer Populationsantwort. Aktivität weiterleiten: auf sehen folgt bewegen Blickt z.B. ein Rhesusaffe auf einen Bildschirm, auf dem sich ein heller Punkt bewegt, dann entstehen neuronale Aktivitätsmuster im Areal Area MT seines Gehirns. Diese Aktivität kann eine entsprechende Augenfolgebewegung steuern, wenn sie aus Area MT zu Strukturen im Mittelhirn projiziert wird, die direkten Einfluss auf die Augenbewegungen haben. Die neuronale Kontrolle der Augenmuskeln in diesen Mittelhirnstrukturen ist unabdingbar für glatte Augenbewegungen. Aufbauend auf den Erkenntnissen über die neuronale Kontrolle der Augenbewegungen rückten in den letzten Jahren zunehmend auch die Bewegungen der Hand in den Mittelpunkt unserer Arbeiten. So können wir der Bewegung der Fliege über die Wand mit unserer Hand sehr präzise folgen, um die Fliege zu fangen oder zu verjagen. Diese Leichtigkeit deutet auf die hohe Entwicklung unseres Gehirns für solche Aufgaben hin. Offensichtlich muss die Kontrolle der Hand und des Armes direkt auf die visuelle Information zurückgreifen können. Bei der Steuerung von Bewegungen der Hand nimmt der primäre Motorkortex eine zentrale Stellung ein. Dieses Gebiet, das vor der Zentralfurche (Sulcus centralis) an der hinteren Kante des Frontallappens liegt (Abb. 2), sendet Signale direkt zum Rückenmark und kann daher für die Gliedmaßenmotorik als „Ausgangsstation“ im Großhirn angesehen werden. Ähnlich wie die Neurone im visuellen Bewegungsareal MT besitzen auch die Nervenzellen im Motorkortex eindeutige Vorzugsrichtungen, die sich hier auf die Bewegung der Hand beziehen: Ein einzelnes Neuron generiert Aktionspotenziale mit maximaler Rate, wenn z. B. eine Bewegung der Hand nach rechts erfolgen soll. Auch in diesem Hirnareal wird wegen der relativen Unschärfe, mit der einzelne Neurone bei einer Bewegung der Hand die Richtung kodieren, immer eine Vielzahl Vor jeder Handbewegung sind eine Vielzahl Zellen aktiv zahl von Neuronen aktiv. Es wird angenommen, dass die hohe Präzision, mit der zielgerichtete Bewegungen der Hand ausgeführt werden können, auf der simultanen Aktivität einer größeren Neuronenpopulation beruht. Jeder zielgerichteten Handbewegung geht nicht nur die Aktivität einiger weniger Zellen voraus, sondern wiederum ein wahres Feuerwerk der kortikalen Zellen, die die jeweilige Richtung bevorzugen. Modelle der kortikalen Steuerung von Handbewegungen gehen auch von einer Populationskodierung aus, die der tatsächlichen Bewegung zeitlich vorausgeht. Hirnzellen haben Vorzugsrichtung Die Ähnlichkeit der Richtungskodierung im primären Motorkortex und im visuellen Bewegungsareal MT macht es besonders interessant, die Aktivität in beiden Arealen direkt zu vergleichen: Wir wählten dafür ein Verhaltensexperiment mit Rhesusaffen, bei dem beide Areale funktionell von Bedeutung sind. Diese Tiere sind aufgrund ihrer Neugier und ihres manuellen Geschicks in der Lage, auch relativ komplexe Aufgaben zu erlernen. Wir trainierten die Affen, eine „Computermaus“ mit der Hand zu bedienen und damit den Cursor auf dem Bildschirm zu einem bestimmten Zielpunkt zu bewegen. Eine weitere Aufgabe bestand darin, einen auf dem Bildschirm bewegten Zielpunkt möglichst genau mit dem Cursor zu verfolgen. Auf diese Weise führten die Tiere zeitlich und räumlich definierte Bewegungsmuster aus, die sich an einem bewegten Stimulus orientierten. Die in Area MT und im primären Motorkortex aufgezeichnete Aktivität vieler Neurone fassten wir dann zu einer gemeinsamen Antwort zusammen. Wir nutzten dabei aus, dass der Mehrzahl der Zellen beider Areale eine eindeutige Vorzugsrichtungen zugewiesen werden kann. Damit ist die Berechnung eines „Populationsvektors“ möglich, der die Aktivität vieler Neurone als ein gemeinsames Richtungssignal wiedergibt. Dieses gemittelte Richtungssignal ist in Abb. 3 in seinem Zeitverlauf dargestellt: Man erkennt, mit welcher Präzision in beiden Arealen die Bewegungsrichtung von Hand und Ziel kodiert wird, sofern die Aktivität von mehreren hundert Zellen gemeinsam interpretiert wird. Offensichtlich sind beide Gebiete der Hirnrinde während dieser Aufgabe gleichzeitig aktiv. Durch weitere Analyseschritte wird der Zeitversatz zwischen der Aktivität beider Gebiete erkennbar, genauer bestimmt und schließlich der Einfluss von Hand- und Reizbewegung auf die Aktivität in beiden Arealen vergleichbar. Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass die neuronale Aktivität im Motorkortex sowohl durch die Bewegung der Hand als auch durch die Bewegung des Ziels beeinflusst wird (Abb. 4). Dagegen bleibt Area MT unabhängig von der Handbewegung des Tieres und bestätigt damit seine Rolle als vornehmlich visuelles Areal. Es unterscheidet sich von anderen Arealen im Parietallappen, die als multimodale Integeationsareale angesehen werden und für die bereits ein Einfluss von Handbewegungen auf die sensorische Verarbeitung beschrieben wurde. Gerade bei der im Tierexperiment untersuchten Folgebewegung der Hand scheint die Aktivität in Area MT unabdingbar für die visuell gesteuerten Folgebewegungen zu sein. Wir haben diese Ergebnisse beim Menschen mit Hilfe der funktionellen Kernspintomografie überprüft, da wir auch hier eine gemeinsame Aktivierung von Area MT und primärem Motorkortex erwarten. Die Messungen im Kernspintomographen bieten den Vorteil, dass die Aktivitätsänderungen im gesamten Gehirn gleichzeitig bestimmt werden können. Das funktionelle Kernspinsignal weist indirekt – basierend auf Veränderungen im Sauerstoffgehalt des Blutes – auf die neuronale Aktivität bei der Verhaltensaufgabe hin. Mit einem für das starke Magnetfeld eines klinischen Kernspintomographen modifizierten Joystick (s. Abb. 5) konnten die Versuchspersonen einen Cursor steuern und damit ebenfalls einem bewegten Zielpunkt folgen. Zusätzlich mussten sie eine zuvor von ihnen ausgeführte Cursorbewegung passiv betrachten. Mit diesen „replay“-Bedingungen war es möglich, identische visuelle Eindrücke zu erzeugen, die sich allein darin unterscheiden, ob die Versuchsperson die Bewegung des Cursors aktiv steuert oder nur passiv betrachtet. Die Unterschiede im Kernspinsignal (Abb. 6) weisen auf die besondere Bedeutung von Area MT für die visuelle Information zur aktiven Steuerung von Handbewegungen hin. Die Forschung in den Neurowissenschaften stößt zunehmend in Bereiche vor, die interdisziplinäre Ansätze erfordern, um aktuelle Fragen umfassend beantworten zu können. Dies zeigt auch die Übereinstimmung unserer Ergebnisse aus der tierexperimentellen Elektrophysiologie und den funktionellen Kernspinmessungen. Dabei liefert die Elektrophysiologie die höhere räumliche und zeitliche Genauigkeit, während die Kernspinmessung am Menschen einen vorerst nur groben Blick auf das Ganze erlaubt. Wir rechnen aber damit, dass durch die Fusion beider Methoden unser Wissen über die Hirnfunktionen zunehmen wird und sich neurologische Störungen, wie sie nach Hirnverletzungen oder bei der Parkinson-Erkrankung vorliegen, zukünftig besser diagnostizieren und langfristig auch behandeln lassen werden.