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Naturwissenschaften
Neurobiologie
NEUROrubin 2003
Sehen und Bewegen:
Ein Feuerwerk der Nervenzellen
Neugierig verfolgt
der Rhesusaffe über
eine Computermaus
mit dem roten Punkt
den Zielkreis auf dem
Monitor. Ein wahres
Feuerwerk der Nervenzellen sorgt für die
so einfach erscheinende Auge-Hand-Koordination.
W. Kruse
C. Oreja-Guevara
K.-P. Hoffmann
B
ewegung sehen ist eine grundlegende Fähigkeit unseres Gehirns.
Sie erlaubt Mensch und Tier, bewegte
Objekte in einer Szene zu entdecken,
Beute zu verfolgen und sich in der
Welt zu bewegen. Selbst auf einer unruhig gemusterten Fläche und im
schwachen Licht der Dämmerung sehen
wir eine Fliege – wenn sie sich bewegt.
Bewegte Objekte rufen eine erhöhte
Aufmerksamkeit hervor. Zudem führt
die Bewegung innerhalb einer visuellen Szene unwillkürlich zu einer Mitbewegung beim Betrachter: Er folgt
dem Weg der Fliege mit den Augen und
gegebenenfalls auch mit dem Kopf. Indem sich die Blickrichtung mitbewegt,
bleibt das Objekt im Zentrum des Ge-
Dr. Wolfgang Kruse, Dr. Celia OrejaGuevara, Prof. Dr. Klaus-Peter
Hoffmann, Allgemeine Neurobiologie,
Fakultät für Biologie
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sichtsfeldes (Fovea). In diesem zentralen Bereich der Netzhaut (Retina) ist
die visuelle Auflösung am höchsten.
Bei der Steuerung von glatten
Augenfolgebewegungen (s. Info, S. 29)
sind zwei Aspekte besonders wichtig:
Die Bewegung des Objektes – seine
Richtung und Geschwindigkeit – muss
möglichst genau erfasst werden und die
Augenmuskeln müssen beim Ansteuern
des Objektes auf dessen Bewegung abgestimmt und kontinuierlich korrigiert
werden. Für solche Anforderungen hat
das Gehirn höher entwickelter Affen
und des Menschen (Primaten) eine
komplexe Aufgabenteilung entwickelt.
So gibt es z.B. in der Großhirnrinde
von Rhesusaffen eine Vielzahl räumlich
getrennter Areale, denen spezielle
funktionelle Eigenschaften zugeordnet
werden können. Bei Primaten sind
Areale bekannt, die spezifisch z. B. auf
farbige Reizmuster oder auf Gesichter
reagieren. Andere Areale antworten
sehr selektiv auf bewegte Stimuli, wie
etwa das sog. mediotemporale Areal
(Area MT) am Scheitellappen ( Parietalkortex, s. Abb. 2). In Area MT haben
Neurone meist eine „Vorzugsrichtung“,
auf die sie besonders kräftig antworten, wenn sich ein Objekt und damit
zugleich dessen Abbild auf der Retina
in diese Richtung bewegt. Weicht die
Objektbewegung von der Vorzugsrichtung ab, wird die Antwort der jeweiligen Neurone schwächer. Aufgrund der
großen Anzahl von Neuronen und der
gleichmäßigen Verteilung der Vorzugsrichtungen im gesamten Areal findet
sich immer eine Vielzahl Neurone, die
auf eine Bewegungsrichtung maximal
antwortet. Die Kodierung der Bewegung des visuellen Reizes erfolgt quasi durch ein Feuerwerk zahlreicher Neuronen – man spricht von einer Populationsantwort.
Aktivität weiterleiten:
auf sehen folgt bewegen
Blickt z.B. ein Rhesusaffe auf einen Bildschirm, auf dem sich ein heller
Punkt bewegt, dann entstehen neuronale Aktivitätsmuster im Areal Area
MT seines Gehirns. Diese Aktivität
kann eine entsprechende Augenfolgebewegung steuern, wenn sie aus Area
MT zu Strukturen im Mittelhirn projiziert wird, die direkten Einfluss auf die
Augenbewegungen haben. Die neuronale Kontrolle der Augenmuskeln in
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NEUROrubin 2003
Abb. 3:
Zeitlicher Verlauf der
Populationsvektoren in
Motorkortex (Aktivität
von 353 Zellen) und visuellem Areal MT (Aktivität von 252 Zellen).
Die Vektoren der
Motorpopulation sagen
die Richtung der Handbewegung voraus (nach
oben). Der visuelle
Populationsvektor gibt
die Richtung der Zielbewegung wieder
(nach oben).
Abb. 2:
Kernspintomografische Aufnahme der Großhirnrinde eines Rhesusaffen mit den für
das Sehen und die Bewegung
wichtigen Bereichen Area MT
und Primärem Motorkortex.
Augenbewegungen:
Schnell oder glatt?
Die Bewegung unserer Augen erfolgt
häufiger als jede andere Bewegung des
Körpers. Wir führen etwa drei Augenbewegungen pro Sekunde aus. Meist ändern wir sprunghaft die Blickrichtung, um
damit ein Objekt aus dem visuellen Umfeld ins Zentrum des Gesichtsfeldes zu
bringen. Diese sog. Sakkaden laufen mit
hoher Geschwindigkeit ab und können von
uns auch bewusst gesteuert werden. Andere Augenbewegungen führen wir nur bei
einem visuellen Reiz aus: Wenn wir z.B.
ein sich bewegendes Objekt kontinuierlich
mit den Augen verfolgen, spicht man von
„glatten“ Augenfolgebewegungen. Zu dieser auf die Geschwindigkeit des Objektes
genau abgestimmten Bewegung der Augen
kommt es nur, solange sich das Objekt
auch in unserem Gesichtsfeld bewegt.
info
diesen Mittelhirnstrukturen ist
unabdingbar für glatte Augenbewegungen.
Aufbauend auf den Erkenntnissen über die neuronale
Kontrolle der Augenbewegungen rückten in den letzten Jahren zunehmend auch die Bewegungen der Hand in den Mittelpunkt unserer Arbeiten. So
können wir der Bewegung der
Fliege über die Wand mit unserer Hand sehr präzise folgen,
um die Fliege zu fangen oder
zu verjagen. Diese Leichtigkeit
deutet auf die hohe Entwicklung unseres Gehirns für solche
Aufgaben hin. Offensichtlich
muss die Kontrolle der Hand
und des Armes direkt auf die
visuelle Information zurückgreifen können.
Bei der Steuerung von Bewegungen der Hand nimmt der
primäre Motorkortex eine zen-
trale Stellung ein. Dieses Gebiet, das
vor der Zentralfurche (Sulcus centralis) an der hinteren Kante des
Frontallappens liegt (Abb. 2), sendet
Signale direkt zum Rückenmark und
kann daher für die Gliedmaßenmotorik
als „Ausgangsstation“ im Großhirn angesehen werden.
Ähnlich wie die Neurone im visuellen Bewegungsareal MT besitzen
auch die Nervenzellen im Motorkortex
eindeutige Vorzugsrichtungen, die sich
hier auf die Bewegung der Hand beziehen: Ein einzelnes Neuron generiert
Aktionspotenziale mit maximaler Rate,
wenn z. B. eine Bewegung der Hand
nach rechts erfolgen soll. Auch in diesem Hirnareal wird wegen der relativen
Unschärfe, mit der einzelne Neurone
bei einer Bewegung der Hand die
Richtung kodieren, immer eine Vielzahl
Vor jeder Handbewegung
sind eine Vielzahl Zellen aktiv
zahl von Neuronen aktiv. Es wird angenommen, dass die hohe Präzision,
mit der zielgerichtete Bewegungen der
Hand ausgeführt werden können, auf
der simultanen Aktivität einer größeren
Neuronenpopulation beruht. Jeder zielgerichteten Handbewegung geht nicht
nur die Aktivität einiger weniger Zellen voraus, sondern wiederum ein wahres Feuerwerk der kortikalen Zellen,
die die jeweilige Richtung bevorzugen.
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Modelle der kortikalen Steuerung von
Handbewegungen gehen auch von einer
Populationskodierung aus, die der tatsächlichen Bewegung zeitlich vorausgeht.
Hirnzellen
haben Vorzugsrichtung
Die Ähnlichkeit der Richtungskodierung im primären Motorkortex und
im visuellen Bewegungsareal MT
macht es besonders interessant, die Aktivität in beiden Arealen direkt zu vergleichen: Wir wählten dafür ein Verhaltensexperiment mit Rhesusaffen, bei
dem beide Areale funktionell von Bedeutung sind. Diese Tiere sind aufgrund ihrer Neugier und ihres manuellen Geschicks in der Lage, auch relativ
Abb. 4:
Einfluss von Ziel- und
Handbewegung auf die motorische und visuelle
Populationsaktivität. Die
visuellen Daten (B) hängen
vor allem von der Bewegung des Ziels ab und werden nur wenig von der
Handbewegung beeinflusst.
Im Unterschied dazu zeigt
der motorische Vektor (A)
eine Abhängigkeit von der
Bewegung der Hand und
des Ziels (Krümmung der
Ergebnisfläche entlang
beider Achsen).
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komplexe Aufgaben zu erlernen. Wir
trainierten die Affen, eine „Computermaus“ mit der Hand zu bedienen und
damit den Cursor auf dem Bildschirm
zu einem bestimmten Zielpunkt zu bewegen. Eine weitere Aufgabe bestand
darin, einen auf dem Bildschirm bewegten Zielpunkt möglichst genau mit dem
Cursor zu verfolgen. Auf diese Weise
führten die Tiere zeitlich und räumlich
definierte Bewegungsmuster aus, die
sich an einem bewegten Stimulus orientierten.
Die in Area MT und im primären
Motorkortex aufgezeichnete Aktivität
vieler Neurone fassten wir dann zu einer gemeinsamen Antwort zusammen.
Wir nutzten dabei aus, dass der Mehrzahl der Zellen beider Areale eine eindeutige Vorzugsrichtungen zugewiesen
werden kann. Damit ist die Berechnung
eines „Populationsvektors“ möglich,
der die Aktivität vieler Neurone als ein
gemeinsames Richtungssignal wiedergibt. Dieses gemittelte Richtungssignal
ist in Abb. 3 in seinem Zeitverlauf dargestellt: Man erkennt, mit welcher Präzision in beiden Arealen die Bewegungsrichtung von Hand und Ziel kodiert wird, sofern die Aktivität von
mehreren hundert Zellen gemeinsam
interpretiert wird. Offensichtlich sind
beide Gebiete der Hirnrinde während
dieser Aufgabe gleichzeitig aktiv.
Durch weitere Analyseschritte wird
der Zeitversatz zwischen der Aktivität
beider Gebiete erkennbar, genauer bestimmt und schließlich der Einfluss
von Hand- und Reizbewegung auf die
Aktivität in beiden Arealen vergleichbar. Die Ergebnisse deuten darauf hin,
dass die neuronale Aktivität im Motorkortex sowohl durch die Bewegung der Hand als auch durch
die Bewegung des Ziels
beeinflusst wird (Abb. 4). Dagegen bleibt Area MT unabhängig von der Handbewegung
des Tieres und bestätigt damit
seine Rolle als vornehmlich
visuelles Areal. Es unterscheidet sich von anderen Arealen
im Parietallappen, die als
multimodale Integeationsareale angesehen werden und für
die bereits ein Einfluss von
Handbewegungen auf die sensorische Verarbeitung beschrieben wurde.
Gerade bei der im Tierexperiment untersuchten Folgebewegung der Hand scheint
die Aktivität in Area MT unabdingbar für die visuell gesteuerten Folgebewegungen zu
sein. Wir haben diese Ergebnisse beim Menschen mit Hilfe der funktionellen Kernspintomografie überprüft, da wir
auch hier eine gemeinsame
Aktivierung von Area MT und
primärem Motorkortex erwarten. Die Messungen im Kernspintomographen bieten den
Vorteil, dass die Aktivitäts-
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Abb. 5:
Experiment im Kernspintomografen:
Testpersonen steuerm während der
Kernspinmessung mit einem modifizierten Joystick (A) einen „feedbackcursor“ auf einem Bildschirm (B) und
verfolgen damit ein bewegtes Ziel.
änderungen im gesamten Gehirn gleichzeitig bestimmt werden können. Das
funktionelle Kernspinsignal weist indirekt – basierend auf Veränderungen im
Sauerstoffgehalt des Blutes – auf die
neuronale Aktivität bei der Verhaltensaufgabe hin.
Mit einem für das starke Magnetfeld eines klinischen Kernspintomographen modifizierten Joystick (s. Abb.
5) konnten die Versuchspersonen einen
Cursor steuern und damit ebenfalls einem bewegten Zielpunkt folgen. Zu-
sätzlich mussten sie eine zuvor von ihnen ausgeführte Cursorbewegung passiv betrachten. Mit diesen „replay“-Bedingungen war es möglich, identische
visuelle Eindrücke zu erzeugen, die
sich allein darin unterscheiden, ob die
Versuchsperson die Bewegung des Cursors aktiv steuert oder nur passiv betrachtet. Die Unterschiede im Kernspinsignal (Abb. 6) weisen auf die besondere Bedeutung von Area MT für
die visuelle Information zur aktiven
Steuerung von Handbewegungen hin.
igkeit, während die Kernspinmessung
am Menschen einen vorerst nur groben
Blick auf das Ganze erlaubt. Wir rechnen aber damit, dass durch die Fusion
beider Methoden unser Wissen über die
Hirnfunktionen zunehmen wird und
sich neurologische Störungen, wie sie
nach Hirnverletzungen oder bei der
Parkinson-Erkrankung vorliegen, zukünftig besser diagnostizieren und
langfristig auch behandeln lassen werden.
Motion processing during visually
guided actions
Abb. 6:
Die funktionellen Kernspin-Aufnahmen zeigen die Gebiete erhöhter Aktivität bei der in Abb. 5 beschriebenen
Verhaltensaufgabe. Der Frontalschnitt
(links) zeigt deutliche Aktivität im
primären Motorkortex (M1). Im weiter
hinten gelegenen Frontalschnitt
(rechts) ist eine Aktivitätszunahme im
Parietalkortex (PK) und in
Area MT sichtbar.
Die Forschung in den Neurowissenschaften stößt zunehmend in Bereiche vor, die interdisziplinäre Ansätze
erfordern, um aktuelle Fragen umfassend beantworten zu können. Dies
zeigt auch die Übereinstimmung unserer Ergebnisse aus der tierexperimentellen Elektrophysiologie und den
funktionellen Kernspinmessungen. Dabei liefert die Elektrophysiologie die
höhere räumliche und zeitliche Genau-
Processing of movement in our
world is an essential capability of our
visual system - and is fundamental for
visually guided actions. In humans and
non-human primates, cortical area MT
is devoted to the processing of moving
stimuli. To elucidate the interplay of
visual area MT and motor cortex, we
designed a behavioural task where
stimuli on a computer screen had to be
pursued by means of a manually
controlled feedback cursor. Population
analysis of the cell activity in the
monkey as well as results from fMRI
with human subjects underline the
importance of area MT for the motion
processing needed during visually
guided action.
abstract
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