Z. f. Individualpsychologie, 25. Jg., S. 184 – 196 (2000) © Ernst Reinhardt Verlag München Basel Ethische Fragen in der Psychotherapie von Kindern, Jugendlichen und Familien Ulrike Lehmkuhl, Gerd Lehmkuhl Ethical Questions in Psychotherapy of Children, Adolescents, and Families Questions of ethical behaviour and legal aspects were addressed and discussed increasingly over the last years by the psychotherapeutic associations and thereby a received interest from a broader public. Different forms of misuse and abuse in therapy have to be defined and sensitivity has to be developed for where to draw the border between caring, empathetic therapy and exploiting misusing behaviour. Appropriate guidelines and standards are discussed. Fragen des ethischen Handelns und juristische Aspekte wurden in den letzten Jahren zunehmend von den psychotherapeutischen Fachverbänden aufgegriffen und diskutiert. Hierdurch rückten sie verstärkt in das Interesse einer breiteren Öffentlichkeit. Es geht darum, verschiedene Formen des Mißbrauchs in Therapien zu definieren und Sensibilität dafür zu entwickeln, wo die Grenze zwischen fürsorglichem, empathisch zugewandtem, therapeutischem und ausnützendem mißbräuchlichem Verhalten liegt. Auf entsprechende Leitlinien und Standards wird ausführlich eingegangen. Heinz Hartmann (1960) weist in seinem Buch “Psychoanalyse und moralische Werte” darauf hin, daß die Ethik im Gegensatz zu der psychologischen Erforschung des moralischen Verhaltens ein Gebiet war, das Freud nicht sehr am Herzen lag. Freud pflegte Friedrich Theodor Vischers Ausspruch “Das Moralische versteht sich immer von selbst” zu zitieren. Aber er selbst hatte kein Bedürfnis, auf die Frage nach der Gültigkeit moralischer Gefühle oder Urteile tiefer einzugehen. Dies mag dazu geführt haben, daß ethische Fragen zunächst keine besondere Beachtung in der Psychoanalyse gefunden haben. 1. Moralisch-ethische Wertvorstellungen im individualpsychologischen theoretischen Kontext Fragen der Ethik spielten in der Individualpsychologie von Beginn an eine wichtige Rolle. Carl Furtmüller verfaßte 1912 eine Monographie mit dem Titel “Psychoanalyse und Ethik”, die als erster Band der Schriften des Vereins für freie psychoanalytische Forschung erschien. Wie Ansbacher und Ansbacher (1982) ausführen, bezog sich Adler später oft auf diese Arbeit, in der soziale Anpassung und, konsequenterweise, ethisches Verhalten nicht als bloße Einschränkungen der menschlichen Natur verstanden werden, sondern als eine Ausdrucksform, die mit einer natürlichen Prädisposition harmoniert. Furtmüller (1912) fragt, woher die ethischen Imperative ihre bestimmende Kraft erhalten. Er geht hierbei von einer phylogenetisch erworbenen Disposition aus. Adlers Streben nach Vollkommenheit ist somit im Sinne einer evolutionären Ethik zu fassen. Auch im zweiten Band des Handbuchs der Individualpsychologie, der 1926 erschien (Wexberg 1926), findet sich ein eigenes Kapitel über Ethik. Es geht primär um den Gegensatz zwischen dem Machtstreben des Einzelnen und den Aufgaben der Gemeinschaft. Hugo Horwitz (1926) arbeitet die Widersprüche und Schwierigkeiten einer imperativischen Ethik heraus. Jede bloß normierende, nur formale Ethik bedeute dem Leben gegenüber eine Negation und berge die Gefahr, daß der Mensch an der ethischen Forderung verkümmere. Für Horwitz (1926) gilt es, eine Einheit, eine Gemeinschaft, eine gemeinsame Daseinsform zu schaffen, deren Werte der Schwäche des menschlichen Einzelbewußtseins überlegen sind, die unser Wertstreben über Irrtum, Fiktion und bloßes Machtstreben hinauszuheben vermag. Insofern waren ethische Überlegungen in der Individualpsychologie von Beginn an mit Wertvorstellungen verbunden, die in der Psychotherapie vermittelt und erreicht werden sollten und dem Leitbild eines ganzheitlichen Bezogenseins folgen. Wiegand (1998) fragt kritisch: “Gemeinschaftsgefühl oder Menschenrechte?” und hinterfragt die Verallgemeinerung einer liebenden Haltung zum ethischen Prinzip schlechthin (s. a. Wiegand 1990, 1986). Diese wenigen Zitate sollen belegen, daß ethische Fragen für die Individualpsychologie eng verbunden waren mit gesellschaftlichen und moralischen Ansprüchen, sich aber kaum auf die Interaktions- und Beziehungsstrukturen im Therapieprozeß selbst bezogen. Diese Frage tauchte erstmals in einem Vortrag von Pagani (1989) über ethische Probleme und die individualpsychologische Psychotherapie auf, den er 1987 auf dem 17. Internationalen Kongreß für Individualpsychologie in Münster hielt. Pagani (1989) schreibt hier u. a., daß sich der Adlerianische Psychotherapeut nicht über die Verpflichtung zum Respekt gegenüber dem Mitmenschen hinwegsetzen kann, indem er sich dem Patienten hörig macht und somit dessen freien Willen erstickt. Man dürfe den Patienten nicht zwingen, um ihn unter therapeutischen Gesichtspunkten zur besten Lösung zu führen. Das Prinzip der Nichteinmischung führt nach Parenti (1989) dann zu einem ethischen Problem, wenn die Entscheidungen des Patienten in der praktischen Umsetzung ein sadistisches Moment enthalten oder starke Tendenzen besitzen, andere Menschen zu verletzen. In dem Abschnitt zu ethischen Problemen in der Übertragung und der Gegenübertragung wird betont, daß der Analytiker die Therapie nicht zum persönlichen Vorteil ausnutzen dürfe, weder hinsichtlich eines finanziellen Gewinns noch hinsichtlich einer sexuellen Befriedigung. Es finden sich jedoch auch in diesem Artikel wenige Hinweise darauf, wie sich ethische Konflikte in der Beziehung zwischen Analytiker und Patient konstellieren können und wie sie zu bearbeiten sind. 2. Versuch einer Definition ethischer Psychotherapieprinzipien Insbesondere bei Kindern und Jugendlichen und deren Familien ist die therapeutische Haltung sorgfältig zu kontrollieren. Mehr noch als in der Therapie von Erwachsenen besteht die Versuchung, daß der Therapeut seine Macht, sein größeres Wissen, seine Lebenserfahrung ausnutzt. Deshalb halten viele Autoren den Mißbrauch von Abhängigkeit in der Psychotherapie für ein zentrales Thema (Reiter-Theil 1991, Reimer 1991, Tress u. Langenbach 1999). Diese Problematik wird sowohl im sexuellen als auch im narzißtischen Mißbrauch deutlich. Zahlen über Vorkommen und Häufigkeit liegen nur in sehr begrenztem Umfang vor und wurden zumeist anonym erhoben. Aus Fallbeispielen wissen wir, daß den Patienten Schaden zugefügt wird, ihre Autonomie beschädigt und ihre Beziehung zu Dritten außerhalb der Analyse schwer gestört wird. In diesem Sinne können bereits unmerkliche, leise Verstöße gegen verbindliche Richtlinien therapeutischen Handelns zu großen Schäden führen. Reimer (1991) versteht unter narzißtischem Mißbrauch in der Psychotherapie “alle Interaktionen und Beziehungskonstellationen zwischen Therapeut und Patient, die primär dem Wunsch des Therapeuten nach narzißtischer Gratifikation dienen, die die Entfaltung des wahren Selbst des Patienten verhindern oder zumindest erschweren”. Anstatt das emanzipatorische Potential der therapeutischen Beziehung auch für die Interpretation von Auseinandersetzungen zu nutzen, Ablösung und Autonomie zu erreichen, rekonstruiert sich ein falsches Selbst zum zweiten Mal. Diese Therapien laufen fast unendlich weiter, und man kann sich nicht trennen. 3. Ethik und therapeutische Beziehung Das Ziel des psychotherapeutischen Vorgehens ist nach Hartmann (1960) das gleiche, das jede Therapie anstrebe, und der Wert dieses Zieles stehe nicht in Frage: Moralische Überlegungen dürfen die Zielsetzung nicht stören. Andererseits ist die Betrachtung der analytischen Therapie als eine Art Technologie auch eine Verkürzung, die sich im Beziehungskontext nur schwer so handhaben läßt. Für Kottje-Birnbacher und Birnbacher (1999) ist der Bedarf an ethischer Problemklärung und Problemlösung gerade wegen der Besonderheit des Arzt-Patienten-Verhältnisses in der Psychotherapiesituation unübersehbar. Das erhebliche Machtpotential des Therapeuten, die Intimität der Beziehung berge nicht zu vernachlässigende Schadensrisiken für den Patienten und moralische Risiken für den Therapeuten. Moralische Risiken für den Therapeuten ergeben sich vor allem dadurch, daß die emotionale Abhängigkeit des Patienten den Therapeuten einer ausgesprochenen Verführungssituation aussetzt. Hierbei ist nicht nur an den sexuellen Mißbrauch gedacht, sondern an die vielfältigeren anderweitigeren Formen ethisch bedenklicher emotionaler Ausbeutung. Entsprechend formulieren Holmes und Lindley (1994), daß die Autonomie des Patienten und die Aufrechterhaltung einer vertrauensvollen Beziehung wichtige ethische Prinzipien darstellen. Für Reiter-Theil (1988, 1994) finden aus familientherapeutischer Sicht Grenzüberschreitungen vor allem dann statt, wenn eine mögliche verdeckte Beeinflussung des Patienten in bezug auf Therapie und Lebensziele geschieht. Sie fordert, daß sich die empirische Psychotherapieforschung auch ethischen Fragen verstärkt zuwenden sollte, um die Kenntnisse über die für Therapeuten charakteristische Werthaltungen zu erfassen. Insbesondere wären Zusammenhänge zwischen therapeutisch-ethischen Überzeugungen, therapeutisch-technischen Konsequenzen und Therapieergebnissen zu untersuchen, da diese sowohl für die Lehre als auch für die Psychotherapie direkt von Nutzen sein könnten. Man sollte annehmen, daß sich ethische Fragen in der Behandlung von Kindern und Jugendlichen besonders verschärft stellen: Wie freiwillig kann ihre Therapie erfolgen, in welchem Umfang sollen sie bei der Planung und Entscheidung von Therapiemaßnahmen mit einbezogen werden, entsprechen sich Wünsche des Kindes bzw. des Jugendlichen und seiner Eltern, wie lassen sich gemeinsame Therapieziele definieren, welche Vorgaben durch den Therapeuten engen den Freiraum der Betroffenen ein, ist Allparteilichkeit anzustreben oder soll der Therapeut primär Anwalt des Kindes bzw. Jugendlichen sein? Zu diesen Punkten finden sich nur sehr wenige kasuistische Betrachtungen und Empfehlungen, jedoch fast keine empirischen Befunde. Andererseits mehren sich in kinderpsychiatrischen und psychotherapeutischen Zeitschriften Artikel, die diese Thematik aufgreifen. So berichten Geraty et al. (1992) über ethische Perspektiven von “managed care”. Die Schlußfolgerungen und Empfehlungen dieser Arbeit münden darin, daß Kinder- und Jugendpsychiater und Therapeuten das Potential ethischer Konflikte verstärkt antizipieren müßten, bevor sie auftreten und den Therapieprozeß negativ beeinflussen würden. O’Rourke und Mitarbeiter (1992) stellen in ihrem Beitrag “Knowing and Practicing Ethics” drei Prinzipien auf, die sie mit Fallvignetten unterlegen. Das erste Prinzip besteht darin, daß der Kinder- und Jugendpsychiater Vorstellungen über Gesundheit und Entwicklung verfügt, bei deren Erreichen er die Familie unterstützt. Ein weiteres Prinzip sollte darin bestehen, daß das Bemühen des Therapeuten nicht nur dem Wunsch folgt, dem Patienten zu helfen, sondern auch, sich selber in der Behandlung wohlfühlen zu können. Das dritte Prinzip besteht darin, nachvollziehbare Erklärungen und Kreativität im Interesse der Bedürfnisse der Patienten zu nutzen. Diese Forderungen sollten, wie Sondheimer und Martucci (1992) fordern, in einem formalen didaktischen Curriculum ausgeführt und vermittelt werden. Kritische Therapieelemente sind ihrer Meinung nach Umgang mit Dingen, die vertraulich gesagt werden, Behandlungsverweigerung, Behandlungsbeendigung und die Beziehung zwischen Einzel- und Familientherapie. In dem von Jocelyn Hattab herausgegebenen Band “Ethics and Child Mental Health” schreibt Remschmidt (1994), daß die ethischen Probleme im Bereich Kinder- und Jugendpsychiatrie vor allem im Kontext von Alter und Entwicklungsstand des Kindes gesehen werden müßten, wobei psychosoziale und familiäre Aspekte hinzukämen. 4. Ethische Grundsätze und Leitlinien psychotherapeutischen Handelns Unter welchen Bedingungen finden psychotherapeutische Behandlungen von Kindern und Jugendlichen in der Praxis statt? Unsere Patienten müssen über einen längeren Zeitraum Termine wöchentlich wahrnehmen und dabei auf einen Teil ihrer wichtigen Freizeit nach der Schule verzichten. So sehr wir uns auch bemühen, sind unmittelbar rasche durchgreifende Erfolge eher selten, so daß sich Patient und Therapeut auf einen längeren gemeinsamen Weg einstellen müssen. Häufig werden die Kinder und Jugendlichen von ihren Eltern oder Erziehungsberechtigten in die Therapie gebracht, ohne diesen Schritt von sich aus als notwendig zu erachten. Häufig besteht kein eigener Leidensdruck oder Veränderungswunsch. Vorstellungen über den Behandlungsrahmen bestehen ebenso selten wie zum Zeitraum. Diese Aspekte gelten um so mehr, je jünger das Kind ist und je weniger es selbst eine Therapie für notwendig erachtet. Dennoch sollten wir auch bei allen kinder- und jugendpsychotherapeutischen Behandlungen die von Beauchamp und Childress (1983) vorgeschlagenen leitenden moralisch-ethischen Grundsätze ärztlichen Handelns beachten. Diese lauten wie folgt: – – – – Respekt für die Autonomie des Menschen (informed consent) das Gebot der Schadensvermeidung (primum non nocere), die Verpflichtung zur Hilfe (Paternalismus), das Prinzip der Gerechtigkeit (Ressourcenverteilung, Mikro- und Makroethik) Nach Heigl-Evers und Heigl (1989) ist es im Vorfeld der Therapie von Erwachsenen zunächst entscheidend, einen informed consent herzustellen, um Motivation und Behandlungseinsicht zu verstärken. Es erscheine moralisch-ethisch nicht begründbar, eine Psychotherapie einzuleiten, ehe nicht eine aus Krankheitseinsicht resultierende Behandlungsmotivation, eine Motivation zur therapeutischen Kooperation vom Patienten entwickelt werden konnte. Dies wäre nach Meinung der Autoren nicht nur moralisch-ethisch unzulässig, weil das Selbstbestimmungsrecht des Patienten vernachlässigt würde, sondern es wäre auch prognostisch wenig erfolgversprechend, denn wie soll bei der Behandlung von Störungen, die psychisch bedingt oder mitbedingt sind, ein ausreichendes stabiles Therapieresultat zustande kommen, wenn nicht beide Partner der psychotherapeutischen Kooperation ihre Aufmerksamkeit schenken (s. a. Hutterer-Krisch 1996). Natürlich ist es nur begrenzt möglich, eine solche Kooperationsbereitschaft auch für das Kindes- und Jugendalter zu fordern. Hier besteht zunächst die Notwendigkeit, eine behutsame altersangemessene Information über das geplante therapeutische Vorgehen einschließlich der notwendigen diagnostischen Schritte zu geben. Welche Veränderungen werden vom Kind oder Jugendlichen gewünscht, wobei kann unterstützt werden und welche Widerstände gilt es zu erkennen und zu bearbeiten. In den Leitlinien und Behandlungsstandards für Kinder mit hyperaktiven Störungen der American Academy of Child and Adolescent Psychiatry wird z. B. ausdrücklich verlangt, daß die Eltern hinsichtlich Symptomatik, Verlauf und Prognose der Störung aufzuklären sind und auch das Kind selbst hinsichtlich der Symptomatik in altersangemessener Weise informiert und zur Selbstbeobachtung angeleitet werden soll (Döpfner und Lehmkuhl 1993). Es heißt dort: “Besprechen Sie mit dem Kind die Auffälligkeiten, die Sie selbst während der Diagnostik beobachten konnten.” Aus der täglichen Praxis wissen wir, wie schwierig es ist, eine solche Forderung angemessen in die Praxis umzusetzen. Green und Stewart (1987) gehen auf diese Problematik in ihrer Arbeit: “Ethical Issues in Child and Adolescent Psychiatry” ausführlich ein. Und John Pearce (1994) wählt folgenden Untertitel zum informed consent in der Behandlung von Kindern: “The Assessment of Competence and Avoidance of Conflict”. Was ist hiermit gemeint? Es geht um eine entwicklungspsychologische Einschätzung des kognitiven Verstehens, ab wann Kinder über ausreichendes Verständnis und Einsicht verfügen, die zu einer verantwortungsvollen Stellungnahme ausreichen. Green und Stewart (1987) unterteilen zwischen der Verantwortung des Kindes, abhängig von der kognitiven und moralischen Entwicklung, und der Verantwortung des Therapeuten, dessen diagnostischer Einschätzung und seinem Behandlungsvorgehen. Hierbei wird insbesondere herausgearbeitet, daß die psychologische Entwicklung der Verantwortlichkeit nicht stufenförmig nach klar definierten Schritten abläuft, sondern daß sie in einem situativen Spannungsfeld zwischen Eltern, Kind und dem Therapeuten gesehen werden muß (Reiter-Theil 1988). Die Beziehung zu Autoritäten ändert sich zudem im Entwicklungsverlauf, besonders im Jugendalter, wo Behandlungsmaßnahmen aktiv und rechtmäßig abgelehnt werden können. Anhand eines Beispiels verdeutlichen Green und Stewart (1987) die Problematik der Verantwortung in einer konkreten Entscheidungssituation: Ein Kliniker oder ein Behandlungsteam kommt zu einer Einschätzung, in welchem Ausmaß ein Kind Verantwortung durch persönliche Kontakte und Diskussionen für sein Verhalten sowie für eigene Behandlungsziele entwickeln kann. Diese Einschätzung enthält eine Synthese von Informationen über den Entwicklungsstand, persönliche Umstände, Belastungen und äußerer Einflüsse, die wiederum durch unvermeidliche Projektionen und Vorannahmen des Klinikers mitbeeinflußt werden (s. a. Höger et al. 1997). Pearce (1994) schlägt im Interesse einer besseren Handhabung dieser Problematik folgende Checkliste vor, um die Einwilligungsbereitschaft und -fähigkeit des Kindes beurteilen zu können: – Der kognitive Entwicklungsstand. Versteht das Kind ausreichend Fakten wie: • die Ursache der Erkrankung, • die eigenen Bedürfnisse und die der anderen, • die Risiken und Vorteile der Behandlung, • das eigene Selbstkonzept, • die Bedeutung der Zeit, Vergangenheit, Gegenwart, Zukunft? – Die Eltern-Kind-Beziehung. Ist sie unterstützend und liebevoll? – Die Arzt-Patienten-Beziehung. Ist sie durch Vertrauen und Zuversicht geprägt? – Die Einschätzung wichtiger anderer Bezugspersonen. Welche Meinungen beeinflussen das Kind in welche Richtung? – Die Risiken und Nutzen der Behandlung. Was ist das Risiko der Behandlung oder des Verzichts auf eine Therapie? – Die Ursachen der Erkrankung. Wie einschränkend, chronisch oder lebensbedrohlich ist die Symptomatik? – Der Bedarf an Informationen für die Zustimmung. Ist mehr Zeit oder Information notwendig? Ist eine zweite Meinung erforderlich? Zusammenfassend läßt sich feststellen, daß ein breites Spektrum von Aspekten beim informed consent zu bedenken ist, mit jeweiligen Konsequenzen für das therapeutische Vorgehen (Reimer 1991, Saß 1991). 5. Ethische Entscheidungen und therapeutische Haltung Green und Stewart (1987) betonen, wie schwer faßbar ethische Forderungen häufig sind, wenn es darum geht, in einem konkreten Einzelfall Entscheidungshilfen anzubieten, und wie bedeutend leichter die Diskussion über allgemeine theoretische Aspekte und therapeutische Haltungen geführt werden kann. Häufig bilden theoretische Grundannahmen und die praktische Durchführung therapeutischer Maßnahmen ein geschlossenes System und verringern hierdurch das Bewußtwerden ethischer Konflikte und Fragestellungen. Diese würden um so deutlicher, wenn aus der Sicht verschiedener Therapierichtungen die gleiche Situation zu entscheiden sei. Interessenkonflikte oder ethische Probleme könnten weitgehend verdeckt bleiben, wenn sie innerhalb der Grenzen eines bestimmten theoretischen Systems betrachtet werden. Sie treten bei der Indikationsstellung im Kindes- und Jugendalter auf, wenn es z. B. darum geht, sich zwischen einer Einzeltherapie bzw. einem familientherapeutischen Ansatz zu entscheiden, Verfahren, die von ganz unterschiedlichen und z. T. konkurrierenden Störungsmodellen und Behandlungsansätzen ausgehen. Rauchfleisch (1982) greift diese Problematik auf, wenn er schreibt, daß die therapeutische Bearbeitung der kindlichen Verhaltensstörung für das betreffende Kind selbst und die Familie, in der es lebt, nicht nur eine Entlastung bedeutet. Vielmehr könne sich durch die Behebung der individuellen Problematik die Konflikthaftigkeit des Familiensystems als Ganzes erheblich verschärfen und unter Umständen eine Dekompensation der Eltern oder der Geschwister oder beider zur Folge haben. Aus diesem Grunde plädieren Familientherapeuten eher dafür, möglichst alle Mitglieder des Familienverbandes in die Behandlung einzubeziehen. So sinnvoll und indiziert dies auch sein mag, so liegt in einem solchen Vorhaben doch nicht die Lösung aller Probleme und es enthebt den Therapeuten vor allem nicht der Verantwortung für das, was er durch die Behandlung in der Interaktion zwischen den Familienmitgliedern auslöst. Auch die Frage, ob hiermit die notwendigen Ziele und Erwartungen des Patienten eine ausreichende Beachtung finden, sollte in die Entscheidung mit einbezogen und nicht nur der eigene theoretische Ansatz zum Entscheidungsmaßstab werden. Entsprechende Überlegungen stehen an, wenn es darum geht, ob eine ambulante Behandlung wirklich ausreichend ist oder ob hierdurch eine chronische Situation stabilisiert wird und eher eine stationäre Maßnahme durchgeführt werden sollte, um sich das Scheitern der eigenen ambulanten Bemühungen nicht bewußt machen zu müssen. Schadensverminderung, therapeutische Verantwortung und persönliche Betroffenheit hängen thematisch eng zusammen, wie eine eigene Arbeit “Wie freiwillig kann die Behandlung von jugendlichen Patienten mit Anorexia nervosa sein?” zeigt, in der auf ethische Aspekte jedoch nicht explizit eingegangen wird (Lehmkuhl und Schmidt 1986). Anlaß war der Tod einer magersüchtigen Patientin, für den sich im nachhinein niemand verantwortlich fühlte. Unter Beziehung auf Crisp (1980) betonten wir, daß Patienten mit Anorexia nervosa das Recht auf eine intensive, auch unfreiwillige Behandlung haben, und es zunächst darum geht, den akuten Verlauf im Interesse einer langfristigen Stabilisierung zu verändern. Auch wenn in der Arbeit mögliche therapeutische Größenphantasien und Riesenerwartungen einer raschen Veränderung als Fallstricke auf seiten der Therapeuten erwähnt werden, heben sie die notwendige somatische Intervention nicht auf. Hierbei sollte jedoch in Anlehnung an Frances und Clarkin (1981) reflektiert werden, daß therapeutische Maßnahmen durchaus mit negativen Effekten verbunden sein können und daß nicht in jedem Fall eine psychotherapeutische Behandlung für die weitere Entwicklung die beste Möglichkeit darstellt. Spontane Rückbildungs- und Selbstheilungsprozesse könnten durch eine dem Patienten auferlegte Therapie eher verhindert werden. Auch vor diesem Hintergrund ist die Ansicht Stones (1981) zu verstehen, daß ein Patient das Recht auf Therapieverweigerung besitzt, wenn er zuvor ausreichend informiert wurde. Dies gilt für Kinder und Jugendliche wie auch Familien gleichermaßen. Was ist jedoch zu tun, wenn ein Jugendlicher von sich aus die Therapie aufsucht und die Eltern sie als nicht notwendig einschätzen und versuchen, sie zu unterbinden? Es wäre eine Illusion anzunehmen, einfache Regeln und Entscheidungsbäume vorgeben zu können, um für alle möglichen Konfliktsituationen leicht handhabbare Lösungen anzubieten. In der angloamerikanischen Literatur finden sich in den letzten Jahren vermehrt Kasuistiken, die versuchen, an konkreten Beispielen solche Fragen zu beantworten. Das Journal of the American Academy of Child and Adolescent Psychiatry publizierte z. B. unter der Rubrik “Grand rounds” einen Beitrag von Bloomberg und Mitarbeitern (1992) mit dem Titel “Ethical Dilemmas in Child and Adolescent Consultation Psychiatry”. Ausgehend von einem Fall werden verschiedene Einschätzungen und Beurteilungen vorgenommen und herausgearbeitet, wie sich Verantwortlichkeit für den diagnostischen und therapeutischen Prozeß in einem speziellen Fall verstehen läßt (s. a. Höger et al. 1997). Nach diesen Ausführungen ist es gut nachvollziehbar, warum die für das Erwachsenenalter geltenden Kriterien nicht uneingeschränkt auf das Kindes- und Jugendalter zu übertragen sind. Dies gilt insbesondere für die von Heigl-Evers und Heigl (1989) bereits zitierte Meinung, daß es moralisch-ethisch nicht begründbar erscheine, eine Psychotherapie einzuleiten, ehe nicht eine aus Krankheitseinsicht resultierende Behandlungsmotivation, eine Motivation zur therapeutischen Kooperation vom Patienten entwickelt werden konnte. Hier sollten Kinder- und Jugendpsychiater zurückhaltender sein und versuchen, Widerstände bei Eltern, Kindern und Jugendlichen so zu verringern, daß z. B. Einverständnis zur Behandlung erreicht werden kann. 6. Informed consent, Widerstand und empathisches Verstehen Heigl-Evers und Heigl (1989) weisen darauf hin, daß es im Vorfeld der Therapie entscheidend ist, auf die Gegenübertragungsgefühle dahingehend zu achten, den Patienten nicht zur richtigen Einsicht zu drängen oder quasi zu zwingen, bestimmte Maßnahmen zu akzeptieren. Es geht vielmehr um eine positive Beziehungsgestaltung, die Herstellung einer stabilen Arbeitsbeziehung, die sowohl den Patienten als auch seine Familie betrifft und die im Verlauf der ersten Stunden aufgebaut werden sollte, auch gegen Widerstände. Da im Falle von Kindern, Jugendlichen und ihren Familien verschiedene Personen in das Beziehungsgeschehen involviert sind, kann es dem Therapeuten besonders schwer fallen, seine eigenen Vorstellungen, Erwartungen und Haltungen zu kontrollieren. Schlägt er sich auf die Seite der Eltern, nimmt deren Position ein und sieht aus ihren Augen die Problematik, oder wird er zum Anwalt des Kindes oder Jugendlichen, der sich gegen die Erwachsenennormen und -regeln auflehnt? In beiden Fällen wird es ihm nicht mehr möglich sein, aus der notwendigen Neutralität für alle Beteiligten gleichermaßen verantwortungsvolle Entscheidungen zu treffen. Ein ausreichender informed consent sollte deshalb sowohl Eltern als auch die betroffenen Kinder und Jugendlichen in angemessener Weise einbeziehen. Zu der Aufklärungspflicht gehört es auch, die Dauer der geplanten Behandlung und ihre Erfolgschancen zu diskutieren. Das Gebot der Schadensminderung bedeutet, daß von der Behandlung keine oder nur unumgängliche Gefahren für den Patienten ausgehen und die jeweiligen Toleranzgrenzen der Familie und des Patienten beachtet werden. Hierzu ist es notwendig, sowohl die äußeren familiären als auch die inneren Strukturen des Patienten in dem Maße zu respektieren, wie sie Bedingungen für die Symptomatik darstellen und insofern vom Patienten nur schwer zu verändern sind. Im Patienteninteresse sollte auch reflektiert werden, ob die geplante Maßnahme dem zugrundeliegenden Problem angemessen ist und ob die angebotene Therapieform aufgrund klinischer und empirischer Ergebnisse einen ausreichenden positiven Effekt verspricht. Die Entscheidung dieser Fragen wird durch das Fehlen therapeutischer Leitlinien für eine differentielle Behandlungsindikation erschwert. Interventionen entspringen somit häufig einem vielschichtigen, nicht eindeutigen Ätiologiekonzept, wobei Eisenberg (1975) folgende Problematik herausarbeitet: Häufig besteht die Überzeugung, daß die zugrundeliegenden Informationen, auf die das klinische Urteil aufbaut, ebenso ungenügend sind wie die schmale Entscheidungsbasis, von der aus therapeutische Interventionen zu planen sind. Halasz (1996) zeigt in seinem Aufsatz “The Right of the Child in Psychotherapy” am Beispiel der Trichotillomanie deutlich, warum ein Konsensus für die optimale Behandlung schwer erreicht werden kann. Eine Symptomatik kann sich durch Medikamente, Verhaltensmodifikation, Einzeltherapie, Gruppen- oder Familientherapie sowie Hypnose verbessern, wobei die Entscheidung, welche Form indiziert ist, nur beim individuellen Patienten möglich ist. Halasz (1996) arbeitet vier Bereiche heraus, die der Therapeut obligaterweise aus ethischen Gründen bei der Behandlung von Kindern beachten muß: – – – – Informed consent. Unterscheidung zwischen Widerstand in der Therapie und Verweigerung bzw. Zurücknahme des Einverständnisses zur Therapie. Unterscheidung zwischen “für Behandlung schwierig” und “nicht für die Therapie geeignet”. Das Recht auf empathisches Verstandenwerden. Perry London (1986) führt in dem Buch “The Modes und Morals of Psychotherapy” aus, daß moralische Fragen in der Therapie immer mit dem praxeologischen Vorgehen sowie den angestrebten Veränderungen und Zielen zusammenhängen. Eisenberg (1975) spricht von “ethics of intervention”, wobei er als oberstes Ziel eine Verbesserung der Lebensqualität und der Verhaltenskontrolle nennt. Er hebt die Notwendigkeit zur Entscheidung hervor, denn “Ratschläge ohne Konsequenzen verursachen kein Dilemma”. Für ihn ist die Existenz von Therapieschulen nicht länger tolerierbar, da hierdurch die notwendige Differenzierung und zentralen Bedürfnisse von Patienten nicht ausreichend respektiert werden. 7. Wie lassen sich ethische Fragestellungen in der Ausbildung vermitteln? Während die Feststellung der medizinisch-ethischen Befunde nach dem Bochumer Arbeitsbogen zur ethisch-ärztlichen Praxis von Sass und Viefhues (1988) für den psychotherapeutischen Bereich einen breiten Kriterienkatalog anbieten, berichten amerikanische Autoren über konkrete Ansätze zur Durchführung und Lehre von ethischen Prinzipien in der Psychotherapie. Das Lehrziel besteht darin, den Blick für ethische Konflikte zu schärfen und eine Entscheidungshilfe bei ethischen Fragestellungen und klinischen Interventionen anzubieten. Fallvignetten z. B. von O’Rourke und Mitarbeitern (1992) versuchen, ethische Konflikte und Entscheidungsbäume exemplarisch darzustellen und Lösungsschritte zu erarbeiten. Leitende Kriterien stellen hierbei nach Geraty et al. (1992) Autonomie, Nutzen und Gerechtigkeit dar. Ethische Standards für therapeutische Programme versuchen nach Mac Donald (1986) einen minimalen Rahmen zu definieren und zu dokumentieren. Entsprechende Ansätze eines spezifischen manualisierten Trainingsprogramms sollen die Fähigkeit verbessern, mit ethischen Problemen und Fragestellungen umgehen zu können (Gawthrop und Uhlmann 1992). Notwendig sei hierfür neben einem formalen didaktischen Curriculum eine Lehrmethode, die ethische Fragen mit ihrer schrittweisen Analyse und den sich hieraus abzuleitenden Lösungsschritten zum Fokus hat. Insbesondere sollen die ethischen Konfliktmuster besser wahrgenommen und ihre klinische Relevanz erkannt werden (Sondheimer und Martucci 1992). Ein solches Vorgehen wird von den Autoren stufenweise und praxisnah vermittelt, so daß eine Anwendung der Methode auf spezifische Fragestellungen möglich wird (Kitchener 1986, Kottje-Birnbacher u. Birnbacher 1995). Wie Erikson (1986) in “Einsicht und Verantwortung” ausführt, “besteht eine sehr reale und spezifische Ungleichheit in der Beziehung von Arzt und Patient in ihren Rollen des Erkennenden und des Erkannten, des Helfers und des Leidenden, des Lebenspraktikers und des Opfers von Krankheit und Tod. Aus diesem Grund haben die Ärzte ihren eigenen und einzigartigen Berufseid und sind bestrebt, einem weltweiten Ideal des ,Doktors‘ gerecht zu werden. Trotzdem läßt die Praxis der heilenden Künste extreme Typen von Ausübenden zu, vom Vertreter absoluter Autorität, die er über Heime und Kliniken ausübt, bis zum geplagten Diener der fordernden Menschheit, vom Sadisten der reinen Tüchtigkeit bis zum überschwenglichen Liebhaber aller (nun, sagen wir, fast aller) seiner Patienten”. “Läßt sich die psychotherapeutische bzw. psychoanalytische Ethik kodifizieren?”, fragt Krutzenbichler (1991, 1998), der sich intensiv mit Fragen des sexuellen Mißbrauchs und der Abstinenz beschäftigt hat. Er beantwortet diese Frage, indem er die Einführung eines eindeutigen Kodex psychoanalytischer Ethik fordert. Er sei notwendig, um Glaubwürdigkeit, Schutz und Verläßlichkeit für den Analysanden, den Analytiker und den Rahmen der Therapie zu gewährleisten und auch die Methode als solche zu schützen. Ohne Kodex, so Krutzenbichler, seien wir in der Not, daß sich die folgenreiche Allianz von Willkür, Heuchelei und Macht fortsetzt. Auf diese kritischen Punkte hatten bereits die frühen Individualpsychologen wiederholt hingewiesen, wobei jedoch die Umsetzung dieser Fragen im Beziehungsgeschehen der Therapie offen blieb. Die absolute Notwendigkeit von Selbsterfahrung und Supervision sollte sich auch diesen ethischen Fragen nicht verschließen. So reichen Selbstreflektion und Selbstanalyse allein nicht aus, die Adler zwar forderte, ihnen aber als alleinige Methode selbstkritisch gegenüberstand. Er schrieb hierzu 1929: “Nur wenige verfügen über die Fähigkeit zur gedanklichen Selbstanalyse, die es ihnen erlaubt zu erkennen, in welche Richtung sie sich bewegen. Sie böte jedoch keine Garantie für voraussetzungsloses Forschen, weil sie wieder mit den leider beschränkten Mitteln der Persönlichkeit zustande kommt und weil die individuelle Perspektive nicht zuläßt, sich oder andere anders als individuell zu betrachten” (Adler 1929 a, 89). In einem 1926 gehaltenen Vortrag betonte Adler, daß ein “besonderer Vorzug unserer Entzifferungsarbeit des menschlichen Seelenlebens” darin besteht, “nicht nur Wissenschaft, sondern auch Kunst zu sein”. Für die Zuhörer bliebe die Aufgabe, “die Melodie, diese einheitliche Linie auch in ihrem Lebenskreis nicht zu vernachlässigen”. Die größere Einsicht jedes Einzelnen in das eigene und fremde Seelenleben würde die Beziehung der Menschen zueinander radikal ändern. Deshalb sollte ein Erziehungsziel in der Erweckung von Selbsterkenntnis bestehen: “Ich möchte hinzufügen, daß mit der Feststellung der Tatsachen noch nichts geholfen ist, sondern, daß diese Selbsterkenntnis lebendig gemacht werden muß” (Adler 1929 b, 43). Entsprechend verhält es sich mit ethischen Fragen in der Psychotherapie. Wir müssen zur Kenntnis nehmen, daß Ohnmacht und Abhängigkeit des Patienten in der Psychotherapie nicht selten mißbraucht werden, um damit den ersten Schritt zu tun, um das Problem nicht nur verstehen zu können, sondern um auch Möglichkeiten der Einflußnahme zu eröffnen (U. Lehmkuhl 1995). Daß ethische Fragen in der Psychotherapie bislang eher randständig behandelt wurden, liegt unter anderem daran, daß sie sich als schwierig und nicht leicht handhabbar erweisen und uns oft vor Entscheidungsdilemmata stellen. Sie rühren an unser Selbstverständnis der eigenen therapeutischen Haltung, der Überzeugung unserer Maßnahmen, sind verbunden mit dem Blick in die Zukunft, ob unsere Angebote wirklich effizient sind und dem Patienten gerecht werden. Insofern nagen sie an unserem Selbstverständnis, unserer eigenen Sicherheit und werden deshalb gerne verleugnet und nicht wahrgenommen. Deshalb reichen Verhaltensregeln oder Normenkataloge allein als Fundament ethischen Handelns nicht aus, sondern müssen um selbstkritische Reflektion und eine respektvolle Haltung als Grundvoraussetzung ergänzt werden. Literatur Adler, A.: Die Individualpsychologie als Weg zur Menschenkenntnis und Selbsterkenntnis. 1926. In: Adler, A.: Psychotherapie und Erziehung. Ausgewählte Aufsätze, Bd. I, 1919 – 1929. Fischer, Frankfurt 1982, 135 – 157 –: Lebenskenntnis. 1929 a. Fischer, Frankfurt 1978 –: Individualpsychologie in der Schule. 1929 b. Fischer, Frankfurt 1973 American Academy of Child and Adolescent Psychiatry. 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