AR Damasio: `Descartes` Irrtum`, Kap. 10

Werbung
A. R. Damasio: 'Descartes' Irrtum', Kap. 10 - "Das körperbewußte Gehirn"
"...Im wesentlichen verstehe ich Empfindungen als Phänomene, die sie und ich durch
ein Fenster betrachten können-ein Fenster, das sich direkt auf ein immer wieder
aktualisiertes Bild von der Struktur und dem Zustand unseres Körpers öffnet. Wenn sie
sich den Blick aus diesem Fenster als Landschaft vorstellen, entspricht die
'Körperstruktur' dreidimensionalen Objekten im Raum, während der 'Körperzustand'
dem Licht und dem Schatten, den Bewegungen und den Lauten der Objekte im Raum
gleicht."
"...daß der Körper, wie er im Gehirn repräsentiert ist, möglicherweise das unentbehrliche
Bezugssystem für die neuronalen Prozesse bildet, die wir als Bewußtsein erleben; daß
unser eigener Organismus und nicht irgendeine absolute äußere Realität den
Orientierungsrahmen abgibt für die Konstruktionen, die wir von unserer Umgebung
anfertigen, und für die Konstruktion der allgegenwärtigen Subjektivität, die wesentlicher
Bestandteil unserer Erfahrung ist; daß sich unsere erhabensten Gedanken und größten
Taten, unsere höchsten Freuden und tiefsten Verzweiflungen den Körper als Maßstab
nehmen."
(Einleitung)
Ausführung in Kap.10: -Was bedeutet "Körper als Bezugssystem"?
-Welcher Vorteil erwächst daraus (für das Überleben des
Organismus)?
-->Wie entsteht Subjektivität im Rahmen dieses
Paradigmas?
Einteilung in drei Teile:
Das körperbewußte Gehirn:
Kein Körper-was macht das?
Der Körper als Grundreferenz
Das neuronale Selbst
Kein Körper-was macht das?:
-kritische Bewertung des noch immer vorherrschenden (funktional trennenden)
Dualismus in der Betrachtung von Körper und Gehirn
-genügend Fälle nachgewiesen, wo Interaktionen auftreten
-Vorurteil aber nachvollziehbar, da bis ins 17.Jh substanzdualistisches
Menschenbild, Lokalisierung des Geistes im Gehirn schon 'Abstieg',
Vorstellung, Körper sei notwendig für Bewußtseinsprozesse, schwer zu
ertragen.
Um zu erklären, wie Körper und Gehirn bei Bewußtseinsprozessen zusammenwirken,
bedient er sich der Modellvorstellungen 'Körper-Schleife' & 'Als-ob-Schleife'
(Kap. 7).
Zusammenwirken beginnt da, wo Gehirn Signale an Körper sendet, die Körper
modifizieren (zb. Augapfel bewegen) und Körper wahrgenommene Muster an Gehirn
zurückübermittelt. Allgemein akzeptiert, da funktionale Trennung K/G noch vorstellbar.
Wohl einleuchtend:
a) Gehirn beeinflußt Körperfunktionen
b) Rahmenbedingungen des Körpers sind notwendig
für das Funktionieren von Gehirn/Bewußtseinsprozessen.
(Nährstoffversorgung etc)
Weniger einleuchtend:
daß der Körper nicht nur die materielle Basis des
menschlichen Bewußtseins sei, sondern maßgeblich
an Bewußtseinsprozessen beteiligt
Anmerkung:
Lt. Damasio ist die evolutionsgeschichtlich älteste Fähigkeit des
Bewußtseins (mit der es entsteht), Vorstellungen zu erzeugen, die
sich aus Erinnerungen speisen. ->Planungsfähigkeit
-> bessere Überlebenschancen
Erinnerungen=dispositionelle Repräsentationen!
Da Körperschleife evolutionsgeschichtlich älter als Als-ob-Schleife scheinen Teile des
autonomen Nervensystems nicht zwischen den Erregungsmustern, die von direkter
Wahrnehmung erzeugt und den Erregungsmustern, die aus dispositionellen
Repräsentationen in die frühen (somato-)sensorischen Rinden "geladen" werden
unterscheiden zu können.
Folge und Nutzen: Die Vorstellung einer Situation veranlasst die "Viscera" zu einer
ähnlichen Reaktion, wie sie in der erdachten Situation wirklich auftreten würde.
Die Vorstellung entsteht durch Abrufen einer der erdachten Situation vermeintlich
ähnlichen erinnerten Situation (einer disp.Rep.).
Schnelles (intuitives) Bewertungsverfahren!->spannt Bogen zu somatischen Markern.
D. faßt den Gedanken mit folgendem Satz zusammen:
"Der Körper im engeren Sinne [ohne Gehirn!] ist nicht passiv."
-die meisten Handlungen (und damit Planungsvorgänge) dienen
im übrigen der Homöostase
-D. wendet sich nun dem 'Selbst' zu
:=> "das Selbst ist ein immer wieder rekonstruierter biologischer Zustand"
kein "kleiner Mensch der im Gehirn hockt"(Homunculus-Vorstellung, unverankerte
Rekursion: Sitzt im Gehirn des Homunculus wieder ein Homunculus? Usw... - Gar
keine Erklärung!)
-trotzdem ist einmaliges Selbst ohne 'cartesianisches Theater'(->Descartes) denkbar
-Das Selbst ist nicht das Ich, weil es auch Bewußtsein ohne ich-Bewußtsein gibt
später mehr dazu...
-vorerst Gedankenexperiment:
"Gehirn in der Schüssel"
(Kommunikation Körper->Gehirn wird simuliert, K. Gehirn->Körper ist unterbrochen.)
-D. meint, ein solches Gehirn kann keine normalen geistigen Funktionen ausüben,
"Wenn keine Reize in den Körper als Spielfeld hinausgelangen würden, wo sie zur
Erneuerung und Veränderung von Körperzuständen beitragen könnten, dann würden
keine Körperzustände mehr ausgelöst und modifiziert werden, die, erneut dem Gehirn
dargeboten, nach meiner Meinung den Urgrund unseres Lebensgefühls darstellen."
(Zeit, Anwesenheit in und Interaktion mit der Umwelt via Körper)
-Primat des Körpers hat Ursprung in Evolution./tw. in individueller Entwicklung
-Gehirne wurden selektiert, um Überlebenschancen zu maximieren, Überleben heißt in
erster Linie das Überleben des Körpers! Geist bietet einer Spezies neue
Möglichkeiten, sich ändernden Umweltbedingungen anzupassen.
-somatosensibler Komplex des Gehirns repräsentiert Körperaufbau durch Schema:
Rumpf, Kopf, Gliedmaßen, KÖRPERGRENZE (Haut, größtes Viskus UND Organ
des Tastsinns)
-Wechselwirkungen mit Umwelt können relativ zu Körpergrenze/-schema verarbeitet
werden. (->Körper als Bezugssystem!)
-mit Spezialsinnen 2 Arten von Signalen:
zb. Wahrnehmung, "daß man mit den Augen sieht"(a)
UND Wahrnehmung des Gesehenen(b)
(Verarbeitung von b) steht meist im Zentrum der Aufmerksamkeit.)
-Ist der Körper noch in der Schleife???
Der Körper als Grundreferenz:
Beispiel: die Vorstellung des 3-dimensionalen Raums wird vom
Gehirn ausgehend von Körperanatomie und Bewegungsmustern
"konstruiert".
-Äußere Welt nur erfahrbar durch die Analyse der Körperstörungen während
der Interaktion mit der Welt
->WirklichkeitsKONSTRUKTION
->aber beständig
->unsere Vorstellungen, unser Bild der Welt ist dennoch real(istisch)
->"Eine solche geistige, neuronale, biologische Wirklichkeit, das ist
unsere Wirklichkeit."
-Urrepräsentationen des bewegten Körpers (angeboren?) bilden Kern des
neuronalen Selbst. (--> also kein Homunculus!)
"Statt dessen gibt es, wie ich glaube, aufeinanderfolgende Zustände des Organismus,
jeder von Augenblick zu Augenblick neu [..] und jeder ein Wurzelgrund des Selbst, das
in jedem dieser Augenblicke existiert."
Das neuronale Selbst:
-Bei Menschen, die unter Anosognosie leiden, ist die Repräsentation des Körpers
im Gehirn gestört. --> der Selbstbegriff scheint ebenfalls gestört zu sein, so kann
ein A. seine körperliche Einschränkung nicht auf sein Selbst beziehen.
"Nach meinem Verständnis liegt der kompletten Anosognosie eine Schädigung
zugrunde, die das Substrat des neuronalen Selbst teilweise zerstört hat."
Das Selbst ist keine Instanz, die an einer Stelle des Gehirns zu lokalisieren wäre,
sondern entsteht mehr auf einer Meta-Ebene, durch eine gleichbleibende bzw. nur
langsam sich verändernde subjektive Perspektive auf die Welt.
Das "Selbst" entsteht durch die ständige Rekonstruktion, oder Reaktivierung von
mindestens folgenden Repräsentationen:
-Schlüsselereignisse und -daten der Autobiografie
-jüngste, relevante Ereignisse in Vergangenheit
-imaginäre (geplante, vorausgesehene) Ereignisse
("Gedächtnis für die mögliche Zukunft")
-Urrepräsentationen des Körpers kurz vor der Wahrnehmung von Objekt X
Subjektivität hängt nach D. weitgehend von den Veränderungen ab, die während und
nach der Verarbeitung von Objekt X im Körperzustand stattfinden.
Aber wie entsteht Subjektivität als Folge von Selbst-Repräsentation und der
Verarbeitung eines Objektes X (real oder imaginär)?
Verarbeitung X --> Körperzustand verändert sich --> Körperrepräsentation des
aktuellen Selbst ändert sich.
Meta-Selbst:
-Selbst ist Menge passiver Repräsentationen - kann nicht wissen.
-M.S. Kann "wissen", wenn es über Informationen über die Störung des Organismus
in Folge der Reaktion des Gehirns auf die Vorstellung von Objekt X verfügt:
-M.S. Setzt einen Drittkraft-Neuronenkomplex mit Konvergenzeigenschaften,
also mit einer bestimmten Verknüpfungsfunktion voraus: Verknüpfung der
Vorstellung von Objekt X und der Vorstellung der Reaktion des Organismus' auf
Objekt X.
-Ein solches Metaselbst ist also als Konvergenzprozeß zu verstehen, der es dem
Gehirn ermöglicht, zu "wissen" daß der Organismus reagiert.
-formal:
V(X) -?-> V(R(X))
DKNPVF (V(X)) = V(R(X))
also auf der semantischen Seite:
DKNPVF: X ---> R(X)
->Minimalanforderungen an einen neuronalen Apparat, der Subjektivität
hervorbringen soll:(M.S.)
-frühe sensorische/somatosensible Rindenfelder
-sensorische und motorische Assoziationsfelder
-subkortikale Kerngebiete, v.a.: Thalamus und Basalganglien mit
genannten Konvergenzeigenschaften
->nonverbales System!
->Menschen verfügen über Sprache ("narrative Kompetenz 2. Ordnung")
...--->"Sprache ist zwar nicht der Ursprung des 'Selbst' aber ganz gewiß der des
'Ich'".
***
Herunterladen