Standorte, Verflechtungen und regionale Disparitäten VO 5 Makroökonomische Ungleichgewichte in der Eurozone: Entstehung, Folgen und Lösungsmöglichkeiten Dr. Christian Reiner, SS 2017 Lauder Business School Inhalte Leistungsbilanzungleichgewichte • Grundlegende makroökonomische Zusammenhänge • Position von Defizit- und Überschussländern • Mechanismen des Leistungsbilanzausgleichs • Ursachen dauerhafter Ungleichgewichte 2 GRUNDLEGENDE MAKROÖKONOMISCHE ZUSAMMENHÄNGE 3 Produktions- und Konsummöglichkeiten • π + πΌπ = πΆ + πΌ + πΊ + πΈπ π − πΆ + πΌ + πΊ = (πΈπ − πΌπ) • Y. . πππ. πππππ’ππππ, πΆ, πΌ, πΊ . . πππ. ππππππ’πβ • Gesellschaft lebt „unter ihren Verhältnissen“ –π > πΆ+πΌ+πΊ πΈπ − πΌπ > 0 • Gesellschaft lebt „über ihren Verhältnissen“ –π < πΆ+πΌ+πΊ πΈπ − πΌπ < 0 4 Produktion </> Konsum (Mrd €) Y…inl. Produktion E…inl. Verbrauch 5 Sparen und Investition • π = πΆ + πΊ + πΌ + ππ, ππ = πΈπ − πΌπ • π = πππ + ππ π‘ = π − π − πΆ + (π − πΊ) • π =π−πΆ−πΊ π = πΌ + ππ • π =π−πΆ−πΊ π = πΌ + ππ • π¬πΏ − π°π΄ ≡ π²π¬πΏ − π²π°π΄ , π΅πΏ = π΅π²π¬ • πΊ = π° + π΅π²π¬ • Die nationale Ersparnis kann entweder zur Kapitalakkumulation im Inland oder im Ausland verwendet werden! 6 Sparen und Investieren bei Budgetdefizit • 1 π − π = πΆ + πΌ + πΊ − π + πΈπ − πΌπ • πΊ − π </> 0 … π΅π’ππππ‘π ππππ • 2 πππ = π − π − C π−π =π+πΆ Einsetzen von (2) in (1) ergibt: • πππ = πΌ + πΊ − π + (πΈπ − πΌπ) – πππ > πΌ + πΊ − π πΈπ − πΌπ > 0 ("unter") – πππ < πΌ + πΊ − π πΈπ − πΌπ < 0 ("über") 7 Die Zahlungsbilanz als Stromrechnung 8 Perspektive der Leistungsbilanz Leistungsbilanz (NX) Kapitalbilanz (NKE) Devisenbilanz • EX + KIM + GDBVER = IM + KEX + GDBERH • (EX - IM) = (KEX - KIM) + (GDBERH - GDBVER) • Wenn (GDBERH - GDBVER) = 0 gilt • πΈπ − πΌπ > 0 πΎ πΈπ − πΎ πΌπ > 0 • πΈπ − πΌπ < 0 πΎ πΈπ − πΎ πΌπ < 0 9 Interpretation von Leistungsbilanzsalden • LBS entspricht der Differenz zw heimischer Produktion und heimischen Konsum • LBS entspricht der Differenz zw nationaler Ersparnis und nationalen Investitionen • Leistungsbilanzsaldo entspricht dem Nettokapitalexport – Ist ein NX > 0 gut oder schlecht? – Ist ein NKE > 0 gut oder schlecht? 10 Vermögenseffekte • Exportüberschuss hat Vermögensaufbau gg dem Ausland zur Folge – Zusätzliche Finanztitel (Aktien, Anleihen,…) (F) – Währungsreserven (W) – Ausländische Vermögenstitel sind in Auslandswährung notiert • Importüberschuss hat Vermögensabbau zur Folge – Direkt: Finanztitel oder Devisen werden an das Ausland verkauft – Indirekt: Auslandsschulden steigen und Reinvermögen (Vermögen-Verbindlichkeiten) sinkt • πΈπ − πΌπ = Δπ = π(ΔπΉ + Δπ) 11 Leistungsbilanzüberschuss und Vermögensaufbau gg dem Ausland LBS in % des BIP Nettoauslandsvermögensstatus in % des BIP Der Nettoauslandsvermögensstatus (NAVS) bietet einen Gesamtüberblick über die Nettofinanzlage (Forderungen minus Verbindlichkeiten) eines Landes gegenüber der übrigen Welt. Er ermöglicht eine Bestandsanalyse der externen Vermögenswerte des betreffenden Landes. 12 Leistungsbilanzdefizit und Vermögensabbau gg dem Ausland LBS in % des BIP Nettoauslandsvermögensstatus in % des BIP 13 Arbeitsmarkteffekte • Exportüberschuss hat einen positiven Effekt aus das Beschäftigungsvolumen: Würde das Land nur jene Güter produzieren, die es selbst verbraucht würden weniger Arbeiter eingesetzt • So gesehen exportiert ein Land mit Exportüberschuss seine potentielle Arbeitslosigkeit in das Land mit dem Importüberschuss 14 Langfristige Betrachtung • Überschussländer erwerben einen Anspruch auf das zukünftige Sozialprodukt des Defizitlandes • Allerdings können die Vermögenswerte auch ihren Wert verlieren • Dann war der Vermögensaufbau nicht erfolgreich und der Konsumverzicht bleibt unbelohnt 15 POSITION VON DEFIZIT- UND ÜBERSCHUSSLÄNDERN 16 Defizitländer • Ungleichgewichte sind va für Defizitländer ein Problem – Abhängigkeit vom Ausland über Zinszahlungen und Tilgungszahlungen – Arbeitslosigkeit – Bei mangelnder Bonität muss letztlich der Inlandsverbrauch reduziert werden • Abbau von Auslandschulden reduziert heimische Konsummöglichkeiten 17 Überschussländer • Vorteil durch Export von Arbeitslosigkeit • Auslandsvermögen kann in Zukunft werwendet werden (Krise, Demographie) • Auslandsvermögen erhöht durch einen Einkommensstrom (Zinsen, Dividenden,…) das verfügbare Einkommen im Inland • Nachteile: (1) Arbeitsmarkt abhängig von Exportnachfrage, (2) Inflationsgefahr, (3) Vermögensverluste („junk bonds“, Währungsabwertung) 18 Exportüberschuss als Zeichen wirtschaftlicher Probleme? • DE hat einen „pathologischen Exportboom“ (Sinn) • NX > 0 ο NKE > 0 • Kapitalabfluss reduziert heimische Investitonstätigkeit und damit Wachstum • Arbeitslosigkeit fördert Angstsparen und damit einen Exportüberschuss 19 Globale negative Effekte von Leistungsbilanuungleichgewichten • Defizitland könnte zu protektionistischen Maßnahmen greifen, um das Defizit zu reduzieren (Trumponomics, Handelskrieg) • Überschussländer bauen Devisenreserven auf und sorgen für einen „global savings glut“ • “This increased supply of saving boosted U.S. equity values during the period of the stock market boom and helped to increase U.S. home values during the more recent period, as a consequence lowering U.S. national saving and contributing to the nation's rising current account deficit.” (Bernanke) 20 Nicht jedes Ungleichgewicht ist „schlecht“ • Grundsätzlich sind Gleichgewichte das Ergebnis der Entscheidungen von rationalen Akteuren • Freier Kapitalverkehr sorgt für optimale Allokation knapper Ressourcen • Nettokapitalimportländer könnten ein höheres Wachstumspotenzial (Schwellenländer) aufweisen und über Kapitalimporte rascher wachsen • Dann sollte das Leistungsbilanzdeifizit aber nur vorübergehender Natur sein 21 Wo bleibt der Kapitalimport? 22 MECHANISMEN DES LEISTUNGSBILANZAUSGLEICHS 23 Ausgleich bei flexiblen Wechselkursen • Ungleichgewichte werden über den Wechselkurs abgebaut (Handel) – NX > 0 ο Aufwertung, EX↓ und IM↑ – NX < 0 ο Abwertung, EX ↑ und IM ↓ • Abwertung erhöht Opportunitätskosten der Verschuldung im Ausland (Kapitalverkehr) – Abwertung reduziert aus Sicht des Gläubigerlandes den Wert der Forderungen ο Forderung nach höheren Zinsen – Wenn das Defizitland in Auslandswährung verschuldet ist, bewirkt eine Abwertung eine Zunahme an Verbindlichkeiten 24 Ausgleich bei fixen Wechselkursen Leistungsbilanzperspektive • Ausgleich erfolgt über Preisänderungen im Inland – Defizitländer: interne Abwertung, Preisniveau sinkt oder steigt langsamer als in anderen Staaten – Überschussländer: interne Aufwertung, Preissteigerungen wg hoher Exportnachfrage und Zufluss von Devisen 25 Ausgleich bei fixen Wechselkursen Kapitalbilanzperspektive • NX < 0 ο NKE < 0: Kapitalangebot im Inland steigt, bewirkt eine Tendenz sinkender Zinsen • NX > 0 ο NKE > 0: Kapitalangebot im Inland sinkt, bewirkt eine Tendenz steigender Zinsen • Es wird für Anleger aus dem Überschussland immer unattraktiver Geld im Defizitland zu veranlagen • Dies gilt umso mehr, wenn zusätzlich die Bonität des Defizitlandes abnimmt 26 URSACHEN DAUERHAFTER UNGLEICHGEWICHTE 27 Ursachen von Leistungsbilanzungleichgewichten • Erklärung über Leistungsbilanz (Gefahr von Protektinismus): Wettebwerbsfähigkeit des Exportsektors • Erklärung über Kapitalbilanz: Anlagemöglichkeiten im Inland bzw Ausland • Ob Ungleichgewichte „gut“ oder „schlecht“ sind, lässt sich nicht generell sagen • Jede Volkswirtschaft muss individuell analysiert werden • Dauerhafte und hohe Ungleichgewichte sind aber in jedem Fall problematisch 28 Marktmechanismen versagen • Marktmechanismen sollten von selbst über Preisänderungen (Löhne, Wechselkurse) für einen Ausgleich der Ungelichgewichte sorgen • Warum funktioniert das nicht? – Mangelnde Flexibilität der Löhne – Wechselkurse werden durch Spekulationen verzerrt und reflektieren nicht die Fundamentaldaten einer Ökonomie – Eingriffe in die marktförmige Preisbildung (Exportsubventionen, Lohnzurückhaltungskartell, Zinssubventionen,…) – „Pathologischer Exportboom“ – Inheränte Systemprobleme in der Eurozone 29 Ausgleichsprobleme in der Eurozone I • Realzinssatz = Nominalzinssatz – Inflationsrate • Von der EZB wird ein Nominalzinssatz für die Eurozone festgelegt aber unterschiedliche nationale Inflationsraten • Länder mit hoher Inflation haben niedrige Realzinsen und erhöhen daher kreditfinanzierte Ausgaben (C, I) 30 BIP-Deflator, Defizit- und Überschussländer 31 Ausgleichsprobleme in der Eurozone II • Inflationsländer bauen Leistungsbilanzdefizit auf • Ausgleich über Wettbewerbskanal: Preissteigerungen reduzieren Wettbewerbsfähigkeit, Arbeitslosigkeit steigt, Preise (va Löhne) steigen langsamer, Exporte nehmen zu und Importe ab • Aber Realzinskanal wirkt dem entgegen: Hohe Inflation sorgt über niedrige Realzinsen für hohe Importe • Bedeutung des Realzinskanal gg dem Wettbewebskanal wurde bei der Gestaltung der Wärhungsunion unterschätzt (Ederer 2010) 32 ENDE 33