Predigt 22 vom 25. Febr. 2007 - Reformierte Kirchgemeinde

Werbung
PREDIGT ZUM THEMA
„ALLEINSAM“
Oberentfelden, 11vor11, 25.2.07
Liebe Gemeinde!
In wie vielen Ehen leben Menschen zusammen und sind trotzdem einsam?
Das, was wir im Theater gesehen haben, ist leider an vielen Orten Realität.
Unser Thema heisst „alleinsam“. Das ist ein Kunstwort, das die Begriffe
allein und einsam aufgreift. Ich bin diesen beiden Wörtern etwas
nachgegangen. Was ist eigentlich der Unterschied?
Ich habe von einem Weltumsegler gelesen, der 14 Monate lang ohne
Kontakt zu Menschen mutterseelenallein in einem Segelschiff unterwegs
war. Er hat diese Zeit sehr positiv erlebt. Er sagte dazu: „Auf dem Boot war
ich in Bewegung, ständig gab es neue Dinge zu sehen, die mich
beschäftigten und inspirierten.“ Heute lebt er in der Grossstadt Berlin. Dort
stressen hunderte Menschen um ihn herum, und er kennt keinen. Da fühlt er
sich oft ganz plötzlich einsam.
Jeder Mensch hat in seinem Leben immer wieder Zeiten und Phasen, in
denen er allein ist. Alleinsein gehört zum Leben dazu, aber es wird ganz
unterschiedlich empfunden und bewertet. Viele sind ungewollt allein, und
diese Situation ist für sie mit einem unangenehmen Gefühl der Isolation
verbunden, abgeschnitten von der Welt. Sie empfinden Alleinsein als negativ
und belastend. Dieses Gefühl wird heute meistens als Einsamkeit bezeichnet.
Einsamkeit ist also nicht das gleiche wie Alleinsein. Viele empfinden
Einsamkeit – das Gefühl von anderen Menschen getrennt zu sein – auch
wenn sie mit anderen zusammen leben (s. Theater!). Auch mitten unter
Menschen kann man sich einsam fühlen. Andere Menschen suchen das
Alleinsein ganz bewusst und sind fasziniert von den Erlebnissen, den
Gedanken und der Kraft, die sie erfahren. Sie fühlen sich aber nicht isoliert
und einsam, eben weil sie mit sich selbst etwas erleben. Deshalb betonen
diese Menschen oft, dass sie allein, aber nicht einsam sind. Heute wird der
Begriff Einsamkeit eher in einem negativen Zusammenhang benutzt.
In der Schweiz hat es noch nie so viele einsame Menschen gegeben. Die
Einsamkeit ist wie eine Seuche, die unser Land durchzieht, ein
gesellschaftliches Problem. Das ist tragisch. Noch nie wurde ein solcher
Aufwand betrieben um das Phänomen Einsamkeit zu untersuchen. Eine
Umfrage aus dem Jahr 2003 zeigt, dass jeder dritte Schweizer Angst vor
Einsamkeit hat. Und auch eine Ehe oder Beziehung bietet keinen Schutz: 16
Prozent der Frauen und 9 Prozent der Männer fühlen sich trotz Partnerschaft
einsam. Wer sich einsam fühlt, gilt als Verlierer. Werbung und Medien
verkaufen uns, dass Glück ausschliesslich in der Gemeinschaft stattfindet,
sei es in der Familie, in Cliquen oder unter Arbeitskollegen. Und immer
mehr Menschen, die allein sind, fühlen sich auch einsam. Die Folge: Ihr
Selbstwertgefühl schwindet und ihr Problem, soziale Bindungen zu knüpfen
und so ihre Einsamkeit zu überwinden, wird immer grösser. Noch nie gab es
so viele Ratgeberbücher, psychologische Zeitungsartikel und Homepages,
die probieren, Einsamen bei der Bewältigung ihres Problems zu helfen. Wie
können wir denn der zunehmenden Einsamkeit begegnen?
Alleinsein als Kraftquelle
Allein sein ist etwas, was viele Leute nicht mehr können. Sie meinen, es
müsse immer etwas laufen. Sie halten es nicht aus mit sich alleine. Vor 20
Jahren habe ich mich mal ganz alleine in die Wüste aufgemacht. Ich reiste
nach Tunesien, stieg in den Bus und stieg am Rand der Wüste aus. Ich hatte
in meinem Tramperrucksack nur einen Schlafsack, meine Bibel, den
Fotoapparat, Datteln und Wasser. Das war eine sehr spannende Erfahrung,
an die ich immer wieder gerne zurückdenke. Ich merkte, dass ich zwar allein
in der Wüste unterwegs war, aber ich fühlte mich nur einmal wirklich
einsam, als ich mitten in der Nacht ausserhalb eines Dorfes unter dem
Sternenhimmel (1000-Sterne-Hotel) schlief und ein kalter Wind zu blasen
anfing. Und nirgends weit und breit war ein Unterschlupf. Abgesehen von
diesem Ereignis fand ich es super, mit mir allein – und mit meinem Gott –
unterwegs zu sein.
Alleinsein kann man lernen. Es ist wichtig, sich selber gern zu haben. Nur
wer mit sich selbst zufrieden ist und allein etwas mit sich anfangen kann, ist
auch ein attraktiver Gesprächs- und Beziehungspartner für andere Menschen.
So gesehen ist das Alleinsein auch eine Kraftquelle. Das können wir in der
Bibel bei vielen Menschen sehen.
Auch Jesus suchte immer wieder dieses Alleinsein. Tagtäglich wurde er von
vielen Menschen belagert, die etwas von ihm wollten, z.B. in Kapernaum am
See Genezareth. Man brachte ihm Kranke, damit er sie heile. Da war
ziemlicher Betrieb. Nirgends fand er Ruhe. So lesen wir z.B. in Mark. 1,35:
„Am Morgen verliess Jesus lange vor Sonnenaufgang die Stadt und zog sich
an eine abgelegene Stelle zurück. Dort betete er.“ Ohne diese tägliche Zeit
der Stille hätte er die Kraft nicht gehabt für den Tag. Und das empfiehlt
Jesus auch uns: Bevor Jesus seinen Jüngern mit dem Unservater lehrte, wie
sie beten sollen, sagte er ihnen in Matth. 6,6: „Wenn du beten willst, dann
geh in dein Zimmer, schliess die Tür zu und bete zu deinem Vater, der im
2
Verborgenen ist. Dein Vater, der auch das Verborgene sieht, wird dich dafür
belohnen.“ Ich selber fange jeden Tag mit so einer Zeit der Stille vor Gott
an. Ich singe Gott Loblieder, lese die Bibel und probiere herauszuhören, was
er mir durch den Bibeltext für den heutigen Tag sagen möchte. Auch das
Gebet gehört dazu. Natürlich gibt es auch bei mir Tage, wo ich nichts höre,
aber trotzdem merke ich, dass so ein regelmässiger Termin allein mit Gott
mir Kraft gibt für den Tag und auch für meine Beziehung mit anderen
Menschen. Probiert es einmal aus! Ein Tag hat 96 Viertelstunden. Reserviert
euch 1 % eurer Zeit (das ist ¼ Std./Tag!) für’s Alleinsein mit Gott. Ihr
werdet es nicht bereuen, wie es Jesus versprochen hat! Wer mit Gott allein
ist, muss sich nicht mehr einsam fühlen. Ihr werdet seine Nähe spüren.
Aber das ist nicht das Einzige, was wir tün können, um der Einsamkeit zu
begegnen. Noch wichtiger ist die
Gemeinschaft
Wir Menschen brauchen sie unbedingt zum Überleben. Ja, es steht schon auf
der ersten Seite der Bibel, 1. Mose 2,18: „Es ist nicht gut, dass der Mensch
allein ist.“ Der Mensch ist zur Gemeinschaft geschaffen. Schon im Paradies.
Von Anfang an. Ohne Gemeinschaft gehen wir kaputt, vereinsamen und
werden depressiv. Auch das zieht sich von der ersten Seite her bis zur letzten
durch die ganze Bibel hindurch. Ein schönes Beispiel davon haben wir in der
Lesung im Gleichnis vom Verlorenen Sohn oder von den verlorenen Söhnen
gesehen.
Der jüngere Sohn kam zum Vater und wollte sein Erbe ausbezahlt haben. Er
wollte etwas haben vom Leben und etwas sehen von der Welt. Mit dem
Haufen Geld hatte er auch schnell viele Freunde. Aber plötzlich war sein
Geld aufgebraucht. Und ebenso plötzlich waren die Freunde weg. Da kann
man feststellen, dass nicht jeder, der Leute um sich herum hat, auch wirklich
in die Gemeinschaft integriert ist. Der Bursche hatte die Rechnung ohne den
Wirt gemacht. Die Gemeinschaft, die er mit dem Geld aufgebaut hatte, war
nicht tragfähig. Er hätte sich selber investieren müssen. Und was passiert mit
ihm? Er verkommt in die schlimmste Einsamkeit. Wegen der Hungersnot
muss er Schweine hüten – für Juden unreine Tiere. Und er krepiert fast vor
Hunger, weil er nicht einmal vom Schweinefutter essen durfte. In dieser
Einsamkeit ging er in sich und merkte plötzlich, dass es jedem Sklaven zu
Hause beim Vater besser geht als ihm. So beschloss er, umzukehren und sich
dem Vater als Sklave anzubieten. Ihm war klar: „So kann es nicht
weitergehen! Ich brauche Gemeinschaft mit anderen Menschen und auch mit
meinem Vater.“ Die Begegnung mit dem Vater finde ich sackstark: anstatt
ihn gleich wieder in die Wüste zu schicken, läuft er ihm von weitem
entgegen, fällt ihm um den Hals und nimmt ihn wieder als Sohn auf. (Bild
von Rembrandt!) Er gibt ihm alle Privilegien wieder, die er schon vor seiner
Reise hatte. Das ist gewaltig. Der Vater im Gleichnis steht für Gott. So ist
Gott! Er will nicht, dass wir irgendwo alleine kaputt gehen. Er sehnt sich
danach, dass wir zu ihm kommen. Und dann macht er eine mega Party.
Was können wir aus dieser Geschichte lernen? Einerseits dass wir losgelöst
von Gott zwar auch einigermassen leben können, aber auf die Dauer doch
etwas fehlt in unserem Leben. Andrerseits sehen wir in der Geschichte, wie
wichtig die Gemeinschaft ist. Der andere Sohn war zwar immer beim Vater,
war aber trotzdem einsam, weil er sich gar nicht richtig in die
Familiengemeinschaft integriert hatte. Er hatte nie ein Böcklein genommen
um ein Fest zu feiern. Darum war er dann auch so eifersüchtig, als der Vater
gerade ein Kalb geschlachtet hatte...
Gott hat uns Menschen zur Gemeinschaft hin geschaffen. Zur Gemeinschaft
mit ihm und auch mit anderen Menschen. Gerade das Christsein lebt
unbedingt davon. Das haben wir ja im Lied vom Solochrist gesungen:
„Warum goht’s denn nid als Solochrischt, warum chas elei nid goh? Will
d’eleini ganz verlore bisch, und der niemer hälfe cha. En Christ bruucht der
ander, der ander bruucht mich, so hälfe mir enander uf em Wäg i sis Riich.“
Ein einziger Fussballspieler mit einem Ball kann nicht „tschutten“. Warum
nicht? Weil Tschutten ein Mannschaftssport ist. Und genau so ist es auch mit
dem christl. Glauben. Das ist auch ein Mannschaftssport. Obwohl viele
Leute meinen, das könne man auch allein für sich. Das, was Jesus übers
Beten im stillen Kämmerlein gesagt hat, meinte er nicht für das ganze
Glaubensleben. Ein Solochrist ist nicht ein Christ im biblischen Sinne. Ich
höre bei vielen Besuchen: „Ich schaue mir den Gottesdienst im Fernsehen
an“ oder: „Am Sonntag-Morgen gehe ich in den Wald, das ist für mich auch
wie ein Gottesdienst.“ Das ist beides wunderbar, aber nicht das, was
eigentlich vorgesehen war. Das sehen wir schon in der ersten christlichen
Gemeinde, die 50 Tage nach der Auferstehung Jesu an Pfingsten entstanden
ist. Dort heisst es in Apg 2,42-47: „Sie alle widmeten sich eifrig dem, was
für sie als Gemeinde wichtig war: Sie ließen sich von den Aposteln
unterweisen, sie hielten in gegenseitiger Liebe zusammen, sie feierten das
Mahl des Herrn, und sie beteten gemeinsam... Alle, die zum Glauben
gekommen waren, bildeten eine enge Gemeinschaft... Tag für Tag
versammelten sie sich einmütig im Tempel, und in ihren Häusern hielten sie
3
das Mahl des Herrn und aßen gemeinsam, mit jubelnder Freude und reinem
Herzen. Sie priesen Gott und wurden vom ganzen Volk geachtet.“
GEBET MIT UNSER VATER
Das finde ich eindrücklich! Das ist die Vision von Jesus für seine Gemeinde.
Echte, lebendige Gemeinschaft. Die Hauptmerkmale sind, dass sie
gemeinsam auf ihren Herrn Jesus Christus schauen, dass sie erfüllt sind von
Liebe zueinander, die sie zusammenhält und dass sie einander mit ihren
Begabungen dienen. Das probieren wir auch im 11vor11 zu leben. Darum ist
für mich der Gottesdienst erst nach Mittagessen und Dessert fertig. Das
gehört auch dazu. Aber noch viel mehr: das, was unter der Woche passiert,
sei es im im KiBiS, Teenietreff, Bibeltreff, im Kirchenchor, Alphalive oder
in einem der verschiedenen Hauskreise und natürlich in den übrigen
Gottesdiensten. Christsein steht und fällt mit der Gemeinschaft. Darum
möchte ich euch auch ermuntern, euer Christsein nicht nur auf 8 11vor11GD/Jahr zu beschränken. Unsere oder andere Kirchgemeinden haben noch
einiges mehr zu bieten! Aber macht es nicht wegen mir oder damit ihr in den
Himmel kommt (den Himmel kann man sich so nicht verdienen!), sondern
weil es erstens lebensnotwendig ist für den Glauben und zweitens erst noch
Freude macht! Ihr werdet merken, dass ihr dabei reich beschenkt werdet.
Treuer himmlischer Vater. Du bist der Schöpfer der ganzen Welt und hast
auch uns gemacht. Du hast uns geschaffen zur Gemeinschaft mit Dir und mit
anderen Menschen. Du weisst aber auch, wenn wir uns einsam und verlassen
fühlen. Hilf uns, die Einsamkeit zu überwinden, wenn sie uns plagt. Lehre
uns, mit uns selbst zufrieden zu sein, damit wir auch allein sein können und
daraus auch Kraft schöpfen können.
Dazu noch ein Vergleich: Habt ihr schon mal bei einem Feuer ein einzelnes
Holzscheit herausgenommen? Was passiert? Es erlöscht schnell und wird
kalt. So ist es auch mit dem christl. Glauben. Ausserhalb der christl.
Gemeinschaft wird er schnell kalt, aber zusammen mit andern können wir
leuchten und einander und anderen warm geben.
Dietrich Bonhoeffer sagte: „Es ist unendlich viel leichter, in Gemeinschaft
zu leiden als in Einsamkeit.“ Wir werden nicht von Leiden verschont, aber
wir können uns im Leiden unterstützen, wie es ja heisst: „Geteiltes Leid ist
halbes Leid, geteilte Freude ist doppelte Freude.“
Fühlst du dich einsam? Dann komm zu Gott, dem himmlischen Vater, der
auch den verlorenen Sohn wieder liebevoll aufgenommen hat. Und suche
Anschluss in der Kirchgemeinde, die sicher irgendwo ein Gefäss bietet, wo
du Gemeinschaft erfahren kannst. Alleinsam soll nicht sein, weil Gott nicht
möchte, dass der Mensch einsam ist und weil er sich freut über die
Gemeinschaft mit dir! Darum hat er seinen Sohn Jesus Christus geschickt,
der unser Freund sein will und immer bei uns ist, wie wir am Schluss des
Matthäus-Evg. lesen: „Ihr könnt sicher sein: Ich bin immer und überall bei
euch, jeden Tag, bis an das Ende dieser Welt.“
AMEN
Pfr. Andreas Wahlen
Leite uns mit deinem Heiligen Geist, damit wir immer wieder Zeit finden,
um mit Dir zusammen zu sein und deine Stimme hören und verstehen, wenn
wir Dein Wort lesen.
Du möchtest auch, dass wir zusammen mit anderen Christen Gemeinschaft
pflegen. Zeig uns unseren Platz in der Kirchgemeinde, damit wir nicht
alleine zugrunde gehen, sondern mit anderen Freud und Leid teilen können.
Zeig uns auch die Menschen um uns herum, die einsam sind und unsere
Hilfe brauchen, und gib uns auch den Mut, andere um Hilfe zu bitten.
Danke, dass Du Deinen lieben Sohn Jesus Christus zu uns geschickt hast, der
unser Freund sein will und immer für uns da ist. Hilf uns, diese Freundschaft
anzunehmen und zu pflegen.
Mit den worten von Dietrich Bonhoeffer beten wir:
In mir ist es finster, aber bei dir ist Licht.
Ich bin einsam, aber du verlässt mich nicht.
Ich bin kleinmütig, aber bei dir ist die Hilfe.
Ich bin unruhig, aber bei dir ist Frieden.
In mir ist Bitterkeit, aber bei dir ist die Geduld.
Ich verstehe deine Wege nicht, aber du weisst den rechten Weg für mich.
Komm mit uns in diesen Sonntag und in diese Woche. Begleite uns auf allen
unseren Wegen und segne, was wir tun.
Wir singen gemeinsam das Gebet, das dein Sohn uns gelehrt hast:
Vater unser...
Herunterladen