Friedrich Kuhlau – eine Kurzbiografi in 12 Abschnitte

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Jørgen Erichsen
Friedrich Kuhlau – eine Kurzbiografi in 12 Abschnitte
basiert auf meinem Buch: Friedrich Kuhlau – ein deutscher Musiker in Kopenhagen. Eine Biographie nach zeitgenössischen Dokumenten. Georg Olms Verlag, 2011 (416 Seiten)
1. Kindheit und Lehrzeit
In der Musikgeschichte gibt es zahlreiche Beispiele dafür, daß Musikalität erblich ist, und daß eine
Familie mehrere Generationen hindurch und in verschiedenen Verzweigungen auf die eine oder
andere Art im Dienste der Musik gestanden hat. Eines dieser Beispiele ist die Familie Kuhlau. Nicht
weniger als siebzehn Militärmusiker, Stadtmusiker, Organisten, Kapellmusiker und Komponisten
dieses Namens kann man in Deutschland, Dänemark und Schweden finden. Die folgende Stammtafel hat ihren Ausgangspunkt in Kuhlaus Großeltern väterlicherseits:
Sowohl der Großvater als auch der Vater waren Militärmusiker, aber der Onkel Johann Daniel war
Organist. Er zog als Erster der Familie 1784 nach Dänemark und wurde bald als Organist in der
Buldofi Kirche in Aalborg angestellt zu werden. Zwei Jahre später, genauer am 11. September
1786, wurde der Hauptperson dieser Biographie in der kleinen norddeutschen Stadt Uelzen geboren,
wohin der Vater um diese Zeit versetzt worden war. Er wurde auf den Namen Friedrich Daniel Rudolph Kuhlau getauft. Die Berufstätigkeit des Vaters führte zu häufigen Versetzungen, und das
nächste Mal, wo wir von Fritz hören, wie er in der Familie genannt wurde, ist diese nach Lüneburg
gezogen.
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Hier geschah 1796 das Unglück, das Kuhlau doch selbst später als Glück bezeichnet, weil es wesentlich dazu beitrug, seine Lebensbahn zu bestimmen. Eines Abends, als er in die Stadt geschickt
worden war, um etwas in einer Flasche zu besorgen, fiel er so unglücklich, daß die Flasche zerbrach
und die Scherben sich in sein rechtes Auge bohrten. Es mußte entfernt werden (auf den meisten
Bildern sieht man deutlich, daß Kuhlau das rechte Auge fehlt). Um den Jungen von den Schmerzen
abzulenken, hatten die Eltern ein kleines Klavier über seinem Bett angebracht, und es zeigte sich,
wie es in einem älteren Lexikon so poetisch ausgedrückt wird, "daß seine Brust voll von schlummernden Äolsharfen war". Nach dem Krankenlager begann er mit Klavierunterricht beim Organisten der Heilig-Geist-Kirche in Lüneburg, Hartwig Ahrenbostel, und es dauerte nicht lange, bis er
selbst versuchte zu komponieren.
Wir springen nun zum Jahre 1805, wo Kuhlau Schüler des berühmten C.F.G. Schwencke in Hamburg wurde. Dieser war Schüler von Carl Philip Emanuel Bach gewesen und hatte dessen Stellung
als Hauptverantwortlicher der Kirchenmusik in Hamburg übernommen. Schwencke war selbst
Komponist und gefürchtet als Kritiker, so daß es das höchste Lob war, als Schwencke vier Jahre
später erklärte, er könne Kuhlau, der "grundmusikalisch in sowohl Gefühl und Verstand" sei, nichts
mehr beibringen.
Es war auch Schwencke, der ihm Zugang zu dem bedeutenden Musikverlag Breitkopf und Härtel in
Leipzig verschaffte. Hier wurden unter anderem seine Klaviersonaten op.4, op.5a und op.8a herausgegeben, die in Länge und Schwierigkeitsgrad seinem großen Vorbild Beethoven nicht nachstehen.
Aber auch inhaltlich werden diese Sonaten in der angesehenen Musikzeitschrift "Allgemeine musikalische Zeitung" himmelhoch gelobt, ja, Kuhlau wird sogar als ein "neuer Stern am Firmament der
Musik" bezeichnet.
Doch hatte er schon früher verschiedene Kompositionen an den lokalen Musikverlagen in Hamburg
herausgegeben. Von den meisten dieser Veröffentlichungen distanzierte er sich jedoch später, und
das ist die Erklärung dafür, daß mehreren von den frühen Opus-Nummern ein "a" oder "b" hinzugefügt wurde nachdem Kuhlau "reinen Tisch" gemacht hatte und seine Werke von Neuem nummerierte.
Gleichzeitig war Kuhlau auch als Pianist tätig, aber woher er die Ausbildung dazu hatte, ist ungewiß. Tatsache ist, daß er bedeutende Fertigkeit erreichte und daß Konzertauftritte eine Reihe von
Jahren für einen Teil seines Auskommens sorgten. Auch in Dänemark wurde er zuerst als Pianist
bekannt, aber zunächst ist zu berichten, was ihn dorthin brachte.
2. Kuhlau zieht nach Kopenhagen
Kuhlau wuchs auf zu einer Zeit, in der Napoleon ganz Europa verheerte. 1808 wurde Hamburg von
den französischen Truppen besetzt, und 1810 wurde es in den napoleonischen Staat integriert. Damit unterlag die männliche Bevölkerung Hamburgs auch der französischen Militärdienstpflicht.
Trotz des fehlenden Auges fühlte sich Kuhlau nicht davor geschützt auch einberufen zu werden,
und am Ende des Jahres flüchtete er nach Dänemark.
Aber auch Dänemark und speziell Kopenhagen waren stark vom Kriege geprägt. Immer noch lagen
ganze Stadtteile in Ruinen nach dem Bombardement durch die Engländer 1807, eine Folge davon,
daß Frederik 6. nicht das Verlangen der Engländer erfüllte, nämlich alle Verbindungen mit Frankreich abzubrechen.
Am 23. Januar 1811 treffen wir Kuhlau zum ersten Mal in Kopenhagen. Er gibt ein Konzert im Königlichen Theater, wo er u.a. sein Klavierkonzert in C-Dur spielt, das viele Pianisten heute noch zu
ihrem Repertoire rechnen. Es wurde mit großem Wohlgefallen aufgenommen, und das galt ebenso
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in den musikalischen Kreisen der Stadt, zu welchen unter anderen Kunzen, Schall und Weyse gehörten. Obwohl er eigentlich Pläne hatte weiterzureisen nach Stockholm und St. Petersburg, ließ er
sich überreden, sich in der dänischen Hauptstadt niederzulassen, verständlich, weil der König ihn
zum königlichen Kammermusikus ernannte und die dänische Staatsbürgerschaft anbot.
Kuhlau rechnete damit, daß die Ernennung zum königlichen Kammermusikus auch recht schnell zu
einer besoldeten Stellung führen würde, aber da wurde er enttäuscht. Statt dessen mußte er seinen
Unterhalt mit Konzerten und Klavierunterricht verdienen. Selbst als nach kurzer Zeit eine Stellung
als Klavierlehrer am Theater frei wurde und sowohl der Kapellmeister Kunzen als auch der Hofmarschall Hauch Kuhlau warm empfahlen, bevorzugte der König einen anderen, über den wir heute
lediglich wissen, daß er J.C.Förster hieß.
Eine neue Verdienstmöglichkeit für Kuhlau öffnete sich, als Adam Oehlenschläger, einer der berühmtesten Dichter Dänemarks, ihm ein Opernlibretto anbot. So entstand "Die Räuberburg", die
1814 mit großem Erfolg uraufgeführt wurde. Der pekuniäre Gewinn war jedoch für Kuhlau gering,
aber ermuntert von dem Erfolg, schrieb er nochmals ein Gesuch an den König - ein Gesuch, das
nachteilige Folgen hatte, indem es eine Reihe von Jahren seine kreative Begabung und seine Möglichkeiten in Fesseln legte. Dieses Gesuch soll hier etwas verkürzt zitiert werden, aber es ist vorab
zu bemerken, daß Kuhlau sich inzwischen verpflichtet hatte, für seine Eltern und für seine behinderte Schwester zu sorgen, die ebenfalls vor den unerträglichen Verhältnissen in Hamburg geflohen
waren.
"Als es Seiner Königlichen Majestät allergnädigst gefiel, mich als Seinen Musikus anzustellen, bekam ich meinen Posten ohne eine festgesetzte jährliche Gage. Dieser Umstand hat mich bisher gezwungen, zusammen mit Vater, Mutter und Schwester von endlosen Unterrichtsstunden zu leben,
ein wahres Unglück für den schaffenden Künstler, der so gehindert wird, sein eigenes Talent zu
entwickeln, und seine Mitbürger mit neuen Kompositionen zu erfreuen. Deshalb wage ich alleruntertänigst ein Gesuch zu stellen um eine angemessene jährliche Gage, wogegen ich mich gerne dazu
verpflichte, jeden Winter eine Oper zu liefern zur Aufführung auf dem Theater Ihrer königlichen
Majestät."
Der König nahm gnädigst das Angebot an, worauf in den nächsten Jahren die Opern "Zauberharfe",
"Elisa" und "Lulu" erschienen; aber die 300 Reichstaler, die der König als passend empfand, standen in keinem Verhältnis zu der enormen Arbeit, die das Schreiben einer Oper erfordert. Kuhlau
mußte sich deshalb weiterhin nach anderen Einnahmequellen umsehen. Außer Klavierunterricht
arbeitete er nun für den Kopenhagener Musikverlag C.C.Lose, der gerade mit der Herausgabe eines
der damals so populären "musikalischen Monatsblätter" begonnen hatte. Zum Monatsblatt " Nye
Apollo" und dessen Nachfolger "Odeon" und "Musikalisches Theater-Journal" trug Kuhlau mit
nicht weniger als 76 Kompositionen bei.
Lieber hätte Kuhlau sich mit ernsthafter Musik beschäftigt, aber wie er es oft selbst ausdrückte:
"Die Kunst geht nach Brot". Zwar ist nichts von dem, was Kuhlau auf diesem leichteren Gebiet
schuf, ohne guten Geschmack, aber bedauerlich ist es doch, daß es eben diese Kompositionen sind,
für die Kuhlau bei den meisten bekannt ist - und in erster Reihe die kleinen Sonatinen, die noch
heute zum Standardrepertoire im Klavierunterricht gehören. Das entspricht ungefähr dem, daß man
Beethoven nur erinnern würde für das kleine Klavierstück "Für Elise"!
Aber trotz allem fand Kuhlau in diesen Jahren auch Zeit, "richtige Musik" zu schreiben, besonders
Klaviersonaten und andere große Klavierkompositionen, aber oft mußte er sich in Bezug auf seine
Honorarforderung auf den Musikverlag einstellen, um sie überhaupt herausgeben zu können. Deshalb wechselte er später von Breitkopf & Härtel zu anderen großen deutschen Musikverlagen, die
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ihm günstigere Konditionen boten. Darauf kommen wir später zurück. Vorerst wollen wir einige
Beispiele sehen, wie Kuhlaus erste Kompositionen im Ausland besprochen wurden.
3. Beispiele für Rezensionen in der "Allgemeine musikalische Zeitung"
Die führende Musikzeitschrift zu Kuhlaus Zeit war die "Allgemeine musikalische Zeitung". Nicht
lange, nachdem Kuhlau in Kopenhagen angekommen war, bat ihn der Redakteur um einen Artikel
über das Musikleben in der dänischen Hauptstadt. Das tat er ungern, weil, wie er antwortete, da
nicht viel Positives zu berichten sei. "Ich würde mir Feinde machen, wenn ich beschreiben würde,
daß die hier bestehende Vokalmusik unter aller Kritik ist, daß das Orchester, die "Königliche
Kapelle" auch nur mittelmäßig ist und daß ich überhaupt sehr wenig Verständnis für Musik
gefunden habe." Kuhlau ließ sich jedoch überreden, und das gedruckte Referat wurde auch
wesentlich gedämpft. Auch die folgenden Jahre schrieb Kuhlau regelmäßig Referate über das
Kopenhagener Musikleben in der "Allgemeinen musikalischen Zeitung".
Hier folgen einige Beispiele, wie Kuhlau selbst in dieser Zeitschrift besprochen wurde. Die ursprüngliche Orthographie ist hier beibehalten.
Über die Klaviersonate op.5a heißt es einleitend: "Hr. K. hat sich seit kurtzem, durch wenige, aber
bedeutende Werke als einen Componisten gezeigt, auf welchen alle Pianofortespieler, die einen
ernsten Sinn, einen auf das Edle gerichteten Geschmack, und eine gründlichvollstimmige Ausarbeitung zu schätzen wissen, aufmerksam zu seyn, nicht unterlassen dürfen."
Die nicht nur quantitativ große (31 Seiten), sondern auch qualitativ großartige Klaviersonate op.8
wird mit folgenden Worten besprochen: "Hr. Kuhlau gehört zu der kleinen Zahl von Tonsetzern,
welche eigentlich wissen, was sie schreiben, und welche, neben lobenswerther, contrapunktischer
Gelehrsamkeit, in ihren Arbeiten auch Erfindung beweisen, und ihnen Charakterhaltung zu geben
verstehen. Seine Melodien sind gewählt, seine Figuren lebendig, die Passagen brillant, die Stimmführung ausgezeichnet, und die harmonische Bearbeitung correct. So erscheint er in seinen frühern
Compositionen, und eben so in vorliegender Sonate. Sie ist keineswegs für den großen Haufen geschrieben. Dagegen werden geübte Klavierspieler und Kenner des Satzes gewiss mit Zufriedenheit
sie aus der Hand legen." Und nach einer der längsten Rezensionen, die es überhaupt in der AMZ
gegeben hat, schließt der Rezensent mit den Worten: "Der Rezensent nimmt Abschied von Kuhlau
mit Versicherung wahrer Achtung, und mit dem Wunsche, ihm recht bald und oft in seinen Werken
wieder zu begegnen - ein Wunsch, den Kenner und geübte, echte Klavierspieler, haben sie nur erst
Hrn. K.s Bekanntschaft gemacht, gewiss mit ihm, dem Rec., theilen werden."
Daß Kuhlau über hundert Lieder und Romanzen geschrieben hat, ist heute so gut wie unbekannt –
man höre, wie "10 deutsche Lieder mit Klavier", op.11a, in der AMZ besprochen wurden: "Mit vielem Vergnügen zeigt Rec. diese Lieder an. Sie sind sämmtlich nicht nur untadelhaft, sondern rühmenswerth, und verschiedene gehören ganz offenbar unter das Schönste, was in dieser Gattung seit
mehrern Jahren geliefert worden. Zwar kannte Rec. Hrn. K. allerdings als einen der wackersten,
kunstreichsten, gründlichsten Klavier-Componisten unsrer Tage: aber dass er auch ein so ausgezeichneter Liederkomponist sey, war ihm unbekannt, und, nach den gewöhnlichen Erfahrungen an
Meistern in der Instrumentalmusik, auch unerwartet."
Über die drei italienischen Canzonetten, die bei Peters ohne Opusnummer (nr. 153 in Fogs Katalog)
herausgegeben wurden, heißt es: "Ref. hätte kaum geglaubt, dass dieser ernste, gelehrte Künstler, an
dessen großen, gehalt- und kunstreichen Claviercompositionen sich die Musikliebhaber schwer versündigen, wenn sie sie überall nicht mehr benutzten, als in des Ref. Umgegend - dass dieser auch so
einfach leicht, zierlich und scherzhaft schreiben könne, als hier geschehen ist. Die drey Stücke,
wiewol sonst verschieden, gleichen sich doch in diesen Eigenschaften und sind allerliebst. Jede
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Sängerin die sie gehörig vorträgt - und dazu gehört wenig Umfang der Stimme und wenig mechanische Fertigkeit, aber Seele und Bildung - wird sich und Anderen Vergnügen damit machen."
Eine andere von Kuhlaus Vokalkompositionen, die drei Lieder über Texte von Heinrich Wilhelm
von Gerstenberg, op.21, wird als "eine wahre Bereicherung unserer Sammlungen für ausdrucksvollen und edeln Sologesang beym Pianoforte" bezeichnet.
Laß uns diese Beispiele schließen mit der Rezension von Kuhlaus erster Sammlung von Duos für
zwei Flöten, op.10a: "Wenn zwey Flötisten von beträchtlicher Geschicklichkeit auf ihrem Instrumente, von gebildetem, und mehr auf das Ernste, Bedeutende und Kunstreiche, als auf das Galante,
Schimmernde und Flüchtige gerichteten Geschmack, und von Neigung, auch manches von der gewöhnlichen Behandlung des Instruments Abweichende einzuüben und im Vortrag sich einander
recht nahe anzuschliessen - wenn zwey solche Flötisten sich durch Duette unterhalten wollen: so
können wir ihnen von den Producten der letzten Jahre kein einziges so unbedingt empfehlen, als das
hier genannte." Die drei Duette gehören auch heute noch zu dem Standardrepertoir aller Flötisten.
4. Kuhlau als Lehrer und Erneuerer
Inzwischen saß Kuhlau in seinem neuen Heimat und verschwendete seine Zeit mit Klavierunterricht. Doch konnte er sich mittlerweile erlauben, die langweiligste Arbeit abzuwählen und sich auf
die Schüler konzentrieren, die eine professionelle Karriere anstrebten. Aber es gingen mehrere Jahre
dahin, bevor er diese Arbeit ganz hinter sich lassen konnte, worüber er sich wieder und wieder beklagte, weil es ihn am Komponieren hinderte. Wenn er in einem Brief schrieb: "ich habe für nichts
so großen Wiederwillen [sic!] als für das Informieren, es stört mich gar zu sehr in meinen musikalische Ideen", so dreht es sich sicher besonders um den Unterricht der Dilettanten. Die Schüler, die
kurz im folgenden besprochen werden, erwähnen alle Kuhlau als einen überordentlich kompetenten
und liebenswerten Lehrer. Es sind unter anderen diejenigen, von denen Carl Thrane, Kuhlaus erster
Biograph, die vielen persönlichen Erinnerungen gesammelt hat, die er in seinem Buch wiedergibt.
Nicolaj Gerson, Carl Schwarz und Nicoline Valentiner waren Kuhlaus beste Klavierschüler. Das
sind Namen, die wir in den folgenden Jahrzehnten oft in den Kopenhagener Koncertprogrammen
finden. Hinzugefügt werden muß der Neffe Georg Friedrich, den Kuhlau als seinen Pflegesohn aufnahm und den er ebenfalls als Pianisten ausbildete (Georg Friedrich war der Sohn von Kuhlaus "etwas ausschweifendem" Bruder Gottfried, der nach Indien verzogen war - siehe Stammtafel im 1.
Abschnitt).
Noch größeren Bedarf herrschte jedoch für Unterricht in Musiktheorie. Es gab in dieser Zeit kein
Musikkonservatorium in Dänemark, und nun bekam Kuhlau die Möglichkeit, die gründliche Unterweisung, die er selbst bekommen hatte bei Schwencke, weiter zu geben. Viele der damaligen
Musiker und nicht weniger viele von der Königlichen Kapelle stehen in seiner Schuld, z.B. die Violinisten J.L.Mohr und Fr.Wexschall, der Bratschist Ivar Bredahl und der Flötist N.P.Jensen. Von
den Schülern, die sich später selbst als Komponisten einen Namen machten, sollen J.C.Gebauer,
J.O.E.Hornemann und J.F.Fröhlich genannt werden. Nicht zu vergessen Anton Keyper, der Offizier
war und mit Militärmusik zu tun hatte. Er wurde einer von Kuhlaus besten Freunden, und er fungierte lange Zeit als unentbehrlicher Helfer in praktischen Anliegen für den in dieser Hinsicht ziemlich ungeschickten Komponisten.
Aber überhaupt herrschte ein herzliches und entspanntes Verhältnis zwischen Kuhlau und seinen
Schülern. Oft trafen sie sich Sonntagnachmittag bei ihm, um ein Glas Wein zu genießen, eine Pfeife
zu rauchen und zu musizieren.
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Was speziell den Generalbaßunterricht angeht (das, was wir heute Harmonielehre nennen), waren es
nicht nur professionelle Musiker, die von Kuhlaus Wissen Nutzen zogen. Im Jahre 1817 annoncierte er in den Zeitungen mit "24 Stunden Unterricht in Generalbaß". Der Unterricht, der in seiner
Wohnung stattfand (zu diesem Zeitpunkt Vestergade 11), zog viele musikinteressierte Amateure an,
unter ihnen den später so bekannten Arkäologen P.O.Brøndsted, dessen Aufzeichnungen in Verbindung mit dem Unterricht heute in der Königlichen Bibliothek in Kopenhagen zu finden sind. Kuhlau schrieb selbst eine umfassende "Generalbaßschule", aber er schaffte es nicht, sie herauszugeben,
und das Manuskript ist später verloren gegangen.
Mit den erwähnten Tätigkeiten trug Kuhlau in hohem Grade dazu bei, das Niveau des Musikunterrichts in Dänemark zu heben. Aber auch auf andere Weise förderte er eine äußerst notwendige Erneuerung. Es war Kuhlau, der Beethovens Musik in Dänemark einführte. Das ging nicht ohne Widerstand , denn der Meinung eines anderen tonangebenden dänischen Musikers, nämlich Weyses,
zufolge, klang Beethoven wie "Musik zum Geburtstag seiner Majestät des Teufels".
Schon mit der Oper "Die Räuberburg" führte Kuhlau auch eine neue Art Musik im Theater ein. Mit
Thranes Worten hielt die Romantik durch Die Räuberburg „zum ersten Mal Einzug in die dänische
Musik; der Romantik helle Seiten, ihre Begeisterung für Natur und Ritterleben finden sich hier wieder. Es geht ein Freiheitsgefühl, ein ritterlicher Glanz durch diese Musik, welche beinahe als erster
Frühjahrs-Verkünder von romantischer Musik überhaupt erscheint.“ Auch der Dichter Jens Baggesen, der später das Libretto für Kuhlaus Oper "Die Zauberharfe" lieferte, lobte Kuhlau für "seine
wundervollen musikalischen Schwärmereien, die von Anfang bis Ende mehr einer in seiner Art
langer dramatischer Phantasie ähnelt, als einer bestimmten theatralischen Text-Komposition, und in
der er auf eine völlig originale Weise Seria, Buffa, Pastoralen und Choräle in einem abwechslungsreichen romantischen Konzert vermischt."
5. Kuhlau auf der Reise
Wie wir uns erinnern, hatte sich Kuhlau recht zufällig in Dänemark niedergelassen. Eigentlich hatte
er sich vorgestellt, daß die Reise nach Schweden und weiter nach St. Petersborg führen sollte, das
zu dieser Zeit viele Virtuosen anzog.
Nach Schweden kam er endlich 1815. Der Anlaß war, daß der berühmte deutsche Waldhornist Johann Christoph Schuncke unter einer Konzertreise nach Kopenhagen kam. Die beiden wurden besonders gute Freunde und Schuncke überredete Kuhlau, ihn nach Schweden zu begleiten, wo sie
zusammen mehrere Konzerte in Stockholm und wahrscheinlich auch in anderen Städten gegeben
haben. Die Reise inspirierte Kuhlau unter anderem zu seinem op.25: "Fantasie und Variationen über
schwedische Lieder und Tänze." Das war nicht das letzte Mal, daß Kuhlau sich von der charakteristischen schwedischen Volksmusik inspirieren ließ; auch op. 83, 86, 91, 93 und 102 haben Themen
aus dem Schwedischen. Es muß dabei in dieser Verbindung erwähnt werden, daß mehrere der
Volksmelodien, die Kuhlau im "Erlenhügel" - der als das dänische Nationalschauspiel gilt (siehe
Abschnitt 9) - benutzt, tatsächlich schwedischen Ursprungs sind!
In den folgenden Jahren kam Kuhlau oft nach Schweden. Er hatte unter anderen einen Mäzen in
Baron Nolcken, auf dessen Gut "Jordberga" in der Nähe von Trelleborg er viele herrliche Tage verbrachte. Außerdem hatte sich einer seiner Schüler, der Pianist Carl Schwarz, in Göteborg niedergelassen. Er war ein eifriger Förderer Kuhlaus und verschaffte ihm mehrere schwedische Kontakte.
Im Jahre 1816 gab es für Kuhlau endlich ein Wiedersehen mit Hamburg. Er wurde auf dieser Reise
von einem Freund begleitet, der in einem Bericht für die Zeitung "Nyeste Skilderie af København"
über ihre Erlebnisse erzählte (es handelt sich höchstwahrscheinlich um Georg Gerson, einen Bruder
des früher genannten Klavierschülers Nicolaj Gerson, Bankier von Profession, aber dazu ein tüchti-
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ger Violinist und ein fleißiger Amateurkomponist). Er schreibt unter anderem: "Hier in Hamburg ist
Kuhlau sehr bekannt, und dazu noch geachtet und geschätzt . . . Wir leben hier königlich und in
ständiger Herrlichkeit und Freude. Jeden Tag sind wir zu Mittag und Abend in den größten und
vornehmsten Familien zu Gaste geladen." Die beiden Freunde gaben auch ein paar Konzerte zusammen, aber der Höhepunkt der Reise war die Aufführung der "Räuberburg" im Hamburger Theater unter Leitung des Komponisten selbst. In einem Bericht für die Kopenhagener Zeitung "Dagen"
schreibt der Korrespondent: "Hr. Kuhlau musste, als die Aufführung fast zu Ende war, dem einstimmigen Rufen und Klatschen des Publikums nachgeben, und auf dem Schauplatz erscheinen:
eine Ehre, die seit vielen Jahren keinem Komponisten zuteil geworden ist."
Diese Reise hatte auch zur Folge, daß Kuhlau die Verbindungen zu den Hamburger Musikverlagen
August Cranz und J.A.Böhme fester knüpfte. In beiden Verlagen wurden in den folgenden Jahren
mehrere Kompositionen herausgegeben.
Nun, wo wir bei den Reisen sind, wollen wir zum Jahre 1821 springen, wo Kuhlau seine erste Reise
nach Wien macht. Aber erst muß hinzugefügt werden, daß Kuhlau nicht einfach reisen konnte wann
er wollte. Als königlicher Kammermusikus mußte er den König um Erlaubnis bitten, bevor er das
Land verlassen konnte, und diesmal stellte er ein Gesuch für eine Kunstreise über eine Länge von
zwei Jahren. Der König muß in besonders guter Laune gewesen sein, denn nicht nur wurde die Erlaubnis gegeben, sondern Kuhlau wurde auch zugestanden, während seiner Reise die Gage als königlicher Kammermusikus, die ihm 1818 - nach sieben Jahren vergeblichen Wartens - endlich gewährt worden war, zu erhalten.
Auf dieser Reise erlebte Kuhlau zum ersten Mal die Fahrt auf einem Dampfschiff, nämlich der "Caledonia", die auf der Strecke Kopenhagen-Kiel eingesetzt war. In Deutschland hielt er sich längere
Zeit in Leipzig auf, wo sein älterer Bruder Andreas Besitzer eines größeren Kaufmannsgeschäftes
und einer Tabakfabrik war. In Leipzig bekam er auch die Möglichkeit Gottfried Christoph Härtel
(Besitzer des Musikverlages Breitkopf und Härtel) persönlich kennenzulernen. In Wien besuchte er
fleißig Theater und Konzerte, aber nichts deutet darauf hin, daß er hier in der Hauptstadt der Musik
selber auftrat. In einem Brief nach Hause schreibt er, daß er das Theater der Oper vorziehe, "denn
auch hier treibt Rossinis unsauberer Geist sein böses Wesen". Auf diesen Ausspruch kommen wir
später zurück. Ein Besuch bei Beethoven mußte aufgegeben werden, da dieser im Sommer 1821 an
Gelbsucht erkrankt war. Auch der Plan, nach Italien weiterzureisen, wurde aufgegeben. Um die
Weihnachtszeit im selben Jahr war Kuhlau wieder zu Hause; die Reise hatte nicht - wie geplant zwei Jahre gedauert, sondern nur ca. zehn Monate.
Über die späteren Reisen, hierunter das Zusammentreffen mit Beethoven im Jahre 1825, wird, so
weit möglich, chronologisch berichtet werden.
6. Kuhlau zu Hause
Nachdem er wechselnde Adressen in Kopenhagen hatte, zog er im Mai 1818 zusammen mit seinen
Eltern, die er weiterhin versorgen mußte, außerhalb der Wälle, nämlich in die Gegend, die man heute als Nørrebro kennt. Die Schwester Magdalene war inzwischen nach Aalborg gezogen, wo sie sich
mit Musik- und Sprachunterricht ernährte. Mit ein Grund für den Wohnungswechsel war ohne
Zweifel, daß die Mieten hier niedriger waren als in der Stadt. Aber Kuhlau liebte es auch, sich in
der Natur aufzuhalten, ] und die Umgebung außerhalb der Wälle war immer noch unberührt. Kürzere Zeit wohnte die Familie auf dem Landgut "Solitude", das einem nahen Freund Kuhlaus, Frederik
Høegh-Guldberg, gehörte. Später zogen sie in ein Haus, dessen Gartengrundstück an die Sortedamseen stieß. In diesem Teil der Stadt legte man die Wäsche im Freien zum Bleichen aus, und er wur-
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de deshalb Bleichdamm genannt. Diese beiden Orte kann man heute wiedererkennen an den Straßennamen Solitudevej und Blegdamsvej (Bleichdamm).
Es war während der Zeit, in der Kuhlau hier wohnte, daß er zur frühen Morgenstunde nach Roskilde
wanderte, um sich die Domkirche mit den Königsgräbern anzusehen; nachdem er sein Mittagessen
im Gasthaus eingenommen hatte, wanderte er zurück und war gegen Abend wieder zu Hause. Hin
und zurück wanderte Kuhlau an diesem Tag ungefähr 60 Km!
Der genannte Frederik Høegh-Guldberg unterrichtete an verschiedenen Schulen unter anderem im
Fach Dänisch, und er half Kuhlau gerne beim Aufsetzen von Briefen an den König und das Theater
- denn Kuhlau selbst lernte nie, dänisch zu sprechen. Das war jedoch kein großes Problem, weil
Dänemark damals eigentlich eine zweisprachige Monarchie war, und viele der damaligen Künstler
und Beamten waren deutsch geboren. Das galt z. B. auch für Kunzen und Weyse und mehrere Mitglieder der Kapelle.
Høegh-Guldberg, der auch Dichter war, hielt jeden Freitagabend offenes Haus. Hier war Kuhlau
gern Mittelpunkt, wenn er auf dem Klavier improvisierte. In dieser schlichten Gesellschaft fühlte er
sich viel wohler als bei den Abendgesellschaften in den Schlössern und herrschaftlichen Häusern und schon gar nicht am königlichen Hof, wo er als königl. Kammermusicus verpflichtet war zu
spielen, wenn man es wünschte.
Überhaupt war Kuhlau ein sehr bescheidener Mensch, ja, fast bis zur Selbstaufgabe. Und das erklärt
auch, warum er sich nicht in höherem Maße gegen die Bedingungen und Verhältnisse auflehnte, die
man ihm von der dänischen offiziellen Seite zumutete. Sein beinahe übertriebenes Pflichtbewußtsein kommt nicht nur im Verhältnis zu den Eltern zum Ausdruck, sondern eben auch im Verhältnis
zu seinen offiziellen Verpflichtungen. Obwohl er sicher seine eigene Meinung darüber hatte, sprach
er sich nie über soziale oder politische Probleme aus, die es gerade in dieser Zeit genügend gab. Er
wollte nicht das Risiko eingehen, aus dem Lande gewiesen zu werden, wie z.B der Dichter
P.A.Heiberg, oder auf Lebenszeit eingesperrt zu werden, wie der Politiker Dr. Dampe!
Kuhlau heiratete nie. Nicht, weil er kein Interesse am anderen Geschlecht hatte, aber er war all zu
scheu, eine Liebe zu erklären. Ohne Zweifel hat das fehlende Auge mit dazu beigetragen, daß er
sich weniger attraktiv fühlte. Wenn man ihn fragte, warum er noch immer Junggeselle sei, lautete
die Antwort: "Hab keine Zeit dazu!"
7. Arbeitsreiche Jahre in Glück und Unglück
Das Reisejahr 1821 war in hohem Grade befördernd für Kuhlaus Kreativität. Allein in den folgenden zwei Jahren wurden ebenso viele Kompositionen herausgegeben wie in den zehn Jahren, die er
in Dänemark gelebt hatte. Obgleich es mit einer Enttäuschung begann, indem er in Konflikt kam
mit dem Verlag Breitkopf & Härtel, der sonst sein bester Promotor gewesen war; aber statt dessen
konnte er Verbindung zu mehreren anderen deutschen Verlagen etablieren, besonders zu Peters in
Leipzig und Simrock in Bonn.
Damit begann auch die lange Reihe von Werken für Flöte (mit oder ohne anderen Instrumente), die
Kuhlau zum von den Flötisten vorgezogenen Komponisten machten und ihm den Beinamen "der
Beethoven der Flöte" verschafften. Die Flöte war eines der damaligen Modeinstrumente, und obwohl die Verleger ihm wieder und wieder einschärften, daß der Stil leicht und die Stücke nicht zu
schwer zu spielen sein sollten, ging er nie einen Kompromiß mit seinem künstlerischen Gewissen
ein, und viele von diesen Werken zählen zu seinen inspiriertesten. Wir finden hier Variationen und
Fantasien für Soloflöte, lieblich klingende Stücke für zwei und drei Flöten, und sogar ein Quartett
für vier Flöten (op.103). Am wertvollsten sind jedoch die Sonaten für Flöte und Klavier; man
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merkt, daß Kuhlau hier seinen musikalischen Ideen freien Lauf gab, die er früher in den großen
Klaviersonaten zum Ausdruck brachte, für die es aber nicht mehr so großes Interesse gab. Als
Juwelen unter den Flötenwerken werden wohl die meisten die drei Quintette für Flöte, Violine, zwei
Bratschen und Cello, op.51 bezeichnen , herausgegeben bei Simrock. Diese gehören heute zu Kuhlaus meistgespielter Kammermusik.
Im Ausland nahm man selbstverständlich an, daß Kuhlau virtuos auf der Flöte war, und in den damaligen Lexika kann man lesen, daß er Flötist in der Königliche Kapelle gewesen sei. Aber die
Wahrheit war eine ganz andere. Selbst kokettierte er damit, daß er nicht "den kleinsten Griff auf der
Flöte" ausführen konnte, aber ein anderes Mal gesteht er doch, daß er die Flöte recht gut kenne,
aber sie nur schlecht und selten spiele.
Von anderen Werken dieser Jahre müssen hervorgehoben werden die große Klaviersonate in B-Dur,
op.30 (allein der Finale-Satz hat 705 Takte), die drei kleineren, aber musikalisch nicht weniger hervorragenden Sonaten op.46, die Sonate für Violine und Klavier op. 33, samt noch zwei funkelnden
Juwelen aus der kammermusikalischen Schatzkiste: Die zwei Klavierquintette op.32 in c-moll und
op.50 in A-dur.
In diesen Jahren komponierte Kuhlau auch sein dramatisches Meisterwerk, die Oper "Lulu" komponierte. Carl Frederik Güntelbergs Libretto wurde zuerst Weyse angeboten, aber der bedankte
sich, indem er auf seine bekannte ironisierende Art erklärte: "Ich habe niemals Musik komponiert
mit Stahl und Stein darin und ich thue das auch jetzt nicht" (Die Bemerkung spielt auf eine Scene in
der Oper an). Für Kuhlau bedeutete die Aufgabe von neuem eine Störung in seiner normalen Arbeit
und damit auch den Verlust der Einnahmen von den Verlegern. In einer Bittschrift an den König
bittet er um eine Honorarerhöhung von 300 auf 600 Rbdl "denn die Composition würde mir schwerlich gelingen, sollte ich dabey mit bittern Nahrungssorgen kämpfen müssen." So weit man weiß,
gewährte man ihm das Erbetene, aber das Endresultat war trotzdem, daß Kuhlau mit der Zusage, die
Aufgabe zu übernehmen, Geld zusetzte, und eine Übersetzung des Librettos ins Deutsche mußte er
aus eigener Tasche bezahlen.
Es herrscht heute allgemein Einigkeit darüber, daß "Lulu" Kuhlaus dramatische Meisterwerk ist,
aber es kamen bittere Tropfen in den Kelch, indem das Publikum sich aufteilte in eine KuhlauPartei und eine Weyse-Partei (Weyses Oper "Floribella" hatte ungefähr gleichzeitig Premiere), und
es liegt Ironie darin, daß Kuhlau bezichtigt wurde, daß er in Rossinis Fußspuren gehe - ironisch,
weil Kuhlau sich ein paar Jahre vorher Rossini als "ein unsauberer Geist, der sein böses Wesen
treibt" bezeichnet hatte.
Übrigens mußte selbst Weyse, der in seiner Jugendzeit nicht weniger als 7 Symphonien geschrieben
hatte, eingestehen, daß Kuhlau das Orchester besser im Griff habe als er selbst. Man könnte sich
deshalb darüber wundern, warum Kuhlau keine einzige Symphonie geschrieben hat. Aber die Symphonie war ein Genre, das in den Kopenhagener Konzertprogrammen eine sehr niedrige Priorität
hatte, und ohne Aussicht darauf, daß das Werk gespielt oder herausgegeben würde, konnte es sich
Kuhlau nicht leisten, Zeit auf eine so anspruchsvolle Aufgabe zu verwenden.
8. Kuhlaus zweite Reise nach Wien und das Treffen mit Beethoven
Schon 1825 bekam Kuhlau wieder Reisesehnsucht. Zweimal in diesem Jahre war er in Schweden,
das erste Mal infolge einer Einladung von Baron Nolcke, dem Kuhlau die drei Sonatinen Op.60
zugeeignet hatte, das zweite Mal, um seinen alten Schüler Carl Schwarz, der nun als ein sehr gesuchter Klavierlehrer in Göteborg lebte, zu besuchen. Im Sommer machte er sich auf seine zweite
Reise nach Wien, wo er diesmal Beethoven traf. Wir haben von Kuhlau selbst keinen Bericht über
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das Treffen, aber Ignaz von Seyfried, Beethovens erster, obwohl recht fantasiereicher Biograf, erzählt folgendes (hier als Auszug wiedergegeben):
„Da der königl. dänische Concertmeister Kuhlau [wieder ein Beispiel für die Mißverständnisse, die
im Ausland über Kuhlaus Stellung in Dänemark herrschten] auf keinen Fall Wien verlassen wollte,
ohne Beethovens persönliche Bekanntschaft gemacht zu haben, so veranstaltete Herr Haslinger eine
kleine Landpartie nach Baden, woselbst jener seine Sommerresidenz aufgeschlagen hatte, und die
Herren Sellner (Professor am vaterländischen Conservatorium), der Hofclaviermacher Conrad Graf,
so wie Beethovens warmer Freund Herr Holz, waren, dem geschätzten Gaste zu Ehre, von der Gesellschaft. Kaum angelangt an Hygiea's segenspendender Heilquelle und von dem so wünschenswerthen Besuch Erwartenden freundlich mit einem derben Händedruck bewillkommnet, erscholl
nach kurzer Rast der Ruf: "Fort, fort! hinaus in's Freie!" - Voraus als Leithammel der geschäftige
Wirth und hinterdrein, nicht ohne Anstrengung dem Schnellläufer folgend, das städtische Kleeblatt,
welches recht tüchtig abzuhetzen des Commandirenden Hauptpassion war . . . Indessen bot nach
jeder überstandenen Fährlichkeit das im herrlichen Helenenthale be stellte Mittagsmahl reichliche
Entschädigung, und der Zufall, dass unsere er müdeten Wanderer gerade eben die einzigen Gäste
waren, trug wesentlich zur Erhöhung des geselligen Vergnügens bei . . . Kuhlau schrieb aus dem
Stegreif einen Canon über den Namen BACH, und Beethoven weihte dem Andenken dieses genussreichen Tages einen Kanon über den Text "Kühl nicht lau", indem er den heitern Scherz, sollte sich
dennoch vielleicht der geehrte Kunstgenosse dadurch verletzt fühlen, des anderen Tages durch bei
folgende Zeilen zu entschuldigen bemüht war: Ich muss gestehen, dass auch mir der Champagner
gestern gar sehr zu Kopf gestiegen, und ich abermals die Erfahrung machen musste, dass dergleichen meine Wirkungskräfte eher unterdrücken als befördern."
Obwohl zweifellos vieles von Seyfrieds Schilderungen freie Dichtung ist, so kann man doch die
Hauptzüge des Treffens durch Beethovens Konversationshefte bestätigen. Die beiden Kanons kennt
man auch heute. Aus den Konversationsheften geht weiterhin hervor, daß Kuhlau die privat veranstaltete Uraufführung von Beethovens Streichquartett in a-moll, op. 132 miterlebte.
Am 17. Oktober 1825 kann man in der Zeitung "Dagen" lesen, daß Kuhlau mit dem Dampfschiff
"Caledonia" nach Kopenhagen zurückgekehrt ist. Hier warteten neue Aufgaben vom Theater. Zuerst sollte er Musik zu C.J.Boyes Schauspiel "William Shakespeare" schreiben, das anläßlich des
Königs Geburtstag aufgeführt werden sollte. Kuhlaus Musik nähert sich der Natur- und Märchenstimmung, die Mendelssohn siebzehn Jahre später mit seiner Shakespeare-Musik schuf. Die Ouvertüre, die als Kuhlaus beste bezeichnet wird, wird heute oft gespielt, aber auch die übrige Musik
würde sich glänzend für eine Konzertaufführung eignen.
Danach drehte es sich um eine neue Oper, "Hugo und Adelheid", ebenso mit Text von C.J.Boye,
und diesmal zu Festlichkeiten anläßlich des Geburtstages der Königin. Das führte wieder zu untertänigen Bittschriften an den König um Kompensation für verlorene Arbeitseinnahmen - aber der
König war unbeugsam und Kuhlau mußte sich mit den üblichen 300 Rbdl. begnügen. Die Oper hatte den 29. Oktober 1826 Premiere. Nach bloß fünf Aufführungen wurde das Stück abgesetzt und nie
wieder zum Leben geweckt zu. Was hätte Kuhlau doch an herrlichen Sonaten und Kammermusik in
der Zeit schreiben können, die er für diese Oper brauchte!
9. Kuhlau in Lyngby – "Erlenhügel" und die Reise nach Schweden 1828
Im Spätsommer 1826 zog Kuhlau zusammen mit seinen Eltern nach Lyngby, 12 km nördlich von
Kopenhagen. In der schönen ländlichen Gegend konnte er in vollen Zügen die Natur genießen und
seine langen Touren mit seinem Hund Presto (sein Vorgänger hieß Allegro) gehen. An dem gesellschaftlichen Leben in der Stadt nahm er nicht mehr teil, und ins Theater kam er nun auch nur selten.
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Allen Unterricht hatte er mittlerweile aufgeben können, so daß er sich jetzt im Großen und Ganzen
auf das Komponieren konzentrieren konnte.
Von den Veröffentlichungen der nächsten folgenden Jahre sollen genannt werden die Sonaten für
Flöte und Klavier op.69, 71, 83 und 85, die drei Sonaten für Violine und Klavier op. 79, die drei
Variationswerke für Klavier über Themen von Beethoven, op.73, 74 und 75, außerdem Duos und
Trios für Flöte. Im leichteren Genre lieferte er immer noch Musik für Loses musikalisches Monatsblatt, darunter "Les Charmes de Copenhagen", op.92, ein Potpourri über bekannte Melodien, das im
Zuhörer zu Assoziationen zu den Schönheiten der dänischen Hauptstadt wachrufen sollte.
In diesen Jahren schrieb er auch die Musik, derentwegen ihn heute alle Dänen kennen: die Schauspielmusik zu Johann Ludvig Heibergs "Erlenhügel" (dän. "Elverhøj"). Der Anlaß war wieder eine
Begebenheit im Königshause, nämlich die Vermählung des späteren Königs Frederik 7. mit Frederik 6.s Tochter Wilhelmine. Die Ehe hielt nur sechs Jahre, wohingegen die Musik beinahe als unsterblich bezeichnet werden muß. Abgesehen von der falschen Annahme, daß die eingefügten Melodien dänisch seien (das wird auch auf dem Titelblatt behauptet, aber wie schon gesagt, sind die
meisten schwedisch), ist es immer noch ein verbreitetes Mißverständnis, daß die Hymne "Kong
Christian stod ved højen mast" (König Christian steht am hohen Mast), die das Schauspiel abschließt, und die seitdem als die dänischen Königshymne verwendet worden ist, von Kuhlau komponiert sei. Die Melodie ist nähmlich schon von Johann Hartmann im Singspiel "Die Fischer" von
1770 verwendet worden und wurde in den dazwischen liegenden Jahren auch für verschiedene Gelegenheitslieder oft verwendet. Selbst die Behauptung, daß Kuhlau ihr die endliche Form gegeben
habe, ist zweifelhaft, denn in dieser Form liegt die Melodie schon 1822 in einem Arrangement von
Ludvig Zinck vor, dem Herausgeber des "Musikalischen Theater-Journal".
"Erlenhügel" resultierte übrigens darin, daß Kuhlau vom König zum Titularprofessor ernannt wurde
- ein leerer Titel ohne Gage, aber auf dem Kuhlau nichtsdestoweniger sehr stolz war, da der Titel
trotz allem seinen sozialen Status anhob und er wohl auch einige Minderwertigkeitsgefühle loswurde.
Nicht weniger stolz war Kuhlau, daß er Ehrenmitglied des neuerrichteten Studentenvereins wurde.
Zu diesem Anlaß und in den folgenden Jahren schrieb er verschiedene Lieder für Männerchor, die
er dem Verein zueignete - Lieder, die auch heute noch zum Repertoire der meisten Männerchöre
gehören.
Im Jahre 1828, als "Erlenhügel" zum ersten Mal auf die Bühne kam, begab Kuhlau sich noch einmal auf eine Reise nach Schweden, diesmal zusammen mit einem Instrumentenbauer
G.D.Hashagen, der inzwischen die Rolle Anton Keypers als sein Ratgeber in praktischen Angelegenheiten übernommen hatte. Hashagen war übrigens selbst deutsch von Geburt. Daheim in Dänemark gab Kuhlau keine Konzerte mehr, aber auf dieser Reise trat er sowohl in Göteborg als auch in
Stockholm auf, wo er u.a. sein Klavierkonzert spielte. Allein unternahm er auch einen Abstecher
nach Christiania (dem heutigen Oslo), möglicherweise um Kontakt mit norwegischen Musikverlagen zu etablieren.
In Deutschland hatte er inzwischen Kontakt mit dem Verlag Schott in Mainz etabliert, der mehrere
der schon genannten Flötenwerke herausgab.
10. Die Reise nach Berlin und Leipzig 1827 – der französische Verleger
Aristide Farrenc
Im Sommer 1829 stellte Kuhlau wieder ein Gesuch an den König, um die Erlaubnis zu einer weiteren Auslandsreise zu bekommen. Das Ziel war Berlin und Leipzig, und der Zweck war, die Verbin-
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dungen zu den deutschen Musikverlagen auszubauen. In Berlin, wo kein größerer Musikverlag existierte, war der Zweck doch auch im hohen Grade, das Kulturleben in der Stadt zu genießen, und in
einem Brief nach Hause erzählt Kuhlau, daß er und Hashagen, der hn auch auf dieser Reise begleitet, hier wie im Schlaraffenland lebten. In Leipzig befreundete er sich mit C.G.S.Böhme (nicht zu
verwechseln mit dem Hamburger Verleger gleichen Namens), der gerade im Jahr zuvor den berühmten Verlag Peters übernommen hatte. Das führte dazu, daß mehrere von Kuhlaus Werken in
den folgenden Jahren bei Peters herausgegeben wurden, u.a. das Quartett für vier Flöten, op.103,
das Klavierquartett op.108 und Kuhlaus einziges Streichquartett, op.122 (die beiden letztgenannten
Werke wurden jedoch erst nach seinem Tod herausgegeben). Das Quartett für vier Flöten hatte
Kuhlau als Manuskript mit sich; man versammelte vier Flötisten, um es einmal durchzuspielen;
Böhme war begeistert und kaufte es sofort.
Auf dem Wege nach Dänemark legte Kuhlau auch einen längeren Aufenthalt in Hamburg ein, wo er
die Freunde Albert Methfessel, Gesanglehrer und Komponist, und K.A.Krebs, Kapellmeister an der
Oper, besuchte. Es war davon die Rede, daß "Lulu" in Hamburg aufgeführt werden sollte, aber daraus wurde nie etwas. Auch in Kiel besuchte er einen alten Bekannten, G.C.Apel, der Musikdirektor
an der Universität war. Von Kiel aus ging der letzte Teil der Reise wieder mit dem Dampfschiff
"Caledonia".
Man kann sich darüber wundern, was Kuhlau eigentlich an Dänemark band, wo man ihm wesentlich weniger Aufmerksamkeit widmete. Ein Teil der Erklärung kann sein, daß er auf die Eltern
Rücksicht nehmen und sie nicht noch einmal einem belastenden Umzug aussetzen wollte. Eine Bemerkung in einem Brief an die Schwester Amalie aus der Zeit nach dem Tod der Eltern deutet darauf hin, daß er tatsächlich überlegte, nach Deutschland zurückzugehen. Aber das Entscheidende war
sicher, daß Kuhlau so wenig von einem Rebellen hatte. Er beugte sich seinem Schicksal und richtete sich so ein, daß er so weit wie möglich unabhängig war von anderen und sich seiner Musik widmen konnte - und das während er seine Pfeife und ein Glas Rotwein genoß!
Kuhlaus Name war mittlerweile in ganz Europa bekannt. Aus St. Petersburg bekam er 1829 von
einem wohlhabenden Kaufmann namens Witkowski eine Bestellung für ein Klavierquartett. Es
handelt sich um op.108, das, wie schon oben gesagt, bei Peters herausgegeben wurde. Aber größere
Bedeutung bekam es, daß er nun auch einen besonders entgegenkommenden Verleger in dem französischen Aristide Farrenc gefunden hatte. Mehrere von Kuhlaus Werken aus seinem letzten Lebensjahr wurden in diesem Verlag erschienen, wobei es jedoch in mehreren Fällen sogenannte Parallelausgaben sind, wo Farrenc die Rechte für Frankreich erwarb, während beispielsweise Peters
die Rechte für Deutschland bekam. Es war eben die Zeit, in der endlich geordnete Verhältnisse in
das Verlagswesen einzuziehen begannen. Bis dahin konnte man ohne Risiko eines Gerichtsverfahrens frei Anderer Ausgaben kopieren - Nachdrucke aber auch "Raubdrucke" genannt! Es gab übrigens auch Pläne, eine von Kuhlaus Opern in Paris aufzuführen, und Kuhlau begann, über eine Reise
nach Paris zu reden, aber wie wir gleich sehen werden, wurde diesen Vorhaben ein effektives Ende
bereitet.
Am Ende des Jahres 1829 besuchten mehrere ausländische Berühmtheiten Kopenhagen, darunter
die Sängerin Anna Milder-Hauptmann, die Kuhlau bei seinem Besuch in Berlin im selben Jahr kennengelernt hatte, und die Komponisten Anton Fürstenau und Ignaz Moscheles. Fürstenau war allerdings schon 1823 Gast in Kopenhagen gewesen, und obwohl er mit Kuhlau als Flötenkomponist
konkurrierte, entstand eine warme Freundschaft zwischen den beiden - Neid oder Brotneid lagen
Kuhlau fern. Moscheles, der damals in London lebte, wohnte während seines Besuches der privaten
Uraufführung des Klavierquartettes op.108 und einer Aufführung von "William Shakespeare" im
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Theater bei. Für das letztgenannte begeisterte er sich so, daß er eine Aufführung in London arrangieren wollte - aber auch daraus wurde nichts.
11. "Das Schicksal hört noch nicht auf mich zu verfolgen!"
"Das Schicksal hört noch nicht auf mich zu verfolgen!" Hinter diesem Ausruf, der in einem von
Kuhlaus Briefen an seinen neuen Verleger Farrenc in Paris zu lesen ist, versteckt sich eine Katastrophe, die alles für Kuhlau zerstörte. Am 5. Februar 1831 brach im Nachbarhaus in Lyngby ein Brand
aus, und in weniger als einer Viertelstunde stand auch Kuhlaus eigenes Haus in Flammen. Sehr wenig konnte gerettet werden, und das Schlimmste war, daß alle seine Manuskripte verloren gegangen
waren, darunter viele noch nicht veröffentlichte Werke. Unter diesen war sein 2. Klavierkonzert in
f-mol, welches er und seine Schüler oft gespielt haben und das von den zwei Klavierkonzerten Kuhlaus das beste gewesen sein soll.
Schon im Jahr davor hatte das Schicksal an die Tür geklopft: Kuhlaus Eltern waren gestorben - aber
damit mag er, nüchtern betrachtet, auch von einer Bürde erleichtert worden sein. Inzwischen hatte
die Schwester Amalie, die sonst in Leipzig lebte, den Haushalt übernommen (die andere Schwester
wohnte immer noch in Aalborg), und u.a. aus ihren Briefen haben wir eine recht gute Kenntnis von
Kuhlaus letztem Lebensjahr. Sie erzählt, wie er nach dem Brand Brustkrämpfe bekam, ins Krankenhaus eingewiesen werden mußte und lange zwischen Leben und Tod schwebte. Schon seit langem hatte er an schwerem Husten gelitten, und wir müssen vermuten, daß er im Grunde Asthma
hatte.
Als Kuhlau mit der Zeit wiederhergestellt war, bot ihm der Kronprinz Christian Frederik Zimmer
im Schloß Sorgenfrei an, aber Kuhlau hatte keine Lust, dort zu wohnen. Statt dessen zog er vor,
wieder zurück in die Stadt zu ziehen, wo er eine Wohnung in Nyhavn (Neuhafen) mietete. Was aber
den König betrifft, erzählt Weyse in einem Brief: "Der arme Kuhlau hat bei einem Brand in Lyngby
alles verloren, was er hatte, sogar alle seine Manuskripte, von denen einige nicht gedruckt waren.
Ich habe mir große Mühe gegeben, bei dem König eine Erlaubnis zu erwirken, dass eine seiner Opern zu einem Benefize gespielt würde; aber der König hat mit Nein geantwortet, das wäre unmöglich, weil das gegen die Regeln verstieße." Und über die Geldsammlung, die Weyse außerdem initiiert hatte, heißt es im gleichen Brief, daß einer der reichsten Männer der Stadt, der Konferenzrat
Bruun, in dessem Haus Kuhlau früher oft gespielt hatte, "sehr großzügig gewesen" sei, denn "nachdem er tüchtig mir und Kuhlau geschimpft hatte, ging er zum Sekretär und gab mir zwei, schreibe:
zwei Reichstaler in Noten statt zwei Karten. Oh, edler, edler Mann!" Die zwei Karten weißen auf
einem Benefizkonzert hin, in dem Weyse auch einbezogen war.
Das harte Schicksal änderte jedoch Kuhlaus positive Lebenseinstellung nicht. In einem Brief an
seinen Bruder Andreas in Leipzig schreibt er: "Erinnerungen an genossene Freuden muß man festzuhalten wissen, aber überstandene Leiden soll man keines Rückblicks mehr würdigen."
Im Sommer desselben Jahres bekam Kuhlau von dem Kopenhagener Weinhändler und Kunstmäzen
Waagepetersen einen Auftrag für sechs Streichqartette. In dieser, der Kammermusik edelster Gattung, hätte er schon längst gern geübt, doch das war bestimmt keine Musik, nach der die Verleger
Schlange standen, um sie herauszugeben. Waagepetersen wollte ihn jedoch nicht nur "sehr generös", honorieren, wie Kuhlau es selbst ausdrückte, sondern er wollte auch für den Druck sorgen.
Aber wieder griff inzwischen das Schicksal ein, indem er es nur schaffte, eines der Streichquartette
fertigzustellen.
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Von Farrenc in Paris kam die gute Neuigkeit, daß er in Zukunft von Kuhlau ausschließlich größere
Kompositionen herausbringen wolle, und als erste bestellte er u.a. einige Trios für Violine, Cello
und Klavier, eine Musikgattung, mit der Kuhlau sich auch seit langem gern beschäftigt hätte. Aber
auch diesen Plan durchzuführen verhinderte ihm das Schicksal.
Von einem Kaufmann Scherres in Königsberg nahm er eine Bestellung entgegen für weitere drei
Quintette für Flöte und Streicher (also ein Pendant zu op.51), und Moscheles Versprechen, ein gutes
Wort in England für Kuhlau einzulegen, begann auch Frucht zu tragen. Schon vor dem Brand war
Kuhlau mit dem englischen Verleger Wessel in Verbindung getreten, und in den englischen Zeitschriften wurde seine Musik in höchsten Tönen gelobt. Es war Wessel, der das Trio für zwei Flöten
und Klavier op.119 bestellte, und da auf dem Titelblatt "Premier Grand Trio" steht, müssen wir
vermuten, daß die Bestellung mehrere Trios umfaßte. Auch dem schob das Schicksal einen Riegel
vor; nicht einmal den Druck des ersten Trios schaffte Kuhlau noch zu erleben.
12. Kuhlaus Tod und Nachruf
Aber gerade, als viele seiner Träume in Erfüllung zu gehen schienen, traf ihn das Schicksal mit einem letzten entscheidenden Schlag. Wir kennen nicht die näheren Umstände seines Todes, aber am
13. März 1832 schreibt Amalie an Andreas in Leipzig: "Ach Gott, wo soll ich anfangen, dir die
Leiden zu schildern, die uns abermals betroffen haben. Er ist nicht mehr, unser guter Bruder Fritz,
nach 14 tägiger Krankheit und hartem Kampf schlief er gestern Abend um drei Viertel auf Acht
sanft und ruhig ein."
Das Begräbnis fand in der deutschen St. Petri Kirche statt. In einem Zeitungsreferat hieß es u.a.:
"Der Leichenzug war äußerst lang und bestand zum großen Teil aus der Königlichen Kapelle und
Theaterangestellten, sowohl auch aus einer großen Anzahl Studenten, insbesondere vom Studentenverein, dessen Ehrenmitglied der Verstorbene gewesen war."
Später wurde Kuhlaus Leiche auf den Assistenz Friedhof in Nørrebro überführt, unweit seiner früheren Wohnung. Ein kleiner Kreis von Freunden sammelte für eine Gedenktafel, aber das ging sehr
langsam voran, und es endete nur mit einem gewöhnlichen Grabstein, in den man jedoch ein paar
Jahre später ein Marmorrelief einsetzte..
Das offizielle Dänemark hat keine andere Denkmäler errichtet als die Porträtbüste, die sich im Foyer des Königlichen Theaters befindet. Abgesehen von ihr und dem Grabstein gedenkt man seiner
nur in Form der privat angebrachten Tafel am Hause Nyhavn nr. 23. Diese erzählt lapidar, daß hier
Kuhlau, der Komponist von "Erlenhügel", gewohnt hat!
Sein persönliches Eigentum wurde ein paar Monate nach dem Begräbnis verkauft. Aus dem Auktionsverzeichnis geht hervor, daß sich darunter trotz allem ein Teil nicht näher angegebene Manuskripte befanden. Aber abgesehen davon, daß diese im Auktionsverzeichnis geringer eingeschätzt
wurden als ein paar unbeschriebene Bögen Notenpapier, sind die meisten der Manuskripte anscheinend in alle Winde verstreut und seitdem verschwunden. Unter den geretteten sind das Streichquartett und eine "Grande Sonate", die Kuhlau schon vor 1820 vergeblich mehreren Verlegern angeboten hatte. Diese, eine von Kuhlaus allerbesten Sonaten, wurde nun gemeinsam von Lose und Farrenc als op.127 herausgebracht (Kuhlau hatte ursprünglich die Sonate als op.16 bezeichnet).
Um die Zeit von Kuhlaus Tod stand eine neue Epoche vor der Tür, die Romantik. Die kann man
schon an manchen Stellen bei Kuhlau spüren, und hätte das Schicksal ihm eine längere Lebenszeit
gewährt, hätte er ohne Zweifel in dieser Richtung fortgesetzt und würde heute als ein Komponist
bezeichnet werden, der diese neue Richtung einleitete. Der Spruch, den der Dichter Grillparzer auf
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Schuberts Grabstein setzte, könnte mit ebenso gutem Recht auf Kuhlaus gestanden haben: "Der Tod
begrub hier einen reichen Besitz, aber noch schönere Hoffnungen".
Mittlerweile hatte die neue Zeit genug in sich selbst. Nun waren es Mendelssohn, Schumann und
Chopin, die man spielte, dazu noch eine Menge Komponisten, die heute für die meisten von uns
unbekannt sind. Aber daß sie unbekannt sind, bedeutet nicht unbedingt, daß sie schlecht sind. Unsere Zeit ist u.a. gekennzeichnet von einem enormen Interesse für "vergessene Komponisten" - ein
Interesse, das die Schallplattenindustrie auszunutzen verstand. Das ist auch Kuhlau zugute gekommen - siehe den Menüpunkt Discographie!
Besonders die Klaviermusik, Flötenmusik und Kammermusik sind aus dem Dornröschenschlaf erweckt worden sind, und das waren wohl auch die Musikgattungen, mit denen sich Kuhlau am meisten identifizierte. Daß seine Zeit ihn mehr als Opernkomponist verstand, erklärt sich von dem
"Glamour", der zu allen Zeiten diese Musikform umgeben hat. Das Theater war der Ort, wo man
sich traf, und das neueste Schauspiel oder die neueste Oper waren das, worüber man sprach; aber in
den meisten Fällen waren diese auch schnell wieder vergessen. Wenn die Versuche unserer Zeit,
einige von Kuhlaus Opern wieder zum Leben zu erwecken, ebenso wenig erfolgreich sind, so muß
die Ursache doch in den schwachen Texten gesehen werden, die er in Musik umsetzen sollte. Der
Grund war auf jeden Fall nicht, daß Kuhlau sich nicht für dieses Genre interessierte, und kurz vor
seinem Lebensende äußerte er tatsächlich den Wunsch, eine Oper nach eigener Wahl zu schreiben.
Carl Thrane, Kuhlaus erster Biograph, rundet seine Schilderung von 1875 mit den Worten ab: "Das
ist unser Stolz und unsere Freude, daß diese edle und reine Künstlernatur seine Bleibe in Dänemark
fand und daß er seine besten Lieder von Dänemark bekam". Das offizielle Dänemark hat aber weder früher noch später Kuhlau die Anerkennung zuteil werden lassen wie sie z.B. Weyse, Hartmann,
Gade und Carl Nielsen zuteil wurden. Aber sollte es geschehen, so lieber in Form einer Bewilligung
zur Neuherausgabe seiner Musik als in Form eines Monumentes!
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