Danke ich Gott, dass ich ein Preuße bin.

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Friedrich300 - Studien und Vorträge
"…Danke ich Gott, dass ich ein Preuße bin."
Nationale Identifikation und Historienmalerei in Preußen
Agnete von Specht
Abstract
Der Aufsatz ruft ein weitgehend verdrängtes Kapitel der Geschichte der Nationalgalerie in Berlin als
Teil des kulturellen Erbes des deutschen Föderalismus in Erinnerung. Es wird gezeigt, dass die
gegenwärtige Tendenz, die Berliner Nationalgalerie als Deutsche Nationalgalerie zu etablieren, aus
ihrer Entstehungsgeschichte nicht abgeleitet werden kann. Die Geburt eines preußisch-deutschen
Vaterlandes war während des Siebenjährigen Krieges in der Literatur erfolgt. Um 1800 nutzte Friedrich
Wilhelm III. das Forum der Akademie-Ausstellungen, um in Preußen mithilfe der Historienmalerei eine
vom Reich unabhängige historiographische Tradition im öffentlichen Bewusstsein zu verankern. Das
Bewusstsein partikularer Staatlichkeit erwies sich in den folgenden Jahrzehnten auch bei der
Umsetzung aller Pläne, für die zeitgenössische Kunst Museen zu errichten, als bestimmender Faktor
und prägte im Bereich der Historienmalerei auch nach der Reichsgründung die staatliche
Ankaufspolitik der königlich preußischen Nationalgalerie.
<1>
I. Die Geburt des preußischen Vaterlandes im Siebenjährigen Krieg und
die frühe patriotische Malerei
"Die Griechen glaubten, nicht ohne guten Grund, daß die Vorstellungen ihrer Götter und
Helden, zur Unterstützung der Religion und des patriotischen Eyfers sehr dienlich seyen;
und die römische Kirche, der gewiss Niemand eine höchst feine Politik zur Unterstützung
ihrer Lehr und ihrer Hierarchie absprechen wird, braucht die Gemälde ihrer Legenden mit
großem Vortheil. .... Sollte nicht jeder, wenigstens freye Staat, in dem die schönen Künste
einmal eingeführt worden, öffentliche Tempel oder Porticos haben, die dem Andenken der
größten Männer des Staats gewidmet wären....? Sollten nicht da die Bilder und die Thaten
dieser Männer zur Nacheyferung auf das Vollkommenste gemahlt seyn?" 1
Dieses Plädoyer für eine neue patriotische Historienmalerei findet sich im Eintrag zur Malerei in der
1771-1774 erschienenen Enzyklopädie Allgemeine Theorie der schönen Künste, die erstmals im
deutschen Sprachraum die Maximen der Aufklärungsästhetik lexikalisch zusammenfasste und
systematisch darstellte. Ihr Verfasser Johann Georg Sulzer (1720-1779) nahm als prägende Gestalt
der europäischen Aufklärung entscheidenden Einfluss auf die wichtigen Debatten in Berlin, wo
zwischen 1750 und 1770 ein intellektuelles Zentrum der Aufklärung in Deutschland entstand. Die
Ausführungen zur Historienmalerei folgten im Wesentlichen der zeitgenössischen französischen
Akademiedoktrin, die, ausgehend von der Grundüberzeugung, dass Historienbilder eine erzieherische
Wirkung ausüben sollten, ergänzend zur Tugendlehre die sentiments patriotiques lehrte. Während sich
in England und Frankreich die von der Aufklärungsästhetik propagierte Historienmalerei neuartigen
1
Johann Georg Sulzer: Allgemeine Theorie der schönen Künste, in einzeln, nach alphabetischer Ordnung der
Kunstwörter auf einander folgenden, Artikeln abgehandelt, Leipzig 1771-1774, Zweyter theil von K bis Z., 733.
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vaterländischen Zuschnitts in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts schon etabliert hatte, existierte
in Deutschland keine gleichrangige Parallele zur englischen und französischen Historienmalerei. Das
erwachende Bedürfnis nach nationaler Identifikation artikulierte sich vielmehr nahezu ausschließlich in
Publizistik und Dichtung, wobei Begriffe wie Vaterland, Vaterlandsliebe, Patriotismus oder Nation
territorial wie verfassungsmäßig höchst widersprüchlich bestimmt waren und sich auf die Heimatstadt,
ein Landesfürstentum oder das Reich beziehen konnten. 2
<2>
Den entscheidenden Katalysator für das Entstehen eines spezifisch preußischen Patriotismus, der
nicht mehr mit dem Reich identifiziert werden kann und gegen Ende des Jahrhunderts auch in der
Historienmalerei Ausdruck fand, bildete der während des Siebenjährigen Krieges aufflammende
Vaterlandsdiskurs. Er formte einen wichtigen Faktor innerhalb des "Kriegs mit der Feder", der die
Kämpfe zwischen der preußischen und englischen Armee auf der einen und den Truppen Österreichs,
Frankreichs, Russlands, Schwedens und des Reiches auf der anderen Seite begleitete und von
seinen Protagonisten in Staats- und Flugschriften, Siegespredigten, Kriegsgedichten, Soldatenliedern
und Heldenepen ausgefochten wurde.
<3>
In Publizistik und Dichtung kristallisierte sich das neue Identifikationsmuster des monarchischen
Landespatriotismus preußischer Prägung heraus, das an Feststellungen wie "Ich verstand und
verstehe unter meinem Vaterland kein anderes Land, als die Mark Brandenburg in allen Verbindungen
mit allen Provinzen, die unter dem Scepter meines Königs stehen" 3 ablesbar ist. Ein solches
Selbstverständnis als "Nationalbrandenburger" war mit einem Absolutheitsanspruch gepaart, der den
bestehenden Verfassungsrahmen des Alten Reiches gänzlich ignorierte:
"dem Sachsen ist Sachsen sein Vaterland. – Der Hesse versteht dieses von Hessen. – Der
Britte von Brittanien. – Der Oesterreicher von Oesterreich, und so rund umher und aller
Orten ist dieses bey alen nationen der sensus communis in diesem Fall und Verhältniß. Ich
verstand es also, und ich hatte recht, und habe recht, es nicht anders zu verstehen. Denn
ich bin ein Nationalbrandenburger, und durch viele Geschlechter strömet das
brandenburgische Blut durch mein Herz." 4
2
Hans-Martin Blitz: Aus Liebe zum Vaterland. Die Deutsche Nation im 18. Jahrhundert, Hamburg 2000, 196.
3
Neue patriotische Sendschreiben oder Beyträge zu des Herrn Inspectors Ortmanns patriotischen Briefen in
welchen die Umstände und Folgen der gegenwärtigen Kriegszeiten aus dem prophetischen Wort Gottes
beleuchtet werden, Sendschreiben 1-6. 7 u. 8. 9 u. 10, Halle 1758, 26-27, zitiert nach Blitz: Aus Liebe zum
Vaterland (wie Anm. 2), 195.
4
Adolph Dietrich Ortmanns Inspectors zu Belitz Patriotische Briefe zur Vermahnung und zum Troste bey dem
jetzigen Kriege, Teile 1-3, Berlin 1758, zitiert nach Blitz: Aus Liebe zum Vaterland (wie Anm. 2), 195.
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<4>
Das Eigenbewusstsein partikularer Staatlichkeit, das sich während des Siebenjährigen Krieges so
großer Beliebtheit erfreute, ist untrennbar mit dem Personenkult um Friedrich II. als personifizierte
Imagination eines allmächtigen, weil militärisch siegreichen Vaterlandes verbunden. 5 So stilisierten die
preußischen Pfarrer in ihren Siegespredigten, die gedruckt als Propagandamaterial Einsatz fanden,
die preußischen Kriegserfolge als gottgewollt und Friedrich II. zum protestantischen Heiligen.
Vergleiche des preußischen Königs mit dem alttestamentarischen König David oder die Gleichsetzung
des Sieges bei Leuthen mit dem mosaischen Zug durch das Rote Meer sorgten für eine folgenreiche
Aufwertung Preußens zum "auserwählten Volk":
"Er, der Herr, der Allerhöchste, habe sich dies Land zu seinem besonderen Augenmerck, und
uns selbst zu seinem besonderen Volck erwehlt, und [...] so wolle er nun auch, dass wir als
sein auserwehltes Volck im Lichte vor ihm wandeln, ihm durch unsre Aufführung Ehre
machen und also die Tugend des, der uns beruffen hat, verkündigen." 6
<5>
Die Initialzündung für die erfolgreiche Konstruktion eines vom Reich losgelösten preußisch-deutschen
Vaterlandes stellte der doppelte Sieg Friedrichs II. über Franzosen und Reichsarmee bei Roßbach am
5. November 1757 dar. Die Niederlage der Franzosen erweckte – in Reaktion auf die etwa ein halbes
Jahrhundert zurückliegende französische Hegemonialpolitik Ludwigs XIV. – alte antifranzösische
Ressentiments, die es erlaubten, "über die Abgrenzung vom verhassten Fremden ... das eigene nicht
nur als preußisch, sondern als 'deutsch' zu bestimmen".7 Ebenso gestattete die Betonung des
zwischen den kriegführenden Mächten bestehenden konfessionellen Gegensatzes die Ausweitung
des preußischen zum deutschen Vaterland, wenn die Propagandaschriften das Ringen Preußens um
seine Großmachtstellung als Religionskrieg zur Verteidigung der protestantischen Gewissensfreiheit
bzw. als Kampf des Protestantisch-Göttlichen gegen das Katholisch-Teuflische rechtfertigten. Generell
zeigte sich in den patriotischen Äußerungen der Parteigänger Friedrichs II., anders als bei den
Vertretern des Reichspatriotismus, ein erhebliches, den Nationalismus des 19. Jahrhunderts
vorwegnehmendes Aggressionspotenzial, denn "nur im Kontrast zum Feindbild gewann das Selbstbild
aussagekräftige Züge".8
<6>
Eine wichtige Rolle bei der Etablierung einer preußisch-deutschen Identität spielte insbesondere die
literarische Entdeckung des 'Vaterlandes'. Einblicke in die thematische Präsenz von Vaterland, Krieg
5
Vgl. hierzu Blitz: Aus Liebe zum Vaterland (wie Anm. 2), 175ff.
6
Johann Christoph Böhmen: Danck-Feste für den bey Prag, den 6ten May 1757 von dem Preußischen Herr
erfochtenen grossen Sieg, Berlin o.J., 19, zitiert nach Blitz: Aus Liebe zum Vaterland (wie Anm. 2), 179.
7
Blitz: Aus Liebe zum Vaterland (wie Anm. 2), 206.
8
Blitz: Aus Liebe zum Vaterland (wie Anm. 2), 206.
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und Dichtung ab 1756 gewährt die langjährige Korrespondenz führender Köpfe der Berliner
Aufklärungsgesellschaft, wie Gotthold Ephraim Lessing, Moses Mendelssohn und Friedrich Nicolai,
mit den bedeutendsten Vertretern der einflussreichen anakreontischen Lyrik wie Johann Wilhelm
Ludwig Gleim oder Karl Wilhelm Ramler.9 Der Briefwechsel belegt eindrücklich, wie stark hinter dem
Engagement für den Krieg des preußischen Königs auch Karrierehoffnungen und marktstrategisches
Kalkül standen und wie zielgerichtet Ramler und Gleim angesichts des anfänglichen Kriegsglücks
Friedrichs II. sich mit Blick auf die schnell anschwellende Produktion von Flugschriften zur
Parteinahme entschlossen.10 Bewusst verglichen sie ihre vaterländischen Dichtungen mit den Waffen
der Soldaten. Dem Erfolg der "Militarisierung" der Literatur zollte auch der Staatsrechtler Friedrich Karl
von Moser, der im Dienst der Reichspublizistik stand, unmittelbar nach Beendigung des Krieges
Anerkennung, als er feststellte, dass "die preußischen Publizisten der neusten Generation ... alle
anderen ebenso (übertrafen), wie das Manöver der preußischen Armee die Kunst der alten
Bogenschützen".11
<7>
Vor allem Johann Wilhelm Ludwig Gleims Grenadierlieder,12 aber auch das berühmte patriotische
Traktat Vom Todt fürs Vaterland von Thomas Abbt13 stellen Marksteine bei der im Friedrich-Mythos
verankerten Konstruktion eines von Preußen ausgehenden protestantischen Deutschlands dar. Die
poetische Friedrich-Panegyrik des Siebenjährigen Krieges verband dabei die herkömmlichen
Heroisierungen des Fürstenlobes mit der Projektion eines Königs mit bürgerlichen Tugenden, der
Seite an Seite mit seinen Soldaten kämpft und dessen Handeln von väterlichem Wohlwollen und
Mitgefühl für sie geleitetet wird. Das Herrschaftsverhältnis des Ancien Régime wurde so im Sinne
bürgerlicher Geltungs- und Emanzipationsansprüche abgemildert und zur Vaterlandsgemeinschaft
umgedeutet:
"Der Landesvater Friederich
Ist Held in großem Sinn!
Ich bin ein Preuße, froh bin ich, Daß ich ein Preuße bin!" 14
9
Blitz: Aus Liebe zum Vaterland (wie Anm. 2), 201.
10
Blitz: Aus Liebe zum Vaterland (wie Anm. 2), 209.
11
Wolfgang Burgdorf: Rezension von Hans-Martin Blitz: Aus Liebe zum Vaterland. Die Deutsche Nation im 18.
Jahrhundert, Hamburg 2000, in: PERFORM 1 (2000), Nr. 5. URL:
http://www.sehepunkte.de/perform/reviews.php?id=56 <9.10.09>.
12
Preussische Kriegslieder in den Feldzügen 1756 und 1757. Zweite erweiterte Auflage um Der Grenadier an die
Kriegsmuse nach dem Siege bey Zorndorf den 25. August 1758, in: Preussische Kriegslieder von einem
Grenadier von J.W. L. Gleim, hg. von August Sauer, Heilbronn 1882.
13
Thomas Abbt: "Vom Todt fürs Vaterland" 1761, in: Johannes Kunisch: Aufklärung und Kriegserfahrung,
Klassische Zeitzeugen zum Siebenjährigen Krieg, Frankfurt a. M. 1996, 189-588.
14
Johann Wilhelm Ludwig Gleim: Lied am Geburtstag des Königs, in: J.W.L. Gleim 's sämmtliche Werke. Erste
Originalausgabe durch Wilhelm Körte, Halberstadt 1811, Bd. 4., 85.
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<8>
Gleichzeitig erlaubte es die Verklärung und Popularisierung des Heldentodes, die nach dem Tod
Ewald von Kleists (1715-1759) in der Schlacht bei Kunersdorf einsetzte, die friderizianischen Kriege in
einen vaterländischen Volkskrieg umzumünzen, der den heroischen Einsatz des einzelnen Soldaten
erforderte und ihm, nicht nur den adeligen Offizieren, gemäß den bürgerlichen
Emanzipationsbestrebungen, einen Platz "im imaginären Pantheon der Nation" sicherte. 15
<9>
Die durch den Siebenjährigen Krieg ausgelöste öffentliche Debatte über das Vaterland mündete
schließlich in einen großen nationalen Diskurs ein, als 1766 "eine der aufsehenerregendsten
deutschen Flugschriften des 18. Jahrhunderts" (Burgdorf), die von Karl Friedrich von Moser verfasste
Abhandlung Von dem deutschen Nationalgeist erschien.16 Mosers von deutschem
Nationalbewusstsein im modernen Sinne getragene Vision einer geeinten und mächtigen
Reichsnation veranlasste die Gelehrten Deutschlands in dem durch den Siebenjährigen Krieg
ausgelösten fundamentalen Konflikt zwischen Reichs- und Landesidentität grundsätzlich Stellung zu
beziehen und die Frage zu beantworten "Sollte das Reich oder sollten die Territorien des Reiches, z.
B. Preußen, der Bezugsrahmen sein, in dem sich die Einwohner als Nation konstituierten?" 17
<10>
Wie stark die Impulse waren, die in literarischer Hinsicht von den friderizianischen Kriegen für die
Konstruktion eines preußischen Deutschlands ausgingen, hat Goethe 1811 rückblickend zum
Ausdruck gebracht: "Die Preußen und mit ihnen das protestantische Deutschland gewannen also für
die Literatur einen Schatz, welcher der Gegenpartei fehlte und dessen Mangel sie durch keine
nachherige Bemühung hat ersetzen können."18 Die Malerei nahm hingegen zunächst keinen
vergleichbaren Part im Vaterlandsdiskurs ein, "wie überhaupt für die bildende Kunst in Preußen eine,
15
Kleists glühender Patriotismus kommt etwa in "Ode an die preußische Armee" zum Ausdruck:
"Unüberwundenes Heer! Mit dem Tod und Verderben/ In Legionen Feinde dringt,/ Um da der frohe Sieg die
güldnen Flügel schwingt/ O Heer! bereit zum Siegen oder Sterben...", zitiert nach Blitz: Aus Liebe zum Vaterland
(wie Anm. 2), 401.
16
Friedrich Karl von Moser: Von dem deutschen Nationalgeist, 2. Aufl., Frankfurt a. M. 1766 [Neudruck Selb
1976].
17
Wolfgang Burgdorf: Nationales Erwachen der Deutschen nach 1756. Reichisches gegen territoriales
Nationalbewusstsein. Imitation eines Schweizer Vorbildes oder Inszenierung des kaiserlichen Hofes?, in: Marco
Bellabarba / Reinhardt Stauber (Hg.): Territoriale Identität und politische Kultur in der Frühen Neuzeit, Berlin 1998,
109-132, hier: 111. Den Begriff nationales Bewusstsein erläutert Burgdorf dort folgendermaßen: " Mit nationalem
Bewusstsein ist hier ein Bewusstsein gemeint, das auf aktive Partizipation an den politischen Angelegenheiten
der Nation zielt. Partizipation konnte in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts durch das Medium der Publizistik
oder durch eine verfassungsmäßige Vertretung zustande kommen. Immanuel Kants Vorstellung einer
republikanischen Staatsverfassung und einer repräsentativen Regierung, wie sie in seinem Traktat "Zum ewigen
Frieden" von 1795 zu finden ist, kam ohne verfassungsmäßige Volksvertretung, nicht jedoch ohne Publizistik
aus."
18
Johann Wolfgang von Goethe: Dichtung und Wahrheit, 7. Buch, zitiert nach Kunisch: Aufklärung und
Kriegserfahrung (wie Anm. 13), 742.
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soweit wir sehen, gänzliche Enthaltsamkeit von aktuellen Themen zu bemerken ist". 19 Diese Abstinenz
hatte mehrere Gründe. Zu nennen ist der Niedergang der Akademie seit dem Tod Friedrichs I. (1713).
Während der Regierungszeit des Soldatenkönigs und Friedrichs II. führte sie ein Schattendasein, das
die Entwicklung des künstlerischen Lebens in Berlin stark beeinträchtigte. Jahrzehntelang unterblieb
die Berufung und Heranbildung von Malern, und es bestand im Unterschied zu den Metropolen
London und Paris in Berlin keine dem französischen Salon vergleichbare Möglichkeit zur Präsentation
von zeitgenössischen Werken in einer repräsentativen Leistungsschau der Akademie. Die Künstler
waren deshalb weitestgehend vom Hof abhängig, für öffentlichkeitswirksame Szenen aus der
brandenburgisch-preußischen Geschichte, die kunstpädagogischen Maximen der Aufklärung
Rechnung trugen, interessierte sich Friedrich II. jedoch ebenso wenig wie für eine glorifizierende
Darstellung seiner Taten all 'antica.
<11>
Umso bemerkenswerter ist daher das Engagement des Malers Bernhard Rode für eine patriotische
Kunst und seine "kaum zu überschätzende Leistung im Erschließen neuer Themen". 20 Rode, der mit
der Berliner Aufklärungsgesellschaft eng vernetzt war – ihn verband eine enge Freundschaft mit
Ramler –, begann 1757 an einem Zyklus von Historienbildern zur brandenburgisch-preußischen
Geschichte zu arbeiten. Ausgangspunkt waren die Mémoires pour servir à l 'histoire de la Maison de
Brandenbourg Friedrichs II., die seit 1751 in kleinster Auflage als illustrierte Prachtausgabe vorlagen.
Sie besaßen nicht allein im Kontext des eigenstaatlichen Profilierungsprozesses BrandenburgPreußens Bedeutung in außenpolitischer Hinsicht, sondern begründeten mit ihrem Themenkanon
auch eine Identität stiftende Bildtradition, die in Rodes 1763 fertiggestellter Folge erstmals wirksam
wurde. Seine finanzielle Unabhängigkeit verschaffte Rode dabei den nötigen Spielraum, um trotz des
Todes eines möglichen Auftraggebers, des Thronfolgers August Wilhelm (1722-1758), den Zyklus
vollenden zu können. Rodes patriotische Bemühungen blieben jedoch ohne Resonanz. Die 14
Gemälde erwiesen sich als unverkäuflich, da zu ihrer Entstehungszeit das Interesse an
nichtallegorischen Geschichtsdarstellungen noch nicht weit genug entwickelt war und Ende der
1780er Jahre Rodes flüchtige Malweise – Schadow sprach von "gleichsam hingezaubert" 21 – konträr
zum klassizistischen Stilideal war. Kenntnis von zwölf der verschollenen Kompositionen geben die
Stiche von Johann David Schleuen nach Zeichnungen von Daniel Chodowiecki, die 1769 als
Illustrationen zum Genealogischen Almanach erschienen; außerdem hat Rode einzelne
Kompositionen in den 1780er Jahren in größeren Radierungen vervielfältigt. 22
19
Helmut Börsch-Supan: Vaterländische Kunst zu Beginn der Regierungszeit Friedrich Wilhelms III., in: Aurora,
Jahrbuch der Eichendorff-Gesellschaft 39 (1979), 79-100, hier: 91.
20
Börsch-Supan: Vaterländische Kunst (wie Anm. 19), 87.
21
Johann Gottfried Schadow: Kunstwerke und Kunstansichten, Berlin 1849, hg. und kommentiert von Götz
Eckardt, Berlin 1987, Bd. I, 8 (10).
22
Vgl. Börsch-Supan: Vaterländische Kunst (wie Anm. 19), 87; Frank Büttner: Bernhard Rode – ein Künstler der
Aufklärung, in: Ausstellungskatalog: Kunst im Dienst der Aufklärung, Radierungen von Bernhard Rode (17251797) mit einem Gesamtverzeichnis aller Radierungen des Künstlers im Besitz der Graphischen Sammlung der
Kunsthalle zu Kiel, 17. Dezember 1986 – 18. Januar 1987, Kiel 1986, 8-14; Rainer Michaelis: Fridericiana.
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<12>
Dass Rode – inspiriert von Ramler, Gleim und Abbt – zielgerichtet ihrem Beispiel folgte und einen
patriotischen Beitrag in seinem eigenen Metier leistete, legen seine großen allegorischen Gemälde
zum Gedenken der "im Kampf gefallenen Helden" Schwerin, Winterfeldt, Kleist und Keith in der
Berliner Garnisonkirche nahe. Sie entstanden 1761/62 zeitgleich mit Thomas Abbts Traktat Vom Tode
fürs Vaterland im Kontext der literarischen Mythisierung von Vaterland, Tod und Verlust, wobei Rode
drei der Ehrenmäler als eigene Stiftung malte, während das Gedächtnisbild für Ewald von Kleist,
dessen tödliche Verwundung in der Schlacht bei Kunersdorf (1759) "den künstlerischen und
literarischen Kreisen Berlins besonders nahe ging",23 von Gleim bezahlt wurde. Im Rückblick auf die
Regierungszeit Friedrichs II. hob Balthasar König, der Chronist Berlins, dann auch folgerichtig Rodes
ungewöhnlichen persönlichen Einsatz als markantes Ereignis des Jahres 1761 hervor:
"So erschien in diesem Jahr die bekannte Schrift, vom Tode für 's Vaterland, ... Fast zur
gleichen Zeit errichtete der hiesige berühmte Maler B. Rode denen im Kampf gefallenen
Helden ... Denkmäler seiner Meisterhand in hiesiger Garnisonkirche, wodurch er sich nicht
allein ein wirkliches wesentliches Verdienst erwarb, sondern auch auf eine sehr
eindrucksvolle Art seine Vaterlandsliebe äußerte, und die lebende und folgende Staatsbürger
aufforderte, das Gedächtnis von Männern zu verehren, welche ihr Blut für das gemeine Wohl
vergossen hatten."24
II. Vaterländische Kunst auf den frühen Akademie-Ausstellungen
<13>
Die Reorganisation der Akademie der Künste im Jahr 1786, die noch wenige Monate vor dem Tod
Friedrichs II. mit der Berufung des preußischen "Wirtschaftspolitikers" Freiherrn von Heinitz zum
Kurator der Akademie in die Wege geleitet wurde, veränderte das kunstpolitische Koordinatensystem
Brandenburg-Preußens grundlegend. Dem Zeitgeist gehorchend sollte die Kunst nicht mehr wie bisher
im Dienst der Repräsentationsbedürfnisse des Herrschers stehen, sondern einen Beitrag zum
Gemeinwohl leisten, das auch wirtschaftlich verstanden wurde. Die Bereitschaft, die akademische
Kunsterziehung zu reformieren, beruhte deshalb zum großen Teil auf kommerziellen Überlegungen,
die sich stark am Vorbild Englands orientierten und darauf abzielten, das Erfolgsmodell des englischen
Klassizismus auf Preußen zu übertragen, um das heimische Produktionsgewerbe im Bereich der
angewandten Kunst auf den Auslandsmärkten konkurrenzfähig zu machen. Merkantilistisch motivierte
Nützlichkeitserwägungen und preußisches Nationalbewusstsein gingen in der Akademie der
Reformzeit eine produktive Verbindung ein, die in dem Wunsch gipfelte, dass "die Preussen es in den
bildenden Künsten so weit bringen mögen, als sie es in der Taktik gebracht haben, worin sie allen
Christian Bernhardt Rode (1725–1797), Berlin 1999.
23
Franz Weinitz: Bernhard Rodes Allegorische Gemälde Preußischer Kriegshelden aus der Zeit Friedrichs des
Großen in der Berliner Garnisonkirche, Berlin 1912, 6.
24
Anton Balthasar König: Kurzgefasste Regierung und Staatsgeschichte Friedrich des II. von Preußen. Vom Jahr
1740 bis 1786, Berlin 1800, 5ter Teil, 238.
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Völkern als Muster dienen".25
<14>
Zu den Kernpunkten des von Heinitz durchgeführten Reformprogramms gehörte die Verbreitung
"guten Geschmacks" in Handwerksbetrieben und Manufakturen, weshalb die Vernetzung der
Akademie mit der königlich preußischen Porzellanmanufaktur ein zentrales Anliegen darstellte. Für
diese Neuerung stand, wie schon früher bei der Akademiereform in Dresden, die französische
Manufaktur von Sèvres Pate, die, von Anfang an unter der Ägide namhafter Académiens stehend, sich
nach dem Siebenjährigen Krieg (1756-1763) als richtungsweisend für die Porzellanproduktion des
Klassizismus erwiesen hatte.26 Aus der Forderung der "L 'utilité publique", dem öffentlichen Nutzen der
Institution, leitete sich neben der Schulung von Künstlern und Handwerkern auch die Läuterung des
Publikumsgeschmacks im Sinne der neuen Stiltendenz des Klassizismus als Zielvorgabe ab. Die
Akademie sollte, wie es im Vorwort des Ausstellungskataloges von 1789 formuliert wurde, "als
Richterin und Rathgeberin in Sachen Geschmack dem Staate unmittelbar nützlich werden". 27 Für eine
so umfassende, die engeren Grenzen der Akademie überschreitende, erzieherische Aufgabe waren
Ausstellungen das wirksamste Mittel, da sie die erwünschten Kontakte zwischen Künstlern,
Handwerkern und dem nur betrachtenden Publikum herstellten.
<15>
Im Unterschied zu den Pariser Salons, die als repräsentative Leistungsschauen der Mitglieder
konzipiert waren, oder auch zu ihrem unmittelbarem Vorbild, den Dresdner Kunstausstellungen, in
denen nur Arbeiten von Mitgliedern und Schülern der Akademie gezeigt wurden, gestattete die
Berliner Akademie allen Interessierten die Teilnahme. Außerdem gehörte als Besonderheit seit 1788
auch eine kunstgewerbliche Abteilung zu den Berliner Akademie-Ausstellungen, die zunächst jährlich,
ab 1798 im Zweijahresrhythmus stattfanden und als wichtigster Ort für die Begegnung von Künstler
und Publikum, nun auch in Berlin die bildende Kunst zum Gegenstand gesellschaftlicher Unterhaltung
und die Kunstdiskussion zum wesentlichen Teil des Kunstlebens machten. Ein großer Teil der
Kunstwerke entstand fortan im Hinblick auf die Kunstausstellungen, die sich nun auch zum
Kristallisationspunkt einer von Aufklärung und Historismus geprägten vaterländischen Kunst in
Preußen entwickelten.28
25
Johann Gottfried Puhlmann: "Ueber den Nutzen, den die bildenden Künste der Gesellschaft leisten", in:
Monats-Schrift der Akademie der Künste und mechanischen Wissenschaften zu Berlin, Viertes Stück, Oktober
1788, zitiert nach: Norbert Kampe: "... zusammenkommen, um von den Künstlern zu räsonieren", Materialien zur
Geschichte der preußischen Akademie der Künste", Berlin 1991, 80-82, hier 82.
26
Agnete von Specht: Akademie, Manufakturwesen und Kunsthandwerk, in: Ausstellungskatalog: Kunst und
Aufklärung, Winkelmann Gesellschaft Stendal 2005, 115-120.
27
Die Kataloge der Berliner Akademie-Austellungen 1786-1850, bearbeitet von Helmut Börsch-Supan, Berlin
1971, Bd. 1, Ausstellung 1789, 5.
28
Kataloge der Berliner Akademie-Austellungen (wie Anm. 27), Bd. 3, Einleitung, 1-23; Agnete von Specht:
Akademie-Ausstellungen von 1786-1810, in: Ausstellungskatalog: "Die Kunst hat nie ein Mensch allein
besessen", Ausstellung zum 300jährigen Jubiläum der Akademie der Künste, Berlin 1996, 91-94.
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<16>
Für die Neuorientierung der Historienmalerei wurde dort, wie überall in Europa, neben dem
aufkeimenden Nationalgefühl und dem Gedanken der Nationalerziehung als dritter Faktor die
Veränderung des Geschichtsbewusstseins bestimmend.29 Seitdem sich mithilfe des neuen
Instrumentariums der quellenkritischen Methodik der Geschichtshorizont über die Antike hinaus bis ins
Mittelalter und in die Neuzeit erweitert hatte, trat an die Stelle des seit der Antike gültigen statischen
Geschichtsbildes in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts die moderne Auffassung von der
Prozesshaftigkeit der Geschichte. Mit ihr verschaffte sich ein bisher unbekannter historiographischer
Anspruch auf Authentizität Geltung, in dem sich das "neue geschichtliche Wirklichkeitsbewusstsein"
(Koselleck) der Epoche offenbarte.30 Für die Historienmalerei war dabei entscheidend, dass die
Darstellung als exemplum virtutis all 'antica, wie sie von der akademischen Doktrin bisher gefordert
worden war, durch die das geschichtliche Ereignis in eine zeitlose und übernationale Verbindlichkeit
gehoben wurde, in Widerspruch zum Anspruch geriet, die "Einmaligkeit geschichtlicher Abläufe
aufzuspüren" (Koselleck), und das umso mehr, als das im Siebenjährigen Krieg allmählich
erwachende Bedürfnis nach nationaler Identifikation auch die Wahl zeitgeschichtlicher Sujets attraktiv
werden ließ.
<17>
In London hatte es 1770 der junge Künstler Benjamin West in seinem epochemachenden Bild Tod des
General Wolfe gewagt, der Akademiedoktrin die Stirn zu bieten. "Der Stoff, den ich darlegen muß",
lässt die Überlieferung ihn sagen, "ist die Eroberung einer großen Provinz Amerikas durch die
britischen Truppen. Es ist ein Thema, über das die Geschichte stolz berichten wird, und dieselbe
Wahrheit, die den Stift eines Historikers führt, sollte den Pinsel eines Künstlers führen. Ich selbst fühle
mich verpflichtet, vor den Augen der Welt über dieses große Ereignis zu berichten; doch wenn ich
anstelle der geschichtlichen Abläufe die klassische Dichtung wiedergebe, wie kann mich dann die
Nachwelt begreifen! Der einzige Grund, griechische und römische Kleidung zu übernehmen, sind die
malerischen Formen, für die ihre Draperie empfänglich ist; doch ist dies ein Vorteil, deretwegen
Wahrheit und Angemessenheit eines Themas geopfert werden sollten?" 31 Der von Wests Auffassung
ausgehende Impuls wirkte bahnbrechend auf die Einführung von zeitgenössischen Ereignissen und
zeitgenössischem Kostüm in der Historienmalerei hin. Der Nachstich des Werkes durch Woollett gilt
als der meistverbreitete im 18. Jahrhundert.32 Auch in der Berliner Akademie regte das "kostbare Blatt"
die Maler an, "ein Gleiches zu leisten für die preußische Geschichte", wie Johann Gottfried Schadow
29
Vgl. Frank Büttner: Bernhard Rode – ein Künstler der Aufklärung, in: Ausstellungskatalog: Kunst im Dienst der
Aufklärung (wie Anm. 22), 8-14.
30
Reinhart Koselleck: Historia Magistra Vitae. Über die Auflösung des Topos im Horizont neuzeitlich bewegter
Geschichte, in: ders.: Vergangene Zukunft. Zur Semantik geschichtlicher Zeiten, 2. Aufl., Frankfurt a. M. 1992, 52.
31
Zitiert nach Thomas W. Gaethgens: Historienmalerei. Zur Geschichte einer klassischen Bildgattung und ihrer
Theorie, 27, online unter: kunstgeschichte.rub.de/beta/wp-content/uploads/2008/11/historienmalerei.pdf
<03.10.2010>.
32
Werner Hager: Geschichte in Bildern. Studien zur Historienmalerei des 19. Jahrhunderts, Hildesheim 1989, 67.
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60 Jahre später in der Vorrede zu seinen Lebenserinnerungen im Rückblick auf die Zeit der
Akademiereform berichtete.33
<18>
Schlüsselfigur bei der Neuausrichtung der Historienmalerei war Daniel Chodowiecki, der 1783, nach
dem Tod Nicolaus Le Sueurs (1716-1783), des langjährigen Direktors der Akademie, den
entscheidenden Anstoß zu deren Reorganisation gegeben und der unabhängig vom Hof auf dem
Gebiet der Druckgraphik und Illustration eine bürgerliche Kunst entwickelt hatte. Seine
Illustrationskupfer für historiographische Literatur, Almanache und Taschenkalender – damals wichtige
Foren für zeitgenössische Literatur und Wissenschaft – fungierten ähnlich wie die Radierungen
Bernhard Rodes als Vorreiter bei der bildlichen Formulierung von Ereignissen der Zeitgeschichte wie
bei der künstlerischen Auseinandersetzung mit den damals noch unvertrauten Geschichtsepochen
des Mittelalters und der Neuzeit.
<19>
Die 1786 entstandene, zwölf Blätter umfassende Folge Brandenburgische Kriegszenen, die im
Genealogischen Militärischen Calender auf das Jahr 1787 34 erschien, stellt den Auftakt für die
zahlreichen zwischen 1786 und 1800 geschaffenen Reihen von Kalenderkupfern mit vaterländischen
Szenen dar, in denen Chodowiecki jeweils ausschließlich die brandenburgisch-preußische Geschichte
seit dem Mittelalter ins Bild setzte. Zahlenmäßig dominieren die Blätter zur friderizianischen Zeit.
Auslöser für diese konzentrierte Beschäftigung mit der jüngsten Vergangenheit war das
Wiederaufflammen des Friedrich II.-Kultes nach dem Tod des Königs im August 1786. In Hunderten
von Anekdoten verdichtete sich die im Siebenjährigen Krieg entstandene Projektion eines
charismatischen Helden und fürsorglichen Landesvaters mit bürgerlichen Tugenden zu einem
festgefügten Charakterbild. Dessen kanonische Fixierung gelang dem wichtigsten Publizisten der
Berliner Aufklärung, Friedrich Nicolai, mit seiner 1788-1792 in sechs Heften erschienenen
Anekdotensammlung. Die enge Verklammerung von Friedrichmythos und Preußentum verdeutlicht
Nicolais Kommentar im Vorwort: "über den König nachdenken", erklärte Nicolai dort, sei
gleichbedeutend damit "die eigentliche Beschaffenheit meines Vaterlandes zu studieren". 35
<20>
Ihre Wirkungsmacht im Hinblick auf die Befestigung einer preußischen Identität und der Konstruktion
eines vom Reich losgelösten preußisch-deutschen Vaterlandes entfalteten die Anekdoten vor allem
33
Johann Gottfried Schadow: Kunstwerke und Kunstansichten (wie Anm. 21), Bd. I, 8 (9).
34
Wilhelm Engelmann: Daniel Chodowiecki 's sämmtliche Kupferstiche: beschrieben, mit historischen,
literarischen und bibliographischen Nachweisungen, der Lebensbeschreibung des Künstlers und Registern, Berlin
1926, 297, Nr. 567; Hans Jakob Meier: Die Buchillustration des 18. Jahrhunderts in Deutschland und die
Auflösung des überlieferten Historienbildes, München 1994, 83.
35
Zitiert nach Christopher Clark: Preußen. Aufstieg und Niedergang 1600-1947, München 2008, 272.
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dank der Illustrationen von Chodowiecki. 36 Denn erst die Umsetzung der Episoden in einprägsame
Bilder stattete diese mit dem Anschein der historiographischen Authentizität aus, wobei die realistische
Auffassung der Motive die Grundlagen für jede weitere künstlerische Auseinandersetzung schuf. Das
gilt insbesondere auch für die zwölf Kalenderkupfer zu Johann Wilhelm von Archenholz ' Geschichte
des Siebenjährigen Krieges, die im Herbst 1788 im Historisch-Genealogischen Calender oder
Jahrbuch der merkwürdigsten neuen Welt-Begebenheiten für 1789 bzw. 1793 in einer wesentlich
erweiterten zweibändigen Buchausgabe erschien.37 Denn nicht nur auf dem Feld der Trivialliteratur,
sondern auch auf dem Gebiet der Geschichtsschreibung gab das Ende der friderizianischen Epoche
für die Zeitzeugen das Signal zu intensiver Erinnerungsarbeit:
<21>
"Es war hohe Zeit, dergleichen Nachrichten von Augenzeugen zu sammeln, da die Generation der
Menschen, in deren Lebenstagen so außerordentliche Dinge auf Deutschem Boden geschehen,
anfängt auszusterben", begründete Archenholz, der selbst Kriegsteilnehmer gewesen war, das
ehrgeizige Unterfangen, eine Geschichte des Siebenjährigen Krieges vorzulegen, die "als Volksbuch
unter allen Ständen der Deutschen Nation verbreitet zu werden verdient, ... Sie wird dem Preußischen
Patrioten von jedem Stande, selbst vom niedrigsten, eine sinnliche Erinnerung sein, an die moralische
Größe seines Volks, und dem Deutschen Patrioten anderer Provinzen aber wird sie ein Beweis sein,
was die auf einen Zweck gerichteten Bestrebungen einer ganzen Nation, unter einer weisen
Regierung zu bewirken vermögend sind."38
<22>
Dass Archenholz als freier Autor die Geschichte des Siebenjährigen Krieges nicht allein aus
Patriotismus verfasste, sondern, wie auch Friedrich Nicolai, von kommerziellen Beweggründen geleitet
wurde, lässt ein Brief an den ihm nahestehenden Dichter Johann Wilhelm Ludwig Gleim vermuten, in
dem er sich seines literarischen Erfolges mit den Worten rühmt "dass von einem Absatz dieser Art in
Deutschland noch nichts zu hören war – die Bibel ausgenommen." 39 Tatsächlich erlebte Archenholz '
Darstellung kontinuierlich und in schneller Aufeinanderfolge über den Zeitraum von 150 Jahren – bis
1944 – Neuauflagen. Ihr Erfolg endete im Grunde erst mit der Auflösung des preußischen Staates
nach dem Zweiten Weltkrieg.
36
Vgl. zu Chodowiecki auch den Beitrag von Rainer Michaelis: Friedrich der Große im Spiegel der Werke des
Daniel Nikolaus Chodowiecki, in: Friedrich300 – Colloquien, Friedrich und die historische Größe. URL:
http://www.perspectivia.net/content/publikationen/friedrich300-colloquien/friedrich-groesse/michaelis_chodowiecki
<11.03.2011>.
37
Vgl. Hans Jakob Meier: Die Buchillustration des 18. Jahrhunderts in Deutschland und die Auflösung des
überlieferten Historienbildes, München 1994, 77-87.
38
Johann Wilhelm Archenholz: Geschichte des Siebenjährigen Krieges in Deutschland von 1756 bis 1765, (o.O.
1793), in: Kunisch: Aufklärung und Kriegserfahrung (wie Anm. 13), 9-514, hier 12-13.
39
Kunisch: Johann Wilhelm von Archenholz (wie Anm. 38), 763.
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<23>
Für die Bemühungen der Berliner Akademie, in der Historienmalerei den Anschluss an die
internationale Entwicklung zu suchen, wirkte Daniel Chodowiecki nicht allein aufgrund seines
künstlerischen Schaffens wegweisend. Er fungierte in seiner Eigenschaft als Rektor auch als wichtiger
Impulsgeber. Bereits in einer Rede aus Anlass der Eröffnungsausstellung im Mai 1786, der ersten
Kunstausstellung in Preußen überhaupt, rief er zur Aktualisierung und Modernisierung der
überkommenen Historienmalerei durch "Objekte aus der uns allen sehr interessanten
Brandenburgischen Geschichte" auf und schlug, "da der Herr Direktor Rode schon vieles aus den
älteren Zeiten dieser Geschichte in unserer Ausstellung dargestellt hat", Begebenheiten aus dem
Siebenjährigen Krieg "zur Erringung der Prämien" vor:
"1. Schwerin stirbt unter der Fahne seines Regiments den Tod des Vaterlandes. Aus Pauli 's
Leben grosser Helden. 1. Theil. [1758].
2. Friedrich, der grösste Held und König, tritt nach erhaltenem Siege dahin, wo der entseelte
Körper seines ersten Feldmarschalls auf dem Bette der Ehre gestreckt liegt, und Ihm gehen
die Augen über. Eben daraus. Und
3. Der blessirte Major Kleist liegt nackend, mit einem Russischen Husarenmantel bedeckt,
neben einem Wachtfeuer: ein Russischer Husar wirft ihm ein Achtgroschenstück auf den
Mantel. Aus der Vorrede zu Kleists Werken, 1761."40
Chodowiecki selbst stach das erste Motiv 1786 für die Folge Brandenburgische Kriegszenen.
<24>
Das zweite Motiv wählte der Hofmaler und Rektor der Akademie Johann Christian Frisch. Sein
Benjamin Wests "Death of Wolfe" verpflichtetes Gemälde Tod des Generalfeldmarschalls Kurt
Christoph von Schwerin in der Schlacht bei Prag am 6. Mai 1757,41 "war so geraten, dass ein
Kupferstich davon angefertigt wurde",42 wie Schadow rückblickend berichtete und Friedrich Wilhelm II.
seine Erwerbung für die königliche Sammlung anordnete. Für Frisch lag der Vorbildcharakter des
berühmten Historienbildes vermutlich vor allem im sublimen Stil und nicht in der zeitgetreuen
Darstellung eines zeithistorischen Sujets, denn er hob in einer Rede hervor, dass "(s)eitdem diese
Nation [gemeint ist England] einen West, eine Angelika so vorzüglich ehrt, welche beyde die Kunst im
edelsten Style üben, seitdem hat sich ihr Geschmack ausserordentlich verfeinert, und ihre Fabriken
bringen jetzt Kunst- und Mechanische Arbeiten hervor, die von allen andern Namen mit Recht so sehr
40
Monats-Schrift der Akademie der Künste und mechanischen Wissenschaften zu Berlin, Erstes Stück, Januar
1788, 25-27, zitiert nach: Kampe: "...zusammenkommen um von den Künsten zu räsonieren" (wie Anm. 25), 7677.
41
Akademie-Ausstellung 1787, Nr. 15; Hans-Jakob Meier: Die Buchillustration des 18. Jahrhunderts in
Deutschland und die Auflösung des überlieferten Historienbildes, München 1994, 84f; Werner Hager: Geschichte
in Bildern. Studien zur Historienmalerei des 19. Jahrhunderts, Hildesheim 1989, 53f.
42
Johann Gottfried Schadow: Kunstwerke und Kunstansichten, Berlin 1849, hg. und kommentiert von Götz
Eckardt, Berlin 1987, Bd. I., 8.
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geliebt und gesucht werden."43
<25>
Die neuerschienene Erinnerungsliteratur, vor allem Nicolai, nutzte Bernhard Rode als Vorlage für
seine friderizianischen Anekdotenbilder, mit denen er die Akademie-Ausstellungen von 1791, 1793
und 1795 beschickte. Dementsprechend veranschaulichen sie alle Charaktereigenschaften
Friedrichs II., die den König einem bürgerlichen Publikum menschlich nahe bringen konnten. 44 Ihren
Höhepunkt erreichte die Konjunktur vaterländischer Sujets auf der Akademie-Ausstellung von 1800, in
der auf Geheiß Friedrich Wilhelms III. eine spezielle vaterländische Abteilung eingerichtet wurde.
Deshalb genehmigte der König zwar in einer Cabinetsordre vom 17. August 1799 an Staatsminister
von Heinitz das Vorhaben, die Ausstellung für ein Jahr auszusetzen, um Zeit für die Vergabe von
Aufträgen zu gewinnen, monierte aber, "dass alle Sujets aus der alten Mythologie und Geschichte
gewählt sind. So lange als dies geschieht, wird die Theilnahme des Publikums für die Werke der Kunst
nie recht belebt werden. Weit eher, und in einem größeren Maaß kann man sich dieselbe
versprechen, wenn Gegenstände der vaterländischen Geschichte, welche reichen Stoff dazu bietet,
besonders für die Historien-Maler und Zeichner ausgesucht würden. Ich gebe Euch auf, hierüber
weiter nachzudenken und mit Eurem Plan anzuzeigen. Alsdann werde auch Ich vielleicht eher Mich
entschlissen, wenn etwas Vorzügliches und Vollendetes zur Ausstellung geliefert wird, einige der
beifallswürdigsten Stücke, für meine eigne Rechnung an Mich zu behalten." 45
<26>
Gegenüber dem hier zum Vorschein tretenden Motiv, das Publikum durch die Berücksichtigung der
populären patriotischen Thematik zum Besuch der Ausstellung anzuregen, war vermutlich die Absicht,
mithilfe der patriotischen Historienmalerei die preußischen Untertanen gegen das Virus des
Reichspatriotismus zu immunisieren, der sich infolge der napoleonischen Kriege ausbreitete, der
weitaus gewichtigere Beweggrund für die gezielte Förderung der vaterländischen Kunst durch
Friedrich Wilhelm III. Es ging darum, das Eigenbewusstsein partikularer Staatlichkeit zu stärken, um
die öffentliche Kritik an dem von Preußen verfolgten Neutralitätskurs, der zu Lasten des Reiches und
Österreichs ging, abzufangen. Denn Preußen war, nachdem es durch die zweite und dritte Teilung
Polens (1793/1795) bereits massiv vom europäischen Krieg profitiert hatte, 1795 im Frieden von Basel
aus dem Koalitionskrieg gegen das revolutionäre Frankreich ausgeschieden. Es hatte sich zur
neutralen Macht erklärt und dann eine Reihe norddeutscher Territorien dafür gewonnen, sich der
preußischen Neutralität anzuschließen und sich – unter Bruch der Reichsverfassung – der
43
Johann Christoph Frisch: Fragment über die Idee, eine Akademie der Künste in Bezug auf die Fabriken und
Gewerke gemeinnütziger zu machen, in: Monats-Schrift der Akademie der Künste und mechanischen
Wissenschaften zu Berlin, Zweytes Stück, Februar 1788, 67-75, zitiert nach: "...zusammenkommen um von den
Künsten zu räsonieren" (wie Anm. 25), 70-73 (Zitat 71).
44
Rainer Schoch: Das Herrscherbild in der Malerei des 19. Jahrhunderts, München 1975, 47.
45
Adalbert Cohnfeld: Ausführliche Lebens- und Regierungsgeschichte Friedrich Wilhelms III., Königs von
Preußen, Bd. I., Berlin 1840, 407, zitiert nach Börsch-Supan: Vaterländische Kunst (wie Anm. 19).
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Verpflichtung, das Heilige Römische Reich zu verteidigen, zu versagen.
<27>
Die Demarkationslinie zwischen dem kriegführenden Süden und der nördlichen Neutralitätszone
spaltete Deutschland in der Mitte und bot Preußen im Hinblick auf seine traditionell antihabsburgische
Politik die Gewähr dafür, dass sich auch in Zukunft "die französische Aggression hauptsächlich gegen
die Österreicher richtete".46 Als der König die Neutralitätspolitik seines Vaters auch im 2.
Koalitionskrieg (1799-1801) fortsetzte, sahen sich viele, die wie der greise Dichter Gleim (1719-1803)
einen Kurswechsel erhofften, enttäuscht: "Unsere Feinde kommen brausend, wie das stürmisch wilde
Meer; Million und Hunderttausend sagt man, sei ihr Kriegsheer. Mag 's noch stärker sein! – Indessen,
Kinder und auch Kindeskind, werden 's nimmer wir vergessen, dass wir tapfere Preußen sind! Preußen
sind wir, Deutsche!"47
<28>
Die Intention Friedrich Wilhelms III. war daher, das Forum der Akademie-Ausstellung dazu zu nutzen,
eine spezifisch preußische, vom Reich unabhängige historiographische Tradition im öffentlichen
Bewusstsein zu verankern, um die öffentliche Meinung für seine unpopuläre, am Leitbild partikularer
Eigenstaatlichkeit orientierte Politik zu gewinnen. Die Gallerie vaterländisch-historischer
Darstellungen, die innerhalb der am 15. September 1800 eröffneten Akademie-Ausstellung gezeigt
wurde, umfasste 24 Gemälde, Zeichnungen und Stiche, die ausführlich im Katalog beschrieben
wurden und zum Teil heute noch nachweisbar sind. Bevorzugt dargestellt wurde die Zeit Friedrichs II.,
wobei wiederum die Kriegsereignisse im Vordergrund stehen. Die Künstler hatten die jeweiligen
Themen aus einer Liste möglicher Sujets ausgewählt, die ein Berater des Königs, Friedrich Rambach
zusammengestellt hatte und in der "das Vaterländische auf das Preußische" verengt war.48
<29>
Zusätzlich zu den Sujets aus der brandenburgisch-preußischen Geschichte hatte Heinitz für die
Akademie-Ausstellung von 1800 Bilder "vaterländischer Gegenden" in Auftrag gegeben. Patriotische
Landschaftsmalerei bildete auch 1802 einen Ausstellungsschwerpunkt. Die Ansichten von reizvollen
Gegenden wie dem Riesengebirge, dem Harz oder Potsdam sollten dazu beitragen, die Vorstellung
einer preußischen Nation zu territorialisieren,49 also in der Bevölkerung ein Bewusstsein für die
territoriale Beschaffenheit der unter der Herrschaft der Hohenzollern stehenden Gebiete zu schaffen,
für die dann seit 1807 auch offiziell der Sammelbegriff Preußen eingeführt wurde.
46
Clark: Preußen (wie Anm. 35), 343.
47
Zitiert nach Eva Bliembach: Vaterländische Graphik um Friedrich II. von Preußen, in: Mitteilungen,
Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz, Jahrgang XVIII (1986), 91-144, hier: 95.
48
Katalog der Akademie-Ausstellung 1800, 1-14, in: Die Kataloge der Berliner Akademie-Ausstellungen 17861850 (wie Anm. 27), Bd. I; Börsch-Supan: Vaterländische Kunst (wie Anm. 19), 97.
49
Zum Begriff der Territorialisierung vgl. Michael Klein: Zwischen Reich und Region. Identitätsstrukturen im
Deutschen Kaiserreich (1871 - 1918), Stuttgart 2005, 289.
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<30>
Bei der Popularisierung zeitgenössischer patriotischer Kunst und der in ihr transportierten Botschaften
übernahmen die Reproduktionsstiche von Gemälden, Zeichnungen und Aquarellen eine wichtige
Rolle. Sie wurden oft in derselben oder der folgenden Ausstellung gezeigt, um die Absatzchancen zu
erhöhen. Als besonders wirkungsmächtig erwiesen sich die graphischen Bilderzyklen zu Friedrich II.,
die im Kontext des patriotischen Programms Friedrich Wilhelms III. um 1800 entstanden: Sie trugen
erheblich dazu bei, den Friedrich-Mythos in der bildenden Kunst ikonographisch zu verankern, und
zwar im "richtigen Sinn" dank der beigefügten Interpretationshilfe in Form von Bildunterschriften, die in
vielen Fällen Nicolai oder Archenholz entnommen waren. Im Grunde können sie daher als früher
"Fridericus-Rex-Film in Einzelbildern" gelten.50 Die berühmte "Adlerserie", an der acht Maler und sechs
Kupferstecher beteiligt waren, lebte im 19. Jahrhundert unmittelbar in lithographischen Nachdrucken,
mittelbar als ikonographische Reminiszenz in der Illustrationsgraphik des Kaiserreiches fort.
<31>
Die zentrale Bedeutung Friedrichs II. bei der Herausbildung einer preußischen Identität wird auch in
den Planungen für ein Denkmal Friedrichs des Großen sichtbar.51 Aus der Privatinitiative einzelner
Künstler entwickelte sich aufgrund des Engagements der Akademie der Künste in der Zeit um 1800
eine "nationale Angelegenheit", die sich in zahllosen Denkmalsentwürfen und einer heftigen
kulturpolitischen Debatte über die "letztlich das Patriotisch-Nationale anschneidende Frage" des
historischen oder des idealen Kostüms des Darzustellenden manifestierte. Zunächst hatte die
Nachricht von Friedrichs Tod die in Rom weilenden Künstler Alexander Trippel und Johann Gottfried
Schadow veranlasst, Modelle für ein Friedrich–Denkmal an den Kurator der Berliner Akademie,
Staatsminister von Heinitz, zu senden. Anlässlich einer Gedächtnisfeier zur Wiederkehr des
Geburtstages Friedrichs II. in der Akademie der Wissenschaften im Januar 1887 kam die
Denkmalsidee dann erstmals öffentlich zur Sprache: Unter dem Namen "Friedrichs Ehre" sollte nach
den Plänen des Berliner Gelehrten Karl Friedrich Ramler und des Astronomen Johann Elert Bode ein
neues, kurz zuvor entdecktes Sternbild in die Sternenkarte aufgenommen werden; der
Hofhistoriograph Jean Henri Samuel Formey schlug vor, eine gewaltige Pyramide einzig mit der
Inschrift "Frederico" zu errichten. Eigentlicher Promotor des Denkmalplanes wurde jedoch die
Akademie der Künste.
<32>
Es gelang Heinitz aber nur schwer, Friedrich Wilhelm II. und Friedrich Wilhelm III. für das
Denkmalprojekt zu interessieren. Diese Reserviertheit wird verständlich, wenn man die
50
Bliembach: Vaterländische Graphik (wie Anm. 47), 101.
51
Vgl. Kurt Merckle: Das Denkmal König Friedrichs des Großen in Berlin, Berlin 1894; Jutta von Simson: Das
Berliner Denkmal für Friedrich den Großen. Die Entwürfe als Spiegelung des preußischen Selbstverständnisses
mit einem Beitrag von Friedrich Mielke, Frankfurt a. M. 1976; Gerhard Hannesen: Das Denkmal für Friedrich den
Großen und die Akademie der Künste, in: Ausstellungskatalog: "Die Kunst hat nie ein Mensch allein besessen"
(wie Anm. 28), 145-148.
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überschwänglichen Lobeshymnen auf Friedrich II. in den Zeitungsnachrufen und Trauerpredigten, als
"gefährliche Angriffsstrategie" im Sinne bürgerlicher Emanzipationsbestrebungen betrachtet: "Wer als
Fürst den Absolutismus am Ende des 18. Jahrhunderts nicht durch sein Verdienst legitimieren konnte,
hatte sein unbeschränktes Herrscherrecht bereits verwirkt." 52
<33>
Erst im Januar 1791 gab Friedrich Wilhelm II. dem Drängen Heinitz ' nach und genehmigte die
Ausschreibung eines ersten Wettbewerbs für eine Statue equestre "im römischen Costüm", dessen
Ergebnis, 19 Einsendungen, auf der Akademie-Ausstellung desselben Jahres der Öffentlichkeit
vorgestellt wurden. Die künstlerisch wenig überzeugenden Entwürfe entfachten den Kostümstreit neu,
den der Hofbildhauer Jean Pierre Tassaert 1780/81 mit der Verwendung des zeitgenössischen
Kostüms bei der Darstellung der Generäle Keith und Seydlitz ausgelöst hatte. Während die
Befürworter des idealen Kostüms argumentierten, dass der gute Geschmack aller gebildeten Nationen
antike Gewandung verlange, optierten Teile des Publikums sowie einige Akademiemitglieder,
unterstützt von Staatsminister von Heinitz, für das historische Kostüm. Wortführer dieser Minorität war
Chodowiecki, der mit den Worten "und dieses nenne ich das Preußische Costum" entschieden für die
Darstellung der authentischen Uniform Friedrichs II. als dem signifikant Preußischen im Sinne eines
Nationaldenkmals plädierte.53
<34>
In der Zeit nach Ausbruch des Krieges mit dem revolutionären Frankreich 1792, in der das
Engagement von offizieller Seite wieder erlahmte, entstanden zahlreiche weitere Entwürfe zu teils
monumentalen Denkmalanlagen, wie dem "Heiligtum der Nation", das eine von Denkmälern gesäumte
und von Parkanlagen umgebene Via Triumphalis vorsah, die auf eine kolossale Bronzestatue
Friedrichs II. auf dem Kreuzberg zuführen sollte. Vorschläge zu architektonischen Denkmalkonzepten
dominierten dann auch die zweite Konkurrenz von 1796/97. Eile schien nun geboten, da "vor Ablauf
des Jahrhunderts, das in erster Linie durch Friedrich den Großen sein welthistorisches Gepräge
erhalten hat",54 das Denkmal vollendet sein sollte. Die Wahl Friedrich Wilhelms II. fiel auf den
kostengünstigen Entwurf eines Rundtempels von Carl Gotthard Langhans, dessen Ausführung nach
dem plötzlichen Tod des Königs aber unterblieb, denn wie sein Nachfolger befand, lebt "(d)er Ruhm
dieses Fürsten [...] noch in seinen Werken vor unsern Augen und kann diesen Aufschub ertragen". 55
Schließlich sprach sich Friedrich Wilhelm III. am 1. November 1800 in einer Kabinettsorder an Heinitz
52
Monika Wienfort: Monarchie in der bürgerlichen Gesellschaft. Deutschland und England von 1640 bis 1848,
Göttingen 1993, 209.
53
Kurt Merckle: Das Denkmal König Friedrichs des Großen in Berlin (wie Anm. 51), 37; Chodowiecki an Anton
Graff am 10. Februar 1792, in: Briefe Daniel Chodowieckis an Anton Graff, hg. von Charlotte Steinbrucker, Berlin
1921, 98.
54
Merckle: Das Denkmal König Friedrichs des Großen (wie Anm. 51), 17.
55
Kabinettsordre vom 23. Dezember 1797, zitiert nach Merckle: Das Denkmal König Friedrichs des Großen (wie
Anm. 51), 69.
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und den Generalmajor von Tempelhof, der Autorität für Erzguss, 56 für eine "Statue equestre" im
historischen Kostüm aus, die vor dem Eingang der Lindenallee zur Aufstellung kommen sollte und
kündigte an "die Vorbereitung zu dieser Nationalangelegenheit einleiten zu lassen". 57 Der Entschluss
des Monarchen führte zwar zur Berufung einer Denkmalkommission innerhalb der Akademie, die,
begleitet von einer öffentlich geführten Debatte, neben der künstlerischen Behandlung des Projektes
und der Frage des Kostüms vor allem den Standort diskutierte. Die Realisierung unterblieb aber, da
der König seine Entscheidung so lange hinauszögerte, bis die Idee eines Nationaldenkmals in den
Wirren der Krisen- und Kriegsjahre von 1806-1815 unterging.
III. Patriotische Kunst im Kontext der Befreiungskriege
<35>
Angesichts der Siege Napoleons über die Koalition hielt Friedrich Wilhelm III. an der Neutralitätspolitik
als "flexibelster Option"58 fest, zumal sie mit der Aussicht auf eine weitere territoriale Ausdehnung
Preußens verbunden war. Die Erosion des Reiches, die nach dem Frieden von Lunéville (1801)
einsetzte, löste in der Öffentlichkeit Betroffenheit aus, sogar der Barde des "preußischen Vaterlandes"
Gleim stimmte in einem seiner letzten Gedichte, ein wehmütiges Klagelied an:
"O du Gedank ' an 's Vaterland,
Wie warst du sonst mir so willkommen;
Gedanke, bis zur Häßlichkeit
Ist deine Schönheit mir verglommen!
Du brachtest in die Seele mir
Das angenehmste Wohlbehagen,
Und nun, was bringst du nun in sie?
Des Patrioten bittre Klagen.
Entheiligt ist die Heiligkeit,
Die festen Bande sind zerrissen;
Wir haben keinen Willen mehr:
O weh! daß wir gehorchen müssen!
Und wer denn ist 's, der nun befiehlt,
Und dem wir aus dem Wege gehn? Gedank ' an 's deutsche Vaterland,
56
Merckle nennt als eine weitere Schwierigkeit für die Realisierung des Denkmals, dass die Kunst des Erzgusses
vollständig in Vergessenheit geraten war. "Früher hatte man die Kunstwerke in der königlichen Geschützgießerei
gegossen. Allein da diese in letzter Zeit nur noch glatte Kanonenrohre anfertigte, ... hatte man die eigentliche
Kunstgießerei verlernt." Merckle: Das Denkmal König Friedrichs des Großen (wie Anm. 51), 19.
57
Merckle: Das Denkmal König Friedrichs des Großen (wie Anm. 51), 76.
58
Clark: Preußen (wie Anm. 35), 349.
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Hinweg! Du bist nicht auszustehn!"59
<36>
Aufgrund eines mit Napoleon am 23. Mai 1802 geschlossenen Geheimvertrages konnte Friedrich
Wilhelm III., als der Reichsdeputationshauptschluss im Jahr 1803 die traditionelle Struktur des Alten
Reiches mit seinen kleinen Territorien und den zahlreichen geistlichen Fürstentümern endgültig
zerstörte, für Preußen noch einmal erhebliche Gebietsgewinne im Westen, etwa das Fünffache der
linksrheinisch verlorenen Gebiete, verbuchen, denn es war Napoleons Absicht, Preußen als
Gegengewicht zu Österreich aufzubauen.60 Es erwies sich jedoch bald, dass das neutrale
Norddeutschland unter preußischer Vorherrschaft aufgrund seiner prekären Lage zwischen Russland
und Frankreich ohne Unterstützung einer Großmacht nicht verteidigt werden konnte. Während
Friedrich Wilhelm III. zwischen den beiden Möglichkeiten, sich ganz auf die Seite Napoleons zu
schlagen und Hannover zu annektieren oder ein Bündnis mit Russland und den Koalitionsmächten
einzugehen, unentschieden hin- und herschwankte, formierte sich in Preußen bei den politischen
Amtsträgern Widerstand gegen den, wie der preußische Finanz- und Wirtschaftsministers Freiherr
vom und zum Stein es formulierte, "niederträchtigen Verrat an Deutschland". 61
<37>
Die "territoriale Revolution" von 1803 durch Säkularisation und Mediatisierung "eine der größten
politischen, wirtschaftlichen und sozialen Veränderungen der Neuzeit", 62 bildete denn auch den Auftakt
für die Auflösung des Alten Reiches: Nach der Austrittserklärung der Rheinbundstaaten am 1. August
besiegelte am 6. August 1806 die von Napoleon per Ultimatum erzwungene Niederlegung der
deutschen Kaiserkrone durch Franz II. den Untergang des Heiligen Römischen Reiches Deutscher
Nation. Fast zeitgleich, am 9. August, führten die Spannungen zwischen Napoleon und Friedrich
Wilhelm III. zur preußischen Mobilmachung und am 9. Oktober 1806 zur überstürzten Kriegserklärung
Preußens. Nun erwies sich die Prognose der preußischen Reformpartei als zutreffend, dass es nicht
mehr möglich sei, ohne grundlegende Reformen in Staat und Gesellschaft im napoleonischen Europa
zu überleben. Die Niederlage Preußens in der Doppelschlacht bei Jena und Auerstedt am 14. Oktober
1806, die durch den Frieden von Tilsit im Juli 1807 besiegelt wurde, machte den Weg frei für eine
Politik der Selbsterneuerung durch innere Reformen, die im Dienst des preußischen Wiederaufstiegs
standen. Da Staatskanzler Hardenberg zu Recht die öffentliche Meinung als ausschlaggebenden
Faktor in Rechnung zog, wurde, um die dynastische Loyalität und Opferbereitschaft der preußischen
Bevölkerung zu heben, während der Befreiungskriege die staatliche "Öffentlichkeitsarbeit" intensiviert
59
"Der Gedanke an ' Vaterland" in: Vater Gleim 's Zeitgedichte von 1789-1803. Erste Originalausgabe aus des
Dichters Handschriften durch Wilhelm Körte, Leipzig 1841, 160.
60
Elisabeth Feherbach: Vom Ancien Régime zum Wiener Kongress, München 20085, 72.
61
Clark: Preußen (wie Anm. 35), 353.
62
Fehrenbach: Vom Ancien Régime zum Wiener Kongress (wie Anm. 60), 71.
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und gleichzeitig die Zensur gelockert.63
<38>
Der König versprach nach der "Befreiung" eine Verfassung zu gewähren. Besonders die
Heeresreformer sahen dabei politische Mitwirkungsrechte und Freiheiten, die durch eine Verfassung
garantiert werden sollten, als unumgängliche Ergänzung der nach französischem Vorbild eingeführten
allgemeinen Wehrpflicht an: "Es scheint bei der jetzigen Lage der Dinge darauf anzukommen, dass
die Nation mit der Regierung aufs Innigste vereinigt werde, dass die Regierung gleichsam mit der
Nation ein Bündnis schließt, welches Zutrauen und Liebe zur Verfassung erzeugt und ihr eine
unabhängige Lage wert macht. Dieser Geist kann nicht ohne einige Freiheit...stattfinden. Wer dieses
Gefühl nicht genießt, kann auf sie keinen Wert legen und sich nicht für sie aufopfern." 64
<39>
Mit der von Scharnhorst apostrophierten "Nation" sind die preußischen Untertanen gemeint, wie auch
der Aufruf Friedrich Wilhelms III. vom März 1813 in erster Linie an ein dynastisch geprägtes
preußisches Nationalbewusstsein appelliert: Erinnert Euch an die Vorzeit, an den großen Kurfürsten,
den großen Friedrich. Bleibt eingedenk der Güter, die unter Ihnen Unsere Vorfahren blutig
erkämpften..... Erinnert Euch an die heldenmüthigen Schweizer und Niederländer. – Große Opfer
werden von allen Ständen gefordert werden; denn unser Beginnen ist groß, und nicht geringe die Zahl
und die Mittel unserer Feinde. Ihr werdet jene lieber bringen für das Vaterland, für Euern angeborenen
König, als für einen fremden Herrscher, ...Aber, welche Opfer auch von Einzelnen gefordert werden
mögen, sie wiegen die heiligen Güter nicht auf, für die wir sie hingeben, für die wir streiten und siegen
müssen, wenn wir nicht aufhören wollen, Preußen und Deutsche zu seyn." 65
<40>
Der Rückgriff auf die preußische Geschichte und der Vergleich des preußischen Freiheitskrieges mit
dem erfolgreichen Kampf anderer Staaten wie der Niederlande oder der Schweiz demonstrieren das
Selbstverständnis preußischer Eigenstaatlichkeit ebenso wie die Tatsache, dass Adressat des Aufrufs
nicht die Deutschen, sondern die "Brandenburger, Preußen, Schlesier, Pommern, Lithauer" sind – also
die Einwohner jener vier Provinzen, die dem preußischen König nach dem Frieden von Tilsit noch
geblieben waren. Während in Friedrich Wilhelms III. Aufruf das Bekenntnis zu Deutschland auf den
Zusatz beschränkt bleibt, dass die Preußen nicht aufhören wollen, "Deutsche zu seyn", verhieß die
gleichzeitig An die Deutschen gerichtete Proklamation von Kalisch, die der russische
Oberbefehlshaber Kutusow im Namen der russischen und preußischen Monarchen erließ, "den
63
Vgl. Jörg Echternkamp: Staatskrise, Reformdruck und Propaganda in Preußen, in: ders.: Der Aufstieg des
deutschen Nationalismus (1770-1840), Frankfurt a. M. 1998, 226-232.
64
Zitiert nach Fehrenbach: Vom Ancien Régime zum Wiener Kongress (wie Anm. 60), 123.
65
Quellen zum politischen Denken der Deutschen im 19. und 20. Jahrhundert, Freiherr-vom-SteinGedächtnisausgabe, Darmstadt 1981, Bd. 2, 254f; vgl. Echternkamp: Der Aufstieg des deutschen Nationalismus
(wie Anm. 65), 217.
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Fürsten und Völkern Teutschlands die Rückkehr der Freiheit und Unabhängigkeit" durch die
"Wiedergeburt eines ehrwürdigen Reiches".66 Exponent der am Reichspatriotismus orientierten
gesamtdeutschen Politik war der Freiherr vom Stein, der als Berater des russischen Zaren den Aufruf
zu einer gesamtdeutschen Erhebung maßgeblich formuliert hatte. Auch Wilhelm von Humboldt zeigte
sich überzeugt, dass "Deutschland [...] immer im Gefühle seiner Bewohner und vor den Augen der
Fremden eine Nation, ein Volk, ein Staat bleiben" werde, ohne jedoch, wie Spanien oder Frankreich
"in eine Masse zusammengeschmolzen" zu werden. Er plädierte deshalb für einen "Staatenverein". 67
<41>
Das Ideal "der starken Einheit in der freien Vielfalt" bestimmte auch die deutschlandpolitische Position
von Joseph Görres, dem Herausgeber des einflussreichen "Rheinischen Merkur". 68 Die in der
Artikelserie Preußen und sein Heer propagierte hegemoniale Aufwertung Preußens in
Norddeutschland, die mit den militärischen Erfolgen der preußischen Nation legitimiert wurde, fand
ihre Entsprechung in den Planungen der preußischen Delegierten und des österreichischen
Außenministers Fürst Metternich auf dem Wiener Kongress. In der Tradition des Reiches sollte ein
Bundesstaat mit repräsentativer Verfassung unter preußischer und österreichischer Doppelführung
entstehen.69 Obwohl zu Beginn der Verhandlungen im August 1814 eine euphorische Stimmung
geherrscht hatte und "allenthalben .... in den Berichten der Gesandten von der 'deutschen
Wiedervereinigung' und der 'Verjüngung der deutschen Verfassung' die Rede" gewesen war, 70 blieb
die neue politische Organisation im "Deutschen Bund" jedoch hinter der von Hardenberg und
Humboldt favorisierten Lösung weit zurück. Es entstand 1815 lediglich eine lockere völkerrechtliche
Vereinigung souveräner Staaten mit dem Zweck "der Erhaltung der äußeren und inneren Sicherheit
Deutschlands und der Unabhängigkeit und Unverletzlichkeit der einzelnen deutschen Staaten", wobei
das fortbestehende Reichsbewusstsein die Zustimmung zur Staatenvielfalt einschloss. 71
<42>
Die populäre Idee einer preußischen Deutschlandmission und die auf den preußischen König
gerichteten Hoffnungen einer Erneuerung des Deutschen Reiches fanden 1815 in Schinkels Gemälde
Mittelalterliche Stadt an einem Fluß programmatisch Ausdruck. Dem Sieg der Alliierten über Napoleon
schenkte die preußische Historienmalerei hingegen zunächst keine Beachtung. Verantwortlich für
diese Abstinenz war vermutlich das Fehlen historiographischer Vorlagen, da die napoleonische
66
Quellen zum politischen Denken der Deutschen im 19. und 20. Jahrhundert (wie Anm. 66), Bd. 2.
67
Wilhelm von Humboldt: Schriften über die deutsche Verfassung, in: ders.: Gesammelte Werke, Bd. 11, 95-116,
98,101, zitiert nach Echternkamp: Der Aufstieg des deutschen Nationalismus (wie Anm. 63), 282.
68
Echternkamp: Der Aufstieg des deutschen Nationalismus (wie Anm. 63), 280.
69
Echternkamp: Der Aufstieg des deutschen Nationalismus (wie Anm. 63), 288.
70
Wolfgang Burgdorf: "... und die Welt wird neu geordnet". Kontinuität und Bruch. Vom Beginn der
Revolutionskriege zum Deutschen Bund und zur Neuordnung Europas, in: Peter Schmidt / Klemens Unger (Hg.):
1803. Wende in Europas Mitte. Vom feudalen zum bürgerlichen Zeitalter, Regensburg 2003, 552-557, hier: 554.
71
Fehrenbach: Vom Ancien Régime zum Wiener Kongress (wie Anm. 60), 131.
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Epoche in der Geschichtsschreibung der unmittelbar nachnapoleonischen Zeit tabuisiert wurde:
"Keiner der deutschen Fürsten wollte Verantwortung für die Ereignisse zwischen 1792 und 1813
übernehmen und keiner der von ihnen bezahlten Historiker wollte sie ihnen zuschreiben." 72
<43>
Darüber hinaus versiegte mit der Wiedereinführung der rigoros gehandhabten Pressezensur abrupt
die politische Graphik und Lyrik als Quelle der Geschichtserzählung. 73 Da der Wiederaufstieg
Preußens das Signal für die Wiederherstellung der alten Herrschaftsstrukturen gab, bestanden zudem
für die Arbeit im Bereich der zeitaufwendigen und politisch sensiblen Historienmalerei die engen
Abhängigkeitsverhältnisse von den Auftraggebern fort. Um aber die Ereignisse der Jahre 1806 bis
1815 aus konservativ-dynastischer Sicht in Historienbildern glaubwürdig darstellen lassen zu können,
waren im öffentlichen Bewusstsein der Widerspruch zwischen dem 1813 propagierten Volkskrieg und
seiner retrospektiven Umdeutung in einen dynastischen Kabinettskrieg sowie die nicht eingehaltenen
Verfassungsversprechen des Königs noch zu gegenwärtig. Infolgedessen blieb auch die Allegorie auf
die Zurückkunft Sr. Majestät des Königs, mit der der Sekretär der Akademie der Künste, Karl Jacob
Schumann, Friedrich Wilhelm III. anlässlich seines triumphalen Einzuges am 7. August 1814 in Berlin
als "Vollstrecker einer heiligen Sendung" verherrlichte, eine Einzelerscheinung.
<44>
Deren Wirkungsmächtigkeit lag weniger in der Darstellung des Königs als "eques christianus", 74
sondern vielmehr in der religiösen Verklärung der früh verstorbenen Königin Luise. Ihr wurde im
Katalogtext die Rolle einer preußischen Madonna zugedacht. So heißt es dort erklärend zur Gestalt
der Luise: "Diesen [seinen heldenmüthigen König] umschwebt der Geist der verklärten Gemahlin, ein
schützender Genius in Kampf und Gefahr, jetzt den Segen des Himmels für ihn und sein Volk
erflehend. Glaube und Hoffnung in ihrem Gefolge" 75. Den Auftakt zu dieser Erweiterung des
preußischen Mythenrepertoires hatte Karl Friedrich Schinkels Entwurf einer Begräbniskapelle für
Königin Luise im gotischen Stil gemacht, der auf der Akademie-Ausstellung 1810 gezeigt worden
war.76 Mit der Stilisierung der Königin zur Nationalheldin und mutigen Gegnerin Napoleons, die sich für
Preußen geopfert hatte, kompensierte das konservative Preußen die Politik der Kollaboration Friedrich
Wilhelms III. und schuf sich außerdem Ersatz für das bisher übermächtige Ideal Friedrichs II., das mit
der militärischen Katastrophe von 1806 vorerst zu verblassen begann. Im Kontext der
72
Wolfgang Burgdorf: Ein Weltbild verliert seine Welt. Der Untergang des Alten Reiches und die Generation 1806,
München 2006, 250.
73
Vgl. Ernst Weber: Lyrik der Befreiungskriege. 1812-1815, Stuttgart1991; Christof Römer: Die Bildwelt des
Patriotismus und die Ikonographie seiner Helden in Deutschland. 1806-1815, in: Ulrich Hermann (Hg.): Volk –
Nation – Vaterland, Hamburg 1996, 369-390.
74
Schoch: Das Herrscherbild in der Malerei des 19. Jahrhunderts (wie Anm. 44), 127.
75
Die Kataloge der Berliner Akademie-Ausstellungen 1786-1850 (wie Anm. 27), Bd. I., Ausstellung 1814, Nr. 16,
3.
76
Vgl. Christoph Martin Vogtherr: Kat. Nr. II.2/111, in: Ausstellungskatalog: "Die Kunst hat nie ein Mensch allein
besessen" (wie Anm. 28), 160.
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Befreiungskriege huldigten auch die Königlich Preußische Porzellanmanufaktur und die
Eisengießereien der preußischen Königin, die 1870 bei Beginn des deutsch-französischen Krieges
erneut "das Losungswort zur Rache"77 lieferte. Die spezielle Luisen-Graphik, die der Luisenkult seit
1810 kontinuierlich hervorbrachte, fand nach 1871 Eingang in die preußischen Schulbücher.
IV. Historienmalerei im Dienst der einzelstaatlichen Nationalerziehung
<45>
Die enttäuschten Hoffnungen auf eine "deutsche Wiedervereinigung" 78 und der Wille der überlebenden
Staaten, ihre Souveränität nach innen wie nach außen uneingeschränkt zu behaupten, beförderten
nach 1815 eine von der Romantik geprägte Hinwendung zum Mittelalter. In der Beschwörung einer
großartigen Vergangenheit, die in den Augen der Romantiker vor allem durch die Gotik verkörpert
wurde, manifestierten sich die Ideale der preußischen Reformer, die Sehnsucht nach einem geeinten
und zugleich mächtigen Deutschland, aber auch die Rechtfertigung der Restauration. In allen
deutschen Staaten profitierten die aufblühende Geschichtswissenschaft und Germanistik wie auch das
historische Vereinswesen von der historiographischen Methodik der Juristen, deren ReichsrechtsStudium durch den Untergang des Alten Reiches obsolet geworden war und die sich nun in großer
Zahl mit der Mediävistik ein neues Betätigungsfeld erschlossen. "So wurde der Untergang des
Deutschen Reiches zu einer bislang noch nie richtig gewürdigten katalysatorischen Macht größten
Ausmaßes für die deutsche Geistes- und Kulturgeschichte des 19. Jahrhunderts." 79 In Preußen mit
seiner vergleichsweise jungen Dynastie eröffnete die Umdeutung der Marienburg zu einem
preußischen Nationaldenkmal die Möglichkeit, die nationale Geschichtserzählung in die Epoche des
Mittelalters hinein auszuweiten und die patriotische Historienmalerei mit neuen interessanten Stoffen
anzureichern:
"Mit dem ehemaligen Ordensschloss wurde auch die Geschichte seines einstigen Besitzers,
des Deutschen Ordens, die in Preußen entweder in negativer Erinnerung fortlebte oder
weithin vergessen war, in die Erinnerung zurückgerufen, neu und positiv bewertet und zu
einem Fundament der historisch-politischen Tradition gemacht." 80
<46>
Auslöser für die Rettung und Restaurierung der bereits zum Abriss bestimmten Burganlage war die
Präsentation der Marienburg-Zeichnungen von Friedrich Gilly auf den Berliner AkademieAusstellungen, "die mit einem Schlage den Rang der Marienburg als eines – antiken Bauten
77
"Luise sei der Schutzgeist deutscher Sache/ Luise sei das Losungswort der Rache!" Theodor Körner: An die
Königin Luise, 1813, zitiert nach "Körners Sämtliche Werke in vier Bänden", Stuttgart o. J., Bd. I, 61.
78
Burgdorf: "... und die Welt wird neu geordnet" (wie Anm. 70), 554.
79
Burgdorf: Ein Weltbild verliert seine Welt (wie Anm. 72), 338.
80
Hartmut Boockmann: Die Marienburg im 19. Jahrhundert, Frankfurt a. M. 1982, 11.
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ebenbürtigen – Baudenkmals manifestierten."81 1795 waren dort die Originale zu sehen gewesen,
1802 dann Friedrich Fricks großformatige Aquatinta-Reproduktionen. Nachdem im folgenden Sommer
der junge Ferdinand Max von Schenkendorf, der künftige Dichter der Freiheitskriege, nach einem
Besuch der Marienburg die anhaltende Zerstörung des Schlosses zornig als "Entheiligung" des
Andenkens der Väter in einem Zeitungsartikel angeprangert hatte, erteilte Friedrich Wilhelm III. den
Befehl zur Erhaltung der Ordensburg, der jedoch erst nach dem Sieg über Napoleon wirksam wurde.
Durch die Stiftung des Eisernen Kreuzes am 10. März 1813 stellte der König den modernen
preußischen Staat im Zusammenhang der Befreiungskriege erstmals nachdrücklich in die
Deutschordenstradition.
<47>
Entscheidend für den Erfolg der Rettungsmaßnahmen war, dass sich Theodor von Schön, der als
Leiter der Provinzialverwaltung für die Arbeiten an der Marienburg zuständig war, deren
Wiederherstellung zur Lebensaufgabe machte. Angesichts der finanziellen Notlage des preußischen
Staates nach den Befreiungskriegen entwickelte Schön die Idee, private Stiftungen einzuwerben; 1818
gelang es ihm, ungeachtet seiner letztlich gegensätzlichen politischen Zielvorstellungen, Kronprinz
Friedrich Wilhelm für das Restaurierungsprojekt zu begeistern. Schön, der zum Kreis der preußischen
Reformer zählte, betrieb die Wiederherstellung der Marienburg "als Unterpfand seiner politischen
Ideale und Hoffnungen";82 er wollte, wie er an den preußischen Staatskanzler Graf von Hardenberg
schrieb, den "Kapitelsaal den Ständen zum Versammlungsort bei Landtagen ... übergeben, damit der
Sinn für große und edle Thaten gestärkt werde, durch die Erinnerung an die Vorzeit" 83. Auch das
Engagement des Kronprinzen speiste sich aus der romantischen Begeisterung für das Mittelalter, für
ihn war jedoch die verklärte Vergangenheit deckungsgleich mit der Gegenwart, die er zukünftig als
König im Sinne eines absoluten Herrschertums zu gestalten gedachte.
<48>
Das Resultat der gemeinsamen Anstrengungen war die künstlerische Ausgestaltung der Marienburg
durch die Verglasung des Sommerremters und des Großen Remters in den zwanziger Jahren des 19.
Jahrhunderts und die dort in der Jahrhundertmitte angebrachten Freskodarstellungen der wichtigsten
Hochmeister, "die den ideellen Wert der Marienburg als historisch und national-preußisches Heiligtum
unterstreichen sollten"84. Die Verglasung des Großen Remters wurde bereits im Jahre 1819 begonnen.
Als Stifter gewann Schön die westpreußischen Städte, die Marienburger Deichverbände und die
Stände der westpreußischen Kreise. Das von Schinkel entworfene Fenster des Kreises RiesenburgMarienwerder, in dem Ordensritter und Landwehrmann nebeneinandergestellt sind, bringt den Kern
81
Eva Börsch-Supan: Karl Friedrich Schinkel. Lebenswerk. Die Provinzen Ost- und Westpreußen und
Großherzogtum Posen, München 2003, 540.
82
Boockmann: Marienburg (wie Anm. 80), 20.
83
Theodor von Schön an den Staatskanzler Karl August Graf von Hardenberg, Schreiben vom 22. November
1815, zitiert nach Boockmann: Marienburg (wie Anm. 80), 141.
84
Börsch-Supan: Karl Friedrich Schinkel (wie Anm. 81), 567.
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der Schönschen Vorstellungen zum Ausdruck, denn die von Schön vorgegebene Ikonographie zieht
eine direkte Traditionslinie zwischen dem modernen Preußen der Befreiungskriege und dem
Ordensstaat, die er in die Formel fasst: "Die Eroberung des Landes für das Christentum […] und das
Leben und Sterben mit Gott für König und Vaterland". 85
<49>
Gleichzeitig mit den ersten Fenstern des Großen Remters wurde die von den preußischen Prinzen
finanzierte Verglasung des Sommerremters nach Entwürfen von Carl Wilhelm Kolbe d.J. und Karl
Wilhelm Wach in Angriff genommen. Das Programm des Zyklus zeigte zehn zentrale Szenen aus der
Geschichte des Deutschen Ordens, von denen neun als Gemäldewiederholung erhalten sind. Den
Abschluss bildete ein Ereignis, das auch nach dem damaligen Kenntnisstand gar nicht stattgefunden
haben konnte: "Luther auf dem Reichstag zu Worms vor Kaiser Carl V 1521 von Herzog Albrecht von
Preußen vertheidigt".86 Die Integration eines rein fiktionalen Geschehens in ein ansonsten historisch
schlüssiges Bildkonzept demonstriert die herausragende Bedeutung, die der Reformation einerseits
und dem Nationaldenkmal Marienburg andererseits als konstitutive Elemente der preußischen
Identität beigemessen werden müssen. Theodor von Schön geht in einem Brief an den Kronprinzen
soweit, zu argumentieren, dass erst die Säkularisation des Ordensstaates der Reformation ihre
weltgeschichtliche Wirkung verliehen habe:
<50>
"vor dem Altare der Schlosskirche in Marienburg sind Gelübde geleistet und Zusagen
gemacht, welche einen großen Teil der Menschheit so zum Bessern in Bewegung gebracht
haben, wie seit Mohameds Zeit dies nicht der Fall gewesen ist. Die Verbindung des
geistlichen mit dem weltlichen Leben, die Steigerung desselben bis zur Landeshoheit sind
ungeheure Momente der Weltgeschichte. Der Orden legte dadurch den Keim zur
Vernichtung einer vom Volk abgeschnittenen, in sich selbst abgeschlossenen Priesterschaft,
und mit Ausführung dieses Satzes bekam die Reformation einen Grund und Boden, wie ihn
die Läuterung einzelner Dogmen ihr nie hätte geben können. Wäre Herzog Albrecht nicht
Deutscher Herr gewesen, dann würde er wahrscheinlich nicht der Reformation beigetreten
und als ehemaliger geistlich weltlicher Fürst nicht das hohe Beispiel gegeben haben,
welches er nach der Geschichte ganz Deutschland gab. Durch die Vernichtung des
abgeschlossenen Clerikats wurde der Menschheit eine neue Bahn zum Himmel gebrochen
und als Symbol dieses gewaltigen Ereignisses steht heute die Marienburger Schlosskirche
da."87
85
Zitiert nach Börsch-Supan, Karl Friedrich Schinkel (wie Anm. 81), 579.
86
Boockmann: Marienburg (wie Anm. 80), 28.
87
Zitiert nach Boockmann: Marienburg (wie Anm. 80), 28.
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<51>
Die Aufgabe, eine landesspezifische historiographische Tradition im öffentlichen Bewusstsein zu
verankern, stellte sich der Historienmalerei nicht nur in Preußen, sondern in allen Staaten des 1815
geschaffenen Deutschen Bundes. Denn aus der Tradition der Reichsnation entwickelte sich in
Deutschland ein "föderativer Nationalismus", der eine "deutsche Nation" zwar als existent anerkannte,
"einen Nationalstaat jedoch als Bruch mit der Geschichte verabscheute" 88 und das Bekenntnis zum
jeweiligen deutschen Territorialstaat an die erste Stelle setzte. Geradezu programmatisch kam diese
Bewusstseinshaltung in den Worten Ludwigs I. von Bayern zum Ausdruck, mit denen er 1848 seine
Abdankung kommentierte: "Auch von Throne gestiegen, schlägt glühend mein Herz für Bayern, für
Deutschland!"89 Besonders für Bayern, seiner Größe nach ein Staat zwischen Großmächten und
Mittelstaaten, der älteste Staat Europas, der auf eine ungebrochene Geschichte seit der
Völkerwanderung zurückblickte und dessen Dynastie seit 1180, also am längsten von allen Dynastien
Europas, regierte, bot sich die Förderung des Geschichtsbewusstseins als probates Mittel an, um ein
bayerisches Nationalgefühl zu stiften.
<52>
Fast zeitgleich mit den zehn Kompositionen für die Marienburg – und vermutlich auch mit angeregt
durch das preußische Vorbild – entstand deshalb auch in München erstmals ein dem Gedanken der
Nationalerziehung verpflichteter Zyklus monumentaler Historienmalerei. Ludwig I. (RZ 1825-1848),
dem die Hauptstadt des Königreichs Bayern ihren Aufstieg zur führenden Kunstmetropole
Deutschlands verdankte, ließ unmittelbar nach seinem Regierungsantritt in den Jahren von 1826 bis
1829 die Arkaden am Münchener Hofgarten nach Entwürfen von Peter Cornelius – seit 1825 Leiter der
Akademie – mit einer Freskenserie aus der Geschichte der Wittelsbacher ausmalen, die einen kühnen
Bogen vom Mittelalter bis zu ihrem königlichen Auftraggeber schlug. 90 Ausdrücklich an Preußen und
dem fest verwurzelten preußischen Selbstbewusstsein orientierte sich das Programm zur "Hebung
des bayerischen Nationalgefühls", das Ludwigs Nachfolger, Maximilian II. (RZ 1848-1864) als Antwort
auf die Revolution von 1848 aus der Taufe hob.91 Dank eines umfangreichen, strategisch
durchdachten Maßnahmenkataloges, in dem die Historienmalerei eine zentrale Rolle spielte, gelang
es dem bayerischen König, aus seinen "bayerischen Landen" nach preußischem Vorbild eine
eigenständige bayerische Nation zu formen.92
88
Dieter Langewiesche: Föderativer Nationalismus als Erbe der deutschen Reichsnation. Über Förderalismus und
Zentralismus in der deutschen Nationalgeschichte, in: ders. / Georg Schmid (Hg.): Föderative Nation.
Deutschlandkonzepte von der Reformation bis zum Ersten Weltkrieg, München 2000, 215-244, hier: 218.
89
Schorn 's Kunstblatt, Nr. 20, 25. April 1848.
90
Helmut Börsch-Supan: Deutsche Malerei von Anton Graff bis Hans von Marées, 1760-1870, München 1988,
278.
91
Vgl. Manfred Hanisch: Für Fürst und Vaterland. Legitimitätsstiftung in Bayern zwischen Revolution 1848 und
deutscher Einheit, München 1991; ders.: Nationalisierung der Dynastien oder Monarchisierung der Nation? Zum
Verhältnis von Monarchie und Nation in Deutschland im 19. Jahrhundert, in: Adolf Birke / Lothar Kettenacker
(Hg.): Bürgertum, Adel und Nation in Deutschland im 19. Jahrhundert, München 1989, 71-91.
92
Den Erfolg der bayerischen Politik erkannte auch der preußische Ministerpräsident Otto von Bismarck an, der
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<53>
Sein eigentliches Ziel war dabei, die monarchische Souveränität gegen die erstarkende deutsche
Nationalbewegung und die liberalen und demokratischen Kräfte im eigenen Land dauerhaft zu
behaupten. Im Fokus der einzelstaatlich geförderten patriotischen Historienmalerei standen deshalb
primär Ereignisse aus der wissenschaftlich erforschten "Nationalgeschichte". Der im Zweiten Weltkrieg
zerstörte Zyklus zur Nationalgeschichte Bayerns und der Wittelsbacher im Bayerischen
Nationalmuseum, der mit 147 Wandgemälden in 27 Sälen die Folie für die dort versammelten
bayerischen Kunstdenkmäler bildete und landesweit durch Lithographien verbreitet wurde, setzte neue
Maßstäbe für die politische Instrumentalisierung der Historienmalerei, die wiederum beispielgebend
auf Preußen wirkte; denn in beiden Staaten wurde nicht der Weg beschritten, durch eine
konstitutionelle Reform eine selbstbestimmte Staatsnation nach westeuropäischem Vorbild zu
begründen. Stattdessen wurde die Monarchisierung der Nation bzw. die Nationalisierung der
Monarchie betrieben.
V. Im Bann des Historismus: Inszenierte Geschichte und nationale
Identifikation
<54>
Während Mitte des 19. Jahrhunderts die patriotische Historienmalerei aufgrund ihrer lokalen
Gebundenheit die Vielteiligkeit der politischen Landkarte Mitteleuropas widerspiegelte, führte zur
selben Zeit die Verbesserung der Verkehrsverhältnisse durch das rasch wachsende Eisenbahnnetz zu
einer stärkeren Verflechtung des deutschen Kunstgeschehens und ließ auch die Verbindung zur
Malerei der benachbarten Länder enger werden. Das Ausstellungswesen blühte nicht mehr nur in den
vier Kunstzentren, Berlin, Düsseldorf, München und Wien, sondern dank der vom Bürgertum
getragenen Kunstvereine in allen größeren Städten. 93 Mit berechtigtem Stolz verwies der
Kunsthistoriker Friedrich Eggers 1856 im Deutschen Kunstblatt auf die Erfolgsbilanz der Kunstvereine:
"Seitdem die verschiedenen Kunstvereinskreise, deren wir sechs in Deutschland haben, welche
zusammen 34 Kunstvereinsstädte umfassen, seitdem ferner noch 20 Vereine in einzeln stehenden
Städten existieren und Kunstausstellungen veranstalten, die großen Ausstellungen der
Akademiestädte nicht mitgerechnet – welch ein Wandern der Bilderkisten auf den Eisenbahnen! Man
möchte glauben, es geht kein Zug ab, der nicht Kunstwerke mit sich führte. Wer nicht zu ihnen kommt,
zu dem kommen sie."94
im März 1865 an den russischen Gesandten in München, Prinz Heinrich VII. von Reuß schrieb: "Bayern ist
vielleicht das einzige deutsche Land, dem es durch seine materielle Bedeutung, durch die bestimmt ausgeprägte
Stammeseigentümlichkeit und die Begabung seiner Herrscher gelungen ist, ein glückliches und in sich selbst
befriedigtes Nationalgefühl auszubilden." Zitiert nach Manfred Hanisch: Maximilian II. und die Geschichte.
Bayerisches Nationalgefühl durch Geschichtsbewusstsein, in: Ausstellungskatalog: Zwischen Glaspalast und
Maximilianeum. Architektur in Bayern zur Zeit Maximilians II. 1848-1864, hg. von Winfried Nerdinger, München
1997, 16-27, hier: 19.
93
Zur Entwicklung der Kunstvereine vgl. Börsch-Supan: Deutsche Malerei von Anton Graff bis Hans von Marées
(wie Anm. 90), 254.
94
Deutsches Kunstblatt, Jahrgang VII. Nr. 39, 25. September 1856, 337.
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<55>
Angesichts der Schwierigkeit, sich in den überfüllten Ausstellungssälen zu behaupten und die
Aufmerksamkeit der Besuchermassen zu erregen, demonstrierten die Künstler im Historienfach ihr
Können mit Monumentalgemälden; parallel zu den Großformaten setzte sich vor dem Hintergrund des
Siegeszuges von Empirie und Historismus der aus Belgien kommende sogenannte koloristische
Realismus mit seinen auf Wahrscheinlichkeit zielenden Geschichtsinszenierungen durch. Der
Fortschritt der Historienmalerei wurde jetzt immer mehr in einer Vertiefung der Geschichtskenntnisse
gesehen, da die historische Stimmigkeit der Bilder als wichtiges Qualitätskriterium galt. Bei der
Auswahl der Sujets für zeitaufwendige monumentale Historienbilder spielten die
Vermarktungsmöglichkeiten eine wichtige Rolle; Themen aus der – nunmehr wissenschaftlich
erforschten – mittelalterlichen Reichsgeschichte, die sich im gesamten deutschen Sprachraum großer
Popularität erfreute, boten sich daher bevorzugt an. Als besonders einflussreich erwies sich Friedrich
von Raumers 1823-1825 erschienene "Geschichte der Hohenstaufen und ihrer Zeit", die bei den
Künstlern eine Flut von Darstellungen auslöste, in denen die mittelalterliche Welt und ein deutsches
Kaisertum imaginiert wurden.95 Bis zum Beginn der Einigungskriege, aus denen bekanntlich das
kleindeutsche Reich unter preußischer Führung hervorging, erschien das Bild des toten Barbarossa
als Leitmotiv, das dem durch den Untergang des Alten Reiches ausgelösten Gefühl der Wehmut über
den Verlust vergangener Größe Ausdruck gab.
<56>
In Preußen, wo 1819 im neu erworbenen Düsseldorf die kurfürstliche Akademie wiederbelebt und
1841 die Königsberger Akademie gegründet worden war, so dass der künstlerische Nachwuchs in
nunmehr gleich drei Ausbildungsstätten herangezogen wurde und sich der Konkurrenzkampf
entsprechend verschärfte, lag es für die jungen Maler nahe, sich mit der Geschichte des
Herrscherhauses zu beschäftigen und auf diese Weise die eigene Karriere zu befördern. Als
Paradebeispiel hierfür kann das 1848 auf der Berliner Akademie-Ausstellung gezeigte
Monumentalgemälde Albrecht Achill im Kampf mit den Nürnbergern gelten, mit dem der Berliner Maler
Carl Steffeck (1818-1890), der zehn Jahre später als Professor an die Berliner Akademie berufen
wurde, sich als Historienmaler einen Namen machte.96 Aber gerade im Königreich Preußen, das
Vorreiter bei der Herausbildung eines partikularen Eigenbewusstseins gewesen war, darf die Wahl von
Themen aus der Landesgeschichte keineswegs als bloße Marktstrategie der Künstler gewertet
werden, sondern muss als Ausdruck eines ausgeprägten preußischen Nationalbewusstseins gelten.
Ein sprechendes Beispiel dafür, wie wenig die partikulare Identität von den politischen
Einheitsbestrebungen des Vormärz in Frage gestellt wurde, stellt eine Äußerung des Kunsthistorikers
Franz Kugler dar, der anlässlich seines ersten Münchenaufenthalts im September 1832 beim
städtebaulichen Vergleich der bayerischen Hauptstadt mit Berlin an seine Frau Clara schrieb, "dass
95
Börsch-Supan: Deutsche Malerei von Anton Graff bis Hans von Marées (wie Anm. 90), 278f.
96
Kunstblatt, Nr. 45, 14. September 1848. Das Gemälde mit den Maßen 383 x 565 cm hing bis 1937 im
Treppenhaus der Alten Nationalgalerie und befindet sich seitdem aufgerollt im Depot.
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ich somit allen Hambachern zum Trotz, wieder einmal Gott zu danken habe, dass ich ein Preuße bin" 97
<57>
In Preußen gingen deshalb wichtige Impulse für die Gestaltung der patriotischen Bildwelt von den
Künstlern und nicht vom König aus, wobei der hundertste Jahrestag der Thronbesteigung Friedrichs
des Großen 1840 als Schlüsseldatum gelten muss, denn aus diesem Anlass kam nach den ersten
Anläufen um 1800 Friedrich II. erneut in den Blickpunkt der preußischen Historienmaler. Das
verblasste Bild des Königs erfuhr durch Adolph Menzels Illustrationen zu Franz Kuglers Geschichte
Friedrichs des Großen, in der Friedrich II. in Fortführung der Friedrich-Panegyrik des ausgehenden 18.
Jahrhunderts als genialer Feldherr, als gerechter und toleranter Landesvater und als Philosoph von
Sanssouci geschildert wird, seine endgültige ikonographische Fixierung. Wie vordem Chodowieckis
Illustrationen zu Archenholz und Nicolai machten die Illustrationen Menzels Kuglers Wunschbild
optisch erfahrbar. 1849 begann Menzel seine Serie der elf Gemälde mit Szenen aus dem Leben
Friedrichs II., mit denen der Künstler Stellung gegen Friedrich Wilhelm IV. und dessen Mittelalterideal
bezog. Menzel rekonstruierte in ihnen eine vergangene Welt mit einer bis dahin unbekannten
Präzision, als sei sie wahr:
<58>
"Alles, was der äußeren Gestaltung des Lebens, dem Zeitgeschmack und den mannigfaltigen
Wandlungen desselben in Baulichkeiten, Geräten, Kostümen und allgemeiner Sitte angehört, beruht
auf Studien charakteristischer Vorbilder, wie sich diese teils im Originale selbst, teils in Abbildungen
oder in schriftlicher Überlieferung auf unsere Zeiten erhalten haben." 98 Aufgrund ihrer zwingenden
Suggestivität prägten Menzels Friedrich- Interpretationen das Bild des Königs bis in unsere Tage und
wirkten dank ihrer großen Popularität gerade in den von Preußen seit 1803 hinzugewonnenen
Landesteilen, in denen zunächst erheblicher Mangel an "vaterländischem" Bewusstsein bestand, als
Wegbereiter eines borussisch geprägten "Wir"-Gefühls.99 Wenn Menzel Friedrich II. als Idealgestalt
des preußischen Staatsbürgers zeigt, so ist es auch nur logisch, dass das berühmteste Werk von
Menzels 20 Jahre dauernder intensiver Beschäftigung mit friderizianischen Themen das
97
Franz Kugler in einem Brief an seine Frau Clara vom 18. September 1832, zitiert nach Leonore Koschnick:
Franz Kugler (1808-1858) als Kunstkritiker und Kulturpolitiker, Berlin 1985, 44.
98
Adolph Menzel: Historischer Nachweis zum Verständnis einiger Illustrationen, in: Geschichte Friedrichs des
Großen von Franz Kugler. Mit den berühmten Holzschnitten von Adolph Menzel, Neue ungekürzte Fassung der
Originalausgabe, Leipzig [1938], 527.
99
Dass sich auch nach über 100 Jahren der Zugehörigkeit zu Preußen viele Rheinländer noch nicht eindeutig mit
dem Hohenzollernstaat identifizierten, spricht aus einer von Michael Klein geschilderten Begebenheit aus dem
Jahre 1916: Als im Rahmen eines "Vaterländischen Abends" anlässlich des Geburtstages des Kaisers in
Düsseldorf das vorgesehene gemeinsame Lied "Ich bin ein Preuße" nur von den Preußen mitgesungen wurde,
antwortete der Oberbürgermeister auf die schriftliche Beschwerde des Kommandierenden Generals mit der
Feststellung, dass die Rheinprovinz zwar zu Preußen gehöre, deren "Bewohner jedoch keine Preußen" seien".
Michael Klein: Zwischen Reich und Region. Identitätsstrukturen im Deutschen Kaiserreich (1871-1918), Stuttgart
2005, 321.
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"Flötenkonzert Friedrichs des Großen in Sanssouci" (1849) zunächst einen bürgerlichen Käufer
fand.100
<59>
Die in den Einzelstaaten vorherrschende dynastisch-partikulare Sichtweise auf die künstlerische
Auseinandersetzung mit der deutschen Geschichte rief im Zuge der erstarkenden deutschen
Nationalbewegung auch eine Gegenbewegung auf den Plan. Im September 1853 erschien im
Deutschen Kunstblatt ein Aufruf an die Vorstände der deutschen Kunstvereine, sich zur gemeinsamen
Förderung der Historienmalerei in einer Dachorganisation zusammenzuschließen; der im folgenden
Jahr in München tagende Gründungskongress der "Verbindung historische Kunst" erörterte dann
intensiv die Frage, "wie durch eine lebendigere Annäherung aller deutschen Kunstvereine zu einander
und durch eine geregeltere Verbindung untereinander, nicht nur das Wesen der Vereine und der
Kunstausstellungen, sondern vorzugsweise das Nationale, das ächt deutsche Element in der
aufstrebenden Kunst wärmer gepflegt, allgemeiner und consequenter gefördert werden kann?" 101
<60>
Laut Satzung sollten die Anteilseigner der als Aktiengesellschaft organisierten "Verbindung" auf ihrer
jährlichen Hauptversammlung über den zu behandelnden historischen Stoff und den zu
beauftragenden Künstler abstimmen, die erworbenen Kunstwerke sollten in allen dem Verein
angehörenden Städten gezeigt und anschließend verlost werden. Als kulturpolitisch großdeutsch
orientierter Zusammenschluss ergriff die "Verbindung", der über 60 Kunstvereine angehörten, anfangs
eindeutig Partei für ein vereinigtes Deutschland unter Einschluss Österreichs. Bereits an der
pragmatischen Zweiteilung des ersten künstlerischen Auftrags – er wurde an Moritz von Schwind und
Adolph Menzel vergeben – erwies sich aber, dass eine gesamtdeutsche Geschichtserzählung, die in
ganz Deutschland Gültigkeit beanspruchen konnte und an der sich die Verbindung bei der
Auftragsvergabe hätte orientieren können, nicht vorhanden war. Die Realität der Verbandsarbeit in den
ersten Jahren ihres Bestehens bot infolgedessen genügend Anlass, im Hauptorgan der deutschen
Kunstvereine, den Dioskuren, an die Mitglieder zu appellieren:
<61>
"So schwierig es nun auch ist, gerade in unserm Vaterlande, Deutschland, wegen seiner Zerspaltung,
die historische, ideale Kunst zu heben.[...] so dürfen wir doch keineswegs an der Möglichkeit
verzweifeln. [...] Für unseren hohen künstlerischen Zweck kommt es also vor allen Dingen darauf an,
dass wir jedes partikularistische und Partei-Interesse gänzlich fallen lassen, dass wir nicht danach
fragen: bist du Katholik oder Protestant? wohnst du am Rhein, an der Weser, oder an der Donau? bist
100
Vgl. Donat de Chapeaurouge: Menzels Friedrichbilder im historischen Genre, in: Ekkehard Mai (Hg.):
Historienmalerei in Europa. Paradigmen in Form, Funktion und Ideologie, Mainz 1990, 213-228.
101
Die Versammlung in München, in: Deutsches Kunstblatt, Nr. 36, 7. September 1854, 321-322, hier: 322; vgl.
auch Hans-Werner Schmidt: Die Förderung des vaterländischen Geschichtsbildes durch die Verbindung für
historische Kunst, 1854-1933, Marburg 1985, 26.
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du Düsseldorfer, Münchner oder Berliner Künstler? – sondern dass wir uns als das fühlen, was wir
sind, und sein müssen, wenn wir unseren hohen Kunstzweck erreichen wollen, nämlich als –
Deutsche."102 Die Beschwörung einer gesamtdeutschen Identität und entsprechender auf die
"Verbindung" gerichteten Hoffnungen dämpfte die Redaktion der Dioskuren aber sogleich in einer
Fußnote mit dem Hinweis, dass nicht das deutsche Volk, sondern "es nur einige
Kunstvereinsvorstände sind, welche die Leitung in die Hand genommen haben. Daß aber die
Kunstvereine nur partikuläre Zwecke verfolgen und sich niemals mit der Ausführung eines großen
nationalen Plans befassen können, liegt in der Natur solcher Vereine selbst." 103
VI. Vaterländische Kunst und Nationalmuseen
<62>
Das Fehlen eines gemeinsamen historiographischen Nenners und der herrschende föderative
Nationalismus erwiesen sich auch bei der Umsetzung aller Pläne als bestimmende Faktoren, für die
zeitgenössische Kunst Museen zu errichten und damit eine großzügige öffentliche Kunstförderung in
Gang zu setzen. Die Idee eines "National-Museums" bzw. einer "National-Gallerie" für zeitgenössische
Kunst wurde im Königreich Preußen schon seit 1834, also lange vor der Revolution von 1848,
öffentlich diskutiert. Den Boden, auf dem die Museumsdebatte gedieh, bildeten dabei nicht
gesamtdeutsche Einheitsideale, sondern Spannungen zwischen den in der preußischen Provinz
operierenden jüngeren Kunstvereinen und dem 1825 in Berlin gegründeten "Verein der Kunstfreunde
im preußischen Staate".104 Dessen Praxis, die erworbenen Bilder unter den Mitgliedern zu versteigern,
ohne sie zuvor auf Ausstellungstournee durch die Provinz zu schicken, führte nach Meinung der
Kritiker dazu, dass "leicht das Beste in einen entfernten Winkel der Erde verschlagen und
unzugänglich werden, ja ganz in Vergessenheit gerathen" könne und zuvor nur in Berlin und
Düsseldorf zu sehen gewesen wäre.105
<63>
Der Vorstand des Kunstvereins Halberstadt stellte daher, wie die Kunstzeitschrift Museum berichtete,
auf der ersten "allgemeinen" Versammlung der Kunstvereinsvorstände vom Oktober 1834 in Berlin,
102
R. Fischer: Zur Hebung der Historienmalerei in Deutschland, in: Die Dioskuren. Zeitschrift für Kunst,
Kunstindustrie und künstlerisches Leben, redigirt unter Mitwirkung einheimischer und auswärtiger Kunstfreunde
von Dr. Max Schasler, 2. Jahrgang, Nr. 4, 15. Februar 1857, 29.
103
Dioskuren, 2. Jahrgang, Nr. 4, 15. Februar 1857, 30.
104
Im Gründungsvorstand des "Vereins der Kunstfreunde im preußischen Staate", der in den ersten Jahren vor
allem die in Italien lebenden preußischen Künstler förderte, war mit den Bildhauern Christian Daniel Rauch und
Christian Friedrich Tieck sowie den Malern Wilhelm Wach, Wilhelm Schadow, Carl Joseph Begas und Carl
Wilhelm Kolbe die künstlerische Elite Preußens vertreten. Den Vorsitz übernahm Wilhelm von Humboldt. Vgl.
auch Joachim Grossmann: Künstler, Hof und Bürgertum. Leben und Arbeit von Künstlern in Preußen, 1786-1850,
Berlin 1994, 94-100.
105
Beilage zum Museum, Zeitschrift für bildende Kunst, hg. von Franz Kugler, Jg. II, 1834, Nr. 43, 27, Oktober
1834; Angelegenheit deutscher Kunstvereine: Bericht über die Zusammenkunft ihrer Vorstandsmitglieder in
Berlin, 356; vgl. auch Museum, Jg. II, 1834, Nr. 14,7. April 1834, 109.
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auf denen die preußischen Vereine mit Königsberg, Stralsund, Stettin, Halle, Halberstadt, Düsseldorf
und Münster sowie die nichtpreußischen mit Braunschweig und Weimar vertreten waren, den Antrag
zur Diskussion, "dass der Verein der Kunstfreunde im preussischen Staate diejenigen der von ihm
erworbenen und zu bestellenden Kunstwerke, welche nach dem jedesmaligen Ermessen des
Directoriums und des Ausschusses eine öffentliche Bestimmung verdienen, und sich mehr für ein
öffentliches Institut als für den Privatbesitz eignen, nicht ferner verloost, sondern als Eigenthum des
Vereines aufbewahrt, aus denselben nach und nach ein National-Museum gebildet und dadurch dem
ganzen Volke der dauernde Besitz der wichtigsten Kunstwerke unserer Zeit gesichert werde". 106 Dass
es sich hier um eine ganz und gar auf die Kunstprodukte der preußischen Nation beschränkte
Zielsetzung handelte, ergab sich a priori aus dem § 6 der Vereinsstatuten:
"Da der Zweck des Vereins ausschließlich auf die Beförderung der vaterländischen Kunst
gerichtet ist, so kann er seine Mittel nur auf Werke Preußischer Künstler verwenden. Doch
ist es nicht nothwendig, dass sie gerade im Preußischen Staate oder von Preußischen Eltern
geboren sind, sondern es reicht hin, dass sie durch Vollendung ihrer Studien in Preußen und
daselbst genommenen Wohnsitz einheimisch geworden sind." 107
<64>
Da der Vorstand des Berliner Kunstvereins an der Zusammenkunft nicht teilnahm, legten acht
Mitglieder des Halberstädter Vereins, die gleichzeitig auch dem Berliner Mutterverband angehörten –
federführend war der Apotheker Dr. Lucanus –, ihren Antrag ein halbes Jahr später der
Mitgliederversammlung des "Vereins der Kunstfreunde im preußischen Staate" vor. Sie tagte am 23.
März 1835 unter dem Vorsitz Wilhelm von Humboldts, der auf dieser letzten Mitgliederversammlung,
die er vor seinem Tod leitete, in einem ausführlichen Referat nachdrücklich vor der "Stiftung eines
National-Museums" durch den "Verein der Kunstfreunde" warnte. Als Gegenargument führte er dabei
unter anderem ins Feld, "dass gerade die Verloosung den Vereinen eine größere Zahl von Mitgliedern
zuwendet" und es deshalb "für das Fortbestehen und das Gedeihen des Vereins höchst bedenklich
sein möchte, den Verloosungen gerade durch die Entziehung der besten Kunstwerke das Interesse zu
nehmen", gleichzeitig erinnerte er daran, dass "(d)er Gedanke der Einrichtung eines Museums, nicht
zwar eines allgemeinen vaterländischen, sondern eines Museums unsres Vereins, [...] schon bei
Stiftung desselben in Betracht gezogen worden [sei]. Man glaubte aber schon damals, der Verloosung
106
Museum, Zeitschrift für bildende Kunst, hg. von Franz Kugler Jg. II, 1834, Nr. 43, 27. Oktober 1834;
Angelegenheit deutscher Kunstvereine: Bericht über die Zusammenkunft ihrer Vorstandsmitglieder in Berlin, 356.
107
Statut für den Verein der Kunstfreunde im Preussischen Staate, Berlin 1829, 4. Noch 1855 verharrte der
"Verein der Freunde im preußischen Staat", wie Friedrich Eggers im Deutschen Kunstblatt, dem Organ der
deutschen Kunstvereine, monierte, "bei einem unglücklichen § 7 [Eggers meint den § 6), A. S.], welcher ihn, was
seine Wirksamkeit betrifft, von der deutschen Kunst trennt, sobald sie nicht zugleich preußische ist [...].Ohne
Zweifel hat diese Bestimmung als die Statuten gemacht wurden, ihre Bedeutung gehabt; gegenüber dem
heutigen ausgebildeten Kunstvereinswesen ist sie durchaus antiquiert und es macht sich nicht gut, dass
preußische Künstler sich auf allen Kunstvereinsausstellungen Deutschlands recht gern empfangen lassen,
während sie ihre nicht preußischen Collegen von der Berliner permanten Ausstellung ausschließen helfen."
Deutsches Kunstblatt, Nr. 37, 27. September 1855, Beiblatt, 346.
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unter die Mitglieder den Vorzug geben zu müssen." 108
<65>
Der Vorschlag, in Berlin ein Museum für zeitgenössische Kunst zu gründen, war jedoch, wie der
Verlauf der Mitgliederversammlung zeigte, im Vorstand der "Kunstfreunde" durchaus auf fruchtbaren
Boden gefallen. Denn nachdem Humboldt seinen Zuhörern erklärt hatte, dass "(d)ie Idee eines
National-Museums, die gewiss die ernsthafteste und wohlwollendste Erwägung verdient, [...] für sich
unabhängig von einem anderen Institute ins Leben gerufen werden [müsse]", wies der stellvertretende
Vorsitzende Christian Wilhelm Peter Beuth, dem Humboldt 1830 inoffiziell die Leitung des Vereins
übertragen hatte,109 die Anwesenden darauf hin, "dass der diesjährige Antrag des Kunstvereins zu
Halberstadt, bis zur künftigjährigen Beschlussnahme seine Erledigung anderweitig finden dürfte". Es
sei "dem Directorium kürzlich eine Mitheilung zugegangen, wonach in Berlin eine Gesellschaft von
Künstlern und Kunstfreunden zu dem Zwecke zusammengetreten sei, durch einen Verein, eine
National-Gallerie, eine perennierende Ausstellung so wie gelegentliche Ausstellungen zu begründen;
der Entwurf zu den Statuten sei beigelegt worden." 110
<66>
Tatsächlich bestanden zwischen dieser Gesellschaft und dem Verein der Kunstfreunde enge
personelle Verflechtungen: Der Bildhauer Christian Daniel Rauch, der dem "Directorium" wie auch
dem "Ausschuss der Künstler" angehörte, fungierte als stellvertretender Vorsitzender des zu
gründenden Museumsvereins; zu den Unterstützern gehörte auch der Hofmaler Karl Wilhelm Wach,
der wie Rauch Gründungsmitglied der "Kunstfreunde" und Mitglied des Künstlerausschusses war.111
Die Vermutung liegt daher nahe, dass die Absicht, einen "Museumsverein" zu gründen, eine Reaktion
auf die Initiative des Halberstädter Kunstvereins vom Herbst 1834 darstellte, wobei dessen Hoffnung,
dass Friedrich Wilhelm III. "durch die gefällige Vermittlung unseres hochverehrten Directoriums" dem
Unternehmen die erforderliche Genehmigung erteilen würde, sich jedoch nicht erfüllte.
108
Verhandlung der am 23. März 1835 gehaltenen Versammlung des Vereins der Kunstfreunde im Preußischen
Staate, Berlin 1835, 16f.
109
Vgl. Grossmann: Künstler, Hof und Bürgertum (wie Anm. 104), 97. Christian Wilhelm Peter Beuth, ein enger
Freund Friedrich Schinkels, leitete die Abteilung für Handel, Gewerbe und Bauwesen im preußischen
Finanzministerium.
110
Verhandlung der am 23. März 1835 gehaltenen Versammlung des Vereins der Kunstfreunde im Preußischen
Staate, Berlin 1835, 18f. Da 1836 die Entscheidung über die Genehmigung des Museumsvereins noch ausstand,
wurde in der Mitgliederversammlung über folgenden Antrag abgestimmt: "Sollen in jedem Jahre die
ausgezeichnetsten […] Kunstwerke von der Verloosung ausgenommen und zur Bildung eines National-Museums
bestimmt werden?" Er wurde mit einer Gegenstimme abgelehnt. Bericht über die Versammlung vom 28. März
1836, Berlin 1836, 9.
111
Auch die nicht ausgeführten Pläne des Thronfolgers Friedrich Wilhelm und seines Architekten Friedrich
Schinkel, ein neues Museumsgebäude für zeitgenössische Kunst in Sanssouci zu errichten, sind vermutlich von
der Initiative der Kunstvereine angestoßen worden, zumal Schinkel ebenfalls Vorstandsmitglied des Vereins der
Kunstfreunde im Preußischen Staate war. Vgl. Götz Eckardt: Die Bildergalerie in Sanssouci. Zur Geschichte des
Bauwerks und seiner Sammlungen bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts, Diss. Halle 1974, 135.
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<67>
Eine Woche nach der Mitgliederversammlung, am 30. März 1835, reichte die Museums-Gesellschaft
ihr Statut bei König Friedrich Wilhelm III. ein, das nahezu wörtlich den Halberstädter Antrag aufgriff.
Als Vereinszweck wurde der Ankauf der besten Werke vaterländischer Meister genannt, mit denen
eine "Vaterländische Gemählde-Gallerie", bzw. eine "National-Gallerie" gegründet werden sollte, um
die "Werke vaterländischer Kunst dem Zerstreutwerden und der Vergessenheit zu entziehen." 112 Es
setzte nun ein langwieriger Meinungsbildungsprozess ein, an der die Akademie der Künste,
Kultusminister von Altenstein und Innenminister von Rochow beteiligt waren. Er endete 1837 mit
einem negativen Votum der Minister, dem sich der König anschloss. 113 Auch wenn eines der zentralen
Gegenargumente bei der ministeriellen Entscheidung, dem "Museums-Verein" die
Gründungsgenehmigung zu verweigern, gelautet hatte, dass, um das allgemeine Kunstinteresse
anzuregen, gerade die Verteilung der Werke in der ganzen Monarchie sinnvoll sei, ließ sich die
Zentralisierung der zeitgenössischen Kunst in einem Museum auch im Königreich Preußen nicht mehr
aufhalten.114
<68>
Bereits 1839 kam das Thema "National-Gallerie" im Verein der Kunstfreunde aufgrund eines
neuerlichen Vorstoßes ihrer sächsischen Mitglieder wieder zur Sprache. Der Vorstand lehnte es zwar
ab, noch einmal über den Antrag abstimmen zu lassen, gab jedoch seiner Hoffnung Ausdruck, "dass
die Haupt- und Residenzstadt Berlin, in welcher die Gnade Sr. Majestät des Königs so großartige
Institute für die Kunst [...], hat entstehen lassen, in welcher die Vereinigung eines Theils der bisher an
verschiedenen Orten aufbewahrten Sammlungen in einem gemeinschaftlichen, zweckmäßigen Locale
schon seit mehreren Jahren vorbereitet wird, dass diese Hauptstadt auf die Dauer nicht werde gegen
andere Städte der Königlichen Staaten zurückbleiben wollen, und gewiß [...] ein Museum der Meister
unserer Zeit zu begründen bedacht sein werde." 115
112
Die Originaleingabe hat sich in den Akten nicht erhalten, das Statut kann nur aus dem Briefwechsel
erschlossen werden. Es ist daher nicht bekannt, wer im Einzelnen an der "Gesellschaft von Künstlern, Gelehrten
und Kaufleuten" beteiligt war, als deren Sprecher der Forschungsreisende, Sammler und Prinzenerzieher
Johannes Heinrich von Minutoli auftrat. Vgl. Götz Eckhardt: Die Bildergalerie in Sanssouci, 134; Grossmann
Künstler, Hof und Bürgertum (wie Anm. 104), 124.; Gutachten des Innen- und Kultusministeriums über das
Gesuch zur Gründung einer Nationalgalerie vom 12.4.1937 (GStAPK, Berlin, 2.2.1. Nr. 20419 Bl. 8-11 R, hier: Bl.
8 R), das Johannes Heinrich von Minutoli 1835 an den preußischen König gerichtet hatte. Zitiert nach
Grossmann: Künstler, Hof und Bürgertum (wie Anm. 104), 124.
113
Zur Stellungnahme der Ministerialbürokratie im Einzelnen siehe Markus Jager: "…und bildet schon eine
National-Gallerie". Die Vaterländische Galerie in Schloss Bellevue 1844-1865, in: Jahrbuch der Berliner Museen
43 (2001), 236-238. Die Vorgeschichte der Eingabe ist bei Jager jedoch nicht berücksichtigt.
114
Anders als in Berlin gelang es Kunstfreunden in Leipzig, 1837 einen Kunstverein zu gründen, der es sich von
Anfang an zur Aufgabe machte, eine Sammlung zu erwerben, um ein städtisches Kunstmuseum zu gründen. Es
wurde mit einem Sammlungsbestand von etwa 100 Bildern im Jahr 1848 eröffnet. Zehn Jahre später konnte das
neuerrichtete Museumsgebäude bezogen werden.
115
Verhandlung der am 7. Mai 1839 gehaltenen Versammlung des Vereins der Kunstfreunde im Preussischen
Staate, Berlin 1839, 16.
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<69>
Aber erst als in Bayern der bahnbrechende Schritt zur Gründung des ersten Museums der
zeitgenössischen Moderne in Deutschland erfolgte – der kunstbegeisterte König Ludwig I. begann im
Sommer 1842 in München mit den Planungen zum Bau der Neuen Pinakothek – und als auch im
Königreich Sachsen seit 1843 durch die Stiftung des Staatsministers und Leiters der königlichen
Museen Bernhard August von Lindenau ein fester Etat zum Ankauf von zeitgenössischer
"vaterländischer" Kunst in der Dresdner Gemäldegalerie bereitstand, machte König Friedrich Wilhelm
IV. im September 1844 eine Auswahl der im königlichen Besitz befindlichen Werke zeitgenössischer
Kunst im Schloss Bellevue der Öffentlichkeit zugänglich. Diese sogenannte "Vaterländische Galerie",
denn die 128 ausgestellten Gemälde waren, wie offiziell betont wurde, "mit wenigen Ausnahmen
Werke vaterländischer Künstler", besaß jedoch weder vom Umfang noch von der Art ihrer
Präsentation her das Format einer preußischen "Nationalgalerie", sondern vielmehr "einen
ausgesprochen privaten Charakter",116 vor allem verband sich mit ihr nicht die Absicht, zeitgenössische
Kunst systematisch anzukaufen.
<70>
Es nimmt daher nicht wunder, dass die Generalversammlung der Düsseldorfer Maler im Zuge der
Revolution im April 1848 in einem Aufruf an die Künstler Deutschlands beklagten, dass bisher "mit
Ausnahme von Baiern – die Kunst in unserem Vaterlande nur auf die sehr vereinzelten Mäzene und
die Kunstvereine angewiesen war, während in Frankreich und Belgien, die Regierung als oberster
Mäzen durch großzügige Aufträge der Kunst und den Künstlern Anerkennung und Mittel
verschaffte".117 Die Düsseldorfer riefen daher "alle Künstlerkreise Deutschlands" dazu auf, bei der
Nationalversammlung in Frankfurt zu beantragen, "(d)as deutsche Parlament möge die deutsche
Kunst zur Nationalsache erheben und zu diesem Zwecke jedem Bundesstaate die Pflicht auferlegen,
einen verhältnismäßigen Theil seines Einkommens auf die Bildung von Nationalgallerien und
116
Jager: "..und bildet schon eine National-Gallerie" (wie Anm. 113), 249.
117
Aufruf der Düsseldorfer Künstler vom 20. 4. 1848, Stadtarchiv Düsseldorf, Nachlaß Hermann Becker [4.2.14.0000]. Die Fundstelle hat Joachim Grossmann nachgewiesen. Vgl. ders.: Künstler, Hof und Bürgertum (wie
Anm. 104), 124 f.. Der Wortlaut des Aufrufs ist auch zitiert in Schorn 's Kunstblatt, Nr. 32, 29. Juni 1848, 127.
Ausgehend von Kurt Karl Eberlein: Vorgeschichte und Entstehung der Nationalgalerie, in: Jahrbuch der
Preußischen Kunstsammlungen 51 (1930), 250-261, der den Aufruf falsch zitiert, gehen nahezu alle
einschlägigen Darstellungen davon aus, in dem Aufruf von 1848 sei eine gesamtdeutsche Nationalgalerie
gefordert worden. Vgl. Paul Ortwin Rave: Die Geschichte der Nationalgalerie in Berlin, Berlin 1968, 10; PeterKlaus Schuster: National-International: Zu einer historischen Kontroverse um die Berliner Nationalgalerie, in: Die
Nation und ihre Museen, hg. für das Deutsche Historische Museum von Marie-Louise von Plessen, 210-224, hier:
213; Barbara Paul: Preußens Gloria. Deutsche Geschichte in der Nationalgalerie in Berlin, in: Stefan Germer /
Michael F. Zimmermann (Hg.): Bilder der Macht. Macht der Bilder. Zeitgeschichte in Darstellungen des 19.
Jahrhunderts, München / Berlin 1997, 550-562, hier: 551; Francoise Forster-Hahn: Shrine of Art or Signature of a
New Nation? The National Galler(ies) in Berlin, 1848-1968, in: Gwendolyn Wright (Hg.): The Formation of
National Collections of Art and Archaeology, Washington 1996, 79-100, hier: 86. Lediglich Dieter Honisch
berichtet von der Forderung nach Einrichtung von "National-Kunst-Galerien" der Düsseldorfer Künstler, ohne
jedoch auf die Bedeutung dieses Plurals einzugehen. Dieter Honisch: Die National Galerie Berlin,
Recklinghausen 1979, 11.
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öffentlichen Kunstdenkmalen in seinem Bereich zu verwenden". 118
<71>
Einen Appell ähnlichen Inhalts hatte bereits vier Wochen zuvor, am 29. März 1848, also nur eine
Woche nach Ausbruch der revolutionären Märzunruhen in Berlin, der Kunsthistoriker und Referent im
Kultusministerium Franz Kugler an die Mitglieder der Akademie der Künste gerichtet. Kugler, der
selbst dem akademischen Senat angehörte und die im "Verein der Kunstfreunde im preußischen
Staate" geführte Museumsdebatte als Redakteur der Kunstzeitschrift Museum vorangetrieben hatte,
ging es wie den Düsseldorfern vor allem darum, die materielle Lage der Künstler zu verbessern. Er
warnte die Akademiker aber davor, sich mit einem "allgemeinen Antrage, man möge der Kunst in
Zukunft ihre Stelle im Budget geben!" zu begnügen oder "ins Blaue eine willkürliche Forderung" zu
stellen. Das Gebot der Stunde sei es, die Initiative zu ergreifen und einen plausiblen, detaillierten
Finanzplan zu erarbeiten, aus dem ersichtlich würde, wie viel und wofür künftig für die Belange der
Kunst aus "Staatsfonds" bereitgestellt werden müsste. In den bevorstehenden Haushaltsberatungen
schien ihm speziell eine Nationalgalerie konsensfähig zu sein: "Bei dem neubelebten Nationalgefühl,
bei der vorherrschenden historischen Richtung der Kunst dürfte [...] die Gründung einer NationalGallerie, für deren Beschaffung jährlich eine bestimmte Summe im Staatshaushalt ausgeworfen
würde, einem sehr allgemeinen Wunsch entsprechen." 119
<72>
Im Gegensatz zum Senat der Berliner Akademie, der den Düsseldorfer Künstlern Anfang Mai die
Bereitschaft der Akademie signalisiert hatte, sich einer gemeinschaftlichen Eingabe an die Deutsche
Nationalversammlung anzuschließen, "um die Deutsche Kunst als National-Angelegenheit zu erklären
und zu fördern",120 lehnte dies die vier Wochen später tagende Mitgliederversammlung ab. Sie billigte
eine von Kugler formulierte allgemeine Eingabe an das "königliche Gesammtministerium". Als
anschließend der inzwischen von der Düsseldorfer Künstlervereinigung ausgearbeitete und nach
Berlin gesandte Petitionsentwurf verlesen wurde, waren die Anwesenden jedoch mehrheitlich der
Ansicht, "dass es voreilig sei, jener Eingabe beizutreten, bevor unsere eigene Regierung auf die an
diese gerichteten Anträge der Akademie geantwortet habe." 121 Der im Herbst vorgelegte Etatentwurf
der Akademie griff dann aber die Museumspläne auf und berücksichtigte auch die diesbezüglichen
118
Aufruf der Düsseldorfer Künstler vom 20. 4. 1848, Stadtarchiv Düsseldorf, Nachlass Hermann Becker [4.2.14.0000].
119
Franz Kugler: "An die Herren Mitglieder der Königlichen Akademie der Künste", 29. März 1848, in: Preußische
Akademie der Künste (PrAdK) I, 386, Bl. 1f.
120
Entwurf des Antwortschreibens, 6. Mai 1848, zitiert nach: "...zusammenkommen, um von den Künstlern zu
räsonieren", Materialien zur Geschichte der preußischen Akademie der Künste, Berlin 1991, Nr. 3, 24, 89f.
121
Protokoll der "Plenar-Versammlung der ordentlichen Mitglieder der Königlichen Akademie der Künste", 8. Juni
1848, in: Materialien zur Geschichte der preußischen Akademie der Künste, Berlin 1991, Nr. 3, 26, 91f.; Eingabe
an das preußische Staatsministerium, veröffentlicht in: Preußischer Staatsanzeiger, Nr. 37, 8, Juni 1848,
abgedruckt in: "…zusammenkommen, um von den Künsten zu räsonieren", Nr. 3, 27, 92; vgl. auch Leonore
Koschnik: Franz Kugler (1808-1858) als Kunstkritiker und Kulturpolitiker, 226.
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Vorschläge der Königsberger Akademie.
<73>
Da unter den Künstlern "auf wirklich beunruhigende Weise ein allgemeiner Nothstand" herrschte, wie
Franz Kugler in einem Gutachten für Friedrich Wilhelm IV. über die Lage der Künstler in Preußen
festgestellt hatte,122 und deshalb vor allem die institutionalisierte Absicherung eines staatlichen
Ankaufsbudgets vordringlich schien, lag der Gedanke nahe, ein Museum für zeitgenössische Kunst
nicht nur in Berlin, sondern zumindest auch an den jeweiligen Standorten der drei Akademien, also
auch in der Provinz Preußen und im Rheinland einzurichten. Der Budgetentwurf zielte deshalb auf die
"Gründung von National-Museen, hervorgehend durch Werke lebender vaterländischer Künstler und
im Zusammenhange mit den Künstlergruppen der drei Kunstschulen zu Berlin, Düsseldorf und
Königsberg und deren Filialen"; er beinhaltete außerdem "die Gründung eines historischen
vaterländischen Museums in der Hauptstadt des Landes". 123 Die preußischen Planspiele des
Revolutionsjahres fasste der Kunsthistoriker Friedrich Eggers, ein enger Freund Franz Kuglers und
Begründer des Deutschen Kunstblattes, im Rahmen einer Denkschrift über eine GesammtOrganisation der Kunst-Angelegenheiten, die im Auftrag des Kultusministeriums entstanden war, noch
einmal zusammen. Sie wurde 1851 veröffentlicht, blieb aber ohne praktische Auswirkungen. 124
<74>
Wenngleich die revolutionären Ereignisse im Bereich der Kunst folgenlos geblieben waren und das
politische Programm von 1848, das den Deutschen nationale Einheit und konstitutionell garantierte
Freiheitsrechte bringen sollte, gescheitert war, so hatte die Revolution in Preußen eine grundlegende
Veränderung erzwungen und das Königreich in einen konstitutionellen Staat mit einem gewählten
Parlament verwandelt. Eine der grundlegenden Auswirkungen des Verfassungssystems war die
Aufhebung der Vorzensur, die zur Folge hatte, dass die Presse in neuer Weise zum Forum für
Wortmeldungen der Bürger wurde. Aber erst als im Herbst 1858 der Bruder des erkrankten Königs
Friedrich Wilhelm IV., Prinz Wilhelm von Preußen, als Prinzregent die Regierung übernommen und ein
122
Franz Kugler: Gutachten über die Lage der Künstler in Preußen, 1845, zitiert nach Grossmann: Künstler, Hof
und Bürgertum (wie Anm. 104), 161.
123
Etatentwurf vom Oktober 1848, Preußische Akademie der Künste, PrAdK, Nr. 125, Bl. 101. Der Haushaltsplan
der Akademie zielt also nicht, wie von Ekkehard Mai (Die Berliner Kunstakademie im 19. Jahrhundert, in: ders. /
Stephan Waetzoldt (Hg.): Kunstverwaltung, Bau- und Denkmalpolitik im Kaiserreich, Berlin 1981, 431- 480, hier:
447) und Barbara Paul (Preußens Gloria [wie Anm. 117], 551) irrtümlich angenommen wird, auf die Errichtung
eines deutschen Zentralmuseums für zeitgenössische Kunst, sondern auf die Gründung mehrerer Galerien für die
Kunst der Gegenwart im Königreich Preußen. Peter-Klaus Schuster erwähnt zwar die beabsichtigte Gründung
mehrerer Galerien, lässt aber außer Acht, dass sich die Pläne der königlich preußischen Akademie ausschließlich
auf den preußischen Staat beziehen und deshalb nicht die Rede davon ist, in "deutschen Städten"
Nationalgalerien zu errichten. Peter-Klaus Schuster: National-International: Zu einer historischen Kontroverse um
die Berliner Nationalgalerie, in: Die Nation und ihre Museen, hg. für das Deutsche Historische Museum von
Marie-Louise von Plessen, 210-224, hier: 213. Die Verwirklichung der Pläne der Akademie hätte deshalb auch
keineswegs "die Schaffung von nationalen und zugleich föderalen Institutionen" mit sich gebracht. Markus Jager:
"..und bildet schon eine National-Gallerie" (wie Anm. 113) , 250-252.
124
Deutsches Kunstblatt. Zeitung für bildende Kunst und Baukunst. Organ der deutschen Kunstvereine, Nr. 40, 4.
Oktober 1851, 314ff.
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neues Kabinett berufen hatte, zeigt die anschwellende Flut von Beiträgen zum Thema Nationalgalerie,
dass mit dem Beginn der "Neuen Ära" auch die preußische Museumsdiskussion wieder in Bewegung
geraten war. Eine Gruppe von Künstlern "aus allen Fächern der bildenden Kunst" ergriff die Initiative
und forderte in einer Eingabe beim preußischen Kultusminister von Bethmann-Hollweg, wieder unter
Verweis auf die Praxis anderer Staaten – als Vorbilder genannt werden diesmal neben Belgien,
Frankreich ausdrücklich auch Sachsen – 50.000 Taler in den Etat einzustellen, "welche zur
Entstehung nationaler, monumentaler Kunstschöpfungen und zur Anlegung einer Galerie von Werken
vaterländischer Künstler" verwendet werden sollten.
<75>
Zur Begründung dieser Eingabe führten die "beigefügten Motive" aus, dass "Preußen [...] bisher von
Seiten des Staates in der Anwendung dieser Mittel zurückgeblieben" sei, was "weitreichende Folgen
besonders auf dem Gebiete der Industrie" gehabt habe: "Da jedoch das preußische Volk die
Fähigkeiten, seine Selbständigkeit zu wahren, seine Erziehung zu vollenden und seinen Ruhm zu
sichern, in der unaufhörlichen Übung in den Waffen, in den Wissenschaften und Künsten bethätigt hat,
so würde es durch die Gründung eines vaterländischen Museums sein System der Bildungsinstitute
vervollständigen und durch die Bestimmung einer Dotation zum Ankaufe in ihrer Art ausgezeichneter
Bildwerke lebender Künstler oder zur Bestellung monumentaler Kunstschöpfungen den seinem Berufe
angemessenen Ausdruck in den bildenden Künsten bewirken." 125 Die Eingabe, die auch als Rundbrief
"an alle namhaften preußischen Künstler zur Unterschrift" versandt wurde, um als Petition dem
preußischen Landtag vorgelegt werden zu können, unterzog der angesehene Kunstkritiker Max
Schasler in den "Dioskuren" einer kritischen Analyse, die er dazu nutzte, auch seinerseits zu mahnen,
"dass Preußen, das intelligente und kunstsinnige Preußen, nicht hinter den anderen kleineren Staaten
in der Erfüllung einer der wichtigsten und ernstesten Aufgaben seines staatlichen Berufes zurück
bleibe."126
<76>
Ein weiterer Diskussionsbeitrag zu diesem Thema, der ebenfalls in den Dioskuren erschien, die
Denkschrift eines anonymen Künstlers, ging so weit, zu fordern, dass generell die "temporären und
wechselnden permanenten Ausstellungen [...] durch stehende National- und Provinzialgalerien ersetzt
werden" müssten und die "regelmäßige und etatmäßige Beförderung der Kunstproduktion" nicht bloß
der Historienmalerei, sondern aller Gattungen der Bildenden Kunst die Pflicht des preußischen
125
Die Eingabe ist abgedruckt in: Dioskuren, Vierter Jahrgang, 1859 Nr. 49, 2.
126
Wie Anm. 125, hier 1. Schaslers Bemerkung bezieht sich auf die Gründung von Kunstmuseen in den beiden
Stadtstaaten Bremen und Hamburg sowie in dem zu Sachsen gehörenden Leipzig, hinter denen die lokalen
Kunstvereine und Mäzene standen; diese Museen waren allerdings nicht ausschließlich der Gegenwartskunst
gewidmet. Das Leipziger Museum sollte noch 1858 eröffnet werden. Außerdem standen seit 1848 in Sachsen für
den Ausbau der modernen Abteilung in der königlichen Gemäldegalerie 50% des Reinerlöses aller akademischen
Kunstausstellungen für den Ankauf vaterländischer Bilder zur Verfügung. Die neu errichtete Bremer Kunsthalle,
das erste eigenständige Haus für eine bürgerliche Sammlung, war bereits im Mai 1849 eröffnet worden. In
Hamburg wurden 1858 die ersten Schritte für die Errichtung eines eigenen Gebäudes zur Aufnahme der seit 1848
bestehenden Sammlungen unternommen.
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Staates sei, da dieser "mehr als nöthig" Künstler ausbilde und deshalb auch "die Verantwortlichkeit für
ihre Zukunft" übernehmen müsse.127 Die "freudige frische Regung, die sich seit Kurzem in Preußen
auch auf dem Gebiete des Kunstlebens offenbart", veranlasste schließlich Paul Heyse, den
Schwiegersohn des 1858 verstorbenen Franz Kugler, dessen reformpolitische Bestandsaufnahme
"Grundbestimmungen für die Verwaltung der Kunst-Angelegenheiten im Preußischen Staate" aus dem
Jahr 1849 – sie war durch die Entlassung des liberalen Ministers Adalbert von Ladenburg obsolet
geworden – als Diskussionsbeitrag zu veröffentlichen, da der Entwurf jetzt "(M)it anderen längst ad
acta gelegten Plänen und Wünschen [...] hervorgetreten sein (würde), und die schmerzlichen
Erfahrungen der dazwischen liegenden unfruchtbaren Jahre[...] ihm zugute gekommen wären". 128
Neben der Reform der Berliner Akademie der Künste spielte darin die Gründung eines Museums für
zeitgenössische Kunst im Königreich Preußen eine zentrale Rolle:
"Die National-Gallerie wird in Berlin gegründet. Es werden in ihr Werke der bildenden Kunst,
insbesondere der verschiedenen Gattungen der Malerei und der Sculptur, von
vaterländischen Meistern der Gegenwart gesammelt. Sie wird dem Besuche des Volkes
täglich geöffnet. Für die Ankäufe ist dem Kunst-Budget eine bestimmte jährliche Summe
ausgesetzt. Die Verwendung dieser Summe überwacht der Minister. Die desfallsigen
Verhandlungen leitet die betreffende Commission des Kunstrathes, indem sie entweder, je
nach den Umständen und den darüber näher getroffenen Bestimmungen, mit
entscheidender Vollmacht handelt, oder die Genehmigung des Ministers einholt." 129
<77>
Im Vergleich zu diesen, im Bewusstsein partikularer Staatlichkeit wurzelnden Museumskonzepten, die,
wie gezeigt, von Kunstvereinen, Künstlergenossenschaften, Akademien und Publizisten seit 1834 in
Preußen entwickelt wurden, spielte der Gedanke, ein deutsches Zentralmuseum für zeitgenössische
Kunst zu schaffen, eine vergleichsweise marginale Rolle. Denjenigen, die hofften, Deutschlands
Einigung durch ein "nationales Kunstunternehmen" voranbringen zu können, verlieh der Münchener
Kritikerpapst Ernst Förster eine Stimme, als er im Juni 1848 den Appell an die Frankfurter
Nationalversammlung richtete, sie möge "Eine Nationalgalerie für die gegenwärtige Kunst [...] zu
Berathung und Beschlussnahme gelangen lassen". Bemerkenswert ist bei seinen Ausführungen vor
allem, dass Förster es für notwendig erachtete, zu erläutern, was unter dem Begriff "Nationalgalerie"
zu verstehen sei: "Hinsichtlich der Galerie aber ist es nöthig im Voraus sich von der mit dem Worte
127
"Wie kann die bildende Kunst zeitgemäß und auf eine ihrer würdige Weise in allen Kunstfächern gefördert und
fruchtbar für die Nation und die Künstler gemacht werden? Dioskuren, Vierter Jahrgang, 1859 Nr. 55 u. 56. Zur
Diskussion der konzeptionellen Ausrichtung der künftigen Nationalgalerie, also der Frage, ob das zu gründende
Museum der Historienmalerei vorbehalten sein sollte, oder ob dort alle Gattungen der Malerei Einzug halten
sollten, vgl. Paul: Preußens Gloria (wie Anm. 117), 551.
128
Franz Kugler: Grundbestimmungen für die Verwaltung der Kunst-Angelegenheiten im Preußischen Staate.
Entwurf. Aus dem Nachlasse des verstorbenen Geheimen Ober-Regierungsrats Dr. Franz Kugler, Berlin 1859,
Vorwort des Herausgebers, 3f.
129
Kugler: Grundbestimmungen für die Verwaltung der Kunst-Angelegenheiten im Preußischen Staate (wie Anm.
128), 30.
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verknüpften Vorstellung eines Magazins zufällig zusammengebrachter Kunstgegenstände zu trennen.
Die neue deutsche Nationalgalerie muß eine lebendige Geschichte der neuen deutschen Kunst, und
in ihr in gehöriger Ordnung jedes Fach derselben würdig vertreten seyn".
<78>
Deshalb war es nach Meinung Försters zwingend erforderlich, eine Kommission einzusetzen, an die
"von Seite des Parlaments (oder der Centralgewalt) Anfrage und Auftrag ergehen" müsse. 130 Im
diametralen Gegensatz zu Försters gesamtdeutschem Entwurf, der vorsah, die Nationalgalerie in die
neu zu schaffenden bundesstaatlichen Strukturen einzubinden und deshalb die Standortfrage
zunächst ausklammerte, ließ Friedrich Richard Fischer, der zwischen 1848 und 1850 mehrfach
publizistisch in Erscheinung trat, in einem im Sommer 1850 in der Berliner Zeitung veröffentlichten
Artikel "Zur Gründung einer National–Galerie in Berlin" keinen Zweifel darüber, dass es sich hierbei
um eine genuin preußische Aufgabe handele, die sich aus der "deutschen Mission" seines
Vaterlandes ergebe: "Preußen, dessen politische Mission es überhaupt ist, durch allseitige Förderung
der Intelligenz, der Aufklärung, der Volksbildung Deutschlands Geschick zu leiten und zu erfüllen und
so seine eigene Macht immer fester zu gründen und zu erweitern, Preußen und Preußens Hauptstadt
hat vor allem die Pflicht, und die Macht, und den Beruf der deutschen Kunst und somit auch der Kultur
des Geistes ein solch ruhmvolles Denkmal sich selbst zum Ruhm zu gründen". 131
<79>
Das Projekt eines gesamtdeutschen Museums für zeitgenössische Kunst tauchte auch in dem
Gründungsaufruf der "Verbindung für historische Kunst" auf; der dort vorgestellte Satzungsentwurf sah
vor, dass die einzelnen Kunstwerke nach ihrer Ausstellungstournee entweder verlost, "oder einer zu
gründenden Nationalgalerie einverleibt" werden sollten. 132 Dieser Passus wurde jedoch gestrichen,
nachdem sich Bremen133 – dieser Kunstverein hatte bereits selbst ein Museum gegründet – und Prag
gegen ihn ausgesprochen hatten. Dem Kunstverein für Böhmen schien die "die Einverleibung der
durch die Beiträge der deutschen Kunstvereine zu erwerbenden Kunstwerke in eine zu gründende
National-Galerie [...] deshalb außer aller Frage, weil Deutschland wohl kaum eine Stadt besitzt, die
allen einzelnen, zu Deutschland gehörenden Ländern gegenüber als Centralpunkt gelten, als solcher
unbestritten betrachtet werden kann, und daher zur Aufnahme einer National-Galerie geeignet sein
würde."134 Die strittige Standortfrage erwies sich erneut als unüberwindbares Hindernis, als 1858 auf
der in München stattfindenden jährlichen Mitgliederversammlung der Karlsruher Kunstverein den
Antrag stellte, die beiden von der "Verbindung" zuerst bestellten Bilder, Moritz von Schwinds "Kaiser
130
Schorn 's Kunstblatt, Nr. 32, 29. Juni 1848, 127.
131
Zur Gründung einer National-Galerie, Sonderdruck aus der Berliner Zeitung (Nr. 125) vom 2. Juni 1850. Vgl.
Paul: Preußens Gloria (wie Anm. 117), 551.
132
Deutsches Kunstblatt, Zeitschrift für bildende Kunst, Baukunst und Kunsthandwerk, Organ der deutschen
Kunstvereine, Nr. 51, 17. Dezember 1853.
133
Deutsches Kunstblatt Nr. 51, 17. Dezember 1853.
134
Deutsches Kunstblatt, Nr. 23, 8. Juni 1854.
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Rudolph, der gen Speyer zum Sterben reitet" und Adolph Menzels "Friedrichs II. und Josephs II.
Zusammenkunft in Neisse" nicht wie geplant zu verlosen, sondern sie stattdessen als Keimzelle einer
"Stiftung für historische Kunst" dem Germanischen Nationalmuseum in Nürnberg "ewig
einzuverleiben".135
<80>
Obwohl der Münchner Glaspalast zu dieser Zeit Schauplatz der von den deutschen
Kunstgenossenschaften organisierten, ersten allgemeinen deutschen Kunstausstellung war, die wie es
der Maler Feodor Dietz bei der Eröffnung formulierte, "das verkörperte Verlangen, ein nationales
Ganzes zu bilden" darstellte,136 beherrschte in der Verbindung für historische Kunst der
Partikularismus weiterhin die Szene. Die Karlsruher Initiative scheiterte am Widerstand des Stettiner
Vereins, der argwöhnte, dass das gerade gegründete süddeutsche Institut "auf Kosten der Verbindung
auf bequemste Art eine Bereicherung erfahren soll [...] Oder sollten wir Preußen, die wir in jener
Verbindung [für historische Kunst] die Mehrheit haben und die wir stets und immer wieder und jüngst
ganz besonders, die alte Geschichte sehen, welche doch ewig neu, dass Sperber und Spatzen den
Aar zupfen, ihn schmähen und hemmen, und sich schließlich doch mit seinen Federn schmücken und
sich unter seine Schwingen flüchten müssen, uns so gewaltig für das germanische Museum
begeistern, um uns auch bei dieser Gelegenheit pflücken zu lassen?". 137
<81>
Während die Anläufe der deutschen Kunstvereine, der zeitgenössischen Kunstproduktion eine
gesamtdeutsche Heimstatt zu errichten, aufgrund der divergierenden Interessen im Sand verliefen,
zeitigten ihre Bemühungen, lokale Galerien zu schaffen, greifbare Ergebnisse. Beeindruckende
Beispiele für das erfolgreiche Engagement kunstsinniger Bürger stellt die Gründungsgeschichte der
Kunstmuseen im sächsischen Leipzig sowie in den Stadtstaaten Bremen und Hamburg bereit. In
diesen Einrichtungen wurde jedoch nicht nur die zeitgenössische Malerei gesammelt. Das erste
Museumsgebäude, in dem "ausschließlich die Gemälde neuerer Künstler, deutscher wie fremder, [...]
Aufnahme finden sollten",138 wurde 1853 in München eröffnet. Der bayerische König hatte die
Grundsteinlegung zur Neuen Pinakothek in München ausdrücklich mit dem Bekenntnis zur deutschen
Kulturnation verbunden: "Erloschen war die höhere Malerkunst, da entstand sie wieder, im XIX.
Jahrhundert, durch Teutsche: ein Phönix, entschwang sie sich ihrer Asche, und nicht allein die
135
Bericht über die vierte Hauptversammlung der Verbindung für historische Kunst in München am 24. und 25.
September 1858, Deutsches Kunstblatt, 9. Jahrgang, Dezember 1858.
136
Deutsches Kunstblatt, 1858, 9. Jahrgang, 9. Oktober 1858, 254.
137
Gegen den Carlsruher Antrag, Stellungnahme des Kunstvereins für Pommern, abgedruckt in: Die Dioskuren,
Vierter Jahrgang, 1859, 139-140, Zitat 140; vgl. Hans Werner Schmidt: Die Förderung des vaterländischen
Geschichtsbildes durch die Verbindung für historische Kunst, 1854-1933, Marburg 1985, 36.
138
Schorns Kunstblatt, Nr. 2 vom 4.1.1844. Als Privatgalerie war die Neue Pinakothek halbtags für das Publikum
geöffnet.
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malende, jede bildende Kunst entstand auf 's neue herrlich."139 Seine Sammeltätigkeit hatte parallel zur
Bauplanung 1842 eingesetzt, bei der Eröffnung 1853 waren etwa 300 Gemälde ausgestellt. Bei
Ludwigs I. Tod 1868 umfasste die Sammlung über 400 Bilder, darunter zahlreiche Spitzenwerke, die
einen ausgezeichneten Überblick über die Malerei seiner Zeit zeigten. 140
<82>
Wie in Bayern ging auch in Preußen der entscheidende Schritt bei der Musealisierung der
Gegenwartskunst von einem bedeutenden Sammler aus. Da die an den preußischen Staat gerichteten
Appelle, eine Nationalgalerie in Berlin zu gründen, kein greifbares Ergebnis zeitigten und der "Verein
der Kunstfreunde im preußischen Staate" erst 1858 – nach einer Satzungsänderung – eine private
Gemäldegalerie in Berlin als Keimzelle eines Museums der Gegenwartskunst eröffnete, 141 gab 1861
die Schenkung Joachim Heinrich Wilhelm Wageners den Anstoß zur Gründung der lange geforderten
Nationalgalerie. Der Berliner Bankier und schwedische Konsul vermachte dem preußischen
Prinzregenten und späteren König Wilhelm, dem Bruder des erkrankten Friedrich Wilhelm IV.,
testamentarisch seine umfangreiche, seit 1815 zusammengetragene Sammlung zeitgenössischer
Malerei. Das Verzeichnis von 1862 führt 262 Gemälde von überwiegend deutschen – nach Schulen
und Ländern geordneten – Künstlern auf, es waren aber auch Maler aus Belgien, Holland, Frankreich,
Italien, der Schweiz und England mit Werken vertreten. Die im Urteil der zeitgenössischen Kritiker
einzigartige Sammlung verdankte ihren Ruf neben der Qualität ihrer Bilder ihrer quantitativen
Ausgewogenheit, die besonders gute Vergleichsmöglichkeiten zwischen den verschiedenen
Malerschulen "in allen Fächern, mit alleiniger Ausnahme der monumentalen, nur für große
Wandflächen geeigneten Malerei" bot.142
<83>
Wagener, der als langjähriges aktives Mitglied des "Vereins der Kunstfreunde im Preußischen Staate"
sicherlich bestens über alle Pläne informiert war, die während der vergangenen Jahrzehnte zur
139
Zitiert nach Werner Mittlmeier: Die Neue Pinakothek in München, 1843-1854. Planung, Baugeschichte und
Fresken, München 1977, 20.
140
Vgl. Christoph H. Heilmann: Die Sammlung zeitgenössischer Malerei König Ludwigs I. in der Neuen
Pinakothek, in: Mittlmeier: Die Neue Pinakothek in München (wie Anm. 139), 121; vgl. auch das chronologische
Verzeichnis zum Erwerb der Gemälde für die Neue Pinakothek, in: ebd. 212-215.
141
Dioskuren, 3. Jahrgang, 1858, Nr. 40/41, 148.
142
Gustav Friedrich Waagen: Verzeichnis der Gemälde-Sammlung des am 18. Januar 1861 zu Berlin
verstorbenen königlichen schwedischen und norwegischen Konsuls J.H.W. Wagener, welche durch letztwillige
Bestimmung in den Besitz seiner Majestät des Königs übergegangen ist, Berlin 1866, XIV; und Christoph
Heilmann: Graf Athanasius Raczynskis Sammlung zeitgenössischer Malerei im Vergleich mit denen des Konsuls
Wilhelm Wagener in Berlin und König Ludwigs I. von Bayern, in: Ausstellungskatalog: Sammlung Graf Raczynski.
Malerei der Spätromantik aus dem Nationalmuseum Poznan, München 1992, 38-41, hier: 37. Heilmanns Analyse
stützt die Auffassung Francoise Forster Hahns, Preußen habe aufgrund der Schenkung plötzlich eine
Sonderstellung im Kreis der deutschen Staaten eingenommen, nicht. Vgl. Francoise Forster Hahn: Museum
moderner Kunst oder Symbol einer neuen Nation? Zur Gründungsgeschichte der Berliner Nationalgalerie, in: "Der
Deutschen Kunst...". Nationalgalerie und nationale Identität 1876-1996, hg. von Claudia Rückert und Sven
Kuhrau im Auftrag der Richard Schöne Gesellschaft für Museumsgeschichte, Amsterdam 1998, 38.
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Errichtung einer National-Galerie in Berlin entwickelt worden waren, hatte in seinem Testament
verfügt, dass der von ihm seit 1815 zusammengetragene Bilderschatz, der "für die Kunstgeschichte
von Interesse sein wird, da sie den Fortschritt der neueren Kunst an einzelnen Bildern bedeutender
Maler von Jahr zu Jahr anschaulich macht, hier in Berlin in einem geeigneten Lokale aufgestellt und
allen Künstlern und Kunstfreunden stets zugänglich gemacht werde". Darüber hinaus hatte Wagener
es "dem Allerhöchsten Ermessen" anheimgestellt," ob etwa die Sammlung noch in dem eingangs
gedachten Sinne verstärkt und fortgeführt werden soll, um so zu einer nationalen Gallerie
heranzuwachsen, welche die neuere Malerei auch in ihrer weiteren Entwicklung darstellt". 143
<84>
Zur Fortführung der gesamtdeutsch orientierten Erwerbspolitik, die der Wortlaut des Testaments sowie
das Wagenersche Sammlungsprofil nahelegten, kam es jedoch im Bereich der Historienmalerei nicht,
denn gerade dort besaß der Besitzerwechsel aufgrund des ausgeprägten preußischen Nationalgefühls
einflussnehmende Bedeutung: "Man wollte das Deutsche als preußisch, [...], das Vaterländische als
patriotisch-dynastisch-militärisch verstanden wissen, aus der Nationalgalerie mit der Parole 'national
soll Kunst sein' eine patriotische Ruhmeshalle 'vaterländischer' Gegenstände machen und der
geliebten Historien- oder Geschichtsmalerei sichern." 144 Die sich anbahnende national-preußische
Einfärbung signalisierte schon das Genehmigungsschreiben Wilhelms I., das im März 1861 die
vorläufige Präsentation der Sammlung in der Akademie der Künste regelte und ihren weiteren Ausbau
ankündigte. Wilhelm apostrophierte sie darin nicht als deutsche, sondern als "vaterländische Gallerie"
und "nationale Anstalt", also als eine im damaligen Sprachgebrauch preußische Einrichtung. 145
<85>
Dass der Begriff Nation aufgrund seiner fest verankerten partikularstaatlichen Konnotation zur
damaligen Zeit generell eine doppelte Bedeutung hatte, kann noch einmal exemplarisch an der
Debatte über das Projekt "Nationalgalerie" gezeigt werden, die im Sommer 1864 die Öffentlichkeit
beschäftigte. Als ruchbar wurde, dass der Berliner Oberbürgermeister die Stadt "an der Ausführung
eines solchen schönen nationalen Gedankens" beteiligt wissen wollte und deshalb für die städtischen
Behörden Sitz und Stimme in den Leitungsgremien der Nationalgalerie beanspruchte, wies Max
Schasler in den Dioskuren in seinem Grundsatz-Artikel Was ist nationale Kunst auf die "innere
Haltlosigkeit des ganzen Plans, nationale Interessen durch die bloße Addition kommunaler Kräfte
fördern zu wollen" hin und stellte die Frage "Fehlt es uns übrigens denn an nationaler Vertretung?
Eine wahrhaft nationale Organisation eines solchen, mit dem Gesammtleben des Volkes auf dem
Gebiete künstlerischer Entwicklung verknüpften Staatsinstituts, wie die Nationalgalerie, wäre eine
Frage für das Abgeordnetenhaus, d.h. für die Delegierten der Nation, nicht aber für Delegierte der
143
Testament vom 16. März 1859, zitiert nach Gustav Friedrich Waagen: Verzeichnis der Gemälde-Sammlung,
Berlin 1866, VIII.
144
Kurt Karl Eberlein: Vorgeschichte und Entstehung der National Galerie, in: Jahrbuch der Preußischen
Kunstsammlungen, 51. Band, Berlin 1930, 258.
145
Waagen: Verzeichnis der Gemälde-Sammlung (wie Anm. 142), VIII.
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Kommunalbehörden."146 Gleichzeitig mahnte Schasler aber energisch, nicht zu vergessen, "dass
ebenso wenig wie Deutschland ein Staat ist, Preußen als eine Nation bezeichnet werden kann.
'Nationale Kunst' heißt hier also deutsche Kunst, 'Nationalgalerie', eine Galerie deutscher
Kunstwerke."147
<86>
1876, fünf Jahre nach der Reichsgründung, die Deutschland unter Ausschluss Österreichs in einen
Bundesstaat unter preußischer Führung verwandelte, konnte der nach Plänen Friedrich Wilhelms IV.
errichtete "Tempel der Kunst" (Peter-Klaus Schuster) eröffnet werden. Die Giebelinschrift "Der
Deutschen Kunst" erklärt, im Einklang mit Schaslers Definition, das Gebäude zu einem der deutschen
Kunst geweihten Ort, die beigefügte Jahreszahl "1871", das Signum für "Deutschlands Wiedergeburt
durch Preußens Größe"148 verwandelt das Museum nicht in "die Deutsche Nationalgalerie", sondern
verkündet Preußens "deutschen Beruf" auch in der Kunst. Ausgangspunkt für die "vaterländische"
Vereinnahmung des Wagenerschen Vermächtnisses war jedoch nicht dieses borussische
"Glaubensbekenntnis", das sich durchaus mit der Weiterentwicklung der Sammlung in Wageners
Sinne hätte vereinen lassen: "Nicht bloß Werke deutscher Meister darf eine wahre National-Galerie
enthalten, [...] sondern die Werke wahrer Kunstmeister, welcher Nation sie auch angehören mögen",
hatte Friedrich Richard Fischer, der Apologet der preußischen Sendung, 1850 gefordert. 149
<87>
Die Konzentration auf Kunsterzeugnisse preußischer Provenienz folgte vielmehr aus dem einfachen
Sachverhalt, dass bei der institutionellen Gründung der Nationalgalerie die Leitgedanken zum Tragen
kamen, die von Seiten der Akademien und der Ministerialbürokratie seit 1848 entwickelt worden
waren. Infolgedessen lag die "planmäßige Vermehrung" der Nationalgalerie maßgeblich im
Verantwortungsbereich der preußischen Kunstakademien. Das Reglement für Erwerbungen griff auf
den Entwurf der Berliner Akademie für ein neues Akademiestatut von 1848 zurück, in dem
vorgeschlagen worden war, einem aus acht Akademiemitgliedern bestehenden Ausschuss "5 Maler, 2
Bildhauer und 1 Kupferstecher" die Verfügung "über (...) eine jährlich dazu bestimmte Summe aus
Staatsmitteln (20,000 Thlr.) zu einem Nationalmuseum" zu übertragen. 150 Dementsprechend besaßen
146
Vgl. Dioskuren, 9. Jahrgang, Nr. 29, 17. Juli 1864, Nr. 30, 24. Juli 1864, Nr. 31, vom 31. Juli 1864 und Nr. 33,
14. August 1864, Zitat dort 298.
147
Dioskuren, 9. Jahrgang, Nr. 29, 17. Juli 1864, 267. Zu keiner Zeit war jedoch die Rede von der Deutschen
Nationalgalerie, die Peter-Klaus Schuster 1861 begründet sieht. Peter-Klaus Schuster: Die Geburt der Nation aus
dem Geist der Kunst. Einige Bemerkungen zur Nationalgalerie in Berlin, in: ders. (Hg.): Die Neue National
Galerie, Köln 2004, 16.
148
So lautete die Grußadresse der Stadt Berlin zum Einzug des siegreichen Kaisers im März 1871, zitiert nach
Monika Arndt: Die Goslaer Kaiserpfalz als Nationaldenkmal, Hildesheim 1976, 63f.
149
Zur Gründung einer National-Galerie, Sonderdruck aus der Berliner Zeitung (Nr. 125) vom 2. Juni 1850; vgl.
Anm. 26.
150
Friedrich Eggers: Denkschrift über die Gesammt-Organisation der Kunst-Angelegenheiten.1851, in: Deutsches
Kunstblatt, Nr. 40, 4. Oktober 1851, 315.
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in der nach langwierigen Abstimmungsprozessen aus der Taufe gehobenen "Commission zur
Beratung über die Verwendung des Fonds für Kunstzwecke", 151 der sogenannten
Landeskunstkommission, die maßgeblichen Einfluss auf die Verteilung der vom preußischen Landtag
in den Staatshaushalt eingestellten und ausschließlich für Werke "nationaldeutscher" Künstler
bestimmten Ankaufsmittel ausübte, allein die Repräsentanten der drei preußischen Akademien
Stimmrecht sowie drei Delegierte des preußischen Künstlerunterstützungsvereins (sie wurden
1886/88 durch Vertreter des Vereins Berliner Künstler und der Vereinigung Düsseldorfer Künstler
ersetzt) und der Direktor der Nationalgalerie.
<88>
Die akademischen Künstler wurden aus Vorschlagslisten der drei Ausbildungsstätten nach einem
Schlüssel von 4:2:1 vom preußischen Kultusministerium für drei Jahre berufen, wobei ihre Amtszeit
beliebig oft verlängert werden konnte, so dass sich teilweise jahrzehntelange Mitgliedschaften
einzelner Künstler ergaben.152 Auf seinen periodischen Sitzungen entschied das Gremium mit
einfacher Mehrheit über Ankäufe und die Vergabe von Aufträgen, wobei sich seit 1874 die Praxis
einbürgerte, dass der Direktor geeignete Werke bzw. Künstler auswählte und die Kommission über
diese Vorschläge abstimmte. Generell lag die endgültige Entscheidung beim preußischen
Kultusminister, wobei dieser nicht an die Vorgaben der Kommission gebunden war, aber umgekehrt
auch keine Ankäufe im Alleingang gegen das Veto der Landeskunstkommission durchsetzen konnte.
Der preußisch-akademische Zuschnitt der Erwerbspolitik, den dieses Regelwerk in allen Gattungen,
nicht nur im Bereich der Historienmalerei, zwangsläufig begünstigte, ist hinsichtlich der Künstler
bereits eingehend von Christopher With analysiert worden. Und auch Paul Ortwin Rave kommt in
seiner "Geschichte der Nationalgalerie Berlin", vor allem auch mit Blick auf die ausländischen
Künstler, zu dem Ergebnis: "Wagener hatte mit weiterem Blick gesammelt." 153
<89>
Dass diese vorrangig von den Interessen der preußischen Akademien bestimmte Linie durchbrochen
wurde, war ein Verdienst der Direktoren. Die Befreiung von der engen Bindung an die akademische
Kunst preußischer Provenienz musste ihr Anliegen sein, wenn sie die königliche Nationalgalerie zu
einem Museum von internationalem Format aufbauen wollten. 1884 gelang es Max Jordan, der die
Nationalgalerie von 1874 bis 1895 leitete, erstmals, die Landeskunstkommission zu umgehen, indem
er mit Zustimmung des Kultusministers ein Gemälde mit den Mitteln einer Stiftung erwarb. Er schuf
damit den Präzedenzfall für Ankäufe, die in den folgenden Jahren an der Landeskunstkommission
151
Eine ausführliche Darstellung der Gründungsgeschichte der Landeskunstkommission findet sich in den
Erinnerungen Ludwig Justis, Direktor der Nationalgalerie von 1909 bis 1933, deren Zuverlässigkeit allerdings
aufgrund dortiger antidemokratischer Ressentiments und der Befürwortung des "Führerprinzips" fraglich ist.
Ludwig Justi: Im Dienst der Kunst, Berlin 1936, 217ff.
152
Vgl. Christopher B. With: The Prussian Landeskunstkommission 1862-1911, Berlin 1986; Liste der Maler,
Bildhauer und Architekten, die zwischen 1874 und 1911 Mitglieder der Landeskunstkommission waren, 178-179.
153
Paul Ortwin Rave: Die Geschichte der Nationalgalerie Berlin, Berlin 1968, 40.
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vorbei von ihm und vor allem von seinem Nachfolger Hugo von Tschudi – er bekleidete das Amt des
Direktors von 1896 bis1908 – mithilfe privaten Mäzenatentums getätigt wurden. 154 Tschudi, der
beabsichtigt hatte, "die Nationalgalerie von einem preußisch-deutschen Museum zu einem zentralen
Reichsmuseum umzugestalten",155 beanspruchte jedoch auch 1908 noch keinerlei Sonderstatus für
sein Haus, ja begründete gar die Annahme von Schenkungen ausländischer Werke mit dem
Argument, dass nur "Dank dieser Unterstützung [...] sich die Galerie auch nach dieser Richtung
einigermaßen neben den modernen Sammlungen anderer deutscher Staaten behaupten" könne. 156
VII. Preußische Identität und Historienmalerei in der Nationalgalerie
<90>
Trotz des hohen Ranges, dem das Historienfach innerhalb der akademischen Malerei grundsätzlich
zugewiesen wurde, und der gezielten Förderung, die sie durch den Verband für historische Kunst
erfuhr, erhöhte sich der prozentuale Anteil der Historienbilder in der Nationalgalerie im Vergleich zur
Wagenerschen Sammlung jedoch nicht. Dort gehörten etwa zehn Prozent der Bilder zur Gattung der
profanen Historienmalerei [inklusive historisches Genre], deren thematischer Radius die europäische
Geschichte von der Antike bis zu den Napoleonischen Kriegen umfasste. Zwischen 1861 und 1902,
dem Erscheinungsjahr der 14. Auflage des von Max Jordan herausgegebenen Kataloges, gelangten
562 Bilder, darunter 62 Historien- oder Ereignisbilder in die Sammlung. Nicht die Zuwachsrate,
sondern die Sujets begründen den primär vaterländisch-preußischen Charakter dieses Bestandes. Da
sich die kleindeutsch-borussische Geschichtslehre nach der Jahrhundertmitte fest etabliert hatte, galt
Droysens Sentenz "Den Hohenzollern gebührt die Stelle, die seit den Hohenstaufen leer geblieben", 157
und die Gleichung deutsch ist gleich preußisch auch für die Erwerbungen der königlichen
Nationalgalerie, deren Sammlungsbestand im Bereich der Historienmalerei sich thematisch
folgendermaßen aufschlüsseln lässt:
<91>
14 Bilder behandelten Sujets aus dem im 18. Jahrhundert entwickelten, vom Mittelalter bis zu
Friedrich II. reichenden Themenkanon zur brandenburgisch-preußischen Geschichte: Hier galt der
erste Ankauf, 1864, Karl Steffecks effektvollem und publikumswirksamem Kolossalgemälde Albrecht
Achilles im Kampf um Nürnberg. Der von Friedrich II. mit der Geschichte des Hauses Brandenburg
etablierte Themenkreis, aus der auch Steffeck seinen Stoff geschöpft hatte, wurde erst im Kontext des
50. Jahrestages der Völkerschlacht von Leipzig erweitert, als die "Befreiungskriege" endgültig in die
154
With: The Prussian Landeskunstkommission (wie Anm. 152), 67.
155
Sabine Beneke: Hugo von Tschudi – Nationalcharakter der Moderne um die Jahrhundertwende, in: Rückert /
Kuhrau: "Der Deutschen Kunst..." (wie Anm. 142), 44-60, hier: 44.
156
Hugo von Tschudi: Verzeichnis der Gemälde und Skulpturen in der königlichen National-Galerie zu Berlin,
Berlin 1908, VII.
157
Gustav Droysen: Beiträge zur neuesten deutschen Geschichte. Vier Aufsätze, Braunschweig 1849, 56, in:
ders.: Politische Schriften insbesondere über die deutsche Verfassungsfrage aus den Jahren 1848, zitiert nach
Burgdorf: Ein Weltbild verliert seine Welt (wie Anm. 72), 247.
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offizielle preußische Geschichtserzählung aufgenommen wurden. Nur drei der neun bei Max Jordan
aufgeführten Neuerwerbungen zu diesem Thema überschritten die Grenzen der engeren preußischen
Landesgeschichte: Nr. 8, Franz Adams Rückzug der Franzosen aus Russland, Nr. 400, Franz
Defreggers Heimkehrender Tiroler Landsturm 1809 und Nr. 804, Robert von Haugs Freiwillige Jäger.
<92>
Wiederum nicht numerisch, sondern vielmehr aufgrund der großen Formate und ihrer prominenten
Platzierung trat in der Nationalgalerie die Schlachtenmalerei besonders in Erscheinung, die – geschult
am französischen Vorbild – seit den Kriegen von 1864 und 1866, also dem preußisch-österreichischen
Krieg gegen Dänemark und dem deutschen Bruderkrieg, nunmehr auch in Preußen zur Blüte
gelangte. Das Königreich Preußen, das 1866 durch Annexionen zum territorial weitgehend
geschlossenen Staat geworden war, hatte 1867 mit der Gründung des Norddeutschen Bundes
endgültig die Weichen für die kleindeutsche Lösung der deutschen Frage gestellt, die dann im Zuge
des deutsch-französischen Krieges mit der Proklamation des preußischen Königs zum Deutschen
Kaiser am 18. Januar 1871 Realität wurde. Im Blick der Künstler verengte sich nach der
Reichsgründung das politische Geschehen der Gegenwart nahezu ausschließlich auf die drei
Einigungskriege von 1864, 1866 und 1870/71.158
<93>
Diese Themengruppe umfasste 1902 in der Nationalgalerie eine Gruppe von insgesamt 14 Gemälden,
auf denen mit Ausnahme dreier Bilder, Nr. 490, Adolph Menzels Abreise König Wilhelms, Nr. 670, Im
Etappenquartier vor Paris von Anton von Werner, Nr. 725, König Wilhelm vor Sedan (Skizze) von
Georg Bleibtreu, Gefechtsszenen dargestellt sind, in denen auf deutscher Seite in der Hauptsache
preußische Truppen agieren.159 Bei den großformatigen Bildern in dieser Gruppe handelt es sich fast
ausschließlich um Auftragswerke, in deren Entstehungsprozess sich Wilhelm I. wiederholt persönlich
eingeschaltet hatte.160 Schließlich huldigten vier großformatige Ereignisbilder, Nr. 408, Wilhelm Gentz,
Einzug des Kronprinzen Friedrich Wilhelm in Jerusalem, Nr. 596, Fritz Werner, Enthüllung des
Denkmals der Königin Luise, Nr. 626, Ferdinand Keller, Kaiser Wilhelm der Siegreiche und eine
Ölskizze, Nr. 481, Adolph Menzel, Krönung in Königsberg der Dynastie der Hohenzollern. Nur zwei
158
Vgl. Börsch-Supan: Deutsche Malerei von Anton Graff bis Hans von Marées (wie Anm. 90), 283.
159
Vgl. Max Jordan: Katalog der königlichen National-Galerie zu Berlin, XIV. Auflage, Berlin 1902, Nr. 32, Georg
Bleibtreu, Übergang nach Alsen, 162 x 282 cm, Ankauf auf Bestellung 1867; Nr. 33, Georg Bleibtreu, Schlacht bei
Königgrätz, 148 x 300, Ankauf auf Bestellung 1869; Nr. 52. Wilhelm Camphausen, Düppel nach dem Sturm,
1864, 189 x 286 cm, Ankauf nach Bestellung 1867: Nr. 131 O.J.H. Heyden, Schlachtfeld bei Königgrätz, 141 x
189 cm, Ankauf 1868; Nr. 344 Christian Sell, Beginn der Verfolgung bei Königgrätz, 185 x 283 cm, Ankauf 1872;
Nr. 442, Emil Hünten, Kampf der franz. Reiterei bei Elsasshausen, 183 x380 cm, Ankauf auf Bestellung 1877; Nr.
446. Franz Adam, Kampf mit der franz. Reiterei bei Floing in der Schlacht von Sedan, 195 x398 cm, Ankauf nach
Bestellung 1879; Nr. 479 Louis Kolitz, Scene aus dem Gefecht bei Vendome, 110 x 156 cm, Ankauf 1880; Nr. 479
Louis Kolitz, Aus den Kämpfen um Metz, 1870; Skizze, 63 x 99 cm, Geschenk 1880; Nr. 567. Franz Adam, Angriff
der Brigade v. Bredow; 194 x 399 cm, Ankauf nach Bestellung 1887; 632. Georg Bleibtreu, Kronprinz Fr.W. vor
Paris, 187 x 283 cm, Ankauf 1892.
160
Zur Analyse der Schlachtenbilder vgl. Paul: "Preußens Gloria" (wie Anm. 117), 552ff.
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Bilder, Nr. 650, Carl Salzmann, Die Kreuzerfregatte Leipzig bei St. Helena und Nr. 719, Carl
Salzmann, Eine Manöverfahrt greifen mit dem Sujet der deutschen Kriegsflotte eine Reichsthematik
auf, denn die Flotte war der Truppenteil, der national-deutsch und nicht preußisch war. 161
<94>
Insgesamt standen also in den ersten 40 Jahren bei den Erwerbungen 48 Historien- und Ereignisbilder
mit dezidiert preußischen Sujets 23 Gemälden zur deutschen bzw. europäischen Geschichte
gegenüber. Während der prozentuale Anteil in der Zeit zwischen 1862 bis 1902 gleich geblieben war –
er rangierte weiterhin wie in der Wagenerschen Sammlung bei rund zehn Prozent – hatten sich
thematisch die Akzente also eindeutig im Sinne des Borussianismus verschoben. Einen visuellen
Eindruck von der optischen Dominanz dieses gesellschaftlichen Leitbildes in der Nationalgalerie, in
dem Kaiser und Armee eine zentrale Rolle spielten, vermitteln heute noch historische Photographien
und die überlieferten Hängepläne.162
<95>
Das triumphierende Nationalgefühl beförderte nicht nur in Preußen, sondern auch in den übrigen
Bundesstaaten die Schlachtenmalerei, die in unzähligen Reproduktionen verbreitet wurde. Die
Kriegsszenen waren fast ganz und gar auf die jeweiligen "Vaterländer" Preußen, Bayern,
Württemberg, Baden, Sachsen et cetera zugeschnitten.163 So schilderten von den sieben Gemälden
zum deutsch-französischen Krieg, die 1905 in der Münchener Neuen Pinakothek zu sehen waren, fünf
Aktionen der bayerischen Armee.164 Gerade im militärischen Bereich, wo der mit der deutschen
Einigung verbundene Souveränitätsverlust der Bundesfürsten besonders schmerzlich spürbar war,
denn das preußische Militärreglement galt nun im gesamten Deutschen Reich und die Truppen der
föderalen Einzelstaaten unterstanden dem Oberbefehl des deutschen Kaisers und preußischen
161
Im Gegensatz zu den höheren Offizieren, die ihren Eid auf den Deutschen Kaiser und König von Preußen zu
leisten hatten, schworen die Marineoffiziere nur "dem Deutschen Kaiser treu und redlich zu dienen". Aus den
Ernennungsurkunden der preußischen Offiziere ging wiederum selbst bei Ausbruch des Ersten Weltkrieges nicht
hervor, dass es ein Deutsches Reich überhaupt gab. Michael B. Klein: Zwischen Reich und Region.
Identitätsstrukturen im Deutschen Kaiserreich (1871-1918), Stuttgart 2005, 311f u. Anm. 85.
162
Zur Präsentation der Historienbilder und Bildnisse in der Nationalgalerie in der Ära Jordan und Tschudi siehe
Jörn Grabowski: Die politische und kunstpolitische Konzeption der Nationalgalerie, behandelt anhand der
Erwerbungen historischer Darstellungen in der Zeit zwischen 1861 bis 1896 und deren Präsentation in Berlin und
Potsdam, Masch. Diss. Berlin 1990, 128ff. und 216-223; und ders.: Leitbilder einer Nation. Zur Präsentation von
Historien- und Schlachtengemälden in der Nationalgalerie, in: Ausstellungskatalog: Anton von Werner. Geschichte
in Bildern, hg. von Dominik Bartmann, Berlin 1993, 91-100; Paul: Preußens Gloria (wie Anm. 117), 556- 560.
163
Auch in den süddeutschen Volksschullesebüchern wurde der Krieg von 1870/71 aus der Perspektive des
jeweiligen Staates geschildert und "Militärstolz als Regionalstolz präsentiert." Siegfried Weichlein: Nation und
Region. Integrationsprozesse im Bismarckreich, Düsseldorf 2004, 334.
164
Es handelt sich um zwei Gemälde des Münchener Schlachtenmalers Franz Adam. Das Gemälde "Attacke bei
Mars-la-Tour" gelangte 1888 aus dem Nachlass Adams in die Neue Pinakothek. Vgl. Katalog der
Gemäldesammlung der königlichen neuen Pinakothek in München, 8. Auflage, 1905, 9; Der "Ausfall bei Floing,
Episode aus der Schlacht von Sedan, am 1. September 1870" war 1875 von der Verbindung für historische Kunst
erworben worden, der Gewinner bei der anschließenden Verlosung, der Kunstverein Augsburg, hatte für das Bild
keine Verwendung und verkaufte es 1893 an den bayerischen Staat.
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Königs, ließ die nationale Hochstimmung das Sonderbewusstsein der süddeutschen Bundesstaaten
unberührt. Symptomatisch dafür sind die Sedan–Panoramen: Louis Brauns "Schlacht von Sedan", das
zum zehnten Jahrestag der Schlacht in Frankfurt am Main im August 1880 eröffnet wurde, stellte die
bayerischen Truppen in den Vordergrund, während Pulverdampf die preußischen Truppen unsichtbar
machte. Der preußische König und deutsche Kaiser Wilhelm I. sah sich infolgedessen veranlasst, bei
dem Direktor der Berliner Akademie Anton von Werner eine Darstellung der Schlacht aus preußischer
Sicht für das Panoramagebäude am Alexanderplatz in Auftrag zu geben, die drei Jahre später am 18.
August 1883 eingeweiht und zwei Jahrzehnte lang gezeigt wurde. 165
<96>
Wenn man der zeitgenössischen Kunstkritik Glauben schenkt, blieb aber, im Ganzen gesehen, der
Krieg von 1870/71 ein vorrangig preußisches Thema. So führte Friedrich Pecht in seiner 1888
erschienenen Geschichte der Münchener Kunst im 19. Jahrhundert Klage darüber, dass die "doch
nicht gerade rühmliche Episode der Verbindung Bayerns mit Griechenland" dort "zehnmal mehr
künstlerische Spuren" hinterlassen habe als das Jahr 1870: "Drei oder vier mesquine Bilder in der N.
Pinakothek, deren Bestellung oder Erwerbung mühsam genug durchgesetzt werden musste, waren
alles, was der Staat für die Schlachtenmalerei that". 166
<97>
Die territorialgeschichtliche Gebundenheit der staatlichen Ankaufspolitik im Bereich der
Historienmalerei setzte sich in Preußen nach der Reichsgründung nicht nur unvermindert fort,
vielmehr verstärkte sie sich insofern, als auch die "Verbindung für historische Kunst", die durch neue
Mitglieder und durch die Besetzung der Verwaltungs- und Entscheidungsgremien ein zunehmend
preußisches Profil erhalten hatte, den bisher erhobenen Anspruch auf eine nationale
(gesamtdeutsche) Kunstförderung fallen ließ. Stattdessen begann die "Verbindung" den Hohenzollern
zu huldigen und bevorzugt Themen zur preußischen Geschichte in ihr Programm zu nehmen. 167 In die
Gruppe der das preußische Herrscherhaus glorifizierenden Bilder der "Verbindung" gehört etwa
Ferdinand Kellers Monumentalgemälde Kaiser Friedrich der Siegreiche, 1889, das von der
165
Stephan Oettermann: Das Panorama. Die Geschichte eines Massenmediums, Frankfurt a. M. 1980, 191, dort
auch (196) die kritische Bemerkung Adolf Rosenbergs: "Wie vortrefflich auch die Komposition und wie lebendig
die Ausführung ist [...], so ist doch allgemein getadelt worden, dass der Künstler die Schlacht bei Sedan auf
seinem Panorama ausschließlich von Bayern schlagen lässt."; Adolf Rosenberg: Panoramamalerei, in: Meyers
Konversationslexikon 1883, 756f.; Ausstellungskatalog: Louis Braun. Panoramen von Krieg und Frieden aus dem
Deutschen Kaiserreich, Hällisch-Fränkisches Museum Schwäbisch Hall 1986, 15; Ausstellungskatalog: Anton von
Werner. Geschichte in Bildern, 270; Alexandra Baldus: Das Sedanpanorama von Anton von Werner: ein
wilhelminisches Schlachtenpanorama im Kontext der Historienmalerei, Diss. Bonn 2001, 161ff.
166
Friedrich Pecht: Geschichte der Münchener Kunst im 19. Jahrhundert, München 1888, 409f.
Tatsächlich hingen 1905 in der Neuen Pinakothek allein 34 Bilder zum Thema des griechischen Freiheitskampfes,
23 huldigten dem aus der bayerischen Dynastie stammenden König Otto und 23 weitere zeigten "vaterländische"
Landschaften aus Griechenland (Katalog der Gemäldesammlung der Königlichen Neuen Pinakothek in München,
8. Auflage, 1905).
167
Hans-Werner Schmidt: Die Förderung des vaterländischen Geschichtsbildes durch die Verbindung für
historische Kunst, 1854-1933, Marburg 1985, 176f.
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Nationalgalerie erworben wurde. Im Ergebnis spiegeln die von der "Verbindung" vergebenen Aufträge
ein borussisches Geschichtsbild wieder, das die bestimmenden Kontinuitätslinien von den
mittelalterlichen Kaisern, Luther, dem Großen Kurfürsten, Friedrich dem Großen und Blücher zu
Bismarck und Wilhelm I. zieht und dem katholischen Süden und Südwesten einzig in einem im frühen
Mittelalter angesiedelten kulturhistorischen Genrebild Ankunft der Äbtissin Irmingard auf Kloster
Frauenwörth am Chiemsee im Jahr 895 Raum gab.168 Die von Max Schasler in den Anfangsjahren der
Verbindung ausgegebene Devise, dass "jede politische Differenz wegfallen und es vollständig gleich
bleiben[ müsse], ob die Preußen oder die Österreicher, die Schwaben oder die Sachsen, die
Habsburger oder die Hohenzollern, der Adel oder das Bürgerthum als Helden gefeiert werden", 169 war
ganz und gar in Vergessenheit geraten.
<98>
Ganz im Sinne des eingangs zitierten Plädoyers Johann Georg Sulzers für eine neue patriotische
Historienmalerei, "Bilder und Thaten" der großen Männer des Staates zur Unterstützung des
patriotischen Eifers in öffentlichen Tempeln zu zeigen, begann die Nationalgalerie auf Anordnung
Wilhelms I. 1880 damit, die Sammlung "vaterländischer" Historienbilder durch den gezielten Aufbau
einer Porträtsammlung zu ergänzen und Bildnisse von Mitgliedern der Kriegs- als auch der
Friedensklasse des Ordens Pour le Mérite in Auftrag zu geben. 170 Die von Friedrich Wilhelm IV.
gegründete Friedensklasse des Ordens war ursprünglich gesamtdeutsch – Österreich eingeschlossen
– ausgerichtet, "doch wie selbstverständlich ergab sich eine preußische Präpotenz". 171
<99>
Sein Nachfolger Wilhelm I. wollte nur noch Angehörige des Deutsches Reiches berücksichtigt
wissen,172 an der preußischen Dominanz änderte sich aber nichts: Bis auf wenige Ausnahmen sind alle
porträtierten Künstler und Wissenschaftler dem Geistes- und Kulturleben Preußens zuzuordnen,
während die Vertreter der Kriegsklasse sämtlich der preußischen Armee angehörten. 173 Anders als von
Wilhelm I. beabsichtigt, wurden die Bildnisse jedoch niemals geschlossen, in Form einer
Heldengalerie, in der Schausammlung gezeigt. Ihre wirkungsvolle Präsentation gelang Hugo von
168
Schmidt: Die Förderung des vaterländischen Geschichtsbildes (wie Anm. 167), 158 u. 249, Nr. 79, heute
Nationalgalerie, Karl Raupp, 1893, Inv. Nr. A III 649.
169
Dioskuren, Jahrgang II. Nr. 5 1857, 38.
170
Zur nationalen Bildnissammlung siehe Katrin Herbst: Die Rolle des Ordens Pour le Mérite für die nationale
Bildnissammlung, in: Ausstellungskatalog: Pour le Mérite. Vom königlichen Gelehrtenkabinett zur nationalen
Bildnissammlung, hg. von Katrin Herbst, Berlin 2006, 21-30.
171
Horst Fuhrmann: Die Friedensklasse des Ordens Pour le mérite. Ursprung und Charakter, in:
Ausstellungskatalog: Pour le Mérite (wie Anm. 170), 18.
172
Herbst: Die Rolle des Ordens Pour le mérite (wie Anm. 170), 25.
173
Zwischen 1880 und 1908 wurden Porträts von zehn Vertretern des militärischen Verdienstordens und elf
Rittern der Friedensklasse in Auftrag gegeben. Jörn Grabowski: Die Nationale Bildnis-Sammlung. Zur Geschichte
der ersten Nebenabteilung der Nationalgalerie, in: Jahrbuch Preußischer Kulturbesitz, Band XXXI, 1994, 297-321,
hier: 302.
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Tschudi, der die Ausstellungsräume der Nationalgalerie vom "vaterländischen" Ballast zu befreien
trachtete. Deshalb fügte er im repräsentativen ersten Corneliussaal Historiengemälde, Schlachtenund maritime Ereignisbilder sowie ein kleines Menzelmuseum zu einem konzentrierten vaterländisch–
preußischen Tableau zusammen, in das er die Gelehrten- und Künstlerporträts integrierte, die als
"Ritter der Friedensklasse des Ordens Pour le mérite" die Erfolge preußischer Bildungspolitik und
damit ein gewichtiges Stück preußisch-deutscher Identität verkörperten. 174
VIII. Historienmalerei im Dienst der Reichsidee
<100>
Die Gründung des zweiten deutschen Kaiserreiches hatte in ganz Deutschland zur Belebung der
öffentlichen Bautätigkeit geführt, die eine Hochkonjunktur der Monumentalmalerei nach sich zog. Vor
allem Rathäuser und Bildungseinrichtungen wurden mit aufwendigen Bildprogrammen geschmückt,
auch in Preußen schlug der Historienmalerei in dieser Hinsicht nunmehr die Stunde. Mehr als die
Hälfte des ihr zur Verfügung stehenden Etats gab die Landeskunstkommission für die
Monumentalmalerei in öffentlichen Gebäuden aus, wobei der Löwenanteil der Gelder – entsprechend
der Zusammensetzung des Verteilungsgremiums – auf Berlin und die Rheinprovinz entfiel. 175
<101>
Zu den zentralen Aufgaben, die sich den Malern bei der Konzeption der Bildzyklen stellten, gehörte es,
die jeweilige lokale Thematik mit dem neuen Reichskult zu verbinden, durch den das junge
Kaiserhaus der Hohenzollern als unmittelbarer Nachfahre der Staufer stilisiert und Wilhelm I. als der
Wiederbegründer des Reiches glorifiziert wurde. Als spektakulärste Lösung dieser künstlerischen
Problemstellung muss die Dekoration der Goslaer Kaiserpfalz durch Hermann Wislicenus gelten, 176 die
in einer Wiederherstellung des Deutschen Kaiserreiches betitelten Apotheose Wilhelms I. gipfelt. Als
Konzept zur Monarchisierung der Nation177 entfaltete die Reichsidee große Wirksamkeit in den
"neupreußischen" Gebieten, besonders im katholischen Westen, wo vaterländisch- preußisches
Bewusstsein sich nur zögernd entwickelt hatte. Ihre Zugkraft bewies die Idee von der
"Wiederaufrichtung des Reiches"178 dabei nicht allein in Preußen, sondern überall dort in Deutschland,
174
Zur Präsentation der Historienbilder und Bildnisse in der Nationalgalerie in der Ära Jordan und Tschudi siehe
Anm. 162. Zu Tschudis Intentionen vgl. Peter-Klaus Schuster: Hugo von Tschudi und der Kampf um die Moderne,
in: Ausstellungskatalog: Manet bis Van Gogh. Hugo von Tschudi und der Kampf um die Modere, München 1997,
27.
175
With: The Prussian Landeskunstkommission (wie Anm. 152), 31.
176
Vgl. Schoch: Das Herrscherbild in der Malerei des 19. Jahrhunderts (wie Anm. 44), 185-196; Arndt: Die
Goslaer Kaiserpfalz als Nationaldenkmal (wie Anm. 148), 7ff.; Adolf Rosenberg: Neue Monumentalmalerei in
Preußen, in: Zeitschrift für Bildende Kunst, NF, 7 (1896), 17ff , hier: 20.
177
Manfred Hanisch: Für Fürst und Vaterland. Legitimitätsstiftung in Bayern zwischen Revolution 1848 und
deutscher Einheit, München 1991; sowie ders.: Nationalisierung der Dynastien oder Monarchisierung der Nation?
Zum Verhältnis von Monarchie und Nation in Deutschland im 19. Jahrhundert, in: Birke / Kettenacker : Bürgertum,
Adel und Nation (wie Anm. 92).
178
Vgl. auch Gerd Unverfehrt: Bistum, Stadt und Reich. Das Programm der Fresken Hermann Prells im Rathaus
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wo mit der Reichsgründung die Erinnerung an alte Rechte erwachte und die Zugehörigkeit und das
Bekenntnis zum Deutschen Reich als Wechsel für die Zukunft betrachtet werden konnten: So ließ die
ehemalige freie Reichsstadt Kaufbeuren, die seit 1802 zu Bayern gehörte, in den 1890er Jahren das
vom bayerischen Kultusministerium finanzierte Bildprogramm im neuerrichteten Rathaus auf eigene
Kosten mit der in Bayern unüblichen Darstellung Kaiser Wilhelms I. abrunden.179
<102>
Die "vaterländische" Historienmalerei war nicht nur in Wand- und Tafelbildern in Museen, Rathäusern,
Offizierskasinos, Schulen und Universitäten allgegenwärtig, sondern fand auch durch Reproduktionen
weite Verbreitung. In Preußen, dem bei weitem größten und bevölkerungsreichsten Bundesstaat des
zweiten deutschen Kaiserreichs, wurden die süddeutschen Bundesstaaten und Österreich auf diese
Weise im kollektiven Bildgedächtnis zu exterritorialen Gebieten, "Preußen ist Deutschland" lautete
auch die im Königreich Preußen in Schulbüchern und Geschichtswerken vermittelte Botschaft. 180
Besonders eindrucksvoll gelang die mediale Konstruktion dieses preußischen Deutschlands in dem
1907 erschienenen zweibändigen Monumentalwerk Deutsche Gedenkhalle. Bilder aus der
vaterländischen Geschichte,181 deren offizieller Charakter nicht allein durch die Schirmherrschaft
Kaiser Wilhelms II. unterstrichen wurde, sondern auch durch die Tatsache, dass dem Direktor der
königlich–preußischen Nationalgalerie Hugo von Tschudi die Verantwortung für den "illustrativen Teil"
oblegen hatte, während ein Mitarbeiter des Geheimen Preußischen Staatsarchivs, Julius von Pflug
Harttung, für die Redaktion der historischen Abhandlungen zuständig war.
<103>
Zu den Autoren gehörten prominente Historiker und Lehrstuhlinhaber an preußischen Universitäten
wie Felix Dahn, Otto Hintze, Friedrich Meinecke und Hermann Oncken, aber auch Angehörige des
preußischen Generalstabs verfassten Beiträge.182 Die Kassette in Großfolio-Imperialformat, die 50
Heliogravüren enthält, und den begleitenden Textband hatte der Wiener Jugendstilkünstler und
zu Hildesheim, in: Ekkehard Mai / Jürgen Paul / Stephan Waetzold (Hg.): Das Rathaus im Kaiserreich.
Kunstpolitische Aspekte einer Bauaufgabe des 19. Jahrhunderts, Berlin 1982, 231-259.
179
Vgl. Wolfram Lübbeke: Das kleine bayerische Rathaus, in: Mai / Paul / Waetzold: Das Rathaus im Kaiserreich
(wie Anm. 178), 301-358, hier: 330.
180
Die preußisch-nationale Geschichtsinterpretation stieß auch in den evangelischen Gebieten Bayerns auf
Akzeptanz und wurde in den evangelischen Schulbüchern stärker berücksichtigt. Ansonsten überwog die
regionalstaatliche Identität im bayerischen Geschichtsunterricht, was sich auch an den seltenen Erwähnungen
Berlins bemerkbar machte: "Das Reich wurde nicht durch seine Hauptstadt, sondern durch die zahlreichen
Landeshauptstädte geographisch beschrieben. Die dominierende Rolle Preußens im Reich blieb so hinter den
Informationen über die Bundesstaaten, ihre Traditionen, Hauptstädte, Wirtschaft und ihre Herrschergeschlechter
verborgen. Weichlein: Nation und Region, Integrationsprozesse im Bismarckreich (wie Anm. 163), 332.
181
Deutsche Gedenkhalle. Bilder aus der vaterländischen Geschichte, Schriftleitung Prof. Dr. Julius von PflugkHartung. Leitung des illustrativen Teils Prof. Dr. Hugo von Tschudi. Buchschmuck von Heinrich Lefler, Joseph
Urban, Johann Josef Tautenhayn, Rudolf von Larisch, Ludwig Hujer, Berlin / Leipzig 1907.
182
Mark R. Stoneman: Bürgerliche und adelige Krieger: Zum Verhältnis von sozialer Herkunft und Berufskultur im
wilhelminischen Armee-Offizierkorps, in: Heinz Reif (Hg.): Adel und Bürgertum in Deutschland I.
Entwicklungslinien und Wendepunkte im 19. Jahrhundert, Berlin 2000, 41f.
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Architekt Joseph Urban in Zusammenarbeit mit Heinrich Lefler gestaltet. 183 Die beiden farbigen, mit
Gold verzierten Vor- und Nachsätze erweisen dem bundesstaatlichen Charakter des Deutschen
Reiches Reverenz und zeigen die Fahnen der Bundesstaaten, gefolgt von der Allegorie des imperialen
Preußen auf der Titelseite einer die preußisch-deutsche Kaiserkrone tragenden Borussia. Dann
eröffnet dessen Personifikation in Gestalt des neobarocken Staatsporträts Wilhelms II., das Max
Koner im Auftrag des Kaisers 1899 für die deutsche Botschaft in Paris geschaffen hatte, die Reihe der
Bildtafeln. Die ersten 16 Tafeln schildern große Ereignisse und Gestalten aus der Zeit des Mittelalters,
der Reformation und des Dreißigjährigen Krieges und lassen mit den beiden Episoden Rettung des
Königs Sigismund in der Schlacht von Nikopolis durch den Burggrafen von Nürnberg von Hermann
Knackfuß und Die Städte Berlin und Köln huldigen dem Kurfürsten Friedrich von Hohenzollern von
Julius Schrader die Hohenzollern auf die Bühne der deutschen Geschichte treten.
<104>
In den restlichen 38 Blättern der "Deutschen Gedenkhalle", beginnend mit Der Große Kurfürst bei
Fehrbellin, lässt die Bildregie dann die borussische Geschichtserzählung Revue passieren; nur mit
Weimar 1803 von Otto Knille und einem Porträt des bayerischen Prinzregenten Luitpold von Friedrich
August von Kaulbach unternimmt sie es, einen Blick auf das außerhalb Preußens liegende
Deutschland zu werfen. Die Reproduktion zweier Gemälde aus der Nationalgalerie, in denen der
Anspruch des Kaiserreiches, zu Wasser und zu Lande eine Weltmachtrolle zu spielen, zum Ausdruck
kommt, können als Ausblick in die Zukunft gewertet werden. Zu den Künstlern, die als preußische
Staatskünstler galten und wie Anton von Werner, Wilhelm Camphausen, Georg Bleibtreu und Karl
Röchling mit mehreren Werken in der "Gedenkhalle" vertreten sind, gehört auch Adolph Menzel, der
seit der Reichsgründung als nationaler Künstler vereinnahmt wurde, da er das Verdienst hatte, "durch
eine Jahrzehnte lange, fast ausschließlich der Zeit Friedrichs des Grossen gewidmete künstlerische
Tätigkeit die Erinnerung an die preußischen Helden im Volke rege erhalten und die Nation durch
bildliche Vorführung seiner glorreichen Heerführer und Soldaten immer wieder auf das sicherste
Fundament des preußischen Staates hingewiesen zu haben." 184
<105>
Ihre Breitenwirkung verdankte die unter dem Protektorat Wilhelms II. aus der Taufe gehobene
"Gedenkhalle" ihrer ebenfalls 1907 erschienenen "Volksausgabe", in der Texte und Bilder in einem
Band zusammengefasst waren. Sie erlebte, angereichert mit der Dolchstoßlegende und Aufsätzen
dieses Tenors zum Ersten Weltkrieg, in der Zeit der Weimarer Republik zwischen 1920 und 1932 acht
Auflagen. Die populärste Version der Narration vom preußisch-deutschen Vaterland im Medium des
Historienbildes des 19. Jahrhunderts, die bis heute im visuellen Gedächtnis der Nation nachwirken,
183
Vgl. Markus Kristan: Joseph Urban. Die Wiener Jahre des Jugendstilarchitekten und Illustrators 1872-1922,
Wien 1999, 352. Urban schuf gemeinsam mit Heinrich Lefler auch den Buchschmuck für das 1907 in Wien
erschienene Werk "An Ehren und Siegen reich. Bilder aus Österreichs Geschichte".
184
Adolf Rosenberg: Die Berliner Malerschule 1819-1879: Studien und Kritiken, Berlin 1879, 260.
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stellen die Sammelalben für Zigarettenbildchen dar, die während des Dritten Reiches erschienen. 185
Die Leerstelle, die durch die Vernachlässigung der außerpreußischen Geschichte entstanden ist, wird
dort durch Kriegsdarstellungen gefüllt. Allein in den Kapiteln zu Friedrich II. und den Befreiungskriegen
sind 40 bzw. 52 Historienbilder kompiliert, in denen fast ausschließlich Schlachten thematisiert
werden.
<106>
Die kunstpolitische Offensive, die nach der Reichsgründung einsetzte, um das Bild eines imperialen
preußischen Deutschlands zu propagieren, erfuhr mit den Denkmalprojekten, die Wilhelm II. in der
deutschen Hauptstadt initiierte, eine weitere Steigerung. 1895 begannen die Arbeiten an der
"Siegesallee", für die der Kaiser Denkmäler sämtlicher Markgrafen, Kurfürsten und Könige
Brandenburgs und Preußens zwischen 1165 und 1888 in Auftrag gab. 186 Der 1901 fertiggestellte
Prachtboulevard mit den 32 Marmorgruppen, für den Wilhelm II. erhebliche Mittel aus seiner
Privatschatulle bereitstellte, stellt nicht nur eine Demonstration dynastischen Selbstbewusstseins dar,
sondern kann als steinernes Manifest verstanden werden, das vom Anspruch der Hohenzollern
kündet, sich als deutsche Reichsdynastie zu etablieren. In diesem Kontext erschließt sich auch die
Bedeutung des Kultes um "Wilhelm den Großen", den Wilhelm II. ins Leben rief und der in
monumentalen monarchischen Denkmalanlagen Ausdruck fand.187
<107>
Angesichts der strategischen Bedeutung des Kultes um Wilhelm I. nimmt es nicht Wunder, dass
Wilhelm II. 1890 das allegorische Monumentalgemälde Kaiser Wilhelm, der siegreiche Begründer des
Deutschen Reiches, das Ferdinand Keller im Todesjahr des Kaisers geschaffen hatte und das den
Einzug Wilhelms I. am 16. Juni 1871 in Berlin zum Gegenstand hat, käuflich erwarb. Denn es
eröffnete die Möglichkeit, auch die königliche Galerie, deren Treppenhaus bis dahin lediglich das von
Bernhard Plockhorst 1873 geschaffene, fast biedermeierlich anmutende Staatsporträt Wilhelms I.188
schmückte, in die apotheotische Verherrlichung des ersten Hohenzollernkaisers mit einzubeziehen.
Bevor es im zentralen Corneliussaal im ersten Geschoss seinen Platz fand, 189 schickte es Wilhelm II.
auf eine mehrjährige Ausstellungstournee, deren Stationen nicht nur die preußischen Provinzen,
sondern 1893 auch die Weltausstellung in Chicago bildeten. So wie einst der Friedrich-Mythos das
Fundament für die Etablierung einer preußischen Nation gebildet hatte, sollte jetzt der "Wilhelm der
185
Bilder Deutscher Geschichte. Werk 12. Herausgegeben vom Zigaretten-Bilderdienst Hamburg Bärenfeld 1936.
186
Ute Lehnert: Der Kaiser und die Siegesallee, Berlin 1998.
187
Vgl. dazu auch Andreas Rose: Wilhelm I. – ein Großer?, in: Friedrich300 – Colloquien, Friedrich und die
historische Größe. URL: http://www.perspectivia.net/content/publikationen/friedrich300-colloquien/friedrichgroesse/rose_wilhelm <11.03.2011>.
188
Schoch: Das Herrscherbild in der Malerei des 19. Jahrhunderts (wie Anm. 44), 165.
189
Vgl. Paul: Preußens Gloria (wie Anm. 117), 557; und Jörn Grabowski: Die Museumsinsel als
Geschichtslandschaft, in: Museumsinsel Berlin, hg. von Peter-Klaus Schuster und Christine Inés-Steingräber,
Berlin 2004, 82-101, hier: 86.
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Große"-Mythos die preußisch-deutsche Reichsnation begründen, das Gottesgnadentum sichern und
durch die Gleichsetzung von Nation und Monarchie die Gefährdung der Herrschaft Wilhelms II. durch
das Selbstbewusstsein anderer deutscher Länder und durch Parlamentarismus und Sozialismus
bannen.
Autorin:
Dr. Agnete von Specht
Denk mal an Berlin e.V.
Großgörschenstraße 10
10827 Berlin
[email protected]
Dr. Agnete von Specht ist Kuratorin von kultur- und kunsthistorischen Ausstellungen (unter anderem
Lepsius – die deutsche Expedition an den Nil, Ägyptisches Museum Kairo, 2006; A Century of German
Genius. Masterpieces from Classicism to Early Modernism, National Palace Museum Taipei, 2004;
Marksteine – eine Entdeckungsreise durch Brandenburg-Preußen, Haus der Brandenburgischpreußischen Geschichte Potsdam, 2001; Geschichte der Frauen in Bayern, Bayerische
Landesausstellung 1998; Die Kunst hat nie ein Mensch allein besessen, Ausstellung zum
dreihundertjährigen Jubiläum der Akademie der Künste, Berlin 1996; Streik, Realität und Mythos,
Deutsches Historisches Museum, 1992).
Der vorliegende Aufsatz wurde durch eine Ausstellungskonzeption, die die Autorin 2009 für das
föderale Programm der Stiftung preußischer Kulturbesitz entwickelte, angeregt.
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