5. Entstehung der Nationalstaaten Deutschlands nationale Einigung j Königgrätz Ziel des preußischen Ministerpräsidenten Otto von Bismarck (1815–1898) war die Festigung der preußischen Monarchie und die Ausschaltung Österreichs aus dem Deutschen Bund, um den Weg für einen deutschen Einheitsstaat unter preußischer Führung frei zu machen. uu Die Ausschaltung Österreichs Der dänische König Christian IX. wollte – im Widerspruch zu bestehenden Verträgen – Schleswig-Holstein dem dänischen Staat einverleiben (1864). Deutsche Truppen marschierten in Dänemark ein und erzwangen den Frieden von Wien: Die Herzogtümer Schleswig und Holstein kamen zu Preußen. Die Verwaltung wurde im Vertrag von Gastein aufgeteilt: Österreich (noch mit Preußen verbündet) erhielt die Verwaltung Holsteins, Preußen die von Schleswig, was die Spannungen verstärkte. Bismarck schloss ein geheimes Angriffsbündnis mit Italien und forderte eine Bundesreform, die (erwartungsgemäß) von Österreich abgelehnt wurde. Dieses rief den Bundestag an. Preußen marschierte in Holstein ein, und Österreich gelang es u. a., die deutschen Staaten Sachsen, Hannover und Hessen, für einen Krieg gegen Preußen zu gewinnen. Preußen siegte unter Helmut von Moltke (1800–1891) bei Königgrätz u in Böhmen (1866) gegen Österreich. In den darauffolgenden Friedensverträgen erklärte Österreich seinen Austritt aus dem Deutschen Bund und übergab Venetien an Italien. Der Weg zur kleindeutschen Lösung unter Preußens Führung war frei. Die süddeutschen Staaten schlossen ein geheimes Schutz- und Trutzbündnis mit Preußen gegen einen Angriff Frankreichs. Die norddeutschen Staaten wurden von Preußen annektiert. Die übrigen, neutral gebliebenen Staaten schlossen mit Preußen den Norddeutschen Bund mit Bismarck als Bundeskanzler. Kaiser Napoléon III. bekam die erwarteten Gebietsgewinne (Luxemburg) nicht. l Kaiser Wilhelm I. uu Das Deutsche Reich Bismarck war Zeuge der revolutionären Ereignisse in Paris (Kämpfe um die Pariser Kommune) gewesen; das hatte seine Furcht vor sozialen Aufständen und Unruhen so sehr geprägt, dass die Verhinderung solcher Bewegungen und die Aufrechterhaltung des Status quo seine wichtigsten Ziele wurden. Nach dem Deutsch-Französischen Krieg (1870–1871) musste Frankreich im Frieden von Frankfurt Elsass-Lothringen an das Deutsche Reich abtreten und eine hohe Kriegsentschädigung (5 Milliarden Goldfranken) zahlen. Frankreich war aus seiner Vormachtstellung verdrängt. Der Verlust Elsass-Lothringens begründete französische Revanchegedanken, die das deutsch-französische Verhältnis bis ins 20. Jh. dominierten. Am 18. Jänner 1871 wurde das Deutsche Reich gegründet v. Der preußische König wurde als Wilhelm I. w im Spiegelsaal von Versailles x zum Deutschen Kaiser ausgerufen; die süddeutschen Staaten erklärten in Verhandlungen ihren Beitritt, und der bayerische König Ludwig II. bot ihm, von Bismarck durch Bestechung veranlasst, die Kaiserkrone an. Bayern erhielt Reservatrechte (etwa „Ausnahmerechte“): eine eigene Post und Eisenbahn und in Friedenszeiten die Militärhoheit. Das Deutsche Reich wurde ein Bundesstaat unter dem Vorsitz des preußischen Königs als erblichem Kaiser. Es war eine konstitutionelle Monarchie, gegründet auf der Hoheit der Fürsten und nicht auf die Volkssouveränität. Bismarck als Reichskanzler war nur dem Kaiser verantwortlich, zugleich Ministerpräsident und Vorsitzender im Bundesrat (Ländervertetung). Der Reichstag wurde nach dem allgemeinen Wahlrecht gewählt, besaß als Volksvertretung zusammen mit dem Bundesrat die gesetzgebende Gewalt, blieb politisch jedoch schwach. 74 Revolutionen & Gegenbewegungen Wilhelm I. (1797–1888), der erste Kaiser des Deutschen Reiches war zunächst am 18. Jänner 1861 in Königsberg (Ostpreußen, heute Russland) zum König gekrönt worden. Zehn Jahre später wurde er in Versailles zum Deutschen Kaiser ausgerufen. Er akzeptierte mit den Worten: „Nachdem die Deutschen Fürsten und Freien Städte den einmütigen Ruf an Uns gerichtet haben, mit Herstellung des Deutschen Reichs die seit mehr denn 60 Jahre ruhende Deutsche Kaiserwürde zu erneuern, bekunden Wir hiermit, dass Wir es als Unsere Pflicht gegen das gemeinsame Vaterland betrachtet haben, die Deutsche Kaiserwürde anzunehmen.“ (www.trevision.at) Deutschlands nationale Einigung k Das Deutsche Reich „Getrennt marschieren, vereint schlagen“ war die Devise des preußischen Generalstabschefs Helmuth von Moltke. Bei Königgrätz (1866) unterlagen die österreichischen Truppen unter Ludwig Ritter von Benedek. Preußen hatte 1920 Tote zu beklagen, Österreich 5658. Die höhere Feuergeschwindigkeit des preußischen Zündnadelgewehrs, das schon ein Hinterlader war, erwies sich technisch den Vorderladern der Österreicher überlegen. Neben der Taktik war die Technik zum kriegsentscheidenden Faktor geworden. Das Gemälde von 1872 zeigt König Willhelm I. (Mitte), dahinter (1. Reihe von links) Helmuth von Moltke und Otto von Bismarck. 1. Fassen Sie die nationale Einigung Deutschlands von der Verdrängung Österreichs aus dem Deutschen Bund bis zur Gründung des Deutschen Reiches zusammen. 2. Welche Rolle spielte Bismarck bei der Gründung des Deutschen Reiches? 3. Das Gemälde von der Proklamation des Deutschen Kaiserreiches zeigt Bismarck in weißer Uniform (die er nicht trug) an einer Stelle im Spiegelsaal von Versailles (an der er nicht stand): Welche Absicht verfolgte der Maler damit? 4. Welche über den Augenblick hinausgehende Bedeutung hatte die Schlacht von Königgrätz für Deutschland und für Österreich? Aus welchem Grund blieb „Königgrätz“ noch lange im österreichischen Bewusstsein? Recherchieren Sie. (R) 5. Warum kann man beim Deutschen Kaiserreich von einer konstitutionellen Monarchie sprechen, im Falle Österreichs aber nicht? Wie unerscheidet sich ganz allgemein eine konstitutionelle Monarchie von einer (neo-)absolutistischen? m Die Proklamation des Deutschen Kaiserreiches Die deutsche Einigung wurde vom Norddeutschen Bund und den süddeutschen Staaten angestrebt. Nach dem Deutsch-Französischen Krieg wurde das Deutsche Reich gegründet, König Wilhelm von Preußen in Versailles zum Deutschen Kaiser ausgerufen und Bismarck zum Reichskanzler ernannt. Das Gemälde von Anton von Werner (1843– 1915) entstand 1877 und zeigt die Proklamation des Deutschen Kaiserreiches im Spiegelsaal von Versailles am 18. Jannuar 1871. Bezeichnenderweise hat der Maler Otto von Bismarck (in weißer Uniform) ins Zentrum gerückt. 75