2.3 Reichsgründung und „Revolution von oben“

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Der deutsche Nationalstaat im 19. Jahrhundert
2.3 Reichsgründung und „Revolution von oben“
Am 18. Januar 1871 wurde in Versailles in Anwesenheit der deutschen Fürsten das
deutsche Kaiserreich proklamiert. Und der preußische König Wilhelm I. wurde
zum deutschen Kaiser ausgerufen. Er war einer der erbittertsten Gegner der
Revolution von 1848 gewesen und hatte später die Niederschlagung des letzten
Aufstands in Baden befehligt. Was hatte, nachdem die Reichseinheit 1849 nicht
erreicht worden war, diese „Revolution von oben“ möglich gemacht?
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Wilhelm I.
Preußen – Deutschlands
wirtschaftliche
Führungsmacht
Außenpolitische
Kons­tellation
Auch wenn Deutschland politisch kein einheitliches Reichsgebiet hatte, so wuchsen doch die wirtschaftlichen Verflechtungen: Seit 1834 förderte der Deutsche
Zollverein die wirtschaftliche Einheit der deutschen Staaten. Preußen hatte die
Führung im Deutschen Zollverein übernommen. Mit seinen Indus­triegebieten in
Oberschlesien, an der Ruhr und im Saarland war es im Deutschen Bund die stärkste Wirtschaftsmacht. Es geriet daher in immer stärkeren Gegensatz zu Österreich,
das dem Zollverein nicht angehörte und wirtschaftlich weit rückständiger war.
Das besitzende Bürgertum, das von Industrialisierung und Wirtschaftsliberalismus profitierte, unterstützte die preußische Politik. Die Verwirklichung eines
deutschen Nationalstaats ohne revolutionär-soziale Veränderungen entsprach
den Interessen der Wirtschaftsbürger. „Realpolitik“, die sich pragmatisch an den
Gegebenheiten orientierte und flexibel reagierte, war angesagt.
Die Kräftekonstellation auf dem Kontinent war für den Aufstieg einer neuen
Macht – Preußen – günstig: Russland war bestrebt, seinen Einfluss im Osmanischen Reich zu vergrößern und das Schwarze Meer strategisch zu sichern.
England hingegen fürchtete eine russische Expansion wegen der Handelswege
nach Indien und im Mittelmeer. Es trat daher zusammen mit Frankreich in den
Krimkrieg zwischen Russland und dem Osmanischen Reich ein, der eine russische
Niederlage brachte. Ein Eingreifen Englands oder Russlands auf dem Kontinent
war also nicht zu erwarten. Das Gleiche galt zunächst für Frankreich, das noch
zwischen Preußen und Österreich lavierte. Österreich unterlag 1859 im Krieg
gegen Piemont-Sardinien. Die Schwächung Österreichs begünstigte die Absicht
Preußens, die Frage der nationalen Einheit zu eigenen Gunsten zu entscheiden.
Bismarck preußischer
Ministerpräsident
1862 kam es in Preußen zu einer innenpolitischen Krise. Die liberale Mehrheit im
Abgeordnetenhaus lehnte die vom König geplante Erhöhung des Wehretats ab.
Wilhelm I. ernannte Otto von Bismarck, bis zum Zeitpunkt Gesandter Preußens in
Paris, zum Ministerpräsidenten. Denn Bismarck signalisierte seine Bereitschaft,
die Heeresreform auch ohne Haushaltsgesetz und damit gegen das Parlament
durchzuführen. Aufgrund seiner Herkunft aus dem ostelbischen Junkertum und
seiner scharf ablehnenden Haltung der Revolution 1848/49 galt Bismarck als reaktionär. Doch er erwies sich durchaus als „Realpolitiker“. Konsequent verfolgte
er das Ziel einer preußischen Hegemonie unter Ausschaltung Österreichs. Dabei
zählte Bismarck auf die wirtschaftlichen Interessen des liberalen Bürgertums an
der Einheit Deutschlands. Er wurde zum Verfechter der nationalen Sache.
Prägend für Bismarcks politisches Denken war die Vorstellung vom Obrigkeitsstaat, in dem die monarchische Gewalt und das Militär das Sagen hatten. Er war
entschlossen, die deutsche Einigung nicht einer Volksbewegung zu überlassen:
„Nicht durch Reden und Majoritätsbeschlüsse“ würden die Fragen der Zeit entschieden, sondern durch „Blut und Eisen“.
Kriege gegen Dänemark
und Österreich,
Norddeutscher Bund
Dies bedeutete einerseits Krieg und andererseits den Versuch einer Revolution „von oben“: 1863 wollte das dänische Königreich Schleswig annektieren, ein
Schritt, der in Deutschland Empörung auslöste. Nachdem Bismarck durch ge-
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Der deutsche Nationalstaat im 19. Jahrhundert
schickte Diplomatie die Neutralität der europäischen Groß­mächte erreicht hatte,
zogen ein Jahr später unter preußischer Führung Österreicher und Preußen in den
Krieg gegen die dänischen Truppen. Nach seiner Niederlage musste Dänemark
die Herzogtümer Schleswig und Holstein abtreten. Preußen erhielt die Verwaltung Schleswigs, Österreichs die Holsteins. Bismarck jedoch betrieb die Annexion
beider Herzogtümer und ging dabei das Risiko eines Krieges gegen Österreich
bewusst ein. Im Bündnis mit dem italienischen Königreich Sardinien-Piemont
gelang 1866 den preußischen Truppen der Sieg über ihre österreichischen Gegner.
Gegenüber dem preußischen König und den Militärs setzte Bismarck moderate
Friedensbedingungen für Österreich durch. Den Deutschen Bund erklärte er für
aufgelöst. Österreich wurde damit aus Deutschland herausgedrängt – ein epochaler Einschnitt. Preußen annektierte Schleswig und Holstein sowie Hannover,
Kurhessen, Nassau und Frankfurt. Es erreichte damit seine größte Ausdehnung.
Die innere Struktur Deutschlands wurde umgestaltet: An die Stelle des Deutschen
Bunds trat der Norddeutsche Bund, ein Bundesstaat aller Staaten nördlich der
Mainlinie unter preußischer Hegemonie. Schutzbündnisse mit den süddeutschen
Staaten garantierten deren Beistand im Kriegsfall.
In Preußen war inzwischen die liberale Opposition im Abgeordnetenhaus zerbrochen: Die Nationalliberalen unterstützten Bismarcks Politik der nationalen Einigung „von oben“ angesichts der Erfolge 1864 und 1866. Die Linksliberalen wollten
aber die Forderung nach politischer Mitsprache und Parlamentarismus nicht
aufgeben. Von der Fortschrittspartei (1861 gegründet) spaltete sich 1867 die Nationalliberale Partei ab. Mit großer Mehrheit befürwortete das Abgeordnetenhaus
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Spaltung der Liberalen
1 Deutschland 1871
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