Quelle: http://www.bpb.de/publikationen/NN47XU.html Informationen zur politischen Bildung (Heft 163) Nationale Einigung in Italien und Deutschland 1859 Österreichisch-französisch-sardinischer Krieg: Lombardei an Sardinien 1861 Gründung des Königreichs Italien 1862 Bismarck (1815-1898) wird preußischer Ministerpräsident 1866 Preußisch-österreichischer Krieg; Friede von Prag: Auflösung des Deutschen Bundes; preußische Annexionen nördlich der Main-Linie 1866/67 Gründung des Norddeutschen Bundes unter preußischer Führung 1870/71 Deutsch-französischer Krieg: Elsass-Lothringen an Deutschland 1871 18. 1. Ausrufung des Deutschen Kaiserreiches in Versailles 18. 4. Inkrafttreten der Verfassung des Deutschen Reiches Einleitung In den Revolutionen von 1848/49 war überall der Versuch gescheitert, die nationale Unabhängigkeit und Einheit durch Volkserhebungen "von unten" zu erringen. Die Fürstenstaaten hatten die nationale Bewegung unterdrückt, weil sie sich vor ihr in ihrem territorialen Bestand, aber auch in ihrem Verfassungssystem bedroht fühlten. Die Einigung Italiens In Italien hatten die Patrioten mehrere Anläufe unternommen, um sich von der Herrschaft ausländischer Fürsten zu befreien. Aber weder die Volkserhebung in Venedig und Rom, die zur vorübergehenden Errichtung von Republiken führten, noch der "heilige Krieg" Sardinien-Piemonts gegen Österreich hatten zum Erfolg geführt. Die militärische Überlegenheit der kaiserlichen Heere, aber auch die Passivität der italienischen Landbevölkerung, die in ihrer Mehrzahl in Armut, wirtschaftlicher Abhängigkeit und Unwissenheit lebte, erwiesen sich als Hindernisse auf dem Weg zur nationalen Freiheit. Nach 1849 wurde das Königreich Piemont-Sardinien zur großen Hoffnung des italienischen Risorgimento (wörtlich: Wiedergeburt). Mit dem Ministerpräsidenten Cavour entwickelte es sich zu einem fortschrittlichen Staat mit liberaler Verfassung, moderner Wirtschaftsstruktur und gesunden Finanzen. Seine Teilnahme am Krimkrieg gegen Russland an der Seite Englands und Frankreichs sicherte ihm ein Mitspracherecht auf internationalem Parkett und Sympathien im liberalen England und bonapartistischen Frankreich. Napoleon III., in seiner Jugendzeit Mitglied des italienischen Geheimbundes der Carbonari und stets auf außenpolitische Erfolge bedacht, fand sich in Geheimabmachungen mit Cavour bereit, den Italienern militärische Hilfe gegen Österreich zu leisten. In verständlicher Nervosität beging Österreich den Fehler, den Krieg zu beginnen, und gab damit Napoleon III. den Vorwand, dem Angegriffenen beizustehen. Nach schnellen, blutig erkämpften Schlachterfolgen, aber noch bevor das vereinbarte Kriegsziel "Italien frei bis zu Adria" erreicht war, schloss der französische Kaiser aus Angst vor einem preußischen Eingreifen ohne Absprache mit seinem italienischen Verbündeten Waffenstillstand und Friede mit Wien. Österreich trat die Lombardei an Frankreich ab (das sie an Sardinien weitergab), behielt aber Venetien. Die Enttäuschung in Turin, der Hauptstadt des Königreiches Sardinien-Piemont, war groß. Cavour legte aus Verzweiflung sein Amt nieder. Doch in einer spontanen nationalen Volksbewegung vertrieb die Bevölkerung in den mittelitalienischen Fürstentümern die ausländischen Fürsten und entschied sich in Volksabstimmungen für den Anschluss an Sardinien. Cavour, der in sein Amt zurückgekehrt war, vermochte Napoleon zu bewegen, diese ursprünglich nicht geplante Entwicklung zu decken; mit Nizza und Savoyen wurde Frankreich dafür großzügig belohnt. Eine tausendköpfige Freischar unter dem Oberbefehl Gardibaldis gewann in wenigen Wochen die Bevölkerung des Königreiches Neapel-Sizilien, die bislang abseits gestanden hatte, für die gemeinsame italienische Sache und zwang den bourbonischen König zur Flucht. Dieser kühne "Zug der Tausend" sah wie eine spontane Aktion eines unabhängigen Freischärlers aus, war aber zuvor mit der sardinischen Regierung abgesprochen. Zur gleichen Zeit besetzten sardinische Truppen die restlichen mittelitalienischen Gebiete, mit Ausnahme der Stadt Rom, die als Rest des Kirchenstaats von französischen Besatzungstruppen gegen die italienische Nationalbewegung geschützt wurde. 1861 wurde das Königreich Italien gegründet. Es war - ähnlich wie Frankreich - ein Einheitsstaat, der den Provinzen wenig Freiheit ließ, und beileibe noch keine Demokratie, weil das Wahlrecht auf die Besitzenden beschränkt und die Politik von verhältnismäßig wenigen Berufspolitikern bestimmt wurde. In dem von Großgrundbesitz geprägten Süden herrschten Armut, Rückständigkeit und Rechtsunsicherheit, während der Norden sich langsam industrialisierte und ein liberales Bildungs- und Besitzbürgertum hervorbrachte. 1866 wurde Venetien, 1870 Rom hinzugewonnen. Unerfüllt blieb der italienische Anspruch auf Südtirol und Triest, ohne rechte Erfolge der gegen Ende des Jahrhunderts einsetzende Versuch, Italien bei der Aufteilung der Erde unter die europäische Mächte einen Anteil an den Kolonien zu sichern. Ein hitziger Irredenta-Nationalismus (irredenta = unerlöstes Land) und Imperalismus prägten das Klima der italienischen Politik, in dem nach den Enttäuschungen des Ersten Weltkriegs der Faschismus gut gedeihen konnte. Machtkampf zwischen Preußen und Österreich Die politische Lage in Deutschland nach 1849 war durch die Schwächung der liberalen und nationalen Volksbewegung, die wieder erstarkte Autorität der Monarchie und die sich verschärfenden Rivalitäten zwischen Preußen und Österreich gekennzeichnet. Den größten machtpolitischen Aufschwung erlebte Preußen, das dank seiner schnell wachsenden Industriewirtschaft seine Vormachtstellung im Deutschen Zollverein ausbauen und dem österreichischen Rivalen den handelspolitischen Anschluss verwehren konnte. Mit Bismarck trat 1862 ein Staatsmann an die Spitze der preußischen Regierung, der entschlossen war, den Entscheidungskampf mit dem Habsburgerreich um die Hegemonie in Deutschland zu wagen. Unter seiner politischen Leitung führte Preußen zwischen 1864 und 1871 drei Kriege. 1864 griff es zusammen mit Österreich in den Konflikt des dänischen Königs mit seinen deutschen Untertanen in Schleswig Holstein ein und besiegte das dänische Heer. Entgegen den Wünschen der deutschen Nationalisten wurden die befreiten Herzogtümer einer gemeinsamen preußisch-österreichischen Verwaltung unterstellt. 1866 kam es - vordergründig wegen der Zukunft dieser Gebiete, letztlich wegen der Rivalität in der deutschen Frage - zum offenen Kampf zwischen den beiden deutschen Großmächten. Preußen ließ seine Truppen in das österreichisch besetzte Holstein einmarschieren und beantragte im Bundestag den Ausschluss Österreichs aus dem Deutschen Bund. Wien antwortete mit der Kriegserklärung, der sich die süddeutschen Staaten sowie Sachsen, Hannover und Kurhessen anschlossen. Auf Preußens Seite standen die kleineren norddeutschen Staaten. Nach dem schnellen preußischen Schlachterfolg von Königgrätz setzte Bismarck gegen den Widerstand des Königs und der Militärs einen Waffenstillstand und einen großmütigen Frieden durch. Österreich erklärte sich mit der Auflösung des Deutschen Bundes einverstanden und ließ Preußen in Norddeutschland freie Hand. Preußen gründete den Norddeutschen Bund, in dem es die unbeschränkte Vormachtstellung ausübte, und annektierte Hannover, Kurhessen, Nassau, Frankfurt und Schleswig-Holstein. Es bekam dabei sogar von der Mehrheit der Liberalen Beifall, die ihren bisherigen Rechtsstandpunkt aufgaben und sich ohne Einschränkung hinter die Bismarcksche Machtpolitik stellten. Dennoch hütete sich die preußische Regierung, den Bogen zu überspannen: Österreich blieb, abgesehen von dem Verzicht auf die Mitsprache in der deutschen Politik, in seiner Stellung als europäische Großmacht ungeschoren. Ein diplomatisches Meisterstück bei diesen gewichtigen Veränderungen in der Mitte Europas war die Fernhaltung ausländischer Einmischung. Doch war Frankreich entschlossen, die noch ausstehende nationale Vereinigung von Nord- und Süddeutschland nur bei entsprechenden Gegenleistungen zuzulassen. Die Gründung des Deutschen Reiches Auch in dieser Lage scheute die preußische Regierung vor dem Krieg nicht zurück. Als im Zusammenhang mit der Thronfolgeregelung in Spanien ein Prinz aus dem Haus Hohenzollern die zunächst betriebene Kandidatur zurückzog, versuchte Frankreich dies zu einem außenpolitischen Prestigegewinn auszunutzen. Sein Botschafter wollte den preußischen König in Bad Ems zu einer förmlichen Bekräftigung dieses Verzichtes nötigen, überschritt dabei aber wohl die Regeln des diplomatischen Taktes und gab damit Bismarck die Handhabe zu einer Brüskierung Frankreichs. Bismarck kürzte den Text der ihm über die Emser Vorgänge zugegangenen Depesche in so wirkungsvoller Weise, dass sich die französische Regierung vor der Öffentlichkeit gedemütigt fühlte und den Krieg begann. Damit traten die geheimen Schutz- und Trutzbündnisse zwischen dem 1867 geschaffenen Norddeutschen Bund und den süddeutschen Staaten in Kraft. Der gemeinsame deutsche Krieg gegen Frankreich und die überwältigenden militärischen Erfolge begünstigten die schnelle Vollendung der nationalen Einigung. In zähen diplomatischen Verhandlungen zwischen den Regierungen, ohne nennenswerte Beteiligung der Parlamente, entstand das Deutsche Kaiserreich. Es wurde am 18. Januar 1871 in Versailles, mitten im besetzten Feindesland, vor einer Kulisse von Militär und Hochadel proklamiert. Dieses Deutsche Reich war ein kleindeutscher Staat. Österreich mit seinem beträchtlichen deutschen Bevölkerungsanteil war ausgeschlossen, dafür gehörten ihm Polen (Posen, Westpreußen), Dänen (Nordschleswig) und Franzosen (Elsass-Lothringen) an. Die Annexion Elsass-Lothringens im Jahre 1871 war ein Akt rücksichtsloser und kurzsichtiger nationaler Machtpolitik. Sie wurde ohne Befragung der betroffenen Bevölkerung durchgeführt, weil das Militär sie für strategisch nützlich hielt und ein großer Teil der Öffentlichkeit nach einem angemessenen Siegespreis verlangte. Auch Bismarck setzte sich für die Einverleibung der beiden früher deutschen, jetzt längst französisierten Provinzen ein, unter anderem auch mit der Absicht, damit einen Zustand zu schaffen, der die Deutschen zur Eintracht gegenüber der unvermeidlichen Revanchepolitik des westlichen "Erbfeindes" zwänge. Das Problem Elsass-Lothringen belastete das deutsch-französische Verhältnis aufs schwerste und engte die Bewegungsfreiheit der künftigen deutschen Außenpolitik in verhängnisvoller Weise ein. Das Deutsche Reich war, wie die Präambel der Verfassung von 1871 besagte, ein Bund der regierenden Fürsten, kein Volksstaat. Der Kaiser verfügte über die vollziehende Gewalt und war in diesem Bereich vom Reichstag weit gehend unabhängig. Ohne Rücksicht auf die Zusammensetzung des Parlamentes konnte er den Reichskanzler ernennen und entlassen. Seine Kommandogewalt über Heer und Flotte wurde nach und nach so weit ausgebaut, dass nicht einmal der Reichskanzler in militärischen Fragen ein Informations-, geschweige denn ein Mitspracherecht eingeräumt bekam, eine Verfassungskonstruktion, die zu einer fatalen Verselbstständigung des militärischen gegenüber dem politischen Denken führen konnte. Der Reichstag, der nach dem allgemeinen (Männer-) Wahlrecht gewählt wurde, hatte zwar das Recht der Gesetzgebung und der Festlegung des Staatshaushaltes, konnte aber keinen direkten Einfluss auf die Regierungs-, insbesondere die Außenpolitik nehmen und blieb damit politisch letztlich ohnmächtig. Die Entscheidung über Krieg und Frieden oblag dem Bundesrat, einem von den monarchischen Länderregierungen beschickten Verfassungsorgan. Das starke Gewicht Preußens im Reich war mehrfach gesichert: durch die dem Hause Hohenzollern zustehende erbliche Kaiserwürde, eine große Anzahl von Sitzen im Bundesrat und den hohen Anteil der preußischen an der Reichsbevölkerung. Die Verfassung enthielt zwar keinen Grundrechtskatalog, aber dennoch lebten die Deutschen im Kaiserreich im Genuss der wichtigsten rechtsstaatlichen Garantien. Preußen prägte den Geist des neuen Reiches auch über die Verfassungsbestimmungen hinaus. Im öffentlichen und gesellschaftlichen Leben spielten das Militär und der Adel eine bevorzugte Rolle. Selbst das wirtschaftlich erfolgreiche Bürgertum richtete sich mit Vorliebe nach den Lebensformen und Wertnormen der Aristokratie und war davon überzeugt, dass es eine "natürliche" gesellschaftliche Hierarchie gebe, in der der Adel oben, es selbst in der Mitte und der Lohnarbeiter unten zu stehen habe. Nietzsches Warnung vor der "Exstirpation (Auslöschung) des deutschen Geistes zugunsten des Deutschen Reiches" schien nicht aus der Luft gegriffen zu sein. Quellentext Grundbegriffe Unitarischer und föderalistischer Staat: In unitarischen (unus = lateinisch einzig) Staaten geschieht die politische Willensbildung einheitlich und zentral; neben den politischen Zentralgewalten gibt es keine eigenständigen regionalen oder lokalen Entscheidungszentren (Beispiele: Frankreich, Italien, heute die DDR). In föderalistisch aufgebauten Staaten (foedus = lateinisch Bündnis) kennt man zwei Entscheidungsebenen: die gesamtstaatliche und die einzel-(glied-) staatliche. (Beispiele: USA, Schweiz, heute die Bundesrepublik Deutschland.) Zwischen beiden Ebenen besteht natürlicherweise ein Konkurrenzverhältnis, das die politische Willensbildung häufig erschwert und verlangsamt, aber auch ein Moment der politischen Machtkontrolle darstellt. Irredenta-Nationalismus: (Italienisch: irredenta = unerlöstes Land). Diese besonders hitzige Form des Nationalismus lebt von dem Verlangen, solche Gebiete dem Vaterland einzuverleiben, die von Landsleuten bewohnt werden, aber Teile eines fremden Staates sind. So wollten die Italiener im 19. Jahrhundert die Angliederung Südtirols in Triests erreichen, die Franzosen die Wiedergewinnung Elsass-Lothringens und die Iren heutzutage die Vereinigung mit Nordirland.