V. Außenpolitische Entwicklungen 1862-1866

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WS 2009/10
Prof. Dr. Hans-Werner Hahn
Grundkurs 19./20. Jahrhundert.
4. Europa auf dem Weg in die Moderne 1850-1870
I. Charakter der Epoche.
Die Jahrzehnte zwischen 1850 und 1870 sind in nahezu ganz Europa eine wichtige Phase im
Modernisierungsprozess.
1. Durchbruch der Industrialisierung auf breiter Front
2. Beschleunigung des sozialen Wandels, Herausbildung der industriellen Klassengesellschaft
3. Bevölkerungswachstum, Wanderungsbewegungen, Urbanisierung
4. Weitreichende Veränderungen des Alltagslebens (Fabrikarbeit, städtische
Wohnverhältnisse, Beschleunigung aller Lebensverhältnisse, neues Zeitgefühl)
5. Wirtschaftlicher, sozialer und kultureller Aufstieg des Bürgertums
6. Neuformierung innenpolitischer Kräfte, Entstehung neuer Massenparteien und nationaler
Interessenverbände
7. Reformen des politischen Systems infolge wachsender Partizipationsforderungen und neuer
gesellschaftlicher Konflikte
8. Entstehung neuer Nationalstaaten und Veränderung der europäischen
Mächtekonstellationen
Politische Ordnungen: Parlamentarismus (England, Belgien); Konstitutionalismus
(Deutschland); Bonapartismus (Frankreich); Absolutismus (Russland).
Die mit dem ökonomischen und sozialen Wandel verbundenen Krisen geben starken
Führungspersönlichkeiten weitreichende Handlungsmöglichkeiten: Otto von Bismarck in
Deutschland, Benjamin Disraeli in England, Louis Napoleon in Frankreich, Graf Cavour in
Italien.
II.
Entwicklungen in Deutschland
a) Preußisch-österreichischer Dualismus nach der Revolution von
1848/49
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1849/50: Preußen unternimmt – unterstützt von den gemäßigten Liberalen (Gothaer
Liberale) – den vergeblichen Versuch einer preußisch-kleindeutschen Einigungspolitik
unter konservativem Vorzeichen (Unionspolitik; Erfurter Unionsparlament 1850)
Der österreichische Ministerpräsident Schwarzenberg setzt dem preußischen Vorgehen
den Plan eines von Wien dominierten großen mitteleuropäischen Bundes entgegen
(Mitteleuropa, gemeinsame Zollpolitik)
am Ende des ausgebrochenen Streits um die Vorherrschaft in Mitteleuropa, der im Herbst
1850 fast zum Krieg führt, müssen sowohl Preußen (Olmützer Punktation) als auch
Österreich unter dem Druck der europäischen Großmächte von ihren Maximalzielen
abrücken
Wiedereröffnung des Deutschen Bundestages in Frankfurt zu den alten Grundlagen nach
vergeblichen Bemühungen um eine gerade auch von den deutschen Mittelstaaten
(Sachsen, Bayern) gewünschte Reform des Bundes (Dresdener Konferenz 1851); der neue
preußische Bundestagsgesandte Otto von Bismarck (1851-1859) hält weitere
Auseinandersetzungen mit Österreich für unausweichlich
Erweiterung und Erneuerung des Zollvereins zu preußischen Bedingungen 1851-53;
Österreich bemüht sich vergeblich um Teilnahme an einer gesamtdeutschen Zollunion;
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Preußen behauptet trotz der politischen Niederlage seine Führung auf dem Feld der
Handelspolitik
b) Das politische System der Reaktion
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trotz der machtpolitischen Gegensätze stimmen Österreich und Preußen in den
innenpolitischen Fragen überein und begründen gemeinsam das System der Reaktion, um
ein Wiedererstarken der liberalen und nationalen Bewegung zu verhindern
Wiederbefestigung des konservativ-bürokratischen Obrigkeitsstaates; im Unterschied zum
Vormärz wird die Unterdrückungspolitik des Reaktionssystems aber meist mit einer
sozialökonomischen Modernisierungspolitik verbunden
12. August 1851 Bundesreaktionsbeschluß, der in die innere Ordnung der Gliedstaaten
eingreift; reaktionäre Pressegesetzgebung, Polizeiverein deutscher Staaten zur
Überwachung politischer Opposition
neoabsolutistischer Kurs in Österreich unter dem neuen Kaiser Franz Joseph, unterstützt
von der katholischen Kirche unter dem hochkonservativen Papst Pius IX.
Preußen bleibt in den fünfziger Jahren Verfassungsstaat, konservative
Verfassungsrevisionen und reaktionäre Innenpolitik behindern aber die Entfaltung des
politischen Lebens; Streit um künftige preußische Deutschlandpolitik zwischen
Hochkonservativen und Wochenblattpartei
auch in den Klein- und Mittelstaaten kommt es zur Rücknahme vieler Errungenschaften
der Revolution, zur Disziplinierung der Opposition und der Kammern und zur Erstarrung
des politischen Lebens
C) Durchbruch der Industriellen Revolution 1850-1873
Zwischen 1850 und 1873 setzt sich der seit 1845 beschleunigt verlaufende Strukturwandel der
deutschen Wirtschaft in voller Breite durch, begünstigt durch die Reformpolitik der
Revolutionsjahre 1848/49 (Bauernbefreiung), die verstärkte Hinwendung des Bürgertums
zum wirtschaftlichen Erwerb, die entwicklungsfördernde Wirtschaftspolitik der meisten
deutschen Staaten, die eine repressive Innenpolitik mit einem ökonomischen
Modernisierungskurs verbanden, sowie außerordentlich guten internationalen
Rahmenbedingungen (Goldfunde in Kalifornien, Mexiko und Australien; kräftige Expansion
des Welthandels). In allen westeuropäischen Staaten gab es in den fünfziger und sechziger
Jahren ein kräftiges Wirtschaftswachstum, ebenso in Nordamerika.
Besonders starkes Wachstum in Deutschland vor allem 1853-1857; Weltwirtschaftskrise von
1857 dämpft etwas, dann folgt eine weitere kräftige Expansion. Der vom Führungssektor
Eisenbahnen, Eisenindustrie, Steinkohlenbergbau und Maschinenbau aus getragene
Wachstumsschub hält bis 1873 an. Wachsende Wertschätzung der deutschen technischen
Errungenschaften im In- und Ausland, deutsche Erfolge auf den seit 1851 durchgeführten
Weltausstellungen (Siemens, Krupp). Die Industrielle Revolution ist zu einem ersten
Abschluß gekommen. Es folgt dann der Weg in die Hochindustrialisierung.
d) Sozialer Wandel in den 50 und 60er Jahren
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starkes Bevölkerungswachstum: 1850 35 Millionen in Deutschland, 1870 40 Millionen
ausgesprochen junge Gesellschaft; Anteil der über 45jährigen nur bei 21%
wachsende Anteile des sekundären Sektors (Gewerbeproduktion) an der
Erwerbsbevölkerung
rascheres Wachstum der Städte durch deutsche Binnenwanderung vom Land in die Städte
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Bürgertum: wachsender gesellschaftlicher Einfluß und ökonomische Macht des politisch
geschlagenen, aber nicht resignierenden Bürgertums; Wende zur Realpolitik (Ludwig
August von Rochau), d. h. wachsende Orientierung an ökonomischer Macht und den
ökonomischen Interessen, stärkere Hinwendung zu Preußen; Orientierung an europäischen
Realitäten und deutschen machtstaatlichen Interessen
Arbeiterschaft: Die Durchsetzung der freien Lohnarbeit; Herausbildung einer
„Arbeiterklasse“ durch ökonomischen Wandel, Durchsetzung der Lohnarbeit und Entstehung einer neuen Marktklasse, Herausbildung eines Klassenbewußtseins und
gemeinsame Aktionen und/oder Organisationen zur Verbesserung der sozialen Lage. Die
Industrialisierung schafft mit den neuen Arbeitsplätzen zwar zusätzliche Erwerbschancen,
vergrößert aber zugleich die soziale Ungleichheit innerhalb der Gesamtgesellschaft
sowohl bei Einkommen und Besitz als auch beim Wohnen, bei Krankheit und Tod.
Innerhalb der Arbeiterschaft gibt es noch große Unterschiede im Hinblick auf
Qualifikationen und Entlohnung (niedrigste Löhne für arbeitende Frauen).
III. Europäische Konflikte und ihre Folgen
a) Aufstieg Louis-Napoleons
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10. 12. 1848 Wahl Louis-Napoleons zum Präsidenten der französischen Republik (nach
Verfassung vom Nov. 1848); Sieg der konservativen Ordnungskräfte
Als Präsident war Louis-Napoleon auf die Kooperation mit der Nationalversammlung
angewiesen, zudem sah die Verfassung nur eine vierjährige Amtszeit vor. Am 2. 12. 1851
sicherte sich Louis-Napoleon durch einen Staatsstreich den Weg zur dauerhaften Macht,
ließ sich dann durch Plebiszit legitimieren, führte eine neue Verfassung ein (starke
Stellung des Präsidenten) und sicherte sich 1852 den Kaisertitel durch ein neues Plebiszit
(System des Bonapartismus: Verselbständigung der Exekutive, gestützt auf Militärmacht,
erfolgreiche Wirtschafts- und Sozialpolitik, Unterstützung der Landbevölkerung, Bündnis
mit der katholischen Kirche; außenpolitische Erfolge stabilisierten das System).
starke innenpolitische Stellung in den fünfziger Jahren, wachsende Opposition und innere
Krisen in den 1860er Jahren.
b) Der Krimkrieg und die Erosion der Wiener Ordnung von 1815
In den fünfziger Jahren vollzogen sich entscheidende Veränderungen in den Beziehungen der
europäischen Mächte. Damit wurden einerseits die außenpolitischen Voraussetzungen für die
Entstehung neuer Nationalstaaten (Italien, Deutschland) geschaffen. Andererseits wirkten die
außenpolitischen Veränderungen auch auf die Innenpolitik der europäischen Staaten zurück.
Am 1. 11. 1853 Beginn des russisch-türkischen Krieges, der sich nach der britischfranzösischen Kriegserklärung an Rußland am 28. 3. 1854 zum Krimkrieg ausweitete.
Großbritannien wollte eine Ausweitung der russischen Einflusszonen verhindern, Napoleon
III. versuchte, durch den Krieg die französische Position in Europa zu verbessern und
Voraussetzungen für eine Revision der Grenzen von 1815 zu schaffen. Nach dem Tod
Nikolaus I. (2. 3. 1855) und dem Fall der Festung Sewastopol (8. 9.1855) lenkte der neue Zar
Alexander II. ein. Am 30. 3. 1856 kam es zum Frieden von Paris, in dem die Neutralisierung
des Schwarzen Meeres beschlossen wurde.
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Folgen des Krimkrieges für das europäische Mächtesystem
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Erosion bisheriger Strukturen, neben Russland war auch Österreich, das sich gegen
Russland gestellt hatte, ein Verlierer. Preußen, das neutral blieb und zudem die
unterschiedlichen „deutschen“ und habsburgischen Interessen betonte, profitierte vom
Ausgang des Krieges (Misstrauen zwischen Russland und Österreich, ebenso zwischen
den deutschen Mittelstaaten und Wien).
Nach außen waren Großbritannien und das Frankreich Napoleons III. zunächst die
wichtigsten Gewinner; Real- und Interessenpolitik wurden seit dem Krimkrieg in der
Außenpolitik zur wichtigsten Richtschnur der Mächte.
Allianzen wurden nicht mehr auf der Grundlage gemeinsamer ideologischer Prinzipien
(Heilige Allianz) geschlossen, sondern auf der Grundlage der Interessen; dies bot
pragmatischen Machtpolitikern wie Bismarck langfristig neue Chancen.
IV. Neue Bewegung in der deutschen Politik
Mit der Regentschaft des Prinzen Wilhelm in Preußen begann im Oktober 1858 die „Neue
Ära“. Das bisherige Reaktionssystem wurde aufgegeben, Preußen suchte eine begrenzte
Verständigung mit der sich neu formierenden deutschen Nationalbewegung. Die deutschen
Dinge erhielten durch die einsetzende italienische Einigungspolitik einen zusätzlichen Schub.
- 3. 5. 1859 französisch-piemontesische Kriegserklärung an Österreich; Niederlagen der
Österreicher am 4. 6. bei Magenta und am 24. 6. bei Solferino; 11. 7. Vorfriede von
Villafranca, 10. 11. Friede von Zürich; Österreich trat die Lombardei an Frankreich ab, das sie
an Piemont (Cavour) weitergab
- die neue Situation in Italien, die bald zum Anschluss weiterer Gebiete an den sich
formierenden Nationalstaat führte (Garibaldi), intensivierte die Debatten über eine
Neuordnung Deutschlands
- Kritik am sicherheitspolitischen Zustand; neue Forderungen nach einer nationalen
Verfassung
- im September 1859 wurde der Deutsche Nationalverein gegründet, dessen Mehrheit eine
preußisch geführte, aber zugleich liberal geprägte Einigungspolitik favorisierte; 1862 entstand
als großdeutsche Gegenbewegung der Deutsche Reformverein
- Österreich verbesserte durch innere Reformen (Verfassungspolitik) seit 1861 seine Position
in der deutschen Politik; in Preußen verschärfte sich dagegen unter dem neuen König
Wilhelm I. (seit 1861) der Konflikt mit den Liberalen, der sich an der Frage der Heeresreform
entzündete.
- 1861 Gründung der Deutschen Fortschrittspartei, die bei den Wahlen in Preußen klar
dominierte; 24. 9. 1862 Berufung Bismarcks zum preußischen Ministerpräsidenten, der bis
1866 die Position des Monarchen in dem sich zum Verfassungskonflikt ausweitenden Streit
entschlossen gegen die Liberalen verteidigte
- die liberale Wirtschaftspolitik (Durchsetzung der Freihandelspolitik und Verlängerung des
preußisch geführten Zollvereins), die zu unentschlossenen Bemühungen Österreichs und der
deutschen Mittelstaaten um eine Bundesreform (1863 Frankfurter Fürstentag) und das
Aufkommen neuer Parteien (Arbeiterbewegung, politischer Katholizismus, Konservative als
Konkurrenten der Liberalen) stärkten Bismarcks Position ebenso wie die außenpolitischen
Entwicklungen
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V. Außenpolitische Entwicklungen 1862-1866
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1863/64 polnischer Aufstand gegen die russische Herrschaft; Bismarck unterstützte St.
Petersburg
Der Schleswig-Holstein-Konflikt kam 1863 neu auf die politische Tagesordnung; Preußen
und Österreich erklärten Dänemark den Krieg, um allein die deutschen Interessen im
Norden zu vertreten. Am 18. April 1864 wurden die Düppeler Schanzen von preußischen
Truppen gestürmt, wo sich der Großteil des dänischen Heeres verschanzt hatte. Dänemark
musste die preußisch-österreichischen Bedingungen akzeptieren und beim Vorfrieden im
Sommer 1864 und im Frieden von Wien (30. 10.) auf seine Herrschaftsrechte in
Schleswig-Holstein verzichten.
Für Bismarck war dieser Ausgang ein großer Erfolg, weil Preußen im Norden deutsche
Interessen gesichert hatte, ohne in Abhängigkeit von der deutschen Nationalbewegung zu
geraten. Zudem hatte er Österreich eingebunden und von den deutschen Mittelstaaten (andere
Lösung im Norden bevorzugt) getrennt. Bei den zu erwartenden Konflikten um die künftige
Stellung Schleswig-Holsteins hatte Preußen gegenüber Österreich die besseren Karten.
VI. Der deutsche Krieg von 1866
Als Österreich im Frühjahr 1865 wieder umschwenkte und sich nun gemeinsam mit den
deutschen Mittelstaaten für ein eigenes Herzogtum Schleswig-Holstein unter Friedrich von
Sonderburg-Augustenburg einsetzte, ging Preußen auf Konfliktkurs. Der am 14. August 1865
geschlossene Vertrag von Gastein war zwar nochmals ein Kompromiss (Teilung der Beute,
Holstein fällt an Österreich, Schleswig an Preußen), aber Bismarck blieb in der Offensive und
bemühte sich um eine außenpolitische Absicherung sowie um die richtige innenpolitische
Vorbereitung (überzeugender Kriegsgrund) des Krieges. Englands und Russlands Neutralität
war relativ sicher. Frankreichs Forderung nach territorialen Zugeständnissen lehnte Bismarck
Ende 1865 gegenüber Napoleon III. ab. Frankreich schloss im Juni 1866 zwar einen geheimen
Neutralitätspakt mit Österreich, auf dessen Sieg Napoleon setzte. Es stellte sich aber nicht
offen gegen Preußen, sondern hoffte auf eine Schiedsrichterrolle. Wichtig war ferner das am
8. April 1866 geschlossene geheime preußisch-italienische Angriffsbündnis, in dem sich
Italien für eine begrenzte Zeit verpflichtete, im preußisch-österreichischen Kriegsfall eine
zweite Front zu eröffnen.
Der Krieg und die Folgen
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9. April 1866: Preußen forderte beim Bundestag ein nach allgemeinem gleichen
Wahlrecht und direkt gewähltes deutsches Parlament
Juni 1866: nach weiterem Streit um Schleswig-Holstein und die Bundesreform, stellte
Österreich am 11. Juni 1866 einen Mobilisierungsantrag beim Bundestag, um eine
Bundesexekution gegen Preußen einzuleiten. Die Mehrheit der Bundesversammlung
stimmte am 14. Juni diesem Antrag zu. Preußen erklärte daraufhin den Deutschen Bund
für erloschen. Damit war der Krieg unvermeidlich geworden. Österreich zählte 13 weitere
Bundesstaaten, darunter alle Mittelstaaten, zu seinen Bündnispartnern. Hinter Preußen
standen 18 Bundesstaaten, vor allem die kleineren mittel- und norddeutschen Staaten. In
der öffentlichen Meinung war der Krieg – auch bei vielen kleindeutschen Liberalen –
unpopulär.
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21. 6. Beginn des Krieges; 3. 7. 1866 entscheidende Schlacht bei Königgrätz/Sadowa;
Sieg der von Moltke geführten preußischen Truppen
Österreich konnte sich zwar in Italien durch Siege (Custozza und Lissa) noch behaupten,
blieb aber auf dem deutschen Kriegsschauplatz ohne Chance. Um ein Eingreifen
Frankreichs zu verhindern, setzte Bismarck auf eine rasche Einigung mit dem
geschlagenen Österreich in Form eines Verständigungsfriedens. Schon am 26. Juli wurde
der Vorfrieden von Nikolsburg geschlossen. Am 23. August 1866 folgte der Friede zu
Prag. Österreich stimmte der Auflösung des Deutschen Bundes ebenso zu wie der
Schaffung eines Norddeutschen Bundes unter Führung Preußens, dem alle Staaten nördlich des Mains angehören sollten.
Schleswig-Holstein wurde von Preußen annektiert
weitere preußische Annexionen von Hannover, Kurhessen, Nassau und Frankfurt
Sicherung der preußischen Führungsrolle durch den Norddeutschen Bund
engere Anbindung der süddeutschen Staaten, die mit Österreich gekämpft hatten, durch
Schutz- und Trutzbündnisse und eine Reform des Zollvereins
Herausdrängung Österreichs aus den deutschen Angelegenheiten
Bismarck schuf durch seine Einigungspolitik (Fortschritte in der Frage der deutschen
Einheit und Bejahung eines direkt gewählten deutschen Parlaments) eine Basis für die
Kooperation mit großen Teilen der liberalen Bewegung. Lösung des Verfassungskonflikts
durch Zustimmung zur Indemnitätsvorlage, die den Konflikt zwischen Regierung und
Parlament beendete, zugleich aber die Fortschrittspartei in Nationalliberale und
Linksliberale spaltete
VII. Der Weg zum Deutschen Reich
Gründung des Norddeutschen Bundes
Der Norddeutsche Bund, der nach 1866 entstand, war ein bis zur Maingrenze reichender
Bundesstaat unter der Hegemonie Preußens. Bismarck wollte durch die weitreichenden
Veränderungen von 1866 einen Kompromiss zwischen den neuen Forderungen der liberalen
Kräfte und den Machtinteressen der alten Gewalten erreichen. Nur auf diese Weise konnte aus
seiner Sicht die politische Macht vor dem Zugriff der neuen sozialen Kräfte bewahrt werden
und der preußische Machtstaat – dem sich der Junker Bismarck zu aller erst verpflichtet fühlte
– sein politisches Gewicht bewahren. Die Liberalen sollten Konzessionen in bezug auf
Einheit, Verfassung und Wirtschaft erhalten, letztlich aber Juniorpartner der Bismarckschen
Politik bleiben. Der konstituierende Reichstag des Norddeutschen Bundes wurde im Februar
1867 nach dem allgemeinen Wahlrecht gewählt. Gemeinsam mit den Liberalen und Teilen der
Konservativen (Freikonservative) schuf Bismarck eine stark auf seine Person zugeschnittene
Verfassung.
Wichtigste Organe: BUNDESRAT als Vertretung der einzelstaatlichen Regierungen
(faktische Hegemonie Preußens) mit legislativen und exekutiven Befugnissen;
BUNDESPRÄSIDIUM, das bei der „preußischen Krone“ (dem König) lag;
BUNDESKANZLER, der vom Bundespräsidium ernannt wurde und die politische
Verantwortung für alle Regierungsakte trug; der nach allgemeinem Männerwahlrecht
gewählte REICHSTAG hatte wichtige Rechte im Bereich der Gesetzgebung und der
Finanzen, aber keinen direkten Einfluss auf die Regierungsbildung. Die stark auf die Person
Bismarcks zugeschnittene Verfassung etablierte ein konstitutionelles, aber kein
parlamentarisches System. Sie war ein Kompromiss, der als „System umgangener
Entscheidungen“ bezeichnet worden ist, weil er klaren und dauerhaften Entscheidungen in
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bezug auf das Machtgewicht zwischen Exekutive und Parlament auswich (W. J.
MOMMSEN).
Reformpolitik im Norddeutschen Bund und nationaler Stillstand
In Kooperation mit den Liberalen wurden nach 1867 zahlreiche innere Reformen
durchgeführt, die den wirtschaftlichen und sozialen Interessen des Bürgertums
entgegenkamen (Durchsetzung des Wirtschaftsliberalismus). Dagegen stießen die
Bemühungen um eine engere Anbindung der süddeutschen Staaten trotz der 1866
abgeschlossenen Schutz- und Trutzbündnisse und der Zollvereinsreorganisation von 1867
(Schaffung eines Zollparlaments) auf Schwierigkeiten. Die Stimmung in Süddeutschland war
nach 1866 preußenfeindlich. Die Kritik wuchs auch durch den beginnenden Kulturkampf, der
zu einer scharfen Frontstellung zwischen dem protestantisch geprägten Liberalismus und dem
ultramontan geprägten Katholizismus führte (antimodernistischer Kurs von Papst PIUS IX.:
1854 Dogma der unbefleckten Empfängnis, 1864 Syllabus Errorum, 1869/70 1. Vatikanisches
Konzil und Unfehlbarkeitsdogma). Da Bismarck die Vollendung der kleindeutschen Einheit
als notwendigen Schlussstein für sein neues Staatsgebäude ansah, musste er nach anderen
Integrationsmitteln Ausschau halten. Diese boten sich in der Außenpolitik.
Deutsch-Französischer Krieg von 1870/71
Der Kriegsausbruch von 1870 war nicht allein Bismarcks Werk. Er war nicht die Folge eines
genialen Planes, sondern eher das Aufeinandertreffen zweier machtpolitischer Offensiven, die
jeweils viel mit der innenpolitischen Situation zu tun hatten. Bismarck wurde getrieben durch
den Stillstand der nationalen Integrationspolitik. Die französischen Entscheidungsträger
wurden durch die instabile innenpolitische Lage und die seit 1866 stark angewachsene
antipreußische Stimmung – verstärkt durch die Luxemburg-Krise von 1867 – zu einer
Risikopolitik getrieben. Die europäische Situation war für Bismarck recht günstig:
Großbritannien und Russland blieben ebenso neutral wie Österreich, das sich schon
innenpolitisch keine Frontstellung gegen Preußen-Deutschland leisten konnte. Wichtigste
Etappen:
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Hohenzollernsche Thronkandidatur in Spanien (Hohenzollern-Sigmaringen) als
Anlass des deutsch-französischen Krieges
Verschärfung der deutsch-französischen Spannungen durch die von Bismarck
manipulierte Emser Depesche (13. Juli 1870)
19. Juli 1870 Kriegserklärung des sich gedemütigt fühlenden Frankreichs an
den Norddeutschen Bund
Der Krieg von 1870/71 ging auf zwei Offensiven zurück, die ihren tieferen Grund in
unterschiedlichen französischen und deutschen Interessen hatten. Obwohl auch Bismarck die
Krise mächtig angeheizt hatte, traf die französische Seite die Hauptverantwortung für den
Ausbruch des Krieges. Kriegsziel der Franzosen war die Eindämmung der preußischen Macht
und die Neuordnung des deutschen Raumes in Form einer Föderation unter stärkerem
Einfluss Frankreichs. Das Kriegsziel der deutschen Seite bestand zunächst in der Vollendung
des Nationalstaates. Im Süden Deutschlands traten nicht nur die Regierungen an die Seite des
Nordens, auch in der Bevölkerung des Südens gab es einen klaren Stimmungsumschwung.
Nicht mehr Preußen, sondern Frankreich war nun der große Gegner.
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rasche Erfolge der von Moltke geführten deutschen Truppen
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2. September 1870 Kapitulation der 2. frz. Armee in Sedan; Gefangennahme
des Kaisers Napoleon III.
4. September Ausrufung der Republik in Paris, „Regierung der nationalen
Verteidigung“ unter den Republikanern Jules Favre und Léon Gambetta
vergebliche Verhandlungen über eine Beendigung des Krieges, Ausrufung des
Volkskrieges gegen die deutschen Truppen
Ende 1870 verschärfte Bismarck den Druck auf das belagerte Paris
Nach Wahlen zur französischen Nationalversammlung kam es am 26. Februar
1871 zum Vorfrieden von Versailles, der am 10. Mai 1871 durch den Frieden
von Frankfurt bestätigt wurde: Abtretung Elsaß-Lothringens (sicherheits-,
militär- und nationalpolitische Motive, schwere Belastung des deutschfranzösischen Verhältnisses); frz. Kriegsentschädigung in Höhe von 5
Milliarden Francs.
Die Gründung des Deutschen Reiches
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Bismarck setzte nach dem militärischen Erfolg auf den freiwilligen Beitritt der
süddeutschen Staaten zum preußisch geführten Bundesstaat
Beitrittsverhandlungen mit den süddeutschen Staaten: 15. November 1870
Beitrittsverträge mit BADEN und HESSEN-DARMSTADT; 23. November
Beitrittsvertrag mit BAYERN; 25. November Beitrittsvertrag mit
WÜRTTEMBERG
Am 10. Dezember fasste der Reichstag des Norddeutschen Bundes den
Beschluss, Wilhelm I. darum zu bitten, „durch Annahme der deutschen
Kaiserkrone das Einigungswerk zu weihen“; Wilhelm lehnte zunächst ab.
Bismarck brachte den bayerischen König Ludwig II. (nach Wilhelm
ranghöchster Monarch) dazu, den preußischen König zur Annahme der
Kaiserkrone zu bitten. Dies ebnete den Weg zur
Kaiserproklamation vom 18. Januar 1871 im Spiegelsaal von Versailles
Bewertung der Reichsgründung
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zeitgenössische Kritik an der militärisch geprägten Kaiserproklamation
nach 1871 zunächst Verklärung Bismarcks, die kleindeutsch-preußische
Geschichtsschreibung (TREITSCHKE, SYBEL) verklärt die Reichsgründung als
Vollendung deutscher Geschichte
nach 1945 wurde das Reich vielfach als Bollwerk gegen den Geist der Zeit
(militaristisch, antiliberal, antiparlamentarisch, großpreußisch) interpretiert, das
im Grunde von Anfang an seine Chancen bereits verspielt habe
In den letzten Jahren hat sich eine differenzierte Sicht durchgesetzt. Man betont
dabei zum einen, dass die zeitweise diskutierten Alternativen zur
Reichsgründung (Reform des Deutschen Bundes) wenig Chancen hatten. Man
hebt zum zweiten wieder stärker die „Normalität“ einer deutschen
Nationalstaatsgründung (NIPPERDEY) und auch der preußisch-kleindeutschen
Lösung (ENGELBERG) hervor. Schließlich wird drittens auf die Offenheit
verwiesen, die auch nach der Reichsgründung zunächst in bezug auf die
deutsche Innenpolitik bestand (Wolfgang J. MOMMSEN).
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