Ein deutscher Nationalstaat entsteht

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Vertiefung
Ein deutscher Nationalstaat entsteht
Ein deutscher Nationalstaat entsteht
Die deutsche Frage nach 1850
Nach der gescheiterten Revolution von 1848/49 hatte sich in Mitteleuropa die
Herrschaft der Fürsten gegen die nationalen und liberalen Bestrebungen des deutschen Bürgertums durchgesetzt. Der 1815 gegründete Deutsche Bund wurde wieder errichtet. Diese Lösung der „deutschen Frage“ stieß in der Öffentlichkeit aber
immer mehr auf Kritik. Die Konkurrenz der beiden Großmächte Preußen und
Österreich um die Vorherrschaft im Deutschen Bund machte die Situation noch
komplizierter. Zwar besaß Österreich noch eine Vormachtstellung, aber immer
deutlicher zeichneten sich die Schwächen des Habsburgerstaates ab. Die Konflikte zwischen den verschiedenen Nationalitäten im Vielvölkerstaat Österreich nahmen zu. Auf der anderen Seite gewann Preußen an wirtschaftlichem und politischem Einfluss und wollte sich nicht mehr mit der bisherigen untergeordneten
Rolle begnügen. Die vielen mittleren und kleinen deutschen Fürstentümer wollten nach Möglichkeit ihre Unabhängigkeit gegenüber den beiden großen Mächten erhalten, entschieden also je nach Lage, ob sie eher Preußen oder Österreich
zuneigten. Bayern orientierte sich dabei eher an Österreich.
Krieg gegen Dänemark
Eine erste Möglichkeit, sich als nationaler Politiker zu profilieren, erhielt Bismarck
im Jahr 1864, als es zu einem Konflikt um Schleswig-Holstein kam. Als Dänemark
entgegen einem internationalen Abkommen Schleswig von Holstein trennen und
sich einverleiben wollte, rief das in der deutschen Nationalbewegung Empörung
hervor. Bismarck ergriff die günstige Gelegenheit. Im Deutsch-Dänischen Krieg
von 1864 besiegte Preußen mit Unterstützung Österreichs Dänemark­. Schleswig
und Holstein wurden gemeinsam von Preußen und Österreich regiert.
Der Konflikt spitzt sich zu
M 1 Otto von Bismarck
(1815–1898)
Fotografie aus dem Jahr 1862, ­
kurz vor Bismarcks Berufung zum
Ministerpräsidenten
Die nächsten Jahre waren vom Streit zwischen Preußen und Österreich darüber
geprägt, was mit den beiden norddeutschen Herzogtümern geschehen sollte. 1866
führte der immer aggressiver ausgetragene Konflikt schließlich zum Krieg zwischen Preußen und Österreich. Obwohl die meisten mittleren und kleinen Staaten
auf die Seite Österreichs traten, gelang Preußen der entscheidende Sieg in der
Schlacht von Königgrätz im Norden Böhmens. Österreich verlor im Friedensschluss zwar keine Gebiete, musste jedoch der Auflösung des Deutschen Bundes
und seinem Ausscheiden aus Deutschland zustimmen. Einige deutsche Staaten
wie Hannover und Kurhessen wurden Teil des Königreichs Preußen. Die restlichen
Länder nördlich des Mains mussten dem neuen Norddeutschen Bund unter Preußens Vorherrschaft beitreten.
Die im Süden Deutschlands gelegenen Staaten blieben unabhängig, um den
Sicherheitsinteressen Österreichs und Frankreichs Rechnung zu tragen. Allerdings waren sie gezwungen, sogenannte Schutz- und Trutzbündnisse mit Preußen
zu schließen. Mit diesem militärischen und politischen Erfolg gewann Bismarck
die Zustimmung großer Teile der liberalen Nationalbewegung.
Konflikt mit Frankreich
Nach dem Sieg über Österreich im Jahr 1866 wuchs in Frankreich das Misstrauen
gegenüber dem immer mächtiger werdenden Preußen: Napoleon III., der franzö-
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sische Herrscher, strebte nämlich selbst eine machtvolle Stellung in Europa an.
Die sich verstärkenden Spannungen zwischen beiden Staaten führten schließlich
1870 zum Krieg. Auslöser war ein Konflikt um die spanische Thronfolge. Der als
König vorgesehene Prinz aus einer Nebenlinie des preußischen Königshauses der
Hohenzollern stieß in Frankreich auf heftige Ablehnung. Obwohl die Hohenzollern ihren Kandidaten zurückzogen, wollte Frankreich einen „ewigen“ Verzicht
erreichen­.
Die „Emser Depesche“
Als der preußische König Wilhelm in Bad Ems auf Kur war, traf er den französischen Botschafter, welcher auf der französischen Forderung beharrte. Der preußische König wies dies zurück und teilte den Vorfall Bismarck in einem Telegramm
mit. Dieser veröffentlichte die „Emser Depesche“ in einer geschickt gekürzten
Fassung. Damit löste er in der deutschen Öffentlichkeit einen Sturm der Entrüstung über das Verhalten Frankreichs aus, während die Bevölkerung Frankreichs
das preußische Vorgehen als Beleidigung der französischen Nation empfand.
Napoleon­III. erklärte daraufhin Preußen den Krieg. Die Kriegserklärung Frankreichs führte in ganz Deutschland – also auch in den süddeutschen Staaten – zu
einer Welle nationaler Begeisterung.
Aufgrund militärischer Überlegenheit konnten die deutschen Truppen rasch
nach Frankreich vordringen; sie erreichten schließlich Paris und eroberten die
französische Hauptstadt im Herbst 1870; Napoleon­III. geriet in Gefangenschaft.
Der Sieg aller verbündeten deutschen Staaten ermöglichte die Errichtung eines
deutschen Nationalstaats. Im Spiegelsaal des Schlosses von Versailles wurde am
18. Januar 1871 der preußische König Wilhelm zum deutschen Kaiser ausgerufen.
Damit war das deutsche Kaiserreich gegründet. Es bestand bis 1918 und ging erst
mit dem Ende des Ersten Weltkriegs unter.
M 2 Die Proklamierung des
deutschen Kaiserreiches
Holzstich von Anton von Werner,
um 1880
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