SS 2014 Prof. Dr. Hans-Werner Hahn Vorlesung: Zwischen Revolution und deutscher Reichsgründung 1871: Europäische Geschichte 1848-1871. 10. Vorlesung: Die Schleswig-Holstein-Frage 1864/65 und der deutsche Krieg von 1866 I. Schleswig-Holstein-Frage und deutsch-dänischer Krieg 1. Außenpolitische Lage Preußens um 1863. Preußen hatte zwar durch seine klare Absage an die österreichisch-mittelstaatlichen Bundesreformpläne und den sich abzeichnenden Erfolg im Zollverein seine Positionen verbessert. Ein grundlegender Durchbruch war aber nicht in Sicht, zumal auch Frankreich deutlich machte, dass es trotz des Handelsvertrages von 1862 Preußen nicht vorbehaltlos unterstützen würde. Napoleon favorisierte eine europäische Kongresslösung, die alle strittigen Fragen klären und eben auch Frankreich einen Anteil an der "Beute" zukommen lassen würde. Dies fand bei den anderen europäischen Großmächten aber keine Unterstützung. Eine wichtige Weichenstellung für die preußische Außenpolitik ergab sich aus dem Anfang 1863 ausbrechenden polnischen Aufstand im russisch beherrschten Teil Polens. Bismarck schloss mit Russland am 8. Februar 1863 die Alvenslebensche Konvention, in der gegenseitige Hilfe bei der Niederschlagung des polnischen Freiheitskampfes vereinbart wurde. Der praktische Nutzen der Vereinbarung war sehr gering. Bismarck erzielte aber außenpolitisch insofern einen Erfolg, weil er vorerst eine engere Kooperation zwischen Russland und dem propolnischen Frankreich verhinderte. 2. Die Schleswig-Holstein-Frage Der erneute Ausbruch des Schleswig-Holstein-Konfliktes brachte 1863 neue Bewegung in die scheinbar festgefahrenen deutschlandpolitischen Auseinandersetzungen und stärkte zugleich Bismarcks Stellung im preußischen Verfassungskonflikt. Schon 1848 hatte es Krieg um die Stellung des Herzogtums Schleswig gegeben, weil die dänische Nationalbewegung die vollständige Integration des Herzogtums in den dänischen Gesamtstaat anstrebte. Dagegen beriefen sich die Mehrheit der Schleswiger und die deutsche Nationalbewegung darauf, dass Schleswig seit dem Ripener Freiheitsbrief von 1460 mit dem zum Deutschen Bund gehörenden Herzogtum Holstein vereint sei (up ewig ungedeelt) und vor allem durch den politischen Willen seiner Mehrheit zu Deutschland gehören sollte. 1850 und 1852 hatten die europäischen Großmächte in den Londoner Protokollen einen Ausgleich versucht, der allerdings nicht lange hielt. Nach dem Tod des Dänenkönigs Friedrich VII. setzte sich König Christian IX. auf Druck der "Eiderdänen" über die Londoner Protokolle hinweg und beschloss die Einverleibung Schleswigs in den dänischen Gesamtstaat. In der deutschen Öffentlichkeit wurde dieser Schritt heftig kritisiert und zugleich verlangt, dass Schleswig und Holstein aufgrund eines anderen Erbrechts (keine weibliche Erbfolge) künftig von einer anderen Linie des dänischen Herrscherhauses (dem Erbprinzen Friedrich von Sonderburg-Augustenburg) regiert werden müsse. Dessen Vater hatte freilich 1850 auf seine Herrschaftsrechte verzichtet. Während auch die deutschen Mittelstaaten die Augustenburger-Lösung favorisierten, entschied sich Bismarck ganz anders. Er berief sich nicht auf die nationalen Interessen der Deutschen und ging nicht auf die Schleswig-HolsteinBewegung zu, sondern machte allein das internationale Vertragsrecht (Londoner Protokoll) 1 zur Grundlage seines Handelns. Er bot Österreich an, dieses Recht gemeinsam in SchleswigHolstein durchzusetzen. Österreich ging auf das Angebot ein, weil ihm eine Regelung durch die Großmächte besser erschien als ein Erfolg nationaler Kräfte. Gegen die Mehrheit des Bundestages nahmen die beiden deutschen Großmächte die Sache alleine in die Hand. Im Februar 1864 rückten preußische und österreichische Truppen unter dem General Wrangel nach Schleswig vor. Am 18. April 1864 wurden die Düppeler Schanzen gestürmt, wo sich der Großteil des dänischen Heeres verschanzt hatte. Nach Verhandlungen zwischen den europäischen Mächten und neuen militärischen Niederlagen musste Dänemark am Ende die preußisch-österreichischen Bedingungen akzeptieren. Der Dänenkönig musste beim Vorfrieden im Sommer 1864 und im Frieden von Wien (30. 10) auf seine Herrschaftsrechte in Schleswig-Holstein verzichten. Vergeblich hatte Dänemark auf die 1848/49 noch gewährte Unterstützung anderer europäischer Mächte gehofft. Für Bismarck war dieser Ausgang aus mehreren Gründen ein großer Erfolg: 1. der Sieg des preußischen Heeres in einem von der Nationalbewegung als wichtig angesehenen Konflikt verschaffte ihm auch bei innenpolitischen Gegnern ein gewisses Ansehen. 2. Österreich hatte zwar auch gesiegt, war aber in einer Ecke Deutschlands gebunden, zu der es keinen Bezug hatte. 3. Bei den zu erwartenden Konflikten um die künftige Stellung Schleswig-Holsteins hatte Preußen gegenüber Österreich die besseren Karten. II. Der deutsch-deutsche Krieg von 1866 1. Vorbereitung des Krieges: Es zeigte sich sehr schnell, dass die preußisch-österreichische Kooperation nicht von Dauer sein sollte. Im Frühjahr 1865 schwenkte Österreich wieder um und setzte sich nun gemeinsam mit den deutschen Mittelstaaten für die Augustenburger-Lösung ein: Herzogtum SchleswigHolstein unter Friedrich von Sonderburg-Augustenburg. Umgekehrt ging Preußen nun auf Konfliktkurs, da es seine Positionen im Norden nicht mehr räumen wollte und auch einen Krieg mit Österreich immer weniger ausschloss. Am 14. August 1865 kam es im Vertrag von Gastein zwar nochmals zum Kompromiss (Teilung der Beute, Holstein fällt an Österreich, Schleswig an Preußen), aber Bismarck blieb in der Offensive. Bevor er den Konflikt mit Österreich eskalieren ließ, bemühte er sich um eine außenpolitische Absicherung des Krieges sowie um die richtige innenpolitische Vorbereitung (überzeugender Kriegsgrund). Englands und Rußlands Neutralität war relativ sicher. Frankreichs Forderung nach territorialen Zugeständnissen lehnte Bismarck Ende 1865 in Biarritz gegenüber Napoleon III. ab. Frankreich schloss dann im Juni 1866 sogar einen geheimen Neutralitätspakt mit Österreich, auf dessen Sieg Napoleon setzte. Frankreich stellte sich aber nicht offen gegen Preußen, sondern hoffte auf eine Schiedsrichterrolle. Wichtig war ferner das am 8. April 1866 geschlossene geheime preußisch-italienische Angriffsbündnis, in dem sich Italien für eine begrenzte Zeit verpflichtete, im preußisch-österreichischen Kriegsfall eine zweite Front zu eröffnen. Innenpolitisch bereitete Bismarck den bewaffneten Konflikt dadurch vor, dass er seit Frühjahr 1866 verstärkt für seine Vision eines neuen Deutschland warb. Am 9. April 1866 forderte Preußen beim Bundestag ein nach allgemeinem gleichen Wahlrecht und direkt gewähltes deutsches Parlament. Allerdings gelang es Bismarck nicht, die deutsche Öffentlichkeit damit bereits auf seine Seite zu ziehen. Man misstraute Bismarck vor allem noch wegen des noch laufenden preußischen Verfassungskonflikts. Im Juni 1866 spitzten sich die Dinge zu, als Österreich gemeinsam mit dem Deutschen Bundestag den SchleswigHolstein-Konflikt im Sinne der Augustenburger-Lösung zu bereinigen suchte und Preußen 2 den Kontrahenten dieses Recht bestritt. Preußen kündigte den Einmarsch in Holstein an und legte einen detaillierten eigenen Bundesreformplan vor. Am 11. Juni 1866 stellte Österreich einen Mobilisierungsantrag beim Bundestag, um eine Bundesexekution gegen Preußen einzuleiten. Die Mehrheit der Bundesversammlung stimmte am 14. Juni diesem Antrag zu. Preußen erklärte daraufhin den Bund für erloschen. Damit war der Krieg unvermeidlich geworden. 2. Der Krieg von 1866. Österreich zählte 13 weitere Bundesstaaten, darunter alle Mittelstaaten, zu seinen Bündnispartnern. Hinter Preußen standen 18 Bundesstaaten, vor allem die kleineren mittelund norddeutschen Staaten. In der öffentlichen Meinung war der Krieg - auch bei vielen kleindeutschen Liberalen - unpopulär. Angesichts der kurzen Dauer blieben die realen Belastungen jedoch vergleichsweise gering. Nachdem Preußen die Mittelstaaten in seinem engeren Umfeld - Hannover, Sachsen, Kurhessen - rasch bezwungen hatte, konzentrierte sich das eigentliche Kampfgeschehen auf Böhmen. Generalstabschef Moltke rückte mit drei Armeen vor und besiegte am 3. Juli 1866 die österreichische Armee bei Königgrätz. Mit diesem Sieg, der den besseren Waffen und der besseren Taktik der Preußen zu verdanken war, waren die wichtigsten Würfel gefallen. Österreich konnte sich zwar in Italien durch Siege (Custozza und Lissa) noch behaupten, blieb aber auf dem deutschen Kriegsschauplatz ohne Chance. Um ein Eingreifen Frankreichs zu verhindern, setzte Bismarck auf eine rasche Einigung mit dem geschlagenen Österreich in Form eines Verständigungsfriedens und wies die Forderung seines Königs nach einem Vormarsch bis Wien ab. Schon am 26. Juli wurde der Vorfrieden von Nikolsburg geschlossen. Am 23. August 1866 folgte der Friede zu Prag. Österreich stimmte der Auflösung des Deutschen Bundes ebenso zu wie der Schaffung eines Norddeutschen Bundes unter Führung Preußens, dem alle Staaten nördlich des Mains angehören sollten. 3. Erste deutschlandpolitische Weichenstellungen. Bismarck begrenzte die deutsche Einigungspolitik auch nach dem Militärerfolg zunächst auf den Norden. Erstens musste er ein Eingreifen Frankreichs verhindern, das vom raschen Ausgang des Krieges völlig überrascht war und sich um seine Vermittlerrolle geprellt fühlte. Zweitens wollte Bismarck zunächst den Norden konsolidieren, weil die Stimmung in Süddeutschland ausgesprochen antipreußisch war. Langfristig führte aber nach Ansicht Bismarcks an der Integration des Südens und der Vollendung des deutschen Nationalstaates kein Weg vorbei, weil nur so ein dauerhafter Ausgleich mit der nationalen Bewegung möglich war. Auch durch den inneren Ausbau des weiter existierenden Zollvereins und den Abschluss so genannter Schutz- und Trutzbündnisse wurden die von Preußen geschlagenen süddeutschen Staaten nach der Entscheidung von 1866 fester als zuvor an den Norden gebunden. Bismarcks Hauptaugenmerk lag aber zunächst auf der Neuordnung im Norden Deutschlands. Mit der Annexion der Herzogtümer Schleswig und Holstein sicherte sich Preußen eine neue Machtbastion an der deutschen Küste. Gleichzeitig wurden das Königreich Hannover, das Kurfürstentum Hessen, das Herzogtum Nassau und die Freie Stadt Frankfurt von Preußen annektiert. Preußen hatte nun ein geschlossenes Staatsgebiet und stellte von den 30 Millionen Einwohnern des Norddeutschen Bundes allein 25 Millionen. Die Entthronung von legitimen deutschen Monarchen wurde von konservativer Seite, gerade von den preußischen Hochkonservativen (Gerlach), als "Revolution von oben" interpretiert. Sie stärkte 3 auf der anderen Seite aber Bismarcks Ansehen bei den Liberalen, denn gerade die Annexionen unterstrichen, dass Preußen ungeachtet historischer Rechte nationale Politik betrieb. Die Hauptmotive Bismarcks für die Annexionen lagen freilich eindeutig in dem Ziel einer Vergrößerung Preußens und Festigung seiner Machtstellung. 4. Deutschlandpolitische Bedeutung des Jahres 1866. Mit den Entscheidungen des Jahres 1866 war die Geschichte des Deutschen Bundes zu Ende. Der Nationalstaat hatte sich auch im deutschen Raum durchgesetzt. Von nun an gab es einen Deutschlandbegriff, der Österreich ausschloss, wenngleich engere Beziehungen zwischen dem deutschen Nationalstaat und der Habsburger Monarchie bestehen blieben und schon bald wieder ausgebaut werden sollten. Historiker haben oft über Alternativen zur kleindeutschen Lösung diskutiert: in Form einer großdeutsch-föderalistischen Ordnung oder in Form einer großdeutsch-demokratischen Einigung von unten (vor allem DDR-Historiker 1971). So bedenkenswert solche Überlegungen sind, so wenig ist zu übersehen, dass die kleindeutsche Lösung durchaus eine gewisse Sachlogik besaß. Sie entsprach eher den geographischen, wirtschaftlichen und kulturellen Entwicklungen des 19. Jahrhunderts, in deren Gefolge Österreich doch mehr und mehr an den Rand Deutschlands gerückt war. Die neuere Forschung spricht deshalb auch nicht mehr nur von der Reichsgründung von oben, sondern hebt hervor, dass der Lösung von 1866 auch eine Art innerer Reichsgründung - eine gesellschaftliche und wirtschaftliche Vorbereitung - vorausging (Langewiesche, Fehrenbach, Gall), ohne die Bismarck nicht zum Erfolg gekommen wäre. Sehen muss man bei all dem allerdings, dass es Bismarck gleichzeitig durch "seinen" Erfolg von 1866 gelang, den mit dem Nationalstaat verbundenen Parlamentarisierungs- und Demokratisierungswünschen deutliche Grenzen zu ziehen. Zur Forschung vgl. die schon zitierten EDG-Bände von Fehrenbach und DoeringManteuffel. 4