Diagnosen- und Prozedurendokumentation für Zwecke von DRGs

Werbung
Ingenerf J, Mulder-Rathgeber, A, Graubner, B (2005).
Diagnosen- und Prozedurendokumentation für Zwecke von DRGs,
Qualitätsmanagement und Gesundheitstelematik.
In: Handels, H, Peimann, C-J, Schmücker, P (eds.).
Praxis der Informationsverarbeitung in Krankenhaus und Versorgungsnetzen,
KIS-Jahrestagung, Hamburg, 2.-4. März 2005. Norderstedt: Books on Demand: 103-112.
Diagnosen- und Prozedurendokumentation für Zwecke von
DRGs, Qualitätsmanagement und Gesundheitstelematik
Workshop auf der KIS-Jahrestagung 2005
Josef Ingenerf1, Bernd Graubner2, Angelika Mulder-Rathgeber3
1
Institut für Medizinische Informatik, Universität zu Lübeck, 23538 Lübeck,
[email protected]
2
Zentralinstitut für die kassenärztliche Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland (ZI),
10623 Berlin, [email protected]
3
Abteilung Medizincontrolling, Klinikum Offenbach, 63069 Offenbach,
[email protected]
Zusammenfassung. Die standardisierte Dokumentation von Diagnosen und
Prozeduren als Leitmerkmale des klinischen Geschehens steht zunehmend vor
heterogenen Herausforderungen. Die Einführung der G-DRGs als pauschaliertes Entgeltsystems erfordert das zeitnahe Bereitstellen in kodierter Form unter
Beachtung komplexer Kodierrichtlinien. Jährliche Anpassungen der Regelwerke als Konsequenz von Kalkulationsergebnissen vorjähriger Behandlungsfälle
machen eine Kodierung insbesondere der Prozeduren abhängig von klinischen
Parametern. Das gilt vor allem im Intensivbereich, z.B. mit Beatmungsparameter für Scoreberechnungen und Dosierungsangaben teurer Medikamente.
Die entsprechenden gesetzlichen Datenübermittlungsanforderungen an Krankenkassen für Zwecke der Abrechnung sind also zunehmend anhängig von der
Güte der im Allgemeinen aus diversen klinischen Informationssystemen bereitgestellten Behandlungsdaten. Die im Behandlungsprozess unter anderem zu
dokumentierenden Diagnosen und Prozeduren sollten auch für andere Zwecke
wie Qualitätssicherung, Entscheidungsunterstützung und gesundheitstelematische Anwendungen verwendbar sein. Dieses ist jedoch sowohl mit Blick auf
die verwendeten „groben“ Klassifikationen ICD-10-GM und OPS, als auch aufgrund von Verzerrungseffekten durch Befolgen der abrechnungsorientierten
Kodierrichtlinien (DRG-Bias) zweifelhaft.
Im Workshop 1 soll dieser bekannte Konflikt thematisiert werden. Namhafte
Experten beschreiben die jeweiligen Herausforderungen und Lösungsansätze
für eine Wiederverwendung einmal erhobener Daten. Neben der GMDSSektion „Medizinische Dokumentation“ wird der Workshop durch die Arbeitsgruppe „Medizinische Dokumentation und Klassifikation“ ausgerichtet. Analog
zur realen klinischen Situation kommt diese Arbeitsgruppe seit Jahren aufgrund
der Komplexität und monetären Bedeutung der G-DRG-Einführung über Arbeiten im Bereich der amtlichen Klassifikationen und Regelwerke nicht hinaus.
Aus diesem Grunde wird eine GMDS-Projektgruppe „Standardisierte Terminologien in der Medizin“ gegründet, die sich den zunehmend wichtigen komplementären Zielsetzungen sowie nicht-amtlichen Ansätzen widmet.
1 Einleitung
Die jährlichen Frühjahrstagungen der GMDS-Arbeitsgruppe „KIS - Informationssysteme im Gesundheitswesen“ thematisieren aktuelle Herausforderungen für den Einsatz und Betrieb von Informationssystemen im Gesundheitswesen. Üblicherweise
handelt es sich bei letzteren um verteilte, heterogene Anwendungssysteme. Bei der
kaum zu vermeidenden, redundanten Datenhaltung sind diese Anwendungssysteme
angewiesen auf geeignete Verfahren zur Datenintegration [1-3]. Dazu existieren unter
anderem diverse standardbasierte Lösungen auf technischer und syntaktischer Ebene.
Zur Sicherstellung der rechnergestützten Interpretierbarkeit medizinischer Daten sind
jedoch weiterhin semantische Standards in Form von kontrollierten Vokabularien erforderlich, die im Mittelpunkt des vorliegenden Beitrags stehen [4].
In Abb. 1 werden die wesentlichen Ziele für deren Einsatz skizziert; von der Datenerfassung, über deren Nutzung im Rahmen der direkten Patientenversorgung bis
hin zu sekundären Verwendungszwecken. Historisch wurden im Wesentlichen Klassifikationen (z.B. ICD) für ein statistisches Auswerten und eher selten Nomenklaturen (z.B. SNOMED) für das verbesserte Retrieval von Patientendaten verwendet. Mit
dem zunehmenden Reifegrad elektronischer Patientenakten steigt der Bedarf an eine
automatisierte Interpretation der Daten, z.B. für wissensbasierte Entscheidungshilfen). Da sich die genannten historischen Ansätze kontrollierter Vokabularien hierzu
als nicht tragfähig erwiesen haben, ist auf dem Gebiet der standardisierten Terminologien eine recht stürmische Entwicklung zu verzeichnen (z.B. SNOMED-CT,
LOINC, UMLS, GALEN) [5]. Die anfangs genannten Herausforderungen, die in
Abb. 1 grau unterlegt den Basiszielen beigefügt wurden, wirken sozusagen als Katalysator für den Einsatz und die Weiterentwicklung standardisierter Begriffssysteme.
ƒ Dokumentation (Standardisierte Primärdatenerfassung)
• Strukturierte Dokumentation (inkl. Kodierung) und - falls nötig - Freitextgenerierung oder
• Freitexterfassung und automatisierte Sprachanalyse (inkl. Kodierung).
ƒ Kommunikation (Austausch und Wiederverwendung)
Integrierte Versorgung,
- von Daten und Wissen,
Gesundheitstelematik
- für Mensch und Maschine (= Interoperabilität).
Evidence-based
ƒ Information Retrieval und Präsentation
Medicine (EBM)
ƒ Entscheidungsunterstützung (Decision Support)
• Terminologiegestützter Zugriff auf „passives“ Wissen (Literatur, Leitlinien, ...),
• Integration von wissensbasierten Systemen mit aktiver Dateninterpretation.
Sogenannte Sekundärzwecke:
ƒ Definition pauschalierter Entgeltsysteme
• Die Kodierung von Diagnosen und Prozeduren unter Beachtung
Diagnoses related
Groups (DRGs)
komplexer Regeln bestimmt den Erlös eines Behandlungsfalles.
ƒ Aggregation und statistische Auswertungen
• für Verwendungszwecke wie Qualitätssicherung,
Management, Forschung und Gesundheitsberichterstattung.
Qualitätssicherung,
Public Health, Health
Technology Assesment
Abb. 1 Gründe für den Einsatz standardisierter Terminologien (Klassifikationen)
Die Art der standardisierten Primärdatenerfassung entscheidet darüber, ob die einmal
erfassten Daten für die direkte Patientenversorgung sowie für die Sekundärzwecke
wiederverwendet werden können. Ein mehrfaches Erfassen derselben Daten für verschiedene Zwecke ist nicht akzeptabel und möglichst zu vermeiden. Die in Abb. 2
skizzierte Pyramide zeigt nach der Datenerhebung in Kontext des Behandlungsprozesses eine darauf folgende Ebene mit der klinischen Begriffsbildung und –benennung. Trotz des großen Ausdrucksreichtums der medizinischen Sprache findet bereits
hier eine gezielte, klinischen Regeln folgende Informationsverdichtung statt. Dieses
Phänomen verursacht nicht weiter thematisierte Probleme auf den weiteren Ebenen,
z.B. im Sinne von Kontextabhängigkeit und mangelnder Vergleichbarkeit.
Eine klartextliche Primärdatenerfassung führt zu bekannten Problemen einer mangelnden rechnergestützten Weiterverarbeitung für Zwecke, die in Abb. 1 genannt
wurden. Dazu wurden und werden standardisierte Terminologien entwickelt, die auf
verschiedene Art und Weise Begriffswissen repräsentieren. Sehr ausdrucksstarken,
kompositionellen Ansätzen auf der dritten Ebene stehen Klassifikationen auf den oberen zwei Ebenen gegenüber, die fragestellungsabhängig zu spezifischen Formen der
Informationsverdichtung beitragen, siehe folgende zwei Anwendungstypen [6]:
Einzelfall- oder patientenbezogen (Sammeln):
möglichst informationserhaltende Standardisierung der Primärdaten,
etwa für Suchanfragen oder automatisierte Entscheidungsregeln.
Einzelfall- oder patientenübergreifend (Ordnen):
fragestellungsabhängige Einteilung von Sachverhalten in Klassifikationen unter
Inkaufnahme von Informationsverlust, etwa für statistische Auswertungen.
Fallklassifikationssystem
(~ 101-102 Gruppen)
Gruppierung
i.a. verbunden mit:
Kodierung
Klassierung
Ordnen
Statistische
Klassifikation
(~ 103-104 Klassen)
Sekundärzwecke, hier
Recourcen-Management und Abrechnung,
z.B. DRGs, CMGs (Case Mix Groups), ...
Sekundärzwecke wie Qualitätssicherung
und Forschung, i.a. mittels
statistischer Auswertungen,
z.B. ICD-10, OPS, ...
Standardisierung
Kompositionelle medizinische
Begriffssysteme (multiaxial oder formalisiert)
(~ 105-106 Konzepte/Termini)
Sammeln
Äußerung
Primärdatenerfassung
und Nutzungen wie
Retrieval, Deduktion
und Kommunikation,
z.B. SNOMED,
GALEN, ...
Medizinische Sprache bzw. Terminologie
Begriffsbildung und Benennung im Rahmen der
medizinischen Dokumentation
Befunde,
Maßnahmen,
Verläufe,
Diagnosen,
Therapien
Erhebung
Behandlungsprozess inklusive Diagnose- und Therapiefindung
Beobachtung, Interpretation, Planung, Entscheidung, Aktion (Diagnostik, Therapie)
Abb. 2 Datengenerierung und Informationsverdichtung in der Medizin
2 Diagnosen- & Prozedurendokumentation für mehrfache Zwecke
Die insbesondere in Deutschland geltende „reine Lehre“ von statistischen Klassifikationen zur fragestellungsabhängigen Gewährleistung von vergleichbaren, statistisch
auswertbaren Daten einerseits und von kompositionellen Terminologien (Begriffssystemen) zur Wiederverwendung der detailliert repräsentierten Primärdaten andererseits, gerät vor dem Hintergrund von internationalen Initiativen zur Etablierung einer
Gesundheitstelematik-Infrastruktur mächtig ins Wanken, siehe Reports [7, 8].
Dahinter steckt die Beobachtung, dass die für Gesundheitstelematik-Anwendungen als essentiell erkannten ausdrucksstarken und rechner-verarbeitbaren terminologischen Ansätze der dritten Ebene in Abb. 2 sich bislang nicht durchgesetzt haben. Es
wird insbesondere beklagt, dass der dominierende Einsatz von Diagnosen-Klassifikationen wie ICD und die Prozedurenklassifikationen wie OPS (hier ist die internationale Situation sehr uneinheitlich) zur Primärdokumentation kontraproduktiv ist. Speziell der unvermeidliche Informationsverlust macht eine Wiederverwendung für die
anvisierten Ziele etwa der elektronischen Kommunikation von Befunden inklusive
automatisierter Entscheidungsregeln (Decision Support) nahezu unmöglich. Aus diesen Gründen setzen die Amerikaner und mittlerweile auch die Europäer (siehe obige
Reports) nach intensiven Untersuchungen von verfügbaren terminologischen Standards maßgeblich auf die Potentiale von SNOMED-CT zur Primärdokumentation,
siehe http://www.snomed.org. Folgende Beispiele sollen das verdeutlichen:
Beispiel „ICD-10 Systematisches Verzeichnis“:
K25.9 Ulkus ventriculi, weder als akut noch chronisch bezeichnet,
ohne Blutung oder Perforation
Beispiel „ICD-10 Alphabetisches Verzeichnis“ (mit fiktiven Identnummern):
A1 Ulcus ad pylorum (K25.9)
A2 Antrumerosion (K25.9)
A3 Ulkus ventriculi, Infektion, durch Helicobacter-pylori (K25.9, B96.81!)
Beispiel „SNOMED-CT“
89662003 Helicobacter-assoziiertes pylorisches Ulkus (Störung)
Fully defined by ...
- ist ein/e
- 128070006 infektiöse Krankheiten des Abdomens (Störung)
- 312121001 bakterielle Infektionskrankheit des Magen-Darm-Trakts (Störung)
- 39204006 pylorusnahes Magengeschwür (Störung)
- 6185008 in Verbindung mit Helicobacter stehende Krankheit (Störung)
- verursachendes Agens 80774000 Helicobacter pylori (Organismus)
87172008 gramnegativer Bazillus
- Group
- assoziierte Morphologie 56208002 Geschwür (morphologische Anomalie)
- Befundlokalisation 280119005 Struktur des Magenpförtners (Anatomie)
Man erkennt unmittelbar den Informationsverlust, der mit systematischen ICD-Kodes
verbunden ist, wenn man die Einträge des alphabetischen Verzeichnisses betrachtet.
Deren Bedeutung „unterhalb der ICD-Kodeebene“ wurde bislang für eine verbesserte
Suche adäquater ICD-Kodes verwendet. Allenfalls wurde der präzise Klartext mit ab-
gespeichert. Für verschiedene Zwecke ist es vorteilhaft, diese differenzierten Einträge
mit Identifikationsnummern zu versehen. Dieses geschieht aktuell beim DIMDI, wo
unter dem Namen „Alpha-ID“ ein angereichertes alphabetisches Verzeichnis veröffentlicht wird. Über diese national bedeutsame Entwicklung und ihre Konsequenzen
etwa für KIS-Schnittstellen wird im Workshop berichtet (siehe Kap. 5). Trotz einer
damit möglichen Verringerung des Informationsverlustes sind die identifizierenden
Alpha-IDs semantisch nicht auswertbar. Ein konsequenter und absehbarer nächster
Schritt wird sein, die Bedeutung der alphabetischen Einträge in die SNOMED-CT
abzubilden, um über die Alpha-ID auf dessen „Tiefenrepräsentation“ für ambitionierte Verwendungszwecke zugreifen zu können. Allerdings ist hierzu ein Zugriff aus
klinischen Anwendungssystemen auf einen „Terminologieserver“ nötig, der die gewünschten terminologischen Dienste bereitstellt. Auf dieses Thema und sehr komplexe Konsequenzen im Zusammenspiel von repräsentierten Patientendaten einerseits
und terminologischen Repräsentationen wie im obigen Beispiel kann hier nicht eingegangen werden [9, 10]. Diese Vorgehensweise einer Diagnosen- und potentiell später analog bereitgestellten Prozedurendokumentation über das alphabetische Verzeichnis liefert parallel den ICD- bzw. (OPS)-Kode sowie die assoziierte SNOMEDCT-Repräsentation. Umgekehrt erlaubt eine SNOMED-CT-Kodierung als Ausgangspunkt, das gewünschte Konzept über das alphabetische Verzeichnis hinaus noch wesentlich präziser zu repräsentieren, indem die Definitionsanteile präzisiert und ergänzt
werden. Allerdings verlangt diese Vorgehensweise ein funktionierendes Mapping beliebiger SNOMED-CT-Konzepte auf Klassifikationen.
Zahlreiche theoretische Fragen (z.B. „Ist ein automatisiertes Mapping zuverlässig
genug?“) und praktische Fragen (z.B. „Wer leistet bei der Änderungsfrequenz von
SNOMED-CT sowie von nationalen Klassifikationen wie ICD-10-GM Version 2005
und OPS Version 2005 die Abbildungen?) sind zurzeit völlig offen. Die Frage der Etablierung von SNOMED-CT ist (noch) nicht Gegenstand der aktuellen Diskussion
im Rahmen der nationalen Gesundheitstelematik-Aktivitäten. Die Ausführungen sollten nur andeuten, wohin sich das Thema „Terminologie“ entwickeln wird. Zwei abschließende Bemerkungen seien noch ergänzt:
Kodiersoftwaresysteme von mindestens zwei nationalen Anbietern basieren auf
so genannten Thesaurus-basierten Ansätzen, d.h. sie halten über die alphabetischen Verzeichnisse hinausgehende Mengen praxisrelevanter Diagnosen- und
Prozedurentexte bereit, deren interne Identifikationsnummern bereits heute in
KIS-Systemen gespeichert und genutzt werden. Einer der Anbieter bildet diese
Texte nicht nur in die Klassifikationen, sondern auch in alternative auswertbare
„Tiefenrepräsentationen“ ab. Auch die erwähnte Variante einer strukturierten
Kodierung mit Mappings in die Klassifikationskodes (Graphik-basierte Kodierung) steht zur Verfügung. Die Erfahrungen hinsichtlich Benutzerakzeptanz,
Schnittstellen und Nutzungspotentiale sollte man berücksichtigen [11]. Die oben
geschilderte Entwicklung ausgehend von den Alpha-IDs entwickelt sich zu einer
gemeinfrei verfügbaren Variante dieser kommerziellen Ansätze. Dieses kann zu
einer Belebung des Marktsegments mit konkurrierenden Werkzeugen führen, wo
letztlich die verfügbaren Funktionen und die Benutzerakzeptanz entscheiden.
Trotz all der genannten Entwicklungen wird eine Diagnosen- und Prozedurendokumentation „unterhalb der Klassifikationskodes“ durch eine Tatsache entschei-
dend verhindert: die gesetzliche Vorschrift der Verwendung der aktuellen Versionen der Klassifikationen ICD-10-GM und OPS in Datenübermittlungsvorschriften und ihre Nutzung zur Ansteuerung der G-DRGs. Die Flankierung einer
DRG-orientierten Kodierung durch Regelwerke wie die DKR (Deutschen Kodierrichtlinien) erzwingt die Orientierung an diese Klassifikationskodes mit dem
Risiko von Verzerrungseffekten (DRG-Bias). Aus diesem Grunde denken insbesondere die Amerikaner daran, direkt über SNOMED-CT ihr DRG-System anzusteuern [8]. Das ist Zukunftsmusik. Jedoch wird bereits aus diesem Grunde eine
Ablösung der ICD-9-CM durch eine ICD-10-CM in den USA verzögert, da dieser Wechsel Ressourcen bindet, die man zur Etablierung der SNOMED-CT
braucht. Letztere wurde aus diesem Grunde für 32,4 Mio. Dollar (5-Jahreslizenz)
gemeinfrei in den USA bereitgestellt.
3 GMDS-AG „Medizinische Dokumentation und Klassifikation“
Wir kehren zurück zum Anliegen des in Kap. 5 vorgestellten Workshops. Das Thema
einer Diagnosen- und Prozedurendokumentation wird in der GMDS-Fachgesellschaft
seit vielen Jahren ganz maßgeblich durch die Arbeitsgruppe „Medizinische Dokumentation und Klassifikation“ geprägt. Die Beschäftigung mit den amtlichen Klassifikationen ICD-10-GM und OPS im Zusammenhang mit dem eingeführten G-DRGSystem inklusive begleitender Maßnahmen wie die Deutschen Kodierrichtlinien
(DKR) ist aufwändig und aus Sicht der betroffenen Krankenhäuser als PflichtAufgabe zu bewerten; alles andere ist zunächst „Kür“. Entsprechend der symbiotischen Einheit von Dokumentation und Kalkulation in Abb. 3 ist die Arbeitsgruppe
inhaltlich an der Überarbeitung der Klassifikationen und Kodierrichtlinien beteiligt,
bietet Schulungen und Publikationen zum Thema an [12-14] und richtet seit Jahren
im Herbst (GMDS-Tagungen) und Frühjahr (KIS-Tagungen) Workshops zur Wissensvermittlung aus, siehe http://www.imbi.uni-freiburg.de/medinf/gmds-ag-mdk/.
Es ist bezeichnend, dass die Workshops im Rahmen der KIS-Tagungen der vergangen vier Jahre in Kooperation mit der GMDS-AG „Medizin-Controlling“ stattfanden. Sämtliche Workshops hatten einen praxisorientierten Charakter mit Themen, die
insbesondere die im Krankenhaus tätigen Personen mit ihren jeweiligen aktuellen
„Pflicht“-Aufgaben ansprechen.
-
Entwicklungen des G-DRG-Systems und Einsatz von Behandlungspfaden in
Krankenhausinformationssystemen" (Mannheim, 2004),
Anwendererfahrungen mit DRG-orientierten Funktionen in Krankenhausinformationssystemen für Ärzte, Pflegekräfte und Controller (Dortmund, 2003),
Kodieren, Gruppieren und Kalkulieren (Heidelberg, 2002),
Konsequenzen der DRGs für Dokumentation und Kodierung (Dortmund, 2001),
Praxis der Kodierung nach ICD-10-SGBV und OPS-301 und der Entgeltableitung in kommerzieller Software (Frankfurt, 2000),
Kodiersoftware und ihre Integration in medizinische Informationssysteme (Dortmund, 1999).
Abb. 3 Dokumentation und Kalkulation [12]
DRG-Grouper
Kalkulationsschema
(Kostenstellen- &artenrechnung)
In Kap. 2 wurden differenzierte terminologische Ansätze wie SNOMED-CT genannt,
die neben den DRG-fokussierten Inhalten der Arbeitsgruppe nicht adäquat berücksichtigt werden. In Kap 4 werden darüber hinaus zahlreiche weitere praxisrelevante
und methodische Arbeitsinhalte genannt, die für das Thema „Medizinische Terminologie“ im weiteren Sinne und für den Workshop „Diagnosen- und Prozedurendokumentation“ im engeren Sinne von Relevanz sind. In Abb. 4 wird verdeutlicht, dass eine präzise Terminologie mittelbar zur korrekten Klassierung beiträgt.
ICD10-Kodierung
(u.a. Kodierrichtlinien)
Symptomatische
Bakteriämie
? A49.9
Bakterielle
Infektion,
n. n. bez.
Sepsis („ Septikämie“)
? A40.- oder A41.(bekannter Erreger)
? A41.9
(unbekannter Erreger)
siehe Zaiss (GMDS 2003)
Sepsis in besonderen Situationen
? O03 - O08.0 bei Schwangerschaftskompl.
? O75.3 unter der Geburt
? O85 Wochenbett
? T80.2 nach Infusion, Injektion, Transfusion
? T81.4 postoperativ
Standardisierte klinische Terminologie
mit (operationalen) Definitionen
(u.a. Leitlinien)
Bakteriämie:
Nachweis von
Bakterien
in der Blutbahn
Sepsis: systemische Reaktion
auf lokale oder bakteriämische
Infektion („Septikämie“)
Systemic inflammatory
respones syndrome (SIRS):
akute systemische EntzündungsDefinition „Sepsis“ bzw. „SIRS“:
Reaktion unterschiedlicher
Temp. > 380 C oder < 360 C
Ursache (Infektion, Trauma,
HF > 90/min, AF > 20/min, pCO2 < 32 mmHg
Verbrennungen)
Leukozyten > 12.000 oder < 4000/µl,
> 10% unreife Leukoformen
Abb. 4 Abhängigkeit von Klassierung und präziser klinischer Terminologie
4 GMDS-PG „Standardisierte Terminologien in der Medizin“
Die über eine Klassierung etwa in die ICD-10 hinausgehenden Paradigmen einer terminologischen Standardisierung werden in Abb. 5 mit der multiaxialen SNOMED-II
sowie dem formalen GALEN-Ansatz skizziert. All jene terminologischen Ansätze
und Systeme, die bislang in der GMDS-AG „Medizinische Dokumentation und Klassifikation“ aus den genannten Gründen nicht behandelt werden, sollen Gegenstand
einer eng assoziierten Projektgruppe „Standardisierte Terminologien in der Medizin“
werden, die in Kürze gegründet wird. Die thematische Spannweite ist sehr groß und
für potentielle Interessenten möglicherweise abschreckend und unattraktiv: von der
Theorie (Terminologie, Ontologie, Logik, Linguistik) über methodische (Prä-/Postkoordina-tion, Wiederverwendung, Mapping) und technische Fragen (Terminologieserver, Integration in klinische Anwendungssoftware) bis hin zu existierenden Standards (ISO, CEN, DIN, HL7) und konkreten Terminologien (SNOMED-CT,
GALEN, LOINC, MedDRA, ICNP, NANDA, ICD-O, AO, ICF, MeSH und UMLS).
Mit Blick auf Kap. 1 und 2 werden deshalb Inhalte mit Bezug zu nationalen Gesundheitstelematik-Initiativen (Bit4Health, TMF, DMPs) im Vordergrund stehen, z.B.
Alpha-ID (siehe Kap. 5), LOINC und Arzneimittel-Klassifikationen wie ATC/DDD.
Andere Themen werden nachrangig je nach Relevanz und Interesse behandelt, soweit
das die Möglichkeiten der Projektgruppe mit ihren aktiven Mitgliedern nicht übersteigt. Diese Vorstellungen müssen nach der Gründung der PG präzisiert werden.
ICD-Klassifikation: Eindeutiges Einordnen in ein monoaxiales, streng hierarchisches Begriffssystem
Kapitel I: Infektionen
Kapitel II: Neubildungen
...
Kapitel VI: Krankheiten der
Verdauungsorgane
...
Kapitel XIX: Verletzungen, ...
...
K00-K14: Krkh. der Mundhöhle, ...
K20-K31: Krkh. des Ösophagus,
Magens und Duodenums
K35-K38: Krkh. der Appendix
K40-K46: Hernien
...
K20.-: Ösophagitis
...
K25.-: Ulkus ventriculi
K26.-: Ulkus duodeni
...
UV=Ulkus ventriculi
K25.0: UV, akut, mit Blutung
...
...
K25.4: UV, chronisch oder n.n.bez.,
mit Blutung
...
...
K25.7: UV, chronisch, ohne Blutung
oder Perforation
K25.9: UV, weder als akut noch als
chronisch bezeichnet, ohne
Blutung oder Perforation
SNOMED-Nomenklatur: Zerlegen und Rekonstruieren mit einem multiaxialen, polyhierarchischen Begriffssystem
Krankheit
Präylorisches Ulkus
verursacht durch
Helicobacter pylori Infektion
D-61600
Magenkrankheit
D-01100
Bakt. Infektion
Topographie +
T-63522
Prepyloricus
ventriculi
-
Morphologie +
M-38000
Ulkus
Ätiology +
-
Funktion +
Gen.Linkage
G-C001
-
E-13710
Helicobacter pylori
-
GALEN-Konzeptmodell: Formales Definieren mit einem logikbasierten kompositionellen Begriffssystem
BodyStructure which <
hasAssociatedProcess UlceratingProcess
hasPathologicalStatus pathological >
name UlceratingLesion
(UlceratingLesion which <
hasLocation Pre-Pylorus)
necessarily hasLocation (Mucosa which isLayerOf Pre-Pylorus) >
name UlcerOf_Pre-Pylorus
UlcerOf_Pre-Pylorus which
isConsequenceOf HeliobacterPylori_Infection
InfectionProcess which <
isCausedBy HelicobacterPylori >
name HelicobacterPylori_Infection
Abb. 5 Repräsentation der Diagnose „Helicobacter-assoziiertes präpylorisches Ulkus“
Die generelle Zielsetzung der PG besteht in der Zusammenführung von Experten
auf den jeweiligen Gebieten, der Bereitstellung von schriftlichen und mündlichen Informationen sowie der Ausrichtung von Veranstaltungen. Wünschenswert wäre eine
Koordination verteilter Aktivitäten und eine Zusammenfassung und Kommentierung
vorhandener Ergebnisse. Zu nennen sind Institutionen wie BMG/DIMDI, Protego.net, DIN, HL7, VHitG, ABDA und NLM. Sinnvoll ist auch eine Abstimmung innerhalb von GMDS AGs wie „KIS Informationssysteme im Gesundheitswesen“,
„Klinische Arbeitsplatzsysteme“, „Labordatenverarbeitung“, „Medizin-Controlling“,.
„Medizinische Dokumentation und Klassifikation“, „Qualitätsmanagement in der
Medizin“, „Routinedaten im Gesundheitswesen“, „Standards zur Kommunikation und
Interoperabilität“, „Telemedizin“ und „Wissensbasierte Systeme in der Medizin“.
5 Inhalt und Programm des Workshops am 02. März 2005
Der Workshop im Rahmen der KIS-Tagung beschäftigt sich mit folgenden Themen:
- ICD-10-GM, OPS, DKR und G-DRGs: Aktuelles, Weiterentwicklung, Umsetzung
- Gesundheitstelematische Anwendungen: Anforderungen und Lösungen für die
Kommunikation und Verarbeitung von Diagnosen- und Prozedurenkodes
- Multiple Verwertbarkeit einmal erhobener (Routine-)Daten: Wo sind die Grenzen?
- Diskussion anhand aktueller Beispiele: Definition von G-DRG-Zusatzentgelten auf
der Basis von OPS-klassierten Medikationen, Umsetzung von amtlichen Identifikationsschlüsselnummern aller Einträge des alphabetischen Verzeichnisses der ICD10-GM (insbesondere für telematische Anwendungen), Spannungsverhältnis von
administrativer und klinischer Dokumentation.
Programm:
I) DRG-orientierte Dokumentation und Kodierung von Diagnosen und Prozeduren
Albrecht Zaiß (Uni Freiburg): Aktuelles zu ICD-10-GM, OPS, DKR, G-DRGs
Jürgen Stausberg (Uni. Essen): Abrechnung aus der medizinischen Basisdokumentation: Überforderung von ICD und OPS?
Markus Stein (Klinikum Ludwigshafen): Organisatorische Umsetzung der aktuellen gesetzlichen Anforderungen
Bucher (Uni Freiburg): Technische Umsetzung der aktuellen gesetzlichen Anforderungen
II) Dokumentation aus Sicht von Qualitätsmanagement und Gesundheitstelematik
Robert Jakob (DIMDI, Köln): Alpha-ID: Brücke zwischen Abrechnung und medizinischer Dokumentation
Joachim Dudeck (Uni Giessen), Simon Hölzer (HPlus, Bern): Entwicklungsstand
von SNOMED-CT und internationale Anwendungen
Peter Haas (FH Dortmund): Der Einsatz von kontrollierten Vokabularen in Medizinischen Informationssystemen als Basis für eine integrative administrative
und klinische Dokumentation
Guido Noelle (FH Bonn-Rhein-Sieg): Diagnosen- und Prozedurendokumentation
aus Sicht der Gesundheitstelematik
-
-
Sebastian Semler (TMF e.V., Berlin): Wiederverwendbarkeit von Routinedaten
für die klinische Forschung
Saskia Drösler (FH Niederrhein): Diagnosen- und Prozedurendokumentation aus
Sicht des Qualitätsmanagements
Burkhard Fischer (BQS Düsseldorf): Diagnosen- und Prozedurendokumentation
aus Sicht der externen Qualitätssicherung
6 Literatur
1. Haas P. Medizinische Informationssysteme und Elektronische Krankenakten. Berlin:
Springer (ISBN 3-540-20425-3), 2005.
2. Ingenerf J, Stausberg J. Klinische Arbeitsplatzssysteme. In: Lehmann T, ed. Handbuch der
Medizinischen Informatik, 2. Auflage. München: Hanser, 2004: 625-647.
3. Lenz R, Blaser R, Kuhn KA. Hospital information systems: chances and obstacles on the
way to integration. Stud Health Technol Inform. 1999; 68:25-30.
4. Zaiß A, Graubner B, Ingenerf J, et al. Medizinische Dokumentation, Terminologie und
Linguistik. In: Lehmann T, ed. Handbuch der Medizinischen Informatik, 2. Auflage. München: Hanser, 2004:89-143.
5. Chute CG. Clinical classification and terminology: some history and current observations. J
Am Med Inform Assoc 2000; 7(3):298-303.
6. Ingenerf J, Giere W. Concept oriented Standardization and Statistics oriented Classification: Continuing the Classification versus Nomenclature Controversy. Meth.Inform.Med.
1998; 37(4-5):527-539.
7. CEN/ISSS. Current and future standardization issues in the e-Health domain: Achieving interoperability. Report from the CEN/ISSS e-Health Standardization Focus Group, siehe
http://www.centc251.org/ehealthfocusgroup.htm, 2004.
8. PITAC. Revolutionizing Health Care Through Information Technology. PITAC-Report
(President´s Information Technology Advisory Committee) June 2004, siehe
http://www.itrd.gov/pitac/index.html (unter Reports "2003-Present"), 2004.
9. Dolin RH, Spackman KA, Markwell D. Selective Retrieval of Pre- and Post-coordinated
SNOMED Concepts. Proc. of the AMIA 2002 Annual Symposium, 210-214, 2002.
10. Spackman KA. Normal forms for description logic expression of clinical concepts in
SNOMED RT. Proc. of the AMIA Annual Fall Symposium 2001, 2001: 627-631.
11. Ingenerf J, Seik B, Pöppl SJ. ID DIACOS: Integration in Krankenhaussoftware - IstZustand und Empfehlungen. Berlin: deGruyter, 2001.
12. Zaiß A, ed. DRG: Verschlüsseln leicht gemacht. Deutsche Kodierrichtlinien 2004 mit
Tipps, Hinweisen und Kommentierungen, 2. Auflage. Köln: Ärzte-Verlag, 2004.
13. Graubner B. Medizinische Klassifikationen ICD-10-GM und OPS. Ausblick auf die Neuerungen. Deutsches Ärzteblatt/PraxisComputer 2004; 101(3):2+4.
14. Ingenerf J, Gerdsen F, Seik B, et al. Dokumentation, Kalkulation und Prozessanalyse im
DRG-Zeitalter - Softwareunterstützung im UK S-H, Campus Lübeck. GMS - Medizinische
Informatik, Biometrie und Epidemiologie 2005; 1:Doc06, online unter:
http://www.egms.de.
Herunterladen