Photoakustische Experimente in der Küche Kann man Licht hören? M ANFRED E ULER Spannende Alltagsphysik wird durch „Küchenexperimente“ erlebbar. Sie enthüllen Überraschendes: Kunstlicht erzeugt nach photoakustischer Wandlung Töne, die unser Gehör wahrnehmen kann. Die Sinnesempfindungen sind für unser Bewußtsein Zeichen, deren Bedeutung verstehen zu lernen unserm Verstand überlassen ist. Hermann von Helmholtz Mikrowellen-Empfängern, die in Satellitenschüsseln eingebaut sind. Wäre das Ohr nur wenig empfindlicher, so könnten wir buchstäblich den Lärm von Atomen hören, die auf das Trommelfell aufgrund der Wärmebewegung der Luft auftreffen. Lässt sich auf überzeugende Weise die Empfindlichkeit des Gehörs nicht nur theoretisch belegen, sondern auch praktisch erfahrbar machen? Kann man gegebenenfalls diese Versuche ohne großen technischen Aufwand selbst durchführen? Man kann! Licht hören – ein Küchenprojekt m Alltag gibt es eine Menge faszinierender Physik zu entdecken. Um auf Entdeckungsreise zu gehen, benötigt man keine teuren physikalischen Apparate. Die Natur liefert sie uns frei Haus: in unseren Sinnesorganen verfügen wir über höchst empfindliche Messgeräte. Beschränkt man sich nur auf den Aspekt der Empfindlichkeit, so ist das menschliche Gehör in der Lage, eine Intensität von 5 · 10-17 Watt I ABB. 1 | EMPFINDLICHKEIT DES OHRS Unglaublich aber wahr: Der Energiestrom einer 10-W-Quelle ist im Abstand von 1000 km mit dem Ohr noch wahrnehmbar! Photoakustische Wandlung pro cm2 gerade noch wahrnehmen zu können. Bei einer Fläche des Gehörgangs von ungefähr 1 cm2 entspricht die Hörschwelle energetisch dem Nachweis einer 10-Watt-Quelle auf einer Distanz von 1000 km, vorausgesetzt, dass kein absorbierendes Medium dazwischen ist. Stellen Sie sich vor, eine Energiesparlampe in diesem Abstand sicher nachweisen zu können (Abbildung 1). Dies ist in der Tat ein geradezu unglaubliches und außerordentlich faszinierendes Leistungsvermögen! Die Nachweisgrenze des Gehörs ist vergleichbar der Empfindlichkeit von typischen High-Tech-Produkten, beispielsweise von 180 | Der Versuch ist in jeder durchschnittlich ausgestatteten Küche machbar. Man nehme ein leeres, möglichst großes Gurkenglas und bohre ein Loch in den Schraubdeckel. Man entzünde eine Kerze und beruße eine Hälfte des Glases von innen, lasse aber die gegenüber liegende Seite lichtdurchlässig (Abbildung 2). Man schraube den Deckel wieder auf das Glas und halte das Loch an das Ohr. Lässt man nun das Licht einer netzbetriebenen Glühlampe auf die geschwärzte innere Oberfläche durch die transparente Glaswand fallen, so hört man einen deutlichen Brummton. Der Ton hört auf, wenn man den Lichtstrom manuell unterbricht [1]. Es besteht somit kein Zweifel: Unser Gehör ist tatsächlich ausreichend empfindlich, das Licht einer mit Wechselstrom betriebenen Glühlampe nach einem geeigneten Wandlungsprozess zu hören. Optimale Resultate ergeben sich mit einem 750-ml-Glas bei einer Deckelöffnung von 2 bis 3 mm Durchmesser. Als Lichtquelle benutzt man am besten klare Glüh- oder Reflektorlampen. Noch besser eignen sich Halogenstrahler (50 W, 220 V). Der von diesen Quellen erzeugte Ton kann von einem normal Hörenden noch in 5 cm Abstand von der Schallöffnung selbst bei Umgebungsgeräuschen deutlich wahrgenommen werden. Physik in unserer Zeit | 32. Jahrgang 2001 Nr. 4 | Das Experiment funktioniert nur, wenn die Glühlampe mit Wechselstrom betrieben wird. Das Licht wird in der Rußschicht absorbiert, und seine Energie wird als Wärme in die Umgebung zerstreut. Der Lichtstrom der Glühlampe schwankt periodisch im Takt der einzelnen Halbwellen des Wechselstroms, und infolgedessen wird die Luft im Gurkenglas an der berußten Oberfläche periodisch aufgeheizt. Die Temperaturschwankungen führen zu periodischen Druckschwankungen, also zu Schall. Das Experiment beruht somit auf der Wandlung von Licht via Wärme in Schall. Das ist ein photoakustischer Effekt, wie ihn Bell erstmals vor 120 Jahren beschrieben hat [3]. PHYSIKDIDAK TIK ABB. 2 Unser Ohr, ausgestattet mit dem Gurkenglas als photoakustischem Wandler, reagiert demnach auf schwache periodische Schwankungen des Lichtstroms. Genau genommen ist das Experiment also nicht nur eine Demonstration der Empfindlichkeit des Gehörs, sondern es zeigt insbesondere sein dem Auge überlegenes zeitliches Auflösungsvermögen. Was unserem Auge als gleichmäßiger Lichtstrom erscheint, wird vom Ohr als periodisch schwankend erkannt. Jede Halbwelle des Wechselstroms erzeugt einen Wärmepuls, der allerdings durch die thermische Trägheit der Glühwendel geglättet wird. Daher muss unser Ohr ein schwaches Signal der Frequenz 100 Hz heraushören, das ohne weitere Hilfsmittel in den Störgeräuschen der Umgebung untergeht. Wie findet man die Stecknadel (das Signal) im Heuhaufen (dem Untergrund des Rauschens)? Der Schlüssel zum Nachweis schwacher Signale in Gegenwart von Störgeräuschen liegt in der Resonanz. Der photoakustische Wandler muss so ausgelegt sein, dass das System, bestehend aus Gurkenglas und dem Ohr des Beobachters, möglichst gut zum Mitschwingen angeregt werden. Die akustische Grundschwingung des Gurkenglases zeigt eine enge Verwandtschaft mit den mechanischen Schwingungen eines Körpers, der an einer elastischen Feder befestigt ist. Der „Luftpfropf“ in der Öffnung entspricht dem schwingenden Körper. Die im Hohlraum eingesperrte Luft wirkt als Federung. Sie wird beim Schwingen zusammengedrückt und gedehnt. Dabei treten elastische Rückstellkräfte auf, die den Luftpfropf in seine Ruhelage zurücktreiben und so Schwingungen ermöglichen. Helmholtz-Resonanz von Weinflaschen Dieses mechanische Modell akustischer Schwingungen geht auf Helmholtz zurück. Nach ihm werden akustische Hohlräume mit einem großem Volumen (V) und einer vergleichsweise kleinen Öffnung (Radius R) als Helmholtz-Resonatoren bezeichnet. Ihre Grundfrequenz f0 lässt sich entsprechend der mechanischen Analogie berechnen [3]. Sie beträgt in guter Näherung (Schallgeschwindigkeit c): f0 = c 2π 2R . V Die Resonanzfrequenz kann man also durch eine Änderung des Volumens oder der Größe der Öffnung abstimmen. Es gibt allerdings eine elegante Methode, die Frequenz von schwingenden Hohlräumen „freihändig“ abzustimmen und das Ergebnis unmittelbar zu hören. Letztlich geschieht das auf vergleichbare Weise, wie man einen (analogen) Radioapparat auf einen Sender manuell einstellt. Doch wie kann man ohne bewegliche Teile akustische Resonatoren abstimmen? Auch hinter dieser Frage verbirgt sich interessante und darüber hinaus musikalisch relevante Alltagsphysik. Sie lässt sich ebenfalls ohne aufwändige Geräte in einem weiteren Küchenprojekt untersuchen. Man nehme eine Flasche, klopfe mit dem Finger auf den Flaschenboden und lausche dem Klang. Beim Annähern der Flaschenöffnung an das Ohr bemerkt man, dass die Grund- | | LICHT HÖREN H Ö R BA R E S L I C H T Mit Geräten, die in jeder Küche vorhanden sind, ist es möglich, die Schwankungen im Lichtstrom einer netzbetriebenen Glühlampe hörbar zu machen! frequenz beträchtlich nach unten absinkt. Eine Absenkung auf mehr als eine Quinte (2/3 der ursprünglichen Frequenz) ist gut hörbar; wenn man den Abstand zwischen der Flaschenöffnung und der Ohrmuschel im Zentimeterbereich verändert. Damit ist das Prinzip des freihändig abstimmbaren photoakustischen Wandlers evident: Das System aus Resonator (Flaschenvolumen plus Öffnung) und Detektor (Ohr) muss auf Resonanz getrimmt werden! Die Weinflaschen haben eine Grundfrequenz von ca. 115 Hz. Durch Einstellen des Abstandes zwischen Flasche und Ohr kann man diese auf 100 Hz absenken und so den Empfänger auf das photoakustische Signal abstimmen. Der Abstimmeffekt beruht darauf, dass man beim Heranführen an das Ohr die Flaschenöffnung zunehmend abdeckt und so die Öffnung verkleinert. Man erkennt an obiger Formel, dass f0 abnimmt, wenn die Größe der Öffnung verringert wird [4]. Selektives Lauschen auf Signale im Rauschen Damit ist das Experiment zur resonanzverstärkten photoakustischen Wandlung mit freihändiger Abstimmung des Detektors nahezu selbsterklärend (Abbildung 3). Man nehme eine 3/4-l-Weinflasche aus klarem Glas, deren Grundfrequenz über 100 Hz liegt. Da man die Flasche innen nur schwer berußen kann, empfiehlt es sich, einen geschwärzten Körper einzubringen. Das kann beispielsweise Aluminiumfolie sein, die man zu einer Kugel oder einem Stab formt und mit einer Kerzenflamme berußt. Man strahlt wie zuvor Licht auf den schwarzen Körper und nähert die Flaschenöffnung dem Ohr an. Es ist ein Brummton hörbar, der bei Annäherung erwartungsgemäß lauter wird, schließlich aber wieder abfällt, wenn man die Flasche dem Ohr noch weiter annähert. Bei einem Abstand von etwa 5 mm ist der Ton am lautesten. Bei diesem Abstand zur Ohrmuschel ist das System auf Resonanz abgestimmt, und das photoakustische Signal ist selbst bei Umgebungsgeräuschen gut hörbar. Großvolumige Kunststoffflaschen eignen sich noch besser zum Bau von abstimmbaren photoakustischen WandNr. 4 32. Jahrgang 2001 | | Physik in unserer Zeit | 181 ABB. 3 | S I G N A LV E R S T Ä R KU N G Verstärkung des photoakustischen Signals von einer berußten Probe durch eine Weinflasche, die in Resonanz betrieben wird. Die Einstellung der Resonanzfrequenz erfolgt durch Verändern des Abstands zwischen Flaschenöffnung und Ohr. lern, da man diese zum Einbringen einer größeren berußten Fläche gut auftrennen und durch Kleben wieder verschließen kann. Infolge des größeren Volumens und der größeren berußten Fläche nimmt die Signalstärke zu. Da aber auch die Masse des schwingenden Luftpfropfs größer ist, ergibt sich eine geringere Dämpfung und damit eine höhere Filtergüte. Die Resonanzüberhöhung bei diesen Resonatoren ist so groß, dass selbst Personen mit moderaten Hörproblemen (20 bis 30 dB Hörverlust im Niederfrequenzbereich) das photoakustische Signal noch gut wahrnehmen können. Durch die manuelle Abstimmung wird das abstrakte Konzept der Resonanz zu einer konkreten, primären Sinneserfahrung. Man spürt, wie im Abstimmvorgang das Signal über die störenden Nebengeräusche angehoben wird und lernt „spielend“, wie schwache periodische Signale in der Gegenwart von Rauschen nachgewiesen werden können. Bei dem Experiment wird das von Hand nachvollzogen, was die Scharfabstimmung in modernen Radioempfängern automatisch tut. Abstimmbare Resonanzen in der menschlichen Kommunikation Musikern, insbesondere Hornspielern, ist ein verwandter Effekt vertraut, denn sie können ihr Instrument durch „Stopfen“ etwas verstimmen. Auch der Klang unserer Stimme hängt davon ab, wie weit wir den Mund öffnen. Allerdings treffen die Voraussetzungen des Helmholtz-Modells (kleine Öffnung bei großem Resonatorvolumen) nicht mehr zu. Beim Sprechen oder Singen werden zudem sowohl das Volumen des Resonanzraumes als auch die den Schall abstrahlende Öffnung zusammen verändert. Es existieren außerdem verschiedene Resonanzräume, die zu mehreren Haupt- und Nebenresonanzen, so genannten Formantbereichen, führen. Neben der Schallerzeugung spielt das Konzept der abstimmbaren Resonanz auch beim Nachweis von Schall im menschlichen Ohr eine wichtige Rolle. Das Innenohr kann 182 | Physik in unserer Zeit | 32. Jahrgang 2001 Nr. 4 | als eine Art mechanischer Wellenleiter aufgefasst werden, bestehend aus einem System von gekoppelten Schwingern. Anders als bei einem Mikrophon werden diese Resonatoren nicht nur zum passiven Mitschwingen angeregt. Vielmehr gibt es neuromechanische Rückkopplungsprozesse, die aktiv Schwingungsenergie einkoppeln. Damit werden die Filtergüte, die Empfindlichkeit und der Dynamikbereich des Ohres entscheidend verbessert [5–8]. Ein tieferes Verständnis der Physik von Wahrnehmungsprozessen ist ein Weg zurück zu den Wurzeln der Physik, denn alles, was wir erfahren, erfahren wir über Sinneseindrücke. Zugleich ist es aber auch ein Weg an die Front moderner Forschung. Die biophysikalischen Funktionsprinzipien unseres Gehörs, eines alltäglichen und höchst vertraut erscheinenden Systems, führen an die Grenzen aktueller Wissenschaft. Manchmal ist es gut, verrückt klingende Fragen zu stellen, um zu grundsätzlichen Problemen vorzudringen. Die Frage „Wie ist es, Licht zu hören?“ klingt zunächst unsinnig, doch sie ist produktiv, stellt Alltägliches in Frage, beflügelt die Phantasie und spornt zum Nachdenken, aber auch zum Experimentieren an. Kurzum: Sie verführt dazu, Physik zu treiben. Zusammenfassung Es werden zwei Experimente beschrieben, die es ermöglichen, den Lichtstrom von Glühlampen, die mit Wechselstrom betrieben werden, hörbar zu machen. Die Versuche lassen sich zu Hause ausführen und beruhen auf dem photoakustischen Effekt, der Wandlung von periodischen Lichtschwankungen in Schall. Sie machen das Leistungsvermögen unseres Gehörs auf eine unkonventionelle Weise bewusst und zeigen die Bedeutung von Resonanzphänomenen für den Nachweis schwacher periodischer Signale in der Gegenwart von Rauschen. Literatur [1] M. Euler, K. Niemann, A. Müller, The Physics Teacher 2000, 30, 356. [2] A.G. Bell, Am. J. Sci. 1880, 20, 305. [3] E. Meyer, D. Guicking, Schwingungslehre, Vieweg Verlag, Braunschweig 1974. [4] M. Euler, erscheint in: Praxis der Naturwissenschaften – Physik in der Schule. [5] H.P. Zenner, A.H. Gitter, Physik in unserer Zeit 1987, 18, 97. [7] M. Euler, Biologie in unserer Zeit 1996, 26¸163, 304, 313, sowie 2000, 30, 45. [8] M. Euler, Themenheft: Lernen von und mit den Sinnen, Praxis der Naturwissenschaften - Physik 1998, 47 (8) 9, 17, 24. Der Autor Manfred Euler, geb. 1948, hat in Gießen Physik studiert, 1975 Promotion, 1982 Habilitation, 1987 bis 1991 Professor für Physik an der FH Hannover, danach Lehrstuhl für Didaktik der Physik an der Universität Paderborn, seit 1997 Direktor am Institut für die Pädagogik der Naturwissenschaften an der Universität Kiel. Anschrift: Prof. Dr. Manfred Euler, Institut für die Pädagogik der Naturwissenschaften, Universität Kiel, Olshausenstraße 62, 24098 Kiel. [email protected]