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1.Einführung
1.1 Warum gerade Death Metal?
„’Death Metal’ - die Welt zertrümmern“ (taz vom 23.6. 1992).
„Eine weitere ‘real satanic band’ sind Immortal aus Norwegen. Sie wollen der Erde
die Massenvernichtung bringen“ (Kai Wendel im Rock Hard 74, Juli 1993, S. 5).
„Satanische Rituale sind blutig und verherrlichen Gewalt. Ich denke, es ist für die
jüngeren Kids gefährlich, mit satanischen Ideen konfrontiert zu werden, da einige
blind gewissen ‘Idolen’ folgen“ (zitiert nach Helsper, S. 15).
Solche und ähnliche Äußerungen liest und hört man immer wieder in den Medien, aber
auch von vielen Lehrern, Vertretern der Kirche oder Politikern, wenn die Sprache auf
die bei vielen Jugendlichen beliebte Musik des (Hard) Rock, Heavy Metal oder
verwandte Musikrichtungen, insbesondere die extremeren Formen „Death Metal“ und
„Black Metal“, kommt.
Etikettierungen dieser Art tragen auch nicht gerade dazu bei, betroffene Eltern, deren
Kinder im Alter zwischen zwölf und 18 Jahren Anhänger dieser Musik sind, ruhig
schlafen zu lassen.
Außerdem stellt sich die Frage: inwieweit sind solche Meinungen von Vorurteilen
belastet, und inwieweit beruhen sie auf objektiven Informationen über die Metal-Szene?
Könnte es nicht auch sein, daß Menschen, die (Heavy) Metal schlichtweg verdammen,
es sich zu einfach machen und auf in der Sensationspresse verbreitete Klischees
zurückgreifen, anstatt sich zu bemühen, mit Kennern der Szene über die Inhalte, Texte
und Symbole oder über die Musik zu sprechen und sich vorher zu informieren, bevor sie
ein Urteil abgeben?
Die Tendenz, Anhängern einer für den Durchschnittsmenschen in unserer Gesellschaft
befremdlichen Jugendkultur oder Spezialkultur aufgrund von Kleidung oder Symbolen
mit Vorurteilen zu begegnen, beschränkt sich nicht auf Verhaltensweisen gegenüber
(Heavy) Metal-Fans. Solche Reaktionen hat Helsper bei Jugendlichen aus der GruftiSzene in ähnlicher Weise beobachtet, die durch schwarze Kleidung, schwarzgefärbte
Haare, Schminke und okkulter oder Todessymbolik auffallen, und ist zu dem Schluß
gekommen: „Es geht letztlich um die sensationsgerechte Erzeugung von
Klischeebildern, gleichgültig, ob sie mit der Alltagsrealität der betreffenden
Jugendlichen übereinstimmen oder nicht“ (Helsper, S. 15).
Diese Untersuchung soll dazu beitragen, Vorurteile, die gegenüber dem Heavy Metal als
Musikrichtung und eigenständiger (jugendlicher) Spezialkultur bestehen, abzubauen,
indem sie versucht, die Musik, Texte und Symbole sowie die soziale Alltagsrealität der
betroffenen - meist jugendlichen - Fans aus deren eigener Sichtweise, also aus der
Innenperspektive, zu betrachten. Weiterhin soll sie Anregungen geben, sich selbst mit
dem Thema eingehender zu beschäftigen, aber auch anderen kulturellen Phänomenen,
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die nicht zum eigenen alltäglichen Erfahrungsschatz zählen, nicht mit Vorurteilen zu
begegnen, sondern sich zunächst sachlich zu informieren und zugleich die Sichtweise
des anderen zu verstehen versuchen.
Dazu muß noch angemerkt werden, daß auch ich als Autorin nicht den Status eines
gänzlich Unbeteiligten innehabe, da ich selber Metal-Fan und in die Szene involviert
bin. Das bietet natürlich insofern Vorteile, als daß es sehr viel leichter ist, durch die
vielfältigen Kontakte Informationen zu erhalten. Ich bekomme durch meine eigenen
Erfahrungen und die meiner Freunde und Bekannten aus der Metal-Szene die Innensicht
sozusagen frei Haus geliefert. Somit nehme ich im Spektrum der empirischen
Forschungsmethoden, die unter dem Begriff „teilnehmende Beobachtung“ subsumiert
werden, die Position eines „engagierten Mitspielers“ ein. Ich arbeite dabei nichtverdeckt, gebe also meine Identität als Soziologin bekannt, bin aber gleichzeitig Teil der
„kleinen Erlebniswelt“ und genieße das Vertrauen der Szene-Insider (vgl. Honer, S.
301).
Andererseits muß ich mich natürlich bemühen, trotz meines Informationsvorsprungs als
Fan die Death und Black Metal-Szene allgemeinverständlich und ohne Wertung zu
porträtieren, indem ich die Sicht der von mir befragten Fans darlege und in
soziologischen Worten beschreibe.
Um das Thema inhaltlich einzugrenzen, soll nicht die gesamte Metal-Szene, die im
Übrigen seit den Achtziger Jahren eine starke Ausdifferenzierung in verschiedene
Subgenres durchgemacht hat und dadurch sehr inhomogen geworden ist (vgl. Weinstein,
S. 43ff), sondern schwerpunktmäßig der Teilbereich der Death und Black Metal-Szene
untersucht werden. Da sich diese Metal-Subgenres bzw ihre Anhänger nicht scharf von
anderen Metal-Fans trennen lassen, wird an verschiedenen Stellen von der Gruppe der
„Metal-Fans“ im Allgemeinen die Rede sein, in der die Black und Death Metal-Fans mit
eingeschlossen sind. Die in diesen (Teil-)Szenen verwendeten Symbole und Texte
werden von Kritikern wie Anhängern besonders heftig diskutiert, so daß ein besonderes
Interesse an der Darstellung der Fan-Perspektive besteht.
1.2 Methodische Vorbemerkungen
An eben diesen Kontroversen zwischen Fans und Kritikern jugendkultureller Stile
(worunter auch die Death und Black Metal-Szene zählt) wird deutlich, daß sich das
„Exotische“, Fremde für unsere Gesellschaft nicht unbedingt in großer geographischer
Enfernung befinden muß. Es handelt sich hierbei also um eine Untersuchung des
Fremden in nächster Nähe, - durch diese Analogie zu ethnologischen Beobachtungen
fremder Kulturen wird diese Art der empirischen Sozialforschung als „lebensweltliche
Ethnographie“ bezeichnet (vgl. Honer, S. 297f). Dabei steht der qualitative Aspekt im
Vordergund, denn es wurden nicht die Häufigkeiten bestimmter fanspezifischen
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Phänomene oder Aussagen statistisch ausgewertet, sondern es sollen typische in der
Szene vorhandene Perspektiven beleuchtet werden (vgl. Wilson, S. 496f). Basierend auf
dem interpretativen Paradigma (in diese Richtung lassen sich auch der symbolische
Interaktionismus von Goffman und die verstehende Soziologie Max Webers einordnen vgl. dazu Esser, S. 238) soll auf diese Weise die subjektive Interpretation sozialer
Realitäten beleuchtet werden. Die Gewinnung in Zahlen auszudrückender, „objektiv“
meßbarer Daten verliert damit an Bedeutung.
1.2.1 Fragestellung und Forschungsperspektive
Bei der Erforschung einer „kleinen Lebenswelt“ wie der Fankultur des Death und Black
Metal mit der ethnographischen Methode ist eine genaue Festlegung der Fragestellung
besonders wesentlich, um das Problem unübersichtlicher Datenberge aus offenen
Interiews mit zahlreichen Beteiligten aus der Szene zu vermeiden (vgl. Flick, S. 152f,
Aufenanger, S. 35).
Ferner ist es so gut wie unmöglich, eine allumfassende Darstellung der ins Auge
gefaßten Forschungsfelds zu leisten. Vielmehr muß ein Ausschnitt ausgewählt werden,
auf den sich die Untersuchung konzentriert. Im Vordergrund des folgenden Textes steht
daher die Deskription aller wesentlichen Aspekte der Death und Black MetalLebenswelt (vgl. Flick, S. 152).
Anhand einer strukturierten Darstellung der Fankultur werden die wesentlichen Aspekte
des sozialen Handelns in dieser Spezialwelt beschrieben.
Als Einstieg dient eine allgemeine soziologische Theorie der Szene. Der Schwerpunkt
liegt dabei auf medialen Szenen, die sich um ein Mediun bzw. um mediale Texte bilden,
bei denen Medien als Kristallisationspunkte fungieren.
Um sich den Blick des Fans zu eigen zu machen, werden die medialen Texte der Death
und Black Metal-Szene kurz vorgestellt, und dadurch der Mittelpunkt des Faninteresses
phänomenologisch näher beleuchtet. Der Schwerpunkt der Untersuchung liegt
schließlich auf der Organisation und Funktionsweise der Fankultur, auf der
Charakterisierung von Fans und ihrer systematischen Klassifizierung. Dazu gehören u.
a. folgende Fragestellungen:
• Wie sieht die Organisation der Fankultur aus? (4.2)
• Welche Rollen spielen gemeinsame - oder unterschiedliche - Aneignungspraktiken
der medialen Texte bei Fans? (4.3)
• Welche Funktionen erfüllt das Fandom für seine Mitglieder? (4.4)
• Wie wird die fanspezifische Wirklichkeit konstruiert? (4.4)
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Anschließend wird anhand einer detaillierten Fallstudie eine typische Fankarriere
dargestellt, die verschiedene Aspekte des Fanverhaltens veranschaulicht.
Zum Abschluß werden noch auf einige Vermarktungsaspekte dargestellt, die gerade im
Zusammenhang mit Medienkulturen von Bedeutung sind.
1.2.2 Annäherung an das Feld
Die empirischen Untersuchungen für die vorliegende Abhandlungen wurden in Form
von Gruppendiskussionen und problemzentrierten Interviews mit verschiedenen Fans
aus der Death und Black Metal-Szene durchgeführt.
Wie eingangs schon erwähnt, war es aufgrund der guten Kontakte zu vielen Metal-Fans
ein zu vernachlässigendes Problem, gesprächsbereite Interviewpartner zu finden.
So konnte bei der Durchführung der problemzentrierten Interviews, bei denen sich eine
Konzeption als dreiphasige Intensivinterviews als praktikabel erwies, die erste Phase,
die der Erzeugung eines „quasi-normalen Gesprächsverhaltens“ (Honer, S. 304) dient
und die ein gewisses Vertrauensverhältnis zwischen Interviewer und Interviewtem
generieren soll, bei den Fan-Interviews vernachlässigt werden. Dagegen bereitete die
zweite Phase - Narrationen, mitunter biographischer Art - manchmal Schwierigkeiten,
wenn der Interviewpartner der Meinung war, dies sei völlig unnötig, da ich diese Dinge
sowieso längst wüßte, weil wir uns schon länger kennen würden usw (was in den
meisten Fällen eher unbewußt in die Gespräche mit einfloß). Das stimmt natürlich in
manchen Fällen, doch mein Interesse galt ja nicht nur dem „Was“, sondern auch dem
„Wie“. Die dritte Phase war die interessanteste und ergiebigste, denn sie gestaltete sich
als offene Diskussion mitunter mehrerer Personen, die sich an einem thematisch
gebundenen Leitfaden und einiger konkret vorformulierter Fragen zu orientieren hatte.
Anders liefen die Interviews mit diversen Musikern: Auch hier habe ich mich an dem
eben beschriebenen Drei-Phasen-Schema orientiert, mußte es jedoch aus zeitlichen
Gründen in eine einmalige Befragung komprimieren. (Die befragten Musiker befanden
sich immer auf einer Tour, sodaß an nur einem Zeitpunkt Gelegenheit zum Interview
gegeben war.) Besonders die erste Phase war hier nicht immer leicht. So mußte David
Vincent, damals Bassist und Sänger von Morbid Angel, einer Death Metal-Band aus
Florida/ USA (einige seiner Statements werden später noch Verwendung finden, das
komplett transkribierte Interview befindet sich im Anhang IIIa) ), der kurz zuvor sehr
schlechte Erfahrungen mit der Presse gemacht hatte, erst davon überzeugt werden, daß
ich meine Ergebnisse nicht einem beliebigen Magazin überlassen würde.
Um ein möglichst genaues Bild der Metal-Kultur zu vermitteln und das Verständnis für
das „Fremde“ zu erleichtern, wurden als „ergänzende Erhebungsstrategien und materialien“ (Eckert et al., S. 41) Ton-, Bild-und Textdokumente verwendet, die in
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Auszügen im Anhang (III b)-d) ) enthalten sind und in Punkt 3.1.2 anhand einiger
ausgewählter Beispiele exemplarisch erläutert werden.
Zusätzlich wurden zur Ergänzung Datenquellen „aus zweiter Hand“ hinzugezogen, wie
Szenemagazine, Fanzines und eine Videodokumentation. Gerade den Fanzines ist
deswegen eine besondere Bedeutung zuzumessen, weil sie von Fans selbst erstellt
werden.
Insbesondere die Bereitstellung repräsentativer medialer Texte ermöglicht es allen
Interessierten, sich ansatzweise den Blick des Fans zu eigen zu machen und fordert zu
dem Versuch auf, nicht nur kognitiv, sondern auch emotional nachzuvollziehen, was die
Texte für die Fankultur bedeuten. Gerade die Dimension des Klangs kann durch Sprache
nur unzureichend vermittelt werden (vgl. Weinstein, S. 27f), anders als bei Texten oder
(bewegten) Bildern: „If you want to know what Heavy Metal sounds like, there is
nothing to do short of listening to it“ (Weinstein, S. 277).
1.2.3 Auswertung der empirischen Daten
Die meisten Interviews und Gesprächsrunden mit Fans und Musikern wurden auf
Tonband festgehalten und später so originalgetreu wie irgend möglich in eine
schriftliche Form transkribiert. Einige der Interviews wurden aus praktischen und
zeitlichen Gründen mit Hilfe schriftlicher Fragebogen durchgeführt, viele Aussagen von
Fans und eigene Beobachtungen am Ort des Geschehens unmittelbar schriftlich
festgehalten.
Die Auswertung dieses Materials erfolgte in Form einer Themensynopse (vgl. Eckert et
al., S. 43), bei der die verschiedenen Materialien themenbezogen zusammengefaßt
wurden. So können sich repräsentative Fantypen und typisches Fanverhalten
herauskristallieren und als Idealtypen im Sinne Max Webers zur Schaffung einer klaren
und anschaulichen Begrifflichkeit verwendet werden (vgl. Weber 1991, S. 82f).
In manchen Punkten werden durch die Darstellung der medialen Texte einerseits und
zahlreicher Fanaussagen andererseits zwangsläufig Redundanzen enstehen. So werden
z.B. die Texte einiger Death Metal-Bands durch Bezugnahme aus unterschiedlichen
Zusammenhängen mehrfach thematisiert. Die Kenntnis der medialen Ausdrucksformen
ist jedoch wichtig, um die Aussagen der Szene-Insider in den jeweils richtigen Kontext
einordnen zu können. Außerdem können sich verschiedene Aspekte eines Phänomens
ergänzen und eine vollständigere und lebensnahere Darstellung der Szenerealität liefern.
2. Zur Geschichte und Entstehung der modernen Rockmusik
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2.1 Ursprünge der Rockmusik
Bevor ich mit dem eigentlichen Thema beginne, halte ich es für sinnvoll, den Lesern
einen Abriß über die Entstehungsgeschichte der modernen Rockmusik zu geben, aus
dem heraus auch die Entwicklung des Metal sowie seiner verschiedenen Ausprägungen
in der gegenwärtigen Musiklandschaft erfaßbar werden.
Sowohl verschiedene Spielarten des Metal als auch Rock- oder Popmusik werden von
der Musikindustrie im weitesten Sinne unter der Sparte „Pop“ zusammengefaßt. Im
Gegensatz dazu stehen z.B. Klassik wie J.S. Bach oder W.A. Mozart u.a., worauf an
dieser Stelle nicht näher eingegangen werden soll. Wichtig ist lediglich, sich für den
restlichen Verlauf der Arbeit auf die Verwendung der Begriffe zu einigen.
Der Begriff „Popmusik“ bedeutet im eigentlichen Sinne nichts anderes als populäre,
massentaugliche Musik ohne hohen künstlerischen Anspruch, die rein der Unterhaltung
dient. Sie wird in der Fachliteratur auch oftmals als „U-Musik“ (Unterhaltungsmusik)
bezeichnet und beinhaltet sämtliche Musikrichtungen vom Schlager, Chanson über
Tanzmusik bis zu den verschiedenen Formen der Rockmusik. Dagegen wird die
Bezeichnung „Rockmusik“ im engeren Sinne für diejenigen Stilrichtungen gebraucht,
die auf dem von Afroamerikanern bereits im 19. Jahrhundert entwickelten Blues
basieren (vgl. Binkowski, S. 103). Diese Definition von Rockmusik wird auch im
weiteren Verlauf der Arbeit beibehalten werden.Wie der Negro Spiritual oder
Gospelsong, die eine Form von (christlicher) geistlicher oder Kirchenmusik darstellen,
entstand auch der Blues oder Worksong als weltliche Variante in der
afroamerikanischen Bevölkerung auf dem Erlebnishintergrund der Sklaverei in den
USA. Der Blues beschäftigt sich dabei mit Themen wie
Armut, sozialer
Ungerechtigkeit, Rassendiskriminierung, aber auch Tod und Unglück im allgemeinen.
Die Grundstimmung ist düster, traurig, melancholisch bis völlig lebensverneinend, aus
der damaligen sozialen Situation der versklavten afroamerikanischen Bevölkerung
jedoch völlig verständlich (vgl. Binkowski, s. 129ff). Wie auch die traditionelle,
„klassische“ europäische Musik kennen Gospelsong und Blues die Mehrstimmigkeit (im
Gegensatz zu anderen in afrikanischen oder sonstigen außereuropäischen Kulturen
entwickelten Formen musikalischer Artikulation), bereichern die klassischen Harmonien
jedoch um sogenannte „blue notes“, messen der instrumentalen und vokalen
Improvisation eine wesentlich größere Bedeutung bei und verstärken das rhythmische
Element, das in der europäischen Tradition eher unterentwickelt ist. In der Mitte dieses
Jahrhunderts hatte sich in US-amerikanischen Großstädten aus der afroamerikanischen
Blues-Tradition heraus der
Rhythm & Blues entwickelt, eine leichtere, auf
Unterhaltung ausgerichtete Ausdrucksform des schwarzen Lebensgefühls. Diese
Musikrichtung stellt gleichsam den Urahn aller heute existierenden Spielarten des Rock
dar und wurde Mitte der Fünfziger Jahre von weißen Amerikanern mit in den
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Rock’n’Roll genommen, der die erste große Jugendrevolution des Post-War-Zeitalters
begleitete und vielleicht sogar mitauslöste. Die junge, damals 15 - 25-jährige Generation
hatte die romantische Schlagermusik der 30er und 40er Jahre satt und wandte sich dem
rhythmusbetonten, impulsiven und lauten Rock’n’Roll zu, dessen große Interpreten und
Stars Bill Haley, Chuck Berry, Little Richard und natürlich Elvis Presley waren. Der im
Vergleich zu den Schlagern und der Tanzmusik der 40er und 50er Jahre revolutionäre
Rock’n’Roll hat sich mittlerweile etabliert und ist spätestens im Zuge der
Nostalgiebewegung seit Mitte der 80er Jahre selbst zum „Klassiker“ geworden.
Darüberhinaus ist der Impuls, der von der Rock’n’Roll-Bewegung ausging, auch heute
noch in den verschiedenen Musikszenen spürbar. So verband der Rock’n’Roll erstmals
bestimmte Formen der musikalischen Ausdruckweise mit einer spezifischen
Lebenseinstellung und Weltanschauung, die bewußt auf einen Generationenkonflikt, auf
die Konfrontation mit dem Establishment ausgerichtet waren und traditionelle Werte
und Normen ablehnten (vgl. Kemmelmeyer/ Nykrin, S. 256f). Seitdem hat sich dieser
Prozeß, meistens von den Vereinigten Staaten oder England ausgehend, mit jeder
musikalischen Erneuerungswelle in mehr oder minder starkem Maße wiederholt und zu
stark veränderten musikalischen Verhaltensweisen von Jugendlichen in den westlichen
Industrienationen geführt (vgl. Wiechell, S. 83). Zwischen Zeitgeschichte und
Rockgeschichte lassen sich Querverbindungen aufzeigen, so stand die Leder-JeansCowboystiefel-Ausstattung der Rock’n’Roller nicht nur für ein verändertes ästhetisches
Empfinden der jungen Generation (mit Vorbildern wie den Hollywood-Schauspielern
James Dean oder Marlon Brando), sondern auch für die Ablehnung des ordentlichen,
sauberen amerikanischen Gesellschaftsideals jener Zeit (vgl. Binkowski, S. 103).
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Graphik 1: Stammbaum der Rockmusik
Quelle: Binowski, S. 102
In Graphik 1 sind in schematischer Form die Entwicklungen der wichtigsten Arten von
Rockmusik auf der Basis von Blues, Folk (ein nicht zu unterschätzendes Element in der
von weißen US-Amerikanern gespielten Musik) und europäischer Klassik dargestellt.
Hierbei wird sogenannte „U-Musik“ mit „E-Musik“ (ernster Musik) oder
„Kunstmusik“unterschieden. Auf viele der hier eingezeichneten Musikrichtungen soll
nicht weiter eingegangen werden, da es sich teilweise um Bezeichnungen handelt, die
keinerlei Aktualität mehr besitzen und nur noch im hiosdtorischen Kontext verwendet
werden.
Wie aus der Graphik 1 ersichtlich, haben sich aus dem Blues Rock, eine Richtung, die
kompositorische Elemente des Blues mit der Lautstärke und Energie des Rock’n’Roll
auf elektrisch verzerrten Instrumenten (E-Gitarre, E-Baß, lautes Schlagzeug) verband,
ab ca. 1970 der Hard Rock und später der Heavy Metal, für dessen frühes
Entwicklungsstadium auch die Bezeichnungen Heavy Metal Rock oder Heavy Rock
gebraucht werden, herausgebildet.
Damit beginnt die Phase, die für die Herausbildung der Death und Black Metal-Szene
von Bedeutung ist.
2.2 Zur historischen Entwicklung des Heavy Metal
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Die Ursprünge jeder Art von Rockmusik, die im weitesten Sinne zum Heavy Metal
zählt, liegen bei der Band Black Sabbath aus England, die sich bereits 1969 Jahre
gründete und seit ihren großen Erfolgen in den Siebzigern Kultstatus genießt. Diese und
andere Gruppen, die damals auch als Hardrock oder Heavy Rock bezeichnet wurden,
wie Deep Purple, AC/DC, Led Zeppelin oder Aerosmith, experimentierten bereits mit
extrem verzerrten E-Gitarren und kreierten so den für Hardrock und frühen Heavy Metal
typischen Klang. Seit Mitte der Siebziger Jahre bestimmten auch Bands wie Judas
Priest, Motörhead, später Mercyful Fate, Manowar, Accept oder Savatage - um nur
einige wenige zu nennen - die „klassische“ Metal-Szene.
Mittendrin schlug mit der „New Wave of British Heavy Metal“ (NWoBH), die 1979
von der Untergrund-Metalszene Großbritanniens ausging, dann die Geburtsstunde des
„modernen“ Metal. Von vielen Szenekennern wird die NWoBHM als die erste und
einzige „Revolution“ im sich sonst immer auf Traditionen berufenden Heavy Metal
angesehen. Die NWoBHM holte Metal zurück auf die Straße, nachdem Bands wie
Black Sabbath Millionen von Platten verkauften, entsprechende Hallen füllten und von
vielen Fans als zu kommerziell erachtet wurden (vgl. Moder et al, S. 6f).
Seitdem hat die NWoBHM alles beeinflußt, was sich in der Metal-Szene entwickelt hat,
einschließlich der Death und Black Metal-Wellen.
Die ersten Alben, die schon als Black Metal und z.T. als Vorläufer des Death Metal
bezeichnet werden können, kamen bereits ab 1982 auf den Markt, als die Heavy MetalSzene weniger ausdifferenziert war. Es handelt sich hierbei um das Album „Welcome to
Hell“ der (für damalige Verhältnisse) Krawallcombo Venom aus England, die von
vielen als zur NWoBHM zugehörig gesehen wird.
Zunächst erfuhr diese Veröffentlichung nicht gerade sehr viel Beachtung, denn in den
darauffolgenden Jahren wurde erst einmal eine andere Metal-Welle populär: der Speed
und Thrash aus USA, besonders Metallica, Slayer, Testament oder Exodus. In der
Zwischenzeit veröffentlichten Venom in Europa weiterhin Platten, gefolgt von Bands
wie Hellhammer oder Sodom, die auch zum europäischen Thrash zählen - zusammen
mit Bands wie Kreator oder Destruction. Der stilmäßige Durchbruch für den Ur-Death
kam mit Hellhammers Nachfolgeband (Schweiz) - Celtic Frost, die heute noch
Kultstatus genießt. Darauf hin gründeten sich auch in USA Death Metal-Bands, allen
voran Death, deren Debut 1987 „Scream Bloody Gore“ musikalisch und textlich genau
das enthielt, was auch heutzutage unter Death Metal verstanden wird. Weitere Bands
folgten (1988-1990), so Massacre, Terrorizer, Morbid Angel und Obituary aus USA, die
dem Death Metal zum Erfolg verhalfen. Gleichzeitig kamen sowohl aus England mit
Bolt Thrower und Napalm Death als auch aus Schweden mit Grave, Unleashed,
Entombed und Dismember neue Impulse (vgl. Frank Albrecht im Rock Hard Death
Metal-Sonderheft, 1992, S. 5ff). Die meisten dieser Bands existieren heute noch,
obwohl sie 1996 nicht mehr so „im Trend“ liegen wie 1992. Ab 1994 entstanden immer
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mehr Varianten von Death Metal, die von sehr unterschiedlichen nicht-metallischen
musikalischen Elementen geprägt wurden und werden.
Obwohl Black Metal die gleichen Wurzeln wie Death Metal hat, nämlich die Musik von
Bands wie Venom oder Hellhammer, entwickelte es sich von Anfang an in sehr kleinen
Fan-Gemeinden abseits der erfolgreicheren Metal-Varianten zu einem eigenständigen
Subgenre. Eine weitere bedeutende Band, die die meisten der heutzutage existierenden
(besonders skandinavischen) Black Metal-Bands stark beeinflußt hat, ist Bathory aus
Schweden.
Desweiteren steht „Metal“ abgesehen von seiner historischen Entwicklung auch heute
nicht für eine homogene Musikrichtung, sondern läßt sich in viele Unterbereiche
aufgliedern, von denen sich einige mit benachbarten Stilrichtungen überschneiden. Die
wichtigsten bzw. diejenigen Bezeichnungen für Stilrichtungen innerhalb des Metal,
worüber sich die meisten in der Szene hinsichtlich ihrer Verwendung und ihres Inhalts
einigermaßen einig sind, sind in folgendem Schema dargestellt:
Graphik 2: Verschiedene Stilrichtungen innerhalb der Metal-Szene
Quelle: Eigene Darstellung
Ergänzend soll eine kurze Erläuterung zu den verschiedenen Stilrichtungen gegeben
werden:
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Hard Rock:
Ende der 60er/ Anfang der 70er Jahre entstandene Variante des Rock mit verzerrten EGitarren, Standardinstrumentation: E-Gitarre, E-Bassgitarre, Schlagzeug, Gesang, evtl.
Keyboard.
Heavy Metal:
Erweitert gegenüber dem Hardrock die Möglichkeiten zum Einsatz der (stärker)
verzerrten E-Gitarren, Black Sabbath erfinden die „Riffs“: besondere Technik beim
Spielen der E-Gitarre, bei dem eine Abfolge von Tönen gegriffen (angeschlagen, nicht
gezupft) wird und der Klang nicht verhallt, sondern gedämpft wird, sodaß ein dem
Streichorchester ähnlicher Effekt langgezogener Töne entsteht. Hinzu kommt eine stark
betonte Rhythmussektion (Bass und Schlagzeug).
Speed Metal:
Grundsätzlich ähnlich wie Heavy Metal aufgebaut, aber härtere (stärker verzerrte)
Gitarren, durchgehend sehr schnelles Grundtempo, Gesang wird oft durch Geschrei in
meist hoher Tonlage ersetzt.
Doom Metal:
Langsamer als Heavy Metal, schwere Riffs, düstere Wirkung.
Thrash Metal:
Wesentlich härtere Gitarren und Beats als beim Heavy Metal, oft schreiende, verzerrte
Vocals, mittelschnelle bis sehr schnelle Rhythmen, oftmals fehlende oder nur
angedeutete Melodielinie (teilweise Einflüsse aus dem Punk- und Hardcorebereich).
Zur Charakterisierung von Death und Black Metal siehe Punkt 4.1.1.
2.3 Exkurs: Das aktuelle Panorama der verschiedenen Musikszenen
Um die Einordnung der Metal-Szene, speziell der Death Metal-Szene, in das Panorama
aktueller Musikrichtungen zu erleichtern, wird im folgenden ein kurzer Überblick über
die Musikszenen gegeben.
Die meisten dieser Musikrichtungen, die auch irreführenderweise unter dem sehr
elastischen Oberbegriff „Pop“ zusammengefaßt werden, spielen vor allem - aber nicht
ausschließlich - für Jugendliche eine wichtige Rolle: „Nach wie vor gehört diese Musik
in erster Linie der Jugend - auch wenn sogar 50jährige ‘Ein schöööner Tag’ summen.
Für die Jugend ist Pop traditionell mehr als bloß nette Musik, die man hin und wieder
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mitträllert. Pop - in seiner gesamten Bandbreite von Rock, Punk, und Heavy Metal über
Soul und Reggae bis zu Dancefloor und HipHop ist seit den 50er Jahren das
Nonplusultra der Jugendkultur“ (Janke/ Niehus, S. 53f). Einen kleinen Überblick über
die verschiedenen (wichtigsten) Musikstile, die die Poplandschaft maßgeblich prägen,
gibt Graphik 3:
Graphik 3: Aktuelle Musikrichtungen
Quelle: Eigene Darstellung
Es ist auffällig, daß, obwohl der westlichen postindustriellen Gesellschaft ein starker
Trend zur kulturellen Vereinheitlichung nachgesagt wird, besonders im Bereich der
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Popkultur durch globale Sender wie MTV, sich gerade hier eine ungeheure
divergierende Vielfalt an musikalischen Spezialkulturen findet, die oft miteinander in
irgendeinem Zusammenhang stehen (z.B. gemeinsame Ursprünge haben), aber sich
dennoch sehr unterschiedlich entwickelt haben. Die Anzahl und die Auswahl der
verschiedenen Musikstile ist natürlich Definitionssache, aus einer Befragung von an
Popmusik interessierten Jugendlichen würden wahrscheinlich mindestens ebensoviele
Meinungen resultieren wie befragte Kandidaten.
Dennoch soll ein Versuch unternommen werden, eine Kurzcharakterisierung der
aktuellen musikalischen Stilrichtungen zu geben (vgl. Janke/ Niehus, S. 59ff):
Mainstream (Pop/ Rock/ Dancefloor):
Radiotaugliche Popmusik im weitesten Sinne, die von einer großen Anzahl Menschen
gehört wird und dementsprechend viele verkaufte Tonträger bzw. Hitparadenplätze
aufweist.
Alternative:
Moderne (90er) Spielart des Hardrockmit depressiver oder wütender Grundstimmung.
Independent:
Sammelbegriff für alle Rock- und Pop-Musik, die mit einem bewußt antikommerziellen
Anspruch auftritt.
Gothic:
Atmosphärische und/ oder düstere Variante von Rock und Pop, manchmal mit
klassicher Rockband-Besetzung, manchmal mit elektronischen (mit Synthesizern
erzeugten) Klängen.
Industrial:
Oberbegriff für alle Mischungen aus Noise (Krach), z.T. mit verzerrten E-Gitarren, und
elektronischen Elementen.
EBM (Electronic Body Music)/ Elektro:
Am Computer oder Synthesizer überwiegend für den Dancefloor komponierte Musik,
die atmosphärische und düstere Meodien/ Samples mit harten elektronischen Beats
kombiniert.
Techno:
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Durch Computer erzeugte Musik, die nur für den Dancefloor komponiert wird. Kaum
Melodien oder Vocals, überwiegend rhythmisch kombinierte elektronische Sounds in
allen Variationen und Tempi.
House:
Am Computer hergestellte Dancefloormusik, im Unterschied zu Techno mit
afroamerikanisch beeinflußten Rhythmen, oft mit Gesang.
Reggae:
Tanzmusik aus Jamaika, die auf dem zweiten Schlag betont wird. Verbindet
afrikanische Rhythmuselemente mit Karibik-Folklore.
Raggamuffin:
Verbindung von schnellen Reggae-Rhythmen und HipHop-ähnlichem Sprechgesang,
„Toasting“ genannt.
TripHop:
Reggaebeeinflußte, vor sich hinplätschernde („Dub“-orientierte) Musik zum „Relaxen“
und lansamem Tanzen.
Soul/Funk:
Kommerzielle afroamerikanische Musik der späten Sechziger und Siebziger Jahre. Mit
Soul ist meist sehr ausdruckstarker, melodischer Gesang verbunden, mit Funk lockere,
zum Tanzen animierende Rhythmen.
Rap/ HipHop:
Ursprünglich die Musik der in den Ghettos lebenden Afroamerikaner in den USA.
Dabei wird Sprechgesang, der sogennante Rap (= Rhythmic American Poetry), mit
synthetischen, teilweise sehr harten Rhythmen unterlegt. Melodien spielen keine große
Rolle.
Crossover:
Afroamerikanische HipHop-Rhythmen, „gekreuzt“ mit den verzerrten E-GitarrenKlängen aus Metal und Hardcore.
Hardcore:
Ähnlich wie Punk, aber weniger eingängig, mit wütendem, aggressiven Geschrei und
hartem Gitarren- und Bass-Sound.
Punk:
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3-Akkorde-Musik mit verzerrten E-Gitarren, schnell, eingängig und mit Refrains zum
Mitsingen.
Nicht jeder Musikstil zieht automatisch die Entstehung einer eigenständigen Szene oder
Fankultur mit sich. Das trifft besonders für die sogenannten „massentauglichen“
Musikrichtungen zu, die oftmals ursprünglich aus dem Umfeld einer
Untergrundbewegung heraus entstanden sind.
Nach einer Phase der politisch-gesellschaftlichen oder ästhetischen Rebellion verpufft
die „Schockwirkung“ einer bestimmten Musikrichtung für den durchschnittlichen
Hörer, und die einstmals avantgardistischen Einflüsse gehen in der Mainstreamkultur
auf. Die weltweit führenden multinationalen Tonträgerfirmen und Medien greifen den
Trend auf und nehmen oft ehemalige Außenseiterbands unter Vertrag.
Dies ist z. B. beim sogenannten Alternative Rock oder Grunge passiert, deren
bekannteste
Vertreter die Band Nirvana aus Seattle/USA sein dürfte. Die
„Unkommerzialität“ und rauhe Ursprünglichkeit dieser Musik wurden so geschickt
vermarktet, daß innerhalb kürzester Zeit Millionen von Tonträgern dieser Band über die
Ladentische gingen und großen Teilen der jugendlichen „Alleshörer“, unterstützt durch
ständige Präsenz in Radio- und Fernsehsendungen, diese Musikrichtung, insbesondere
die Band Nirvana, ein Begriff wurde (vgl. Janke/ Niehus, S. 64f).
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3. Medien als Kristallisationspunkte von Fankulturen und Szenen
3.1 Strukturwandel der Gesellschaft und Individualisierung
Über das Phänomen der „Moderne“ wird sowohl in Philosophie als auch in Geschichtsund Sozialwissenschaften heftig diskutiert, vor allem, woran man den Beginn der
Moderne festmachen könne und „ob es überhaupt einen kategorial bestimmbare
deutliche Kluft gibt, die die Moderne von früheren Epochen trennt“ (Hahn 1984, S.
178). Unbestritten ist wohl, daß es auch zwischen vorangegangenen geschichtlichen
Epochen radikale Schnitte gab, so etwa von der Phase der Jäger und Sammler oder auch
der Nomaden zur Seßhaftwerdung und zum Ackerbau. Ebenso traten viele Merkmale
der Moderne in früheren Epochen schon auf, allerdings nicht „als Massenerscheinung und darauf kommt es an“ (Max Weber 1986, S. 42). Außerdem übertrifft die
Geschwindigkeit, mit der seit Beginn der industriellen Revolution Veränderungen
sowohl im technologischen als auch im gesellschaftlichen Bereich stattfinden, alles, was
bisher aus historischer Zeit bekannt ist.
Modernisierung bezieht sich typischerweise weiterhin auf alle Lebensbereiche. Max
Weber führt diesen Strukturwandel auf eine umfassende Rationalisierung zurück, die
sich (verkürzt gesagt) sowohl im öffentlich-staatlichem (z. B. Berufsbeamtentum) als
auch im privaten Sektor (asketische Lebensführung) niederschlägt und letztlich in der
Entstehung des modernen Kapitalismus mündet (vgl. Weber 1986, S. 11).
Die Moderne ist durch ein hohes Maß an struktureller und funktionaler Differenzierung
gekennzeichnet, was dazu führt, daß die Individuen ihre Verankerung in ihrer
ursprünglichen Gruppe (Stamm, gesellschaftliche Schicht) verlieren. (vgl. Hahn 1986,
S. 215). Dieser Strukturwandel bringt eine Tendenz zur Individualisierung mit sich, die
bereits mit Beginn der Moderne einsetzt, aber nach Beck (1986) vor allem in der
zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts entscheidenden Einfluß gewinnt: „Modernisierung
führt nicht nur zur Herausbildung einer modernen Staatsgewalt, zu
Kapitalkonzentrationen und einem immer feinkörnigerem Geflecht von Arbeitsteilungen
und Marktbeziehungen, zu Mobilität, Massenkonsum usw., sondern eben auch - und
damit sind wir bei dem allgemeinen Modell - zu einer dreifachen Individualisierung“
(Beck, S. 206). Individualisierungsprozesse haben nach Beck eine Schlüsselfunktion in
der Nachkriegsgeschichte der Bundesrepublik Deutschland, die sich gegenwärtig in
einer Umbruchsphase befindet, nämlich auf dem Weg von der Mangelgesellschaft in die
Risikogesellschaft (vgl. Beck, S. 27) lassen sich aber auch auf andere moderne westliche
Gesellschaften übertragen. Die von ihm postulierten drei Dimensionen der
Individualisierung charakterisiert Beck folgendermaßen: „Herauslösung aus historisch
vorgegebenen Sozialformen und -bindungen im Sinne traditionaler Herrschafts-und
Versorgungszusammenhänge (‘Freisetzungsdimension’), Verluste von traditionalen
Sicherheiten im Hinblick auf Handlungsweisen, Glauben und leitende Normen
17
(‘Entzauberungsdimension’) und - womit die Bedeutung des Begriffes gleichsam in ihr
Gegenteil verkehrt wird - eine neue Art der sozialen Einbindung (‘Kontroll- und
Integrationsdimension’)“ (Beck, S. 206). Dabei kann Individualisierung nicht bloß als
Herausbildung individualisierter Lebensstile aufgefaßt werden, sondern steht für eine
„Veränderung von Lebenslagen“, was insbesondere im Hinblick auf die
Reintegrationsfunktion von Bedeutung ist. Historisch betrachtet begann der
Individualisierungsschub, auf den Beck sich bezieht, mit der Neuordnung der
(west)deutschen Gesellschaft nach dem Zweiten Weltkrieg, hatte seinen Vorläufer aber
in der Herauslösung des Individuums aus dem ständisch geprägten Klassensystem
bereits zur Jahrhundertwende, einer Entwicklung, die sich mit der Auflösung des
proletarischen Milieus, der Entstehung großstädtischer Zentren und schließlich der
Umstrukturierung zur Dienstleistungsgesellschaft fortsetzte. Eine besondere Rolle
kommt dabei der emanzipatorischen Frauenbewegung, deren Ursprünge bereits im 19.
Jahrhundert liegen, die aber erst in den Sechziger Jahren dieses Jahrhunderts politische
Durchschlagskraft erreichte, zu. „Die Frauen werden aus der Eheversorgung - dem
materiellen Eckpfeiler der traditionellen Hausfrauenexistenz - freigesetzt“ (Beck, S.
208). Damit können Frauen in bisher nicht gekanntem Maße ihre Biographie selbst
gestalten und dabei auch in traditionell Männern vorbehaltene Berufe vordringen. Unter
anderem durch diese Loslösung der Frau von der traditionellen Hausfrauenrolle als
einziger Möglichkeit, ihr Leben zu gestalten, hält der gesellschaftliche Wandel auch in
Kleingruppenstrukturen Einzug, so auch in die Familie als „letztem stabilem
Bezugsrahmen“ (Beck). Das zeigt sich an dem Infragestellen der Ehe als QuasiNotwendigkeit und heiliger Institution, wie die gegenüber der ersten Jahrhunderthälfte
gestiegenen Zahlen von Scheidungen einerseits und Singles andererseits beweisen und
an radikal veränderten Vorstellungen von dem, was Familie leisten kann und soll, wenn
beispielsweise Forderungen nach der Möglichkeit zur Erziehung von Kindern durch
homosexuelle Partner laut werden. „Der oder die einzelne selbst wird zur
lebensweltlichen Reproduktionseinheit des Sozialen“ (Beck, S. 209). Dennoch folgt aus
der Individualisierung in letzter Konsequenz durch den Zerfall sämtlicher Strukturen
nicht ein gleichsam anomischer Zustand. Ebensowenig wird dem Klischee sozialer
Isolierung des Individuums Genüge getan (vgl. Charlton/ Neumann-Braun, S. 109).
Vielmehr formuliert Beck als weitere Konsequenz der Industrialisierung eine
Standardisierung der Individuen, insbesondere durch das Programm der Massenmedien.
Aus dieser Perspektive gesehen könnte man diese Entwicklung mit Blick auf die
Massenmedien auch mit Habermas den Weg von einem „kulturräsonierenden zum
kulturkonsumierenden Publikum“ (Habermas, S. 93) nennen. An die Stelle der
bürgerlichen Bildung tritt Berieselung durch die Konsumindustrie. Diese greift die
„niedere Unterhaltung von einst“ (Adorno, S. 32) auf und verfielfältigt sie zum
Massenprodukt, das als Kunst verkauft wird, aber in Wirklichkeit diese Bezeichnung
nicht verdient, und noch mehr: die zu einer „Entkunstung der Kunst“ (Adorno, ebd.)
18
führt. Es bleibt jedoch die Frage bestehen, ob die Konsequenzen des Strukturwandels
und des Fortschritts der Kommunikations- und Informationstechnologie tatsächlich als
„Instrumente zur Totalisierung einer entpolitisierten Öffentlichkeit“ (Dröge, S. 77)
bezeichnet werden können und eine „Gleichschaltung“ der gesellschaftlichen,
kulturellen und künstlerischen Aktivitäten bedeuten (vgl. Baacke 1991, S. 340). Daß die
moderne - im Sinne von gegenwärtiger - Massenkommunikation in der Tat eine
bedeutende Rolle bei der Neuordnung und Neustrukturierung sozialer Gefüge in der
heutigen Gesellschaft spielt, ist jedoch unbestritten.
3.2 Szenen als neuer Modus der Vergesellschaftung
Gesellschaftliche Strukturen zielen immer auch auf eine Reduktion der Komplexität der
Welt ab. Handelnde Individuen benötigen eine Sicherheit bezüglich des Verhaltens und
der Absichten anderer, eine Reduktion der Interpretationsmöglichkeiten des Verhaltens
ihrer Mitakteure. Deswegen entstehen auch in stark individualisierten Gesellschaften im
Sinne von Beck Mechanismen, die an die Stelle der sogenannten traditionalen
Sicherheiten wie ständisch organisierter Gesellschaft, starker staatlicher Autorität und
einem religiös geprägten Moral-und Wertesystem treten. Die wuchernde Komplexiät
muß durch neue Formen der Ordnung reduziert werden: „Die enorme Verdichtung von
Erlebnisangeboten stiftet ständig neue Verwirrung. Im raschen Pulsieren
alltagsästhetischer Episoden verlören die Erlebniskonsumenten immer mehr den
Überblick, würde diese wuchernde Komplexität nicht durch neue Formen der Ordnung
reduziert“ (Schulze, S. 464).
Schulze verwendet zwei Begriffe, um die neu aufkommenden Ordnungsstrukturen in der
stark individualisierten Gesellschaft des ausgehenden 20. Jahrhunderts zu beleuchten:
Publikum und Szene.
Unter einem Publikum versteht Schulze Menschen, die das gleiche Erlebnisangebot
konsumieren, ein „Personenkollektiv, das durch den gleichzeitigen Konsum eines
bestimmten Erlebnisangebotes konstitutiert wird“ (Schulze, S. 743), wobei es
charakteristisch ist, daß sie es nicht miteinander, sondern nebeneinander konsumieren.
Das kann sich z.B. um eine Gruppe von Leuten handeln, die sich im gleichen Kinosaal
einen Film ansehen, im gleichen Modegeschäft einkaufen oder die gleiche Frisur tragen.
„Wegen der unterschiedliche zeitlichen Ausdehnung der publikumsrelevanten Phase
von Erlebnisangeboten kommt es unvermeidlich zur Kumulation von
Publikumszugehörigkeiten, Die Besucher einer Diskothek sind nicht einfach nur
Diskothekenpublikum, sondern gleichzeitig Konsumenten von Kleidung, Schmuck,
Musik, Autos, Zigaretten, Getränken, Möbeln und anderem“ (Schulze, S. 461). Die
Industrialisierung der Erlebnisproduktion (insbesondere die Massenmedien) haben es
ermöglicht, daß die einzelnen Teilnehmer an einem Erlebnisangebot nicht zwangsläufig
19
mehr miteinander kommunizieren, ja sich nicht einmal kennen müssen, so zum Beispiel
bei der Publikumszugehörigkeit „Zuschauer der Tagesschau“.
Bei einer Szene verdichtet sich das soziale Kommunikationsnetz wieder, es muß eine
Zusammenarbeit von Publikum und Erlebnisanbietern gegeben sein. „Aus meist
unklaren Anfängen heraus entwickeln sich prägnante atmosphärische Charakteristika,
auf die sich nach einem kollektiven Lernprozeß beide Seiten einstellen: die Anbieter
durch die Bereitstellung der Opportunitässtrukturen zur Erzeugung einer bestimmten
Atmosphäre (Raumaufteilung, Beleuchtung, akustischer Hintergrund, Programmangebot
u.a.), so werden je nach erwartetem Publikum die Hintergründe anders gestaltet (vgl.
Winter/ Eckert, S. 66), die Nachfrager durch selektiven Besuch eines bestimmten
Ensembles von Einrichtungen, die dadurch atmosphärisch miteinander verbunden
werden wie durch ein System kommunizierender Röhren“ (Schulze, S. 465). Dabei
bezieht sich Schulze, wenn er von einer Szene spricht, immer auf eine physikalisch
greifbare Lokalität, wie etwa Kneipen, Restaurants, Kinos usw. Wie aber noch zu zeigen
sein wird, sind „Szenelokale“ zwar fast immer fester Bestandteil einer Szene, aber nicht
unbedingt der Mittelpunkt. Teile des bereits angesprochenen industriell gefertigten
Massen-Erlebnisangebots, das den überall verfügbaren anonymen Massenkonsum erst
ermöglicht, kann selbst in den Mittelpunkt von Szenen rücken. So verlagert sich bei
medialen Szene der Schwerpunkt von Lokalen auf massenmediale Konsumgüter.
Dennoch bleiben die Grundzüge, wie Anbieter (von Erlebnisangeboten) und
Erlebnisnachfrager eine Szene „erarbeiten“, sehr ähnlich. „Wenn die ästhetische
Schematisierung einer Szene einmal kollektiv erarbeitet ist, führt das Zusammenspiel
der Rationalitäten von Anbietern und Nachfragern zu ihrer langfristigen Stabilisierung“
(Schulze, ebd.). Beim Publikum bildet sich eine bestimmte Erwartungshaltung heraus,
bei den Anbietern wird ein „Produktionsprogramm“ erstellt, das die Generierung eines
bestimmtes Images miteinschließt. Die einzelnen Anbieter erstellen somit auch Codes,
die nur für ein bestimmtes Zielpublikum verständlich sind und Gültigkeit besitzen.
Auch durch die Benutzung spezifischer Kanäle, um Werbung für ihr Erlebnisangebot zu
machen, können die Anbieter sichergehen, daß ihr Angebot das richtige Zielpublikum
erreicht.
Außerdem werden erwünschte Verhaltensmuster, die innerhalb einer Szene Gültigkeit
haben sollen, festgelegt.
Szenen als Sammelbecken von Individuen mit gleichen oder ähnlichen Konsum- und
Erlebnispräferenzen werden somit in einer Gesellschaft mit stark individualisierten
Lebensstilen und -biographien zum neuen Modus der Vergesellschaftung, zum
Orientierungsschema für die Individuen und führen somit zur Reduktion der
Komplexität im Alltag.
3.3 Medien im Mittelpunkt von Fankulturen und Szenen
20
Wie im vorangegangenen Abschnitt dargelegt, spielen Szenen eine wichtige Rolle im
Leben des Menschen in den Industrienationen des ausgehenden 20. Jahrhunderts.
Doch abgesehen davon, daß eine Szene im Sinne von Schulze sich auf ein Netzwerk
von Lokalitäten bezieht, die von Mitgliedern einer bestimmten Szene, die einen
gemeinsamen Lebensstil entwickelt haben, frequentiert werden, entwickeln mediale
Szenen weitere besondere Eigenschaften. Zum einen sind die „Szeneanbieter“ nicht
gleichzusetzen mit Kneipen- oder Diskothekenbetreibern, zum anderen ist es fraglich,
ob zwischen „Anbietern“ und „Nachfragern“ überhaupt scharf getrennt werden kann. In
diesem Sinne erfahren Szenen, deren Mitglieder sich durch den Konsum und die
Rezeption bestimmter massenmedialer Texte definieren, sowohl eine Globalisierung als
auch eine interne Umstrukturierung.
Auch ihre Rolle in der kulturellen Landschaft der Gesamtgesellschaft wird neu definiert.
Solche Szenen stellen Nischen für spezialisierte Bedürfnisse und Interessen dar.
Individuen, die sich in diesen kulturellen Nischen aufhalten, werden als Fans (von
englisch „fanatic“ abgeleitet), bezeichnet. Laut Konversationslexikon ist ein Fan
„jemand, der sich leidenschaftlich für etwas begeistert“ (dtv-Brockhaus, S. 223, Sp.2),
doch oft schwingt bei diesem Begriff eine negative Konnotation mit, Fans sind nach
gängigen Vorstellungen „obsessive, ‘lobotomisierte’ Anhänger der Massenkultur, die
sich alles kaufen und konsumieren, was mit ihrem von der Kulturindustrie gesteuerten
Interesse zusammenhängt“ (Winter 1995, S. 129). Das „Objekt der Begierde“ der Fans
medial produzierter Texte können Fernsehserien, Filmgenres oder einzelne Filme,
musikalische Stilrichtungen oder bestimmte Künstler sein. Entgegen der Vorstellung der
von der Kulturindustrie gesteuerten Interessen und Konsumgewohnheiten der Fans sind
es aber nicht nur - und gerade nicht - die Kulturgüter des Massengeschmacks, um die
herum sich ein ausgeprägtes Fandom bildet, auch wenn die Vermittlung auf
massenmedialem Wege erfolgt.
Solche um durch Massenmedien wie Fernsehen, Video oder Tonträger kreierte Texte
herum kristallisierten Fankulturen sind schon mehrfach thematisiert worden, so von
Eckert et al. 1990 am Beispiel der Fankulturen von Horror- und Pornofans, für die die
entsprechenden Videos zum Mittelpunkt ihrer Sozialwelt werden. Auf die Lebenswelt
besonders jugendlicher Horror-Video-Fans geht „Jugendliche Videocliquen“
(Vogelgesang 1991) ein, „Der produktive Zuschauer“ (Winter 1995) behandelt eher
cineastisch ausgerichtete Horrorfans jeden Alters und Anhänger trivialkultureller
Medientexte (Lindenstraße, Star Trek) im Allgemeinen.
Neben dem Übertreten lokal bedingter Szenegrenzen weisen die Ergebnisse o.g.
Untersuchungen auf die Vermischung hochkultureller und massenkultureller Elemente
(vgl. Winter 1995, S. 43), ein eigenes Kommunikationsnetz (vgl. Vogelgesang/ Winter
1990) und differenzierte Rezeption und Aneignung der medialen Texte durch die Fans
21
(vgl. Eckert/ Vogelgesang/ Wetzstein/ Winter 1990: „Von der Medienmarionette zum
aktiven Rezipienten“, S. 26) hin.
Die Überlokaliät medialer Szenen erscheint einleuchtend. Das Fernehprogramm z.B. ist
in der ganzen Bundesrepublik, bis auf einige wenige regionale Besonderheiten, nahezu
identisch, viele Serien und Spielfilme werden auch in anderen Ländern im Fernsehen
gezeigt; die meisten Tonträger und Videocassetten sind auf der ganzen Welt erhältlich
(notfalls über spezielle Importwege, was zu dem faneigenen Kommunikationsnetz
überleitet), also haben alle Fans fast gleichen Zugang zu allen medialen Texten. Das
Kommunikationsnetz bezieht sich auf Informationsmedien, Kommunikationskanäle
sowie -codes und Rahmung, die für jede Fankultur (Horror, Porno, Science Fiction,
Metal...) eine jeweils eigene Ausprägung besitzen (vgl. Vogelgesang/ Winter 1990, S.
43). Schließlich ergibt sich aus der Erforschung der Fankulturen, daß die Fans solcher
medialen Texte (entgegen weit verbreiteter Vorstellungen und der bereits
angesprochenen Skepsis gegenüber der Massenkommunikation einger Kulturkritiker)
sich offensichtlich nicht einfach berieseln lassen, sondern vielfältige Mehtoden zur
Auseinandersetzung mit Medieninhalten entwickeln und zu regelrechten Experten auf
ihrem jeweiligen Spezialgebiet (z.B. Horrorvideos) werden. „Damit treten wir auch der
in bestimmten Kreisen der Kulturkritik immer noch verbreiteten Überzeugung entgegen,
Kommunikationsmedien seien die großen kulturellen Gleichmacher oder gar die
Produzenten einer farblos-eindimensionalen Massenkultur. Im Gegenteil, ihre rasche
Diffusion und Diversifikation erweitert den bereits hochspezialisierten Freizeitbereich
um neue medialkulturelle Sonderwelten und schafft damit gleichsam eine Börse für
vielfältige individuelle Interessen, Selbstdefinitionen und Stilbildungen“ (Eckert et al.
1990, S. 31f.).
3.4 Die Bedeutung jugendlicher Fans für mediale Szenen
Der Strukturwandel der Gesellschaft, der in Punkt 3.1 thematisiert wird, läßt sich
anhand einzelner Beispiele konkretisieren und veranschaulichen. So schlagen sich
Veränderungen in der gesellschaftlichen Struktur in nicht unerheblichem Maße im
Verständnis vom Lebensabschnitt der Jugend und im Lebensstil der Jugendlichen
nieder. Gerade zu den als Nischen in der Gesellschaft bezeichneten Szenen und
Fandoms, besonders zu den um mediale Texte zentrierte, zeigen Jugendliche eine
extrem hohe Affinität.
Der Begriff der „Jugendlichen“ an sich hat in den letzten Jahrzehnten eine Wandlung
durchgemacht: die Zeitspanne der Jugend zieht sich zeitlich in die Länge, die Jugend
fängt früher an und hört später auf (vgl. Vogelgesang 1994 S. 9f), was eine
grundlegende Veränderung der gesellschaftlichen Biographiemuster zur Folge hat. An
dieser Stelle soll nicht näher auf die strukturellen Veränderungen der Jugendzeit und der
22
Position der Jugend in der heutigen Gesellschaft eingegangen werden, es genügt, einen
Punkt näher zu beleuchten, der den Bogen zurück zu den Medienkonsumenten und den
medialen Szenen schlägt: Der Verhältnis von Jugendlichen zu den modernen
Massenmedien. Denn obwohl es falsch wäre, „die“ Jugend als homogene Einheit zu
betrachten, da sich die sogenannten Jugendkulturen, die eine Vielzahl unterschiedlicher
Lebensstile (die sich nicht nur aus dem verhalten gegenünber den Medien definieren)
beinhalten, in den letzten Jahren stark vermehrt haben (vgl. Vogelgesang 1994, S. 2),
kann eine wichtige Beobachtung des Umgangs Jugendlicher mit Medien festgehalten
werden: Jugendliche sind besonders intensive Medienkonumenten. „Auch Freizeit,
Medien und Konsum werden immer mehr zu wichtigen Lebensbereichen - um nicht zu
sagen: Domänen - der Jugendlichen“ (Vogelgesang 1994, S. 10).
89,3 % aller Jugendlichen haben ein eigenes Radio, 58,9 % einen eigenen Fernseher,
80,9 % einen Casettenrecorder, über 50 % eine Stereoanlage (vgl. Charlton/ NeumannBraun, S.16), aber auch „Zeitschriften, Bücher, Kino sind aus dem Medienalltag der
Heranwachsenden nicht mehr wegzudenken“ (Vogelgesang 1994, S. 12f). Am weitesten
vorne liegen also auditive Medien (vgl. auch Baacke 1988, S. 21), der Trend scheint
sich jedoch in Richtung Computer (besonders in den Bereichen Internet und
Multimedia-Anwendungen) und interaktive elektronische Spiele zu verschieben.
Graphik 4: Persönlicher Medienbesitz Jugendlicher (Angaben in %)
Quelle: Eigene Darstellung nach Charlton/ Neumann-Braun, S. 16
23
Weitaus geringere Chancen werden aktuellen Innovationen wie dem digitalen Fernsehen
(Pay-per-View, Video-on-Demand) vorausgesagt.
Da wundert es nicht, daß sich medial fokussierte Szenen zum großen Teil aus
Jugendlichen/ jungen Leuten im Alter zwischen 14 und 25 Jahren rekrutieren.
Jugendliche eignen sich im Umgang mit Medien und medialen Texten besondere
Kompetenzen an, die die der Erwachsenen oft übertreffen; insofern sind sie keine
„ferngesteuerten Medienopfer“ (Vogelgesang 1994, S. 13), sondern sie wissen was sie
tun und selektieren aus dem Medienangebot entsprechend ihren Wünschen und
Bedürfnissen. Besonders die emotionale und (in geringerem Maße) die soziale
Erlebnisdimension der Jugendlichen wird von Medien angesprochen, während die
Schule sich mehr auf den kognitiven und rational gesteuerten Bereich konzentriert.
Somit bieten Medien „ein entschieden umfassenderes Spektrum an Vorstellungswelten
und thematischer Breite an als die Schule“ (Baacke 1988, S. 20). Und obwohl
Jugendliche Medien sehr intensiv und in bewußter Abgrenzung gegenüber der realen
Welt nutzen, sind sie dennoch in der Lage, bei Bedarf in die Alltagsrealität
zurückzuschalten (vgl. Baacke/ Frank/ Radde, S. 91), selbst Kinder beherrschen schon
techniken zur Auseinandersetzung mit medialen Texten (vgl. Charlton/ Mutz, S. 209).
Wie gerade jugendliche Fans mit „ihren“ Medien und medialen Texten umgehen und
wie Medien zum Kristallisationspunkt (überwiegend - aber nicht ausschließlich)
jugendlicher Fankulturen werden, soll in den folgenden Kapiteln anhand der Death und
Black Metal-Fans erläutert werden.
24
4. Der schwarze Musikhabitus: Über die Arten der Aneignung
4.1 Phänomenbeschreibung
„Music is the master emblem of the heavy metal subculture. It is its official raison
d’être. But the apparent centricity of the music is deconstructed when what is meant
by the term ‘the music’ is examined. Is it the sounds, and, if so, which ones or
combinations of them? Is it the lyrics, and, if so, does that mean equating lyrics with
poetry? Is it the visual elements that have always accompanied the sounds, such as
album covers, stage settings, and music videos? Finally, does the music include the
memories of the social relations that it seems to nurture? With reservations, all of
these questions can be answered affirmatively. ‘The music’ is a bricolage“
(Weinstein, S. 121).
„For the heavy metal subculture the sonic elements of the music take precedence
over its textual, visual or social components“ (Weinstein, S. 122).
Als Einführung in die Sozialwelt des Death und Black Metal dient demzufolge eine
kurze Phänomenbeschreibung der Musik; aber auch die Texte, Bilder und Symbole
sollen vorgestellt werden, denn das erste, dem man sich als teilnehmender Beobachter
der Death und Black Metal-Szene aussetzen sollte, ist die Musik selbst, in erster Linie
als akustisches Phänomen aufzufassen. Auch eine gewisse Vertrautheit mit
verschiedenen Bands sowie textlichen und visuellen Phänomenen, die meist außerhalb
der (all)täglichen Erfahrungen des durchschnittlichen Mitglieds unserer Gesellschaft
liegen, ist von Vorteil, um zu erfassen, was die Death und Black Metal-Fans interessiert,
womit sie sich beschäftigen und worum sich ein wichtiger Teil ihres Lebens dreht.
Death und Black Metal-Musik ist in Form von Compact Discs (CDs), Langspielplatten
(LPs) und anderen Vinylformaten (Singles, EPs, Maxis) sowie Audiocassetten (Tapes)
auf dem Tonträgermarkt erhältlich. Die zur Musik gehörigen Texte (Lyrics) sind in der
Mehrzahl der Fälle in Form eines „Booklet“ abgedruckt und beigelegt. Die Oberseite
der CD oder LP ziert ein Bild, Foto, Zeichnung oder Collage (Cover), auch auf der
Rückseite oder im Booklet können sich weitere visuelle Elemente befinden. Ein
weiteres Medium, das auch im Death und Black Metal-Bereich immer öfter genutzt
wird, sind Musikvideos, die außer den musikalischen ebenso wie die Cover visuelle
Zeichen übermitteln, auf die im weiteren Verlauf der Arbeit jedoch nicht näher
eingegangen weren soll, da sie im Vergleich zu den Tonträgern eine untergeordnete
Rolle spielen und die meisten visuellen Elemente bereits anhand der Darstellungen auf
den Covern thematisiert werden können.
25
4.1.1 Musik
Auf die Geschichte und musikalische Entwicklung des Heavy Metal bzw. auf seine
Einordnung in die gegenwärtige besonders für Jugendliche relevante Musiklandschaft
ist in Punkt 2 schon eingegangen worden, die verschiedenen Metal-Subgenres werden
ebenfalls als bekannt vorausgesetzt.
Die durchschnittliche Death oder Black Metal-Band kommt mit der
Standardinstrumentation einer Rock-Band aus, bestehend aus elektrisch verstärkter und
verzerrter Gitarre (im Sprachgebrauch der Rockmusik-Hörer E-Gitarre genannt), EBaßgitarre (Baß oder englisch: Bass), Schlagzeug (Drums) und einem Sänger (Vocals),
aus. Dieses Ensemble wird meistens um eine zweite E-Gitarre ergänzt, dabei wird (wie
auch in anderen Metal-Bereichen) in Rhythmus-Gitarre und Solo-Gitarre (auch LeadGitarre genannt) unterschieden. Auch Keyboard, seltener klassische Instrumente wie
Geige oder Cello, oder aber ein zweiter Sänger (oder Sängerin, um die weibliche
Stimme, meist lyrischer Sopran, als Kontrast einzusetzen) werden gelegentlich
eingesetzt, um einem Stück (Song) mehr atmosphärische Wirkung zu verleihen.
Im Vergleich zu anderen Spielarten des Metal arbeitet der Death Metal mit noch stärker
verzerrten Gitarren, die oft ein bis zwei Töne unter der Standardstimmung (a’) gestimmt
sind, um einen dunklen und dumpfen Klang (Sound) zu erzeugen. Dabei werden die
Baßlinien (auch Baßparts genannt) stärker in den Vordergrund gemischt als beim Heavy
Metal. Das Schlagzeugspiel ist sehr variabel und beherrscht eine Vielzahl von
Rhythmen, Tempi und Rhythmuskombinationen, besonders beliebt sind sehr schnelle
Passagen mit zwei Bass-Drums (Doublebass). Der Gesang ist sehr tief, was gelegentlich
durch besondere Effektgeräte erreicht wird, und hat mehr mit Grunzen als mit dem
klassischen Bel Canto gemeinsam. Durch den Einsatz dieser musikalischen Stilmittel
wirken die Riffs im Death Metal besonders wuchtig und voll („brutal“), aber auch
düsterer als beim manchmal etwas hektischen Thrash (vgl. dazu Anhang IIId) ). Die
Tempi rangieren von mittelschnell („midtempo“) bis extrem schnell, chrakteristisch sind
die häufigen Tempo- und Taktwechsel (Breaks), die es ermöglichen, eine Vielzahl
verschiedener Riffs und Gitarren-Soli in einem einzigen Stück unterzubringen. Der Idee
des Death Metal liegt dabei maßgeblich die Suche nach einem nie zuvor dagewesenen
Extrem im musikalischen Bereich zugrunde. Immer wieder gibt es zwischen den Bands
dieses Genres regelrechte Wettkämpfe, wer das tiefste Grunzen, die schnellsten DrumParts oder die „brutalsten“ Gitarrenriffs erzeugen kann.
Auch der Black Metal bedeutet eine Suche nach Extremen, bedient sich aber zum Teil
anderer musikalischer Ausdrucksmittel. Grundsätzlich herrschen im Black Metal
simplere musikalische Strukturen vor als im Death Metal, besonders bei der
Rythmussektion (Baß und Schlagzeug). Die Songs sind einfach aufgebaut, verarbeiten
nur wenige Riffs und weisen wenig unvorhergesehene oder abrupte Taktwechsel auf,
wobei auch hier alle Tempi von midtempo bis sehr schnell vertreten sind. Der Gesang
26
ist, wie der Sound im Gesamten, sehr rauh und erreicht selten so tiefe Oktaven wie im
Death Metal, sondern rangiert von aggressiven (ähnlich wie im Thrash) bis zu heiseren,
schrillen Schreien. Die Produktion hebt sich bewußt von glatten und ausgefeilten RockKompositionen ab und gibt sich oft „low-fi“ (low fidelity, Ausdruck für schlechte
Aufnahemqualität), mit holperigem, scheppernden Schlagzeug und geringer
Trennschärfe für die einzelnen Instrumente (vgl. Anhang IIId) ). Einige Black MetalBands, besonders die skandinavischen (deren Vorreiter Bathory waren), benutzen einen
sehr charakteristischen hellen bis schrillen, verwaschenen Gitarrensound und fast
ausschließlich relativ helle, heisere Vocals mit einem eigentümlichen permanenten
Hintergrundrauschen. Sicherlich existieren auch im Black Metal komplexere
Kompositionen und klarere Sounds, aber zum einen ist dies nicht der idealtypische
Black Metal, zum anderen bleiben die fundamentalen Merkmale der Klangfarben
dennoch erhalten.
Eine Besonderheit stellen im Bereich des Black Metal die „Ein-Mann-Projekte“ dar, die,
obwohl auch hier als Standard die gängige Rock-Instrumentation gilt, keine „richtigen“
Bands sind. Sie veröffentlichen zwar Platten bzw. CDs, können aber nie live auf der
Bühne auftreten, weil sie aus nur einem Musiker bestehen, der im Studio sämtliche
Instrumentalparts und den Gesang selbst einspielt, und sich bestenfalls einen
Drumcomputer oder Studio-Musiker als Aushilfe nimmt. Dies ist eine
Ausnahmeerscheinung im Metal-Bereich, weil Metal-Fans normalerweise sehr viel Wert
darauf legen, daß sie ihre Bands auch „in echt“ auf der Bühne bewundern können.
Unter den Fans ist es allerdings eine Streitfrage, ob diese musikalische Differenzierung
zwischen Death und Black Metal sinnvoll ist. Fan C. meint dazu, „die Lieder sind meist
im schneller Tempo angesiedelt, der Gesang, als besonders markantes Merkmal ist oft
‘kreischend’ verzerrt, ... das spielerische Niveau der Lieder ist durchschnittlich, dafür
eher eingängig“, andere Fans dagegen (vgl. dazu Weinstein, S. 54f) vertreten die
Meinung, daß sich Black Metal einzig durch die textliche Ausrichtung auszeichnet und
sich dadurch vom Death Metal unterscheidet, daß er sich ausschließlich mit Satanismus
und dem „Bösen“ beschäftigt, während Death Metal ein breiteres thematisches
Spektrum aufgreift.
Doch ob Death oder Black Metal, Grunzvocals oder heisere Schreie - all diese
musikalischen bzw akustischen Phänomene verletzen in ungewohnter Weise die
Hörgewohnheiten des durchschnittlichen Musikkonsumenten, der die Klänge der
Klassik oder moderner Pop-Kompositionen gewohnt ist. Der Gesang ist nicht „schön“,
sondern erinnert mehr an Urlaute oder das hysterische Kreischen eines Geisteskranken,
die Instrumente produzieren für die Ohren der meisten Hörer nur „Krach“. Doch selbst
wertende Kunstbetrachtung kann sich nicht auf die Verwendung der Begriffe „Kunst“
und „Unkunst“ beschränken, - so müssen etwa Kriterien wie der Grad der Erfüllung
technischer oder selbstauferlegter Ansprüche miteinbezogen werden (vgl. Weber 1991,
S. 211) - , daher ist es für das Verständnis und die Einordnung dieser Musikgattung
27
hilfreich, sich über die Hintergründe und die Entstehung der musikalischen
Konventionen in der europäischen Kultur im Klaren zu werden.
Werke von J.S. Bach, W.A. Mozart oder L. van Beethoven gelten in unserer heutigen
Gesellschaft als ästhetisch und moralisch wertvolle künstlerische Leistungen, die der
Hochkultur zuzuordnen sind; einen Dreiklang oder Melodien, die im Radio gespielt
werden, empfinden die meisten Hörer als angenehm und führen dies darauf zurück, daß
das menschliche Gehör aus biologischen und pysikalischen - also natürlichen und von
Menschen nicht beeinflußbaren - Gründen mit einigen geschmacklich bedingten
Unterschieden auf bestimmte Klänge und Klangfarben positv, auf andere negativ
reagiert.
Bei genauerer Betrachtung stellt sich jedoch heraus, daß das, was von der Mehrzahl der
Individuen in unserer Gesellschaft als „harmonische“ und „schöne“ Musik empfunden
wird, letzendlich nichts anderes als das Ergebnis verschiedener kultureller und
technischer Entwicklungen ist, die in Europa seit dem Mittelalter stattgefunden haben.
So ist auch die in der Hochkultur am höchsten geschätzte klassische Musik nicht
„naturgegeben“, sondern ein Produkt eben dieser Entwicklungen, als deren wichtigste
Stufen von Weber die Erfindung der rationalen Notenschrift durch die Mönche des
nord-westlichen Europas und die Schaffung des rationalen polyphonen Gesangs
angesehen werden (vgl. Weber 1991, S. 214). Nicht zuletzt die seit dem 16. Jahrhundert
gebauten Tasteninstrumente machten aus spieltechnischen Gründen die Einteilung der
Oktave in zwölf gleich große Halbtonschritte, wobei zwischen den gleichnamigen
Tönen jeder Oktave jeweils der gleiche Abstand ist (und somit zwölf Quinten sieben
Oktaven entsprechen), notwendig, bewirkten so die enharmonische Verwechslung
(Temperierung der Stimmung) und ermöglichten die Entstehung der barocken/
klassischen Harmonielehre. Und nicht nur das: alle anderen Instrumente, auch
diejenigen mit weitergehenden technischen Möglichkeiten als Tasteninstrumente wie
dem Klavier (insbesondere Streichinstrumente), paßten sich - hauptsächlich unter dem
Einfluß des „Wohltemperierten Klaviers“ von J.S. Bach - diesem Zwölfton-System an:
„’Temperierung’ war auch das letzte Wort unserer akkordharmonischen
Musikentwicklung“ (Weber 1956, S. 918). So stellt sich natürlich die Frage, wie die
europäische Musikgeschichte verlaufen wäre, wenn an irgendeinem der entscheidenden
Punkte andere Einflüsse die Oberhand gewonnen hätten (vgl. Weber 1991, S. 214).
Insofern sind die jeweiligen Erscheinungsformen von Musik sowie die
Hörgewohnheiten und Geschmacksurteile einer bestimmten Kultur durch soziale
Konventionen festgelegt und nicht als ästhetische, sondern als soziale Phänomene zu
verstehen (vgl. Blaukopf, S. 173ff), und diese Konventionen haben einen großen Einfluß
auf die emotionale Empfindung und Beurteilung von Musik (vgl. Tessarolo, S. 169f).
Andererseits lassen sich einige musikalische Elemente des (Death und Black) Metal,
obwohl diese in vielerlei Hinsicht mit den in unserer Gesellschaft gültigen
musikalischen Konventionen brechen, bei genauer Analyse auf klassische Strukturen
28
und Kompositionstechniken, insbesondere auf die Kontrapunktik und klassische
Harmonielehre, zurückführen. So werden nicht nur bereits existierende klassische
Stücke von J.S. Bach oder anderen berühmten Komponisten der Hochkultur neu
instrumentiert und nachgespielt (eine sowohl im Metal- als auch im Pop- und RockBereich durchaus gängige Praxis), sondern sich hochkultureller Kompositionstechniken
wie z.B. der Kontrapunktik bedient, um neue, eigene Stücke zu komponieren und die
eigenen künstlerischen Werke in etwas Neues zu transformieren (so z.B. bei den
schwedischen Bands At The Gates, Dark Tranquility, Eucharist oder In Flames - vgl.
Anhang IIId)). Hier läßt sich durchaus eine kunstsoziologische Parallelle zu der
Beobachtung ziehen, die Vogelgesang (1991) für extrem gewalttätige Horrorvideos
gemacht hat: gerade die zu einem ästhetischen Grenzbereich gehörigen Splatter- und
Exploitationfilme, die durch ihre hyperrealistische Darstellungen von der Zerstückelung
und Vernichtung des menschlichen Körpers Sehgewohnheiten sprengen und
Kulturkritiker auf den Plan rufen, basieren auf einer langen künstlerischen Tradition in
der europäischen Hochkultur (vgl. Vogelgesang 1991, S. 41ff). Man denke nur an die
Darstellung christlicher Martyrien oder Folterszenen in der Hölle in Gemälden aus der
Zeit des Mittelalters und der Renaissance oder an die Gewaltdarstellungen in der als
höchstem Kulturgut gewerteten Weltliteratur wie den Werken von Homer oder
Shakespeare (wobei bei letzteren noch nicht einmal irgendein moralisch erhobener
Zeigefinger in Verbindung mit den Gewaltdarstellungen geltend gemacht werden kann).
Winter (1995) postuliert in diesem Zusammenhang, anknüpfend an die Arbeiten von
Susan Sontag, eine Aufhebung der Trennlinie zwischen Massen-oder Trivialkultur und
Hochkultur in der Postmoderne als Reaktion auf die elitäre Inbesitznahme der
Hochkultur durch reaktionäre und restaurative Tendenzen.
Auf einer spezifisch musikalischen Ebene bedeutet das auch die Verwischung der
Grenzen zwischen den umstrittenen Begriffen Unterhaltungsmusik (U-Musik) und
Ernster Musik (E-Musik). Zur Definition von E- und U-Musik existiert ohnehin keine
einheitliche Meinung. So besteht die Auffassung, daß über U-Musik weder zustimmend
noch abweisend, sondern überhaupt nicht geurteilt werden könne, vielmehr beträfe der
Streit über E- und U-Musik weniger die ästhetische Qualität als den sozialen Rang einer
Musik, einzig der soziale Prestigewert sei von Bedeutung (vgl. Dahlhaus, S. 94), was als
Weiterführung von der Theorie des ästhetischen Empfindens als sozialer Konvention
aufgefaßt werden kann, andererseits äußert sich der Komponist Ernst Vogel
folgendermaßen: „Harmonik, Melodik, Rhythmik und Form müssen gegeben sein. Fehlt
eins dieser Elemente, so ist ein Stück der U-Musik zuzurechnen.“ (Zitiert nach
Haselauer, S. 181). Ob und inwieweit dieser Versuch einer Definition auf die heutigen
musikalischen Stilrichtungen anzuwenden ist, bleibt fraglich. Die gängigen Kriterien zur
Unterscheidung von E- und U-Musik bezeichnen U-Musik als leicht konsumierbar und
massenkompatibel, E-Musik als komplex und ästhetisch (vgl. Haselauer, S. 181f). Die
Problematik solcher Einteilungen zeigt sich spätestens am konkreten Beispiel: obwohl
29
Death und Black Metal grundsätzlich (vgl. Punkt 2) unter den Oberbegriff „Popmusik“
(synonym zu U-Musik) fallen, sind sie weder leicht konsumierbar noch
massenkompatibel oder radiotauglich. Sie durchbrechen (durchaus nicht als einzige)
solche Kategorien wie E- und U-Musik, indem sie als Teil der Trivialkultur ständig auf
strukturelle Elemente der Hochkultur zurückgreifen
4.1.2 Texte, Bilder, Symbole
Ebenso wie die musikalischen Ausdrucksformen verletzen die in der Szene des Death
und Black Metal verwendeten Texte, visuellen Elemente (insbesondere Platten- bzw.
CD-Cover) und Symbole die gesellschaftlich gültigen ästhetischen Konventionen oder
religiöse, insbesondere christliche Normen und Werte. Viele der Motive auf CD-Covern
stellen Monster oder Zombies dar, manchmal auch solche, die Menschen verletzen,
töten oder fressen; im Unterschied zu den Horrorfilmen handelt es sich jedoch in den
seltensten Fällen um Fotos, sondern meistens um gemalte oder gezeichnete
Darstellungen von Gewalt. Andere beinhalten antichristliche Symbole wie umgedrehte
Kreuze, umgedrehte Pentagramme und Baphomet-Zeichnungen (Teufel in Gestalt eines
Ziegenbocks), oftmals eingebettet in fantastische Motive der düsteren Art.
Als Gemeinsamkeit fast aller in der Death und Black Metal-Szene aktiven Bands kann
dabei festgehalten werden, daß sie sich außer über ihre Musik auch über einen
bestimmten Stil definieren, der Texte und visuelle Elemente in ein Gesamtkonzept
integriert. Viele dieser Konzepte sind einander sehr ähnlich, was aber angesichts der
großen Zahl an Death und Black Metal-Bands und des relativ eng gefaßten
Themenspektrums nicht weiter verwundert.
Black Metal-Bands verwenden dabei bewußt fast ausschließlich eine satanische oder
„böse“ Begriffswelt, bei Death Metal-Bands ist das Spektrum wesentlich breiter. Da
jedoch in der Realität der Szene die Einteilung in Death und Black Metal nicht nur nach
musikalischen (wie in Punkt 4.1.1 angedeutet), sondern auch nach textlichen
Gesichtspunkten nicht klar vollzogen werden kann und die Verwirrung durch
Bezeichnungen wie „Dark Metal“ oder „Occult Metal“ noch vergrößert wird, soll im
folgenden lediglich nach den in Texten und Bildern thematisierten Inhalten
unterschieden werden. Im Wesentlichen können folgende Themenkomplexe
herausgefiltert werden:
• Der spirituelle Aspekt:
Blasphemie, Tod, Hölle/ „Tod und Teufel“-Symbolik,
die sich in drei Unterthematiken aufteilen läßt:
∗ heidnisch (z.B. nordische Mythologie, altsumerische Mythologie)
30
∗ satanisch (z.B. Church of Satan, individualistische antichristliche Konzepte)
∗ okkult-fantastisch (z.B. Fantasy-Geschichten, Vampirismus)
• Der materielle Aspekt:
Zerstörung, Tod, Verwesung/ „Horror und Splatter“-Symbolik,
der sich grob in zwei größere Themenkomplexe aufteilen läßt:
∗ individuell erlebter Horror (z.B. Zombies, Serienkiller)
∗ kollektiv erlebter Horror (z.B. Sozialkritik, Katastrophenszenarien)
Sowohl bei der „Tod und Teufel-Symbolik“ als auch bei dem „Horror und Splatter“Konzept sind die Übergänge zwischen den einzelnen Unterthemen fließend, nur selten
liegt eines von ihnen bei einer einzelnen Band in „Reinform“ vor.
So beinhalten die Texte und Bilder der meisten „Tod und Teufel“-Bands eine Fülle von
Versatzstücken aus verschiedenen heidnischen Religionen, satanische Symbole, okkulte
Ideen, aber auch Einflüsse aus der düster-romantische Poesie in der Tradition der
gotischen Literatur des 19. Jahrhunderts.
Dennoch soll anhand einiger typischer und in der Szene sehr bekannter Bands die
künstlerische Umsetzung der beiden Themenkomplexe verdeutlicht werden.
Die Death Metal-Band Morbid Angel aus Florida/ USA (vgl. Anhang III a) - d) ), die
seit 1984 existiert und nach eigenen Aussagen ungeachtet muskalischer Trends „ihr
Ding“ durchzieht (vgl. Bang, Heft 1, November 1993, S. 36) verbindet in ihren Texten
und Symbolen heidnisches, satanisches und allgemein okkultes Gedankengut. Die Texte
treffen oft radikale Aussagen gegen das Christentum und erzählen von einer heidnischen
Philosophie, die auf jenseits der menschlichen Vorstellungskraft und vor der
historischen Zeit auf der Erde existierenden Göttern („Ancient Ones“) beruht, die ihren
Ursprung in der altsumerischen Mythologie haben. So äußerte sich der Gitarrist und
Songschreiber Trey Azagthoth in dem Szenemagazin „Metal Hammer“:
„...Mit meiner gesamten Musik versuche ich, die Stimme der ‘Ancient Ones’, der
alten Götter, einzufangen...die sumerischen Götter, über die ich schon immer
sprach. Diese alten Götter sind alles, was unsere Musik ausmacht.“ (Metal Hammer
8/ 1993, S. 37.)
Viele ihrer Symbole stellen eine Perversion von christlichen oder auch weißmagischen
Zeichen dar: Die Zeichnung enthält ein umgedrehtes Kreuz - die Negation des
Christentums - , ein umgedrehtes Pentagramm- Symbol zur Beschwörung böser Geister
- und landläufig dem Teufel zugeschriebene „Accessoires“, wie ein Dreizack und die
nach unten zeigende Pfeilspitze des Teufelsschwanzes.
31
Graphik5: Band-Logo von Morbid Angel aus Florida/USA
Die antichristliche und diffus heidnische Einstellung, die Morbid Angel - zumindest
nach außen - zeigen, spiegelt sich auch in folgendem Auszug aus dem Text von „Chapel
of Ghouls“ deutlich wieder:
Chapel Of Ghouls
Ghouls attack the church
Crush the holy priest
Turning the cross towards hell
Writhe in satan's flames
Crush the priest
The feeble church
Dead - your god is dead
Fools - your god is dead
Useless prayers of lies
Behold satan's rise
...
(Text: Trey Azagtoth/ Mike Browning, aus: Morbid Angel - „Altars of Madness“, Earache 1989)
David Vincent, ehemaliger Bassist und Sänger von Morbid Angel, erklärt seine
Aversion gegenüber dem Christentum folgendermaßen:
„No, no, well, I do not like christianity, that’s not a secret...; the average christian
person may be a very good person and there may be a lot of things that I have... that
I could share in common with them, but the religion... I just can’t agree with the
religion... with the way it propagated itself, you know, the way it spread...; I don’t
think that it’s natural, for even though my grandparents and my greatgrandparents
were christians, before them, they were pagans. And christianity came and opressed
them...“ (Aus einem Interview mit David Vincent am 2.4. 1994, vollständige
Fassung s. Anhang IIIa))
Die nordische Mythologie ist ein weiterer sehr wichtiger Themenkomplex, auf den
einige Bands zurückgreifen, u.a. deswegen, weil sich ein bedeutender Teil der Death
und Black Metal-Szene in Schweden und Norwegen konzentriert. Dazu gehören z.B. die
Black Metal-Pioniere Bathory (vgl. Anhang IIIb) - d) ) aus Schweden, die Death MetalBand Unleashed (ebenfalls aus Schweden) und die Black Metaller Enslaved aus
Norwegen. Hier findet man das Tod-und Teufel-Motiv etwas abgewandelt wieder:
32
Satan, Lucifer und andere der jüdisch-christlichen Tradition entnommenen
Teufelsgestalten spielen, wenn überhaupt, eine untergeordnete Rolle. Im Mittelpunkt
stehen nordische Göttergestalten, Symbole wie Thor’s Hammer und trotz der
vorherrschenden Düsternis (in Bildern von Winter, Kälte und Schlachten dargestellt)
„positve“ Werte wie Stärke, Ehre und Heldentum. Umgedrehte Kreuze und andere
„satanische“ Symbole wenden sich - Songtexten zufolge - gegen das Christentum als
dem Vernichter der alten heidnischen Traditionen, werden aber nicht in einen
satanischen Zusammenhang gebracht. Dafür typische Songtitel sind z.B.:
„Valhalla“ (aus: Bathory - „Hammerheart“)
„Odens Ride over Nordland“ (aus: Bathory - „Blood, Fire, Death“)
„Onward Into Countless Battles“,
„Land of Ice“ (aus: Unleashed - „Shadows in the Deep“)
Ein anschaulisches Beispiel für eine Band, die ihre Platten-und CD-Cover wie
Horrofilmplakate gestaltet und entsprechende Texte schreibt, sind Cannibal Corpse aus
USA. Mit bewußt ekelerregenden Splattertexten über Massenmörder und verfaulende
Leichen schaffen sie eine Ästhetik des Ekels, die nicht nur, aber sicherlich auch auf
Provokation abzielt. Dazu ein Ausschnitt aus dem Songtext „Edible Autopsy“,
entnommen aus ihrem ersten Album, „Eaten Back to Life“ (vgl. dazu Anhang III b) -d)):
Edible Autopsy
...
Guts and blood, bones are broken
As they eat your pancreas
Human liver, for their dinner
Or maybe soup wich eyes
...
(Text: Chris Barnes, aus: Cannibal Corpse - „Eaten Back to Life“, Metal Blade 1990)
Auch in den Vereinigten Staaten, dem Heimatland von Cannibal Corpse, gibt es
Bestrebungen, ihre Bilder und Texte zu zensieren, jedoch ist die Toleranzgrenze in
Bezug auf Gewalt und Horror in Wort und Bild dort relativ hoch (im Gegensatz zur
Darstellung von sexuellen Handlungen), so daß die Vorwürfe und Anklagen von
Elternvereinigungen gegen sie mittlerweile fallengelassen worden sind (vgl. „666 - At
Calling Death“, Videodokumentation von Matt Vain), aber in einigen deutschen Städten
wurden schon Auftrittsverbote für Cannibal Corpse wegen jugendgefährdender,
gewaltverherrlichender und sexistischer Texte bei den Behörden erwirkt. Dazu Alex
Webster, Bassist von Cannibal Corpse:
“Mich erinnert der Versuch, Bands wie uns verbieten zu lassen, an
Bücherverbrennungen im Dritten Reich. Zensur hat für mich mehr mit Faschismus
zu tun als ein paar Freaks, die Horrorgeschichten erzählen” (Rock Hard 77, Oktober
1993, S. 39).
33
Zur Verteidigung bzw. Erklärung solcher Texte wird auch auf den fiktionalen Charakter
dieser Horrorgeschichten hingewiesen, die, auch wenn sie teilweise der Realität
entnommen, dennoch erfunden oder phantastisch ausgeschmückt seien - im Gegensatz
zu den grausamen Bildern von Katastrophen- und Kriegsopfern in den Nachrichten.
Zudem könne man die Texte aufgrund ihrer Death Metal-typischen eigenwilligen
Grunz-Artikulation ohnehin kaum verstehen.
Darüber hinaus gibt es verschiedene Bands, die ein völlig andere Bilder und Texte
verwenden, die sich nicht ohne weiteres einordnen lassen.
So parodiert z.B. die finnische Band Impaled Nazarene die satanischen Lyrics und
Symbole anderer Bands und macht daraus eine Satire, wie folgenden Songtiteln zu
entnehmen ist:
Goatified,
Chaos Goat Law,
Cyberchrist (aus: Impaled Nazarene - „Ugra Karma“)
Nach Aussagen von Mika Luttinen, Sänger von Impaled Nazarene, liegt es in seiner
Absicht, den satanischen Anstrich humoristisch zu brechen.
Ebenso gibt es einige Death Metal-Bands mit christlichen Texten, z.B. die Australier
Mortification, (ihr aktuelles Album nennt sich „Envision Evangelene“) oder Gruppen,
die eine Science Fiction-Geschichte erzählen (z.B. Detest aus Dänemark mit der CD
„Dorval“). Diese Auswahl ist völlig willkürlich, zeigt aber die Vielfalt der Themen, die
im Death und Black Metal verarbeitet werden.
4.1.3 Exkurs: Was ist Satanismus? - Ein kulturhistorischer Überblick
Im Zusammenhang mit Heavy Metal, ganz besonders aber mit Death - und noch
extremer - Black Metal kann man Begegnungen mit im weitesten Sinne satanischen
oder antichristlichen Symbolen und Songtexten nicht umgehen. Allerdings stiftet die
Vielzahl unterschiedlicher Auslegungen des Begriffes „Satanismus“ durch verschiedene
Bands, Fans, Medien, kirchliche Organisationen oder andere Institutionen beträchtliche
Verwirrung. Daher sollen hier in stark verkürzter Form einige Hintergründe dargestellt
werden, die den Sinn und die Verwendung dieses Begriffs in verschiedenen
Zusammenhängen näher beleuchten.
„Satanismus“ steht umgangssprachlich für Satansanbetung oder Anbetung des Bösen,
die zu pathologischen Gewalttaten verleitet - Szenarien, die von der Presse detailreich
präsentiert werden. Doch ungeachtet der häufig inakkuraten Berichterstattung mancher
Medien, wenn es sich um skandalträchtige Themen handelt (vgl. Helsper, S. 77ff) muß
34
man zwischen verschiedenen Interpretationen von „Satanismus“ stärker differenzieren.
Als erstes soll zwischen einer Außendefinition und einer Innendefinition unterschieden
werden.
Von außen wird Satanismus heutzutage (noch) in erster Linie durch die christliche
Weltanschauung definiert. Satan ist ein Name des Teufels (als dem Urfeind Gottes und
der Menschheit), der schon im Alten Testament auftaucht , aber erst mit dem Neuen
Testament und in der christlichen Tradition (unter dem Einfluß dualistisch geprägter
Glaubensformen aus dem Orient) einerseits den Status des „Oberteufels“ und
andererseits des Antichristen erhielt (vgl. di Nola, S. 199). Als Folge des
universalistischen Wahrheitsverständnisses des Christentums (vgl. Tenbruck, S. 95)
wurde alles, was nicht christlich war, automatisch des Teufels oder satanisch. Und in
dem Moment, wo Satanismus als Synonym für die Verehrung des gegen Gott
gerichteten bösen Prinzips wird, läßt sich damit alles etikettieren, was nicht der eigenen
- wie auch immer gearteten - Meinung oder Glaubensrichtung entspricht. So wurden zur
Zeit der Christianisierung Europas alle heidnischen Religionen und Kulte als „des
Teufels“ erklärt und damit ihre Vernichtung legitimiert, obwohl ihnen die christliche
Teufelsfigur fremd war und sie, ebenso wie die christlich geprägte Kultur, positiv wie
negativ belegte Begriffe kannten (vgl. die Nola, S. 13ff), aber kein Selbstverständnis als
Vernichter der Menschheit hatten. Kleine Glaubensgemeinschaften oder einzelne
Individuen, die nach der Verbreitung des Christentums in Europa polytheistische
(heidnische) Kulte und magische Rituale weiter praktizierten, wurden von allen
Amtskirchen und verschiedenen christlichen Gruppierungen bis in die Neuzeit hinein als
Hexen und Schwarzmagier verfolgt und des Pakts mit dem „christlichen“ Teufel
angeklagt, obwohl sie keinen „Antichrist“ verehren konnten, weil sie sich nicht im
Rahmen des christlichen Weltbilds bewegten. Andererseits manifestierte sich diese
Interpretation von Satanismus im Mittelalter in den Privatkriegen christlicher
Splittergruppen oder der Rebellion christlicher Sekten gegen die Amtskirche,- so waren
die Katharer, Albigenser oder Templer des 13. und 14. Jahrhunderts für papsttreue
Christen Satansanbeter, obwohl sie ihren eigenen Aussagen zufolge das „Gute“ und die
Erlösung der Menschheit durch Christus anstrebten (vgl. Dvorak, S. 261ff) - und
gipfelte schließlich in den erbitterten Kämpfen zwischen Katholiken und Protestanten
des 16. Und 17. Jahrhunderts, die sich gegenseitig der Dämonie und teuflischen
Besessenheit beschuldigten. Ebenso wurden kommunistische Theorien von der
katholischen Kirche im 19. Jahrhundert als Werk des Teufels deklariert, obwohl
Kommunisten weder an einen Gott noch an einen Teufel oder Satan glauben, sondern
Atheisten sind.
Nach dieser Auslegung wären wären sämtliche (Death/ Black) Metal-Bands als
satanisch zu klassifizieren die antichristliche oder nichtchristliche Symbole verwenden,
z.B. auch solche aus der nordischen Mythologie.
35
Die Innendefinition von Satanismus nimmt dagegen eine wesentliche Einschränkung
vor: alle nicht-christlichen Religionen, seien es Weltreligionen, heidnische oder
Naturreligionen und andere Kulte werden von vornherein von der Bezeichnung
„Satanismus“ ausgeschlossen. So heißt es beispeilsweise zu heidnischen
Glaubensrichtungen im Internet auf einer FAQ (Frequently Asked Questions)-Seite über
Satanismus: „Secondary Satanists: follow a faith outside the christian mainstream...
most would not consider themselves as being ‘Satanic’... but the ignorant often
categorize them as Satanists. Voodoun and Santiera could be grouped here, as could
medeaval witchcraft“ (http://webpages.marshall.edu.allen12/altsatanism.faq). Was
übrigbleibt, sind Individuen und Gruppen, die ihrem Selbstverständnis nach Satanisten
sind. Die verbreitetste Form des „echten“ Satanismus wird von ihren Anhängern gerne
als Philosophie, nicht als Religion verstanden, hat ihre Wurzeln jedoch in der jüdischchristlichen Tradition. Es wird nicht der Teufel/ Satan oder irgendeine andere „böse“
Wesenheit als Ersatz für einen christlichen Gott verehrt, sondern die individuelle
Freiheit des Menschen propagiert. Der Mensch müsse sich frei machen von den Fesseln,
die ihm die Religionen, ganz gleich ob christlich oder nicht, auferlegen, um zur
Erkenntnis der Wahrheit gelangen zu können (vgl. Dvorak, S. 158). Ebenso wenig wie
die Anhänger solchen Gedankenguts ein gehörntes Wesen mit Dreizack anbeten, halten
sie es für ihre Pflicht, „böse“ Taten zu begehen. Ideen wie Individualismus und
Selbstbestimmung kennt man selbstverständlich von vielen philosophischen Schulen,
die sich sicherlich nicht als Satanisten bezeichnen würden, doch charakterisischerweise
kommen beim Satanismus zur Forderung nach freier Erkenntnis und Entfaltung häufig
Elemente aus okkulten Traditionen hinzu, die im 19. Jahrhundert ihre Blütezeit hatten.
Viele Satanisten organisieren sich in Gruppen, z.B. in der „Church of Satan“ von Dr.
Anton LaVey oder anderen Zirkeln, andere lehnen jedoch jeden von einer Gemeinschft
ausgeübten Zwang ab und praktizieren eine Art Individualphilosophie oder
Individualreligion (vgl. Dvorak, S. 97ff). Folgende Aussage dient als Beispiel für die
Denkweise eines „unabhängigen“ Satanisten:
“Yeah, at first I was really into the way you say ‘satanist’, because I was like
searching for something. I don’t think like I really found it now, but at least I do not
want to follow anybody else. [...] And first I was like I wanted to follow somebody
else, because I guess you need some help, you know, you’re a bit lost. If you follow
the normal religion, it’s easy, because you don’t have to think by your own. But as
long as you wanna get your own path... at the beginning you really feel lost, because
you don’t know what you can think, what is wrong, what is right, what is good, what
is bad. At the end, I don’t care... I just go my own path, and ok... that’s what I mean
being a satanist. It’s like a man free of god:”(Aus einem Interview mit Vorphalack,
Sänger und Gitarrist von Samael/ Schweiz am 2.4. 1994)
Die einzelnen Ausprägungen des Satanismus bzw. die Anzahl der verschiedenen
Lehren, die von denjenigen propagiert werden, die sich als Satanisten bezeichnen, sind
außerordentlich zahlreich. Das stellt Dvorak einprägsam in seinen Ausführungen über
36
„Erscheinungen einer ‘Subreligion’“ dar (Dvorak, S. 87ff). Satanismus ist letztendlich
immer das, was jeder einzelne für sich selbst als solches definiert - deshalb werden
heftige Diskussionen darum geführt, was nun der „richtige“ Satanismus sei, wie die
Aussage von Baard Faust, ehemaliger Drummer der Black Metal-Band Emperor aus
Norwegen zeigt:
„Those who have read the ‘Satanic’ bible know that Anton LaVey stands for
everything that’s good in life and the worship of all kinds of pleasures which leads
to big gratification for him and the members of the Church fo Satan. In the book
‘Church of Satan’ these words are written clearly and are impossible to
misunderstand or read between the lines. This has absolutely nothing to do with the
classical and original sort of Satanism (whom the Christians presented). Satanism is
a religion on the same level as Christianity, and LaVey says that his philosophpy is
anti religion and he also says you have to be an atheist to be a Satanist. I mean,
what’s the point? He scorns the old traditional way of Satanism. LaVey and his
followers hate Christianity because they are so evil while they (the Satanists) are the
good ones. He want’s to make sure that Satanism gets a good reputation and that it
can become something acceptable And this is exactly how it is not meant to be.
When people hear the word Satanism they freeze on their backs and they shall be
really afraid of the Satanists...“ (aus: Slayer-Mag Nr.X, 1993, Fanzine aus
Norwegen).
Wirklich kompliziert wird eine Diskussion über die „Ideologie des Bösen“ erst dann,
wenn unter Satanismus nicht mehr das relative Böse, sondern das absolute Böse
verstanden werden soll. Alle Kulturen, Religionen und Weltanschauungen haben
Namen für das Böse, Schädliche, Bedrohliche oder Unerwünschte gefunden, und
obwohl die Vorstellungen sicher von Kultur zu Kultur stark differieren, dürfte die
Tatsache, daß Bezeichnungen für das Böse existieren, eine universelle menschliche
Konstante sein (vgl. di Nola, S. 13f). Das absolute Böse bedeutet in diesem
Zusammenhang die Indentifikation mit den in Relation zum Wertesystem jeder
beliebigen Kultur als böse definierten Ideen. So kann man z.B. auch innerhalb des
nordischen Mythen-Kosmos die Position des Bösen, zerstörerischen Elements
einnehmen, das zwar aufgrund der polytheistischen und nicht-dualistischen Struktur der
germanischen Kulte dort eine grundlegend andere Rolle spielt als im Christentum oder
anderen monotheistischen Religionen, aber dennoch u.a. in Gestalt des zwielichtigen
Feuergottes Loki oder eines seiner Söhne, des Fenriswolfs, vorhanden ist. Ähnliches gilt
für die Mythologie der ehemals in der Euphrat/ Tigris-Region ansässigen Kulturen wie
den Sumerern. Die Beschäftigung mit dem absoluten Bösen spielt vor allem in manchen
Kreisen der Black Metal-Szene (besonders in Norwegen, vgl. die oben zitierte Aussage
von Baard Faust), die in der Sozialwelt als „extrem“ angesehen werden, eine Rolle.
Im religiösen Pluralismus der Neunziger Jahren des 20. Jahrhunderts ist die Meinung
der christlichen Kirchen nur noch eine unter vielen; doch das rational-wissenschaftliche
Paradigma, das das Denken und Handeln in unserer heutigen Gesellschaft erheblich
mitbestimmt, hat den universalistischen Geltungsanspruch der christlichen Religion
übernommen, „denn die Wissenschaft war mit der Erwartung angetreten, die sinnhafte
37
Ordnung zu enträtseln und Gewißheit über die Stellung der Menschen zu erlangen“
(Tenbruck, S. 90). Das führt wiederum dazu, daß es heutzutage, besonders in
„progressiven“ Kreisen, immer weniger die nicht-christlichen Religionen, sondern
vielmehr alle Theorien oder Weltanschauungen, die in irgendeiner Form okkulte
Elemente beinhalten oder sich mit übernatürlichen und übersinnlichen Phänomenen
befassen, sind, die mit Satanismus in Verbindung gebracht werden. Dadurch wird
Satanismus bzw. alles, was unter diesen Begriff fällt, als neues Feindbild des rational
denkenden Menschen in der zivilisierten Welt aufgebaut.
4.2 Organisation der Szene
Unter dem Oberbegriff der Organisation können eine Vielzahl von Strukturen
subsumiert werden, die für die Herausbildung und die Lebensfähigkeit einer medialen
Szene wie der des Death und Black Metal notwendig sind. Dazu gehören z.B. die
Organisation künstlerischer Produktionsprozesse, die Vorbereitung von Tourneen, die
Vertriebs-Infrastruktur, die es den Fans überhaupt ermöglicht, Tonträger oder andere für
die Szene interessante Artikel zu kaufen und die Rolle der modernen Massenmedien für
die Enstehung einer solchen Szene.
An dieser Stelle soll jedoch das Augenmerk auf diejenigen organisatorischen Leistungen
gerichtet werden, die den Fan direkt betreffen und ihm die soziale Interaktion innerhalb
der Fangemeinde ermöglichen. Die Gemeinsamkeiten der Death und Black Metal-Fans
beruhen auf gleichen oder ähnlichen textuellen Vorlieben für Musik, Texte und sonstige
künstlerische Ausdrucksformen dieses im vorangehenden Abschnitt beschriebenen
Metal-Subgenres. Die meisten Fans konsumieren jedoch, wie die Gespräche und
Interviews immer wieder zeigten, nicht im stillen Kämmerlein, sondern tauschen sich
mit Gleichgesinnten aus und wollen z.B. über neuveröffentlichte CDs/ LPs informiert
sein, um das wiederum zum Gesprächsthema mit anderen Fans zu machen. Wichtig sind
also die Informationskanäle, durch die Fans über die künstlerischen Aktivitäten der
Bands auf dem Laufenden bleiben, sowie die Kommunikationskanäle zu anderen Fans,
die das Mit-Teilen und Mit-Erleben der medialen Rezeptionspraktiken ermöglichen und
den Angehörigen der Sozialwelt das Bewußtsein für die Existenz eben dieser
Spezialkultur vermitteln.
Die meisten der im Folgenden dargestellten Kommunikationskanäle und
Informationsmedien dienen sowohl der Kommunikation als auch der Information und
dem Informationsaustausch innerhalb der Szene; die Trennung von Information und
Kommunikation wurde vorgenommen, um der im Vordergrund stehenden Funktion des
jeweiligen Kanals gerecht zu werden und so das Verständnis für die Praktiken der Fans
zu erleichtern.
38
Zusammengenommen bilden die Informationsmedien und Kommunikationsstrukturen
ein Gerüst, das die Szene durchzieht und zusammenhält, für eine gemeinsame
Wissenbasis der Fans sorgt und selbst die (geographisch) abgelegensten Mitglieder der
Szene an diese bindet und mit den notwendigen Informationen versorgt. Dadurch
konstituiert es den mechanischen Aufbau des Fandom.
4.2.1 Kommunikationsstrukturen
Cliquenbildung und Klatsch
Einfachste und oft erste Form der Kommunikation zwischen Fans in der Sozialwelt des
Death und Black Metal ist die Bildung von Cliquen und Gruppen von Gleichgesinnten
innerhalb übergeordneter sozialer Strukturen und Insititutionen, wie der Schule, der
Hochschule oder dem Arbeitsplatz, unter Umständen auch dem nachbarschaftlichen
Wohnumfeld.
Die meisten Metal-Fans (nicht nur die Anhänger von Death und Black Metal) gehören
aufgrund ihrer Kleidung (insbesondere schwarze T-Shirts mit Bandaufdrucken) und
ihrem äußeren Erscheinungsbild (lange Haare) zu einer stigmatisierten Gruppe, die sich
von den „Normals“ (Goffman) oder, um einen jugendkulturellen Ausdruck zu
gebrauchen, den „Normalos“ unterscheidet. Vielfach wird ihnen ihr Anderssein immer
wieder vor Augen gehalten, Kommentare wie „wird Zeit, daß der mal zum Friseur geht“
oder „kannst du auch mal was Anständiges anziehen“ seitens der Mitschüler,
Arbeitskollegen oder der Lehrer, Professoren und Vorgesetzten sind keine Seltenheit.
Diejenigen, die einem derart Stigmatisierten am ehesten Sympathie entgegenbringen,
sind mit dem gleichen Stigma behaftete Individuen (vgl. Goffman 1968, S. 31). So
finden Metal-Fans, die sich gegenseitig oft an den als Stigmata empfundenen
Merkmalen identifizieren, rasch zueinander: „What one does find is that the members of
a particular stigma category will have a tendency to come together into small social
groups whose members all derive from that category“ (Goffman 1968, S. 35f). Solche
Gruppen oder Cliquen gehen gemeinsam in die Kantine oder Mensa, nutzen jede nur
erdenklich Gelegenheit, sich in Pausen oder bei einem Kaffe zu treffen und über ihr
Hobby zu reden (wie Winter das auch für Horrorfans festgestellt hat, vgl. Winter 1995,
S. 154), und üben oftmals in ihrer Freizeit gemeinsame Aktivitäten aus. Ein Beobachter
charakterisiert die Clique von Metal-Fans, die er während seiner Schulzeit
kennengelernt hat, als „a pretty close-knit group that did most things together“ (zitiert
nach Weinstein, S. 139). In solchen Peer-Groups findet auch oft die erste mehr oder
weniger zufällige Begegnung mit der metallischen Spezialkultur statt.
Der Gesprächsstoff in den Cliquen besteht in erster Linie aus den Neuigkeiten der
Szene, wie Besetzungswechsel bei Bands, neue Alben, Videos oder angekündigte
39
Tourneen, aber auch musikalische und textliche Details. Es wird über die Vorzüge und
Fehler bestimmter Bands oder Musiker diskutiert, so berichtet Fan E:
„Wir reden eben über alles, was uns so interessiert. Und das is’ halt hauptsächlich
Metal, was es da Neues gibt und was sich da tut. Oder wir unterhalten uns über was
am Wochenende war... Über die Bands, die wir alle kennen, reden wir auch oft.
Was die im Moment machen, wie jemand einen bestimmten Song findet,wann die
auf Tour kommen, ... es bringt echt am meisten, wenn man da mit Leuten
zusammensitzt, die echt Ahnung haben.“
Für die meisten Fans „bringt“ es nicht viel, wenn sie sich nur alleine Gedanken über die
Musik machen; sie möchten anderen Fans ihre Gedanken mitteilen und sich mit ihnen
austauschen. Allerdings bevorzugen sie dabei solche, die sie selbst für kompetent halten
und unterhalten sich selten mit Außenstehenden über ihr Hobby. Auch die Rezeption
der Musik macht laut Fan M „am meisten Spaß, wenn andere dabei sind, denen das auch
gefällt.“
Treffpunkt Live-Konzert
Der wichtigste Treffpunkt für Metal-Fans ist das Ereignis Live-Konzert. Hier können sie
sicher sein, daß sie unter sich sind, hier erleben sie das befreiende Gefühl, das einem
Stigmatisierten zuteil wird, wenn er sich nicht verstellen muß und sich in seiner eigenen
Sprache und Ausdrucksweise artikulieren kann, ohne mißverstanden zu werden (vgl.
Goffman 1968, S. 32).
Die Live-Darbietung von Musik hat für Metal-Fans einen sehr hohen Stellenwert. Die
Bands auf der Bühne verkörpern „livehaftig“ die musikalischen Ideale der Spezialkultur,
wie die Virtuosität und die Beherrschung der Instrumente: „The concert is the event that
epitomizes the cultural form and brings it to fulfillment“ (Weinstein, S. 199). Das
Image, das sich aus den Bildern, Symbolen und Texten zusammensetzt, manifestiert
sich nun real und greifbar, es ist „an opportunity to represent and affirm the heavy metal
subculture’s values and norms“ (Weinstein, S. 217f).
Metal-Fans scheuen keine Mühe und langen Fahrten, um bis zum Ort des Konzerts zu
gelangen. So erzählt Fan C: „Kein Weg war zu weit, kein Wetter zu schlecht, um viele
km bis in eine Metal-Disco oder zu einem Konzert zurückzulegen.“ Besonders in
ländlichen und dünn besiedelten Gegenden können sich bei einem solchen Ereignis auch
Fans, die räumlich weit entfernt voneinander wohnen, treffen, und unter Umständen
bestehende Brieffreundschaften auffrischen oder neue knüpfen.
Ein Konzert ist auch eine gute Möglichkeit, innerhalb der Fangemeinde diejenigen
Bekannten oder Freunde zu finden, die sich besonders für eine bestimmte Stilrichtung
oder eine bestimmte Band innerhalb des Metal-Spektrums begeistern.
40
Es herrscht „Stimmung“, es wird ausgelassen gefeiert, die Livequalitäten der Bands
werden im Gegensatz oder im Vergleich zu ihren Leistungen auf Tonträger diskutiert,
Informationen und Erfahrungen verschiedenster Art ausgetauscht.
Konzerte erfüllen somit eine wichtige soziale und kommunikative Funktion innerhalb
der Fangemeinde. Ähnlich verhält es sich mit Kneipen und Discos, in denen
hauptsächlich Metal-Musik gespielt wird. Auch diese können zum Treffpunkt von
Metal-Fans werden, speziell am Wochenende, erreichen aber nie die symbolische
Bedeutung des Live-Konzerts, sondern sind eher mit privaten Parties und gemeinsamen
Kneipenbesuchen auf eine Stufe zu stellen.
Brieffreundschaften und Tape-Trading
Kontakte zu Fans aus aller Welt, nicht nur aus der näheren Umgebung oder aus dem
eigenen Land, sind wichtig für den Zusammenhalt in der Metal-Sozialwelt. Die
Kontakte innerhalb dieser Spezialwelt dehnen sich sozusagen durch Kettenreaktionen
aus: „Wenn man mal einige Leute richtig kennt, dauert es nicht lange, bis man die
nächsten, nicht unwichtigen Typen kennt usw...“ (Fan C).
Bei den Kontakten zu ausländischen Metal-Fans spielen vor allem die „exotischen“
Länder, wie Brasilien, Kolumbien, Peru und in den letzten Jahren auch Singapur und
Malaysia eine große Rolle (vgl. Weinstein, S. 119f), Briefkontakte zu Fans und
Musikern aus diesen Ländern, die nicht selten zu Tape-Trading führen, werden als große
Bereicherung des eigenen Erfahrungshorizonts und Wissenspektrums angesehen.
Außerdem beweisen sie, daß Metal eine universell verständliche Sprache ist, die die
Bedürfnisse gleich oder ähnlich gesinnter Menschen auf der ganzen Welt, ungeachtet
ihres kulturellen Hintergrundes, anspricht: „Metal’s popularity in non-Western areas has
become a cause for rejoicing in the metal community since it demonstrates the universal
appeal of the music“ (Weinstein, S. 120).
Eine Erweiterung und Bereicherung der Brieffreundschaften zwischen stark in der
Sozialwelt integrierten Fans, die viele Kontakte zu anderen Fans haben, die teilweise auf
der ganzen Welt verstreut sind, ist das bereits erwähnte Tape-Trading. Fan C erklärt das
folgendermaßen:
„Vieles lief damals über ‘Tape-Trading’ ab, d.h. es wurden Listen erstellt, wer
welches ‘Material’ besitzt, diese wurden dann im In- und Ausland ausgetauscht und
die Musik wurde gegenseitig überspielt (z.B. 1 x Demo von Band A, 1 x LP von
Band B gegen Demos von Bands C, D, E).“
Auch Fan E hat damit Erfahrungen gemacht:
„Oft kommt auch jemand mit ‘nem neuen Tape, was die anderen noch nicht kennen,
und erzählt was davon... meistens leiht sich das dann jemand aus, wenn er denkt, das
wär’ was für ihn. So lernt man auch mal unbekannte Bands kennen, und dafür kann
man dem anderen was überspielen, was der noch nicht hat.“
41
Eine Fanstimme aus dem Internet:
„At heart, we're collectors and archivists and like to trade with others on a non-profit basis.“
Auf diese Weise können Mitglieder unterschiedlicher lokaler Szenen miteinander in
Kontakt kommen und Informationen austauschen. Nebenbei erfährt so ein Deutscher,
welche neuen Bands es z.B. in Kolumbien gibt, und die kolumbianischen Metal-Fans
bekommen „frische Ware“ aus Deutschland oder USA, während der Fan in USA mit
Leuten aus Malaysia tauscht. Basis für solche Praktiken ist ein fast uneingeschränktes
gegenseitiges Vertrauen, daß der Tauschpartner, zumal wenn er so weit entfernt wohnt,
daß er kaum persönlich zur Rechenschaft gezogen weden kann, nicht betrügt. Dies
kommt hin und wieder vor („Rip-Off“), wird aber als schwerer Verstoß gegen den
Ehrenkodex des internationalen Metal-Fandom gewertet.
Für Bands ergibt sich durch das Tauschen von Tapes mit weit entfernt lebenden Partner
eine sehr wirkungsvolle und preiswerte Werbung (Promotion), die an Effizienz der von
professionell organisierten Firmen in nichts nachsteht.
Internet
Ein weiteres Kommunikationsmedium, was unabhängig von Entwicklungen in der
Black und Death Metal- oder anderen Musikszenen in den letzten Jahren durch die
globale Vernetzung von Computern enorm expandiert hat, ist das Internet, das diverse
Nutzungsmöglichkeiten anbietet.
Durch die schnelle und bequeme Kommunikation via E-Mail rückt die Welt noch näher
zusammen, die bei Metal-Fans so beliebten Kontakte nach Lateinamerika werden so
noch unkomplizierter. Aber auch innerhalb Europas oder nach USA verbessert sich die
Kommunikation, da kurze Nachrichten billiger und schneller übermittelt werden
können. Viele Fans nutzen auf diesem Wege die Möglichkeit, mit Bands in Briefkontakt
zu treten.
Andere Internet-Dienste wie Newsgroups oder das World Wide Web (WWW) werden
ebenfalls intensiv genutzt. Beim WWW tritt der Informationscharakter dieses Mediums
stärker zutage: es funktioniert als eine Mischung aus Datenbank und Magazin. Über das
WWW können auf meist von Fans erstellten Homepages Texte, Bilder, Film- und
Tonsequenzen zu verschiedenen Bands abgerufen werden. Auf einer von einem Fan
zusammengestellten Seite (www.geocities.com/SunsetStrip/8791/index.html) sind mehr
als 1700 Verbindungen (Links) zu anderen Metal-Seiten eingetragen; zu bestimmten
Subgenres wie Black Metal (www.lut.fi/~mega/muzac/blacklist_hoard.html#bands)
oder Death Metal (www.student.nada.kth.se/~d90-two/music/metal_lists/Deathlist)
existieren Listen, in denen Hunderte von Bands mit Kurzcharakterisierung eingetragen
42
sind. Aktuelle Neuigkeiten wie Besetzungswechsel bei Bands oder Tourdaten stehen
meistens als erstes in einer Newsgroup oder im WWW.
4.2.2 Informationsmedien
Fanzines und Mailorderlisten
Während bei Live-Konzerten und in Szenekneipen der Austausch von Informationen
eine erwünschte Begleiterscheinung ist, dienen Magazine und Fanzines gezielt dem
Publizieren von Informationen in und für die Szeneöffentlichkeit. Inhaltlich zählen dazu
Besprechungen (Reviews) bzw. Kritiken von CDs/ LPs und anderen Tonträgern,
vornehmlich Demo-Tapes, Berichte von Live-Auftritten und Interviews mit Musikern
und anderen als interessant erachteten Persönlichkeiten der Szene. Dabei ist zwischen
Fanzines und Szenemagazinen zu unterscheiden.
Unter einem Fanzine (Wortkomposition aus „Fan“ und „Magazine“, vgl. Janke/ Niehus,
S. 48) versteht man eine von Fans für Fans herausgegebene Zeitschrift, die sehr
spezialisiert über bzw. aus einer bestimmten Szene oder den Teil einer Szene berichtet.
Die meisten Fans beziehen einen beträchtlichen Teil ihrer Informationen über die Szene
aus solchen Fanzines. Fan C meint dazu:
„Kenntnis über diese Tatsachen erhält man vor allem aus Underground-Fanzines,
das sind Zeitungen, die von Fans gemacht werden, meist wird damit kein oder kaum
Gewinn erwirtschaftet, was aber auch nicht der Sinn dieser Szene-Organe ist. Der
besteht darin, daß man so sehr in die Szene integriert wird und wird motiviert durch
Enthusiasmus für die Szene und das Drumherum. Lohnen tut sich das Ganze
insofern, daß die Editoren solcher Hefte meist freien Eintritt zu Konzerten haben
und sie oft Vorabversionen der neuesten Veröffentlichungen erhalten (natürlich
kostenlos), um diese zu beurteilen. Nachteil dieser Fanzines ist das finanzielle
Risiko und das unregelmäßige Erscheinen, so daß manche Aussagen in Interviews
oder auch Rezensionen von Neuveröffentlichungen ziemlich überaltert sind. Ich
persönlich habe ziemlich viele Fanzines bzw. gute Kontakte zu diesen, basierend auf
meine musikalische Tätigkeit.“
Ein Fanzine vermittelt Insiderwissen, das in anderen Medien nicht veröffentlicht wird.
Dadurch baut es für seine Addressaten eine Gegenöffentlichkeit auf (vgl. Winter 1995,
S. 153), die allerdings selten aggressiv gegen die von den „großen“ Medien aufgebaute
Publizität arbeitet, sondern meistens subversiv. Obwohl die wenigsten Fanzines illegal
sind oder in bewußter Geheimhaltung erstellt werden, sind sie durch ihre
szenespezifichen und auf die jeweilige Szene beschränkten Vertriebskanäle für
Außenstehende oder die breite Öffentlichkeit sozial unsichtbar: nur selten findet man
Fanzines im Zeitschriftenhandel, im Allgemeinen werden sie unter den Fans durch
persönliche Kontakte nach einer Art „Schneeballsystem“ weitergegeben. In jedem
43
Fanzine werden außerdem wichtige Kontaktaddressen aus der jeweiligen Szene sowie
Werbung für andere Fanzines abgedruckt.
Durch ein solches Vertriebssystem ist es für die Fans realisierbar, gesetzliche
Vorschriften beispielsweise für Gewaltdarstellungen in Wort und Bild zu ignorieren - so
können (bei Musik-Fanzines) indizierte Plattencover oder Texte abgedruckt werden, in
Horror-Fanzines wird über indizierte und zensierte Filme berichtet (vgl. Winter 1995, S.
154). Auch Importe aus dem Ausland, besonders Holland und den skandinavischen
Ländern, in denen die Gesetzgebung einen liberaleren Umgang mit Darstellungen von
Gewalt und Sexualität zuläßt, gelangen durch Fankontakte nach Deutschland.
Im Gegensatz zu professionellen Magazinen sind die Redakteure nur hobbymäßig an der
Erstellung der Zeitschrift beteiligt, gedruckt wird, wenn überhaupt (es existieren auch
einige „xeroxed“, d.h. kopierte Fanzines) in Eigenregie, die Erscheinungstermine sind
oft unregelmäßig und richten sich nach den zeitlichen und finanziellen Kapazitäten der
Herausgeber. Die Ersteller von Fanzines arbeiten in der Regel (bestenfalls)
kostendeckend und nicht profitorientiert.
In der Death und Black Metal-Szene als einer „Sub-Szene“ des Metal spielen Fanzines
eine besonders wichtige Rolle, da sich größere Musik- oder Metal-Zeitschtiften nur am
Rande mit diesem Teilgebiet der Metal-Spezialkultur befassen und meist nur über die
kommerziell erfolgreichsten Bands berichten. Außerdem stören sich die meisten Fans an
der Art der Berichterstattung der großen Magazine: sie ist nicht fanorientiert, häufig
inkompetent und (ihrer Meinung nach) von mächtigen Plattenfirmen gesteuert. Im
Gegesatz dazu liefern Fanzines authentische Informationen und ungeschönte Interviews,
in denen Musiker oder andere Personen der Szene einerseits fair behandelt - indem die
Journalisten sie zu Wort kommen lassen und mit dem Interview keine Selbstdarstellung
ablieferen - andererseits aber auch kritisch hinterfragt werden. Die meisten Fanzines
erscheinen auf Englisch, damit sie ohne Probleme welteit distribuiert werden können.
Einige Fanzines sind z.B. Artifact Magazine, Chaos Magazine, Deathbanger,
Decompozine, Descent, Drakula Zine, Mystical Music, Isten, Slayer Mag, Soluzen,
Supremacy 'zine, Tales of the Macabre.
Ein weiteres Informationsmedium, das besonders im Death und Black Metal eine
beachtliche Position errungen hat, ist die Mailorderliste. Mailorderlisten sind nichts
anderes als Kataloge, in denen ein sehr spezialisiertes CD/Platten/Tape-Sortiment
angeboten wird, was selbst in den meisten Musikfachgeschäften, besonders in kleineren
Städten und Dörfern, nicht vorrätig ist oder nur zu überteuerten Preisen beschafft
werden kann. Außerdem bieten auf Metal spezialisierte Versände alle Arten von
sogenannten Merchandising-Artikeln an. Dazu gehören T-Shirts und andere
Kleidungsstücke mit Motiven und Logos von Bands, aber auch Flaggen, Aufnäher,
Bücher und ähnliches. In solchen Katalogen findet man seit ca. zwei Jahren auch
Kurzbeschreibungen von Neuerscheinungen, z.T. sogar ausführliche Kritiken einzelner
Alben, Interviews mit aktuellen Bands und sonstige Informationen aus der Szene. Die
44
Tendenz geht mittlerweile dahin, daß diese Mailorderlisten besser und umfassender
informieren als etablierte Szenemagazine. Um über das aktuelle Szene-Geschehen auf
dem Laufenden zu bleiben, ist es für die Fans unerläßlich geworden, regelmäßig
Fanzines und Kataloge zu lesen. Zu den wichtigesten Mailorderfirmen gehören Nuclear
Blast Records, Malibu und EMP.
Szenemagazine
Der Begriff „Szenemagazin“ wird hier synonym für Fachzeitschrift verwendet, also
einer regelmäßig erscheinenden Publikation, die auf ein bestimmtes fachspezifisch
interessiertes Publikum zugeschnitten ist (wie Waffenmagazine, Fußballmagazine,
Antiquitätenmagazine), aber ansonsten kommerziell organisiert ist wie jede andere im
Buchhandel oder Kiosk erhältliche Zeitung oder Zeitschrift, d.h. von hauptamtlichen
Redakteuren hergestellt und von einem größeren Verlagshaus gedruckt wird sowie
überregionale Verbreitung besitzt (vgl. Winter/ Eckert, S. 40). Auf dem deutschen
Zeitschriftenmarkt zählen zu dieser Kategorie das „Rock Hard“ (Auflage ca. 80 000
Exemplare, Erscheinungsweise monatlich) und der „Metal Hammer“, darüber hinaus
gibt es (in sehr viel kleinerer Auflage als die letztgenannten) z.B. „Heavy, oder was?“
oder „Horror Infernal“. Viele dieser Zeitschriften, wie z.B. das „Rock Hard“, sind aus
Fanzines hervorgegangen.
Die meisten Fans haben, wie schon angedeutet, von den „großen“ Magazinen keine
besonders hohe Meinung, wie Fan C:
„Weitere Info-Quellen sind natürlich die regelmäßig erscheinenden ‘großen Blätter’,
diese geben jedoch herzlich wenig her und sind in der Regel ziemlich ausgelutscht
(mit Ausnahme der Berichte von R. Müller im Metal Hammer!)“.
Besonders das Rock Hard hat sich in den letzten Jahren unbeliebt gemacht, u.a. durch
ein Interview mit David Vincent, in dem er nach Meinung der Fans auf ungerechtfertigte
Weise wegen angeblich politischer Äußerungen angegriffen wurde (vgl. Rock Hard 74,
1993), aber auch durch vermehrte Berichterstattung über Bands außerhalb der MetalSzene, mit denen die meisten Metal-Fans nichts anfangen können.
Radio- und Fernsehsendungen
Auch die auditiven bzw. audiovisuellen Massenmedien Radio und Fernsehen stellen
spezielle Sendungen für Metal-Fans her, die sich meistens jedoch mit dem gesamten
Spektrum des Metal befassen und nicht auf ein Teilgebiet spezialisieren. Während
metal-orientierte stundenweise gesendete Radio-Specials in Deutschland wenig
45
verbreitet sind und nur einen kleinen Senderadius besitzen, ist Metal im Fernsehen
europaweit über Kabel und Satellit im Programm der Jugend-Musiksender „MTV
Europe“ und „VIVA“ vertreten. Journalistisch betrachtet sind „Headbanger’s Ball“ von
MTV Europe und „Metalla“ von VIVA, die einmal wöchentlich in einer Länge von ca.
zwei Stunden meist am späten Abend ausgestrahlt werden, ähnlich wie die großen
Szenemagazine konzipiert. Sie konzentrieren sich in ihrer Berichterstattung auf die
kommerziell erfolgreichsten Bands der Szene und legen wenig Wert auf
„insiderbetonte“ Informationen. Ihr Programm besteht aus Video-Clips, deren Zahl auch
im Bereich des Metal steigend ist (zur Videowelt vgl. Altrogge/ Amann), Reportagen
und Interviews mit Bands, Konzertaufnahmen und Neuigkeiten aus dem Musikbusiness.
Ebenso wie die Szenemagazine werden diese Sendungen von den meisten Fans gleichgültig welcher speziellen Richtung innerhalb des Metal - als zu kommerziell
abgelehnt. Der einzige Nutzen besteht darin, daß „manchmal doch noch etwas Gutes
dabei ist“, d.h. daß vereinzelt Videoclips oder Live-Aufnahmen von Bands gezeigt
werden, die in der Fanwelt ein hohes Ansehen genießen, und auf anderem Wege nicht
zu beschaffen sind.
4.3 Typologie der Fans nach Arten der Aneignung
Wenn - wie in Abschnitt 4.2 behauptet - die Kommunikationskanäle und Informationsmedien im Metal-Fandom den mechanischen Aufbau darstellen, kann man an den Fans
selbst, die sich der CDs, Platten, Texte und Bilder sowie der Informationsmedien im
unterschiedlichen Maße bedienen und sich unterschiedlich stark an einer szeneinternen
Kommunikation beteiligen, den organischen Aufbau der Szene ablesen. Tatsächlich
kann man die Rezeption der medialen Inhalte betreffend von „heterogenen
Aneignungspraktiken“ (Winter 1995, S. 162) der Fans sprechen, die zur Herausbildung
unterschiedlicher Typen von Fans innerhalb der Death und Black Metal-Szene führen.
Winter (1995) hat für die Horrorfans eine Einteilung in vier unterschiedliche soziale
Typen nach Arten der Aneignung gefunden, die sich auf die Death/ Black Metal Fans
mühelos übertragen läßt, und diese sollen in Anlehnung an Winter Novize, Tourist, Buff
und Freak genannt werden.
4.3.1 Der Novize: Der erste Kontakt
Als Novizen seien hier Medienkonsumenten bezeichnet, die zum ersten Mal mit den
Phänomenen der Death und Black Metal-Szene in Berührung kommen, ganz gleich ob
es sich um die auditiven, visuellen oder textlichen Elemente handelt.
46
In den meisten Fällen findet die erste Begegnung von Jugendlichen im Alter zwischen
12 und achtzehn Jahren mit einem Death/ Black Metal-Song durch den Kontakt mit
Gleichaltrigen aus Schule, Beruf oder Sportverein statt, die solche Musik hören. Auf die
Frage, wie sie zum ersten Mal auf diese Musik aufmerksam geworden seien, geben Fans
häufig Antworten wie die folgende von Fan A:
„Ich bin eigentlich zweimal auf Death Metal aufmerksam geworden, beide Male
durch Kumpels. Das erste Mal waren das die ganz alten Sachen, so Death die erste
Platte... später hat ein anderer Kumpel von mir, der vorher auf Punk war, die erste
Obituary gehört, und dann fing die Death Metal-Welle an.“
Seltener werden sie auf Songs oder CD/Platten-Cover selbst aufmerksam, da Death und
Black Metal in den Massenmedien wie Radio und Fernsehen wenig präsent ist und
selbst bei Metal-Spezialsendungen wie „Headbangers Ball“ von MTV oder „Metalla“
von VIVA nur einen kleinen Anteil des Programms ausmacht. Auch in den
Tonträgerabteilungen der Kaufhäuser und den Musikfachgeschäften findet sich, wenn
überhaupt, meist nur ein kleines Sortiment an Death und Black Metal-Tonträgern.
Dennoch ist auch diese Form der „Kontaktaufnahme“ anzutreffen, besonders bei Fans,
die zu anderen Formen des Metal bereits Zugang hatten. So hat es z.B. bei Fan B
angefangen:
„In dem Plattenladen, wo ich öfter mal was gekauft habe, hat mich der Verkäufer
damals auf die erste Dismember aufmerksam gemacht. Weil ich damals schon gerne
so harte Thrash-Sachen wie Slayer gehört habe, hat er gemeint, das wär’ was für
mich. Ich hab’ reingehört und es mir direkt gekauft.“
Die Reaktionen beim ersten Hören eines solchen Songs sind oft schockierend und
negativ. Typisch für den ersten Eindruck sind Aussagen wie „Alles nur Krach“ oder
„Das hört sich ja alles gleich an“. Besucherinnen einer Diskothek, die zu ihren ersten
Eindrücken beim Hören von Death Metal befragt wurden, äußerten sich mit
Kommentaren wie:
„Ich hab Angst dabei, wenn’ ich sowas hör’... ich finde, sowas gehört einfach
verboten“,
„Ich muß sagen, ich hab’ jetzt noch Gänsehaut, wenn ich so Musik hör’, da läuft’s
mir kalt den Rücken runter. Ich find’s irgendwie gruslig, in der Öffentlichkeit so
was zu spielen, solche Klänge, Musik kann man das ja schon gar nicht mehr nennen,
find’ ich, ja, gehört halt verboten“ (aus dem Video „666 - At Calling Death“ von
Matt Vain).
Die Novizen nehmen bei Death Metal-Songs nur den „Krach“ wahr, sind aber nicht in
der Lage, die Struktur des Songs zu erfassen oder die akustischen Phänomene als Musik
zu identifizieren, weil er ihre Vorstellungen von dem, was „Musik“ oder was ein „Song“
ist, nicht erfüllt. Besonders der Gesang, der im Death und Black Metal als „Gegrunze“
respektive „Gekreische“ bezeichnet wird, schreckt die meisten „Fremden“ (vgl. Winter,
47
S. 164f) ab. Das hohe Tempo und der oft unkonventionelle und komplexe (besonders im
Death Metal) Aufbau der Songs erschweren es dem ungeübten Gehör zusätzlich, dieses
musikalische Genre in die eigene Vorstellungswelt einzuordnen. Auch die visuellen und
textlichen Elemente wie satanische Symbole oder Splatterszenen und -texte
konfrontieren den durchschnittlichen Rezipienten mit moralischen und ästhetischen
Normverstößen. Das Fehlen von Vergleichsmöglichkeiten, die erst ein
Unterscheidungsvermögen innerhalb der Kategorie „Death Metal“ entstehen lassen
könnten, und systematischem Hintergrundwissen führt bei den Ersthörern zu einer
Desorientierung (vgl. Winter, S. 165).
Das kann - in selteneren Fällen - selbst bei solchen Hörern passieren, die mit anderen
Subgenres des Metal oder dem traditionellen Heavy Metal bereits vertraut sind. Diese
schreckt vor allem die Art der stimmlichen Artikulation ab.
Diese generelle gesellschaftliche Ablehnung der death/ black-typischen
Ausdrucksformen übt speziell auf viele Jugendliche, die diese Musikrichtung
kennenlernen, einen besonderen Reiz aus; die Faszination resultiert aus der
Überschreitung der gesellschaftlich gültigen Grenzen des „guten Geschmacks“, die
insbesondere die Erwachsenenwelt schockiert.
Aber auch Gruppeneffekte können für jugendliche Novizen eine Rolle spielen. Dadurch,
daß jugendliche Rezipienten dem Death und Black Metal in Peer-Groups, die eine nicht
zu unterschätzende sozialisierende Funktion in der Biographie von Jugendlichen
übernehmen (vgl. Baacke 1983, S. 234), begegnen, kann die Reaktion dieser Novizen in
eine bestimmte Richtung beeinflußt werden: gerade durch die musikalischen und
textlichen Extreme wird „Death Metal-Hören“ zu einer Art Mutprobe in Gruppen von
Jugendlichen, besonders unter männlichen Jugendlichen, die gegenüber den
Gleichaltrigen beweisen wollen, wie „hart“ und abgebrüht sie sind (vgl. dazu WagnerWinterhager, S. 360, und die Beobachtungen bei jugendlichen Horrorfans von
Vogelgesang 1991, S. 219f). Der Einzelne verhält sich in Situationen gemeinsamen
Rezipierens von Death Metal und bei den Gesprächen darüber konform zur Gruppe und
wagt es unter Umständen nicht, sich Zeichen von Unbehagen anmerken zu lassen,
zuzugeben, daß ihn der „Krach“ schockiert, sondern muß deutlich machen, daß er die
Musik ertragen kann oder daß ihm von den Splatter-Texten (z.B. die akribischen
pathologischen Abhandlungen, die die englische Grindcore/ Death Metal-Band Carcass
aus England als Songtexte eingesetzt hat) nicht übel wird und er sogar Gefallen daran
findet. Der Konformitätsdruck innerhalb der Gruppe kann sich weiterhin dahingehend
auswirken, daß Jugendliche sich dem musikalischen Trend ihrer Clique anpassen und
sich an gemeinschaftlichen Aktivitäten wie Disco- oder Konzertbesuchen im Umfeld
der Death und Black Metal-Sozialwelt beteiligen.
Solche Rezipienten halten sich erfahrungsgemäß allerdings nur während einer kurzen
Phase ihrer Jugendzeit am Rande einer solchen Sozialwelt auf.
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Bei erwachsenen Novizen fällt die Reaktion auf Death und Black Metal in der Regel
durchweg negativer aus. Belassen es die meisten Hörer bei einem vernichtenden
(Geschmacks)- Urteil, fühlen andere sich durch die ästhetischen und moralischen
Grenzüberschreitungen zu politischer Aktivität motiviert. Eine solche Kritikerin, die
öffentliches Aufsehen erregt und Diskussionen sowohl in der Metal-Presse (vgl. Rock
Hard 67, 68/ 1992, 71/ 1993) als auch in verbreiteten Printmedien wie dem Spiegel
entfacht hat, ist die Saarbrücker Lehrerin und Vorsitzende des Vereins für
Friedenserziehung Christa Jenal. Sie stand durch ihr öffentliches Auftreten (offene
Briefe an Politiker, Anträge zur Indizierung von Tonträgern und dem behördlichen
Verbot von Death Metal-Konzerten) gegen Gewaltdarstellungen in musikalischen
Jugendkulturen im Allgemeinen und Death Metal im Speziellen besonders in den Jahren
1992 - 1994 im Mittelpunkt von Kontroversen um Zensur von gewaltverherrlichenden
und/ oder rechtsradikalen medialen Texten. Mit Aussagen wie „Die Darstellung von
Gewalt zur Unterhaltung verführt die Jugendlichen immer zur Identifizierung - ganz
egal, ob es sich dabei um den Satan oder um Rechtsradikalismus handelt“ (zitiert aus:
„Gitarren zu Pflugscharen“ in Spiegel Spezial 2/1994), reiht sie sich in eine lange
Tradition von Medienkritikern ein, die Jugendliche vor der Verrohung bewahren wollen
(vgl. Vogelgesang 1991, S. 3ff). Doch sie läßt nicht nur mit einer solchen Gleichstellung
von fiktiver (Fantasy-Horror in Gestalt des Satan) und realer Gewalt wie rechtsradikalen
Denk- und Handlungsweisen neuere Erkenntnisse der Medienwirkungsforschung außer
Acht (vgl. u.a. Eckert et al. 1990, Vogelgesang 1991, Winter 1995), sie hat nach
Aussage des Spiegel-Autors „den Death Metal keine Sekunde lang begriffen“ (Spiegel
Spezial 2/1994). Gemeint ist damit, daß sie als Novize nicht in der Lage ist, die
Darstellungen von Gewalt-und Splatterszenen in Lyrics und Covern im Kontext zu
deuten, weil ihr ein geeigneter Relevanzrahmen fehlt (vgl. Winter 1995, S. 164). Die
Rahmen, die sie zur Interpretation von Ereignissen anzuwenden gewohnt ist, scheinen
nicht adäquat zu sein, andere Rahmen stehen nicht zur Verfügung (vgl. Goffman 1993,
S. 409). Das daraus folgende Mißverstehen und die Desorientierung führen zu einer
ablehnenden, ja sogar aggressiven Haltung gegenüber der Metal-Spezialkultur: „...
Carcass mit ihren Exkrementenkollagen. Zum Kotzen für mich!“ (Rock Hard 71/ 1993).
Diese generationsspezifischen Unterschiede im Rezeptionsstil sind im Wesentlichen
darauf zurückzuführen, daß Kinder und Jugendliche besondere Kompetenzen beim
Lesen medialer Texte ausbilden, die Erwachsenen nicht zu eigen sind (vgl. Vogelgesang
1994, S. 13f). Ähnliche Unterschiede bei den Reaktionen auf mediale Texte hat auch
Winter in Bezug auf Horrorfilme festgestellt (vgl. Winter 1995, S. 166f). Erwachsene,
die zum ersten Mal in Kontakt mit Black/Death Metal-Songs und -Symbolen kommen,
lehnen diese eher ab als Jugendliche mit vergleichbarem (geringen) Wissenstand über
die Szene.
49
4.3.2 Der Tourist: „Explorierende Aktivitäten“ (Winter 1995, S. 168)
Wenn sich die anfängliche Schockwirkung und Desorientierung angesichts der
ungewohnten und verwirrenden Eigenschaften der medialen Texte in Neugierde und
Abenteuerlust verwandeln, kann der Rezipient mit einem Touristen verglichen werden,
der auf der Suche nach außeralltäglichen Erfahrungen ist, die ihm in seinem heimischen
Umfeld nicht geboten werden (vgl. Winter 1995, S. 167f). Ein solcher Rezipient
interessiert sich über den ersten Kontakt hinaus für die Musik des Death und Black
Metal und hat beschlossen, zumindest für einen gewissen Zeitraum in der Sozialwelt zu
verweilen und sich näher mit ihr zu befassen.
Kennzeichnend für den Touristen ist der emotionale Bezug zur musikalischen
Spezialkultur des Death und Black Metal, die ihm außergewöhnliche Erlebnisse und
neue Erfahrungshorizonte verspricht, was ihn veranlaßt, gerade hier auf die Suche zu
gehen.
Als erstes sucht er Kontakte zu Fans, die durch langjährige Mitgliedschaft in der
Sozialwelt ein fundierteres und detaillierteres Wissen angesammelt haben und ihm
dadurch als „Fremdenführer“ dienen und ihm helfen können, sich weiterzubilden.
Dadurch möchte er auch Zugang zu solchen Songs und Alben erhalten, die nicht jeden
Tag im Radio gespielt werden; er erhofft sich von den „Einheimischen“ Informationen
über wichtige und aktuelle Platten/CDs, Magazine, Fanzines und Mailorderlisten, um
sich die Tonträger beschaffen zu können. Er legt sich mit Hilfe dieser Informationen
oder auch Leihgaben der anderen Fans (das Kopieren von Platten und CDs auf Tape ist
eine sehr verbreitete und geldsparende Praxis unter Fans, besonders, wenn jemandem
eine „Kostprobe“ einer Musikrichtung oder einer Band präsentiert werden soll) eine
kleine Sammlung von Alben derjenigen Death und Black Metal-Gruppen zu, die ihm
besonders zusagen oder die ihm als besonders wichtig für die Szene empfohlen wurden.
Obwohl er bereits ein gewisses - allerdings unsystematisches und bruchstückhaftes Wissen über Bands, Alben und die aktuellen Geschehnisse in der Szene (z.B.
Neuveröffentlichungen, Tourdaten) besitzt, ist er noch auf Informationen aus zweiter
Hand (aus den ihm bekannten Magazinen oder evtl. Fanzines) und die Meinung anderer
Fans angewiesen.
Wegen des starken emotionalen Bezugs zu den medialen Erlebnissen, die mittels der
Songs, Texte und Bilder im Death und Black Metal möglich werden, interessieren sich
die Touristen, entsprechend ihren sonstigen kulturellen Interessen oder ihrer
Weltanschauung, oft nur für bestimmte Aspekt innerhalb der Spezialkultur. So gibt es
Fans, die ein besonderes Interesse an satanischen Themen und Lyrics entwickeln, und
sich daher zu Bands mit einer solchen Thematik hingezogen fühlen, wie z. B. Deicide
oder Acheron aus den USA oder Immortal aus Norwegen. Daneben beschäftigen sie
sich mit Literatur über Satanismus und hören auch Musik von Bands aus den Bereichen
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Industrial, Gothic oder Black Ambient, die in diese weltanschauliche Richtung tendieren
(wie z.B. Maschinenzimmer 412, Mortiis). Dazu meint Fan G:
„Mich interessiert vor allem das Düstere an der Musik. Das ist z.B. bei den meisten
Black Metal-Sachen der Fall. Bands wie Cannibal Corpse oder Konkhra
interessieren mich nicht so. Ich mag Sachen, wo es um satanische Themen geht, weil
ich darüber auch gerne Bücher lese. Deswegen höre ich auch Sachen, die nicht
unbedingt was mit Metal zu tun haben, z.B. Vond oder Mortiis, wo nur Keyboards
drauf sind, oder so düstere Elektro-Sachen.“
Fans, die Musik mit harten und stark verzerrten Gitarren bevorzugen, die sich durch die
hemmungslos artikulierte Aggressivität solcher Songs angezogen fühlen, mögen
Hardcore-Bands wie Biohazard oder Propain (USA) genauso wie die Death Metal-Acts
Obituary (USA) oder Bolt Thrower (England), eine solche sehr selektierende
Einstellung bezüglich der Bands und der von ihnen thematisierten Inhalte ergab sich im
Gespräch mit Fan F:
Q: Welche Arten von Musik hörst du so hauptsächlich?
F: Vor allem Death Metal, aber auch so Industrial, und alles, was hart und schnell
ist.
Q: Gibt es Bands, die Du besonders gerne hörst?
F: Ja, z.B. Napalm Death, also mehr so Grindcore, Bolt Thrower, Ministry, aber
auch Entombed, Obituary...
Q: Liest Du die Texte?
F: Ja, meistens.
Q: Was hältst Du von den Texten? Beschäftigst du Dich damit?
F: Ja, manche Sachen finde ich sehr gut, wenn sie z.B. gegen Krieg und
irgendwelche schlimmen Sachen gehen.
Q: Du findest also, daß die meisten Texte durchdacht und nicht dumm und
gewaltverherrlichend sind?
F: Manche schreiben totalen Blödsinn, mit so Satanszeug... aber es gibt eben auch
kritisches...
Q: Was hältst du von Okkultismus?
F: Interessiert mich nicht so.
Auch andere speziellen Interessen von Fans sind möglich, manche begeistern sich für
Carcass (England), Cannibal Corpse (USA) oder Autopsy (USA) wegen ihrer MetzelÄsthetik in Wort und Bild.
Touristen bewegen sich also oft gleichzeitig und mitunter mit dem gleichen Interesse in
anderen Szenen, die nicht unbedingt mit Metal kompatibel sein müssen. Dazu gehören
insbesondere, wie aus den Fan-Aussagen ersichtlich, z.B. Hardcore, Industrial, oder
Gothic, die ihrerseits eine Fangemeinde besitzen. Dadurch sind Black/ Death MetalTouristen oft auch Touristen in den eben genannten Szenen.
Der Tourist selektiert aus der Sozialwelt des Death und Black Metal, was ihn emotional
am meisten anspricht und ihm am besten gefällt, und nutzt die medialen Möglichkeiten
und Angebote gemäß seinen Wünschen und Bedürfnissen. Er „versteht“, worum es im
Death und Black Metal geht, weil er passende Interpretationsrahmen für die medialen
Texte entwickeln kann (vgl. Winter 1995, S. 172). Das ermöglicht es ihm, die Musik zu
51
genießen und gewährt ihm so viel Einblick in die Spezialwelt, daß er zumindest
ausschnittsweise mit den anderen Fans „mitreden“ kann.
Oft verläßt er jedoch die Death und Black Metal-Szene nach einer bestimmten Zeit
(meist ca. zwei Jahre), entweder, weil seine speziellen Wünsche und Bedürfnisse eine
Entwicklung durchgemacht und sich verändert haben - was in der Entwicklungsphase
der Jugend keine Seltenheit ist - oder weil er schon alles kennengelernt hat und sich nun
wieder auf die Suche nach neuen außeralltäglichen Erlebnissen begibt. Oftmals taucht
auch ein neues mediales Phänomen auf, das sein Interesse weckt oder seinen jeweils
aktuellen emotionalen Bedürfnissen stärker entgegenkommt, und so steigt er nicht
abrupt, sondern schrittweise aus der Death und Black Metal-Sozialwelt wieder aus,
während er seine Freizeit mehr und mehr einer (für ihn) neuen oder neu entstehenden
Szene widmet.
Dies war bei einigen von den Fans der Fall, mit denen für diese Arbeit Gespräche
geführt wurden. Sie sind nach dem Abebben des Death Metal-Booms, der in etwa von
1992 bis 1994 dauerte, entweder ganz aus der Landschaft jugendlicher Spezialkulturen
in den Mainstream verschwunden, oftmals aber auch in die Hardcore/Crossover- oder
häufiger noch in die Techno-Szene abgewandert. Dazu befragt, äußerte sich Fan K
folgendermaßen:
„Naja, ich finde halt, irgendwann wird man doch zu alt für sowas. Meine Freundin
hört sowas nicht, und deswegen gehen wir öfter mal mit Leuten in mehr so normale
Discos... wo auch Techno läuft... immerhin ist das auch ziemlich hart, und so ganz
harter Techno gefällt mir ganz gut.“
Auch Fan I ist Techno-Fan geworden:
„Industrial oder harten Techno finde ich total geil und hat auch viel mit Death Metal
gemeinsam, weil es so Extreme sind... gibt mir inzwischen irgendwie mehr, ist mehr
die Musik der Zukunft... ausbaufähig, oder eben wie Cubanate, die Metal-Gitarren
mit total den Techno-Rhythmen mischen.“
Fan E kann solche „Aussteiger-Geschichten“ aus eigener Erfahrung bestätigen:
„Genauso war's bei einem ehemaligen Kumpel von mir. Wir kennen uns schon
lange, und vor zwei, drei Jahren war er noch voll auf Metal. Wenn er mich jetzt
sieht, sagt er noch 'Hallo', aber er hat mir mal erzählt, er wär' froh, daß er den
Absprung noch rechtzeitig geschafft hätte.“
Wer allerdings, wie auch Fan E selbst, sein Interesse an den medialen Ausdrucksformen
der Sozialwelt auch nach zwei oder drei Jahren noch bewahren kann, nimmt meist
intensiver an ihr teil und verläßt den Status des Touristen.
4.3.3 Der Buff: Traditionsbewußtsein und „Proud Pariah“ (Weinstein, S. 93)
52
Sind die Novizen und die Touristen unter den Rezipienten des Death und Black Metal
anhand weniger Begriffe leicht von anderen Rezipientengruppen zu trennen, so treten
bei der Charakterisierung der Buffs - hier als Bezeichnung für die „im Zentrum der
Sozialwelt“ (Winter, 1995, S. 174) befindlichen Fans gebraucht - Probleme bei einer
scharfen Abgrenzung gegenüber anderen, verwandten Fangruppen zutage. Die
Schwierigkeiten verdeutlicht eine Aussage von Fan E:
„Was im Death und Black Metal die ‘echten’ Fans sind... ist gar nicht so einfach zu
erklären. Da gibt es auf der einen Seite die alten Fans. Die so aus dem letzten
Jahrzehnt. Die hatten meist weniger Bildung, kamen aus dem Arbeitermilieu. Die
hatten mehr mit den Rockern gemeinsam. Die tragen eine Kutte, trinken viel Bier,
waren irgendwie schmuddeliger, kann man sagen. Die neuen Fans, die legen mehr
Wert auf Äußerlichkeiten. Die haben gepflegte lange Haare, und achten mehr auf ihr
Image. Sie sind nicht mehr so aufgeschlossen. Früher hat man auf einer Kutte einen
Kiss-Aufnäher neben einem von Slayer gesehen. Kiss wär’ für die heutigen Fans,
die die extremen Sachen hören, nicht mehr hart genug. Die wollen vor allem cool
sein, und werden dadurch irgendwie unnahbar, sind zu cool, um einfach so mit
anderen Leuten zu reden.
Das mit dem Black und Death Metal war eigentlich ein bißchen eine Gegenreaktion
auf den Trend Ende der Achtziger, wo dieser Fun-Metal mit Anthrax und Overkill,
in Richtung Skater, angesagt war. Da war das düstere Element weg, und das wird
jetzt im Black Metal extra betont. Da ist alles viel ernster, und so sind auch die
Fans. Aber das ist vorübergehend. So in ein, zwei Jahren, da ist der Black Metal
nicht mehr Trend, und da normalisiert sich das wieder. Death Metal ist ja heute auch
nicht mehr so groß wie noch vor’n paar Jahren.
Das Ganze mit den Fans ist sehr komplex. Da gibt es welche, die Venom hören aber
sowas wie Dio nicht gut finden. Bei anderen ist es umgekehrt. Andere hören Beides.
Da ist es schwer, genau zu sagen, wer Black Metal-Fan ist.“
Auch aus Beobachtungen auf Konzerten und anderen Gesprächen mit Fans geht hervor,
daß es keine eigentlichen Death und Black Metal-Buffs gibt, sondern daß sich die
Insider der Black und Death Metal-Szene als Metal-Fans im weiteren Sinne verstehen,
deren Vorlieben im Death und Black Metal-Bereich liegen. Sie unterscheiden sich nicht
grundlegend von den Fans des traditionellen Heavy Metal. Es gelingt auch nicht, eine
durchgehende, konsitente Einteilung in Fangruppen nach den Subgenres des Metal
(Heavy, Thrash, Speed, Progressive...) aufzustellen, weil die musikalischen Präferenzen
bei jedem Rezipienten individuell zusammengestellt und über die verschiedenen
Subgenres verteilt sind.
Die Charakteristika der Death und Black Metal-Buffs lassen sich somit nur als
Charakteristika von Metal-Buffs auffassen, die auch im Mittelpunkt aller weiteren
Ausführungen stehen werden, wobei der Schwerpunkt bei den thematisierten medialen
Texten im Bereich des Death und Black Metal liegen wird.
In einem Gespräch wurden die Fans A, C und D nach ihrer Meinung über ihre Identität
als „Metal-Fans“ befragt:
Q: Versteht ihr Euch selbst als Metal-Fans?
D, A: Ja.
53
C: Ja, weil es fast die einzige Musik ist, die ich mir anhöre, die mit meinen
Emotionen in Einklang zu bringen ist. No politics, just provocation.
Q: Was zeichnet Eurer Meinung nach einen (Death/ Black) Metal-Fan aus?
D: Klamotten, lange Haare, lesen die Szenemagazine...
A: Kauft sich viele CDs, will immer den neuesten Kram haben.
C: Metal ist für den Fan sein Leben. Er lebt durch diese Musik; sie ist nicht nur
angenehme Nebensache, sondern eins der Dinge, um die sich sein Leben dreht. Er
verteidigt seine Musik gegen alles.
Q: Jetzt konkret: wie wirkt sich diese bedeutende Rolle, die die Musik im Leben des
Fans spielt, aus?
A: Metal-Fans sind irgendwo auch konservativ, in ihrer eigenen Welt gefangen,
intolerant...
Q: Welche Rolle spielt die Musik? Welche Rolle spielen die Texte?
C: Gute Texte sind ein wichtiger Pluspunkt. Die Musik ist das Wichtigste.
A: Der Metal-Fan will Subkultur sein. Er grenzt sich selber ab, durch seine
Kleidung, er grenzt sich aus.
D: Er entspricht irgendwo dem Klischee.
Q: Was für ein Klischee?
C: Es gibt nur drei wichtige Dinge auf der Welt. Ficken, Saufen, Musik. Von mir
aus noch bekifft sein...
Q: Ok, aber mal ernsthaft... das ist ja Rock'n'Roll.
D: Klar, auch, aber das hängt ja zusammen.
[...]
A: Metal hat ja auch viel von altem Rock übernommen, das kann man nicht anders
sagen...
C: Sicher, als Metal-Fan verehrst du heute immer noch Sachen wie Iron Maiden...
A: Die sind ja auch Kult...
[...]
Q: Würdet Ihr Euch heute nochmal solche Platten kaufen?
A: Ja, natürlich. Schau dir doch mal an, wenn bei uns Plattenbörse ist. Die Leute
würden sich doch am liebsten die ganzen Sachen doppelt und dreifach kaufen.
[...]
Damit sind in wenigen Worten schon einige wichtige Punkte genannt, die für die Buffs
unter den Metal-Fans typisch sind.
Die „echten Fans“
Die Buffs betrachten sich selbst als die „echten“ Fans. Sie zeichnen sich durch ein
ausgeprägtes Elitebewußtsein und den Anspruch auf Exklusivität aus. „Death to false
Metal“ ist ein vielzitierter Spruch der Band Manowar (USA), die bei den meisten MetalFans Kultstatus genießt und die ihren eigenen Aussagen zufolge „true metal“ spielt , im
Gegensatz zu vielen Nachahmern und „Fakes“, die ihre Musik als Metal „tarnen“ und
leichtgläubigen Unwissenden unreinen Wein ausschenken. Doch nicht nur „falsche“
Musik, auch die „Fakes“ unter den Fans sind verpönt, wenn sie beispielsweise mit
lückenhaften Wissen prahlen wollen. Auch die Aufforderung „Wimps and Posers leave
the hall!“, ebenfalls von Manowar, schließt unechte Möchtegern-Fans, „Wimps“ und
Poser“, symbolisch aus der Gemeinschaft der wahren Metal-Fans aus. „Ein Wimp ist
einer, der einfach nicht die nötige Härte hat. Er tut so, als wär’ er was Besonderes, dabei
hat er mit Metal rein gar nichts zu tun“ (Fan E). Als „Poser“ werden Hörer bezeichnet,
54
die die Codes und Regeln der Metal-Sozialwelt zwar nach außen hin scheinbar
akzeptieren, aber sie nicht verinnerlichen und nicht wirklich verstehen. Die Grenzen
zwischen „echten“ und „unechten“ Fans sind affektiv besetzt (vgl. Winter 1992, S. 124).
Speziell unter den Black Metal-Fans gab es zeitweise sehr kleine Kreise, die den
Elitismus auf die Spitze getrieben haben (und die z.T. heute noch existieren), so z.B.
manche Gruppen von Fans in Norwegen oder auch in Österreich. Fan C berichtet von
seinen Informationen aus Norwegen:
„Diese Entwicklung kulminierte dann schließlich durch die Aktionen des ‘BlackMetal Council of Norway’. Varg Vikernes, mit Pseudonym ‘Count Grishnakh’,
seinerseits einzig echtes Mitglied der Ein-Mann-Band Burzum, tat sich hier
besonders durch das Abfackeln von Kirchen hervor... Vorausgegangen waren neben
dem Anzünden von Kirchen auch Anschläge auf den Tourbus der ‘Weicheier’
Paradise Lost und diverse Mitglieder von ‘nicht satanischen’ Bands, so z.B. gegen
das Haus von Christofer Johnsson, Sänger und Gitarrist von Therion.“
Wurden manche dieser Meldungen im Nachhinein auch relativiert, allein die Tatsache
der Verbreitung solcher Nachrichten in der Fanwelt zeigt einen gewissen Hang zum
Fanatismus, was eine bestimmte Art von Musik oder von Weltanschuung betrifft.
Allerdings wurden viele der Ereignisse in der norwegischen Szene - wie auch immer sie
sich in Wirklichkeit abgespielt haben mögen - durchaus nicht von allen Fans positiv
beurteilt.
Was unterscheidet aber nun für die Mehrzahl der Fans den „echten“ vom „unechten“
Fan? Was ist es, was die Buffs unter den Metallern immer wieder betonen und was ihre
Identität als „true metal fans“ konstituiert?
Buffs lassen eher als Touristen ihre Identität als Metal-Fans durch Äußerlichkeiten
erkennen. Sie haben einen eigenen Stil entwickelt, der sich in äußeren Merkmalen wie
Kleidung, Frisur, Schmuck und besonderen Körperschmuck wie Tätowierungen
manifestiert. Das typische Metal-Outfit besteht aus Jeans oder Motorradlederhosen,
schwarzem T-Shirts oder Sweat-Shirts mit Logos und anderen Aufdrucken von MetalBands, Jeans- oder Lederjacken, Jeanswesten mit Aufnähern (Patches) von Bands (diese
mit Aunähern und aufgemalten Schriftzügen versehenen Westen werden Kutten
genannt), Stiefeln oder Turnschuhen. Der Kleidungsstil ähnelt in vielen Punkten dem
der Rocker oder Biker, ist allerdings weniger auf die Tauglichkeit beim Motorradfahren
fixiert. Schmuck in Form von Kettenanhängern, Ansteckern (Pins) oder Ringen ist im
Allgemeinen aus Bronze oder Silber und stellt Kreuze und Pentagramme (auch
umgedrehte als Symbol des „Bösen“), Totenköpfe, Drachen, Spinnen, Schlangen,
Fantasymonster, Schwerter oder Ähnliches dar (vgl. Weinstein, S. 128). Doch während
Insignien wie Kleidungsstücke oder Schmuck jederzeit am Wochenende oder für ein
spezielles Ereignis wie ein Konzert angelegt werden können, auch wenn die betreffende
Person die ganze Woche über bürgerliche Kleidung wie Anzug und Krawatte trägt, stellt
ein so auffälliges Merkmal - besonders bei männlichen Fans - wie lange Haare, der
55
Standard für Metaller, ein permanentes Zugehörigkeitszeichen zur Spezialkultur dar,
wie Weinstein bestätigt: "Long hair is significant because it cannot be concealed. It is
the only feature that excludes 'weekend warriors', those with parttime commitment for
heavy metal" (Weinstein, S. 129). Noch deutlicher wird dies bei (so gut wie)
irreversiblen Kennzeichnungen wie Tätowierungen, die sich bei vielen Metal-Fans seien es Anhänger des traditionellen Heavy Metal oder des Death und Black Metal großer Beliebtheit erfreuen: "The tattoo is a special mark of loyalty to the heavy metal
subculture; it is permanent" (Weinstein, S. 129).
Die Fans nehmen durch solche äußeren Kennzeichen bewußt eine Stigmatisierung in
Kauf (vgl. Punkt 3.2.1), die sie sowohl von der konservativen bürgerlichen Gesellschaft
und ihrem hochkulturellen Stil als auch von anderen Jugendkulturen deutlich abgrenzt.
Dabei stempeln z.B. Tätowierungen oder Piercings als echte körperliche Stigmata, die
aber freiwillig angenommen werden, ihre Träger in besonderer Weise zu Außenseitern
ab (vgl. Elias 1990, S. 32). Diese Abgrenzung ist beabsichtigt, Fan A sagt dazu, „er will
Subkultur sein“ (s.o.), in einem anderen Statement spricht er von einer „Ausgrenzung
aus den Normalhörern“. Das ist es genau, was Weinstein als den „Proud Pariah“
bezeichnet: Der Stigmatisierte, der stolz darauf ist, anders zu sein als eine Gesellschaft,
deren Verhalten er für verlogen und unaufrichtig hält und die ihm nichts bedeutet Goffman hält das für eine seltene, aber in Verbindung mit einem sehr starren Werte- und
Normensystem durchaus existente Reaktion von Stigmatisierten: „Also, it seems
possible for an individual to fail to live up to what we effectively demand of him, and
yet be relatively untouched by this failure; insulated by his alienation, protected by
identity beliefs of his own, he feels that he is a full-fledged human being, and that we
are the ones who are not quite human. He bears a stigma but does not seem impressed or
repentant about doing so“ (Goffman 1968, S. 17). Somit ist der spezifische Kleidungsund Modestil, an dessen prinzipiellen Merkmalen seit Bestehen des Heavy Metal
festgehalten wird, auch als Praxis zur Demonstration dieser Indifferenz gegenüber
gesellschaftlicher Anerkennung zu verstehen.
Beobachtet man das Publikum eines beliebigen Metal-Konzerts, wird dieser
Kleidungsstil sicherlich auf die Mehrheit der Anwesenden zutreffen, doch er stellt
keineswegs das einzige, und auch nicht das wichtigste Kriterium dar, um in der
Sozialwelt als „echter“ Fan anerkannt zu werden. Einerseits sind z.B. lange Haare bei
Männern auch bei Anhängern von Alternative Rock, Grunge, Independent und anderen
jugendkulturellen Stilen anzutreffen, und Tätowierungen erfreuen sich
gesamtgesellschaftlich wachsender Akzeptanz und Beliebtheit; andererseits reichen
Äußerlichkeiten nicht aus, um einen Fan als „echt“ auszuweisen. Weitaus
entscheidender sind die „inneren Werte“.
Expertenwissen
56
Eins der wichtigsten Merkmale des Buffs, was ihn deutlich vom Novizen und Touristen
abgrenzt, ist sein Wissen über die Szene. Das Wissen des Buffs ist jedoch keine
oberflächliche Ansammlung von „hier und da zusammengelesenen Informationen“ (aus
einem Interview mit Fan G), sondern sowohl systematisch geordnet als auch detailliert.
Manche Buffs sind „wandelnde Enzyklopädien“ und besitzen ein extensives und
intensives Wissen von unzähligen Einzeldaten und -fakten. Entscheidend ist dabei
jedoch immer das kontextuelle Wissen, die Querverweise und Parallelen, das
synoptische Lesen der medialen Texte. Die Fans sind in der Lage, Bands zu
klassifizieren, ihre Bedeutsamkeit für die Szene zu erkennen und ihr Wissen über die
Bandbiographie, die Titel und den Zeitpunkt der von ihnen veröffentlichten Tonträger in
ein stilistisches wie chronologisches System einzuordnen. Buffs erkennen sofort, wenn
es sich bei einer Band um eine Kopie einer anderen, älteren oder bekannteren Band
handelt, und bemängeln die fehlende Originalität. Das ist z.B. bei einigen neueren
schwedischen Death und Black Metal-Bands der Fall (Naglfar, Gates of Ishtar), die die
ebenfalls aus Schweden stammenden At The Gates kopieren.
Das zeigte sich z.B. in einem Gespräch zwischen zwei Fans, die miteinander über einige
Bands diskutierten:
Fan E: Im Moment gibt es einfach zu viele Black Metal-Sachen, vor allem, was alles
aus Schweden und Norwegen kommt...
Fan B: Ja, vieles davon ist nur ‘ne Kopie von ‘was anderem... die meisten Bands da
machen Bathory nach.
Fan E: Was Bathory am Anfang gemacht haben, ist ja wohl mit als der Ursprung
vom Black Metal heute zu bezeichnen...
Fan B: Klar, und später haben die auf „Blood, Fire, Death“ oder „Twilight of the
Gods“ nur schon gemacht, was Paradise Lost später gemacht haben...
Fan E: ...und die wurden dann voll Trend.
Auch Details über einzelne Songs, ihre Entstehungsgeschichte, ihre Auswirkungen (so
werden bestimmte „Klassiker“ von anderen Bands immer wieder - bewußt nachgespielt (gecovert), wie z.B. „Countess Bathory“ von Venom [England]), die
musikalischen und textlichen Strukturen sowie die optische Gestaltung von Platten und
CDs werden durch ständiges „Re-reading“ (vgl. Winter 1995, S. 178) quasi
auswendiggelernt. Dadurch kennt der Fan von seinen am meisten favorisierten Musikern
auch die Songtexte: „Knowing the lyrics to the songs of one’s favorite group is a pledge
of allegiance to the group and a sign that one is a devotee in good standing“ (Weinstein,
S. 125).
Dieses Wissen, was der Fangemeinde durch die Kommunikation der Fans untereinander
kollektiv zur Verfügung steht, konstituiert den Code, der „several sets of rules“
(Weinstein, S. 23) beinhaltet, die letztendlich festlegen, was unter dem Begriff „Metal“
zu subsumieren ist und was nicht. Diese Regeln sind flexibel und können im Verlauf der
Zeit variieren, sind aber dennoch unmißverständlich für alle, die sich innerhalb der
57
Metal-Sozialwelt bewegen und können als Interpretationsrahmen im Sinne Goffmans
(1993) interpretiert werden.
Die Kenntnis dieser Rahmen ermöglicht den Buffs, was Novizen mißlingt: das
kontextuelle Deuten und Verstehen der medialen Texte. Ein Songtext wie der in Punkt
3.1.1 zitierte Auszug aus „Edible Autopsy“ von Cannibal Corpse gewinnt so einen
eigenen ästhetischen Wert innerhalb des Splatter-Rahmens (vgl. Eckert et al., S. 79).
Fans diskutieren aber auch den Einfluß von Cannibal Corpse auf spätere Bands des
Genres, und spekulieren über die Quellen, aus denen Cannibal Corpse ihre Inspirationen
bezogen haben. Die Vergleiche und systematischen Einteilungen ermöglichen es, die
Musik, die Texte, die Bilder und die Symbole, also die Gesamtheit des künstlerischen
Produkts, nicht mehr nur nach „primitiv“-emotionalen, sondern auch nach ästhetischen
Gesichtspunkten zu beurteilen, wie dies ein Musikwissenschaftler respektive Literaturund Kunstkritiker tun würde. Dazu ist auch die Entwicklung und Kenntnis einer
Szenesprache, insbesondere die Schaffung adäquater Fachtermini, notwendig (vgl. den
Abschnitt zur Begriffswelt). Insofern ist der Zugang zu der Musik und den Texten nicht
mehr nur rein emotional, durch Erlebnishunger und Neugierde gekennzeichnet wie beim
Touristen.
Das Wissen und der kognitive, intellektuelle Zugang zur Musik und zu den Texten läßt
aber dennoch genügend Freiraum für das emotionale Erlebnis, was mit dem Hören der
Musik oder auch mit dem Lesen der Texte und Betrachten der Bilder verbunden ist.
Durch die Kenntnis der erforderlichen Rahmen wird das Erlebnis dann zum - durchaus
auch sinnlichen - Kunstgenuß. Hier darf jedoch nicht fälschlicherweise der Eindruck
entstehen, daß es sich bei der Mehrzahl der Metal-Fans um den sozialen Typus eines
„sensiblen“ und sehr kultivierten intellektuellen Kunstkenners handeln würde, für den
die Kunst ein bewußtes Mittel zur ästhetischen Verbesserung seines Lebens ist,
vielmehr wird allzu große Kultiviertheit und Intellektualität von den Fans im
Allgemeinen abgelehnt.
Notwendige Voraussetzung für die Möglichkeit des „Re-reading“ und das Erlangen von
Wissen ist die Tätigkeit des Sammelns (vgl. Winter, S. 178). Buffs besitzen im
Allgemeinen eine große Sammlung von Platten, CDs und Cassetten, die einen hohen
materiellen und ideellen Wert darstellen. Raritäten, schwer zu beschaffende Editionen
oder vergriffene Titel, Picture-Discs (Platten mit einem aufgemalten Motiv) und Shapes
(in bestimmten Formen ausgeschnittene Platten oder CDs) gelten dabei als besonders
wertvoll (vgl. Hellion-Katalog 1996, S. 67ff). Dabei überwiegt bei den letzten beiden
Sammelobjekten die Funktion des Sammelns als Selbstzweck, deren Besitz allein schon
einen Wert darstellt und Vergnügen bereitet (vgl. Winter 1995, S. 152f), da PictureDiscs und Shapes so gut wie nie abgespielt werden und von der Klangqualität auch nicht
besonders gut dafür geeignet sind.
58
Traditionsbewußsein
Der Buff hat ein ausgeprägtes Traditionsbewußtsein. Er bekennt sich stolz zu den
Wurzeln, die Heavy Metal kulturell begründet haben, selbst wenn er sich auf Black und
Death Metal spezialisiert hat. Winter hat für die Horror-Buffs festgestellt: „Nach
Meinung der Buffs interessiert sich der 'wahre Fan' für die klassischen Horrorfilme aus
Hollywood oder aus den Hammerstudios [...] mindestens genauso stark wie für die
neueren Filme“ (Winter, S. 176). Eben diese Einstellung gilt auch für die Metal-Buffs.
Die „alten“, „klassischen“ Bands wie beispielsweise Black Sabbath, Judas Priest oder
Iron Maiden, um nur einige wenige zu nennen, oder z.B. Venom, Slayer, Hellhammer,
Celtic Frost, Death, Bathory als Ikonen des Death und Black Metal werden kultisch
verehrt. Für die Original-Platten dieser Bands werden auf Plattenbörsen Preise in
dreistelliger Höhe erzielt. Die wichtigste Aufgabe eines Touristen, der einsteigen will,
besteht darin, sich Platten und CDs der oben aufgezählten Bands zu beschaffen, bevor er
mit dabeisein und „mitreden“ kann.
Das zeigt auch ein Auszug aus einem Interview mit Fan N:
Q: Welche Bands wüdest du heutzutage als bedeutsam für die (Black) Metal-Szene
einstufen?
N: Auf jeden Fall Bands der guten, alten 80er, wie z.B. Sodom, Venom, Slayer,
Hellhammer, Kreator, Destruction etc. Natürlich gibt es auch „jüngere“ Bands wie
Dark Throne, Satyricon, Immortal etc., die mit ihren ersten Platten Meisterwerke
ablieferten...
Traditionsbewußtsein bedeutet aber auch das Festhalten an traditionellen Werten und
Normen, die oft denen der schärfsten Kritiker der Metal-Spezialkultur, nämlich den
konservativeren Verfechtern der Hochkultur, nicht unähnlich sind (vgl. Weinstein, S.
137). Dieses konservative, oft als reaktionär verschrieene Element bedingt eine große
Skepsis gegenüber neuen und fremden Einflüssen, besonders im musikalischen Bereich.
So sind Metal-Fans typischerweise aufgeschlossen gegenüber dem Einsatz von FolkElementen und mittelalterlichen Melodien in Metal-Songs (Skyclad, Storm, Satyricon),
dagegen haben Bands, die Rap oder Funk mit Hard Rock- oder Metal-Riffs kombinieren
(Body Count, Clawfinger, Gurd, Down) zwar (momentan) ein relativ großes Publikum,
werden sich aber nie bei den Buffs etablieren und als Metal-Bands anerkannt werden
können.
Der Metal-Fan ist stolz auf seine Tradition, die jüngere Fans veranlaßt, sich Platten und
CDs zu kaufen, die doppelt so alt sind wie sie selbst, von Bands, deren Musiker die
Väter oder sogar die Großväter der jüngsten Fans sein könnten. Fan E begründet dieses
Phänomen damit, daß „Manche Alben [...] einfach klassisch, zeitlos [sind]. ‘Black
Sabbath’, ‘Master of Reality’ - das sind Klassiker, die man auch heute noch hören kann,
die man auch in 20 Jahren noch hören wird.“ Diese Beständigkeit und Kontinuität der
Metal-Szene resultieren aus der Reproduktion der Sozialwelt durch die fortlaufende
59
Tradierung von Werten und Normen, aber auch von als kulturell wertvoll erachteten
Werken, die von den „alten“ an die jüngeren Fans weitergegeben werden. „Older
members initiate younger ones into the rituals and the lore of heavy metal, fostering a
stronger sense of community than schorter-lived subcultures“ (Weinstein, S. 137). Das
Fazit für die „wahren“ Fans - darunter Fan E - lautet daher:
„Heavy Metal sachen sind zeitlos, auch 20-jährige Platten verkaufen sich heute noch
gut. Metal wird es immer geben. es wird immer ein Verlangen nach Metal oder
harter gitarrenorientierter Musik geben, sowas wird immer populär sein. Ich denk’
da nur an den Song von Twisted Sister - ‘You Can’t Stop Rock’n’Roll’.“
Ein weiteres, für die emotionale Bindung an die Musik entscheidendes Kriterium ist die
Authentizität im Metal. Metal-Fans legen großen Wert darauf, daß Musik
„handgemacht“ ist und nicht mit Hilfe von Computern erzeugt wurde. Auch Helsper hat
bei seinen Befragungen von Metal-Fans festgehalten, daß sie der „Ehrlichkeit“ und dem
„Echten“ im Heavy Metal besonderen Wert beimessen (vgl. Helsper, S. 132f). Daraus
erwächst auch der hohe Stellenwert, den Konzerte von Metal-Bands für die Fans
innehaben (vgl. Weinstein, S. 199ff: „The Concert - Metal Epiphany“), der weitaus
höher ist als bei Fans von Pop-Musik oder anderen musikalischen Spezialkulturen.
Im Gegensatz zu der Situation bei Touristen ist bei Buffs eine starke, über einen langen
Zeitraum dauernde Bindung an die Sozialwelt die Regel. Während über die Dauer des
Verweils speziell von Death und Black Metal-Fans bis jetzt nur Mutmaßungen
angestellt werden können - Fan E meint allerdings: „Einmal Metal-Fan - immer MetalFan“ -, da dieses Subgenre im weitesten Sinne erst seit Mitte der Achtziger Jahre
existiert, zeigen Beobachtungen bei Konzerten der englischen Band Motörhead (die
bereits seit den Siebziger Jahren aktiv ist), daß sich im Publikum erstaunlich viele 30
Jahre und ältere Fans befinden, die dem Heavy Metal aus den Siebziger und Achtziger
Jahren treu geblieben sind, und die sich auch nach ihrer Jugendphase und in einer
veränderten biographischen Lage (Heirat, Familiengründung) weiterhin zu den Fans
zählen. Hier handelt es sich überwiegend um Fans aus der Rocker- und Biker-Szene, für
die z.B. die Mitgliedschaft in einem Motorradclub ohnehin auf Lebenszeit ist und die
für ihr Traditionsbewußtsein bekannt sind.
Für Buffs sind auch die Kommunikationstrukturen in der Sozialwelt von wesentlich
höherer Bedeutung, da sie intensiver an der Sozialwelt partizipieren. Auch die
Informationsmedien in Form von Szenemagazinen, Fanzines oder entsprechenden
Seiten im Internet werden stärker genutzt als von den Touristen.
Begriffswelt
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Die besondere Sprache der Metal-Szene soll hier nur kurz angesprochen werden.
Ansätze zur Herausbildung einer eigenen Szenesprache, die von Außenstehenden nur
teilweise verstanden wird, sind durchaus vorhanden.
Für Buffs, die sich viel in der Metal-Sozialwelt aufhalten, ist es selbstverständlich, sich
in dem szeneüblichen Jargon, der sich aus musikalischen und musiktechnischen
Fachbegriffen, meistens auf Englisch, sowie Elementen eines subkulturelllen Jargons
zusammensetzt, fließend ausdrücken zu können.
Einige der „Fachtermini“, die in den Szenemagazinen und Fanzines verwendet werden,
wurden schon in den vorangegangenen Abschnitten eingebracht und kurz erläutert, eine
detaillierte Darstellung der Sprachstruktur würde hier jedoch zu weit führen.
Als anschauliches Beispiel für szeneeigene „Fachbegriffe“ seien die unzähligen
Bezeichnungen für sehr eingegrenzte Stilrichtungen innerhalb des Metal genannt, die
möglicherweise nur von einigen, manchmal einer einzigen Band gespielt werden und
z.T. von selbigen erfunden wurden, aber von Fans zur genauen Klassifizierung „ihrer“
Musik verwendet werden. So ergab ein Gespräch mit Fan E eine Vielfalt von Namen für
Spielarten innerhalb des Metal, die im folgenden aufgelistet sind. In Klammern dahinter
stehen die Bands, die für den jeweiligen Begriff repräsentativ sind.
Alcoholic Metal (Tankard/ BRD)
Atmospheric Metal (Katatonia/ Schweden)
Avantgarde Metal (Celtic Frost/ Schweiz, Misantrophe/ Frankreich)
Biker Metal (Motörhead/ GB, Highlander/ GB)
Dark Metal (Betlehem/ BRD)
Medieval Metal (Satyricon/ Norwegen)
Epic War Metal (Nightfall/ Griechenland)
Fantasy Metal/ Fantasy Thrash (Blind Guardian/ BRD, Skyclad/ GB)
Folk Metal (Skyclad/ GB, Storm/ Norwegen)
Funk Metal (Mordred/ USA)
Gothic Metal (Paradise Lost/ GB, Katatonia/ Schweden)
Gore Metal (Carcass/ GB)
Hate Metal (Warpath/ BRD)
Holocaust Metal (Immortal/ Norwegen, eig. Black Metal)
Nuclear Metal (Virus/ GB)
Orthodox Black Metal (Countess/ Holland)
Pagan Metal (Dark Funeral/ Schweden)
Piracy Metal (Running Wild/ BRD)
Power Metal (Vicious Rumours/ USA, Savatage/ USA, Morgana Lefay/ Schweden)
Progressive Metal (Fates Warning/ USA, Queensryche/ USA, Tad Morose/ Schweden)
Prolo Metal (Mentors/ USA)
Renaissance Metal (At The Gates/ Schweden, Eucharist/ Schweden)
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Techno Thrash (Sieges Even/ BRD, Despair/ BRD, Anacrusis/ USA)
Techno Death (Atheist/ USA, Death/ USA)
True Metal (Manowar/ USA)
Viking Metal (Enslaved/ Norwegen)
War Metal (Blasphemy/ Kanada, Holocausto/ Brasilien)
White Metal (mit christlichen Texten; Believer/ USA)
E ist sich der Existenz und seiner eigenen Verwendung dieser Szenesprache durchaus
bewußt und steht ihr teilweise kritische gegenüber. So behauptet er, viele dieser
Bezeichnungen seien nur „ein Suchen nach einer Marktlücke, ein Vermarktungstrick“,
(und das trifft sicherlich für relativ aussagearme Termini wie „Alcoholic Metal“was die
Band Tankard irgendwann einmal selbst erfunden hat, zu), Bezeichnungen wie
„Medieval Metal“ oder „Techno Thrash“ hingegen verraten viel über die Struktur der
Musik, die gespielt wird. Bei ersterem werden Elemente mittelalterlicher Musik, z.B.
Melodiebögen, Tonleitern, Musikinstrumente, Klanggfarben in das Metalgerüst
integriert - es ergibt eine neuartige Synthese; letzteres bezeichnet die Art, die Songs
aufzubauen, nämlich so komplex wie nur irgend möglich, um die technischen
Fähigkeiten der beteiligten Musiker beim Komponieren und Interpretieren zu
präsentieren.
Die in der Szene übliche Terminologie ist für Außenstehende so vielschichtig und
verwirrend, daß es durchaus denkbar ist, daß ein gut informierter Fan einen
Außenstehenden davon überzeugt, daß z.B. im Moment „War Metal“ der neueste Trend
sei, dessen Hauptanliegen darin bestehe, den Krieg zu glorifizieren. Szeneinsider
wissen, daß es einige wenige Bands aus dem Black Metal-Bereich gibt, die diese
Bezeichnung für sich erfunden haben, aber weder einen besonderen Trend setzen noch
daran interessiert sind, militärische Aktionen zu unterstützen.
4.3.4 Der Freak: Kontakte zum Untergrund
Die Charakteristika der Buffs treffen in vollem Maße auch auf diejenigen Fans zu, die
als „Freaks“ eine besonders wichtige Rolle in der Metal-Sozialwelt spielen. Die
Übergänge zwischen den beiden Fantypen sind fließend, aus den Beobachtungen,
Gesprächen und Interviews mit den Fans sind in der Metal-Sozialwelt zwischen Buffs
und Freaks weniger Unterschiede festzustellen als in der von Winter (1995)
untersuchten Horrorsozialwelt. Die Aneignungspraktiken der beiden Fantypen sind
identisch. Die Freaks kristallisieren sich jedoch aus der Gruppe der Buffs heraus, indem
sie innerhalb der Fangemeinde besondere Funktionen übernehmen. Ebenso wie der Buff
zeichnet sich der Freak durch Expertenwissen, ein ausgeprägtes Traditionsbewußtsein
und intensive Teilnahme an der szeneinternen sozialen Interaktion aus; allerdings rückt
62
für den Freak die Metal-Sozialwelt so sehr in das Zentrum seines Lebens, daß die
meisten anderen Freizeitaktivitäten an den Rand gedrängt, wenn nicht sogar
ausgeblendet werden.
Die Freaks organisieren aktiv Teile der Sozialwelt mit, sie sind die „Macher“ (Winter
1995, S. 182). Während man zum Buff durch langjährige Mitgliedschaft in der
Sozialwelt, durch das in dieser Zeit erworbene spezialisierte Wissen und Kenntnis der
Interpretationsrahmen wird, benötigt man zum Freak darüber hinaus Engagement in der
Sozialwelt und Anerkennung durch andere Freaks und durch die Buffs.
Die Notwendigkeit der Beziehungen zu anderen Fans (vgl. Winter 1995, S. 193f)
Für die Freaks stellen, anders als für die Touristen und in höherem Ausmaß als für die
Buffs, die Beziehungen und Kontakte zu anderen Fans in der Metal-Sozialwelt nicht nur
eine freiwillige Auswahl der sozialen Kommunikationspartner, sondern eine
Notwendigkeit dar. Das erklärt sich zum einen dadurch, daß die Gruppe der Freaks
durch ihre vielfältigen Aktivitäten in der Metal-Sozialwelt noch stärker als die Buffs
nach außen hin von einer Stigmatisierung betroffen ist. In dem Maße, in dem die
Stigmatisierung durch Außenstehende zunimmt, steigt jedoch das Prestige innerhalb der
Sozialwelt (vgl. Goffman 1970, S. 35f, Winter 1995, S. 193). Zum anderen wird der
Kontakt zu den anderen Fans durch die vielfältigen organisatorischen Tätigkeiten der
Freaks automatisch aufrechterhalten, und ist durch die Funktionen bedingt, die die
Freaks innerhalb der Sozialwelt ausüben. Intensive Kontakte mit Gleichgesinnten
werden dadurch gefördert und von vielen Freaks auch aufgrund zeitlicher Restriktionen
fast ausschließlich gepflegt (vgl. Winter 1995, S. 189).
Kontakte zum Untergrund
Eine der wichtigsten Funktionen, die die Freaks auszeichnet, ist der Kontakt zum
sogenannten „Untergrund“ („Underground“). Damit ist derjenige Teil der Sozialwelt
gemeint, der teilweise hobbymäßig von Musikern, Tonträgerfirmen und
Fanzineherausgebern ohne kommerzielle Interessen organisiert wird. Durch ihr
„intensives Engagement“ (Winter 1995, S. 187) haben die Freaks Zugang zu
musikalischem Material und Informationen aus dem Untergrund und kennen
Kommunikationskanäle, die von der Öffentlichkeit überhaupt nicht wahrgenommen
werden, und auch vielen Touristen völlig unbekannt sind. Dieses Kommunikationsnetz,
das mittels in- und ausländischer Fanzines, Brieffreundschaften und Tape-Trading mit
Metalfans aus aller Welt und seit der rasant wachsenden Verbreitung von verschiedenen
Internet-Kommunikationsdiensten auch via E-Mail, Newsgroups und World Wide Web
funktioniert, nutzen die Freaks zur Produktion und Verbreitung ihrer eigenen medialen
Texte, wie Fanzines oder Demotapes.
63
Die Untergrundszene produziert zwar nur einen Teil der medialen Texte, die von den
Buffs und den Freaks konsumiert werden, repräsentiert aber den Nachwuchs für die
gesamte Szene. Hoffnungsvolle neue Bands, die heute im Untergrund aktiv sind, DemoTapes aufnehmen und durch untergrundspezifische Kanäle an die Fans vertreiben,
können die „Stars“ (innerhalb der Metal-Sozialwelt) von morgen werden. Es gehört zu
den Aufgaben der Freaks, ständig über die Geschehnisse im Untergrund auf dem
Laufenden zu sein und die anderen Fans darüber mit Informationen und neuem
musikalischem und sonstigem künstlerischen Material zu versorgen. Der Untergrund ist
nicht nur ein Reservoir für Nachwuchstalente, der die Szene am Leben hält, sondern
fungiert auch als Refugium für alle Szenemitglieder, die sich aus diversen Gründen aus
dem „Rampenlicht“ des kommerziellen Teils der Szene zurückziehen müssen (durch
anhaltende kommerzielle Mißerfolge) oder wollen (aus Enttäuschung über das
kommerzielle Musikbusiness, aus Gründen der persönlichen biographischen Lage). Eine
funktionierende Untergrundszene ist einer der wichtigsten Stützpfeiler der Metal-Szene
überhaupt, denn sie stellt im Bewußtsein vieler Metal-Fans letztlich das Refugium für
die gesamte Sozialwelt dar, beispielsweise für den Fall, daß Platten und CDs wegen
Gewaltdarstellungen in Bildern und Texten zensiert oder Konzerte und andere
Veranstaltungen (wie bereits bei Auftritten von Cannibal Corpse geschehen, vgl. Punkt
4.1.1) von den Behörden verboten werden. Dazu meint Fan E:
„Was soll schon sein, wenn sie irgendwas zensieren und den Bands verbieten zu
spielen? Dann gehen wir einfach in den Untergrund, das ist alles.“
Fan N befürwortet die „Rückkehr“ in den Untergrund:
„Der wahre Black Metal kehrt wieder zurück in den richtigen Untergrund, wo er
meines Erachtens auch hingehört.“
Ganz ähnliche Reaktionen zeigen auch jugendliche Videofreaks, die „mit Kritik,
Abschottung und prononcierten Ausweichmanövern“ (Vogelgesang 1991, S. 239) auf
die Indizierung von Horrovideos und Zugangsrestriktionen mittels gesetzlicher
Alterbeschränkungen antworten.
Autorität durch spezialisiertes Wissen
Die Freaks stehen in der Hierarchie der Sozialwelt am höchsten. Durch ihr besonderes
detailliertes und systematisiertes Wissen, der Kenntnis der Interpretationsrahmen, einer
vom Hang zum Komplettismus geprägten Sammelleidenschaft aller mit der Sozialwelt
in Verbindung stehenden medialen Produkte stellen sie eine Autorität für andere Fans
dar, auf die man im Zweifelsfall zurückgreifen kann. Außerdem demonstrieren sie ihr
Spezialwissen bewußt gegenüber den anderen Fans (vgl. Winter 1995, S. 188f).
Häufig äußert sich das sehr spezialisierte „Fachwissen“ z.B. in der exakten Kenntnis
aller Einzelheiten, die eine bestimmte Band betreffen: „When talking about a group, a
64
person will often defer to the expertise of a friend whose god is that group. ‘You gotta
speak with my buddy Paul. He’s really into Nuclear Assault and knows all about them’.
The constant chatter on which is a group’s best album or which lineup worked best
reflects deference to specialized authority: ‘Well, my friend Jim, who is really into
Maiden, says that Number of the Beast is their best album’“ (Weinstein, S. 141).
Freaks beanspruchen aufgrund ihrer besonders weitreichenden Kenntnisse Autorität,
mitzubestimmen, wie bestimmte Bands zu bewerten und wie die Interpretationsrahmen
zu setzen sind. Dennoch müssen sie sich mit ihrer Meinung der Diskussion, die mit
anderen Freaks oder auch den Buffs stattfindet, stellen, und können ihre Sichtweise
nicht diktatorisch durchsetzen, sondern sind darauf angewiesen, von den übrigen
Mitgliedern der Sozialwelt als Autorität anerkannt und legitimiert zu werden. Dies
geschieht in nicht unerheblichem Maße durch das Ausmaß und die Qualität ihrer
Bemühungen in den eben schon angesprochenen Beziehungen zum Untergrund und den
zahlreichen möglichen Aktivitäten innerhalb des Untergrunds, die ihnen eine Karriere
ermöglichen, die über das bloße „Fandasein“ hinausgeht.
Vom Fan zum Musiker, Labelinhaber und Fanzineschreiber
Den Freaks gelingt am ehesten, durch ihr Engagement und ihre Kontakte, der
„Karrieresprung“ zum Mitorganisator und Mitproduzenten der Metal-Sozialwelt. Der
Freak beschränkt sich nicht darauf, die medialen Texte zu konsumieren oder sie mit
anderen Fans zu diskutieren, sondern er produziert sie selbst. Am häufigsten ist die
Herausgabe von Fanzines, in denen der Freak sein Wissen über die Szene und seine
Kompetenz durch Kritiken von Platten und CDs, Berichten über Liveauftritten und
Interviews mit verschiedenen Bands demonstrieren kann.
Auch die Gründung einer eigenen Band, aus Enthusiasmus für die Musik, ist keine
Seltenheit, wie der Auszug aus einem Interview mit Fan H zeigt:
Q: Wie bist Du dazu gekommen, selbst Musik zu machen?
H: Durch Kumpels, bei uns in der Gegend haben sie halt alle so Musik gehört,...
irgendwann hatten wir die Idee, es selbst mal zu probieren.
Q: Habt Ihr vorher schon Instrumente gespielt?
H: Unser jetziger Drummer ja, und einer von den Gitarristen, der schreibt jetzt auch
die Songs und so, aber am Anfang hat's sich furchtbar angehört, ist ja klar, bis man
da mal Ahnung hat, auch von der Technik und alles...
Q: Also habt Ihr Euch gedacht, was die Bands können, können wir auch?
H: Wenn man vergleicht mit manchen Bands am Anfang, die jetzt bekannt sind, die
waren damals auch nicht besser, wie z.B. Sodom oder so... aber war eigentlich
mehr, wenn die Musik hören schon so geil ist, muß selber spielen noch besser sein...
und da haben wir einfach mal gemacht...
Q: Meinst Du, daß viele Bands so angefangen haben?
H: Klar, die meisten fangen ja im Untergrund an, bringen'n Demo 'raus und so...
Q: Du würdest Dich trotzdem als Fan von anderen Death Metal-Bands bezeichnen?
H: Ja, auf jeden Fall.
65
Obwohl er jetzt zu den Aktiven, zu den „Produzenten“ in der Sozialwelt gehört,
distanziert sich H keineswegs von den Fans, er bezeichnet sich selbst weiterhin als Fan.
Die in der Popkultur übliche Dichotomie zwischen den „Stars“ und dem Publikum wird
hier aufgehoben, indem die Fans gleichzeitig Musiker sein können, bzw. die Musiker
Fans bleiben.
Der Weg zur Gründung eines eigenen Labels, d.h. die Gründung einer Firma zur
Veröffentlichung von Tonträgern anderer Bands aus der Szene gestaltet sich um Einiges
schwieriger und aufwendiger. Insbesondere die finanziellen Voraussetzungen müssen in
besonderem Maße gegeben sein. Dennoch sind sogar einige von den größeren MetalLabels von Musikern (mit)begründet worden, die gleichzeitig Fans waren, und die nicht
nur die finanziellen Mittel, sondern auch den nötigen Idealismus für ein solches
Unterfangen mitbrachten, so z.B. Century Media Records aus Dortmund oder Black
Mark Productions mit Sitz in Stockholm und Berlin.
Die diversen organisatorischen und produktiven Funktionen von Fans in der MetalSzene faßt Rock Hard-Herausgeber Holger Stratmann folgendermaßen zusammen:
„Heavy Metal ist, wenn man als Fan über den Tellerrand des bloßen Konsumierens
schauen kann, eine solche [Subkultur]. Nicht wenige arbeiten kreativ in dieser
Szene. Sei es als Journalist, Künstler, Musiker, Organisator, sei es im großen oder
kleinen Rahmen. Gerade die von Frau Jenal [vgl. dazu Abschnitt 4.3.1]
angesprochene Death Metal-Szene wird von ihren Mitbegründern geprägt. Die
Inhaber der wichtigsten D.M.-Labels sind fast immer ehemalige Musiker oder Fans,
noch eher trifft dieses auf die vielen Klein- und Kleinstunternehmer zu“ (Rock Hard
67/ 1992, S.7).
Im Laufe einer solchen „Karriere“ kann es durchaus passieren, daß das ehemalige
Hobby eines Fans, was seine komplette Freizeit in Anspruch genommen hat, schließlich
zu seinem Beruf wird. In dem Maße, in dem die Professionalisierung voranschreitet,
kommt es auch zu einer Kommerzialisierung, da der Fan nun durch seine Funktion in
der Sozialwelt auch seinen Lebensunterhalt verdienen muß. Diese Art von Karriere führt
unweigerlich einen Bruch zwischen der Identität als ehemaligem Fan und der neuen
Identität als Produzenten herbei. Aus dem Grund wird eine solche Enwicklung nicht von
allen Fans positiv bewertet.
4.3.5 Schlußfolgerungen aus der Fantypologie
Anhand der verschiedenen Fantypen kann man erkennen, daß die Mitglieder der (Death/
Black) Metal-Sozialwelt eine Art „Karriere“ durchlaufen können, die sie vom
anfänglichen Novizen schließlich zum Buff oder Freak macht. Allerdings „schaffen“ es
nur die wenigsten Novizen bis zum Freak, und das ist den „echten“ Fans, also den Buffs
und Freaks, auch sehr wohl bewußt, so äußert sich auch Fan E: „Im Metal gibt es nur...
entweder man ist dabei oder man ist es nicht. Die Leute sind entweder echt oder nicht“.
66
In Graphik 6 ist veranschaulicht, wo sich die Buffs und Freaks als „Kern“ der Sozialwelt
im Gegensatz zu den zuströmenden Touristen verschiedener Metal-Subgenres oder
verwandter Szenen und den außenstehenden Novizen befinden.
Graphik 6: Die Sozialwelt der Metal-Fans
Quelle: Eigene Darstellung
In der Tat wenden sich die meisten Novizen nach kurzer Zeit wieder von der Death und
Black Metal-Szene ab, und die meisten Touristen verweilen nur eine bestimmte Zeit in
der Sozialwelt, bis ihr Erlebnishunger gestillt ist. Diese Tatsache macht die
Zugehörigkeit zur Sozialwelt für die Fans um so wertvoller, da ein solches „Aussieben“,
vergleichbar mit Auswahlverfahren von besonders Begabten bei Elitestudiengängen
oder militärischen Spezialeinheiten, ihr Elitebewußtsein verstärkt.
Die Buffs und Freaks dagegen sind dauerhafte Mitglieder der Sozialwelt, wobei die
Beständigkeit selbst einen Wert in der Szene darstellt.
Innerhalb der Metal-Szene besteht eine Wissenshierarchie, bei der die Freaks am
höchsten Rang einnehmen. Ihnen wird in der Sozialwelt dafür Respekt
entgegengebracht und Fachautoriät zuerkannt. Sie sind allerdings auf die Anerkennung
und Akzeptanz der anderen Fans angewiesen.
Während bei den Buffs und auch bei den Touristen von aktiven Medienrezipienten
gesprochen werden kann, da zu ihren Aneignungspraktiken die systematische
Ansammlung von Wissen, das Klassifizieren und Einordnen von Bands und medialen
67
Texten sowie eine aktive Teilnahme an der Sozialwelt gehören, sind die Freaks am
ehesten in der Lage, vom Medienrezipienten zum Medienproduzenten zu werden
(Musiker, Labelinhaber, Fanzine- oder Magazinschreiber), manchmal wird dadurch das
Hobby zum Beruf.
Mit der Fankarriere bzw. den verschiedenen Typen von Fans geht auch ein Lernprozeß
der Medienrezeption einher.
Es wird nicht nur Faktenwissen akkumuliert, sondern die Fans machen sich ebenso mit
den Interpretationsrahmen vertraut. Sie deuten Musik, Symbole und Texte innerhalb
ihrer szeneüblichen Interpretationsrahmen, die sich deutlich von den Interpretationsund Verständnismöglichkeiten unterscheiden, die einem Novizen zur Verfügung stehen.
Doch auch innerhalb der Gruppe der Buffs und Freaks herrscht keine einheitliche
Meinung bezüglich der Bewertung und Einordnung aller medialer Texte. Die
musikalischen, textlichen und visuellen Präferenzen der einzelnen Fans liegen innerhalb
des musikalischen Genres „Metal“ z.T. sehr weit auseinander, manche von ihnen
befassen sich auch mit verwandten Stilrichtungen. Die „core audience“ (Weinstein)
stimmt jedoch zu größten Teilen darin überein, wann das „Prädikat: Metal“ zu vergeben
ist und wann nicht.
4.4 Das Fandom als Bühne für die Inszenierung der Außeralltäglichkeit
Nachdem die wichtigsten Punkte für die Charakterisierung der Szene anhand der
verschiedenen Typen von Fans und ihren Funktionen für die Sozialwelt dargestellt
wurden, bleibt noch die Frage offen: welche Funktionen erfüllt die Sozialwelt für die
Fans? Wenn Rezipienten in der Lage sind, spezifische Kompetenzen im Umgang mit
Medien zu enwickeln, um sie gemäß ihren Wünschen und Bedürfnissen zu nutzen,
welches sind die Wünsche und Bedürfnisse, insbesondere von jugendlichen Fans, die
vom Metal-Fandom angesprochen werden? Dazu können an dieser Stelle nur einige
Gedanken skizziert werden, weil eine eingehende psychologische Untersuchung der
Motive von Mediennutzern (nicht nur) ein Buch füllen wprde. Ebenso soll auch die
Problematik, der sich die Medienwirkungsforschung annimmt, ausgespart werden,
insbesondere die Fragestellung, ob der Konsum von medialen Gewaltdarstellungen zu
realen Gewaltakten führt. Stattdessen soll abschließend noch einmal explizit die
Konstruktion der Szenewirklichkeit durch die Fans mit Hilfe der Rahmenanalyse
Goffmans thematisiert werden.
4.4.1 Das Metal-Fandom als kulturelle Bricolage
Die Traditionen
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Charakteristisch für viele jugendliche Fankulturen ist ein „Zusammenklauen“ von
Zeichen und Bedeutungen aus unterschiedlichen Quellen, die oftmals wenig miteinander
gemeinsam haben. Diese Zeichen werden vielfach umgedeutet und in einen neuen
Kontexte gestellt, nach Belieben miteinander kombiniert und von ihrem ursprünglichen
Sinnzusammenhang entfremdet. Diese Praktik der Neuschöpfung kulturellen und
sozialen Sinns wird als Bricolage bezeichnet. Auch die lose Ansammlung verschiedener
kultureller Elemente in der Metal-Spezialkultur kann als Bricolage interpretiert werden,
weil sie durch ästhetische Affinitäten, Interdependenzen und historische Bezüge
miteinander verbunden sind, aber keineswegs ein in sich geschlossenes logisches
System darstellen (vgl. Weinstein, S. 5). Dennoch konstituieren diese unterschiedlichen,
ursprünglich zum Teil sogar widersprüchlichen, aus völlig gegensätzlichen kulturellen
Zeichenvorräten entnommenen Symbolen, die die Metal-Kultur übernommen hat, die
Bedeutungsebene der Sozialwelt. Die Fans konstruieren eine neue kulturelle
Wirklichkeit, sie agieren als Bricoleure, indem sie Zeichen und Texte aus verschiedenen
Traditionen miteinander verbinden und zum Stil der Metal-Spezialkultur
zusammenfügen.
Weinstein sieht die Ursprünge der Metal-Kultur in den jugendlichen Revolten und den
Versuchen einer „Gegenkultur“ aus den Sechziger Jahren: „The heavy metal subculture,
then, is a legitimate offspring of the 1960s youth culture, inheriting and preserving some
of its central symbols, attitudes, practices and fashions, and carrying them forward into
the next historical period“ (Weinstein, S. 101).
Kleidungsstil und modische Merkmale wie lange Haare, Schmuckstücke und
Tätowierungen erinnern an das (damals) provokante Auftreten jugendlicher Rebellen.
Dabei ist Metal innerhalb der gegenkulturellen Tradition der Sechziger eine Bricolage
verschiedener Stile: auf der einen Seite steht die Hippie-Kultur, deren Motto „Make
Love Not War“, verbunden mit gesteigertem sinnlichen Erleben durch Drogenkonsum,
dem Heavy Metal die starke sinnliche Erlebnisfähigkeit von Kunst, insbesondere von
Musik, vererbt hat. Dem gegenüber präsentiert sich die „Biker-orientierte“ Seite der
rebellischen Jugendkultur eher mit Werten wie Gemeinschafts- und
Gruppenorientierung, Demonstrationen von Stärke und Männlichkeit, die sich auf die
Metal-Kultur übertragen hat: „(Metal) is a bricolage of its parent cultures“ (Weinstein,
S. 127).
Aber nicht nur die „Gegenkultur“ beliefert(e) das Metal-Fandom; Elemente wie ein
ausgeprägtes Traditionsbewußtsein, Hochachtung traditioneller Normen und Werte wie
Ehrlichkeit, Authentizität, Mut und Stärke sind auch der Hochkultur bzw. dem
traditionellen hochkulturellen Zeichenvorrat entnommen, wie er in einigen der
„klassischen“ Kunstwerke vermittelt und idealisiert wird, und entsprechen in vielen
Punkten den Werten und Idealen konservativer Gruppierungen in der Gesellschaft, die
69
die Heavy Metal-Spezialkultur mitunter scharf kritisieren (vgl. Interview mit Johnny
Hedlund, Rock Hard 78, 1993).
Im Death und Black Metal gesellen sich zusätzlich weitere Einflüsse hinzu,
insbesondere aus dem Bereichen Okkultismus, Satanismus und aus heidnischen Kulten,
aber auch aus anderen jugendkulturellen Stilen wie Hardcore, Punk, Gothic oder
Independent. Auch für die Herausbildung eines speziell für den Death und Black Metal
charakteristischen Stils ist entscheidend, daß die meisten Elemente umgedeutet und in
einen neuen Kontext gesetzt werden, die in der Ursprungsform vorhandenen Gegensätze
und Widersprüchlichkeiten zwischen den verarbeiteten Elementen werden durch
„special additions of its own“ (Weinstein, S. 127) ausgeglichen.
Die Erlebnisdimensionen
Vieles von der Faszination, die die Fankultur des Heavy bzw. Death und Black Metal
auf ihre Anhänger, darunter besonders Jugendliche, ausübt, geht auf die Bereitstellung
von Erlebnisdimensionen und die Erfüllung menschlicher Bedürfnisse zurück, die in der
heutigen Gesellschaft fast oder gänzlich fehlen bzw. größtenteils verdrängt werden.
Diesem Ausblenden bestimmter Aspekte menschlichen Handelns und menschlicher
Kultur liegt ein seit dem Beginn der Neuzeit in der westlichen Zivilation ablaufender
Prozeß zugrunde, den Max Weber als „Entzauberung der Welt“ bezeichnet (vgl. Weber
1956, S. 308). Die erste Konsequenz daraus ist die Neuorganisation der Welt auf
rationaler Basis, die „Magie, Mythos, Religion und Metaphysik“ (Tenbruck, S. 128) aus
der Wirklichkeit verbannte. Das rationalistisch-wissenschaftliche Paradigma bestimmt
nun das Denken und Handeln der Menschen, sodaß sowohl dem speziell magischen als
auch „dem religiösen Weltbild insgesamt keine Dominanz mehr zukommt“ (Helsper, S.
36) Die übriggebliebenen religiösen Kräfte, die noch einen Anspruch auf eine
transzendentale Bedeutung erheben, erschöpfen sich im Wesentlichen in den
christlichen Amtskirchen, die entweder an mittelalterlichen Dogmen festhalten, ohne
kulturelle Entwicklungem im Geringsten zu berücksichtigen, oder aber sich dem Prozeß
der Entmythologisierung kritiklos anschließen, und auf diese Weise christliche Religion
und Wissenschaft miteinander zu verbinden suchen (vgl. Tenbruck, S. 105), z.B. in der
sogenannten „kritischen Bibelforschung“.
„Doch der Mensch kann nicht ohne Mythen leben“ (Panikkar, S. 50), und trotz
wissenschaftlichen Fortschritts bleiben die entscheidenden Menschheitsfragen nach wie
vor ungelöst (vgl. Tenbruck, S. 90f). So setzt unbewußt mit der Entzauberung oder
Entmythologisierung der Welt an anderer Stelle ungeplant und unvorhergesehen eine
Wiederverzauberung oder Remythisierung ein: „Wenn die alten Mythen
entmythologisiert sind - und sie sind es noch nicht, weder in der gesamten Welt noch
dort vollständig, wo sie den meisten Angriffen ausgesetzt sind -, sucht der Mensch sich
andere Mythen. Diese neuen Mythen beginnen als einfacher Ersatz für die alten, aber
70
langsam bereichern sie sich und nehmen allmählich all das wieder in sich auf, was
urspünglich abgelehnt worden war. Dem Abbau der alten Mythen entspricht der Aufbau
der neuen, die sich aus den Trümmern der früheren zusammensetzen“ (Panikkar, S. 50).
Nach Vollbrecht (1988), ist es (besonders für Jugendliche) vor allem die Rock- und
Popmusik, die eine Wiederverzauberung der Welt außerhalb rationalisierter alltäglicher
Schemata und Routinen versucht und für ihre Hörer bewirkt, noch mehr trifft dies für
eine von der Hochkultur und von der populären Mainstreamkultur abgeschottete
Lebenswelt wie dem Death- und Black Metal-Fandom zu. Gerade durch die
schwerpunktmäßige Thematisierung längst vergangener epischer Szenarien,
heldenhafter Mythen, fantastischer Monster und die Versetzung dieser Elemente in neue
kontextuelle Zusammenhänge bewirkt es eine Remythisierung der Welt auf medialem
Wege. So übernehmen Spezialkulturen wie das Heavy Metal-Fandom manche
Funktionen, die in anderen Zivilisationsstufen Sagen, außeralltägliche kultische
Handlungen oder religiöse Vorstellungen innehatten, ohne jedoch in der Form einer
Religion im westlich-monotheistischen Sinne aufzutreten, allein schon, weil ihnen der
universalistische Wahrheitsbegriff und der missionarische Eifer fehlen (vgl. Tenbruck,
S. 89).
Eine weitere Folge der Entzauberung der Welt, die sich im alltäglichen sozialen
Handeln äußert, ist die Affektkontrolle. Mit dem Fortschreiten des
Zivilisationsprozesses nimmt auch die Affektkontrolle zu, die Räume für körperlichexpressive Selbstdarstellung werden in der rationalisierten Kontroll-Kultur der
modernen Gesellschaft immer enger (vgl. Elias 1976).
Besonders die Erscheinungsformen des Todes werden aus dem Alltag entfernt und in
spezielle sozial deutlich gekennzeichnete Außenbezirke (Krankenhäuser, ärztliches
Fachpersonal, Sterbeinstitute) ausgelagert, der Umgang mit dem Tod und mit dem
Sterben wird als peinlich empfunden und unterliegt einer Art „passiver Tabuisierung“,
im Gegensatz zur aktiven Tabuisierung, die bestimmte Handlungen oder Sprechakte mit
Strafe oder Fluch belegt, ein „In-Vergessenheit-geraten-lassen“ und Verdrängen von
sozialen Inhalten. Nicht viel anders ergeht es anderen „dunklen“ Seiten des Lebens - der
Nacht, dem Dämonischen und dem „Unheimlichen“ - in symbolischen Sinne (vgl.
Helsper, S. 325ff). Doch allein durch die Unterdrückung bestimmter psychischer und
sozialer Aspekte des Menschen und der Gesellschaft ist es nicht möglich, diese aus der
Welt zu schaffen (vgl. Vogelgesang1991, S. 247). Wo das „Böse“, der Tod oder die
dunkle Seite des Lebens real verbannt werden, tauchen sie medial wie aus dem
Unterbewußtsein wieder auf - und das durchaus nicht nur im Bereich des Heavy Metal
in Form von Monstern, umgedrehten Kreuzen und anderen Zeichen des Schreckens,
sondern z.B. auch bei der Horrorfilm-Rezeption jugendlicher Videocliquen (vgl.
Vogelgesang 1991) oder in anderen musikalischen Spezialkulturen wie Gothic oder
Industrial. Insofern stellen Fankulturen aller Art, besonders solche, die sich selbst immer
wieder im provokantem Gegensatz zur herrschenden Kultur inszenieren, einen
71
Ausbruchsversuch aus der für das Alltagsleben erforderlichen Domestizierung der
Triebe dar, den besonders Jugendliche reizvoll finden.
Weinstein charakterisiert diesen Ausbruch, der im Rahmen der Metal-Kultur stattfindet,
durch zwei Motive, die sich immmer wieder in dieser Spezialkultur nachweisen lassen:
das Dyonisische und das Chaos. Beide betreffen Bereiche des menschlichen Erlebens,
die in der modernen Gesellschaft größtenteils ausgeklammert werden, sind aber in
dieser Kombination und Zusammenstellung für die Metal-Kultur charakteristisch und
grenzen diese wiederum gegen andere Fankulturen ab.
Das Dyonisische steht für ein ungezügeltes Ausleben von sinnlicher Erfahrung, die z.B.
durch eine intensiv erlebte Musikrezeption gewonnen werden kann. Im Chaos spiegeln
sich zum Teil die geheimnisvollen, nicht kontrollierbaren Kräfte des Universums wider,
die von vielen Menschen zwar empfunden werden, für die die Gesellschaft aber keine
Namen mehr hat, aber auch die - besonders jugendliche - Aggressivität, ein
prometheisches Aufbegehren gegen äußere Zwänge, die Rebellion gegen Unterdrückung
und Ungerechtigkeit, die in der Verwendung von Gewalt- und Monsterbildern, aber
auch in Texten über Schlachten, Kriege und Helden, oftmals eingebettet in alte
Mythologien (wie bei Bathory oder Unleashed die Sagenwelt des europäischen
Nordens) ihren Niederschlag findet. Die Kombination beider Elemente macht auf
psychosozialer Ebene den Heavy Metal aus und grenzt ihn sowohl gegen hochkulturelle
Weltanschauungen als auch - ganz besonders - gegen andere jugendkulturelle Stile ab:
während Gothic nur die dunkle Seite der Existenz thematisiert und sich in eine düstere
Romantik zurückzieht, „Weltschmerz“-Atmosphäre produziert, kennt Metal auch die
ungebändigte, laute „dyonisische“ Lebensfreude. Wo beispielsweise Industrial
Depression, Destruktivität und Hoffnungslosigkeit ausdrückt, herrscht im Metal ein
(wenn es sein muß letztes) heroisches Aufbegehren gegen die Ungerechtigkeit in der
Welt. Wo Hardcore oder - musikalisch zwar unterschiedlich, aber mit ähnlicher
„attitude“ - Crossover und Rap die ungezügelte Wut ohne Rücksicht auf Verluste
herausschreien, achtet Metal auf musikalische Struktur und ästhetische Kriterien mehr
als auf die politische Botschaft.
Obwohl in vielen speziellen Ausprägungen des Metal einige der in den zuvor genannten
musikalischen Spezialkulturen vorherrschenden Stile innerhalb der kulturellen
Bricolage stärker integriert werden, gewisse Aspekte weiter geführt werden, als es im
„traditionellen“ Heavy Metal der Fall ist, bleibt der harte Kern dessen, was die Fans
unter „ihrer“ Musik verstehen und womit sie sich identifizieren, gleich, und wird
lediglich, wie auch am Beispiel des Death und Black Metal ersichtlich, erweitert und
modifiziert (vgl. Weinstein, S. 53f).
Obwohl also im Heavy Metal-Fandom sowohl strukturelle Elemente und Zeichen
religiöser Art, ebenso wie politische Aussagen gegen soziale Mißstände oder
Umweltverschmutzung auftauchen, findet die Rebellion weder auf einer rein religösen
noch auf einer politischen, sondern auf einer sozialen und soziokulturellen Ebene statt
72
und führt zu der Stil-Bricolage, wie sie die Gesamtheit der Texte des Metal-Fandoms
und ihrer Rezipienten repräsentiert.
Stiftung von Gemeinschaft
Wenn medial vermittelte Spezialkulturen vorhandene Wünsche und Bedürfnisse von
Jugendlichen, die von Schule, Beruf und Elternhaus oder, allgemein gesagt, der
Gesellschaft, nicht genügend berücksichtigt werden, erfüllen, dann gehört dazu
sicherlich auch die Leistung der Stiftung von Gemeinschaft. Im Gegensatz zur
Vorstellung von den isolierten Medienfreaks, die aufgrund ihres devianten Geschmacks
und der ständigen Beschäftigung mit ihrem Hobby zur sozialen Interaktion nur bedingt
fähig sind, entsteht in solch einer Sozialwelt ein verstärktes Gemeinschaftsgefühl. Das
Wesen der Gemeinschaft im Sinne von Tönnies wird als „reales und organisches Leben
begriffen“ - im Gegensatz zur Gesellschaft, die als „mechanische Bindung“ verstanden
wird (Tönnies, S. 3).
Die Stiftung der Gemeinschaft als eine durch Gemeinsamkeiten und Sympathie
begründete Bindung zwischen Menschen (im Gegensatz zur Zwangs-„Gemeinschaft“
der Gesellschaft) wird grundsätzlich von jeder Spezialkultur, jeder Subkultur erbracht
und macht die Eingliederung in eine solche Subkultur für viele, die sich nach „diffusen
persönlichen Beziehungen, nach affektiver Geborgenheit in unmittelbarer Reziprozität“
(Ecker, S. 24), sehnen, erst attraktiv und sinnvoll.
Doch zusätzlich ist in der Metal-Fankultur Gemeinschaft und Solidarität unter den Fans
eines der zentralen sozialen Themen (vgl. Weinstein, S. 135). Der Zusammenhalt und
die Gemeinschaft der Metal-Fans wird immer wieder in Ritualen wie gemeinsamem
Feiern und Trinken, Zuprosten und anderem bestätigt. Besonders deutlich werden solche
gemeinschaftsstiftende Praktiken auf Metal-Konzerten: „...the members of the audience
create a gemeinschaft... Goods are shared with others, including those who are not
known to one another except as members of the audience“ (Weinstein, S. 211); Applaus
für die Bands, Headbangen und Mitsingen der Text verstärken das
Zusammengehörigkeitsgefühl.
So stark, wie die Gemeinschaft nach innen ist, so stark ist auch die deutlich
demonstrierte Abgrenzung gegenüber anderen. Diese Abgrenzung bezieht sich nicht nur
auf die „Rebellion gegen das Establishment“ sondern auch auf die deutliche
Distanzierung von anderen jugendlichen Gruppen und Fankulturen. Man kann daher von
einem sehr starken „Wir“-Gefühl zumindest innerhalb der „core membership“
(Weinstein) des Metal-Fandom ausgehen. „Je stärker das Wir-Gefühl einer Gruppe,
umso deutlicher wird zwischen Mitgliedern und Außenstehenden unterschieden, und um
so schwieriger wird es, die Gruppe zu verlassen oder ihr beizutreten“ (Crott, S. 229).
Das zeigt sich in einer ausgeprägten Ablehnung von „Poppern“ und Disco-Musik (vgl.
Helsper, S. 131ff), aber auch aktuellen „trendigen“ Musikrichtungen wie Techno,
73
Alternative, Rap, Crossover und Hardcore. Wirklich ernstzunehmen sind für einen
Metal-Fan nur andere Metal-Fans: „Those who claim that metal does not evoke a great
experience are met with disbelief by an enthusiast. Their judgments on metal cannot be
taken seriously and the rest of their judgments on life are therefore suspect“ (Weinstein,
S. 143), was nicht heißt, das sich seine sozialen Kontakte auf die Metal-Sozialwelt
beschränken würden, aber sicherlich darauf konzentrieren.
Auch durch die Angriffe diverser Kritiker, die Weinstein in das konservative und das
progressive Lager teilt (vg. Weinstein, S. 239ff), wird die Abschottung nach außen, die
Abgrenzung gegenüber anderen und das Gemeinschaftsgefühl innerhalb der
Fangemeinde gefördert. Die Arbeit, eine scharfeTrennlinie zwischen Metal und NichtMetal zu ziehen, wird den Fans in der Regel von den Kritikern abgenommen, die an
einigen von den Fans selbst thematisierten Punkten ansetzen (vgl. das Interveiw mit
Cannibal Corpse im Metal Hammer Thrash-Special). So fällt häufig der Vorwurf der
Entpolitisierung der Jugend durch Heavy Metal:
„Metal ist eine stark hedonistische Musik, in der die Aggressivität lediglich dem
Austoben dient, dem ‘have a good time’- die politischen Inhalte gehen, sofern überhaupt
vorhanden, kaum über eine institutionalisierte, an Symptomen doktorenden Kritik
hinaus... gerade weil es innerhalb der Metal-Szene keine tiefer verwurzelte Systemkritik
gibt, kein nennenswertes politisches Bewußtsein, verwischen die Grenzen von rechts
nach links je nach musikalischen Vorlieben...“(Büsser, S.42)
Bemerkenswerterweise haben solche Kritiker, die, wie der oben zitierte Autor, aus dem
politisch bewußten und engagierten Hardcore-Lager kommen, keinerlei
Überschneidungspunkte mit den christlichen und konservativen Kritikern, kommen aber
zum selben Ergebnis, wie auch Weinstein für die amerikanische Situation bestätigt:
„The notion of being politically correct is completely alien to its [the heavy metal
subculture’s] members“ (Weinstein, S. 242), was zur Folge hat, daß Metal von den
„progressiven“ Kritikern als antiquiert und überholt, von christlichen und konservativen
Beobachtern als dekadent und zu liberal eingestuft wird.
Die „gemeinsamen Feinde“ aller, die sich zum Metal-Fan-Sein bekennen, tragen
zusätzlich zur Stärkung der Solidarität innerhalb des Fandom und der Bekräftigung der
Identität des einzelnen Fans bei (vgl. die Reaktionen der Rock Hard-Leser auf die
Vorwürfe von Christa Jenal in Punkt 4.3.1, und Weinstein, S. 251).
4.4.2 Grenzüberschreitung und Grenzziehung durch Rahmung
Der Begriff des Rahmens oder Interpretationsrahmens im Sinne von Goffman ist bereits
einige Male gefallen. Gemeint ist damit, daß jedes beliebige Ereignis von den
Mitgliedern unserer Gesellschaft so in einen bestimmten vorgegebenen Kontext gesetzt
wird, daß das Ereignis für den einzelnen einen Sinn innerhalb seiner Weltsicht ergibt.
74
Diese Fähigkeit, Dinge automatisch in einen bestimmten Sinnzusammenhang zu setzen,
wird durch die Rahmen bedingt, die der Interpretation der Ereignisse zugrunde liegen.
Die meisten Rahmen sind sehr diffus und nicht in ihre einzelnen organisatorischen
Bestandteile zerlegbar und benennbar, die meisten Menschen wenden sie dennoch zwar
unbewußt, aber ständig und im allgemeinen mit Erfolg an (vgl. Goffman 1993, S. 31).
Das Verständnis der zugrundeliegenden und angewendeten Rahmen einer Gesellschaft
oder gesellschaftlichen Gruppe ist notwendig, um die Lebens- und Handlungsweisen
dieser Gruppen richtig zu interpretieren: „Man muß sich ein Bild von dem oder den
Rahmen einer Gruppe, ihrem System von Vorstellungen, ihrer ‘Kosmologie’ - zu
machen versuchen“ (Goffman, S. 37), denn „Zusammengenommen bilden die primären
Rahmen einer sozialen Gruppe einen Hauptbestandteil von deren Kultur“ (Goffman, S.
37).
Die Bedeutung der kultur- oder gruppenspezifischen Rahmung in der „kleinen
Lebenswelt“ (Honer) der Death und Black Metal-Fans zeigte sich insbesondere bei der
Analyse der Fantypen etwa in den Unterschieden zwischen dem Verhalten und den
Reaktionen eines Novizen im Vergleich zu denen eines Buffs, die sich nicht zuletzt in
dem Grad der Kompetenz beim Umgang mit den für die Metal-Spezialkultur gültigen
Rahmen erheblich unterscheiden. Nicht das lose, unzusammenhängende Faktenwissen
ist für das Verständnis des Death und Black Metal und die Praktiken seiner Fans
entscheidend, sondern die Kenntnis der adäquaten Rahmen - das wird besonders dann
deutlich, wenn Außenstehende, um den Vorwurf unbegründeter Vorurteile gegenüber
Metal-Fans zu umgehen, sich Fakten über Musik, Texte und andere Informationen aus
der Sozialwelt aneignen, und sie dann innerhalb ihrer eigenen Erfahrungen und Rahmen
zu deuten versuchen, was zum Scheitern verurteilt ist.
Aus den spezifischen Erlebnisdimensionen und der Sinngebung der (Death/Black)
Metal-Sozialwelt wird ersichtlich, daß die medialen Texte und Codes dieser
Spezialkultur in vielfältiger Weise eine Überschreitung der Grenzen, die die
Gesellschaft den medialen Ausdrucksformen und der Mainstream-Freizeitkultur
auferlegt, bedeuten. Nicht durch politischen Aktivismus oder der Schaffung einer
radikal neuen Religion, Philosophie oder Weltanschauung werden die Normen der
Gesellschaft verletzt, sondern durch die Konstruktion von kulturellen und sozialen
Wirklichkeiten, die innerhalb spezifischer eigener Interpretationsrahmen Bedeutung
erlangen. Dazu gehört auch, daß in der Gesellschaft bereits vorhandene Elemente
umgedeutet und in einen neuen Kontext gestellt werden.
Was mit den gesellschaftlichen Interpretationsrahmen meist nicht erkannt werden kann,
ist, daß es sich bei vielen Handlungen bzw. medialen Texten um ein Modul handelt, also
einem „System von Konventionen, wodurch eine bestimmte Tätigkeit, die bereits im
Rahmen eines primären Rahmens sinnvoll ist, in etwas transformiert wird, das dieser
Tätigkeit nachgebildet ist, von den Beteiligen aber als etwas ganz anderes gesehen wird“
(Goffman 1993, S. 55), also einer ursprünglichen Handlung nachgebildet ist, die
75
durchaus in den gesellschaftlich gültigen Rahmen definiert ist. So war z.B. da
Tourmotto von Obituary/ Napalm Death/ Dismember 1993, „Campaign of Destruction“
eine solche Modulation, denn keiner der Musiker oder Beteiligten dachte an eine für die
Gesellschaft „wirkliche“ oder „ernsthafte“ Zerstörungskampagne gegen „wirkliche“
Wesen oder Objekte. Die in dieser Spezialkultur inszenierte außeralltägliche
Wirklichkeit verletzt und sprengt auf diese Weise wiederum diejenigen Rahmen, die in
der Gesellschaft üblich sind und zur Verfügung stehen, das einzige, gegen die sich die
„Campaign of Destruction“ also wirklich richtet, sind die gesellschaftlich gültigen
Rahmen. Es stellt sich also heraus, daß andere Rahmen nötig sind, um diese
Transformation als solche zu erkennen, ebenso wie wenn, um in Goffmans Beispielwelt
zu bleiben, Zuschauer des Theaterstückes „Hamlet“ entrüstet aus dem Saal laufen und
nach der Polizei rufen, wenn eine Figur auf der Bühne umgebracht wird. Sie haben dann
die Transformation nicht als solche erkannt.
Schließlich ist all das, was die Metal-Spezialkultur ausmacht, auch eine bewußte
Inszenierung der Außeralltäglichkeit. Die Grenzen des „guten Geschmacks“ und der
allgemein gängigen Hörgewohnheiten werden nicht nur überschritten, es werden durch
die Rahmung auch Grenzen um die Sozialwelt und ihre Ereignisse herum gezogen.
Für die Sozialwelt bedeutsame Ereignisse werden so inszeniert, daß eine Art Eingang in
eine „andere Welt“ geschaffen wird. Am deutlichsten ist dies beim Live-Konzert zu
beobachten: die Fans ziehen ihre typische Metal-Kleidung an, es wird um das Ereignis
Live-Konzert herum eine entsprechende Atmosphäre generiert. Oft sind längere
Anfahrten zum Konzertort vonnöten, was die Spannung und die Vorfreude steigert, am
Konzertort selbst herrscht schon die entsprechende Stimmung (vgl. Weinstein, S.
205ff).
Innerhalb des Ereignisses „Konzert“, oder auch „Metal-Fete“ oder „Metal-Disco“ gelten
diese anderen Rahmen. So sind z.B. im Gegensatz zu entsprechenden hochkulturellen
Veranstaltungen eine hohe Lautstärke und Begeisterungsstürme im Zuschauerraum
während des Konzerts erwünscht. Die kulturelle und soziale Wirklichkeit, die von der
Fangemeinde geschaffen wird, ist nur innerhalb dieser Rahmung gültig und hört auf zu
existieren, sobald das Konzert oder die Party beendet sind und der „normale“ Alltag
wieder beginnt. Diese Rahmensetzung kann zeitliche oder auch räumliche Grenzen
erzeugen - zeitliche z.B. durch die zeitliche Begrenzung einer Veranstaltung, räumliche
durch die Grenzziehung beim Überschreiten der Schwelle zu einem bestimmten
Veranstaltungsort - setzt aber in jedem Fall ein gewisses Maß an Rexflexivität und
bewußter Planung voraus. Wie die Aussagen von Fans, insbesondere von Buffs oder
Freaks, immer wieder zeigen, betreiben die Organisatoren und Insider der Szene, aber
auch alle anderen Fans in abgeschwächter Form, ein bewußtes „RahmungsManagement“, das ihnen erlaubt, ihre persönlichen Wünsche und Bedürfnisse, ihre
(jugendliche) Gegenkultur mit Hilfe der medialen Texte und den sozialen Strukturen der
Fangemeinde innerhalb gewisser Freiräume umzusetzen, ohne sich automatisch ins
76
Abseits der Gesellschaft mit allen daraus erwachsenden Konsequenzen (keine Arbeitsoder Ausbildungsstelle, Konflikt mit dem Gesetz, „Ausstieg“im ökonomischen und
politischen Sinne) zu stellen.
4.5 Fallstudie - Eine prototypische Fankarriere: „Vom Meßdiener zum Rockstar“
Anhand dieser Fallstudie von Fan C, die nach dem u.a. von Baacke (vgl. Baacke/
Sander/ Vollbrecht 1990) verwendeten biographischen Ansatz erstellt wurde, sollen die
wichtigsten typischen Merkmale der Karriere eines Fans, der sich erst nach und nach die
für die Mitwirkung in der Sozialwelt nötigen Medienkompetenzen aneignet, dargestellt
werden. Wichtig ist hierbei der ganzheitliche Ansatz, der auch solche biographischen
Fakten mitberücksichtigt, die in keinem direkten Kausal- oder Wirkungszusammenhang
mit den fadomrelevanten Merkmalen stehen.
„The master was spawned out under the purity of the autumn moon on the7th of
October 1971.
Ich habe vier Geschwister, davon zwei ältere Schwestern, eine jüngere Schwester
und einen älteren Bruder. Mein Vater ist Amtsrat, meine Mutter Angestellte als
Halbtagskraft.
Ich war schon immer wohnhaft in N. Mit drei Jahren ging ich in den katholischen
Kindergarten, später in die Grundschule, anschließend ins Gymnasium in B. Nach
dem Abitur machte ich meinen Zivildienst in einer Behindertenwerkstatt, danach
(WS 1992/1993) begann ich mit dem Studium an der Uni T.
Wir leben in einer erzkatholischen Gegend, zumindest was die älteren Generationen
angeht.
Mit vier Jahren schon bekam ich meine erste Schallplatte: ein Dracula-Hörspiel! Ich
wäre beim Höre vor Angst beinahe gestorben, aber sie hat mich dennoch (oder
gerade deshalb?) fasziniert.
Ich bin erst im Sommer 1978 in die Grundschule, obwohl ich vorher den
Eignungstest zur Früheinschulung bestanden hatte. Ich konnte bereits vorher lesen
und schreiben, als kleines Kind schon war ich (laut Aussagen meiner Mutter) sehr
aktiv, wißbegierig, intelligent, zerstörerisch, aber auch kreativ, chaotisch.
In der Grundschule hatte ich gute bis sehr gute Noten, ich war eher ein
Musterschüler, ich hatte nur ab und zu kleine Aussetzer im Verhalten. Später im
Gymnasium bin ich mit der Zeit immer mehr in die Rolle des „Schulchaoten“
geschlüpft, und fand auch zunehmend Gefallen daran.
Mit 12 Jahre fing ein gesteigertes Interesse an Musik an, jedoch waren das damals
primär die „Standardsachen“ wie Madonna, Duran Duran, Toten Hosen, vereinzelt
DIO oder Megadeth (so mit 14).
Ich war auch Meßdiener von 9-15 (!!!).
Früher war meine einzige Liebe Fußball, ich habe jede freie Minute damit verbracht,
Alkohol spielte keine Rolle. Interesse für Mädchen war zwar vorhanden, aber dem
Fußball untergeordnet.
Mit 16 hörte ich dann nur noch Metal-Musik. Das wurde mit völligem Fanatismus
betrieben und änderte meinen gesamten Lebensstil. Der Durchbruch kam mit 16 auf
einer Klassenfahrt nach München, hier konnte man relativ billig Platten der
günstigeren Sorte erwerben. Dies tat ich dann auch, zudem suchte ich, wieder
daheim angekommen, den einen oder anderen hier im Dorf auf, der ebenfalls MetalLPs besaß, um mir diese zu überspielen. Der Virus hatte mich befallen, einige
77
Platten kaufte ich mir in Läden, die meisten aber bestellte ich. Das ist billiger,
zudem ist die Auswahl größer.
Die Kleidung änderte sich (Metal-T-Shirts), ich ließ die Haare lang wachsen, wollte
Provokation und Auffallen um jeden Preis. Besonders wichtig war die
Neudefinierung/ -absteckung des Freundeskreises. Die Musik stand mehr und mehr
im Mittelpunkt des Lebens, durch Exzesse und Eskapaden wurde ich schnell in die
Metal-Gemeinde integriert. Meinen ersten Alkoholrausch hatte ich im Dezember
1988, danach war ich in den nächsten zwei bis drei Jahren öfter und intensiver
betrunken als andere Leute im gesamten Leben, ich konsumierte auch weiche
Drogen (Hasch), - harte Drogen (die durch die Nase konsumiert werden...) habe ich
auch probiert, aber zum Glück den „Genuß“ sofort wieder eingestellt.
Die Wochenenden und auch die anderen Tage habe ich fast immer mit anderen
Metallern verbracht, davon waren übrigens - zumindest damals - relativ viele in der
Gegend vorhanden. Nach einigen Monaten Iron Maiden und Metallica bin ich direkt
zu Death, Kreator und Sodom übergegangen und war damals der erste, der solch
extremen Kram hörte, allerdings kamen viele nach, was sich auf meinen „Status“
sehr positiv auswirkte. Neben Exzessen gab es auch Sexzesse, häufig wechselnde
Liebschaften und sexuelle Partnerinnen.
Kein Weg war zu weit, kein Wetter zu schlecht, um viele km bis in eine MetalDisco oder zu einem Konzert zurückzulegen. Metal wurde zum Lebensgefühl und
zur Sucht.
Die Schule wurde dann öfters blau gemacht, wir fuhren in sämtliche Plattenläden
Deutschlands (u.a. Saturn in Köln), ich nahm Nebentätigkeiten an (z.B. Zeitungen
austragen) und jeder Pfennig wurde in CDs/ LPs investiert.
Im Sommer 1989 kam mir die Idee der Bandgründung mit meinem besten Kumpel,
nach anfänglichen Phantasierereien (und intensivem Üben!) folgten dann im Winter
1991 festere Konturen und erste Eigenkompositionen (ich schrieb die Texte),
nachdem ein zweiter Gitarrist und ein Aushilfsdrummer gefunden worden waren.
Das war das eigentliche Datum der „Bandgeburt“. Zwischendurch habe ich meinen
Zivildienst in einer Behindertenwerkstatt abgeleistet, wurde von jedem „interviewt“,
da die Leute dort (u.a. Personal) noch nie einen „Metaller“ richtig gesehen hatten
bzw. mit einem zu tun gehabt oder gesprochen hatten. Ich war aber aufgrund meiner
positiven fußballerischen Erfolge sehr schnell bei den männlichen Angestellten
bestens gelitten. Interessant anzumerken: die Behinderten kümmerten sich kaum um
Kleidung, Aussehen etc. ..für sie war das Verhalten ihnen gegenüber wichtig, zu
90% von ihnen hatte ich ein Superverhältnis.
Im Juni 1992 hatten wir den ersten Auftritt mit der Band, im Februar 1993 brachten
wir unser erstes Demo heraus. Es war ein großer Erfolg, damals war es fast
sensationell für viele Leute aus der Gegend, daß es eine solche Band gab und diese
auch noch Aufnahmen machte - viele „Normalos“ zeigten auf einmal Interesse (das
wäre heute sicherlich nicht mehr so).
Im Februar 1994 erschien die unsere MCD, ein wichtiger Schritt nach vorne. Es war
ein Eigenrelease (500 Stück) und schnell ausverkauft, danach gab es eine
Nachpressung, ich übernahm den Vertrieb, bisher sind weltweit etwa 1500
Einheiten verkauft worden. Das ist natürlich nicht gerade weltbewegend, aber für
uns der erste ernsthafte eintritt in die internationale Metal-Szene.
Danach gab es einige interne Probleme und Meinungsverschiedenheiten, wir haben
aber trotzdem weitergemacht.
Ende 1996 haben wir eine neue CD aufgenommen, da führte zum Vertrag über vier
Alben mit einer Firma aus England. Da diese eines der größten Indie-Labels in der
extremen Metal-Szene sind, dürften wir mit einem Schlag viele Bands, die vorher
„in der Tabelle“ über uns plaziert waren, hinter uns lassen.
Noch zu meinem Studium: Ich habe nach dem Zivildienst mit Geschichte und
Politik an der Uni T. begonnen, das sagte mir aber hauptsächlich wegen der
Mitstudenten nicht zu, somit habe ich nach drei Semestern abgebrochen (wovon ich
zwei Semester sinnlos verbracht habe, z.B. schlafend im Proberaum o.Ä., um den
Schein zu Hause zu wahren, ich hatte aber keine Lust irgendwas anderes zu
machen). Schließlich habe ich dann auf Pädagogik und Soziologie gewechselt, jetzt
mache ich Pädagogik auf Diplom und Medienwissenschaft, evt. führe ich Soziologie
(auf Magister) auch noch zu Ende.
78
Mit meinem Fanatismus für Metal entwickelte sich nach und nach auch das
Interesse/ die Begeisterung für Satanismus und Okkultismus. Vampyre und
Horrorfilme hatten mich schon immer - auch vor der Metal-Zeit - interessiert und
fasziniert. Anfangs zielte mein Interesse so auf den Bravo/ Bild/ Mediensatanismus,
da die Bezugsquellen für echten Satanismus schwer zu finden waren. Mit 19 bin ich
aus der Kirche ausgetreten, das war für meine Mutter zu Anfang erschütternd. Somit
kam es auch zu höchst „satanischen“ Riten wie Friedhofskreuze stehlen und
zerstören. Später habe ich mich intensiver mit dem befaßt, was Satanismus
eigentlich bedeutet - das veränderte mein Weltbild, mein Leben ist jetzt nach der
satanischen Philosophie ausgerichtet. Insgesamt lese ich sehr gerne, entweder
Satanismus/ Okkultismus (ich habe mittlerweile eine recht umfangreiche Bibliothek
zu Hause, aufgebaut u.a. durch Ausleihe an der Uni) oder was über Vampyre und
Horror , Sachen aus der „romantic period“ aus Deutschland und England, auch
Nietzsche (may the „Übermensch“ rise). Ich höre auch gerne Klassik und Darkwave,
Soundtracks, es muß halt nur majestätisch, düster oder melancholisch klingen.
Inzwischen habe ich nicht nur eine Band, sondern engagiere mich auch sonst in der
Szene. Ich bin Konzertorganisator von Black und Death Metal-Sachen (über
Agenturen oder in Eigenarbeit), habe einen Vertrieb von einigen CDs, bin also auch
in Nebentätigkeiten außer Studium, Band und Fußball auf Metal fixiert.
Allerdings fällt mir schon auf, daß sich gegenüber früher, wo wir angefangen haben,
Metal zu hören, einiges geändert hat: ich war früher ein Sonderling, bewußt auffällig
(Haare, Kleidung, Verhalten...), inzwischen ist das alles fast schon gesellschaftlich
akzeptiert. Das beraubt diese Szene einer ihrer wichtigsten grundlagen, nämlich der
Rebellion!
Im Endeffekt ist Metal und Satanismus (Einstiegsdroge war Metal!) mit allen
Drumherum (Konzerte, Freunde, Filme, Bücher...) Zentrum meines Lebens.“
C scheint von klein auf ein recht intelligenter und aufgeweckter Junge gewesen zu sein,
der sich in der Grundschule vielleicht sogar unterfordert fühlte, was sich in seinen
„Aussetzern im Verhalten“ niederschlug. Er war immer sehr aktiv, was man an seinem
schon früh entwickelten Interesse für Fußball merkt.
Das Leben in der „erzkatholischen Gegend“ war ruhig und gesichert, seine Eltern haben
beide eine feste Position in der bürgerlichen Welt. Dennoch will er mehr, er interessiert
sich für außeralltägliche Erlebnisse: schon als Kind ist er von einem „Dracula“-Hörspiel
fasziniert, und selbst wenn dieser Tatsache nicht unbedingt allzuviel Bedeutung
zugemessen werden sollte, so dann doch dem Umstand, daß er sich heute, mit 25
Jahren, noch genau daran erinnert und diese Episode für erwähnungswürdig hält.
Ansonsten war er im normalen bürgerlichen Leben integriert, eben durch sein Hobby
Fußballspielen, aber auch durch seine Gemeindetätigkeit als Meßdiener.
Diese Tatsache erscheint ihm rückblickend völlig absurd, und dennoch ist sie völlig
logisch: gerade weil er so stark in das gesicherte, enge Gemeindeleben eingebunden
war, weil er aus einer erzkatholischen Gegend kommt, verspürt er in der Pubertät das
Bedürfnis, dagegen zu rebellieren. Das äußert sich auch in seiner Rolle als
„Schulchaot“, die er offensichtlich freiwillig spielt. Zunächst genügt ihm das,
zusammen mit dem Konsum von Popmusik, der im Alter von zwölf bis 13 Jahren fast
ausschließlich über den Kollektiv-Geschmack in Peer-Groups definiert wird.
79
Mit 16 kommt der „Durchbruch“ - fast so, als hätte er die ganze Zeit über darauf
gewartet. Von da an ist sein Leben wie umgekrempelt, er knüpft neue Freundschaften,
überspielt sich Platten und bemüht sich um Bildung in der Metal-Sozialwelt. In dieser
Zeit legt er deutliche Anzeichen des Touristenverhaltens an den Tag. Seine Kontakte in
der Sozialwelt intensivieren sich jedoch, und nachdem er ein gewisses Basiswissen
gesammelt hat, wird er selbst zum Meinungsführer der Gruppe jugendlicher Metal-Fans,
da er der erste ist, der „solch extremen Kram“ wie Sodom, Kreator und Death hört. Er
lebt alle Aspekte jugendlicher Rebellion im Metal-Fandom aus. Insbesondere seiner
Aversion gegen die katholische Kirche, die ihm in seiner Kindheit ihre Autorität
aufgezwungen hat, kann er jetzt freien Lauf lassen: er tritt aus der Kirche aus und führt
„’satanische’ Riten“ durch. Durch seine Beschäftigung mit Metal erfährt er auch Sachen
über Satanismus, zu Anfang handelt es sich nur um „Bravo/ Bild/ Mediensatanismus“.
Das zeigt, daß seine Kompetenzen beim Lesen medialer Texte damals noch nicht so
weit entwickelt waren, wie er jetzt selber erkennt. Die Tatsache, daß er diese
Kompetenzen entwickelt hat und nicht nach seiner „rebellischen Phase“ aus der
Sozialwelt wieder ausgestiegen ist, zeigt, daß er sich über das Stadium der
Sensationslust hinaus für die medialen Texte interessiert.
Zwischendurch kam ihm die Idee, selber Musik zu machen und eine Band zu gründen.
Die Entstehungsgeschichte seiner Band kann als repräsentativ für viele andere Bands
gesehen werden. Der spätere Erfolg seiner Band ist sicherlich seinem großen
Engagement in der Sozialwelt zu verdanken. Je länger er sich in der Sozialwelt aufhält,
desto mehr verschiedene Funktionen nimmt er wahr. Er organisiert über die Tätigkeit in
seiner Band hinaus Konzerte und den Vertrieb von CDs, besitzt außerdem viele
Kontakte in der Metal-Sozialwelt. Seinen äußerst aktiven und vielseitigen Lebensstil hat
er beibehalten: er spielt, neben seinen Tätigkeiten im Metal-Fandom, weiterhin Fußball,
außerdem betreibt er noch ein Studium. Im Grunde nimmt ihn die Metal-Sozialwelt
völlig in Anspruch, so daß man von einer Karriere sprechen kann, die ihn vom Novizen
zum Freak und darüber hinaus aktivem Produzenten in der Sozialwelt gemacht hat.
80
5. Kommerzielle Aspekte im Death und Black Metal-Fandom
5.1 Underground versus Kommerz
Allen Szenen und Spezialkulturen, die sich um mediale oder im weitesten Sinne
künstlerische Themen gruppieren, ist es zu eigen, daß sie in einem Spannungsfeld
zwischen den kommerziellen Interessen der „Kulturindustrie“ und der un- oder sogar
antikommerziellen, non-profit-orientierten Ideologie des künstlerisch kreativen
Untergrunds stehen. Für beide Pole - „Underground“ wie „Kommerz“ - läßt sich ein
idealtypisches Szenario innerhalb der Kulturlandschaft unserer Gesellschaft entwerfen
und beschreiben:
Den einen Pol bilden die marktwirtschaftlichen Interessen von Massenmedien und
Konsumartikelherstellern. So werden z.B. Bands und Musiker in der Pop/Rock/
Unterhaltungsmusikbranche von den Tonträgerfirmen nur dann unter Vertrag
genommen, wenn die Firma aus dem Verkauf von CDs und Platten, aber auch
Konzertkarten, T-Shirts und anderen Merchandising-Artikeln einen Gewinn zu
erwirtschaften hofft. Die künstlerischen Fähigkeiten der vertraglich gebundenen
Künstler sind im allgemeinen sekundär, die Produkte sollen sich nur möglichst gut
verkaufen, d.h. möglichst viele Konsumenten ansprechen. Das Ergebnis besteht daher in
einer Musik, die möglichst wenig aneckt, niemanden verletzt, im sogenannten Trend
(der durch ausgeklügelte Systeme der Marktforschung ermittelt wird) liegt und darüber
hinaus ein Image für sich sprechen läßt. Die künstlerische Integrität und Kreativität der
Musiker, Photographen, Designer und sonst an dem Prozeß der Produktherstellung
Beteiligten wird somit prinzipiell untergraben. Pop-Musik in diesem Sinne ist eine von
der Unterhaltungsindustrie hergestellte Massenware, in der die Bedürfnisse der
Konsumenten als kleinster gemeinsamer Nenner von verschiedenen Ideen und
Geschmäckern artikuliert werden (vgl. Adorno, S. 33). Ein solches Horrorszenario, Tod
jeder Kunst, in dem das Kunstwerk zum Instrument zur Verdummung und
Gleichschaltung der Massen degradiert wird, ist das Feindbild der kritischen
Kulturtheorie, aber auch vieler Künstler, gegen das es zu kämpfen heißt.
In dieser extremen Ausprägung trifft das Szenario in der Realität nicht zu, wie
verschiedene Untersuchungen zu Medien und Medienkonsum belegen (z.B. Eckert et
al., Winter 1995). Aber auch von Produzentenseite ist das totale Diktat der Ökonomie
über die Kunst eine Wunschvorstellung, denn selbst bei großen Konzernen der
Unterhaltungsindustrie, die in erster Linie Mainstream-Musik (vgl. Punkt 2.3 und Janke/
Niehus, S. 57) herstellen und in erster Linie marktwirtschaftlich arbeiten, können weder
künstlerische Entstehungsprozesse forciert oder gar emuliert noch die Wünsche des
Publikums gänzlich ignoriert werden. Denn der Trend kann nicht ohne weiteres „von
oben“ aufgezwungen werden, und die von der Industrie generierten Trends geraten
schnell zum Hype (vgl. Janke/ Niehus, S. 123).
81
Den idealtypischen Gegenpol dazu bildet der Underground (oder Untergrund), wo die
Musiker und andere Künstler selbstbestimmt entscheiden können, was, wann, wo, für
wen und wie sie künstlerisch aktiv werden und produzieren. Die Bewegungen im
Underground sind immer von großem Idealismus geprägt, wo kommerzielle Interessen
deutlich hinter den künstlerischen zurückstehen müssen. Eine solche Mentalität
manifestiert sich in den Underground-Sektionen der meisten medialen Spezialwelten,
sei es Metal, Hardcore, Punk oder auch Horrorfilme.
Es besteht eine wechselseitige Beziehung zwischen dem exklusiven Anspruch,
„underground“ zu sein und dem tatsächlichen mangelnden finanziellen Erfolg. Auf der
einen Seite bedingt die bewußt anti-kommerzielle Haltung, daß nur wenige
Konsumenten auf die künstlerischen Produkte aufmerksam werden - sei es, weil sie sich
bewußt vom „Massengeschmack“ distanzieren, sei es durch ihre ausschließlich
szeneninterne Verbreitung - andererseits bewirkt der geringe Bekanntheitsgrad, daß
finanzieller Erfolg unmöglich wird, und zwingt somit die Produzenten in den
Untergrund, da sie keine Chance haben, im Fernsehen, Radio oder den großen
Printmedien für sich zu werben.
Genau das bezwecken die Undergroundakteure im idealtypischen Fall: Man will nicht
nur künstlerisch unabhängig sein, man will vor allem durch finanziellen Mißerfolg und
mangelnde Präsenz in der Öffentlichkeit demonstrieren, daß man es ist. Diese
Einstellung („attitude“) wurzelt letztendlich in der Kritik am Kapitalismus der
Jugendkultur der Sechziger Jahre. Dort wurde insbesondere Pop- und Rockmusik als
Ausdruck der Rebellion gegen die Erwachsenenwelt zum Zeichen gegen die
kommerzielle Ausbeutung von Kunst und gegen die Vorherrschaft kommerzieller
Interessen. Wie die Kultur- und Musikgeschichte zeigt, wurde (vgl. Punkt 2) das
rebellische Potential jeder Generation von Popmusik seit den Fünfziger Jahren
(Rock’n’Roll) bis heute nach einer unterschiedlich langen Außenseiterphase in die
Mainstream-Kultur integriert, aber das Konzept des Untergrunds wurde an die
nachfolgenden Generationen weitervererbt. Auch Punk und Hardcore haben verzweifelt
versucht, gegen die Kommerzialisierung zu kämpfen, selten wurde Anti-Kommerzialität
so idealisiert und als Selbstzweck betrieben wie in dieser Szene (vgl. Büsser, S. 50ff).
Im Hardcore entstand ein Netz von kleinen Plattenfirmen und Vertrieben, und noch
heute sind Hardcore-Anhänger stolz auf ihre Musik, die für politisches Bewußtsein
anstelle von kommerziellen (oder fast gleichbedeutend: ästhetischen) Kompromissen
steht und somit in ihren Augen sowohl das Erbe der 68er-Generation antritt als auch die
Kultur- und Konsumkritik von Horckheimer und Adorno in weniger intellektueller
Sprache artikuliert (vgl. Büsser, S. 55).
Doch auch bei diesem idealtypischen Szenario der antikommerziellen, künstlerisch
freien und idealistischen Underground-Bewegung zeigen sich tiefe Risse, sobald man
auf die Realität schaut. Als erstes stellt sich das Problem der Existenz und Subsistenz
der Künstler, Plattenfirmen und Vertriebe. Denn selbst wenn diese hehre Ideale haben,
82
müssen sie sich auf irgendeine Art ihren Lebensunterhalt verdienen. Natürlich besteht
die Möglichkeit, die Musik als Hobby zu betreiben, doch Konflikte mit dem Job, der
dem Lebensunterhalt dient, sind vorprogrammiert, sobald eine Band weitergehende
Verpflichtungen wie z.B. eine ausgedehnte Tournee eingeht. Und solche
Verpflichtungen wird sie höchstwahrscheinlich eingehen, weil die Musiker trotz des
Undergroundstatus letztendlich nach Anerkennung ihrer Kunst und nach Erfolg streben.
Hierin besteht das grundsätzliche Dilemma der Künstler: Einerseits wollen sie ihre
Kunst nicht verraten, nicht dem Ausverkauf preisgeben, und möglicherweise dabei
(durch vertraglich Bindungen an millionenschwere Konzerne, die ihnen die Form der
Endprodukte vorgeben) ihre künstlerische Integrität verlieren oder zumindest aufs Spiel
setzen, andererseits streben sie aber nach Anerkennung ihrer Kunst und nach
beruflichen Erfolg (wie dies die meisten anderen Menschen in ihren Berufen auch tun)
und nicht zuletzt auch nach finanzieller Gratifikation. Dieses Dilemma der Künstler
zieht den Rest der Untergrundstrukturen - wie Independent-Plattenfirmen (vgl.
Janke/Niehus), Fanzines und Vertriebskanäle - mit, was dazu führt, daß das
idealtypische Szenario „Underground“ genauso eine Utopie seiner Verfechter ist wie das
Szenario „Kommerz“ ein Alptraum seiner Gegner.
Häufige Folge aus dieser Kommerzialisierung des Untergrunds ist das Paradoxon der
Vermarktung der Unkommerzialität, in etwa vergleichbar mit der Tarnung von alter,
verschmutzter oder zerrissener Kleidung als Designermode. Diese Art von
Kommerzialisierung beschreiben Janke/ Niehus anschaulich in ihren Ausführungen über
die Einstellung und die Mode von Jugendszenen wie Acid Jazz oder Alternative Rock/
Grunge (vgl. das Beispiel Nirvana in Punkt 2.3).
Doch diese Kommerzialisierung des Unkommerziellen und die Enteignung des
Untergrunds sollte nicht ohne weiteres als zusätzliches Element des Horrorszenarios
„Kommerz“ gedeutet werden. Vielmehr entwickeln die verschiedenen (jugendlichen)
Spezialkulturen jeweils eigene Techniken, die Balance zwischen Underground und
Kommerz zu halten und in einer Kombination von beidem ihre Identität zu finden.
Dieses „Identitätsmanagement“ kann auch mißlingen - dann geht entweder die
Spezialkultur im Mainstream auf, oder sie verschwindet unbemerkt von der Bildfläche.
Wie die Metal-, insbesondere die Death und Black Metal-Szene dieses
Identitätsmanagement, diesen Balanceakt gestalten, und welche speziellen Probleme
damit verbunden sind, wird im folgenden Abschnitt dargestellt.
5.2 Identitätsmanagement als Balanceakt zwischen Kommerz und Underground
Viele Spezialkulturen füllen, wirtschaftlich gesehen, eine Marktlücke, indem sie die
Bedürfnisse einer kleinen Gruppe von Individuen ansprechen, dies dafür aber sehr
gezielt tun. Sie bilden Nischen für speziell Interessierte, die sich z.B. in der Metal-Szene
83
vom Novizen zum Buff durchgekämpft haben. Insofern besitzen solche Szenen ein
bestimmtes Stammpublikum.
Zusätzlich zu diesem Stammpublikum existiert ein Touristenpublikum, was sich
vorübergehend für eine bestimmte Szene - d.h. einen bestimmten Stil, eine
Kunstrichtung oder Musikgattung - interessiert. Wann eine bestimmte Szene sehr
großen Zulauf von Touristen bekommt, ist durch sogenannte Trends und Moden
bestimmt, diese wiederum sind von einer Reihe von Faktoren abhängig, auf die hier
nicht näher eingegangen werden soll (vgl. Janke/ Niehus, S. 116ff).
Doch genau dieses phasenweise gesteigerte Interesse von Touristen an einer bestimmten
Szene wird von langjährigen Mitgliedern der Szenen, also den Buffs und Freaks, als
problematisch angesehen - sie sind diejenigen, die den Ausverkauf einer Szene, ihren
Untergang in der Mainstream-Kultur bewirken. Auch die Metal-Szene, in den letzten
Jahren besonders zuerst die Death und später die Black Metal-Szene, sind trotz der
starken Gruppenkohäsion ihrer Mitglieder und der damit einhergehenden Abschottung
nach außen gegen die Auswirkungen solcher Trendmechanismen nicht gefeit. Fan C hat
sich sehr ausführlich mit dieser Problematik auseinandergesetzt und charakterisiert sie
folgendermaßen:
„In der Szene sind gewaltige Veränderungen in Struktur und Konstitution
erkennbar. Früher gab’s jedesmal einen Adrenalinstoß, wenn z.B. eine Bestellung
geliefert wurde, es war kein Aufwand zu groß, um an bestimmte Scheiben oder
Shirts zu kommen. Heute ist der Karstadt der bestsortierte Metal-Laden in T.! Das
wäre früher eine Horrovision gewesen wegen des ‘Undergroundfeelings’! Ich
glaube, das CD-Zeitalter spielt hier eine entscheidende Rolle. [...]
Jetzt sind die Trendies vom Death Metal-Boom (etwa ‘92-’94) ausgezogen, gingen
so schnell wie sie kamen, wollten halt mal cool sein oder dazugehören. Momentan
sind die letzten Ausläufer des Black Metal-Trends zu spüren, der wollte das
Undergroundasein wiederbeleben, wurde aber mindestens ebenso trendy wie Death
Metal seinerzeit (became exactly what it wanted to fight against: a big shitty trend!).
Black Metal ging zu Anfang neue Wege, Versuche zur rebellion und Provokation
eskalierten auf nicht für möglich gehaltene Weise... das zog viele ‘unwissende’,
blinde Nachahmer mit in en Bann. Ganz zu Beginn dieser Entwicklung wurden
wieder einige Spannungsbögen erzeugt, da war ein gesteigertes Interesse an neuen
Releases, nach etwa einem Jahr kam jedoch nur noch Plagiat auf Plagiat, und es gibt
nur noch wenige hochwertige/ originelle Bands. Viele versuchten die
Scheinpropaganda etablierter Acts auf dümmliche, oft peinliche Art zu kopieren das führte leider dazu, daß Images (meist dämlich und an den Haaren
herbeigezogen) wichtiger wurden als die Musik. Tausende von neuen Bands
enstanden... zum Glück gingen sie so schnell wie sie kamen, die musikalischen/
kompositorischen Fähigkeiten waren oft sehr dürftig, daher kam’s zu einer
hoffnungslosen Überschwemmung der Szene mit beschissener, lächerlicher
Quantität statt kultiger Qualität. Ein weiteres Merkmal der neuen Szene: jeder hat
iregendeine ‘wichtige’ Funktion, und so kommt es, daß zu viele Schnorrer und
Dummvolk sich aufspielen (z.B. ein DIN A5-Heft mit 24 kopierten Seiten aus
Norwegen, mit Interviews mit Emperor, Katatonia und Immortal für 7$...)
da ist das Image wichtiger als die Musik, der oft ungewollten Peinlichkeit und
Dümmlichkeit sind keine Grenzen gesetzt. [...]
in 90% der Fälle sind das irgendwelche hobbywichtigen Arschlöcher, die sich
möglichst schnell einen Status verschaffen wollen und auf einem der 412 jeden
84
Monat neu aus dem Boden sprießender Labels auf ein paar schnelle ’Bucks’
hoffen.“
Die Probleme liegen in den Augen der Fans an der Überschwemmung des Marktes mit
Quantität statt Qualität, was aus reiner Geldgier geschieht. Schuld daran sind die
„Trendies“ - Fans wie Musiker - die das Image höher bewerten als die Musik und so der
qualitativen Verschlechterung und Verflachung der Produkte Vorschub leisten. Diese
Verwässerung der Szene-Codes führt schließlich zum Tod der Szene.
Doch die Metal-Szene hat spezifische Praktiken entwickelt, mit diesen Problemen
umzugehen. Zum einen schöpfen die „echten“ Metal-Fans, wie sie in Punkt 4.3.2
beschrieben werden, aus einer langen und hartnäckigen Tradition („The Beast that
Refuses to Die“, Weinstein, S. 11), die es ihnen ermöglicht, - zumindest zeitweise - auf
einen älteren Zeichenvorrat auszuweichen, ohne zwangsläufig in einen Nostalgie-Kult
zu verfallen, denn die Traditionen werden andauernd gepflegt und sind höchst lebendig,
wie die häufigen Neuauflagen der „Klassiker“ (z.B. Black Sabbath- vgl. Weinstein, S.
56) zeigen. Zum anderen verdammen Metal-Fans, im Gegensatz beispielsweise zu
Anhängern von Hardcore, kommerziellen Erfolg nicht generell, sondern knüpfen seine
Akzeptanz lediglich an gewisse Bedingungen und sind so in der Lage, neben dem
Untergrund auch einen kommerziellen Bereich in die Szene zu integrieren.
Die Metal-Kultur hat ihre eigenen Regeln, wie groß (und bekannt) ein Vertrieb, eine
Plattenfirma, eine Band oder ein Magazin sein dürfen, um noch zum Underground zu
zählen. Alles, was darüber hinausgeht, gehört zum „Mainstream“ - dem „Mainstream“
innerhalb der Metal-Szene natürlich. Es werden zwei Partitionen herausgebildet, die
beide wichtig sind, aber zum Teil völlig unterschiedliche Funktionen innehaben.
Wirklich wichtig sind nur die Codes, die bestimmen, wann eine Band zum Metal zu
zählen ist und wann nicht (vgl. Weinstein, S. 56f). Ob sie dabei auch kommerziell
erfolgreich ist, spielt eine untergeordnete Rolle. Iron Maiden waren (und sind immer
noch) im Laufe ihrer mittlerweile mehr als 15-jährigen Karriere kommerziell äußerst
erfolgreich, gehören aber trotzdem zu den wenigen Ikonen der gesamten Metal-Kultur.
Dagegen dürfte die Electro-Band Numb aus Kanada nur wenige Metal-Fans
interessieren, obwohl sie harte Gitarrenriffs in ihre Musik integriert und sicherlich keine
Millionen scheffelt, sondern als Geheimtip in der Elektroszene gehandelt wird.
Obwohl Anpassung aus kommerziellen Gründen verpönt ist (Anpassung würde auch
Anpassung an die Popkultur und damit den Ausstieg aus der Metal-Sozialwelt
bedeuten), wird die eigentliche Tatsache des kommerziellen Erfolgs nicht von
vornherein negativ bewertet.
Ein Beispiel für Kommerzialisierung, die zum Ausstieg aus der Metal-Sozialwelt
geführt hat, ist die Band Metallica. Einstige Helden des kalifornischen Bay-AreaThrashs, veröffentlichten sie 1996 eine Mainstream-Rock-Platte, was die alten Fans
ihnen sehr verübelt haben. Kommerziell ist das Album einschließlich diverser SingleAuskopplungen ein großer Erfolg geworden. Ihr Fehler war aber nicht, mit diesem oder
85
irgendeinem anderen Album viel Geld zu verdienen, sondern die Codes der MetalSpezialkultur zu brechen und die Fans zu verraten, um kommerziell erfolgreich zu sein.
Das Phänomen der Moden und Trends kann sich aber auch genau andersherum negativ
auf eine Szene auswirken. Das Schwinden der Fans, ganz gleich ob Touristen
(„Trendies“) oder nicht, kann zu einer bedeutenden Schwächung und schließlich zu
einer stillschweigenden Auflösung einer Fankultur führen. So behaupten z.B. Janke/
Niehus: „Die Bedeutung der Heavy Metal-Musik sinkt angesichts der Konkurrenz von
Grunge und Alternative Rock“ (Janke/ Niehus, S. 61). In diesem Fall käme das Fehlen
des kommerziellen Erfolgs dem Untergang der Szene gleich.
Tatsächlich scheinen die Mitglieder des Metal-Fandoms kreativ genug zu sein, um
sowohl gegen solche Probleme, wie Fan C sie anspricht (Ausverkauf der Szene) als
auch gegen eine Auflösung ihrer Szene mangels Personal, ihre Identität zu behaupten.
So wurde im Szene-Magazin Rock Hard 104 (1996) die Frage gestellt: „Ist der Metal
tot?“ - was viele Buffs und Freaks veranlaßte, sich vom Rock Hard abzuwenden, da
diese Frage zwar nicht geradeheraus mit „Ja“ beantwortet wurde, aber für eine stärkere
Offenheit des Metal gegenüber Einflüssen aus anderen Musikrichtungen plädiert wurde,
um diese Frage nicht eines Tages bejahen zu müssen. Mittlerweile ist „Ist der Metal tot was sagst Du dazu?“ eine Standardfrage für Interviews in allen Magazinen geworden,
was beweist, daß in der Fankultur über diese Problematik reflektiert und bewußt für eine
Aufrechterhaltung der Traditionen gekämpft wird.
Doch diese defensive Haltung ist nicht die einzige Antwort der (Death und Black)
Metal-Fankultur gegenüber dem Auf und Ab der Trends und des kommerziellen
Erfolgs. Durch ihr ungeheures Potential an künstlerischer Kreativität, in erster Linie der
Musiker - die meistens selbst Fans sind - aber auch aller anderen Produzenten medialer
Texte, ihr geordnetes Werte- und Normensystem und ihr Gemeinschaftsgefühl sind die
Mitglieder der Metal-Spezialkultur in der Lage, ihre Identität in einer Mischung aus
Underground und Kommerz zu bewahren.
6. Schlußwort und Ausblick
Sicherlich bleibt noch vieles über die Spezialkultur des Death und Black Metal zu
sagen, auf keinen Fall konnte das Thema erschöpfend behandelt werden.
Interessant wäre beispielsweise eine genauere Untersuchung der kulturellen BricolagePraktiken der Fans, die innerhalb der Spezialkultur von Freundeskreis zu Freundeskreis
stark variieren können. Ebenso lohnend wäre eine intensivere musikologische und
musiksoziologische Befassung mit der Musik, auch, weil dies bis heute bei der
Erforschung der meisten jugendlichen Fandoms immer vernachlässigt wurde,
schließlich ist das Augenmerk meistens auf die soziale Interaktion bzw. auf Songtexte,
Bücher, Videos oder Filme gerichtet.
86
Ein paar Ergebnisse können jedoch jetzt schon festgehalten werden:
Das Death und Black Metal-Fandom als solches ist - im Gegensatz zur Musik des Death
und Black Metal - eine vorübergehende Erscheinung, überwiegend von Touristen
getragen. Seine Wurzeln hat es im Metal-Fandom, wobei die Buffs unter den Death/
Black-Fans nicht von den anderen Metal-Buffs zu unterscheiden sind und meistens sich
selbst als Metal-Fans sehen, deren Präferenzen im Black/Death-Bereich liegen. Die
Metal-Fans bewegen sich in einer sehr abgesonderten Szene, um die herum sich alles in
ihrem Leben dreht. Von der Gesellschaft werden sie stigmatisiert, immer wieder
versuchen Privatpersonen und Behörden, die Texte dieser Spezialkultur zu zensieren,
doch das gibt dem Zusammenhalt unter den Fans nur neuen Auftrieb. Sie gehören zur
Kategorie der aktiven Medienrezipienten, weil sie sich nicht damit begnügen, Musik zu
konsumieren, sondern selber als Musiker, Fanzineschreiber oder sogar Produzent
anderer Bands aktiv sind. Im Umgang mit ihren medialen Texten eignen sie sich eine
hohe Kompetenz an, die vor allem auf der Setzung spezieller Interpretationsrahmen
basiert. Dadurch eröffnen sich ihnen fanspezifische Karrieren innerhalb der
Spezialkultur. Entgegen den landläufigen Vorurteilen gegenüber Metal haben wir es hier
mit einer recht komplexen Form der musikalischen Bricolage zu tun, die viele Elemente
der Hochkultur, ebenso wie solche aus dem Rock, Blues und Rythm and Blues
beinhaltet.
Es ist zu hoffen, daß diese Abhandlung, die eigentlich nur einen flüchtige
Momentaufnahme der gegenwärtigen Situation im Heavy Metal-Fandom darstellt, ein
wenig dazu beiträgt, zu begreifen, daß es außerhalb der eigenen vier Wände auch noch
Welten geben kann.
87
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91
II. Ergänzende Quellen und Materialien
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- Bang Heft 1, November 1993
- Masterliste Nr. 11/ 96,
Hellion-Mailorder-Katalog 1996
- Metal Hammer 9/1991:
Interview mit Johnny Hedlund, Sänger und Bassist der Death Metal-Band Unleashed (Schweden)
- Metal Hammer 8/1992:
Interview mit Johnny Hedlund.
- Metal Hammer 3/ 1993:
Bericht über die Death/ Black Metal-Band Samael (Schweiz).
- Metal Hammer 8/ 1993:
Interview mit Trey Azagtoth, Gitarrist und Komponist der Death Metal-Band Morbid Angel (USA)
- Metal Hammer 11/ 1993:
Bericht über David Vincent, ehemaliger Bassist und Sänger bei Morbid Angel.
- Metal Hammer 8/ 1994:
Interview mit Johnny Hedlund.
- Metal Hammer Thrash-Special 10/ 1991:
Interview mit Chris Barnes, ehemaliger Sänger bei Cannibal Corpse.
- Rock Hard 67, 1992:
Diskussion über die Proteste von Christa Jenal gegen Death Metal, Teil 1
- Rock Hard 68, 1992:
Diskussion über die Proteste von Christa Jenal gegen Detah Metal, Teil 2
- Rock Hard 71, 1993:
Offener Brief von Christa Jenal an die Leser des Rock Hard.
- Rock Hard 73, 1993:
Diskussion über Gewaltdarstellungen und Zensur von CD/ Platten-Cover.
- Rock Hard 74, 1993:
Interview mit David Vincent.
Diskussion über Black Metal
92
Interview mit dem Eigentümer des Black Metal-Labels Osmose (Frankreich), Hervé Herbaut
- Rock Hard 77, 1993:
Interview mit Alex Webster.
- Rock Hard 78, 1993:
Interview mit Johnny Hedlund.
- Rock Hard 83, 1994:
Interview mit Vorphalack, Sänger und Gitarrist von Samael.
- Rock Hard 104, 1996:
„Ist der Metal tot?“ - Teil 1
- Rock Hard Death Metal-Special, 1992:
Interview mit David Vincent.
„Spiel mir das Lied vom Tod“ - kurze Geschichte des Death Metal
- Slayer Mag X, 1993
- Spiegel Spezial 2/ 1994: „Pop und Politik“:
Gitarren zu Pflugscharen
- taz , 23.6. 1992
93
III. Materialsammlung
b) Textbeispiele
Children of the Grave
Revolution in their minds - the children start to
march
Against the world they have to live in:
Oh! the hate that’s in their hearts
They’re tired of being pushed around and
told just what to do
They’ll fight the world until they’ve won
and love comes flowing through.
Children of tomorrow live in the tears that
fall today
Will the sunrise of tomorrow bring in
peace in any way
Must the world live in the tears that
fall today
peace in any way
Must the world live in the shadow of
atomic fear
Can they win the fight for peace or will they disappear?
So you children of the world listen to what I say
If you want a better place to live in spread the
words today
Show the world that love is still alive you must
be brave
Or you children of today will be children of the grave
Text: Black Sabbath, aus: Black Sabbath, „Master of Reality“, Castle Copyrights Ltd. 1971
94
Hell Bent For Leather
Seek him here, seek him on the highway
Never knowing when he'll appear
All await, engine's ticking over
Hear the roar as they sense the fear
Wheels! A glint of steel and a flash of light!
Screams! From a streak of fire as he strikes!
Hell bent, hell bent for leather
Hell bent, hell bent for leather
Black as night, faster than a shadow
Crimson flare from a raging sun
An exhibition, of sheer precision
Yet no one knows from where he comes
Fools! Self destruct cannot take that crown
Dreams! Crash one by one to the ground
Hell bent, hell bent for leather
Hell bent, hell bent for leather
There's many who tried to prove that they're faster
But they didn't last and they died as they tried
There's many who tried to prove that they're faster
But they didn't last and they died as they tried
Hell bent, hell bent for leather
Hell bent, hell bent for leather
Hell bent, hell bent for leather
Hell bent, hell bent for leather
Text: Glenn Tipton, aus: Judas Priest, „Killing Machine“, CBS 1978
95
Aces High
There goes the siren that warns of the air raid
Then comes the sound of the guns sending flak
Out for the scramble we've got to get airborne
Got to get up for the coming attack.
Jump in the cockpit and start up the engines
Remove all the wheelblocks there's no time to waste
Gathering speed as we head down the runway
Gotta get airborne before it's too late.
Running, scrambling, flying
Rolling, turning, diving, going in again
Run, live to fly, fly to live, do or die
Run, live to fly, fly to live. Aces high.
Move in to fire at the mainstream of bombers
Let off a sharp burst and then turn away
Roll over, spin round and come in behind them
Move to their blindsides and firing again.
Bandits at 8 O'clock move in behind us
Ten ME-109's out of the sun
Ascending and turning our spitfires to face them
Heading straight for them I press down my guns
Rolling, turning, diving
Rolling, turning, diving, going in again
Run, live to fly, fly to live, do or die
Run, live to fly, fly to live, Aces high.
Text: Steve Harris, aus: Iron Maiden, „Powerslave“, Capitol Records 1984
96
Black Metal
Black is the night, metal we fight
Power amps set to explode.
Energy screams, magic and dreams
Satan records the first note.
We chime the bell, chaos and hell
Metal for maniacs pure.
Fast melting steel, fortune on wheels
Brain haemorrhage is the cure.
For BLACK METAL
lay down your souls to the gods rock 'n roll
Freaking so wild, nobodys mild
Giving it all that you got.
Wild is so right, metal tonight
Faster than over the top.
Open the door, enter hell's core
Black is the code for tonight.
Atomic force, feel no remorse
Crank up the amps now its night
BLACK METAL
lay down your souls to the gods rock 'n roll
metal ten fold through the deadly black hole
riding hell's stallions bareback and free
taking our chances with raw energy
Come ride the night with us
Rock hard and fight
United my legions we stand
Freak hard and wild for us
Give up your soul
Live for the quest satan's band
Against the odds, black metal gods
Fight to achieve our goal
Casting a spell, leather and hell
Black metal gods rock 'n roll
Building up steam, nuclear screams
War-heads are ready to fight
Black leather hounds, faster than sound
Metal our purpose in life
BLACK METAL
lay down your souls to the gods rock 'n roll
BLACK METAL
Text: Venom, aus: Venom, „Black Metal“, Neat Records 1982
97
Angel of Death
Auschwitz, the meaning of pain
The why that I want you to die
Slow death, immense decay
Showers that cleanse you of your life
Forced in
Like cattle
You run
Stripped of
Your life’s worth
Human mice, for the Sangel of death
Four hundred thousand more to die
Angel of Death
Monarch to the kingdom of the dead
Sadistic, surgeon of demise
Sadist of the noblest blood
Destroying without mercy
To benefit the aryan racee
Surgery, with no anesthesia
Feel the knife pierce you intensely
Inferior, no use to mankind
Strapped down screaming out to die
Angel of death
Monarch to the kingdom of the dead
Infamous butcher,
Angel of death
Pumped with fluid inside your brain
Pressure in your skull begins pushing
Through your eyes
Burning flesh, drips away
Test of heat burns your skin,
Your mind starts to boil
Frigid cold, cracks your limbs
How long can you last
In this frozen water burial?
Sewn together, joining heads
Just a matter of time
‘Til you rip yourselves apart
Millions laid out in their
Crowded tombs
Sickening ways to achieve
The holocaust
Seas of blood, bury life
Smell your death as it burns
Deep inside of you
Abacinate, eyes that bleed
Praying for the end of
Your wide awake nightmare
Wings of pain, reach out for you
His face of death staring down,
Your blood running cold
Injecting cells, dying eyes
Feeding on the screams of
Text: Jeff Hanneman, aus: Slayer,
„Reign in Blood“, Def Jam Recordings 1986
98
The mutants he’s creating
Pathetic harmless victims
Left to die
Rancid angel of Death
Flying free
A Skull Full of Maggots
Lying there cold after a torturous death
Your life ended fast, you took your last breath
Dead in a grave, your final place
The maggots infest your disfigured face
Puss through your veins takes the place of
blood
Decay sets in, bones begin to crack
Thrown six fet down left to rot
Brains oozing back down the side of your broken neck
Skull full of maggots
They enter your tomb-maggots-beginning to
feast-maggots
Crawling on you -maggots-now they eat
you-maggots
Rotting maggots-maggots-infesting your
corpse-maggots
Parasites of the dead-maggots-now dwell in
your head
Lying there cold after a torturous death
Your life ended fast, you took your last breath
Dead in a grave, your final place
The maggots infest your disfigured face
Puss through your veins takes the place of
blood
Decay sets in, bones begin to crack
Thrown six fet sown left to rot
Brains oozing back down the side of your broken neck
Text: Chris Barnes, aus: Cannibal Corpse, „Eaten Back to Life“, Metal Blade 1990
99
Caesar’s Palace
Just close your eyes.. can you remenber
The generations not so long ago
I feel the shameless urge that we must restore
Our former king to his rightful throne
And with me lords and maidens
We wait for the chosen son’s return
I come alive
It’s a time for celebration
our will to restore
Make our past become the future once more
Still he lives! 2000 years have passed
And still we’re yearning for his return
We fulfill a wishful prophecy
And so the chanting begins:
Hail Caesar... Hail Caesar... we render unto you
What is still yours
Share the wish as it must be
our king and palace... mode it be!
Gods enlsaved, traitors burning
Might and splendor forever return
Text: David Vincent, aus: Morbid Angel, „Domination“, Earache 1995
100
Primal Breath
Look the herons in the greenbilled water
their wet-ash wings wear medalions of patience
We drift on...
We have stories as old as the great seas
breaking through the chest
Flying out the mouth
Noisy tongues that once were silenced
All the oceans we contain, coming to light
All the birds rush from the river
Leaving only the stillness of their language
There are no clocks to measure time,
bur the beating of our singing hearts
You will know it is winter
by the way your dreams tremble like stones
when the wind comes through
Te wind, full of hearts that beat quick and strong
Text: Sioux-Tribe Poem, aus: At The Gates, „With Fear I Kisss the Burning Darkness“, Deaf 1993
101
Blood On Ice
The old Crows cry the first warning,
The rumbling frozen ground the last.
Hooves thundering on the three feet snow.
The icy dawn yet to begin.
„Bursting through the icy morning
four times five black shadows ahorse.
Steel glimmering in the awakening sun’s light.
And blood colours the white snow red.
Cries echoes through the dark deep woods.
Open wounds steam in the cold morning air.
And the new day was greeted with a burden
both raped and dead.“
Long golden scalps hung by the old twin headed beasts
standard black.
Women and children brought far north into the land of
no turning back.
The burning village spread by the wind across the tundra.
Cry old Crow cry
Long tall beautiful people fallen lifeless to the ground.
Headless scattered still graceful bodies.
Blood coloured the white snow all around.
Through the dark deep woods to the mountains
towering to the sky.
The wind carries the quest for revenge
and the tale of Blood on Ice...
Text: Quorthon, aus: Bathory, „Blood On Ice“, Black Mark 1996
102
III. Materialsammlung
d) Hörbeispiele mit Erläuterungen
Vorbemerkung
Die Zusammenstellung von Metal-Songs auf der beiligenden Cassette (die hier in der InternetVersion natürlich nicht vorliegt) trifft eine willkürliche Auswahl aus den repräsentativsten Bands quer
durch die Metal-Geschichte. Natürlich fehlen einige sehr wichtige Gruppen, wie z.B. Mercyful Fate,
Metallica, Manowar, Kreator... die Liste ist endlos, und jeder Fan würde seine eigenen Lieblingsbands
dazuschreiben.
Doch hier geht es nur darum, unerfahrenen Hörern einen Eindruck zu vermitteln, was Metal ist und
wie er sich entwickelt hat - bis hin zum Death Metal von Cannibal Corpse.
Auf der B-Seite der Cassette werden Stücke von Death/Black Metal-Bands in direkten Bezug zu einer
klassischen Komposition gesetzt. Dadurch wird die Technik der Bricolage, die im Metal auf allen
Ebenen mit den verschiedensten Zeichen betrieben wird, auch auf musikalischem Gebiet deutlich.
Denn obwohl die Instrumentation und besonders die Rhytmik letztendlich aus dem Rock und Blues
stammen, verwenden viele Metal-Bands an klassische Strukturen angelehnte Techniken, die teilweise
geradezu verblüffend „hochkulturell“ klingen. Die Erläuterungen zu den einzelnen Bands sollen
lediglich eine grobe Orientierung zu Zeitpunkt der Veröffentlichung und stillistischer Einordnung
geben, bei dem Vergleich der Metal- und klassischen Stücke wurde bewußt auf eine komplette
musikologische Analyse verzichtet - ein paar Anregungen sollen reichen, damit jeder Hörer seinen
eigenen Eindruck gewinnen kann.
103
A-Seite
1. Children of the Grave
Musik: Black Sabbath, aus: Black Sabbath, „Master of Reality“, Castle Copyrights Ltd. 1971
„Ur“-Heavy Metal mit den typischen Black Sabbath-Riffs, die dem Song Düsternis und Schwere
(„Heavyness“) geben.
2. Hell Bent For Leather
Musik: Glenn Tipton, aus: Judas Priest, „Killing Machine“, CBS 1978
Klassischer rauher Heavy Metal mit deutlichem Hardrock-Einschlag.
3. Aces High
Musik: Steve Harris, aus: Iron Maiden, „Powerslave“, Capitol Records 1984
Iron Maiden als die Pioniere des „modernen“ Heavy Metal bringen deutlich mehr Aggressivität, Härte
und Geschwindigkeit, kombiniert mit virtuoser Technik, in die Musik hinein, bleiben aber kompakt
und nachvollziehbar.
4. Black Metal
Musik: Venom, aus: Venom, „Black Metal“, Neat Records 1982
Relativ simple Hardrock-Strukturen werden neu umgesetzt: stark verzerrte Gitarren, brutaler, rauher
Sound, sehr betonte Rhythmussektion, rauher, brüllender Gesang
5. Dethroned Emperor
Musik: Celtic Frost, aus Celtic Frost, „Morbid Tales“, Noise 1984
Dunkle, wuchtige Riffs, ansatzweise grunzender Gesang, deutlich als Vorläufer des moderneren
Death Metal zu erkennen.
6. Angel of Death
Musik: Jeff Hanneman, aus: Slayer, „Reign in Blood“, Def Jam Recordings 1986
7. Jesus Saves
Musik: Jeff Hanneman, Kerry King, aus: Slayer, „Reign in Blood“, Def Jam Recordings 1986
Thrash-Klassiker, bei dem die Punk-Einflüsse des amerikanischen Thrash noch deutlich erkennbar
sind. Typisch: aggressive Schreie, stark verzerrte Gitarren, hohe Geschwindigkeit. Im Gegensatz zum
Death Metal ist der Sound heller, die Atmosphäre aggressiv und hektischer.
8. A Skull Full of Maggots
Musik: Cannibal Corpse, aus: Cannibal Corpse, „Eaten Back to Life“, Metal Blade 1990
Musikalische Anleihen beim Thrash, jedoch Grunzen und extrem schnelle Double-Bass-Passagen,
tiefe Gitarren
104
B-Seite
9. Caesar’s Palace/ Dreaming/ Inquisition (Burn With me)
Musik: Trey Azagtoth, aus: Morbid Angel, „Domination“, Earache 1995
10. Symphonie Nr. 6 a-moll, Auszug aus dem 1. Satz: Allegro energico, ma non troppo
Musik: Gustav Mahler, dirigiert von E. van Lindenberg, Jägel 1996
Außer in den Klangfarben unterscheiden sich die Kompositionsstile von Trey Azagtoth und Gustav
Mahler in der Betonung der Rhythmussektion - sie steht bei „Caesar’s Palace“, besonders aber bei
„Inquisition“, stark im Vordergrund.
Morbid Angel greifen auf Strukturen und Harmonien der späten Klassik zurück, und wirken damit
sehr symphonisch (trotz Gesang), .bedienen sich des starken Pathos, der sehr freien Harmonik
außerhalb der Dreiklangsakkorde und des relativ offenen Aufbaus, der für die „dekadente“
Spätklassik typisch ist.
11. Primal Breath
Musik: At The Gates, aus: At The Gates, „With Fear I Kisss the Burning Darkness“, Deaf 1993
12. Arie Nr. 2 - Kantate 80, „Eine feste Burg ist unser Gott“
Musik: Johann Sebastian Bach, dirigiert von K. Münchinger, Decca Rec. Company Ltd 1985
Im Gegesatz zur spätklassischen Symphonik wirken beide Stücke - bei aller Unterschiedlichkeit in
den Klangfarben und der Betonung des Rhythmus - sehr spärlich instrumentiert, sehr klar und filigran.
Über dem Baß (Rhythmussektion bzw. Basso continuo) liegen mehrere Melodiestimmen (Gesang und
Instrumente), die gleichberechtigt gegeneinander laufen.
13. Blood On Ice
Musik: Quorthon, aus: Bathory, „Blood On Ice“, Black Mark 1996
14. Der Ritt der Walküren
Musik: Richard Wagner, aus: Die Walküre, dirigiert von D. Barenboim, Deutsche Grammophon
1984
Wieder zwei sehr pathetische spätklassiche Werke, die aber im Gegensatz zu Mahler/ Morbid Angel
beide aus einem opernähnlichen Gesamtwerk stammen. Bei beiden Stücken wechseln sich immer
wiederkehrende rhythmisch akzentuierte Parts mit sehr freien Passagen ab, die auch unterschiedliche
Effekte beinhalten können. Quorthon ist sowohl vom textlichen wie vom musikalischen Konzept stark
von Wagner beeinflußt, wie er selber sagt: „I was also a long time fan of the life and works of Richard
Wagner, addicted to his operas and aware of what he read when finding inspiration for them... From
the works of Wagner I more or less stole the legend of Siegfried and the ageing and dying gods of the
Götterdämmerung, as well as the sword Notung“ (zitiert aus dem Begleittext zu „Blood On Ice“).
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