Erfolgreiches und gesundes Altern – Wo finde ich den Jungbrunnen? Prof. Dr. med. Ludger Pientka, MPH., Dipl.-Soz.wiss. Klinik für Altersmedizin und Frührehabilitation Universitätsklinik der Ruhr-Universität Bochum Marienhospital Herne St.Maria-Hilf Krankenhaus Medizinische Klinik IV Altersmedizin und Frührehabilitation St. Josef- und St. Elisabeth-Hospital Bochum Die neuen Alten Normales Altern Muskelkraft ↓ Aerobe Kapazität ↓ Vasomotorische Instabilität Knochendichte ↓ Sensorische Fähigkeiten ↓ Ventilation ↓ Verändertes Durst/ Hungergefühl Empfindliche Haut Neigung zur Urininkontinenz Gefahren von Bettruhe und Hospitalisierung Immobilisierung Bettgitter Plasmavolumen ↓ Synkope Knochendichte ↓ beschleunigt pO2 ↓ Sensorische Deprivation FRV ↑ Medikamente Diät Barrieren Dehydratation Mangelernährung akute Verwirrtheit Magensonde Aspiration Dekonditionierung Scherkräfte Immobilisation Katheter Barrieren funktionelle Inkontinenz Katheter Soz. Abgrenzung Sturz Fixierung mechanisch Fixierung pharmakologisch Dekubitus Fraktur Fehleinordnung Tardive Dyskinesie Pflegeheim Infektion Die Biologie des Alterns und Langlebigkeit Funktionelle Kapazität Funktion und Alter 1 0,9 0,8 0,7 0,6 0,5 0,4 0,3 0,2 0,1 0 Persönlichkeit Herzindex Resp. Kapazität NLG Blutfluss Niere Körperl. LF 30 80 Alter in Jahren Theorien des Alterns • Gibt es eine genetisch determinierte Lebenserwartung? – Wahrscheinlich nicht! – Altern ist möglicherweise nur die Auswirkung von genetischen „Fehlern“! – Einige dieser Fehler sind möglicherweise verhinderbar (z.B. freie Radikale - Antioxidantien)! – Eine genetisch programmierte maximale Lebenserwartung der Species „Mensch“ ist derzeit nicht plausibel nachweisbar! Was heisst eigentlich „alt werden“? • Stoffwechsel in unseren Zellen • Wasserhaushalt • Knochen und Gelenke • Herzleistung • Infekte • Gehirn (Fast) alles wird ein bisschen lansamer, funktioniert aber! Männer und Frauen sind unterschiedlich!!!!! Alterung von Organen • Sehr variable Alterung verschiedener Organe bei derselben Person • Altern und Krankheit sind zwei unterschiedliche Prozesse und nicht gleichzusetzen • Defizite sichtbar vor allem bei Stress z.B. bei Krankheit Wichtige Krankheiten im Alter • • • • • • • Lungenerkrankungen Krebs Diabetes Herz-Kreislauf-Erkrankungen Hirnleistungsstörungen und Demenz Knochenschwund (Osteoporose) Gelenkbeschwerden (Arthrose) Aber: Alle Untersuchungen zeigen, dass die Bedeutung vieler Krankheiten für ein Altwerden mit Lebensqualität abnimmt! Demographie und Epidemiologie Demographie ♂ 80 ♀ Alter 60 40 20 0 2000 2010 2020 2030 Jahr 2040 Lebenserwartung von Frauem nach Alter und Komorbidität Lebenserwartung (Jahre) Alter (Jahre) 65 70 75 80 85 Gesund Durchschnitt Krank 20.0 15.8 12.1 8.8 6.1 18.5 14.8 11.5 8.4 5.9 9.7 8.6 7.3 5.9 4.5 Extermann M, et al.J Clin Oncol.2000;18:1709-17 Krankheit und Alter Herzinfarkt Lungenkrebs Schlaganfall Pneumonie Emphysem 0 50 Alter (Jahre) 100 Schlaganfall Lungenkrebs Herzinfarkt Pneumonie Emphysem 0 50 Alter (Jahre) 100 Kompression und Expansion der Morbidität 0 75 Hypothetische derzeitige Morbidität 0 85 Szenario I: Extension 0 Szenario II: Kompression 85 Prävention und Lebenserwartung • Krankheitsfreie (aktive) Lebensjahre steigen langsamer als die Lebenserwartung. – Zunahme chronischer Krankheiten • Krankheitsfreie (aktive) Lebensjahre steigen genauso schnell wie die Lebenserwartung. – Keine Änderung • Krankheitsfreie (aktive) Lebensjahre steigen schneller als die Lebenserwartung. – Abnahme chronischer Erkrankungen Compression or expansion of morbidity? • Wesentliche Risikofaktoren für „gesundes“ Altern (Dubbo-Studie, 2000): – – – – Körpergewicht Depression Lungenfunktion Alltagsfunktion (z.B. Aktivitäten des täglichen Lebens) • Aber: ca. 200 andere Studien mit unterschiedlicher Methodik und unterschiedlichen Ergebnissen! Projektion: Lebenserwartung in den nächsten 50 Jahren Both sex combined Current life expectancy (1998) Rate of increase/yr Projected life expectancy (2048) Point (yr) of paradox Males Current life expectancy (1998) Rate of increase/yr Projecteed life expectancy (2048) Point (yr) od paradox Females Current life expectancy (1998) Rate of increase/yr Projected life expectancy (2048) Point (yr) pf paradox From birth 76.6 From age 65 82.7 From age 85 91.3 0.150 84.1 0.066 86.0 0.017 92.15 87.8 (2076) 73.7 81.0 90.6 0.20 83.7 0.10 86.0 0.04 92.55 88.3 (2071) 79.3 84.1 91.6 0.094 84.0 0.028 85.5 0.011 92.15 87.1 (2104) Fries JF, et al. Clin Geriatr Med 2002; 18:371-82 Compression or expansion of morbidity? • Allgemeiner Trend: – Verhinderung fataler Erkrankungen wie Krebs führt zur Zunahme von absoluter Lebenserwartung und Lebensjahren mit funktionellen Einschränkungen (Fähigkeitsstörungen) = expansion of morbidity – Verhinderung chronischer Krankheiten wie Arthrose führt kaum zu einer Steigerung der Lebenserwartung, aber zu einer Zunahme krankheitsfreier Jahre = compression of morbidity • Sicher: großes präventives Potential sowohl organmedizinisch wie funktionell Lebenserwartung im Alter von 20 Jahren Art der Lebenserwartung Männer Frauen Gesamte Lebenserwartung 54,7 60,7 Ohne Krankheit 46,7 45,8 alle (einschl. kleineren) 32,0 30,9 mäßig schwere 40,8 39,6 46,3 46,6 42,1 42,5 Ohne Fähigkeitsstörungen schwere In guter Verfassung (Selbsteinschätzung) Wichtig: • Nur ca. 20% der Hochbetagten sind hilfebedürftig! • ca. 50% der Hochbetagten mit Hilfebedearf verbessern sich innerhalb eines Jahres! Die ICF-Dimensionen Gesundheitsproblem (Krankheit/Störung) Schaden Aktivität Kontextfaktoren A: umweltbedingte B: persönliche Partizipation ICD-ICF ICIDH-2: Dimensionen der Funktionsfähigkeit und Behinderung personenbezogene Dimension Krankheiten Gesundheitsstörungen, andere Gesundheitsprobleme Gesamter Lebenshintergrund der Person Menge der Kontextfaktoren ICD Dimension der funktionellen Intaktheit und strukturellen Integrität von Körper/Körpersystemen Schaden Dimension des selbständigen Handelns einer Person Aktivitätsstörung Wechselwirkung Dimension der Teilhabe an Lebensbereichen Wechselwirkung Partizipationsstörung Person-Umwelt-Dimension Krankheit im Alter: Nosologisches und funktionelles Modell ICD Physiologische Knochendichte Lebensqualität Selbständigkeit ICF Knochendichte Osteoporose Meßbarer Verlust (Densitometrie) Schmerzen Angst Risikofaktoren Manifestation Osteoporose Frakturen Prognoseabschätzung Ziel: • 4-Jahres Prognoseindex aus einfach erhältlichen Daten bzgl. Mortalität • 11.701 Entwicklungskohorte • 8.009 Validierungskohorte Lee et al., JAMA 2006;295:801-8 Prognoseabschätzung Lee et al., JAMA 2006;295:801-8 Wichtig: Jahre oder Qualität? • Wollen wir nur alt werden oder • Wollen wir im Alter eine gute Lebensqualität haben? Prävention Nikotin Unfälle Alkohol Ernährung Individuum Körperl. Aktivität Übergewicht Soziale Aspekte Screening Geistige Aktivität Anti-Aging Interventionen • Allgemeine Präventionsstrategien – Körpergewicht – Bewegung – Ernährung – Nahrungsergänzungsstoffe (z.B. Antioxidantien) • Medikamentöse Präventionsstrategien – Testosteron – Wachstumshormon – DHEA – Melantonin Stellenwert von Bewegung: Krankheiten Disease or syndrome Cancer (colon, breast) Cardiovascular disease Chronic lung disease Dementia (other than multiinfarct dementia) Depression, anxiety disorders Diabetes, type 2 Falls Fraitly, mobility impairment Hyperlipidemia Hypertension Low back pain Neurodegenerative diseases Obesity Osteoarthritis Osteoporosis Peripheral vascular disease Stroke Visual impairment Preventive role of exercise Yes Yes No No Therapeutic role of exercise No Yes Yes No Yes Yes Yes Yes Yes Yes No No Yes No Yes Yes Yes No Yes Yes Yes Yes Yes Yes Yes Yes Yes Yes Yes Yes Yes No Singh MA, et al. Clin Geriatr Med 2002; 18:431-62 Stellenwert von Bewegung: Wann? Targeted condition Muscle weakness Impaired balance Impaired aerobic capacity Impaired range of motion Depression Obesity Sarcopenia Osteopenia, osteoporosis Peripheral vascular disease Stroke Falls Osteoarthritis Chronic obstructive pulmonary disease Congestive heart failure Cardiovascular disease General frailty Diabetes Resistance Aerobic Balance Combination training training training training and recommen- recommended recommended functional task ded training recommended Yes Yes Yes Yes - Yes - Yes Yes Yes Yes Yes Yes Yes Yes Yes - Yes - - - Yes Yes Yes Yes Yes Yes Yes Yes Yes - Yes - Yes Yes - - Yes Yes - - Yes Yes Yes Yes Yes - Yes - Singh MA, et al. Clin Geriatr Med 2002; 18:431-62 Alter und Hormone Testosteron DHEA Wachstumshormon Knochen + + Muskelmasse + ? + bei längerer Behandlung + Körperkraft + + bei Männern Libido + 0 + bei längerer Behandlung ? Lebensqualität + + + Cholesterin ? Frauen + Roshan, et al., Europ J Clin Invest, 1999;29:210-3 Die Symptomatik des PADAM (partial androgen deficiency syndrom) • • • • • • • • • Müdigkeit, Abgeschlagenheit Stimmungsschwankungen, Depression Kraftlosigkeit, Muskelschwund Ansammlung viszeraler Fettpolster Gewichtszunahme Gynäkomastie Nachlassende Libido Seltener: Erektionsstörungen bis zur Impotenz Gliederschmerzen durch Osteoporose Ludwig G, Urologe A 2000; 39:407-10 Was erreichen wir durch eine Testosteron(T-)substitution bei PADAM Zielorgan/Funktion Muskelmasse Muskelkraft Fettmasse Knochenmasse Libido Erektile Dysfunktion Wohlbefinden Veränderungen beim Altern ↓ ↓ ↓ ↓ ↓ ↓ kV/↓ Ludwig G, Urologe A 2000; 39:407-10 T-Substitution ↑ ↑ ↑ ↑ ↑ kV/↑ ↑ Alter und Hormone: „Harte Endpunkte“ Testosteron DHEA Knochen ⇒ Fraktur Muskelmasse ⇒ Stürze ? ? ? ? Wachstumshormon ? ? Körperkraft ⇒ Stürze Libido ⇒ ??? Lebensqualität ⇒ ??? Cholesterin ⇒ CHD ? ? ? ? ? ? ? ? ? ? ? ? Tai-Chi Feder G, et al. BMJ 2000; 321: 1007-11 T’ai Chi-ähnliche Übungsprogramme Progressives Widerstands-Training Kraft-Training (Gero-Mucki-Bude) Zusammenfassung: Epidemiologie • Fehlende Evidenz für eine biologische Fixierung des Lebensalters! • Fehlende Evidenz über ein fixiertes Verhältnis gesunder alter Menschen zu chronisch Erkrankten! • Empirische Evidenz einer Abnahme der Morbidität in den letzten Lebensjahren! • Aber: Gute Evidenz, daß sich durch präventive Maßnahmen auch in hohen Altersgruppen eine Zunahme der krankheitsfreien Lebensjahre (active life expectancy) erzielen läßt. „Gesundes“ oder „erfolgreiches“ Altern ist möglich! Zusammenfassung: Prävention • Die Bedeutung der funktionellen Betrachtungsweise nimmt mit dem Alter zu! • Die Bedeutung von organmedizinischen Diagnosen nimmt mit dem Alter ab! • „Lifestyle“-Interventionen ohne gute Evidenz! • Effekt einer optimalen Behandlung chronischer Krankheiten mit guter Evidenz! • Effekt einer optimalen Behandlung funktioneller Defizite älterer Menschen mit guter Evidenz! • Eine Vielzahl von Erkrankungen ist durch Prävention beeinflussbar! • Prävention sollte in jungen Jahren beginnen, dies schließt jedoch nicht aus Versäumtes im Alter nachzuholen! • Darum: – Erst Evidenz, dann Lifestyle (oder €)! Neues Altenbild! • • • • • Neue Ziele setzen! Neue Risiken eingehen! Positiv denken! Neue Möglichkeiten nutzen! Gut miteinander umgehen! Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit ! Noch Fragen?