Neue Z}rcer Zeitung POLITISCHE LITERATUR Dienstag, 18.07.2000 Nr.165 9 Albert Oeris Tagesberichte 1932–1945 tmn. Albert Oeri, der Chefredaktor der «Basler Nachrichten», gehörte mit Willy Bretscher (NZZ) und Ernst Schürch («Bund») zu den bestgehassten Gegnern der Nationalsozialisten, besonders weil ihre klar bürgerliche Grundhaltung es der Propaganda verunmöglichte, ihre Analysen als «bolschewistisch» abzutun. Dass die Absetzung der drei Genannten keineswegs zufällig das Ziel der berüchtigten «Eingabe der 200» und der deutschen «Aktion Trump» war, belegt die Sammlung der mit O. gezeichneten «Tagesberichte» Oeris aus den Jahren 1932 bis 1945, die er selbst vereint im Februar 1946 herausgab und die jetzt inhaltlich unverändert neu vorgelegt werden. Der gebürtige Schaffhauser verstand sich als immunisierender «Gegengiftkoch» im «fast täglichen Kleingefecht gegen die Infektion unseres Leserpublikums mit fremdem Gedankengut, plumpem und feinem». Oeri kochte mit sprachlicher Brillanz gegen Leute wie Goebbels, den «alleinigen Herrn im deutschen Gesinnungstreibhaus». Lehrmeisterin war ihm die Geschichte, und immer wieder führte er Parallelen insbesondere aus der napoleonischen Zeit an. Als am eigenen Grossonkel Jacob Burckhardt geschulter Analytiker der Macht misstraute Oeri nicht nur den deutschen Aufrufen zur «Verteidigung Europas», sondern auch dem angelsächsischen Kampf für die «Demokratie» – in Allianz mit Stalin oder Tschiang Kai-schek. «Alle ringen um Staatsmacht und Staatsexistenz, aber nicht um Staatsformen.» Mit Japans Angriff auf die USA schien dem Redaktor aber darüber hinaus die «weisse Rasse» bedroht, die sich in Ostasien gelehrige Schüler der Kriegstüchtigkeit herangezogen habe und jetzt die «Weltgeschichte als Weltgericht» erlebe. Oeris Kommentare sind in ihrer Klarsicht ebenso wie in ihren Lücken (Judenvernichtung) eine aufschlussreiche Einführung in die Wahrnehmung der Krisenjahre von neutraler Warte der Schweiz, deren Erfahrungen er Ende 1939 zum Sprichwort formte: «Wo zwei sich streiten, bekommt der dritte von allen beiden Prügel.» Albert Oeri: O.-Tagesberichte 1932–1945. Vorbemerkung von René Teuteberg. GS-Verlag, Basel 1999. 322 S., Fr. 38.–. © 2000 Neue Zürcher Zeitung AG Blatt 1