ISLAMISCHES ZENTRUM HAMBURG Freitagsansprache vom 28. Dezember 2012 von Ayatollah Dr. Reza Ramezani Imam und Leiter des Islamischen Zentrums Hamburg Thema: Islamkunde, Teil 64 – Islam und Freiheit (XV) Im Namen Gottes, des Gnädigen, des Barmherzigen. Aller Lobpreis gebührt Gott, dem Erhabenen, dem Herrn aller Welten. Wir danken Ihm für Seine Gnade und Seine Gaben und bitten Ihn um Hilfe und Rechtleitung in allem, was wir tun, und hoffen, dass Er uns in Seine Gunst aufnimmt. Sein Frieden und Segen seien mit unserem Propheten Muhammad, seinen reinen Nachkommen und seinen rechtschaffenen Gefährten. O Diener Gottes, ich rate mir selbst und Ihnen allen zur Ehrfurcht vor Gott und zum Gehorsam gegenüber Seinen Geboten. Gedankenfreiheit gehört zu den gesellschaftlichen Freiheiten. In den vergangenen Ansprachen erwähnten wir, dass die Menschen in allen Aspekten ihres Lebens wahre Freiheit genießen sollten, sie sollen also den Pfad des Fortschritts und der Vervollkommnung ungehindert beschreiten können. Zu den Kapazitäten und Talenten, die im Menschen teilweise verborgen, ihnen jedoch allen in die Natur gelegt worden sind und als heilig gelten, ist die Gedankenfreiheit. Durch diese Freiheit wird es dem Menschen erst ermöglicht, sich zu entwickeln und wahrhaftigen Fortschritt zu erzielen. Zunächst müssen wir beachten, dass der Begriff der Gedanken von Wissenschaftlern auf verschiedene Arten definiert wird. Zu überlegen bedeutet, nachzudenken um Wissen zu gewinnen und der Begriff der „Überlegung“ wird auch auf das Wissen angewendet, welches in diesem Prozess gewonnen wird. Eine weitere Definition ist die Mühe des Verstands, um die Dinge zu bearbeiten. In der Philosophie wird dem Denken folgende Bedeutung zugeschrieben, nämlich der Weg von einem Zustand der Ungewissheit zu einem Zustand der Gewissheit. www.izhamburg.de 1 Wir verstehen darunter folgendes: das Nachdenken über ein gewisses Thema mit dem Ziel, mehr Wissen darüber zu gewinnen. Im Heiligen Qur’an ist meistens dies gemeint, wenn die Rede von Denken und Überlegen ist: „So macht euch Allah die Zeichen klar, damit ihr nachdenken möget.“ (2:219) Jeder Mensch besitzt die Fähigkeit, über verschiedene Dinge nachzudenken und besitzt auch die Freiheit, dies zu tun. Gott hat ihm eine solche Kraft gegeben, damit er Wissen über Dinge gewinnt, von denen er nichts weiß und damit er weiteres Wissen seinen bisherigen Kenntnissen hinzufügen kann. Der Islam betrachtet dies für den Menschen nicht nur als notwendig, sondern als eine Art Gottesdienst. Gott will, dass der Mensch niemals aufhört nachzudenken. Er lässt es zu, dass der Mensch alle Dinge genauer untersucht, ob es nun um die Geschichte geht oder um die eigene Schöpfung, über den Himmel oder über die Erde. Er lässt sogar zu, über die Taten und Eigenschaften Gottes nachzudenken und das ist sehr wichtig. Eine Weile über diese Dinge nachzudenken wird als wertvoller als ein Jahr Gottesdienst betrachtet. In einigen Überlieferungen wird das Nachdenken sogar wertvoller als 60 oder 70 Jahre des Gottesdienstes betrachtet. Natürlich liegen die Unterschiede zwischen diesen Überlieferungen an den Themen, über die nachgedacht wird und auch an der Qualität der Überlegung. Es handelt sich auf jeden Fall, um eine sehr wertvolle Gelegenheit, die uns von Gott gegeben wird, damit wir uns Wissen und Kenntnisse aneignen und damit die Ungewissheiten ein Minimum erreichen. Der Islam schreibt dem Denken einen ganz besonderen Wert zu. Jeder Muslim muss Beweise und Begründungen suchen. Wenn ihm etwas nicht ganz klar ist, kann er nachdenken bis er Klarheit gewinnt. Dies wird auch vom Qur‘an betont: „ (…) Doch Gott führte das Treffen herbei, um ein bestimmtes Ziel zu erreichen. Wer dabei umkam, sollte auf Grund klarer Beweise (der Niederlage) umkommen, und wer dabei am Leben blieb, sollte auf Grund klarer Beweise (des Sieges) leben. Gott hört alles und ist allwissend.“ (8:42) www.izhamburg.de 2 Wenn wir diesen Vers genau studieren, sehen wir, dass dieser Vers Begründung und Beweisführung betont. Dies ist die Art des Islam. Seine Einladung basiert auf Begründungen und Beweisen, er will auch, dass alle Menschen in ihren Angelegenheiten nachdenken und überlegen. Im Heiligen Qur’an lesen wir: Wer ruft denn Schöpfung hervor und lässt sie dann wieder erstehen, und wer versorgt euch vom Himmel und von der Erde? Ist wohl ein Gott neben Allah? Sprich: "Bringt euren Beweis herbei, wenn ihr wahrhaftig seid." (27:64) Auch in anderen Versen wird vom Menschen verlangt, dass er mit Logik und Überlegung die Wahrheit suchen soll. Gott tadelt jene, die ihren Verstand nicht benutzen: „Bringt her euren Beweis, wenn ihr wahrhaftig seid.“ (2:111), „Bringt doch euren Beweis vor!“ (21:24) Andere Verse derselben Sure erinnern daran, dass der Qur‘an die Menschen stets dazu aufruft, nachzudenken. Er erinnert daran, dass alle, wenn sie die Grundregeln und Prinzipien des Denkens begriffen haben und ihre Gedankengänge ordnen können, die Wahrheit erlangen und Kenntnis über ihr endgültiges Ziel und das Ziel ihrer Schöpfung gewinnen und ihre wahre Identität finden können. www.izhamburg.de 3