neuropsychiatrie des kinder- und jugendalters i friedrich - poekl-net

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NEUROPSYCHIATRIE DES KINDER- UND JUGENDALTERS I
FRIEDRICH
WS 1999/2000
1. VORLESUNG / 8.10.1999
Kinder- und Jugendpsychiatrie = in Wien ein eigener Lehrstuhl
Klinik: 2 Stationen -> psychiatrielastig (32 Betten)
-> neurologielastig
500 stationäre Patienten pro Jahr
2000 neue Patienten im Jahr in der allgemeinen Ambulanz
zusätzlich: Kopfschmerzambulanz, Ambulanz für Epileptiker;
auch psychiatrische Untergruppierungen; Forschungsabteilung
4 SÄULEN DER KINDER- UND JUGENDPSYCHIATRIE:
1. Ganzheitssicht des Jugendlichen
2. basiert auf Teamarbeit
3. Polypragmasie: offen für verschiedene Formen der Therapie (Schlüssel ins Schloß)
4. Netzwerkarbeit
ad 1) Ganzheitssicht des Menschen:
nicht rein medizinisch, psychologisch, pädagogisch,..., sondern Haltung den Menschen
gegenüber
1. Ebene: Somatik (= Körperlichkeit des Menschen
2. Ebene: Intellektualität (nicht nur Intelligenz)
3. Ebene: Emotionalität (Gemütsleben)
4. Ebene: Sozialisation (im Laufe der Entwicklung erlernt)
Diese 4 Ebenen im Querschnitt (= Zustand heute) anschauen oder im Längsschnitt (=
Entwicklung)
Annahme / Beispiel:
Schwangerschaft - Mutter und Kind = völlig normal, nach biologischen Parametern =
alles in Ordnung;
auch über die Emotionalität ist schon etwas zu sagen (Alter der Mutter 17 oder 43);
Sozialisation: welche Bezugsstrukturen wird das Kind nach dem jeweiligen
Erziehungsstil mitbekommen? D.h. Was machen die Eltern mit dem Kind?,
bzw. Was macht das Kind mit dem von den Eltern Angebotenen?
-1-
Intellektuelle Ebene: Wie sehr beschäftigen sich Eltern mit Kind, damit Kind z.B.
Muttersprache erlernt? Aber nicht nur Kulturfertigkeiten sind wichtig, auch
Zärtlichkeit, Fürsorge,..., damit Kind Urvertrauen entwickeln kann (= nach
Erikson wichtig für unser Auftreten). Im Gegensatz dazu = Hospitalismus.
Sozialisation: Kind moralisch heranbilden -> vieles tun müssen, bzw. nicht tun
dürfen; sinnvoll planen und vorausdenken können = Antizipation: Je mehr
Varianten für Handlungsmöglichkeiten ich im Kopf habe, umso eher wird es
zutreffen. Kind soll begründet JA/NEIN sagen können und konsequent
handeln.
Emotionalität = Dialog; es kommt darauf an, was wir geben. Gebe ich soviel, daß
etwas zurückkommt? Moralische Urteilsbildung.
Über ganz harmlose Situation und Gespräche kann man sehr viel über einen Menschen
lernen -> angewandte Psychologie + Diagnostik nach diesen 4 Ebenen (Schulung der
Beobachtung!)
Wir brauchen Denkschemata im Umgang mit den Nächsten. Zusätzlich ist der eigene
Lebensstil zu überprüfen: Warum tue ich das (z.B. warum studiere ich Psycho?) mit
unterschiedlicher Aufmerksamkeit
Diese 4 Ebenen sind ein erstes Instrumentarium.
ad 2) Teamarbeit:
mit anderen zusammenarbeiten und ihre Leistungen achten! Mediziner, Psychologen,
Pädagogen, Pflegepersonal, Lehrer, Logopäden, Physiotherapeuten, (Sonder-)Kindergärtner,
usw. müssen koordiniert werden. Jeder einzelne hat seine Kompetenz; tägliche Visite, vorher
Fallbesprechung einzelner Patienten.
Die Meinung / Arbeit des anderen nicht abwerten, sondern wertschätzen! Selbstkritisch
werden, eventuell Supervision nehmen, um blinden Fleck zu entdecken.
ad 3) Polypragmasie:
Vielfältigkeit der Therapie (Schloß-Schlüssel-Prinzip)
Beispiel:
13jähriges Mädchen vom Bruder vergewaltigt - Erstgespräch allein oder mit Team?
Repertoire für Eingangsgespräch -> Fragenkatalog: wichtige Anhaltspunkte für
Indikationsstellung!
Wer ist der richtige Therapeut?
Welche Therapien gibt es, welche erscheinen bestmöglich geeignet?
2 Richtungen -> als Minimumforderung in diesem Haus, die jeweils richtige für
Patienten ist zu suchen.
-2-
ad 4) Netzwerkarbeit:
Jugendamt, Schule,... + psychosoziale Hilfe, Jugendgerichte, Bewährungshelfer;
Kommunitäten, die Wohngemeinschaften anbieten.
Merke: Mit der Häufigkeit der Kontakte, steigt die Sympathie -> es redet dich leichter!
2. VORLESUNG / 15. 10. 1999
1. ERLEBNIS- und BELASTUNGSREAKTIONEN
Beispiel: Mädchen
Anamnese: Geburt, Krankheiten (Familie), emotional, sozial
unauffällige Alltagsanamnese - kein Grund für Beschwerden.
Einzelgespräch mit Tochter, Mutter hinausgeschickt -> Frage: Es muß in den letzten
Tagen etwas Wildes / Dramatisches gegeben haben?
Mädchen hatte schreckliches Erlebnis (jemand kommt zu Tode, sie sieht es) und
Belastungssituation dieses seelischen Traumas (Verletzung, Erschütterung) in 3-4x
Therapie genau besprochen. Behutsam nochmals alles gemeinsam anschauen,
minutiös
alles durchbesprechen.
WICHTIG: Kinder haben ein Recht auf Wahrheit und schonungslose Direktheit
Diese Erkenntnis stammt aus einer Fülle von Erlebnis- und Belastungsreaktionen;
dramatische Botschaften daher entsprechend vermitteln!
Kulturspezifische alltägliche Erfahrung -> nicht überall gleich! (je nach Lebensstil)
Einem kurdischen kleinen Mädchen ist es zu verdanken, daß kleine Kinder z.B. nicht
vor Gericht aussagen müssen, sondern vor Videokamera.
In letzter Zeit (durch Globalisierung) viele Opfer von Katastrophen, Kriegen, etc. als
Patienten -> wissenschaftliches Augenmerk auf Verarbeitungsreaktionen gelenkt.
Kleiner Bub erlebt, daß Mutter und Großmutter erschlagen werden, packt Rucksack, geht,
meldet Bekannten das Geschehene.
-> Konzept: Gemütsleben als Tentakeln; jeweils liebe Menschen angedockt, fest
verbunden. Schicksal reißt Tentakeln weg -> Wundflächen bleiben (tut weh, Trauerarbeit,
Bearbeiten von Verlusterlebnissen; nur wenn Trauerarbeit geleistet wurde, kommt man zur
Ruhe!)
Kind: mutterseelenallein auf der Welt sein; Psychologin ist keine Ersatzmutter, ist nicht ganz
lieb, sonst käme es nach einiger Zeit zur Abstoßungsreaktion; erst muß Vernarbung kommen,
dann kann man darauf etwas aufbauen.
Erlebnis- und Belastungsreaktionen bedürfen
* der Aufdeckung
* der Bearbeitung
* der längerfristigen Begleitung
* der fraktionierten Therapie (über Jahre / Jahrzehnte)
-3-
Zu bestimmten markanten Zeitpunkten: Wiederbelebung einer traumatischen Situation
(z.B. Vergewaltigung): Pubertät, Partnerschaft, Mutterschaft davon betroffen. Wenn
psychische Traumata wiederbelebt werden, dann braucht man Hilfe!
Erlebnis- und Belastungsreaktionen sind häufig,
benötigen einen bestimmten sozialen background (Einbindung der Familie = wichtig!)
2. NEUROTISCHE REAKTIONEN:
Das Unbewußte = ein Denkgebäude / Seele ist als Konstrukt anzusehen. Unterbewußtsein =
falsche Bezeichnung; Unbewußtsein (= besser) = nicht bewußt; man kann sich auch ein
VORbewußtes vorstellen.
Vor Thomas von Aquin: Leib - Seele - Geist
Neurose-Theorie:
Neurotische Reaktion findet im Unbewußten statt (= Reaktionen, die uns also nicht
bewußt sind).
In mir = Fülle einander widerstrebender Kräfte (Wollen, Triebkräfte, ordnende Instanz)
WICHTIG! [ Definition für Prüfung wortwörtlich lernen!]
Neurose: = einander widerstrebende Kräfte, die nicht bewußtseinsfähig sind und
die maskiert Laut geben.
Kräfte machen sich durch Symptome bemerkbar. Die maskierten Entäußerungen müssen
übersetzt werden.
ARTEN VON REAKTIONEN:
* histrionische Reaktion = hysterisch
* depressive - neurotische Reaktionen
* phobische (neurotische); ängstliche Reaktionen
* zwanghafte Reaktionen
* psychosomatische Reaktionen
1. Hysterische Erkrankung:
z.B. plötzliches A-phorisch-werden (= stimmlos). Junger Mann hat Mutter durch Tod
verloren; Vater = krank, wird ebenfalls bald sterben. Kind = Lehrling, erfolgreich; verliert
plötzlich seine Stimme.
Psyche kann also auch die Funktionalität beeinflussen (z.B. Kehlkopf;
Querschnittsgelähmter, der doch die Zehen bewegt).
Hysterische Erkrankungen treffen also nicht nur Frauen!
-4-
Möglichkeit: In Hypnose den Konflikt erkennen und dem Patienten sagen -> nicht
erfolgreich, weil Patient das nicht akzeptieren würde.
Alle Menschen haben ambivalente Gefühle der Mutter gegenüber, einen Teil davon haben wir
ausgelebt: im Bitzeln, Unfolgsamsein, Boshaftsein...
2. depressiv-neurotische Kinder:
Trauer erleben wir in vielfältiger Form, wegen der banalsten Dinge bis hin zu bewegenden
Ereignissen.
Reaktion: Weinen, hängende Schultern, Mimik, Gestik,... ist sichtbar. Es ist aber noch nicht
unterscheidbar, ob es sich um Trauer oder bereits um Depression handelt. Unterschied:
* Trauer: dahinter = konkretes Ereignis
* Depression: es stimmt schon länger etwas nicht, ungutes Gefühl „ohne“ Grund
-> also nicht erlebnis- / ereignisgesteuert!
Im Unbewußten sind Kräfte, die maskiert als Trauer erscheinen, häufig zu Suizid führen;
Patient fühlt sich innerlich zerrissen, befindet sich in einer Patt-Stellung („Ich schade mir aus
unbewußten Gründen, will eigentlich jemand anderen damit treffen, dieser Jemand erkennt es
aber nicht!“)
-> mittels aufhellender, aufdeckender Therapie ist Hilfe möglich (Couch, frei
assoziieren,...
-> bei Erwachsenen möglich, bei Kindern nicht!)
Bei Kindern: Kind muß Material in angepaßter Form bieten (im Spiel, Gespräch, in
vielfältigen Ausdrucksformen)
Literaturliste (= Empfehlung, kein Muß!)
* Spiel & Spiel: Kompendium der Kinder- und Jugendneuropsychiatrie; UTB-Verlag.
* Sonnek (Hg.): Medizinische Grundlagen der Psychotherapie, Bd. IV, Facultas
* WHO (Hg.): Internationale Klassifikation der psychischen Störungen, inklusive
Kinder-und Jugendpsychiatrie; = ICD 10
* Scharfetter-Thieme: Psychopathologie [= das beste Wörterbuch für die Symptome]
* Tatort Kinderseele, Überreuter [ gibt’s im Libro]
* Irrgarten Pubertät - Elternängste, DVA-Verlag [ gibt’s im Libro]
-5-
3. VORLESUNG / 22.10.1999 [Achtung: erste Hälfte fehlt!]
Neurotische Reaktionen
* hysterische Reaktion
* depressive Reaktion
* phobische / ängstliche Reaktion
-> Phobien: z.B. Schulphobien = schwierig zu heilen
-> Zwänge: z.B. Waschzwang
5. Psychosomatische Reaktionen:
z.B. MAGERSUCHT -> ist eine ernsthafte Erkrankung! In 4% der Fälle führt sie zum Tod!
Es gibt wenig Krankheitsbilder, wo vom Behandelnden Zwangsmaßnahmen gesetzt werden
müssen (Gefahr des Mißbrauchs! Zwangseinweisung z.B. von lästig gewordener
Ehefrau!). Es gibt aber Situationen, wo man kurzfristig jemandem auch gegen seinen
Willen helfen muß, wenn dieser nicht über sich selbst verfügen kann (Gehirn
funktioniert nicht -> das ist beobachtbar)
Gefährliches Schwellengewicht (nur Richtgröße) z.B. 1,65m und 32kg; würde Betroffene
weitere 50dkg abnehmen -> organisches Psychosyndrom:
Gehirn = ausgetrocknet, entwässert; Mensch versteht nicht mehr Denkinhalte;
Denkapparat funktioniert nicht richtig.
Hilfe: mittels Infusion rasch ausreichend Flüssigkeit zu führen, sodaß keine reversiblen
Schäden eintreten.
Hungerstreik = 40 Tage lang möglich
Durst = länger als 3 Tage nicht möglich
Wenn weitere Abnahme 2kg -> Immunabwehr bricht zusammen,
jede banale Infektion = tödlich!
Zwangsmaßnahme: über Nasen-Magensonde mit Astonautennahrung ernähren
3 Fragen-Probe am Anfang der Diagnose:
Fragen stellen -> keine Antwort -> Medikation!
1. Ißt du nicht, weil du gegen irgendetwas im Leben / in der Welt protestieren mußt /
willst und keine Worte findest?
(=> gleichsam in den Hungerstreik treten und Aktionssprache dafür wählen).
Keine Mutter hält es aus, daß ihr Kind nichts ißt.
Der Appell will übersetzt werden, das Handeln ist nicht bewußt
-6-
2. Ißt du nicht, weil du depressiv bist und in Wirklichkeit nicht leben willst, verhungerst
du dich, willst du nicht mehr leben?
(vgl. Struwelpeter; Autor Hoffmann war Kinderarzt)
Verhältnis Männer : Frauen = 1 : 35 bei Anorexie.
(Buben haben meist eine zweite Störung dazu -> Komorbidität)
Anorexie = Erkrankung der gescheiten Frauen -> Beobachtung: wollen Arzt
hineinlegen
3. Ißt du nicht, weil du die Ausgestaltung des weiblichen Körpers verhindern möchtest
und den Übergang ins Erwachsenenalter?
Viele wollen im Niemandsland zwischen Kindheit und Erwachsenenalter bleiben =>
„Peter-Pan-Syndrom“
(= Erfindung von Friedrich; entscheidende Stelle: Mädchen sagt zu ihm: „Du
kannst mich jederzeit verlassen, nur du kannst mit Sicherheit nicht mehr
zurück.“
Genau das ist auch die Schnittstelle: essen - Hormonproduktion Erwachsenenalter.
Unterschied zu Pubertätsmagersucht (anorexia nervosa):
Bei Kacheksie [???] = extreme Abmagerung, meist noch Begründung dazu,
z.B. alles, was ich sehe, ist vergiftet, daher esse ich nichts mehr.
Bei Pubertätsmagersucht: Es geht um unbewußte Konflikte, die über den
Körper einen Ausdruck finden.
Anorexie wurde von Sueton schon um 60 n.Chr. beschrieben
4. VORLESUNG / 29.10.1999 [dürfte entfallen sein!]
5. VORLESUNG / 5.11.1999
Wiederholung:
Erlebnis- und Belastungsreaktionen: teilweise neurotische Reaktionen, psychosomatische
Reaktionen; 3 Fragen-Probe.
Anorexia nervosa = Erkrankung der intelligenten jungen Frauen / Mädchen
Behandlung in unterschiedlicher Form:
-> Astronautenkost: zum Auffüttern
-> Infusionen nicht mehr nötig (viel Kochsalzlösung, wenig nahrhafte Substanz ->
Überschwemmung des Körpers)
Wechsel in Therapie in den letzten 20 Jahren.
Früher erlernte jeder Psychiater 1 - 2 Therapierichtungen.
Friedrich: Individualpsychologie Alfred Adlers = 2. Technik, um toleranter zu werden (Spiel)
-> Arbeitstitel für das, was in Friedrichs Kopf gärt = „additive Psychotherapie“:
-7-
Therapieindikationen:
= Aufgabe des Diagnostizierenden, die bestmögliche Therapie für den Patienten auszuwählen.
Diese Indikation ist VIELFÄLTIG ZU GESTALTEN.
Beispiel:
anorektisches Mädchen braucht zunächst Einzelbetreuung.
Dahinter = Konflikt der Eltern -> Kind drückt durch Handlungssprache ein Symbol
dafür aus, um Eltern in Angst und Schrecken zu versetzen. Keine Mammi hält es aus,
wenn Kind abmagert. Meist legt der Vater noch Kritik dazu. Also: Eltern brauchen
auch Hilfe!
Mädchen braucht in weiterer Folge eine Gruppentherapie (unter Gleichaltrigen) und
die ganze Familie braucht hie und da eine Sitzung (für Organisatorisches)
Das Mädchen braucht nachher noch Hilfe (Lebensgestaltung, Führung). Außerdem
ist
ein Koordinator notwendig.
Schwierigkeit der Komorbidität (welches der beiden Störbilder ist wichtiger, vorrangig);
ebenso ist Koordination, Vernetzung wichtig -> z.B. Klinik - Jugendamt; jemand, der schaut,
daß Patient in Behandlung geht, daß die „Chemie“ zwischen Patient und Therapeut stimmt.
Die auf ein bestimmtes Krankheitsbild zentrierte Therapie ist bedeutungsvoller als
Langzeittherapie!
2. von Friedrich angedachtes Faktum = „fraktionierte Therapie“:
Beispiel: sexuell mißbrauchtes Kind
Therapeut kann einen Teil des Aktualtraumas aufarbeiten, Seele ist schwer verletzt ->
Wunde -> Narben. Wird bei späteren Anlässen (Pubertät, Partnerschaft, Geburt eines
Kindes) aufbrechen.
=> zu verschiedenen Zeitpunkten wird also lebensalterspezifisch ein Stück
Behandlung notwendig sein! (mit unterschiedlichen Therapeuten!)
Bei Anorexia nervosa (= lebensgefährlich!) oft Zwangsmaßnahmen erforderlich.
Parallel dazu wird psychotherapeutisch gearbeitet und versucht, die Wurzel der
Krankheit zu finden.
Für Kinder unter 14 Jahren - Eltern verantwortlich oder Pflegschaftsrichter.
Patientenanwalt
überzeugt sich zusätzlich.
Mit 14 erreicht der Jugendliche ein hohes Maß an Eigenverantwortung (früher bis 19 auf
die Eltern angewiesen!); z.B. Mädchen mit 16 möchte die Pille nehmen.
Heute: Bei Jugendlichen über 14 Jahre Einverständniserklärung notwendig -> wenn
lebenserhaltende Maßnahmen durch Jugendlichen abgelehnt werden, ist wieder
Pflegschaftsgericht zu fragen
-8-
Die meisten Patienten, die suizidgefährdet sind, bzw. Freunde gefährden, sind einsichtig und
wollen vor sich selbst geschützt werden. Manche sind nicht einsichtig.
Patientenanwälte sind keine Mediziner -> sie vertreten alle. Ähnliches Problem in der
Erwachsenenpsychiatrie bei dementen Patienten .... => 2. Urteil daher notwendig!
Rundherum = genügend Kontrollen eingebaut.
PARERE: = amtsärztliche Zwangseinweisung.
Wenn z.B. jemand im Restaurant randaliert und andere gefährdet. Polizei wird
verständigt, Amtsarzt (mobil, mit Spezialausbildung) -> er darf kurzfristig eine
Zwangseinweisung ausstellen.
Nachteil: Das Parere wird im Innenministerium in der Kartei weitergeführt.
Randalierer bleibt registriert; wenn man Paß benötigt oder zum
Bundesheer etc. kommt, Probleme! Gilt als Nerven- / Geisteskrankheit und
Führerschein etc. wird verweigert, wenn es einmal kurzzeitige
Unzurechnungsfähigkeit gegeben hat.
Zum Beispiel: Kinderpsychiatrische Daten / Diagnosen dürfen nicht das Haus
verlassen - Anfrage der Sozialversicherung, die Daten wollte.
Bei Zwangsernährung - wenn wieder erbrochen wird -> Entgleisung der Elektrolyte im
Körper -> Zwangsschlaf.
Bei Flüssigkeitsaufnahme Schwankung 2-3kg/Tag. Abnehmen funktioniert nur, wenn man
nichts ißt.
Reiz bei Anorexie:
erhöhte Wachheit, Endorphinausschüttung, erhöhtes Wohlbefinden
Mensch möchte gesund leben (Mensch ist Schwein, nicht nur „Körndelfresser“). Was die
Magersucht ausmacht = ein süchtiges, zwanghaftes Verhalten (man will sich selbst
steigern, besser sein). Man entspricht dem selbstgegebenen Body-Image, das man noch
weiter treiben kann. Irgendwann entsteht der „Über-Kick“.
-9-
Bulimie:
Erst in der jüngsten Zeit beschrieben. (Patienten „helfen“ nach mit Finger / oder
spontan, kann gelernt werden)
= „Ochsenfreßsucht“; ¼ Butter, 1kg Staubzucker (= ca. 7000kal) und noch mehr
hinuntergeschluckt - hinausgebrochen.
Krankheit des Patienten äußerlich nicht erkennbar. Überfunktion der Schilddrüse
läßt nicht zunehmen (erhöhte Gereiztheit, Hektik, etc.)
Keine raschen Erfolge bei Therapie der Bulimie. Es ist schwierig zu enttarnen, was
dahinter steckt.
Frage: Was ist zum Herausspeiben? Was macht mein Leben zum Kotzen?
Bei Bulimie und Anorexie: wenn sie zunehmen -> Menschen erkennen nicht den
Sättigungsgrad.
6. VORLESUNG / 12.11.1999
Psychosomatik
= Teil der Medizin an sich -> gehört in ALLE Fachbereiche! Da Mediziner Mensch
ganzheitlich sehen muß.
Wichtig = Krankheitsursache, vor allem aber auch der Verlauf, der Eintritt (akut /
schleichend)
z.B. akut = Schlaganfall
schleichend = Folgeerscheinungen des Rauchens (= erst nach langer Zeit sichtbar
wegen Plastizität des Körpers, der sich lange gegen die Toxine
wehrt) bzw.
Folge von Alkoholmißbrauch (von Fettleber bis zur Zirrhose)
Seelisches Leid -> Auswirkungen auf den Körper; Körper kann „Organdialekt“
wählen.
-> Beispiele:
- 10 -
1. KOPFSCHMERZEN:
Kind mit ständigem Kopfweh -> Ursachen abschätzen:
* bei Kopfweh / Übelkeit / Erbrechen -> akute Erkrankung (Entzündung! z.B.
Gehirnhautentzündung -> keine Zeit darf verloren werden!)
* Kopfweh 1X im Monat, stechend, pochend, einseitig, Augen mitbetroffen
-> Migräne
* Kopfweh kurz nach dem Aufwachen, vor allem vor einer Prüfung
-> Reaktionskopfweh
=> Organische Ursachen zuerst abchecken
(leicht zu erkennen = Brummschädel nach Alkoholkonsum)
Bei kindlichem Kopfweh: eine Möglichkeit = Kind zerbricht dich den Kopf über
Probleme
2. Kind mit ATEMSTÖRUNGEN:
-> Folge der Schadstoffbelastung
-> Folge der Belastungen in der Familie (vgl. „Das nimmt mir die Luft weg.“)
weitere Redewendungen:
„Mir bleibt etwas im Magen liegen.“
„Mir fährt der Schreck in die Glieder.“
„Da kommt mir die Galle hoch.“
3. MAGEN:
Vor allem Magen = sehr sensibel auf Kummer; bei Aufregung Übersäuerung;
Frustesser essen allerlei Magenunfreundliches.
Versuch:
Beschreibung einer Zitrone -> Speichelfluß;
bei Beschreibung von Brot ebenfalls,
ABER: andere Zusammensetzung!
=> Vegetativum (sind nicht willentlich gesteuerte Reaktionen) funktioniert ohne unser
Zutun.
* Bei Streß -> Streß-Ulkus (Schutzschicht im Magen reißt auf
-> Magengeschwüre)
* Bei Schreck -> massive vegetative Reaktion -> Auswirkung auf Magen und
Solar plexus (Sonnengeflecht)
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4. HERZ:
= sehr sensibles Organ, kann willkürlich nicht gesteuert werden.
Ausnahme: autogenes Training (-> eigenes Vegetativum in den Griff bekommen!)
=> wichtiger Zugang zur Therapie von Erregungszuständen, um Erregung
zu verhindern und Dauerschäden zu vermeiden.
5. DARM:
Colitis ulcerosa (= Entzündung des Enddarms) ausgelöst durch Stuhlverstopfung
bzw.
durch Dauerdurchfall; tritt oft bei Kindern auf; operatives Entfernen von Darmteilen =
oft notwendig, weil eingedickter Stuhl nicht mehr herausgeht.
Ist angeblich auch eine Autoimmunkrankheit.
Merke: Es gibt nur EINE Medizin, die sich asymptotisch dem Ideal nähert.
6. HAUT:
= Sinnesorgan (Empfinden / Hitze - Kälte); ist auch Spiegel des körperlichen /
seelischen Wohlbefindens; vgl. Akne (= hormonelle, genetisch bedingte Reaktion der
Haut; diverse Mittel sind meist nicht hilfreich)
Kind mit Ekzemen (vieles = Reaktion auf die Umwelt); z.B. Ekzem unter Uhrband (=
Chromallergie! Echt-Lederuhrbänder werden mit Chrom behandelt); schwarzer
Streifen unter Silberring - mal da / mal weg -> vieles = unerklärbar!
Haut = sehr wichtiges Organ, daher auch sehr anfällig für psychosomatische
Erkrankungen.
-> Dinge, für die ich keine Worte finde
-> Worte, für die ich keinen Rezipienten finde
müssen anders ausgedrückt werden => Krankheit! (vor allem bei Kindern)
Flucht in die Krankheit = Ausdruck von Verdrängtem
(Beispiel: Kind in Scheidungstroubles -> Blutkrankheit -> keine Schuldzuweisung!)
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7. AUSSCHEIDUNGSORGANE:
a) Enuresis = Einnässen
b) Ensopresis = Einkoten
Beides gelingt erst, wenn Kind freihändig eine Treppe abwärts gehen kann
(= ca. 2.-3.Lebensjahr), weil erst dann Nerven im Sacral- / Caudalbereich
ausgebildet.
Im Schlaf -> Körper auf Schongang (Atmung, Herz, Kreislauf, Speichel, Tränen,
Verdauung, etc. gesenkt)
Mit dem Aufwachen (vgl. Streckbewegungen!) -> Körper auf Normalgang; Einsetzen
der Peristaltik (vgl. Kind mit 12 Monaten auf Topf am Morgen -> gackt -> ist KEIN
Anzeichen für Sauberwerden, sondern automatischer Vorgang!)
Kinder heute erst mit 3 Jahren in der Nacht trocken, wegen Wohlbefinden durch
Pampers, im Unterschied zu früheren nassen Stoffwindeln!
1) primäre Enuretiker:
= Kinder, die nicht trocken werden -> große Probleme vor allem ab
Schuleintritt! (große psychosoziale Belastung in der Familie);
zu 98% fehlt ihnen Adiuretin (= Substanz aus der Nebenniere; Funktion:
Umschalten vom Sympathicus zum Parasympathicus wird ausgelöst).
Adiuretin
teilt Niere im Schongang (= Nachzustand) mit, daß weniger zu filtern ist; vgl. 2
Häferl Tee bei Tag -> ½ Stunde später aufs Klo, NICHT aber in der Nacht! In
95% der Fälle durch Nasenspray mit Adiuretin heilbar (= Kinder, die kein oder
zu wenig Adiuretin produzieren)
2) sekundäre Enuretiker:
waren mindestens ½ Jahr lang bereits trocken; plötzlich wieder Bettnässer
-> was wird in Organ- / Funktionssprache ausgedrückt? (Trauer, Angst,
unbewußte Aggression,...)
Gegenmaßnahmen:
sekundäre Enuresis = Folge einer Regression (ins 1. / 2. Lebensjahr, wo man
nur um seiner selbst willen geliebt wurde!)
-> tiefer Regressionswunsch (z.B. wenn kleines Geschwisterchen geboren
wurde)
-> oder aggressive Variante (Einnässen, um andere zu ärgern)
=> Zuwendung wird erzwungen! Dem Unbewußten ist es EGAL, ob positiv
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oder negativ!!!
Abhilfe:
z.B. ¼ Stunde „Abendschmusen“ (dabei nicht zum TV schielen, Tag
abrechnen, Schimpfen, etc.); Kind führt Buch darüber. Belohnung für NichtEinnässen: z.B. wer gern zeichnet, darf Bild zeichnen, bekommt Pickerl in
Kasterl, etc. -> 5 Pickerl hintereinander -> KLEINES Geschenk => wichtig =
Loberziehung, nicht Belohnungserziehung!
Medikamentöse Unterstützung vor allem Am Anfang (aber eher PlaceboEffekt)
Ganz wichtig:
-> Bedürfnisse des einzelnen erkennen!
-> kindgerechtes Verhalten des Therapeuten! (auch wenn
die Eltern das dumm finden!!!!)
7. VORLESUNG / 19.11.1999
TIC - ERKRANKUNGEN
= unwillkürliche Muskelzuckungen in verschiedenen Körperregionen
Gille de la Tourette’sche Erkrankung:
Zuckungen auf dem ganzen Körper generalisiert, mit verschiedenen Lauten
verbunden; geringe Heilungschancen.
Tiefenpsychologischer Deutungsversuch von Tics als Symbolik
Trainieren von Tics durch willkürliches Üben
Tics sind er- und verlernbar.
Lautäußerungen haben meist unanständigen Inhalt (oft nur ansatzweise ausgesprochen)
Gille de la Tourette’sche Erkrankung geht leicht in psychiatrische Erkrankungen über.
Beginnt plötzlich mit isoliertem Tic und generalisiert sich innerhalb weniger Tage.
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PERSÖNLICHKEITSENTWICKLUNGSSTÖRUNGEN
= Erkrankungen des psychischen Apparats, die durch eine permanent deviierende
Erziehungshaltung entsteht (durchgehend verbiegender Erziehungsstil)
Begriff geprägt von Walter Spiel; kein therapeutischer Nihilismus damit verbunden.
René Spitz: Untersuchungen in Armen- und Kinderheimen, Waisenhäusern, Großheimen für
Säuglinge.
Extreme Not in den 30er Jahren: Kinder konnten nur gefüttert und gewaschen
werden, erhielten aber keine Zuwendung -> Kinder verkümmerten, starben;
Hospitalismus.
a) Frühverwahrlosung:
Ursache: keine emotionale Bindung, Liebe, Anerkennung, etc. in der Kindheit
-> kein Urvertrauen (um seiner selbst willen geliebt werden)
Man greift normalerweise ein Leben lang auf diesen Zustand des Urvertrauens
zurück (Selbstbewußtsein...)
Verwahrloste sehnen sich danach und gehen sehr schnell Bindungen ein.
b) Spätverwahrlosung:
In der Erziehung konnte keine moralische Urteilsfähigkeit vermittelt werden.
Wien: 20-25 Kinder leben im Untergrund.
Verwahrloste müssen so leben, daß eine Bindung entsteht, ohne daß vom Verwahrlosten
etwas gefordert wird.
8. VORLESUNG / 26.11.1999
Was kann man tun, damit das Kind einsichtig, voraussichtig wird, sich moralisch entwickelt,
sensorisch entwickelt, um in sich zu hören.
- 15 -
Mängelkatalog:
Wie sieht das Bild von Verwahrlosung aus?
1. Mangelnde Arbeitsbindung
(an die Arbeit keine entsprechende Bindung haben):
Ein Parameter zur Überprüfung der Arbeitsbindung -> Krankenstandstage.
2. Arbeitshaltung ist mangelhaft („Verbummeln“ von Aufgaben)
3. mangelnde Kontaktbildung:
wahre Bindungsfähigkeit ist nicht gegeben, da früher Scheinbindungen vorkommen,
die Vertrauensbrüche verursacht haben. (Je früher Kinder adoptiert werden, desto
besser ist es für sie!)
BEISPIEL:
Kind war frech, stiehlt und lügt; Mutter zu Friedrich, dieser fragt
Mutter, ob das Kind adoptiert ist -> Ja, aber Kind weiß es nicht =>
Beziehung basiert auf einer Lüge. Friedrich: man soll es dem Kind z.B.
„mittels Geburtstagsfeier“ sagen und dazu „du bist trotzdem unser
Kind“ -> guter Ausgang!
4. sehr depressive Grundstimmung:
ziehen immer schlechte Bilanzen „das kann nicht gut gehen!“
5. geringe Entmutigungstoleranz:
entsteht daraus, wie oft das Kind vor der Umgebung entmutigt wurde.
6. mangelnde Reglementierungstoleranz: „Mir lasse ich nichts sagen“
7. massive, optionelle Verhaltensverweigerung:
maskiert oder offen - durch die Erziehung beigebracht; ob wir dienen,
zusammenarbeiten und dergl. Was wird gefordert, zeigt sich spätestens in der Schule8. fehlende Bindungsfähigkeit:
Anpassung, Bindung wird durch Erziehung erlernt oder Hilfsbereitschaft
9. mangelnde Interessensbindung:
Das Interesse ist da, aber die Durchführung funktioniert nicht. Weil
Übungsbereitschaft voraus ginge, der Wille etwas zu investieren: wechseln oft die
Schule, den Arbeitsplatz, weil sie überall anecken, z.B. Verbote, Aggressivität.
10. Aggressivität gegen Personen, Objekte und sich selbst:
Zorn, Wut, Ärger gegen Diverses. Cascade personelle -> Objekt <- Aggression, weil
Eltern zu stark sind; Aggression gegen Lehrer, sind zu stark; Aggression gegen
Geschwister, Tiere, Objekte.
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9. VORLESUNG / 3.12.1999
Umgang mit der Verwahrlosung
Verwahrlosung -> diagnostiziert nach MAS (= multiaxionales System; 5 Achsen, siehe ICD10)
1. Achse: klinisch psychiatrisches Syndrom:
Verwahrlosung = Persönlichkeitsentwicklungsstörung [entstanden durch
Beeinträchtigung verschiedener Entwicklungsstrukturen in Frühkindheit]
* stabil (aber nur relativ, d.h. kann auch wieder verändert werden)
* Gewordenheit (d.h. ist im Laufe der Entwicklung SO geworden)
Vulnerabilitätskonzept:
Ob aus Beeinträchtigung in bestimmter Entwicklungsphase Störung (leicht - schwer)
entsteht, hängt ab von der weiteren Biographie des Menschen, bzw. von den
protektiven / schädigenden Faktoren. (D.h. EIN Erlebnis allein macht keine Störung,
sondern setzt nur eine „Wunde“)
=> verschiedene Typen von Persönlichkeitsstörungen.
5. Achse: Abnormitäten im psychosozialen Feld eines Kindes
(z.B. Familie, Schule, Peers, plötzliche traumatische Ereignisse [z.B. auch kulturelle
Verpflanzung])
AICHHORN: „Verwahrloste Jugend“
(Ziel = Hilfsangebote für Jugendliche; Gründung eines Therapieheims in
Oberhollabrunn) -> beschreibt Gründe der Verwahrlosung (= dynamischer
Entstehungsprozeß)
Folge: Betreuung und Therapie auch für Verwahrlosung (in den 70er Jahren etwas
ganz Neues!). Vorher: Jugendstrafanstalt in Kaiserebersdorf auch für
Verwahrloste zuständig (vgl. Justizreform unter Justizminister Christian Broda)
=> Prinzip dahinter: Was geworden ist, kann auch wieder verändert werden (aber
langwieriger Prozeß), weil: Einsicht als Grundlage dafür = nur sehr schwer
gegeben, daher kein In-die-Therapie-Gehen-Wollen
80er Jahre: Therapie-Heim (für Burschen und Mädchen; kein hierarchisches System; 15-20
Plätze)
* relative Offenheit im Betreuungsansatz
* offenes Heim mitten in der Stadt
* Herstellung von Bindung und Beziehung als wirksamstes Element der Therapie
(vgl. Klass. Pädagogik -> oberstes Ziel = Ordnung)
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Voraussetzungen:
-> Kontinuität
-> Reflexion des Prozesses (Beziehung muß aufrecht erhalten werden auch unter
größter Belastung)
Zentrale Rolle in diesem Betreuungsprozeß spielen:
* Beziehung zwischen Klient und Therapeut
* Teamarbeit der Betreuer (wegen Spaltung zwischen Betreuern und zu einzelnen
Betreuern im Laufe der Zeit; d.h. Verwahrloster sieht einen Betreuer als nur gut,
den
anderen als nur schlecht
-> Lösung: genügend Zeit, Kooperation zwischen den Betreuern, Wissen um diese
Situation, Supervision)
Sozialtherapeutische Wohnplätze: (jetzt in Umsetzung befindlich)
kontinuierlicher Beziehungsaufbau + therapeutisches Wissen + Reflexion
* integrative Strukturen (Es sind nicht 20 Verwahrloste in einem Heim, sondern
Aufteilung der Verwahrlosten auf andere Gruppen
-> Kleinwohneinheiten, z.B. 6 Plätze + 2 sozialtherapeutische
Plätze)
* Betreuungsaufwand ist nicht immer gleich groß -> bei Bedarf Zuschaltung von
Betreuung (begleitende Therapeuten; therapeutisches Angebot
auf spezielle Situation DIESER Wohneinheit zugeschnitten)
10. VORLESUNG / 10.12.1999
Errichtung einer IMMIGRANTEN-AMBULANZ
AKH bekam Preis dafür; gibt es seit 2 Jahren; = transkulturelle Ambulanz, derzeit noch
Projekt, soll aber institutionalisiert werden.
Betreut vor allem Familien aus der Türkei und aus Ex-Jugoslawien.
Grund:
* für beide gibt es eine muttersprachliche Behandlung (da entsprechende
Ärzte am AKH)
* beide = höchste Immigrantenzahlen in Wien
Psychologische und ärztliche Beratung, Betreuung und Therapie.
Haben dieselben Störungen wie die Österreicher, dennoch Spezialbedürfnisse.
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Meiste Probleme:
1. Schulschwierigkeiten (Überweisung durch die Schulen)
2. Entwicklungsrückstände
3. Verhaltensauffälligkeiten
4. andere Störungen (Depressionen, Schizophrenie, usw.)
Hintergründe:
Meiste Immigranten aus der Unterschicht, aus dörflichen Verhältnissen; niedriges
Ausbildungsniveau.
Ziel = Verbesserung der wirtschaftlichen Situation (Finanzprobleme)
Meist kommt zuerst der Vater, die übrige Familie folgt erst später; gelegentlich kommt zuerst
die Mutter; manchmal kommt gleich die ganze Familie.
Wichtig ist, wer zuerst kommt -> davon hängen die Probleme ab (Trennungserlebnis!)
a) Familie, wo Vater zuerst kommt:
= häufigste Fälle, traditionelle Familie (typische Rollenverteilung, bleibt hier
genauso wie zu Hause)
b) Familie, wo Mutter zuerst kommt:
belastender Rollenwechsel (wurde vor Immigration nicht bedacht!) -> andere
Belastungsfaktoren, andere Familiendynamik. Viele dieser Familien brechen später
auseinander.
c) Familie, die gemeinsam immigriert:
geringste Probleme, da wenigste Belastung.
Für Kinder:
Erleben oft Trennung; Eltern müssen arbeiten, schicken Kinder zurück zu Großeltern in die
Heimat -> Entfremdung -> bei Rückkehr Belastung -> Störung (Was sie bekommen, hängt
ab von:
* Alter der Kinder
* Dauer der Trennung
* Wechsel der Bezugspersonen
-> wenige Bezugspersonen: je weniger - desto stabiler; Kind hat mehr
Lösungsstrategien für diverse Probleme
entwickelt
-> viele Bezugspersonen: labiler, störungsanfälliger
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Bei Rückkehr: Kind hat Probleme mit Integration in Familie und in Gesellschaft
(Sprache, Kultur, Forderungen der Gesellschaft sind nicht bekannt -> Überforderung ->
Verhaltensstörung, soziale Auffälligkeit, psychosomatische Störungen, Bettnässen, Einkoten,
verstärkte pubertäre Konflikte, Depressionen, usw.
=> Wenn Eltern = Wirtschaftsflüchtlinge -> Ziel = Rückkehr nach Hause, wenn genug Geld
vorhanden ist -> wollen sich der alten Heimat nicht entfremden -> Folge: integrieren sich
in Österreich absichtlich nicht.
=> Migration ist nicht nur ein Ortswechsel, sondern auch ein Wechsel in der Zeit
-> Betroffene entwickeln sich quasi rückwärts (= erzkonservativ im Vergleich zu den
Daheimgebliebenen), Folge: Entfremdung sowohl zu Aufnahme- als auch zu
Herkunftsgesellschaft.
Eltern verlangen von ihren Kindern ebenfalls diese Rückwärtsentwicklung
= Problem für Eltern, aber auch für Kinder (Schule; außerhalb der Familie ist völlig
andere Gesellschaft -> vormittags Schule / nachmittags Familie -> ständiges Pendeln
zwischen ganz unterschiedlichen Erwartungen und Wertsystemen. Infolge des
Trennungserlebnisses vorher keine Lösungsstrategien entwickelt -> Kinder enden oft
in Psychiatrie.
Belastungen für Immigrantenkinder:
* meist kein Kindergartenplatz -> Sprachprobleme
* Schule = völlig neue, ungewohnte Umgebung (Trennungsangst, Schulphobie)
* Eltern haben Sprachprobleme -> keine Unterstützung der Kinder bei
Hausübungen, keine Nachhilfe, etc.
* Elterliche Sprachprobleme -> Kinder müssen diverse Aufgaben der Eltern
übernehmen, weil SIE besser deutsch können (Amtswege, Bank, Arzt, usw.)
-> Belastung, weil Rollenwechsel zwischen Kindern und Eltern. Kinder kennen sich
mit ihren Grenzen nicht mehr aus (traditionell: Kind kuscht, Erwachsener
organisiert);
* Kind hat in Österreich mehr Freiheit -> Eltern klagen es an, das traditionelle
Rollenbild zu verletzen; haben Angst, Kind zu verlieren, weil es sich anders
entwickelt als erwartet.
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* Dadurch, daß Eltern im Ausland -> keine Hilfe wie zu Hause -> diverse Probleme.
Leben im Ghetto; wissen nicht, wo und wann sie sich Hilfe holen können / müssen
(z.B. bei Sprachentwicklungsverzögerung)
Wieso leben Ausländer im Ghetto?
-> versuchen traditionell zu bleiben (Schutzfunktion)
-> glauben, daß sie sich so am wenigsten von Heimat entfremden
Folge: Kein Anschluß an österreichische Gesellschaft mit allen Nachteilen
Daß Integration der Familie erhalten bleibt = wichtig, weil Ziel der Immigration ja
war, wirtschaftliche Situation der Familie zu verbessern.
In solchen Familien große Angst, wenn Intervention von außen (z.B. Schule: Kind
muß wegen Verhaltensstörung in Klinik -> Mißinterpretation der Eltern: Schule ist
nicht fähig, mit Kind umzugehen, Schule = ausländerfeindlich ) -> bei Kind Prozeß
ähnlich wie bei self-fulfilling-prophecy: entwickelt daraus alle möglichen Störungen.
Grund:
Kommunikationsprobleme (z.B. zwischen Schule und Eltern -> ist aber bei Ösis
ganz genau so!).
Familie bekommt Angst -> Angst ist Grund, daß Familie nach außen nicht offen sein
kann, dadurch verstärken sich die Kommunikationsprobleme -> circulus viciosus!
Vorbeugung: ausreichend Info (auch Befragen der Familie, welche Theorien sie über
Auffälligkeiten des Kindes hat. Bedenke: unterschiedliche Vorstellungen der
einzelnen Kulturen über Kindererziehung!!!)
Aufgrund diverser Probleme beobachtet Familie Kind immer mehr -> Kind fühlt sich
verfolgt;
glaubt, alles was es macht, ist eh falsch -> braucht sich nicht mehr zu
bemühen...
Wichtig:
* Man darf von Immigranten nicht Integration fordern, sondern man muß mit
jeder Familie einzeln arbeiten (weil jede Familie eigene Dynamik hat!)
* Ausländer haben in erster Linie Angst (z.B. vor Schule, vor Spital, usw.)
-> positive Erfahrungen hier erhöhen die Bereitschaft, sich anzupassen.
* Anpassung ist aber eigentlich ungesund -> Aufgabe der eigenen Identität, etwas
Erzwungenes.
* Ideal wäre muttersprachliche Betreuung für Ausländer überall (bei Landsmann
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ist man eher kooperativ; gehen regelmäßiger in Therapie)
Warum lernen Ausländer nicht die Sprache?
Diverse Gründe, z.B. vielfach schlecht bezahlt, lange Arbeitszeit, miese Jobs, keine
Zeit; sind meist Unterschichtangehörige -> keine Motivation, wenig intellektuelle
Kapazität. Aufnahmegesellschaft erwartet keine kognitiven Höchstleistungen von
Putzfrauen.
Diplomatenfamilie wiederum: Kind in internationaler Schule, bleiben untereinander ->
brauchen Sprache nicht, weil sie ja meist bald wieder heimgehen.
11. VORLESUNG / 17.12.1999
Folge von Verwahrlosung = oft Alkoholismus, Drogensucht, etc. -> beeinträchtigt
Wahrnehmung, damit Realität anders scheint, als sie ist; Substanz dient oft als Rettungsanker
in Extremsituation.
Persönlichkeitsentwicklungsstörung führt NICHT notwendigerweise in die Sucht.
* Erlebnis- und Belastungsstörung / Persönlichkeitsstörung
= psychodynamische Störungen (Erziehung / Umwelt)
* Neurose = entstanden durch Kräfte im Inneren, die sich maskiert äußern
Im Unterschied dazu:
PSYCHOSEN
=> starke gehirnorganische Beteiligungen (Stoffwechselstörung)
Dazu gehören:
a) Schizophrenien
b) Wahnkrankheiten
c) schwerste Gemütskrankheiten
Psychose -> kein direkter / klarer Zusammenhang mit Entwicklungs- und
Umweltfaktoren.
Kindliche Psychosen bis in die 50er Jahre nicht erforscht, weil für nicht existent gehalten.
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BASAGLIA (Psychiater aus Görtz / Triest):
= Verfechter der freien Psychiatrie / Öffnung der Psychiatrie
=> Schizophrene / Wahnpatienten etc. brauchen Kurzzeittherapie, keine Verwahrung!
Folge:
* Sind psychisch Kranke gefährlich?
= falsch; Verbrechen von Geisteskranken entsprechen Verbrechen der
Normalpopulation
* Rückfallsquote in Akutphase sinkt (üblich = phasischer Verlauf, manchmal in
Schüben)
* Familienmodelle wurden entwickelt -> Geisteskranke hierin integriert. Am Steinhof
vorher ca. 2400 Betten -> infolge Öffnung heute ca. 600; Behinderte wurden
ebenfalls ausgegliedert [psychiatrisch erkrankte Behinderte sind bei uns am
Rosenhügel/Baumgartner Höhe]
* Kinderpsychiatrie:
-> was soll ambulant / stationär behandelt werden?
-> wie lange soll jemand hospitalisiert werden?
In Wien Kinderpsychiatrie ab 50er Jahre halboffen (tägliche Besuchszeiten für die
Eltern); Ende der 70er Jahre total geöffnet (manche Patienten MÜSSEN eingesperrt werden > wegen Verwirrung, zum Selbstschutz)
Symptome werden von Erwachsenensymptomatik umgelegt, müssen aber in Bezug zur
Entwicklungsstufe gesehen werden.
Immer Wesenseigentümlichkeit der bestimmten Entwicklungsstufe beachten
-> Frage: Was kommt dazu? (z.B. Pubertierender)
Merke: Krankheitsbild in Eingangsphase einer Psychose schaut genauso aus wie
Krankheitsbild in Ausschleichphase. Daher: Am Anfang die Leitsymptome genau herausdiagnostizieren, damit ich später weiß, was zu tun ist.
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SCHIZOPHRENIEN
Primärsymptome:
a) Denkstörungen
b) Affektstörungen
c) Ich-Störungen
ad a) Denkstörungen:
1. formale Sichtweise:
Denkziel wird nicht erreicht; Denken soll logisch stringent sein, für andere
nachvollziehbar. Ist für Außenstehenden nur nachvollziehbar, indem man mit
Betroffenen in Kommunikation eintritt. Gedankenblockade, Gedankenentzug
Sprache: Neologismen; Anakoluthe [= Satzbrüche], Sprache ähnelt einer
Kunstsprache; Faseln (ABER: Syntax = „scheinbar“ aufrecht!)
2. dynamische Sichtweise:
Denkbeschleunigung, Gedankensprünge, Verlangsamung des Denkens (zeigt
sich in Sprache UND Motorik).
In der Norm gibt es auch dynamische Denkstörung (z.B. unter Drogen, etc)
-> ABER in Krankheit: Betroffener kann seinen Zustand erkennen, aber nichts
dagegen tun (z.B. Denkverlangsamung -> Betroffener muß ständig seine
Gedanken überprüfen, um zu schauen, ob sie noch stringent sind)
ad b) Affektstörung:
Unstimmigkeit der Affekte (= Affektinkontinenz). Betroffener kann über seine
Affekte auch nicht reden. Er kann seine Affekte nicht steuern -> Affektausbruch,
völlig inadäquat zur Situation.
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ad c) Ich-Störung:
* Depersonalisation (mein Körper gehört mir nicht)
* Derealisation:
Kommt in Entwicklung von Kindern und bei Teilleistungsstörung immer wieder vor.
Normal: Hauptrealität (Vorlesung) und Nebenrealität (Freude auf Abend) = frei
verfügbar
In Psychose: nicht mehr möglich; beide werden von irgendeiner Macht gesteuert,
können nicht mehr zugeordnet werden -> Bezug zu Haupt- und
Nebenrealität geht verloren, es kann nicht darüber gesprochen
werden.
Affektsteuerung = fertig in der Volksschulzeit; in Pubertät geht alles verloren
Ichstruktur = entwickelt, wenn Kind von sich selbst nicht mehr in der 3.Person
redet; wenn ihm BESITZ bewußt geworden ist.
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