Claudia Fischer interviewt Claudia Pescatore CF: Was hat dich dazu gebracht, dein eigenes Label zu gründen, das ja weniger ein Firmenlabel für bestimmte Produkte ist, sonder eher eine Lebenshaltung beschreibt. CP: Das hat mit dem Ort zu tun, mit der eigenen Verortung innerhalb einer Idee, die mir einen Rahmen gibt, eine Hülle, ein Haus. Als Philosophin, die gleichzeitig auch in vielerlei Hinsicht tapfer im Leben stehen muss, steht es ganz besonders an, eine Haltung zu entwickeln, die meine verschiedenen Lebensbereiche – sozusagen meine vita activa und die vita contemplativa - miteinander verbindet. Dabei geht es mir besonders darum, dass mein Mehrfach-Engagement in wirklich sehr verschiedenen Bereichen mich nicht total zerstreut, sondern unter dem Dach tragender Gedanken Platz findet, das nicht ideologisch motiviert ist, trotzdem meine Projekte aber im besten Sinne fasst. CF: Du bist Philosophin, Sängerin, Moderatorin, Gastgeberin, Spielentwicklerin und wahrscheinlich noch einiges mehr…wie würdest du das gedankliche Dach, das Surface Blowhole für dich darstellt, beschreiben? Was ist die Grundidee, die diese unterschiedlichen Aktivitäten zusammenführt? CP: Surface Blowhole ist mein „Haus der Freude“. Ein Ort, an dem sich die Menschen nicht auf das Problematische und Unheile des Lebens und seiner jeweiligen Einzel-Biographie beziehen, sondern wo es darum geht, gemeinsam das zu finden, was noch beziehbar, heil und freudvoll an- und miteinander ist. Die Frage ist aber, wie das eigentlich geht. Ich glaube weder an radikale Rezepte, noch an grassierende Opfermentalitäten, noch an das so genannte Positive Denken. Da geht es immer entweder um Vorwürfe oder aber um Vorstellungen. All das blendet aber den gegenwärtigen Zustand, so wie er eben gerade ist aus und flieht in allerlei verquere Phantasien, die einem in ihrer Schablonenhaftigkeit den eigenen Boden völlig entziehen. Surface Blowhole bezieht sich aber insbesondere auf das Freude-Potential des Nicht- Schablonenhaften, auf die kleinen Knoten, Blasen und Einschlüsse, die in allem wirklichen Denken und Handeln vorkommen und deren Anerkennung das Leben überhaupt erst lebendig macht. Der Mut, Fehler nicht nur zuzulassen, sondern als essentiellen Kraftspender zu etablieren, führt wie selbstverständlich dazu, sich auch mehr zu trauen. Mein Wahlspruch „Gastfreundschaft für poröse Oberflächen und Dilettantismus als Lebensform“ ist letztlich ein Lied auf den Mut, Dinge um ihrer selbst willen zu tun, aus der Freude am Tun, ohne den Druck, hauptsächlich eine glatte Inszenierung bieten zu müssen, wohl aber mit dem Anspruch, sich in der gewählten Tätigkeit bestmöglich zu verausgaben. CF: Surface Blowhole heißt Randblasen an der Oberfläche und ist ein Fachausdruck aus dem Gießereihandwerk. Das sind dann diese kleinen unberechenbaren Blasen und Einschlüsse, die während des Gießens und Aushärtens entstehen? CP: Genau, diese kleinen Unregelmäßigkeiten in der Form, die das jeweilige Objekt erst wirklich schön machen… nicht reproduzierbar, eigen, geheimnisvoll… Schau, ich bin halt für’s zweimal oder dreimal Hinschauen. Beim ersten Mal denkt man, man hätte bereits alles gesehen oder verstanden, nur weil man die richtige Schublade gefunden hat, in die man es ablegen kann. Wenn man zweimal hinschaut, fällt auf, dass die Dinge nicht so eindeutig sind, wie man oft meint. Ein Beispiel: als ich vor Jahren auf die Figur der Lolo Ferrari stieß, die ich zu Lebzeiten gar nicht wahrgenommen hatte und erst, nachdem sie an den Folgen ihrer diversen Brustvergrößerungen starb, in den Schlagzeilen von ihr hörte, dachte ich auch zunächst– pervers. Dann aber begann mich die Geschichte hinter dem Leben dieser Pornoqueen zu interessieren und ich las diverse Interviews mit ihr. Nach und nach begann sie mich immer mehr zu beschäftigen, bis ich anfing, ein Theaterstück über sie zu schreiben, das ihre Geschichte aus der Sicht ihrer Selbstwahrnehmung erzählt. Sie entscheidet darin sehr genau, wo sie sich als Opfer fühlt und wo sie aktiv Entscheidungen getroffen hat, die Grenze zum Freak, zu einer gewissen Art Alienism zu überschreiten. Das Stück macht es dem Zuschauer insgesamt nicht leicht, auf der „richtigen“ Seite zu stehen und gleich ein passendes Urteil parat zu haben. Lolo Ferrari ist darin die Heldin/Antiheldin, deren Schicksal in all seiner Krassheit immer näher rückt und auf einer bestimmten Ebene verdrängter eigener Impulse immer nachvollziehbarer erscheint. Zusätzlich gebrochen wird der Zugang zu der Geschichte durch die formale Struktur des Stücks, das als Theater im Theater die „ammitischen Passionsspiele“ zu Ehren von Lolo Ferrari zur Aufführung bringt. Veranstalter dieser Festspiele ist eine Art Selbstverstümmelungssekte, die sich posthum zum Andenken von Lolo F. etabliert hat. CF: Klingt extrem. CP: Das Leben ist extrem. Das ist ja das Komische, dass die meisten Leute gar nicht merken, wie extrem ihr eigenes Leben und ihre eigene Umgebung eigentlich ist. Mir geht es dabei aber überhaupt nicht um Bewertungen, sondern um ein Zulassen all dieser Peinlichkeiten. Ein anderes Beispiel: Ich betreibe mit meinem langjährigen Freund Simon Schauder die philosophische Paarbegleitung „Cindy und Bert“. Da geht es vor allem darum, erst mal alles so sein zu lassen wie es ist und es auszuhalten. Wir beraten dort nicht, wir therapieren nicht, das Einzige, was wir anbieten, ist, dass uns nichts zu peinlich ist. Klingt wenig, ist aber viel, wie wir aus Erfahrung wissen. Für Paare ist es oft sehr wohltuend, aus dem ewigen Paar-PingPong raus zu kommen und ein drittes Element – uns – im Boot zu haben, das einfach mal schaut und wahrnimmt und aushält und auch ausspricht, was ist. Ohne gleich alles einebnen zu wollen, ohne zu moralisieren, ohne zu beraten. In bester philosophischer Tradition. Wie schön! CF: Gibt es denn in allen deinen Beschäftigungen den Mut, das anzuerkennen, was ist? CP: Den Willen zum Mut auf jeden Fall. Ehrlich gesagt auch viel Übungserfahrung. Mit der Zeit wird diese Grundhaltung auch immer selbstverständlicher. Schwierig ist ja, sich überhaupt erst einmal von den Schweige- und Verschleierungsdiktaten, die man so mitbekommen hat, zu lösen. Ich habe mir zwei Experimentierfelder gesucht, die einerseits gerade heutzutage extrem von glatten Inszenierungen leben, die aber andererseits immer auch schon ganz andere Ansätze verfolgt haben. Das sind auch die beiden Hauptbereiche auf meiner Website, unter denen die einzelnen Projekte laufen: Gastfreundschaft und Performance. Unter Gastfreundschaft läuft z.B. die Paarbegleitung, aber auch das „offene Integral“ eine Veranstaltungsplattform für nachhaltige Kommunikation, auf der es auch wieder darum geht, das, was gesellschaftlich ist, oder was man in der Welt sieht, in Ruhe benennen zu dürfen. Zumindest bemühen wir uns darum, die üblichen Diskussionsstrukturen dort zu brechen. Auch das ist keineswegs selbstverständlich. Unter Performance laufen meine Texte, u.a das Stück, von dem ich eben gesprochen habe Lolo F.- larger than life, meine beiden Musikprojekte Eternit und Adieu Avril, in denen ich mit meinen eigenen Klischees der Pop- oder Chanson-Diva spiele wodurch ein Vexierbild aus Ernsthaftigkeit, ambitioniertem Dilettantismus und der närrischen Lust, dieses Spiel einfach zu spielen, entsteht. CF: Du veranstaltest kleine Salons, die du „Salon de joie“ nennst und strickst Schals, die philosophische Sprüche beinhalten, das hat mir bisher noch gefehlt in deinen Beschreibungen. CP: Ja klar, da fehlt auch noch einiges mehr, aber das hört ja auch gar nicht auf. Wenn man mal begonnen hat mit dieser Art, die Dinge zu betrachten, findet man in jeder Beschäftigung eine Verkehrungsmöglichkeit in eine andere Wahrnehmung oder einen anderen Umgang damit. Im Prinzip kann alles zum Projekt werden. Indem ich die Sachen, mit denen ich mich beschäftige, in ihrer ursprünglichen Form decodiere, entsteht eigentlich meistens ein neuer Blick auf die Sache, der einen anderen spannenden und liebevollen Umgang ermöglicht. Nehmen wir das Stricken. Stricken war für mich immer der Inbegriff von beflissener Beschäftigungstherapie. Bis ich auf den Gedanken gekommen bin, dass das Gestrickte ja fast immer ein Geschenk für jemanden ist, dem auch der ganze Vorgang der stundenlangen Handarbeit zukommt mit all den Gedanken und Gefühlen, mit all den energetischen Hochs und Tiefs, die daran beteiligt sind. Materialisierte Lebenszeit. Im guten wie im Schlechten, denn am Schluss hat man sie – zumindest im Falle der Schals – immer am Hals. Deswegen dachte ich mir, ich stricke Schals, die formal eine sehr simple Struktur haben, gedanklich aber aufgeladen sind mit philosophischen Sprüchen, auf die ich mich während des Strickens konzentriere. Das sieht formal so aus, dass ich mit sehr dicken Nadeln nur rechte Maschen stricke, alle Fehler beibehalte und so schnell stricke, wie möglich. Das ist vor allem bei dünner Wolle sehr schön, weil dann eine Art Netz entsteht, das ja für mich als Fischerin dann auch ein überlebensnotwendiges Handwerkszeug ist. Die Sprüche finde ich. Für jeden jeweils passend. Da habe ich schon ganze Sammlungen angelegt… aber das wäre eigentlich gar nicht notwendig, denn der Spruch kommt, so oder so… Die Sprüche schreibe ich mit der Hand auf T-Shirts, die man anziehen oder an die Wand hängen kann. Wer Lust hat, selber zu stricken, kann zu einem unserer Havanna-Sticklabore kommen, wo - wie bei den kubanischen Zigarrendrehern - während der Arbeit vorgelesen wird. Lieblingssätze aus diesen Büchern können dann wieder verstrickt werden und auf den T-Shirts erscheinen. Zum Eintritt von 5 Euro gibt’s dann auch ein Surface Blowhole Label, das man sich von mir auf den Schal oder auf’s T-Shirt nähen lassen kann… Das Stricklabor ist einer meiner „Salons de Joie“, also ein Salon der Freude: man trifft sich, man teilt etwas Gemeinsames miteinander, man spricht zusammen, man tauscht sich aus, man gibt und geht mit mehr nach Hause… Betreibst du dann auch einen Astro-Salon? Ach, du meinst, wegen dem Spiel das ich entwickelt habe – Astrologie Now? Warum eigentlich nicht? Da ich wohl eher weniger Gefahr laufe, für allzu esoterisch gehalten zu werden, finde ich Astro-Salon eigentlich ganz erfrischend. Wie immer ist aber auch da nicht das drin, was man auf den ersten Blick erwartet. Für mich ist die Astrologie ein gigantischer Fundus an Geschichten, da sich für jede Konstellation im Horoskop Geschichten aus der griechischen Mythologie finden, bzw. erfinden lassen, die spannende Anregungen geben. Astrologie ist deshalb für mich weniger eine formale Analyse, sondern die Kunst, gute Geschichten zu erzählen über das jeweilige olympische Bild, das zum Zeitpunkt einer bestimmten Geburt am Himmel zu sehen war. Darum geht es auch in dem Spiel. Aufhänger ist die Astrologie, Ziel ist es aber, mit sich selber, mit anderen aber auch jenseits des Bekanntenkreises mit Menschen in einen gemeinsamen Bezug zu kommen. Durch ein Jahresspiel mit 360 Karten, gibt es jeden Tag eine Frage oder eine Aufgabe, mit der man sich jenseits des Alltäglichen mit sich selbst beschäftigt. Beim Partyspiel trifft man sich mit Freunden zum spannenden Spiel mit Fragen, die man sich selbst in guten Freundschaften selten stellt. Diese Fragen gemeinsam zu beantworten tut aber sehr gut und verbindet enorm… Ich denke auch schon über größere Veranstaltungen mit dem Spiel nach, in denen man wie in einem World-Café in jeder Runde neuen Menschen begegnen kann und sich 10 Gruppen gleichzeitig mit denselben Fragen beschäftigen.