ARCHITEKTUR

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ARCHITEKTUR
Foto: Jürgen Mayer H.
Der Flora und Fauna
abgeschaut 138
Architektur aktuell 150
Architekturquiz 151
Aus lasergeschnittenen Stahlelementen
entwarf das Berliner Büro Jürgen
Mayer H. in der georgischen Stadt Lazika
eine 31 Meter hohe Skulptur,
die aus einem Rippengeflecht besteht.
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TEXT Christian Tröster
Leichtbau nach dem Vorbild der Natur: Die Architektur- und
Ingenieur-Studenten der Universität Stuttgart berieten sich bei der
Konstruktion des Pavillons mit Zoologen. Inspiration ist der Panzer
des nur zwölf Millimeter kleinen flugfähigen Colorado Kartoffelkäfers –
er ist vorbildlich hinsichtlich der Relation von Gewicht und
Festigkeit. Der Pavillon aus Glas- und Karbonfasern überspannt
50 Quadratmeter und wiegt gerade mal knapp 600 Kilogramm.
DER FLORA
UND FAUNA
ABGESCHAUT
EFFIZIENTE ARCHITEKTUR ORIENTIERT SICH IMMER ÖFTER AN KONSTRUKTIONSPRINZIPIEN DER
NATUR. DIE STRUKTUREN DER BAU-BIONIK WERDEN MÖGLICH DURCH EINEN RECHNERISCHEN TRICK:
PARAMETRISCHES DESIGN, DAS DIE DNA FÜR DIE GEBÄUDEFORM DEFINIERT.
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Wegen der unter dem Londoner Bahnhof Kings Cross
verlaufenden U-Bahn durfte die neue Halle nur an 21
Punkten abgestützt werden, zugleich musste sie
aber sogar gegen Bomben sicher sein. Erreicht haben
das die Architekten John Mc Aslan + Partners durch ein
verästeltes System von Dreiecken und Rauten.
Die Innenkuppel der Autobahnkirche Siegerland von
Schneider + Schumacher (A&W 6/13) besteht aus
ineinandergesteckten Holzplatten, wodurch die Kuppel
eine Eigensteifigkeit erhält und sich selbst trägt.
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Auch für die Landesgartenschau in Schwäbisch Gmünd entwarf
das Institut für computerbasiertes Design (ICD) der Universität Stuttgart einen spektakulären Pavillon. Beraten haben dabei Zoologen.
Die Verzahnung der Birkenholzplatten wurde von Seeigel-Skeletten abgeschaut. Die Konstruktion ist so effizient, dass für die
125 Quadratmeter große, in 17 Meter Höhe überkuppelte Halle,
gerade einmal zwölf Kubikmeter Schichtholz benötigt wurden.
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Flechtmuster aus teils verzerrten sechseckigen
Elementen, wie sie Kyeong Sik Yoon und Shigeru Ban
für die Hallendecke des Golfclubs Haesley Nine Bridges
in Südkorea einsetzten, sind nur mit neuester
Computer- und Zuschnitttechnik realisierbar. Eine der
weltweit größten Holzkonstruktionen,
der „Metropol Parasol“ in Sevilla von Jürgen Mayer H.,
überspannt einen 5000 Quadratmeter großen Platz.
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ie Architektur von morgen stammt von einer Spinne.
Und von was für einer! Sie lebt unter Wasser in einer
Luftblase, die sie mit ihren Fäden zusammenhält. Leichter und flexibler, so fanden Mitarbeiter des Institut für Computerbasiertes Design (ICD) in Stuttgart, kann man kaum bauen. Deshalb soll die Konstruktion der Spinne Vorbild sein für
einen Pavillon, der derzeit in einer kleinen Halle auf dem Campus entsteht. In dem Raum wimmeln Studenten mit TabletComputern umher, und in ihrer Mitte drückt ein Roboterarm
dünne Linien eines Kunststoffes auf eine durchsichtige Folie.
Die besteht aus Ethylen-Tetrafluorethylen (ETFE) und soll das
Äquivalent zur Luftblase der Spinne darstellen. Der Roboterarm, erklärt Moritz Dörstelmann, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut, ist zusätzlich mit einem Sensor bestückt.
Damit reagiert er, wie die Spinne, auf die wechselnde Spannung der Folie, die er gerade bearbeitet – Hightech nach dem
Vorbild der Natur.
„Viele heutige Gebäude“, sagt Dörstelmanns Chef, Professor Achim Menges, zehn Stockwerke höher in einem Gebäude
aus den Sechzigerjahren, „haben keine materialeffizienten
Tragwerke.“ Er deutet dabei auf eine Stütze aus massivem Beton: „Sie sind, wie sie sind, weil sie in ihrer Entstehungszeit
nicht anders berechnet werden konnten.“ Die Ergebnisse erscheinen armselig im Vergleich zur Effizienz und Komplexität
biologischer Konstruktionen. „Die Natur“, erläutert Achim
Menges, „arbeitet konträr zur Intuition eines in der Spätmoderne geschulten Entwerfers. Denn in der Natur ist das Material teuer und die Form billig.“ Bei der menschlichen Architektur ist es genau umgekehrt. „Das Bauwesen verschlingt 60
Prozent unserer Ressourcen und ist für 30 Prozent des Mülls
weltweit verantwortlich“, so Menges. „Da werden wir mit kleineren Effizienzsteigerungen nicht das Ruder herumreißen
können. Irgendetwas wird sich fundamental ändern müssen.“
Und das könnten nach Menges von der Natur inspirierte
Konstruktionsmethoden sein. Häuser, Brücken oder Stadien
würden dann statt von tradierten Bauformen von Knochen,
Hummerzangen oder Blumen inspiriert sein. So wie der Pavillon der Expo im koreanischen Yeosu 2012, geplant von dem
österreichischen Architektenteam Soma. Die Idee zu dessen
kiemenartiger Fassade wurde von einer Strelitzie abgeschaut.
Die hat ein Blütenblatt zur Sitzstange ausgebildet. Setzt sich
ein Vogel darauf, klappen durch sein Gewicht Fruchtblatt und
Staubblätter auf und bieten Nektar an. Insekten werden nicht
bedient, sie sind zu leicht.
Noch mehr als die Exklusivität der Bestäubungspartner interessierte die Ingenieure, wie ein Klappmechanismus ohne
Scharniere funktioniert. Die Antwort: Das entsprechende Blütenblatt beult aus – ein Effekt, den Ingenieure sonst mit allen
Mitteln vermeiden. Nun übertrugen sie das Verfahren ins
Großformat und bekamen eine Fassade, deren Lamellen mit
geringstem Energieaufwand bewegt werden können.
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Von der Natur inspiriert baut auch Achim Menges, und er bedenkt dabei die möglichen Produktionsmittel schon im Entwurf mit. „Wir fangen unser Design bewusst mit den Möglichkeiten an, wie Dinge materialisiert werden können. Erst davon
leiten wir die Formen ab“, erklärt Menges. „Auf diese Weise
produzieren wir nicht erst ein Problem, das wir mit der gleichen Technologie anschließend wieder lösen müssen. Das ist
ein fundamentaler Unterschied zu anderen Ansätzen.“
ie das aussehen kann, zeigt ein Pavillon, den seine
Studenten im Jahr 2014 auf der Landesgartenschau
in Schwäbisch Gmünd errichteten. Dessen Konstruktion ist von der Schale eines Seeigels abgeleitet und besteht aus polygonalen Platten. Die sind durch Fingerzinken
verbunden und so gegen seitliche Bewegungen stabilisiert.
Die Forscher imitierten jedoch nicht nur das Prinzip der Konstruktion, sondern beachteten beim Entwurf auch Parameter
wie die Standardgröße der Holzplatten. M3, schnitt schließlich
243 vieleckige Platten aus Schichtholz zurecht und dazu für
deren Verbindung 7600 individuell geformte Zinken. Die Besonderheit dabei: Die Form der Platten und Zinken war nicht
von einem Architekten gestaltet, sondern vom Computer berechnet worden. Die Architekten hatten lediglich die Parameter des Baus in Form eines Software-Skripts angelegt. Das Verfahren, parametrisches Entwerfen genannt, macht derzeit
unter Architekten und Ingenieuren Furore, weil es ungeahnte
Effizienzgewinne und neue Freiheit in der Form verspricht.
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Die Lamellenfassade des Pavillons der Expo 2012 im südkoreanischen
Yeosu vom österreichischen Büro Soma ist von der Strelitzie inspiriert. Die gibt
ihre Pollen erst auf mechanischen Druck frei. Mit geringem Energieaufwand werden hier die Lamellen zusammengedrückt, beulen aus und öffnen
sich. Die Masse der Informationen, die Architekt Massimiliano Fuksas
für den Terminal des Flughafens von Shenzhen (China) benötigte, konnte nur
dank parametrischer Berechnungen beherrscht werden.
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„In konventionellen Entwurfsprogrammen“, erklärt Alexander Rieck von LAVA Architekten, „ersetzt der Bildschirm das
Papier und die Maus den Bleistift.“ Geführt wird das Zeicheninstrument in beiden Fällen von einem mehr oder weniger begabten Gestalter. Beim parametrischen Planen dagegen werden lediglich Beziehungen programmiert, etwa die eines
Radius zum Kreisumfang. Verändert man den Radius, ändern
sich auch der Kreis und alle anderen Formen, die mit dem Radius verknüpft sind. Das erste Gebäude, das in dieser Weise
konstruiert wurde, war das Mercedes Museum in Stuttgart
2008, und Alexander Rieck erinnert sich noch an sein AhaErlebnis bei der Planung: „Arnold Walz, eine Koryphäe für
solche Programmierungen, kam damals mit einer 3,5-ZollFloppy-Disc, darauf hatte er die parametrischen Abhängigkeiten für das gesamte Gebäude gespeichert. Weil es nur
Codes waren, passten alle Informationen auf die kleine Disc.
Das Skript ist wie eine DNA für das Gebäude. Wie in der Natur
können komplexe Dinge aus kleinen Informationen entwickelt werden. Ich habe damals verstanden, dass das sehr
vieles verändern wird in der Architektur.“
Tatsächlich sind seither immer komplexere und beeindruckendere Formen möglich geworden. Der wahrscheinlich
größte Vorteil des parametrischen Entwerfens aber liegt in der
Ausgestaltung von Variationen. „Wenn ich in der konventionellen Architektur in einem Haus eine Wand verschiebe“, erklärt dazu Arnold Walz, „dann ist davon höchstens noch der
Nachbarraum betroffen. In einer Architektur aber, die mit
verwundenen und geschwungenen Formen arbeitet, hat eine
Änderung Auswirkungen nach überallhin. Da müsste ich
ohne Parametrik wieder ganz von vorne anfangen.“
avon weiß auch der Ingenieur Thorsten Helbig zu berichten. Er entwickelte mit seinem Team Tragwerk und
Fassade des Flughafens in Shenzhen. Während der fünfeinhalbjährigen Planungs- und Bauzeit änderte Architekt
Massimiliano Fuksas 37-mal die Formen in dem 1,3 Kilometer
langen Riesenterminal. „Früher hätte man das 37-mal neu eingeben müssen.“ So aber korrigierte das parametrische Script
immer aufs Neue die Konfiguration von Tragwerk und Fassade. 200 000 Stahlstäbe mussten dafür neu positioniert werden, parallel berechnete die Software Lichteinfall und Energieeintrag von 25 000 Fensteröffnungen.
Manchmal sind die Anpassungsfähigkeit und Veränderbarkeit auch das zentrale Argument für einen Entwurf und legen
damit den Einsatz parametrischer Werkzeuge nahe. So haben
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Alexander Rieck und sein Partner Tobias Wallisser zusammen
mit Arnold Walz den Prototyp einer Solartankstelle mit doppelt
gekrümmtem Dach entworfen. Das geometrisch komplexe Objekt ist für die Serienfertigung vorgesehen und kann in seinen
Dimensionen für jeden Standort angepasst werden. Die Datensätze könnten vom Architekturbüro zur Produktion der Aluminiumteile nahtlos durchgereicht werden.
Allerdings setzen sich die neuen Möglichkeiten des Entwerfens in der Praxis nur holprig durch, vor allem weil es beim
Bau, anders als in der Automobilindustrie, keine durchgehenden digitalen Ketten gibt. Der Architekt weiß beim Entwurf
nicht, wer das Gebäude mit welchen Mitteln ausführen wird,
und mit den Ingenieuren und Fachplanern muss er aus Gründen von Gewährleistung und Vergütungsordnung oft noch
über ausgedruckte Pläne kommunizieren. „Das hat dazu geführt“, so Walz, „dass es in der Bauindustrie in den vergangenen Jahrzehnten null Prozent Produktivitätsfortschritt gegeben hat, gegenüber 88 Prozent in der Gesamtwirtschaft.“
W
as passiert, wenn die digitalen Prozessketten bis in
die Produktion reichen würden, erforschen in der
Schweiz die Architekten Gramazio Kohler. Sie speisen
die Entwurfsdaten in ganz unterschiedliche Produktionsmaschinen. So legt ein Roboterarm, wie er aus der Autoproduktion
bekannt ist, bei ihnen mit Ziegelsteinen komplexe Muster, wobei als Verbindung nicht Mörtel, sondern Klebstoff eingesetzt
wird. Oder sie stapeln mithilfe von Flugdrohnen ziegelartige
Körper zu hohen, geschwungenen Mauern.
Dass aber auch bei noch so hohen Programmierkünsten niemals der Rechner die Architektur macht, darüber sind sich die
Fachleute einig. „Man könnte meinen, der kreative Prozess beschränke sich dann auf das Definieren der Parameter“, sagt
Thorsten Helbig. „Das sehe ich nicht so.“ Das Potenzial der
neuen Technologie liege vielmehr in der Revolutionierung des
Planungsprozesses: „Es geht in Zukunft nicht mehr um den
Designprozess, sondern um das Prozessdesign.“
Statt linearer Abläufe vom Architekten zum Ingenieur und
zum Haustechniker können die verschiedenen Disziplinen
nun durchgehend zusammengedacht werden. „Wenn ein
Haustechniker an einer Stelle eine größere Öffnung in der
Decke braucht“, weiß Thorsten Helbig, „dann weiß das Programm gleich, wo die Bewehrungseisen zur Seite geschoben
werden müssen und ob die georderte Menge an Stahl verändert
werden muss.“ Architektonische Entwürfe, da ist sich auch
Arnold Walz sicher „können aber nicht durch Software entstehen. Wenn einer denkt, dass er über das Programmieren ein
Design-Architekt werden könnte, täuscht er sich“.
Und so wird es auch in Zukunft Architekten brauchen, die
intuitiv arbeiten und ein Verständnis für Proportionen,
menschliches Miteinander und die atmosphärischen Wirkungen von Räumen bedenken. Software kann das nicht – und die
umtriebige Spinne kann auch nur Vorbild sein.
p
Fotos: ICD/ITKE, Roland Halbe (2), Hufton & Crow/Seele (2), Robertino Nikolic (2), ICD/ITKE/IIGS Universität Stuttgart, David Franck, Kim Yong-Kwan (2), Studio Fuksas, Leonardo Finotti, Andreas Secci/Artur Images
Das Mercedes Museum in Stuttgart ist einer der
ersten Bauten, die mit parametrischen Codes realisiert
wurde. Allein damit sicherte das
niederländische Büro UN Studio sich und dem Museum
einen Platz in der Architekturgeschichte.
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