Fachliches Potential des Doppelspaltexperiments Joachim Lillig Inhalt 1 Doppelspaltexperiment mit klassischen Objekten ..................................................... 32 2 Doppelspaltexperiment mit Quantenobjekten – Phänomene, die klassisch nicht zu beschreiben sind ................................................. 2.1 Doppelspaltexperiment mit Elektronen .................................................................. 2.1.1 Einzelne Elektronen – geringe Intensität ....................................................... 2.1.2 Hohe Intensität .................................................................................................. 2.1.3 Doppelspaltexperiment mit WelcherWegInfo .............................................. 2.1.4 Teilchencharakter des Lichts (Photonen) ...................................................... 2.2 Doppelspaltexperiment mit Photonen .................................................................... 2.3 Doppelspaltexperiment mit verschränkten Objekten – Doppeldoppelspalt ..... 34 34 34 34 35 35 36 36 3 Antworten der Quantentheorie ........................................................................................ 3.1 Eine Rechengröße ψ ................................................................................................... 3.1.1 Grundprinzipien – Rechenregeln für Amplituden ...................................... 3.1.2 Unschärferelation .............................................................................................. 3.2 Wellenfunktionen ....................................................................................................... 3.3 Zustandsvektoren ....................................................................................................... 3.3.1 Doppelspaltexperiment mit Messung des Spaltdurchgangs ...................... 3.3.2 Übungsaufgaben ............................................................................................... 3.3.3 Übliche Herleitung von p = h/λ ist nur heuristisch/propädeutisch .......... 3.3.4 Dualismus? ......................................................................................................... 3.3.5 Anhang: Axiome der Quantentheorie und Schrödingergleichung ............. 3.4 Information .................................................................................................................. 3.4.1 Doppeldoppelspalt und Verschränkungen ................................................... 3.4.2 Quantenradierer ................................................................................................ 3.4.3 Anhang: Bellsche Ungleichung ....................................................................... 3.5 Unklassisch und unverzichtbar ................................................................................ 37 37 37 42 45 48 49 51 54 55 57 62 62 64 65 67 4 Literatur .............................................................................................................................. 68 Interpretationen der Quantentheorie 31 Fachliches Potential des Doppelspaltexperiments 1 Joachim Lillig Doppelspaltexperiment mit klassischen Objekten Versuchsaufbau des Doppelspaltexperimentes – In einer Quelle werden Objekte (Teilchen oder Wellen) identisch präpariert, – auf einem geeigneten Schirm werden sie registriert; – zwischen Quelle und Schirm passieren sie einen Doppelspalt. Präparierung – Doppelspalt – Registrierung Klassisch sind die registrierten Objekte dieselben wie die präparierten, sie bewegen sich auf Bahnen von der Quelle zum Detektor. In der Quantentheorie werden Objekte präpariert, Detektoren sprechen an; es bleibt offen, wie die Objekte zum Schirm gelangen und ob überhaupt dieselben Objekte registriert werden. Zunächst erinnern wir uns an Resultate des Doppelspaltexperiments mit klassischen Objekten. Es werden die Beobachtungen herausgestellt, die beim Doppelspaltexperiment mit Quantenobjekten von Bedeutung sind. Doppelspaltexperiment mit klassischen Teilchen – Klassische Korpuskel kommen stückweise (diskret), sie sind lokalisierbar. – Als Maß der Intensität gilt die Teilchenanzahl, die durch N12 (x) = N1 (x) + N2 (x) beschrieben wird, wobei N1 ( x), N2 (x), N12 (x) die Anzahl der Teilchen an der Stelle x bei offenem Spalt 1, bei offenem Spalt 2 bzw. bei zwei offenen Spalten angeben. – Das bedeutet, dass die Korpuskel entweder durch Spalt 1 oder durch Spalt 2 gehen, also nicht interferenzfähig sind. – Bei geringer Intensität entsteht ein zufälliges Punktemuster, bei Wiederholungen ergeben sich andere Verteilungen; bei hoher Intensität sind stets dieselben Muster zu erkennen. 32 Interpretationen der Quantentheorie Joachim Lillig Fachliches Potential des Doppelspaltexperiments – Die relativen Häufigkeiten können als Wahrscheinlichkeit aufgefasst werden, sie sind additiv: P12 = P1 + P2 . In der Quantentheorie wird P durch |ψ|2 ersetzt; dann ist |ψ12|2 = |ψ1|2 + |ψ2|2 . Doppelspaltexperiment mit klassischen Wellen – Bei Wellen ist jede beliebige Größe möglich (kontinuierlich), Wellen sind nicht lokalisierbar. – Gemessen wird die Intensität, für die I12 = I1 + I2 + 2 I1 I2 cos δ , insbesondere I12 ≠ I1 + I2 gilt. – Der Term 2 I1 I2 cos δ ist ein Maß für die Abweichung vom Teilchenverhalten und heißt Interferenzterm. Wellen gehen gleichzeitig durch beide Spalte, sie sind interferenzfähig. – Sowohl bei geringer als auch bei hoher Intensität entsteht stets dasselbe Interferenzmuster. – Mathematisch vorteilhaft ist eine Größe ψ mit ψ ~ I bzw. |ψ|2 ~ I . Der Vorteil von ψ liegt in der Additivität: ψ12 = ψ1 + ψ2 . Insbesondere ist |ψ12|2 = |ψ1 + ψ2|2, aber |ψ12|2 ≠ |ψ1|2 + |ψ2|2 . Interpretationen der Quantentheorie 33 Fachliches Potential des Doppelspaltexperiments 2 Joachim Lillig Doppelspaltexperiment mit Quantenobjekten – Phänomene, die klassisch nicht zu beschreiben sind 2.1 Doppelspaltexperiment mit Elektronen 2.1.1 Einzelne Elektronen – geringe Intensität Im Unterricht werden Elektronen zunächst durch die Korpuskeltheorie beschrieben, daher wird erwartet und auch beobachtet, dass sie wie klassische Teilchen stückweise ankommen, an genau einer Stelle des Schirms registriert werden, zufällige Punktemuster liefern, die als Wahrscheinlichkeitsverteilung aufgefasst werden können. In dieser klassischen Betrachtung bleibt unverstanden, dass die Intensitätskurve breiter statt schmaler wird, wenn man die Spaltbreite verringert. 2.1.2 Hohe Intensität – Klassisch nicht zu verstehen ist die Beobachtung eines Interferenzmusters, also die Beobachtung von Wellenphänomenen bei Teilchen. – Das beobachtbare Wellenmuster ist unerklärbar, wenn man annimmt, dass der präparierte Anfangsimpuls auch hinter dem Doppelspalt vorliegt. Der Messapparat muss den Impulswert verändert haben, die neuen Impulswerte können nicht vorausgesagt werden. 34 Interpretationen der Quantentheorie Joachim Lillig Fachliches Potential des Doppelspaltexperiments 2.1.3 Doppelspaltexperiment mit WelcherWegInfo Schließen eines Spaltes Beim Doppelspaltexperiment kann nicht entschieden werden, durch welchen Spalt das Elektron gegangen ist. Möchte man diese Information haben, so muss eine Ortsmessung durchgeführt werden, am einfachsten durch das Schließen eines Spaltes. Abwechselndes Zuhalten eines Spaltes führt aber zu einem Korpuskelbild, die Interferenz ist verschwunden. Beobachtung mit Licht Statt einen Spalt zu schließen, kann die Spaltpassage der Elektronen durch Licht beobachtet werden, wozu hinter dem Doppelspalt zwei Lichtdetektoren aufgestellt werden. Klassisch unverständlich ist die Beobachtung, dass bei hinreichend langwelligem Licht das Interferenzmuster erhalten bleibt, bei kurzwelligem Licht aber verschwindet. Das Experiment wird interessanter, wenn jeweils nur ein Elektron in der Apparatur ist. Es ist möglich, dass einige Elektronen nicht vom Licht getroffen werden. Daher markiere die Auftrefforte beispielsweise 1. rot, wenn Lichtdetektor 1 angesprochen hat, 2. gelb, wenn Lichtdetektor 2 angesprochen hat, 3. blau, wenn kein Lichtdetektor angesprochen hat. Die roten und gelben Punkte liefern ein Teilchenmuster, die blauen ein Wellenmuster. Es ist nicht möglich, ein Elektron, das zum Interferenzbild beiträgt, einem der beiden Spalte zuzuordnen. 2.1.4 Teilchencharakter des Lichts (Photonen) Im letzten Versuch setzen wir eine ideale Lichtregistrierung voraus, was durch sehr viele kleinste nebeneinander aufgereihte Lichtdetektoren erreicht werden könnte. Bei hoher Lichtintensität sprechen alle Detektoren an, die Zeiger schlagen stark aus. Bei geringer Lichtintensität sollten nach der klassischen Vorstellung Licht als Welle immer noch alle Detektoren ansprechen und der Zeigerausschlag zurückgehen; stattdessen sprechen nicht alle an, bei geringster Lichtintensität genau einer, und der Zeigerausschlag bleibt konstant. Die beste Erklärung: Licht verhält sich teilchenhaft. Es kommt stückweise in Portionen und ist lokalisierbar; die Portionen heißen Lichtquanten bzw. Photonen. Diese Teilchenphänomene bei Wellen bleiben klassisch unverstanden. Interpretationen der Quantentheorie 35 Fachliches Potential des Doppelspaltexperiments Joachim Lillig 2.2 Doppelspaltexperiment mit Photonen Zum Teilchencharakter der Strahlung führte im letzten Abschnitt das Doppelspaltexperiment mit Elektronen, die durch Photonen beobachtet wurden. Der Teilchencharakter wird natürlich auch beim Doppelspaltexperiment mit Licht beobachtet, wenn die Intensität so gering gehalten wird, dass sich jeweils nur ein Photon in der Messapparatur befindet, und genau eine Stelle auf dem Schirm aufleuchtet: Licht geringster Intensität ist lokalisierbar. Die Information, welchen Spalt das (Laser-)Licht passiert, kann beispielsweise dadurch erhalten werden, dass die Spalte durch senkrecht zueinander orientierte Polarisationsfolien überklebt werden (Licht wird markiert) [vgl. Beitrag von Wolfram Mai in diesem Heft]; dann verschwindet aber das Interferenzmuster. Bringt man nun zwischen den markierten Doppelspalt und den Schirm einen zu den Folien diagonal stehenden Polarisator, der die Spaltinformation innerhalb des Versuchsaufbaus löscht (Quantenradierer), so erscheint wieder das Interferenzmuster. 2.3 Doppelspaltexperiment mit verschränkten Objekten – Doppeldoppelspalt Seit ein paar Jahren ist es möglich, Photonen durch einen Downkonverter (einen Spezialkristall) in ein Paar von Photonen doppelter Wellenlänge aufzuspalten, z. B. ein UVPhoton in zwei optische Photonen. Ein solches Photonenpaar werde durch einen Doppeldoppelspalt geschickt: Quelle Zwilling 1 Zwilling 2 Downkonverter Schirm 1 Schirm 2 Folgende Beobachtungen bleiben unverstanden: – Sowohl bei Schirm 1 als auch bei Schirm 2 entstehen Teilchenmuster. – Eine Koinzidenzmessung [vgl. Beitrag von Wolfram Mai] an beiden Schirmen führt zu einem Interferenzmuster. 36 Interpretationen der Quantentheorie Joachim Lillig 3 Fachliches Potential des Doppelspaltexperiments Antworten der Quantentheorie Eine physikalische Theorie ist ein mathematischer Formalismus, dessen Symbole interpretiert und Objekten der Natur zugeordnet werden müssen. Physik Natur Realität Physikalische Phänomene Mathematik Formalismus Zuordnungen Interpretationen Im Folgenden soll der Formalismus in drei Versionen angesprochen werden. 1. Rechengröße ψ 2. Wellenfunktion ψ 3. Zustandsvektor |ψ> Um Interferenzen und Superpositionen zu beschreiben, bieten die klassischen Theorien die beiden Konzepte Welle und Vektor an. Zuvor wird mit einer Rechengröße ψ hantiert, die wir nicht weiter interpretieren, von der wir lediglich gewisse Verhaltensweisen erwarten. Jede Sichtweise erweitert auf ihre Art das Verständnis der Quantentheorie. 3.1 Eine Rechengröße ψ 3.1.1 Grundprinzipien – Rechenregeln für Amplituden Beim Doppelspaltexperiment mit klassischen Objekten hat sich eine Rechengröße ψ mit ψ ~ I als vorteilhaft erwiesen. Bei klassischen Wellen ist ψ additiv, bei klassischen Teilchen ist |ψ|2 additiv und wird in diesem Fall als Auftreffwahrscheinlichkeit verstanden. Ganz und gar unklassisch wird es, wenn wir beide Eigenschaften zusammen von derselben Rechengröße ψ erwarten: – ψ soll additiv sein, wenn die Wege einzelner Quanten ununterscheidbar sind, wenn es also nicht möglich ist zu erfahren, welches der möglichen Ereignisse eintreten wird; in diesem Falle offenbaren die Quanten Wellencharakter; – |ψ|2 soll additiv sein, wenn sich die Wege unterscheiden lassen, wenn es also möglich ist zu erfahren, welches der möglichen Ereignisse eintreten wird; in diesem Falle offenbaren die Quanten teilchenförmiges Verhalten. Interpretationen der Quantentheorie 37 Fachliches Potential des Doppelspaltexperiments Joachim Lillig Nach Richard P. Feynman: Vorlesungen über Physik, Band III, Quantentheorie formulieren wir für die Quantentheorie die Grundprinzipien Regel 1: Additivität der Amplituden (1. Pfadregel) Wenn ein Ereignis auf mehrere verschiedene Weisen auftreten kann, ist die Wahrscheinlichkeitsamplitude für das Ereignis die Summe der Wahrscheinlichkeitsamplituden jeder einzelnen betrachteten Möglichkeit: ψ (x) = ψ1 (x) + ψ2 (x) . Es gibt Interferenz. Regel 2: Multiplikativität der Amplituden (2. Pfadregel) Wird ein Ereignis in Teilereignisse zerlegt, so sind die zugehörigen Amplituden zu multiplizieren. Regel 3: Wahrscheinlichkeitsinterpretation Die Wahrscheinlichkeit eines Ereignisses ist das Quadrat des Absolutbetrages der Wahrscheinlichkeitsamplitude: P (x) = |ψ (x)|2 = ψ* (x) · ψ (x) . Regel 4: Additivität der Wahrscheinlichkeiten Erlaubt das Experiment eine Entscheidung, welche Alternative gewählt wurde, dann ist die Wahrscheinlichkeit additiv: P = P1 + P2 bzw. |ψ|2 = |ψ1|2 + |ψ2|2 . Die Interferenz geht verloren. 38 Interpretationen der Quantentheorie Joachim Lillig Fachliches Potential des Doppelspaltexperiments Nach diesen Grundprinzipien lässt sich nun auch auf Schulniveau das Doppelspaltexperiment durchrechnen, allerdings wird benutzt, dass ψ (x) eine komplexe Zahl ist und dass |ψ (x)|2 = ψ∗ (x) · ψ (x) gilt. Es werden zwei Möglichkeiten vorgestellt: 1. Möglichkeit Berechnet wird die Wahrscheinlichkeit, dass ein Quant am Ort x des Schirms registriert wird: P12 (x) = |ψ12 (x)|2 Regel 3 = |(ψ1 + ψ2) (x)|2 Regel 1 = (ψ1* (x) + ψ2* (x)) · (ψ1 (x) + ψ2 (x)) = |ψ1 (x)|2 + |ψ2 (x)|2 + ψ1* (x) ψ2 (x) + Interferenzterm ≠ 0 ψ2* (x) ψ1 (x) = |ψ1 (x)|2 + |ψ2 (x)|2 + 2 Re (ψ1* (x) ψ2 (x)) 2 Re (ψ1* (x) ψ2 (x)) heißt Interferenzterm. Entscheidend ist die Anwendung von Regel 1, die dann anzuwenden ist, wenn beide Spalte offen sind und keine Entscheidung möglich ist, ob das Quant Spalt 1 oder Spalt 2 passiert hat. Es tritt Interferenz auf. Hat man dagegen WelcherSpaltInfo, so ist statt Regel 1 die Regel 4 anzuwenden, und es folgt P12 (x) = P1 (x) + P2 (x) Regel 4 = |ψ1 (x)|2 + |ψ2 (x)|2 , Regel 3 der Interferenzterm ist 0, die Einzelintensitäten sind zu addieren, beobachtet wird ein Teilchenbild. Interpretationen der Quantentheorie Interferenzterm = 0 39 Fachliches Potential des Doppelspaltexperiments Joachim Lillig 2. Möglichkeit Die folgende (sehr empfehlenswerte) Rechnung stammt von Richard Feynman: Die Amplituden, dass ein Elektron an der Stelle x registriert wird und dabei durch Spalt 1 bzw. Spalt 2 gegangen ist, seien ψ1 (x) bzw. ψ2 (x) . Wird der Spaltdurchgang der Elektronen mit Licht beobachtet, so sei die Amplitude, dass ein Elektron durch Spalt 1 geht und gleichzeitig ein Photon in Detektor 1 registriert wird, a ψ1 (x) (a komplex), (Regel 2) denn nach Regel 2 müssen die beiden Amplituden multipliziert werden. Bei einem nicht ganz idealen Messapparat besteht aber auch die Möglichkeit, dass ein Photon in Detektor 1 nachgewiesen wird, wenn das Elektron Spalt 2 passiert hat; diese Amplitude sei b ψ2 (x) . Die Gesamtamplitude, dass ein Elektron an der Stelle x und ein Photon in Detektor 1 ankommen, ist dann nach Regel 1 a ψ1 (x) + b ψ2 (x) . (Regel 1) Analog ist die Gesamtamplitude, dass ein Elektron bei x ankommt und Photonendetektor 2 anspricht, aus Symmetriegründen a ψ2 (x) + b ψ1 (x) . Nach Regel 4 müssen von diesen beiden (experimentell unterscheidbaren) Möglichkeiten die Wahrscheinlichkeiten addiert werden, so dass das Experiment durch |a ψ1 (x) + b ψ2 (x)|2 + |a ψ2 (x) + b ψ1 (x)|2 (Regel 4) beschrieben werden kann. Interessant sind zwei Spezialfälle: Ist die Lichtmessung ideal, dann spricht Detektor 1 nur an, wenn das Elektron Spalt 1 passiert hat, demnach ist b = 0, damit ist die Gesamtwahrscheinlichkeit |a ψ1 (x)|2 + |a ψ2 (x)|2 : keine Interferenz. Ist die Wellenlänge des Lichts zu groß (größer als der Spaltabstand), streut ein mit dem Elektron wechselwirkendes Photon mit gleicher Wahrscheinlichkeit in Detektor 1 wie in Detektor 2, d. h. es gilt a = b, damit ist die Gesamtwahrscheinlichkeit in diesem Falle |a ψ1 (x) + a ψ2 (x)|2 + |a ψ2 (x) + a ψ1 (x)|2 = 2 |a|2 · |ψ1 (x) + ψ2 (x)|2 : Interferenz. 40 Interpretationen der Quantentheorie Joachim Lillig Fachliches Potential des Doppelspaltexperiments Bewertung der Version Rechengröße ψ + die teilchenhafte Additivität von |ψ|2 und die wellenhafte Additivität von ψ werden von derselben Rechengröße gefordert und so auf wunderbare und einfache, aber brutale Weise vereint; + Formalismus und Interpretation sind gut zu trennen; + ohne großen formalen Aufwand können bereits sehr gute Rechenergebnisse erzielt werden; – ψ wird nicht veranschaulicht oder weiter interpretiert und bleibt unverstanden. Anmerkungen Nach den makroskopischen Erfahrungen, die durch die klassische Physik beschrieben werden, sind Teilchen- und Wellenvorstellungen nicht vereinbar, sie sind nicht einmal komplementär, sondern konträr. Die Quantentheorie ist deshalb unklassisch und zunächst unvorstellbar, weil dieselbe Rechengröße ψ gleichzeitig Teilchen- und Wellencharakter beschreiben soll. Bei Quanten sind Teilchen- und Wellenvorstellung zusammenzudenken. Vermittelt werden diese Verbindungen durch die Plancksche Konstante h, aber auch durch die Bornsche Wahrscheinlichkeitsdeutung: Stochastisches vereint Körniges und Welliges. So vereint die Quantentheorie die drei großen klassischen Standbeine, die Teilchen beschreibende klassische Mechanik, die Wellen und Felder beschreibende klassische Elektrodynamik, beides kausale Theorien, und die statistische Thermodynamik. Nach unseren Erfahrungen sind alle drei Theorien nicht miteinander vereinbar, daher entsprechen Quanten nicht unseren mesokosmisch geprägten Erfahrungen. Da für Quanten keine empirischen Modelle zur Verfügung stehen, müssen mathematische Modelle herangezogen werden. In der Quantentheorie werden Mechanik, Elektrodynamik und Thermodynamik mathematisch vereint. Und das macht die Quantentheorie unvorstellbar und in höchstem Maße abstrakt, denn ψ beschreibt nun eine mathematische Welle; es interferieren nicht physikalische Objekte, sondern mathematische Rechengrößen. Interpretationen der Quantentheorie 41 Fachliches Potential des Doppelspaltexperiments Joachim Lillig 3.1.2 Unschärferelation Doppelspaltexperiment mit Licht In der Durchrechnung des Doppelspaltexperiments wurden die Spezialfälle b = 0 und b = a betrachtet; offenbar hängt b mit der Größe der Wellenlänge des Lichts zusammen. In jedem Falle stellt die Beobachtung der Elektronen hinter dem Doppelspalt mit Hilfe von Licht eine energetische Störung dar; das Photon überträgt den Impuls p = hk = h/λ oder einen Teil davon auf das Elektron und ändert so die Wahrscheinlichkeitsverteilung. Eine Verringerung der Störung wird erreicht, indem der Impuls verkleinert wird, das heißt aber in der Quantentheorie, dass die Wellenlänge λ größer wird. Wenn λ zu groß ist, können die beiden Spalte optisch nicht mehr getrennt werden, und es zeigt sich wieder das Interferenzmuster. Entweder beobachtet man das Interferenzbild und weiß nicht, durch welchen Spalt das Elektron ging, oder man kennt den Spalt und kann das Interferenzbild nicht beobachten. Heisenbergsche Unschärferelation Es ist unmöglich, einen Apparat zu entwickeln, der feststellt, durch welches Loch das Elektron geht, ohne dass er gleichzeitig die Elektronen so weit beeinträchtigt, dass das Interferenzbild zerstört wird. Quantitative Betrachtung Der Vorzug dieser Betrachtung liegt darin, dass p der Photonenimpuls ist, nicht der Elektronenimpuls; so kann die in Misskredit geratene Einzelspaltherleitung der Heisenbergschen Unschärferelation umgangen werden. 42 Wenn der Impuls des Lichts teilweise oder ganz übertragen wird, ist größenordnungsmäßig p ≈ ∆p. Für Licht, das die Spalte optisch trennen kann, gilt λ ≈ Spaltabstand ≈ ∆x . Aus p = h/λ bzw. p · λ = h folgt ∆p · ∆x ≈ h . Interpretationen der Quantentheorie Joachim Lillig Fachliches Potential des Doppelspaltexperiments Doppelspaltexperiment ohne Licht Wenn die Elektronen auf einen Anfangsimpuls präpariert sind, so ist die beobachtbare Streuung am Schirm unter der klassischen Annahme, dass dieser Anfangsimpuls auch hinter dem Schirm vorliegt, nicht verständlich. Daher muss sich dieser Wert hinter dem Spalt verändert haben; der Impuls kann unterschiedliche Werte annehmen, die nicht vorausgesagt werden können. Heisenbergsche Unschärferelation: Je besser die Ortskenntnis (Spaltbreite), desto ungenauer die Impulsvorhersage (Streumuster breiter). Allgemeiner: Quantenobjekte können nicht in einen Zustand gebracht werden, in dem sie gleichzeitig einen Ort und einen Impuls haben. Anmerkungen – Die in der Heisenbergschen Unschärferelation vorkommenden Terme ∆x und ∆p sind Standardabweichungen und werden auch Unschärfen genannt. In der klassischen Physik wird angenommen, dass zu jedem Zeitpunkt im Prinzip ∆x = 0 und ∆p = 0 gilt, nur Unzulänglichkeiten der Messapparate führen zu ∆x · ∆p > 0, jedoch ∆x · ∆p → 0. Idealerweise ordnet man jeder Größe zu jedem Zeitpunkt genau einen Wert zu, wodurch Größen Funktionen der Zeit werden. In der Quantentheorie gilt unmittelbar nach einer Ortsmessung ∆x = 0, die Unschärfe wächst dann zu ∆x > 0 an, dem zu beschreibenden Objekt kann dann kein eindeutiger Ortswert mehr zugeordnet werden, zu einem Zeitpunkt gehören viele Ortswerte. Ort ist keine Funktion der Zeit mehr, bleibt aber Beobachtungsgröße in dem Sinne, dass eine Ortsmessung zu genau einem Ortswert führt. Zur Abgrenzung des klassischen Begriffs Größe wird das Wort Observable benutzt. – Beide oben vorgestellten Formulierungen der Heisenbergschen Unschärferelation sind äußerst vorsichtig gefasst. Die erste Formulierung ist auch dann korrekt, wenn die Messung ohne Wechselwirkung geschieht. Die zweite Formulierung betont, dass die Heisenbergschen Unschärferelation sich auf die Zukunft, nicht auf die Vergangenheit bezieht (das Zukünftige steckt in den auftretenden Unschärfen, die Wahrscheinlichkeiten voraussetzen; Vergangenes ist faktisch und hat stets Wahrscheinlichkeit 1). – In der Quantentheorie haben Ort und Impuls keine gemeinsamen Basisvektoren, daher gibt es keinen Zustand mit gleichzeitig bestimmtem Orts- und Impulswert, weder vor noch während noch nach einer Messung. Da nach Einstein die Theorie entscheidet, was gemessen wird, kann ein Zustand mit Ort und Impuls niemals beobachtet werden. Die Umkehrung „Wenn nicht beobachtbar, dann nicht existent“ ist nicht begründet [Weizsäcker, 1985]. Interpretationen der Quantentheorie 43 Fachliches Potential des Doppelspaltexperiments Joachim Lillig – Der Theorie nach ist es unerheblich, ob die Beobachtung hinter dem Spalt mit oder ohne Wechselwirkung geschieht. Die gleichzeitige Unbestimmtheit von Ort und Impuls wird also nicht erst durch den Messprozess erzeugt. – Die Heisenbergsche Unschärferelation folgt aus dem Operatorformalismus (bzw. wird axiomatisch gefordert), also aus der Theorie und ist nicht experimentell ableitbar. Das Doppelspaltexperiment mit oder ohne Spaltbeobachtung ist im Einklang mit der Heisenbergschen Unschärferelation. – Bei dem Versuch, Quanten zu lokalisieren, ihren Raumbereich immer mehr einzuengen, muss immer mehr Impuls und Energie aufgewendet werden, die schließlich ausreicht, die nach der Heisenbergschen Unschärferelation im Vakuum ständig entstehenden und vergehenden virtuellen Teilchen zum Leben zu erwecken, d. h. zu realen Teilchen werden zu lassen. Derartige Erzeugungen und Vernichtungen von Teilchen sind nach der nichtrelativistischen Quantenmechanik nicht möglich. – Dass man in der Quantentheorie einem Objekt von zwei komplementären Eigenschaften nicht gleichzeitig feste Werte zuschreiben kann, erläutert Gesche Pospiech an folgendem skurrilem Bild: Ein Bauer hat eine Herde mit weißen und schwarzen Kühen und weißen und schwarzen Pferden. Diese möchte er jetzt zählen. Er treibt alle Tiere durch ein Doppel-Gatter: Links können nur die Kühe, rechts nur die Pferde hindurch gehen. In einem zweiten Schritt bringt er die Pferde unwiderruflich weg und sortiert danach die Kühe der Farbe nach, um eine Herde mit weißen Kühen zu erhalten. Nun möchte er sich vergewissern, dass er richtig sortiert hat, schaut nach, indem er die weißen Kühe wieder durch das Doppel-Gatter schickt, und entdeckt plötzlich Pferde darunter. Interpretiert man Kuh als ein auf den Anfangsimpuls p0 präpariertes Elektron, Pferd als Elektronen mit anderen Impulsen und die beiden Spalte als schwarz und weiß, so entspricht eine weiße Kuh einem durch einen fixierten Spalt gegangenen Elektron, und eine Kontrolle bedeutet erneute Impulsmessung dieses Elektrons, wobei dann auch andere Impulse als p0 festgestellt werden. 44 Interpretationen der Quantentheorie Joachim Lillig Fachliches Potential des Doppelspaltexperiments 3.2 Wellenfunktionen Viele Elektronen liefern ein Interferenzmuster, das wie in der klassischen Wellenlehre beschrieben werden kann: Sieht man die beiden Spalte als punktförmig an und ordnet den einzelnen Elektronenstrahlen komplexwertige Wellen ψ1 = a0 ei(α – δ/2) bzw. ψ2 = a0 ei(α + δ/2) zu, so folgt für den Gesamtstrahl ψ = ψ1 + ψ2 = a0 ei(α – δ/2) + a0 ei(α + δ/2) δ iα e . 2 = a0 e–i δ/2 + e+i δ/2 = 2 a0 cos Hierbei ist δ die Phasendifferenz zwischen den Strahlen der beiden Spalte. Wegen I ~ |ψ|2 ist die Intensität proportional zum Quadrat der Amplitude, also I = 4|a0|2 cos2 (δ/2) . (Die Überlagerung durch die Einzelspaltbilder liefert eine nach außen abnehmende Intensität gemäß sin a0 2 = I 0 ϕ 2 ϕ 2 2 , wobei I0 die Intensität des zentralen Maximums und ϕ die Phasendifferenz zwischen den Randstrahlen jedes einzelnen Spaltes bedeuten.) Mit diesem Wellenansatz kann aber die Lokalisierbarkeit von Einzelelektronen (bzw. Einzelphotonen) nicht beschrieben werden. Daher versucht man einen Wellenpaketansatz: ψ (x,t) = ∞ –∞ ak ei αx,t (k) dk = ∞ –∞ ak ei (kx – ωt) dk . harmonische Welle Interpretationen der Quantentheorie 45 Fachliches Potential des Doppelspaltexperiments Wellenpaket Joachim Lillig Jeder einzelne harmonische Anteil ak ei(kx – ωt) besitzt die eindeutig bestimmte Wellenzahl k = 2π/λ und die eindeutig bestimmte Frequenz ω = 2π · f. Wechselt man nun gemäß der Quantentheorie mittels p = hk = h/λ und W = hω = hf zum Teilchenbild (die Plancksche Konstante h koppelt Teilchen- und Wellenvorstellungen), so besitzen die harmonischen Komponenten eindeutige Werte für Impuls und Energie. Andererseits ist der harmonische Anteil unendlich ausgebreitet und hat daher keinen Ort. Dagegen setzt sich das Wellenpaket ψ (x,t) aus vielen verschiedenen Wellenzahlen und Frequenzen zusammen und hat weder eine Wellenzahl noch eine Frequenz, und daher weder Impuls noch Energie; ferner ist es nicht auf einen Raumpunkt begrenzt und hat daher auch keinen Ort. Da in einem Wellenpaket die Teilwellen unterschiedliche Phasengeschwindigkeiten (cϕ = ω/k) haben, müssen die Teilwellen auseinander laufen. Durch dieses Zerfließen ist aber eine rein wellentheoretische Beschreibung der Mikroobjekte zum Scheitern verurteilt: Selbst wenn ein Teilchen zu einem Zeitpunkt (nach einer Messung) sehr gut lokalisiert ist, ist es nach kurzer Zeit räumlich verschmiert (Verdopplung des Raumgebiets bei Elektronen in 10–16 s); dies ist bisher nie beobachtet worden. Ortsmessungen liefern stets einen genauen Ort. Ohne Messung kann wegen ∆x > 0 und ∆p > 0 weder ein Orts- noch ein Impulswert zugeordnet werden. Bei Elektronen müssten auch deren Ladungen verschmieren, und innerhalb der Ladungswolke müssten Bereiche auftreten, die eine kleinere Ladung als die Elektronenladung e– besitzen und die sich elektrisch abstoßen müssten, beides ist ebenfalls noch nie beobachtet worden. Weiterhin bleibt völlig unklar, ob in einer Elektronenwolke ein Teilchen oder mehrere verschmiert sind. Das Zerfließen des Wellenpakets beschreibt eine noch nie beobachtete Instabilität des Elektrons. 46 Interpretationen der Quantentheorie Joachim Lillig Fachliches Potential des Doppelspaltexperiments Anmerkungen Ein freies Teilchen wird durch die harmonische Welle ψ (x,t) = a · ei α (x,t) beschrieben. Dabei heißen a Amplitude und α Phase. Relevant für Messungen ist |ψ|2, das als Wahrscheinlichkeit interpretiert wird. Hierbei spielt wegen |eiα| = 1 die Phase keine Rolle mehr, für die Wahrscheinlichkeit ist nur der Amplitudenanteil maßgebend. Man nennt daher ψ (x) auch Wahrscheinlichkeitsamplitude. Bewertung der Version ψ als Wellenpaket + diese Version entspricht der geschichtlichen Entwicklung, der Entstehung der Wellenmechanik aus der Materiewellentheorie (unter Hinzuziehen der Wahrscheinlichkeitsinterpretation); + je nach Konzept des Unterrichts über die vorher behandelte klassische Wellenlehre kann daran angeknüpft werden; + Wellenpakete sind der Vorstellung nach sehr anschaulich, wodurch ein gutes Verständnis des Zerfließens eines Zustandes und damit der inneren Dynamik, die sich nach der Schrödingergleichung ohne äußere Einwirkung vollzieht, und ein gutes Verständnis der Heisenbergschen Unschärferelation erreicht werden kann; – es besteht die Gefahr, dass die Vorstellung von Elektronen oder Photonen als Welle suggeriert wird; – der Formalismus ist sehr bis zu anspruchsvoll. Interpretationen der Quantentheorie 47 Fachliches Potential des Doppelspaltexperiments Joachim Lillig 3.3 Zustandsvektoren Das Konzept der Wellenfunktion ist zu eng, beispielsweise – setzt steigende Genauigkeit einer Ortsmessung nach ψ = ψ (x,t) bereits genaue Ortsund Zeitpunktmessung voraus, wozu nach der Heisenbergschen Unschärferelation großer Impuls und große Energie nötig sind. Wenn die Energie größer als die doppelte Elektronenruheenergie ist, werden ein Elektron-Positron-Paar erzeugt [(γ + e– → e– + (e– + e+)]. Solche Prozesse lassen sich mit Wellenfunktionen nicht mehr beschreiben (in der nichtrelativistischen Quantentheorie gilt nämlich Teilchenerhaltung). – Beim β-Zerfall n0 → p+ + e– + νe ist der Anfangszustand eine Wellenfunktion ψn , der ψp+ Endzustand aber ein Tripel von Wellenfunktionen: ψe– . ψνe – Der Spin eines Elektrons kann die Werte +1/2 oder –1/2 annehmen, dazu ist ein Paar von Wellenfunktionen ψ1 (x,t) nötig. ψ2 (x,t) Eine allgemeine, abstraktere Formulierung der Quantenmechanik gelingt mit dem Konzept des Zustandsraums (mathematisch ein Hilbertraum), das elegante Erweiterungsmöglichkeiten zulässt. Am folgenden Beispiel soll das Vorgehen erläutert werden, wie zunächst der Hilbertraum als Erzeugnis der Basisvektoren (= Eigenzustände) gebildet wird und über die Messwerte dann ein geeigneter Operator gefunden werden kann. Es ist ersichtlich, dass Messergebnisse immer Eigenwerte sein müssen und dass das System nach einer Messung immer in einem Eigenzustand ist. Ist umgekehrt der Operator bekannt (und mit ihm der Hilbertraum), so können Eigenzustände und mögliche Messwerte aus ihm berechnet werden. 48 Interpretationen der Quantentheorie Joachim Lillig Fachliches Potential des Doppelspaltexperiments 3.3.1 Doppelspaltexperiment mit Messung des Spaltdurchgangs (durch Licht) Nach der Messung haben entweder Detektor 1 oder Detektor 2 angesprochen. Um mit den beiden zugehörigen Messwerten Elektron durch Spalt 1 bzw. Elektron durch Spalt 2 rechnen zu können, werden ihnen die reellen Zahlen λ bzw. µ zugeordnet. Zu diesen Messwerten gehören zwei Zustände, in denen das System nach der Messung sein kann, nämlich |Registrierung in Detektor 1, Durchgang durch Spalt 1, Spalte offen, Präparierung auf p0>, |Registrierung in Detektor 2, Durchgang durch Spalt 2, Spalte offen, Präparierung auf p0>. Es ist für Schülerinnen und Schüler sehr hilfreich, die Zustände anfangs verbal und ausführlich zu beschreiben. Danach kann man in allen Zuständen gleiche Versuchsbedingungen bzw. Texte der Einfachheit halber (ohne Informationsverlust) weglassen, die Zustände nach der Registrierung heißen dann einfach |1> und |2>. Der zum Experiment geeignete Zustandsraum (Hilbertraum) ist dann das Erzeugnis von |1> und |2>, ein beliebiger Zustand hat die Form |ψ> = a1 |1> + a2 |2> für komplexe Zahlen a1 und a2 . Der Hilbertraum ist zweidimensional. Er enthält alle möglichen Zustände, die das Doppelspaltexperiment mit Licht beschreiben, beispielsweise ist für a1 = 1 und a2 = 0 der Zustand |1> präpariert, ein Zustand, der nach der Messung vorliegen kann. In diesem Fall muss nach dem Grundprinzip aller empirischen Wissenschaften, der Wiederholbarkeit einer Messung, dieser Zustand wieder gemessen werden. Daher bleiben der Zustand |1> und entsprechend der Zustand |2> erhalten. Bzgl. der Basis |1> und |2> sind a1 und a2 die Koordinaten von |ψ>, und diese Koordinaten sind – wie aus der Linearen Algebra bekannt ist – die Projektionen von |ψ> auf die Basiszustände |1> und |2>, die sich mit Hilfe des Skalarprodukts berechnen lassen: <1|ψ> = <1| (a1 |1> + a2 |2>)= a1 <1|1> + a2 <1|2> = a1 · 1 + a2 · 0 = a1 , analog <2|ψ> = a2 . Das Skalarprodukt <1|ψ> (Schema <nach|von>) beschreibt den Übergang vom Zustand |ψ> in den Zustand |1>. Entsprechend zu ψ (x) bei den Wellenfunktionen heißt die komplexe Zahl <1|ψ> Wahrscheinlichkeitsamplitude. Die Wahrscheinlichkeitsamplitude <1|ψ> = a1 ist die Amplitude des Anteils von |1> in |ψ> bzw. die Amplitude, dass das Elektron vom Zustand |ψ> in den Zustand |1> übergeht. Ein beliebiger Zustand |ψ> = a1 |1> + a2 |2> besitzt dann die Amplitudendarstellung |ψ> = |1> <1|ψ> + |2> <2|ψ> . Ganz allgemein wird der Übergang zwischen Zuständen durch Operatoren beschrieben (denkt man an Wellenfunktionen, so sind die Operatoren Funktionen von Funktionen, daher der Name Operator). Ein zum Experiment passender Operator Ô soll jedem möglichen präparierten Zustand einen gemessenen Zustand zuordnen, insbesondere wegen der Wiederholbarkeit einer Messung den Basiszuständen |1> und |2> sich Interpretationen der Quantentheorie 49 Fachliches Potential des Doppelspaltexperiments Joachim Lillig selbst (s. o.). Weiterhin soll Ô die Messwerte liefern. Daher fordern wir von Ô die Eigenschaft Ô |1> = λ |1> , Ô |2> = µ |2> . Offenbar sind |1> und |2> Eigenvektoren mit den Eigenwerten λ und µ. Die Wirkung des Operators auf einen beliebigen Zustand |ψ> folgt dann aus der geforderten Linearität: Ô |ψ> = Ô (|1> <1|ψ> + |2> <2|ψ>) = Ô |1> <1|ψ> + Ô |2> <2|ψ> = λ |1> <1|ψ> + µ |2> <2|ψ> . Das Weglassen von |ψ> führt zu Ô = λ |1> <1| + µ |2> <2| = |1> · λ · <1| + |2> · µ · <2| . Die Anwendung des Operators Ô auf einen beliebigen Zustand |ψ> liefert neben den Messwerten λ und µ mit |a1|2 = |<1|ψ>|2 und |a2|2 = |<2|ψ>|2 auch die Wahrscheinlichkeiten für das Eintreten dieser Messwerte und für den Übergang von dem Zustand |ψ> in einen Eigenzustand |1> oder |2>. Der bei einer Messung stattfindende Übergang in einen Eigenzustand heißt Quantensprung und wird mathematisch durch die Projektion auf den Basiszustand beschrieben: |ψ>| → |1> bzw. |ψ>| → |2> . Beispiel: Für die Koordinaten a1 = cos α und a2 = sin α heißt der Zustand |2> |ψ> = cos α |1> + sin α |2> . Die Wahrscheinlichkeit für einen Übergang von |ψ> nach |1> ist α |1> |<1|ψ>|2 = |cos α <1|1> + sin α <1|2>|2 = |cos α · 1 + sin α · 0|2 = cos2 α ; analog |<2|ψ>|2 = sin2 α . Eben haben wir aus Eigenvektoren und Eigenwerten den Operator erzeugt. Umgekehrt können zu einem gegebenen Operator Ô = |1> λ <1| + |2> µ <2| die Eigenvektoren und die Eigenwerte berechnet werden: Für einen Eigenvektor |ψ> ≠ 0 muss Ô|ψ> = α |ψ> gelten, also λ |1> <1|ψ> + µ |2> <2|ψ> = α |1> <1|ψ> + α |2> <2|ψ> . Daraus ergeben sich wegen der linearen Unabhängigkeit von |1> und |2> die Beziehungen (λ – α) <1|ψ> = 0 und (µ – α) <2|ψ> = 0 . 50 Interpretationen der Quantentheorie Joachim Lillig Fachliches Potential des Doppelspaltexperiments Da es zwei Eigenwerte geben muss, ist α = λ und α = µ nicht möglich, daher ist entweder <1|ψ> = 0 oder <2|ψ> = 0 . Im Falle <1|ψ> = 0 ist α = µ, also |ψ> = |2> <2|ψ>, d. h. die Vektoren |ψ> und |2> sind linear abhängig, kennzeichnen also denselben Zustand. Da |ψ> Eigenvektor ist, ist es auch |2>; der zugehörige Eigenwert ist α = µ. Im Falle <2|ψ> = 0 kann geschlossen werden, dass |1> Eigenvektor ist. Ganz allgemein gehört zu den Messwerten λ1, λ2, … und den zugehörigen Eigenzuständen |ϕ1>, |ϕ2>, … der Operator  = ∑ |ϕj> λj <ϕj| . Das folgende Beispiel für Wellenfunktionen zeigt ebenfalls, wie aus einem bekannten Operator das Spektrum aller Messwerte bestimmt werden kann. Wir betrachten den Impulsoperator d [vgl. 3.3.5]. P= h i dx Die Anwendung des Operators auf einen Zustand |ψ> liefert einen Impulswert p, deshalb ist d Pψ= h ψ=pψ . i dx i Diese Differentialgleichung hat die Lösung ψ (x) = a e h px . ψ ist Lösung für alle reellen p, das Impulsspektrum ist kontinuierlich. 3.3.2 Übungsaufgaben Es folgen weitere Übungsbeispiele, die dem Umgang mit dem Zustandsvektor dienen. Um die Kopenhagener Auffassung [vgl. Beitrag Interpretationen von Joachim Lillig in diesem Heft], erst Messung liefert eine Eigenschaft bzw. eine Realität, nachvollziehen zu können, sollte man die Zustandsvektoren zunächst in ganz ausführlicher Art verbalisieren, der Einfluss des Aufbaus der Messung wird deutlicher. Beispiel 1: Messung, ob das System im Zustand |durch Spalt 1> Nun interessiert nur, ob das System nach der Messung in einem bestimmten Zustand ist oder nicht, beispielsweise im Zustand |durch Spalt 1>; es handelt sich um eine Ja-NeinEntscheidung. Wie im Beispiel vorher könnte man mit den Eigenvektoren |1> und |2> arbeiten; deutlicher ist die Darstellung |ja> : = |Registrierung in Detektor 1, Spalte offen, Präparierung auf p0>, |nein> : = |keine Registrierung in Detektor 1, Spalte offen, Präparierung auf p0>; Interpretationen der Quantentheorie 51 Fachliches Potential des Doppelspaltexperiments Joachim Lillig dann hat ein allgemeiner Zustand die Form |ψ> = a1 |ja> + a2 |nein> = |ja> <ja|ψ > + |nein> <nein|ψ> . Der passende Operator ist nun der Projektionsoperator mit P |ja> = |ja> und P |nein> = |0>. Damit gilt allgemein P |ψ> = P |ja> <ja|ψ> + P |nein> <nein|ψ> = |ja> <ja|ψ>, demnach P = |ja> <ja|. Die Eigenwerte folgen entweder – aus P = |ja> <ja| = |ja>1 <ja| + |nein> 0 <nein|, also sind 1 und 0 Eigenwerte; – oder aus P 2 = P , also α2 = α , d. h. α = 1 oder α = 0; – oder aus P |ja> = |ja> <ja|ja> = 1 · |ja> und P |nein> = |ja> <ja|nein> = 0 |ja> = |0> = 0 |nein> . Offenbar lässt sich jeder Operator aus Projektionsoperatoren generieren. Beispiel 2: Ein Spalt geschlossen: Einfachspaltexperiment Das Doppelspaltexperiment wird zu einem Einfachspaltexperiment, indem ein Spalt verschlossen wird. Das Elektron muss nun den offenen Spalt passieren, es gibt nur einen einzigen Eigenzustand |D> : = |Durchgang durch den offenen Spalt, Präparierung auf p0> mit einem einzigen Messwert λ. Der zugehörige Hilbertraum ist das Erzeugnis von |D> und hat die Dimension 1. Ein beliebiges Element des Hilbertraums hat die Form |ψ> = a |D>, wobei a = a <D|D> = <D|ψ> die Übergangsamplitude darstellt. Der passende Operator muss Ô |D> = λ |D> erfüllen, also ist Ô |ψ> = Ô a |D> = λ |D> <D|ψ>, was Ô = |D> λ <D| ergibt. Beispiel 3: Messung des Auftreffortes am Schirm Im folgenden Beispiel ist der Hilbertraum unendlichdimensional. Messwerte sind alle Stellen x auf dem Schirm, das Spektrum ist kontinuierlich. x y Quelle 52 Spalt Schirm Für alle Zustände sind die Präparierung auf p0 an der Stelle (x = 0, y = 0), der Durchgang durch zwei offene Spalte und die Registrierung am Schirm, der an der Position y (> 0) steht, identisch und können deshalb vereinfachend weggelassen werden (hierbei wird das Doppelspaltexperiment als zweidimensionales Problem betrachtet mit Schirm parallel zur x- Interpretationen der Quantentheorie Joachim Lillig Fachliches Potential des Doppelspaltexperiments Achse, Ausbreitung längs y-Achse); mit dieser Vereinbarung beschreibt man einen Zustand vereinfacht als |x> = |Registrierung an der Stelle x, beide Spalte offen, Präparierung auf p0>. Der Hilbertraum ist das Erzeugnis aller Zustände |x>, ein beliebiger Zustand hat dann die Form |ψ> = a1 |x1> + a2 |x2> + … <x|ψ> ist die Amplitude, dass das Elektron mit Anfangsimpuls p0 bei x registriert wird, dass das Elektron vom Zustand |ψ> in den Zustand |x> übergeht, dass das Elektron im Zustand |ψ> einen Anteil des Zustandes |x> besitzt, der durch die komplexe Zahl <x|ψ> beschrieben wird. ∞ Es ist <x|ψ> = –∞ ∞ ax’ <x|x’> dx’ = –∞ ax’ δ (x – x’) dx’ = ax . ∞ Damit erhält |ψ> die Form |ψ> = –∞ ∞ ax |x> dx = |x> <x|ψ> dx . –∞ Ist das Elektron nach der Präparierung bereits im Eigenzustand |x>, d. h. |ψ> = |x>, dann wird dieser Zustand durch die Messung nicht verändert und liefert dasselbe Messergebnis (Wiederholbarkeit der Messung), mit anderen Worten, der gesuchte Ortsoperator muss Ô |x> = x · |x> erfüllen. Daher ist Q = x · ein geeigneter Operator. Allgemein ist ∞ Q |ψ> = Q ∞ |x> <x|ψ> dx = –∞ ∞ x |x> <x|ψ> dx oder Q |x> <x|ψ> dx = –∞ –∞ ∞ |x> · x · <x| dx . Q= –∞ Bewertung der Version ψ als Zustandsvektor + Interpretationen werden gut vorbereitet und verständlicher; + der Bedeutungswandel einiger klassischer Begriffe wie Raumzeit-Einbettung oder physikalisches Objekt wird deutlich; + Paradoxien wie die Schrödinger-Katze oder EPR-Experimente können erläutert und vermieden werden; – der Formalismus ist anspruchsvoll. Interpretationen der Quantentheorie 53 Fachliches Potential des Doppelspaltexperiments Joachim Lillig 3.3.3 Übliche Herleitung von p = h/λ ist nur heuristisch/propädeutisch t0 < t1 λ (t1) p = p (t0) ≠ Zeitpunkt Wellenlänge p1, p2, p3, … p (t1) ??? Impuls Hat man die Sprechweise der Zustandsvektoren parat, so lässt sich beispielsweise gut verstehen, dass die Teilchen- und Wellenbild koppelnden Beziehungen W = hf = hω und p = h/λ = hk nicht hergeleitet werden können. Im Unterricht wird in der Regel nach üblichem Schema ermittelt: Sind p der Impulswert der Präparation und λ die am Schirm ermittelte Wellenlänge, so führen die Beobachtungen zu einer Proportionalität λ ~ 1/p mit dem Proportionalitätsfaktor h. Trotz des klassisch einwandfreien Vorgehens wird in der Literatur von heuristischen oder propädeutischen Betrachtungen gesprochen und davon, dass der Versuch nicht als Herleitung verstanden werden darf; in der Regel wird man dann mit dieser Anmerkung allein gelassen. Wieso ist dieses Vorgehen propädeutisch und darf nicht als Herleitung verstanden werden? Eine genauere Analyse zeigt, dass der Impuls p = p (t0) zur Zeit t0 präpariert, die Wellenlänge λ = λ (t1) hingegen zu einem späteren Zeitpunkt t1 > t0 festgestellt wird. Eine Impulsmessung nach dem Spaltdurchgang lieferte aber unterschiedliche Impulswerte. Wenn nun hinter dem Spalt dem Elektron kein eindeutiger Impulswert zugeordnet werden kann, ist völlig unklar, welcher Impuls dem durch Messung eindeutig bestimmten λ gemäß h/p entsprechen soll. Die im Versuch ermittelte Beziehung p (t0) = h/λ (t1) ist wegen t0 ≠ t1 kaum zu halten; in p (t1) = h/λ (t1) ist völlig unklar, was p (t1) bedeutet! Die Problematik löst sich auf, wenn wir unser Wissen über Zustandsvektoren einbringen und bedenken, dass alle Zustände |ψ>, |p> oder |x> in demselben Hilbertraum liegen und in derselben Basis darzustellen sind; eine Aufspaltung beim Doppelspaltexperiment in Präparierung auf p0 – Spaltdurchgang – Registrierung am Schirm, insbesondere mit einer Beschreibung, die diesen drei Versuchsbestandteilen je eigene Zustandsvektoren wie |p0>, |D> oder |x> zuordnet, womöglich noch aus verschiedenen Hilberträumen, ist nicht gestattet. Jeder Zustand beschreibt alles, von der Präparierung über den Spaltdurchgang bis zur Registrierung. Daher ist eine Trennung in der Quantentheorie nicht zulässig. Raumzeitpunkte zwischen Präparierung und Registrierung werden in der Quantentheorie überhaupt nicht erwähnt. Mit anderen Worten, die Beziehung p = h/λ bzw. λ = h/p ist zu jedem Zeitpunkt, d. h. sowohl vor als auch hinter dem Spalt, entweder richtig oder falsch, daher kann sie nicht durch das Experiment hergeleitet, sondern muss axiomatisch gefordert werden. [In der Schule lässt sich die Einsicht in die Beziehung p = h/λ experimentell nicht am Doppelspaltexperiment, sondern an der Elektronenbeugung gewinnen. Die Elektronen werden auf die Spannung U präpariert, die über den Energiesatz theoretisch in den Impuls p umgerechnet wird; am Schirm werden Ringe beobachtet, deren Radien r gemessen werden, und diese Ringe werden theoretisch als Wellenmuster gedeutet und führen so zu einer Wellenlänge λ. Eine Auswertung ist mit p = h/λ im Einklang.] 54 Interpretationen der Quantentheorie Joachim Lillig Fachliches Potential des Doppelspaltexperiments 3.3.4 Dualismus? In strengem Sinne besagt der Welle-Teilchen-Dualismus, dass ein Elektron sich entweder als Teilchen oder als Welle zeigt, aber nie als beides gleichzeitig. Beim Doppelspaltexperiment zeigt ein Einzelelektron aber – einerseits nie ein Interferenzmuster, ist also niemals eine Welle; – andererseits muss jedes einzelne Elektron wissen, ob 2 Spalte oder 1 Spalt geöffnet sind [auch beim Einzelspalt muss ein Elektron wissen, dass nicht noch ein zweiter offener Spalt in der Nähe ist]. Demnach zeigt jedes einzelne Elektron gleichzeitig Teilchen- und Wellencharakter. In diesem Sinne gibt es keinen Dualismus. Vergleich Zylinder Stecke Zylinder in Zylinder zeigt von oben von der Seite Kreisbox Rechteckbox Kreischarakter Rechteckcharakter In Schulbüchern findet man häufig die Auffassung vor, dass ein Elektron sich – bei der Ausbreitung wie eine Welle, – bei einer Wechselwirkung wie ein Teilchen verhält. In diesem Sinne wird von Dualismus gesprochen. Interpretationen der Quantentheorie 55 Fachliches Potential des Doppelspaltexperiments Joachim Lillig Bedenken Wer sich dieser Schulbuchauffassung anschließt, sollte bedenken: – In der Quantentheorie gibt es keine Differenzierung Teilchen – Welle, Objekte der Quantentheorie sind Quanten. – In der Quantentheorie gibt es keine Zerlegung in Präparation – Ausbreitung – Spaltdurchgang – Registrierung, wie die Zustandsbeschreibung |x> = |Registrierung bei x, beide Spalte offen, Präparierung auf p0> besagt, unter Anderem werden Raumpunkte zwischen Präparierung und Registrierung nicht erwähnt. – Während der Ausbreitung wird nicht beobachtet! Woher stammt dann das Wissen über ein Wellenverhalten? – Wellenartig ist die Wahrscheinlichkeitsverteilung, nicht das Teilchen. – Wechselwirkung geschieht bei der Registrierung am Schirm, dort wird bei der Lokalisierung zwar Teilchenverhalten, insgesamt aber ein Wellenmuster beobachtet. – Der Spaltdurchgang verändert das Muster am Schirm, daher spricht man auch von einer Wechselwirkung mit dem Spalt. Diese ist nur wellentheoretisch verständlich, denn bei teilchenhaftem Verhalten passierte das Elektron entweder Spalt 1 oder Spalt 2, im Gegensatz zur Beobachtung müsste das Teilchenmuster registriert werden. – Beim Doppelspaltexperiment mit Spaltbeobachtung zeigt sich kein Interferenz-, sondern ein Teilchenmuster. Ist die Ausbreitung dennoch wellenartig? Vorschlag In der Quantentheorie werden Teilchen- und Wellenbild zusammen gedacht, was jeglicher makroskopischen Erfahrung widerspricht. Der in der Vorphase der Quantentheorie eingeführte Dualismus ist eigentlich längst überwunden und sollte meiner Meinung nach nicht mehr im Unterricht erwähnt werden, es sei denn aus historischen Gründen. (Stichhaltigste Begründung: In der heute grundlegendsten Theorie, der Quantenfeldtheorie, gibt es keinen Dualismus.) 56 Interpretationen der Quantentheorie Joachim Lillig Fachliches Potential des Doppelspaltexperiments 3.3.5 Anhang: Axiome der Quantentheorie und Schrödingergleichung Axiome der Quantentheorie Physik ist – interpretierter Formalismus, – die Theorie der Zustände und Zustandsänderungen und – die Theorie des Messens. Ein zu beschreibendes physikalisches System (bestehend aus Teilchen und/oder Feldern) befindet sich in Zuständen, die durch Messwerte von gleichzeitig messbaren Observablen festgelegt sind. Dem Zustand, dem physikalischen System und den Observablen müssen nun Symbole in einem mathematischen Formalismus zugeordnet werden. Die mathematische Theorie liefert neue mathematische Ergebnisse, die in der Natur zu interpretieren sind. Zuordnungen der Quantentheorie 1. Zustand ↔ physikalisches System ↔ 2. Observable ↔ Vektor, insbesondere Wellenfunktion (garantiert Superpositionsprinzip, damit Interferenzbild); Hilbertraum komplexer Vektorraum (Superpositionsprinzip) vollständig (Cauchyfolgen konvergieren) es gibt ein hermitisches, positiv definites Skalarprodukt (garantiert Normierbarkeit, Orthogonalisierbarkeit) abzählbare Basis Operator Daraus erwachsen die beiden Axiome der Quantentheorie: 1. Postulat der Quantentheorie: Zustandsaxiom Der Zustand eines physikalischen Systems wird durch einen normierten Vektor aus einem Hilbertraum repräsentiert. Physikalisches Prinzip (Axiom der zeitlichen Entwicklung – innere Dynamik): ψ genügt der Schrödingergleichung ih ∂|ψ> = H |ψ> . ∂t Interpretationen der Quantentheorie 57 Fachliches Potential des Doppelspaltexperiments Joachim Lillig 2. Postulat der Quantentheorie: Observablenaxiom Die Messgrößen/Observablen des physikalischen Systems werden durch hermitische Operatoren repräsentiert. Die Eigenvektoren dieses Operators spannen im Hilbertraum eine orthonormierte Basis auf (Vollständigkeitsaxiom). Physikalische Prinzipien: 1. Die einzig möglichen Messwerte sind die Eigenwerte des zur Observablen gehörenden Operators. 2. Nach der Messung befindet sich das System in dem zu dem Eigenwert gehörenden Eigenzustand (Reduktion des Wellenpakets / Quantensprung). 3. Die Absolutquadrate |<ϕ|ψ>|2 beschreiben die Wahrscheinlichkeit, dass bei einer Messung ein Zustand |ψ> in den Zustand |ϕ> übergeht. Kommentare – Die Zustände eines physikalischen Systems ändern sich auf zwei Arten: 1. ohne äußere Einwirkung, deterministisch gemäß der Schrödingergleichung (vgl. Zerfließen eines Wellenpakets) (Dynamik I) (vgl. Beitrag von Rolf Seibel-Schüürmann in diesem Heft); 2. akausal durch eine Messung, mathematisch beschrieben durch Operatoren und eine unstetige Projektion (Dynamik II). – Das Zustandsaxiom der Quantentheorie entspricht der Struktur nach anderen Zustandsaxiomen der klassischen Physik, jedoch entspricht ψ keinem Element der Realität. Zum Observablenaxiom gibt es in der klassischen Physik kein Pendant, weil dort Messapparate die Messwerte prinzipiell nicht ändern. – Um das Observablenaxiom besser zu verstehen, betrachten wir den prinzipiellen Aufbau der Messung eines Mikroobjekts: Phänomenebene beispielsweise Mathematische Ebene 58 Präparierung Apparat auf Impulswert p 0 Doppelspalt Zustand |ψ> Operator  Registrierung Ortswert x am Schirm Zustand |ϕ> Interpretationen der Quantentheorie Joachim Lillig Fachliches Potential des Doppelspaltexperiments Anmerkungen zu Messung (vgl. Beitrag von Rolf Seibel-Schüürmann in diesem Heft) – Ein (klassisches) physikalisches System wird quantisiert, indem den Observablen geeignete Operatoren zugeordnet werden. Mit Hilfe dieser Operatoren sollen alle Messwerte theoretisch vorhergesagt werden. Dieses ehrgeizige Programm ist in der Quantentheorie aufgegeben worden. Es stellt sich nämlich heraus, dass Messwerte statistisch streuen und z. B. beim Doppelspalt Wellenmuster bilden. Die Auswahl eines Wertes aus dem Spektrum ist bis heute durch Nichts zu beeinflussen, in der Quantentheorie wird sie als zufällig angenommen. So besteht die Aufgabe darin, alle Messwerte, die auftreten können, zu finden und die Wahrscheinlichkeit vorherzusagen, mit der die einzelnen Messwerte eintreten können. Dies ist mit Hilfe von |ψ> und  möglich. – Da Messwerte reell sind, muss der lineare Operator  hermitisch sein. – Ist das System nach der Präparierung im Zustand |ψ> und nach der Registrierung im Zustand |ϕ>, wobei der Messwert λ festgestellt worden ist, dann wird dies mathematisch durch  |ψ> = λ |ϕ> wiedergegeben. Wird nun die Messung sofort wiederholt, so wird nach dem Axiom der Reproduzierbarkeit einer Messung wiederum der Wert λ gemessen, d. h. Â|ϕ> = λ|ϕ>. Folglich ist λ Eigenwert des Operators und |ϕ> Eigenvektor. So können nach einer Messung nur Eigenzustände als Zustände auftreten, und Messwerte sind stets Eigenwerte. Ein Eigenzustand wird durch eine Messung nicht verändert; ist |ψ> kein Eigenzustand, dann ist offen, in welchen Eigenzustand das System durch die Messung übergeht. – Sind |ϕj> die Eigenvektoren des Operators, so bilden sie eine Basis des Hilbertraums, und der präparierte Zustand |ψ> lässt sich als Linearkombination dieser Basis darstellen: |ψ> = ∑ aj |ϕj> . Die Messung wird nach dem 2. Prinzip im Observablenaxiom durch eine unstetige Projektion von |ψ> auf den registrierten Eigenzustand |ϕj> beschrieben. Bis heute werden alle Versuchsergebnisse durch diese akausale Zustandsreduktion korrekt beschrieben, die Reduktion bleibt physikalisch jedoch unverstanden und ist durch das Observablenaxiom in der Quantentheorie ausgeklammert. In diesem Sinne ist die Quantentheorie unvollständig und kann daher nicht als endgültige Theorie gelten. Die Quantentheorie ermöglicht Aussagen über die Messergebnisse, man weiß aber nicht, wie sie zustande kommen. Die Axiome der Quantentheorie sind nicht ganz aus der Luft gegriffen, sie sind aus den Forderungen der Zeitsymmetrie (impliziert die Energieerhaltung), der Ortssymmetrie (impliziert die Impulserhaltung) und der Richtungssymmetrie (impliziert die Drehimpulserhaltung) herzuleiten. Insbesondere ist die Wahrscheinlichkeitsinterpretation eine Konsequenz und keine Zusatzannahme. Interpretationen der Quantentheorie 59 Fachliches Potential des Doppelspaltexperiments Joachim Lillig Schrödingergleichung Die Schrödingergleichung ist eine Bewegungsgleichung und beschreibt, wie und dass sich ein Zustand ohne äußere Einwirkungen in Raum und Zeit deterministisch ändert. 1. Möglichkeit Wir suchen nach einer Differentialgleichung, die sehr einfache Lösungen für ein freies Teilchen liefert: ψ (x,t) = a ei (k x – ω t) mit p = hk, W = hω . Dazu müssen die individuellen Parameter ω und k eliminiert werden. Dabei ist ω eine Funktion in k, wie der Ansatz aus der Energiedarstellung ergibt: Einerseits ist im Teilchenbild Wkin = mv2/2, andererseits im Wellenbild W = hf = hω. Einsetzen liefert die Beziehung W mv2 m2v2 p2 h2k2 ω= = = = = = h k2 . h 2h 2hm 2hm 2hm 2m h 2 Damit gilt für die ebene Welle ψ (x,t) = a ei kx – 2m k t . Um eine allgemeine Grundgleichung zu erhalten, muss noch der Parameter k eliminiert werden; dazu bilde die Ableitungen ∂2ψ ∂ψ 2 h = i k 2 ψ (x,t) . = –i k ψ (x,t) und 2 2m ∂t ∂x Es folgt ∂ψ ∂2ψ =i h 2m ∂x2 ∂t als Schrödingergleichung für freie Teilchen. 2 ∂ ψ ∂ψ h2 ∆ψ lässt sich ein äußeres Poten=– h = – 2m ∂x2 2m ∂t 2 In die üblichere Schreibweise ih tial V leichter einbringen: ih 60 2 ∂ψ = – h ∆+V ψ=Hψ . 2m ∂t Interpretationen der Quantentheorie Joachim Lillig Fachliches Potential des Doppelspaltexperiments Bei der Schrödingergleichung ist ∂ψ/∂t ~ ∂2ψ/∂x2, in der klassischen Wellengleichung dagegen ∂2ψ/∂t2 ~ ∂2ψ/∂x2 . Klassische Wellen s (x,t) = a ei(kx – ckt) und ψ erhalten beide in der zweiten räumlichen Ableitung ∂2/∂x2 den Faktor k2. Diesen Faktor k2 erhält man im klassischen Fall wegen ω ~ k (ω/k = cp = v = c) erst durch die zweite zeitliche Ableitung ∂2/∂t2, im Falle der Materiewelle ψ wegen ω ~ k2 bereits durch die erste zeitliche Ableitung ∂/∂t. Demnach ist die Schrödingergleichung keine klassische Wellengleichung. Und in der ersten zeitlichen Ableitung bleibt im Faktor ih die imaginäre Einheit i stehen, die im klassischen Fall in der zweiten zeitlichen Ableitung wegen i2 = –1 nicht mehr vorkommt. So ist die Schrödingergleichung wesentlich komplex. Auch die Lösungen sind wesentlich komplex: Ein freies Teilchen wird durch ψ (x,t) = a ei(kx – ωt) beschrieben. Frequenz ω, Wellenzahl k und damit Energie und Impuls sind eindeutig bestimmt. Die Wahrscheinlichkeitsdichte P (x,t) = |ψ (x,t)|2 = |a|2 ist konstant und unabhängig von x, so ist die Wahrscheinlichkeit, das Teilchen anzutreffen, überall gleich, hinsichtlich der Lage besteht eine große Ungewissheit. Würde hierbei ψ durch eine reelle Sinuswelle beschrieben werden, so änderte sich das Betragsquadrat von Punkt zu Punkt, P (x,t) wäre nicht konstant. Daher muss ψ komplexwertig sein. 2. Möglichkeit Die Schrödingergleichung entspricht dem Energiesatz der klassischen Mechanik: W = p2/(2m) + V . Der Energiesatz soll mit der Wellenfunktion ψ (x,t) = a ei(kx – ωt) in Einklang gebracht werden; W wird beschrieben durch die Anzahl der Schwingungen, p durch die Anzahl der Wellen, und zwar W = hω bzw. p = hk. Eingesetzt: h2k2 hω = +V. 2m ω und k2 erhält man durch die 1. zeitliche bzw. die 2. räumliche Ableitung i ∂ψ 1 ∂2ψ 2 und k = – . ω= ψ ∂t ψ ∂x2 Einsetzen und mit ψ multiplizieren ergibt die Schrödingergleichung 2 ∂ψ ih = – h ∆+V ψ=Hψ . 2m ∂t Vergleich mit dem Energiesatz liefert zusätzlich die Operatoren 2 2 ∂ ∂ ∂ h h und W = – P= = ih . 2 i ∂x 2m ∂x ∂t Es ist Aufgabe der Quantenmechanik, diese Schrödingergleichung für wichtige Potentiale V zu lösen; exakte Lösungen sind nur in wenigen Fällen möglich, etwa für ein lineares Potential oder für ein Coulombpotential. Interpretationen der Quantentheorie 61 Fachliches Potential des Doppelspaltexperiments Joachim Lillig 3.4 Information 3.4.1 Doppeldoppelspalt und Verschränkungen Werden zwei unabhängige Quantensysteme durch ψ1 und ψ2 beschrieben, so kann das Gesamtsystem durch den Produktzustand ψ1⊗ψ2 im Produkt der Hilberträume beschrieben werden. Sind die Systeme nicht unabhängig voneinander, so spricht man von Korrelationen oder Verschränkungen. Wegen der Korrelationen enthält der Produktraum zu viele Zustände. Die durch ein Herausdividieren der Korrelationen entstehende Verkleinerung (Tensorprodukt) hat zur Folge, dass die Zustände des Gesamtsystems nicht mehr in Produkte der Teilsysteme zu zerlegen sind, den Teilsystemen können dann der Theorie nach keine einzelnen Zustandsfunktionen mehr zugeordnet werden. Unabhängig von ihrer Entfernung sind die beiden räumlich getrennten Teilsysteme durch Phasenbeziehungen (die es in der klassischen Physik nicht gibt) gekoppelt und werden durch eine Wellenfunktion bzw. einen Zustandsvektor beschrieben. Der Gesamtzustand ψ stellt einen nichtlokalen Zustand dar. Wie die Experimente, die die Bellsche Ungleichung (vgl. Kapitel 3.4.3) verletzen, zeigen, sind verschränkte Zustände keine formale Sache, sondern eine reale Eigenschaft der Natur. Beispiele – Zweiteilchensysteme wie Moleküle oder das H-Atom; – Messungen von Makrosystemen; – Teilchen mit gemeinsamem Ursprung wie Elektron und Positron nach einer Paarbildung oder Zwillingsphotonen bei EPR-Experimenten. Doppelspalt und Doppeldoppelspalt (vgl. Beitrag von Wolfram Mai in diesem Heft) Quelle Zwilling 1 Zwilling 2 Downkonverter Schirm 1 62 Schirm 2 Interpretationen der Quantentheorie Joachim Lillig Fachliches Potential des Doppelspaltexperiments Beim Doppeldoppelspalt werden Zwillingsphotonen erzeugt, die verschränkt sind und daher nur ein Quantensystem bilden, ein Diphoton. Dieser eine Zustand enthält die Verschränktheit und so den quantentheoretischen Holismus. Eine Messung an nur einem Teilsystem bedeutet stets Messung des ganzen Systems, zwischen den Zwillingen gibt es keine Informationsübertragungen oder vermittelnde Felder und daher auch keinen Widerspruch zur Relativitätstheorie, nach der Informationen und Wirkungen sich nicht schneller als mit Lichtgeschwindigkeit ausbreiten können. Eine Messung des Spaltdurchgangs im linken Aufbau ist daher gleichzeitig eine Messung im rechten Teil, Spaltmessung links impliziert WelcherSpaltInfo rechts, nach der Quantentheorie gibt es daher kein Interferenzmuster (Regel 4 der Grundprinzipien). Das Aufstellen von Spaltdetektoren (wie Polarisationsfolien im Spalt) ist jedoch nicht nötig, die Androhung genügt, potentielles Wissen reicht. Daher ist auch ohne solche Informanten keine Interferenz zu beobachten. Das heißt, dass ψ nicht nur reale Informationen enthält, sondern alle Informationen, die man möglicherweise erhalten könnte. So ist ψ ein vollständiger Wissenskatalog, die Quantentheorie ist in diesem Sinn vollständig, ψ beschreibt nicht nur, was ist, sondern auch, was sein könnte. Positioniert man am linken Schirm an einer fixierten Stelle einen Detektor, so kann man am rechten Schirm Interferenz feststellen, wenn man dort einen Detektor am Schirm entlang führt und Koinzidenzen protokolliert, ob beide Detektoren also gleichzeitig ansprechen. In diesem Sinne liefern beide Schirme zusammen Interferenz, die Einzelschirme nicht. Interpretationen der Quantentheorie 63 Fachliches Potential des Doppelspaltexperiments Joachim Lillig 3.4.2 Quantenradierer Beim Doppelspaltexperiment sind wir zur Überzeugung gelangt, dass das bloße Vorhandensein eines WelcherSpaltDetektors ein Interferenzmuster verhindert, unabhängig davon, ob die Spaltinformation abgefragt wird. Beim EPR-Doppelspalt reicht bereits die Androhung, man könnte in einem Teil des Versuchsaufbaus einen Spaltmarkierer anbringen. mit Folie diagonal Beim normalen Doppelspaltexperiment mit Photonen kann man zur Spaltmarkierung beispielsweise waagerecht und senkrecht ausgerichtete Polarisationsfolien in die einzelnen Spaltöffnungen anbringen. Stellt man nun zwischen markierten Doppelspalt und Schirm einen diagonal ausgerichteten Polarisator, so wird die Spaltinformation gelöscht und es erscheint wieder das Interferenzmuster (nach Regel 1 der Grundprinzipien). Entscheidend ist allein, ob die gewonnene Information über die Spaltpassage aus dem beobachteten System heraus und zum Beobachter gelangen kann. Löscht man durch den Einbau eines Quantenradierers die WelcherSpaltInfo noch innerhalb des Systems wieder aus, so erscheint erneut das Interferenzmuster. Die Interpretation des Messvorgangs als irreduzible Störung des Objekts ist nicht mehr haltbar, es handelt sich stattdessen um einen reversiblen Informationsgewinn. Wird die hinzugewonnene Information (Spaltdurchgang – Teilchencharakter) noch innerhalb der Versuchsanordnung wieder gelöscht, wird der Wellencharakter in Form der Interferenz wieder messbar. Doppeldoppelspalt mit Quantenradierer Beklebt man in einem Doppeldoppelspaltaufbau nur den linken Doppelspalt mit waagerechten und senkrechten Polarisationsfolien, der rechte Doppelspalt wird nicht markiert, so erhält man nach Regel 4 der Grundprinzipien links und rechts keine Interferenz; bringt man nun links zwischen markierten Doppelspalt und Schirm zusätzlich eine diagonale Polarisationsfolie als Quantenradierer, so erhält man nach Regel 1 der Grundprinzipien links wiederum Interferenz, rechts aber keine. Beide Schirme zusammen (Koinzidenzmessung) liefern wiederum Interferenz. 64 Interpretationen der Quantentheorie Joachim Lillig Fachliches Potential des Doppelspaltexperiments 3.4.3 Anhang: Bellsche Ungleichung (vgl. Beitrag von Wolfram Mai in diesem Heft) Die mengentheoretische Beziehung W W V V B B W∩V W ⊇ (W ∩ B) V B ∪ (V ∩ B) ist trivial. In Zeilingerscher Verbalisierung: Die Anzahl der weiblichen Vorzugsschülerinnen ist kleiner oder gleich der Summe der weiblichen Brillenträger und der Anzahl der Vorzugsschüler, die keine Brille tragen: N (W,V) ≤ N (W,B) + N (V,B) . Und dies entspricht dem Inhalt der Bellschen Ungleichung! Trickreich ist bei der Beschreibung von zwei Eigenschaften W und V die Hinzunahme einer dritten Eigenschaft B. Wir übersetzen in die Situation von polarisierten Zwillingsphotonen: Detektor 1 1. Polarisator 2. Polarisator Detektor 2 2-Photonen-Quelle Es sollen zwei Eigenschaften (Polarisationsrichtungen α und β) beobachtet werden, weshalb Paare identischer Zwillinge gewählt werden müssen; hierzu wird eine dritte Eigenschaft (Polarisationsrichtung γ) hinzu gezogen. Beobachtung: Bei parallelen Polarisatoren (α = β) sprechen die Detektoren 1 und 2 stets gleichzeitig an (Koinzidenzen), bei orthogonalen (α ⊥ β) nie. Klassische Erklärungsversuche 1. Hypothese: Die beiden Photonen werden mit der gleichen Polarisation emittiert, die Polarisationsrichtung variiert von Photonen- zu Photonenpaar. Interpretationen der Quantentheorie 65 Fachliches Potential des Doppelspaltexperiments Joachim Lillig Diese Hypothese widerspricht dem Experiment, denn bei orthogonalen Polarisatoren müssten von den zu diesen diagonal (45°) polarisierten Paaren die einzelnen Photonen mit der Wahrscheinlichkeit 1/2 unabhängig voneinander passieren, es müssten also manchmal beide Detektoren klicken, was nie geschieht. Folglich besitzen die Photonen keine Polarisatonsrichtung. 2. Hypothese: In einer Instruktionsliste sei festgelegt, ob die Photonen einen in eine bestimmte Richtung orientierten Polarisationsfilter passieren oder nicht (dies entspräche der Annahme verborgener Parameter). Nun bezeichne N (α,β) die Anzahl der Photonenpaare, die bei α-Stellung des ersten Polarisators und bei β-Stellung des zweiten beide Detektoren klicken lassen; nach Bellscher Idee führe eine dritte Polarisationsrichtung γ ein, und wir erhalten die Abschätzung N (α,β) ≤ N (α,γ) + N (β,γ) , wobei N (b,γ) die Anzahl der Photonenpaare ist, bei denen Detektor 1 bei β-Stellung des 1. Polarisators klickt und Detektor 2 bei γ-Stellung des 2. Polarisators nicht klickt. Nach Division durch die Anzahl N aller Photonenpaare, die bei parallelen Polarisatoren beide Detektoren passieren, also N (α,β) N (α,γ) N (β,γ) , ≤ + N N N (*) erreicht man den Übergang zu Wahrscheinlichkeiten. Diese Ungleichung muss nun jede Theorie mit verborgenen Parametern erfüllen. In der Quantentheorie (vgl. Beispiel in 3.3.1) werden die Wahrscheinlichkeiten durch die Quadrate cos2 und sin2 beschrieben, das Argument ist die Differenz der Stellungen der Polarisatoren 1 und 2. sin α α cos α Setzt man diese quantentheoretischen Wahrscheinlichkeiten in die Bellsche Ungleichung (*) ein, so folgt die Beziehung cos2 (β – α) ≤ cos2 (γ – α) + sin2 (γ – β) . (**) Für α = 0°, β = 30° und γ = 60° folgt der Widerspruch 3/4 ≤ 1/4 + 1/4 . Alle lokalen Theorien mit verborgenen Parametern genügen der Bellschen Ungleichung, die Quantentheorie erfüllt gemäß (**) diese Ungleichung nicht. Experimentelle Befunde widerlegen für Quanten die Bellsche Ungleichung und bestätigen die Quantentheorie, damit ist auch die zweite Hypothese nicht haltbar. So erhalten Photonen in der Quelle weder eine Polarisationsrichtung noch gibt es eine durch verborgene (unmessbare) Parameter festgelegte Instruktionsliste für ein Verhalten der Photonen, wenn sie Polarisatoren begegnen sollten. Nach Bohr wird erst im Moment der Messung die Realität der Polarisation erzeugt, und zwar am ganzen System Diphoton, d. h. beide Einzelphotonen erhalten gleichzeitig dieselbe Polarisationsrichtung, ohne dass ein dazwischen liegendes Feld dies vermitteln müsste. 66 Interpretationen der Quantentheorie Joachim Lillig Fachliches Potential des Doppelspaltexperiments 3.5 Unklassisch und unverzichtbar Wir stellen noch einmal Merkmale aus dem Mikrobereich zusammen, die klassisch unverständlich bleiben, auf die die Quantentheorie aber nicht verzichten kann. – Nachdem nicht ψ, aber |ψ|2 messtechnisch relevant ist, könnte man die Meinung vertreten, ganz auf ψ verzichten zu können. Für |ψ|2 kann es aber keine Schrödingergleichung geben, da die Entwicklungen von Quanten nicht vorhergesagt werden können. Deshalb müssen in der Schrödingergleichung zusätzliche Parameter enthalten sein, die bei einer Messung verloren gehen, das sind die Phasen. Die Quantentheorie muss mit mathematischen Objekten hantieren, die solche Phasen enthalten und die der Schrödingergleichung genügen, und das tut ψ, nicht aber |ψ|2. – Mit Hilfe der Operatoren und der Zustandsvektoren sollen in einer Theorie alle Messresultate theoretisch vorhergesagt werden. Dieses ehrgeizige Programm ist in der Quantentheorie aufgegeben worden. Es stellt sich nämlich heraus, dass Messwerte statistisch streuen und Wellenmuster bilden. So besteht die Aufgabe darin, alle Messwerte, die auftreten können, zu finden und die Wahrscheinlichkeit vorherzusagen, mit der die einzelnen Messwerte eintreten können. – Die Quantentheorie ist wesentlich komplex. a) Die Schrödingersche Grundgleichung enthält den Faktor i. b) Für die Lösung ψ (x,t) = a ei(kx – ωt) des freien Teilchens ist die Wahrscheinlichkeitsdichte P (x,t) = |ψ (x,t)|2 = |a|2 konstant und unabhängig von x. So ist die Wahrscheinlichkeit, das Teilchen anzutreffen, überall gleich. Wäre ψ eine reelle Sinuswelle, so änderte sich das Betragsquadrat von Punkt zu Punkt, P (x,t) wäre nicht konstant. Daher muss ψ komplexwertig sein. – Superpositionen sind nicht messbar, aber sie existieren: Beim Doppelspaltexperiment existiert vor der Registrierung ein quantenmechanischer Zustand, der die beiden Möglichkeiten, entweder durch Spalt 1 oder durch Spalt 2 zu gehen, als Superposition mit gleicher Wahrscheinlichkeit enthält. Sp 2 Sp 1 Solche Überlagerungen existieren, denn andernfalls gäbe es nur die beiden Zustände |durch Spalt 1> oder |durch Spalt 2> . Nach dem Prinzip der Wiederholbarkeit einer Messung müsste ein Elektron im Zustand |durch Spalt 1> den Spalt 1 passieren, ein Elektron im Zustand |durch Spalt 2> den Spalt 2. Dann würde die Wahrscheinlichkeitsverteilung durch I1 + I2 beschrieben werden, ein Teilchenbild müsste entstehen, was der Beobachtung widerspricht. Interpretationen der Quantentheorie 67 Fachliches Potential des Doppelspaltexperiments Joachim Lillig – Quantensprung Im Messprozess wird eine der beiden Möglichkeiten |durch Spalt 1> oder |durch Spalt 2> zur Realität, die Superposition wird in nicht deterministischer Weise zerstört. Man spricht – vom Kollaps der Wellenfunktion, – von der Reduktion des Zustandsvektors oder – vom Quantensprung. – Indeterminismus Weil bis heute nicht beeinflusst werden kann, welche der Möglichkeiten realisiert wird, und weil eine physikalische Interpretation des Messprozesses nicht gelungen ist, kann auf den Quantensprung nicht verzichtet werden. Die unstetige Änderung bei der Messung ist eine unausweichliche Konsequenz der Wahrscheinlichkeitsinterpretation von ψ. Diese Reduktion wird nicht mehr durch die stetige Schrödingergleichung beschrieben und bewirkt so einen Indeterminismus in der Quantentheorie. Die zentrale Frage ist, wie dieser Vorgang zustande kommt bzw. wodurch er bewirkt wird. – Heisenbergsche Unschärferelation Quanten können nicht immer gleichzeitig feste Werte von zwei Eigenschaften zugeordnet werden. 4 Literatur Die Literatur findet sich am Ende des Beitrages Interpretationen und Quantenphilosophie von Joachim Lillig in diesem Heft auf Seite 159. 68 Interpretationen der Quantentheorie