Wahrheit und Wirklichkeit aus der Sicht der Quantentheorie Heinrich Stolz Institut für Physik Universität Rostock 29.6.2005 I. Motivation – J. W. Goethe: Das ich erkenne was die Welt im Innersten zusammenhält – Albert Einstein: Wahre Antworten auf die entscheidenden Fragen der Wissenschaft kann nur geschaffen werden von Menschen, die ganz erfüllt sind von dem Streben nach Wahrheit und Begreifen. Diese Gefühlsbasis entstammt der religiösen Sphäre. Über was will ich Wahrheit wissen? Wer bin ich Woher komme ich Wohin gehe ich (Bewußtsein) (Außenwelt) (Zukunft) Alle Aspekte der Wirklichkeit Wahrheit als Voraussetzung verantwortlichen Handelns Woher kommt die Erkenntnis der Wahrheit ? • Tradition, Erfahrung : weise Frauen und Männer • Offenbarung: Gott als Quelle der Wahrheit • Subjektive Diskurswahrheit (Habermas) • Axiomatische Wahrheit (Mathematik, Logik) • Naturwissenschaftliche Methode Modell der Erkenntnis Gibt es Wahrheit ? • Erste Debatte (~1840) » Bolzano Wissenschaftslehre » Nelson Geschichte und Kritikder erkenntnistheorie Bolzano Nelson Behauptung: Zur Erkenntis der Wahrheit: •es gibt keine Wahrheit •Kriterium, das wahr ist, •dieser Satz ist wahr •Meta-Kriterium, •Also gibt es doch Wahrheit •….. Widerspruch unendlicher Regress Abbruch durch Selbstevidenz Die Frage ist nicht entscheidbar! II. Die Naturwissenschaftliche Methode Phänomene Experiment, gezielte Anfrage an die Natur Meßtheorie Mathematische Struktur , Meßtheorie Abbildung der physikalischen Phänomene auf die mathematische Struktur Wechselspiel Experiment Theorie: Spirale der Erkenntnis C.F. Weizsäcker: Kreisgang Die (natur)wissenschaftliche Methode, die in der Physik modellhaft für alle Naturwissenschaften realisiert ist, macht Aussagen, die objektivierbar sind, d.h. deren Wahrheit durch öffentlich nachprüfbare Experimente festgestellt wird und die damit unabhängig vom handelnden Subjekt sind. Diese Art der Wahrheitsfindung ist 1. Immer nur näherungsweise 2. Vertrauenswürdig 3. Die maximale, die uns Menschen möglich ist ? • Die weitgreifendste physikalische Theorie ist die Quantentheorie. Da alle klassischen Objekte unserer Umgebung aus Quantenobjekten aufgebaut sind, kann die klassische Physik nur ein Spezialfall der Quantenphysik sein. Letzte Realität und Wahrheit in der Natur ist quantenhaft. • Aufzeigen der naturwissenschaftlichen Wahrheit: Zurückführen auf physikalische Theorien: Bislang : Technik, Chemie sehr weitgehend, für die Lebenswissenschaften in ersten Ansätzen III. Klassische Physik • Newton 1642-1727 Ort und Zeit \ ,\ 3 Kraft, Masse und Beschleunigung d 2x F =M⋅ 2 dt Meßgrößen: Kraft, Masse, Ort Zeit Mathematische Struktur : Vektorraum, Differentialgleichung Kausalität und Determinismus I Heroen der klassischen Physik: Kopernikus, Newton, Einstein Verknüpfung der Naturgesetze mit göttlichem Wirken Spinoza: Ethica Ordine Geometrico Demonstrata (1677) Es giebt in der Natur nichts Zufälliges, sondern Alles ist aus der Notwendigkeit der göttlichen Natur bestimmt, auf gewissen Weis so zu seyn und zu wirken Spinoza (1632-1677) Kausalität und Determinismus II 18. Jhd. Naturwissenschaft löst sich von der Religion (im christlichen Sinne) Laplace zu Napoleon: Die Hypothese Gott brauche ich nicht Differentialgleichung 2. Ordnung Eindeutig lösbar (bei Kenntnis der Anfangswerte): Laplacescher Dämon Weltbild der klassischen Physik Zugriff auf das Unendliche Bis heute Vorbild ! Laplace (1749-1827) Seit 1900 hat sich nun eine Umwälzung im Weltbild der Physik vollzogen, dessen Auswirkungen uns alle betreffen, ohne daß wir es richtig zur Kenntnis nehmen: Quantentheorie Ohne Quantentheorie keine Computer (Halbleitertechnologie) keinen Laser keine moderne Chemie und Molekularbiologie In Zukunft (?) keinen Quantencomputer kein Verständnis der Prozesse im Gehirn, Bewußtsein Die Quantentheorie ist einzigartig, weil • Anwendungsgrenzen nicht bekannt • erfolgreichste und genaueste Beschreibung der Natur IV. Die Revolution der Quantenphysik Kurzer Abriß der Geschichte der Quantenphysik • 1900 M. Planck Einführung der Quantenhypothese • 1905 A. Einstein: reale Existenz von Lichtquanten • Licht braucht kein Medium (Äther) • 1913 N. Bohr Erklärung des H-Atoms Kurzer Abriß der Geschichte der Quantenphysik • 1925 Heisenberg : ΔxΔp ≥ = / 2 Unbestimmtheitsrelation • 1926 Schrödinger: ∂ i= Ψ = H Ψ Wellenfunktion ∂t • 1949 Feynman, Tonaga: Quantenfeldtheorie Ψ ( x) Ort • 1964 Bell: Ungleichung •1985 Deutsch Quantencomputer Anyone who is not shocked by quantum mechanics has not understood it. -Niels Bohr Die Behauptungen der Quantentheorie 1. Teilchen verhalten sich wie Wellen (und Wellen wie Teilchen) Teilchen interferieren mit sich selbst, Sie sind außerdem identisch 2. Ihre Eigenschaften erhalten Quantenteilchen erst durch die Beobachtung 3. Die Ergebnisse einer Messung ist wesentlich vom Zufall bestimmt. Es gibt keine Kausalität und keinen Determinismus 4. Quantenteilchen sind nicht-lokal Jedes Teilchen kann im Prinzip überall im Universum gefunden werden 5. Es gibt prinzipiell keine isolierten Objekte, nur näherungsweise. Subjekt-Objekt-Trennung aufgehoben 1. Welle-Teilchen-Dualismus: the quantum mystery Spalt 1 offen Spalt 1 zu Detektoren Spalt 2 zu Spalt 2 offen Spalt 1 offen Spalt 1 zu Detektoren Spalt 2 zu Spalt 2 offen Spalt 1 und 2 offen Spalt 1 und 2 offen Zahl der Elektronen auf Detektor Beugungsbild von Elektronen an einem Doppelspalt Welle-Teilchen-Dualismus nicht nur bei Elektronen, sondern auch bei Makromolekülen Quelle und copyright: Institut für Experimentalphysik,Uni Wien,Abt. Prof.Zeilinger Versuchsergebnis unteres Bild: Die Verteilung des Fullerenstrahls ohne Gitter. oberes Bild: Die Interferenzfigur des Fullerenstrahls nach Passage eines Gitters mit 100nm Gitterkonstanten Die quantenmechanische Messung: Determinismus gegen Zufall Quantenmünze: Klassische Münze: Vor der Messung or Nach der Messung Für einen bekannten Zustand ist das Ergebnis von vornherein festgelegt (Determinismus) Für einen bekannten Zustand ist das Ergebnis zufällig Die quantenmechanische Messung: Reduktion des Zustandes Objektive gegen destruktive Messung Klassische Münze: Quantenmünze: Vor der Messung Nach der Messung Zustand wird durch die Messung nicht verändert Die Messung verändert den Zustand (Reduktion des Wellenpakets) Das Heisenbergsche Unbestimmtheitsprinzip als zentrale Aussage Es ist nicht möglich, alle Eigenschaften eines Quantenteilchens gleichzeitig zu wissen. Klassischer Elephant: Der Elephant ist groß und grau. Quantenelephant: Der Elephant ist groß. oder Der Elephant ist grau. Die Quantentheorie im Widerspruch Einstein was shocked. Debatte Bohr – Einstein (1927-1949) Die Quantentheorie ist entweder: 1. Falsch 2. Unvollständig Die Quantenmechanik ist sehr achtung-gebietend. Aber eine innere Stimme sagt mir, dass das doch nicht der wahre Jakob ist. Die Theorie liefert viel, aber dem Geheimnis des Alten bringt sie uns nicht näher. Jedenfalls bin ich überzeugt, dass der nicht würfelt . - A. Einstein Das EPR Experiment A. Einstein, B. Podolsky, N. Rosen. Can Quantum-Mechanical Description of Physical Reality Be Considered Complete? Phys. Rev. 47, 1935, 777-780. ΔxAΔp A ≥ = / 2 ΔxB ΔpB ≥ = / 2 Ψ A ( x, t ) Ψ B ( x, t ) Erhaltungssatz G G G P = p A + pB = 0 (1) Messe Impuls von A und Ort von B da lokal separiert, ist das ohne Beieinflußung möglich Aus (1) kann dann Impuls von B genau berechnet werden. Widerspruch zu Unbestimmtheits -relation Einsteins Realismus-Forderung: Teilcheneigenschaften existieren unabhängig von der Messung ! Was ist falsch: Verschränkung Teilchen, die einmal wechselwirken bleiben in der Wellenfunktion verknüpft Demonstration durch Photonenpaare Polarisation: innere Eigenschaft des Photons linkszirkular Meßgerät: Polarisator rechtszirkular horizontal vertikal 1. Erzeuge folgenden Zwei-Photonen-Zustand |Ψ〉 = |HV〉 + |VH〉 Verschränkt! Teilchen A Teilchen B Nicht Lineare Optik:Zerfall eines Photon in 2 Photonen ωP= ω1+ω2 und kP= k1+k2 außerordentlich (vertikal) UVPumpstrahl B A BBO-Kristall ordentlich (horizontal) |H〉A|V〉B + |V〉A|H〉B Credit: A. Zeilinger Univ. Wien, J. Schmiedmayer, Univ. Heidelberg 2. Separiere die Teilchen so weit voneinander, daß sie nicht wechselwirken können (raumartiger Abstand) Einstein-Lokalität Raum-Zeit-Diagramm |Ψ〉 = |H |V V〉 + H〉 Teilchen A Alice Teilchen B Bob EPR EPR Experiment Experiment unter unterstrikter strikterEinstein-Lokalität Einstein-Lokalität Alice Bob G. Weiss PhD. Thesis (Univ. Wien) Raus aus dem Labor... • 2 Faserkabel á 500m • ca. 250m pro Seite verlegt • Depolarisation minimal (<1%) G. Weiss et al. Phys. Rev. Lett. 81, 5039 (1998) Photonenpaarquelle G. Weiss PhD Thesis (univ. Wien) G. Weiss et al. Phys. Rev. Lett. 81, 5039 (1998) 3. Messe den Polarisationszustand von Teilchen A. |Ψ〉 = |H |V V〉 H〉 Teilchen A Teilchen B QT sagt eine 50:50 Wahrscheinlichkeit voraus, daß Teilchen A im Zustand |H〉 oder |V〉 ist. Aber: sobald wir den Zustand von A gemessen haben (Reduktion der Wellenfunktion), ist der von Teilchen B augenblicklich bekannt (nämlich |V〉 oder |H〉) ! Da wir B nicht beeinflußen, muß B schon vorher in diesem Zustand gewesen sein. Wir können aber auch den Zustand von B selbst messen, unabhängig von der Messung von A. Dabei können wir die Polarisation auch bezüglich einer anderen Richtung messen, d.h. testen, ob B im Zustand |45°〉 oder |135°〉 ist Aufbau der Messstation Geschaltete Polarisationsanalyse – Elekro-optische Polarisationsdreher – Max. 30 MHz (14ns Anstiegszeit) – Depolarisation ca. 2% Detektor Steuerung durch physikalischen Zufall – – – – Zufall durch Photonen am Strahlteiler Hohe Rate (bis 500 MHz) Kurze Korrelationszeit (<20ns) Besser als viele Pseudozufallsgeneratoren G. Weiss et al. Phys. Rev. Lett. 81, 5039 (1998) Korrelationen zwischen den Messungen von Alice und Bob Reihe der Ergebnisse Alice Polarisation Ergebnis VA +1 HA -1 … +1 +1 -1 -1 ... Bob Polarisation Ergebnis +1 +1 135B 45B +1 +1 -1 -1 VA … ... C (VA , 45B ) = ∑ Ergebnis( Alice) ⋅ Ergebnis ( Bob) Die Bellsche Ungleichung 1964 zeigte John Bell, daß Einsteins Realismus -Forderung der Quantentheorie in meßbaren Konsequenzen widerspricht ! S = C ( VA , 45 B ) + C ( VA , 135B ) + C ( H A , 45B ) − C ( H A , 135B ) ≤ 2 4 Quantentheorie sagt voraus: S = = 2.828... > 2 2 Erstes Experiment: A. Aspect 1984 Quantentheorie hat recht Verletzung der Bellschen Ungleichungen experimentelle Resultate QM |S| Verschränkung ist das eigentlich revolutionäre der Quantenphysik LR Voltage (~Winkel) G. Weiss et al. Phys. Rev. Lett. 81, 5039 (1998) E. Schrödinger, (1936) Die Quantentheorie beschreibt die Wirklichkeit korrekt • Komplementarität • Eigenschaften werden real durch Beobachtung • Existenz des absoluten Zufalls • Aufhebung von Kausalität und Determinismus • Nichtlokalität • Nichtisoliertheit der Natur ? Wie entsteht dann unsere Alltagswelt? Vorläufige Antwort Quantenalternativen Wechselwirkung mit der Umgebung (Universum): Dekohärenz Klassische Alternativen 1 2 Paul Dirac: Nature decides ? Statt eines Schlußwortes Rastlos vorwärts mußt du streben, Nie ermüdet stille stehn, Willst du die Vollendung sehn; Mußt ins Breite dich entfalten, soll sich dir die Welt gestalten; In die Tiefe mußt du steigen, soll sich dir das Wesen zeigen. Nur Beharrung führt zum Ziel. Nur die Fülle führt zur Klarheit, Und im Abgrund wohnt die Wahrheit.