Die vielseitige Grundausbildung des jungen Pferdes Meisterarbeit von Fabian Scholz Vorgelegt im Rahmen der Prüfung zum Pferdewirtschaftsmeister Zucht und Haltung Oktober 2015 Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung 2. Voraussetzungen (1) Historische Entwicklung der Ausbildung von Reiter und Pferd (Bilder und Fakten zur Entwicklung der Ausbildung von Reiter und Pferd) (2) Verpflichtung zur Ausbildung abgeleitet aus den „Ethischen Grundsätzen des Pferdefreundes“ (3) Eigenschaften des Pferdes und Konsequenzen für die Ausbildung (4) Der Ausbilder/ Reiter (5) Ausrüstung des Pferdes in der Grundausbildung 3. Vielseitige Grundausbildung vs. frühe Spezialisierung (1) Blick in die Praxis (2) Die Grundausbildung i. Die Longenarbeit ii. Beginn und Aufbau der Grundausbildung 4. Plädoyer für eine vielseitige Grundausbildung von Reiter und Pferd 5. Schluss 6. Literaturverzeichnis 1. Einleitung Der Reitsport ist facettenreich und komplex wie kaum eine andere Sportart. Mensch und Pferd verbindet eine gemeinsame Geschichte seit 4000 Jahren. Noch im letzten Jahrhundert konnte der Mensch ohne das Pferd nicht leben. Es diente ihm vor allem als Arbeits- und Soldatenpferd. Unabhängig von seinem Nutzen hat das Pferd schon immer eine große Faszination auf den Menschen ausgeübt. Heute ist es in erster Linie Freizeit- und Sportpartner. Der Reiter trägt die Verantwortung dafür, dass sich das Pferd in seiner Obhut wohlfühlt: Die Harmonie zwischen Reiter und Pferd ist das oberste Ziel- gleichgültig auf welchem Niveau und in welcher Disziplin. Grundlage für eine solche Harmonie ist die gewissenhafte und vielseitige Ausbildung von Reiter und Pferd. Die klassische Reitlehre hat sich aus den Erfahrungen mehrerer Jahrtausende entwickelt. Die „Richtlinien“ fassen die Erkenntnisse verschiedener Epochen und ihrer Reitmeister zusammen. Die Ausbildung des Pferdes ist eine systematische Gymnastizierung, bei der das Pferd zu einem gehorsamen, angenehmen und vielseitigen Reitpferd ausgebildet wird. Hierbei soll das Pferd den Hilfen des Reiters jederzeit willig folgen, taktmäßig und schwungvoll in den drei Grundgangarten gehen. Das Pferd darf kein Untertan sein, aber es muss den Menschen respektieren und aus Vertrauen heraus gehorsam sein. Die Vorgaben zur Ausbildung des Pferdes fasst die Skala der Ausbildung zusammen. Auch die Ausbildung des Reiters folgt einem bestimmten Ausbildungsweg, durch den er erst zu einem wirklich gefühlvoll und pferdegerecht einwirkenden Reiter wird. Die vorliegende Arbeit behandelt die vielseitige Grundausbildung junger Pferde unter Einbringung eigener Erfahrungen. Die Grundausbildung wird im Folgenden verstanden als der Teil der Ausbildung des Pferdes, der mit dem Anlongieren des jungen Pferdes beginnt. Die ausbilderischen Maßnahmen, die zeitlich davor liegen, werden als Gewöhnung des jungen Pferdes angesehen und bilden als Vorbereitung die notwendige Grundlage, um überhaupt erst mit der eigentlichen Reitpferdeausbildung beginnen zu können. Ein Ende der Grundausbildung des jungen Pferdes ist insofern schwierig festzusetzen, da das Abfragen der erlernten Übungen und Lektionen natürlich immer nur subjektiv durch den Reiter abgefragt werden kann und auch durch diesen und seine reiterlichen Fähigkeiten beeinflusst wird. Die Grundausbildung umfasst die Inhalte, die in den Richtlinien für Reiten und Fahren Band 1 beschrieben werden. Die vorliegende Arbeit befasst sich mit der Grundausbildung während der ersten beiden Ausbildungsjahre des jungen Pferdes. Die Grundausbildung des Pferdes lebt von der praktischen Erfahrung. Es braucht Zeit, ein hohes Maß an Sensibilität und Erfahrung im Umgang mit unterschiedlichen Pferden. Der Ausbilder muss die Eigenschaften des Pferdes kennen und über theoretische Kenntnisse der Ausbildung, Trainings- und Sportlehre verfügen. Zudem ist es für jeden Ausbilder wichtig, Kenntnisse über das richtige Zubehör sowie das Verhalten in der Reitbahn, im Parcours oder im Gelände zu haben – also selbst ein vielseitig ausgebildeter Reiter zu sein. Erkenntnisse aus eigenen Erfahrungen werden als solche kenntlich gemacht. Sie beruhen auf den praktischen Erfahrungen des Verfassers, der seit fünfzehn Jahren einen eigenen Ausbildungs- und Vermarktungsstall betreibt. Im Folgenden wird zunächst auf Voraussetzungen zur vielseitigen Ausbildung des Pferdes eingegangen. Der Blick auf die Historie der Ausbildung von Reiter und Pferd schafft ein Verständnis für die Entwicklung und den Erkenntnisgewinn, um den status quo und seine Regelwerke besser verstehen zu können. Eine Verpflichtung zur vielseitigen Ausbildung ergibt sich zudem aus ethischen Gesichtspunkten. Unterlegt wird dies anhand der Ethischen Grundsätze des Pferdefreundes. Des Weiteren wird auf die Eigenschaften des Pferdes und deren Bedeutung im Zuge der Ausbildung eingegangen sowie die Eigenschaften eines guten Ausbilders. Abgeschlossen wird dieser Teil mit Ausführungen zur Ausrüstung des Pferdes in der Grundausbildung. Darauf aufbauend wird die Frage von vielseitiger Grundausbildung vs. frühe Spezialisierung kritisch diskutiert. Argumentiert wird hier mit der Klassischen Reitlehre. Bezugnehmend auf die eigene Tätigkeit des Verfassers im Bereich der Pferdevermarktung wird hier nicht nur die Frage aufgeworfen, wie wird warum ausgebildet, sondern auch: Für wen wird eigentlich ausgebildet? 2. Voraussetzungen 2.1 Historische Entwicklung der Ausbildung von Reiter und Pferd (Bilder und Fakten zur Entwicklung der Ausbildung von Reiter und Pferd) Historiker gehen davon aus, dass das Pferd etwa 5000-3000 v. Chr. durch den Menschen domestiziert wurde – zunächst, um es als Lieferant von beispielsweise Fleisch, Milch oder Leder nutzen zu können. Mit der Erfindung des Wagenrades in der zweiten Hälfte des 4. Jahrtausends v. Chr. wurden Pferde dann auch zu festlichen Anlässen vor Prunkwagen eingespannt. Ab 2000 v. Chr. wird das Pferd dann zunehmend als Arbeitstier in der Landwirtschaft oder vor Streitwagen zum Überwinden größerer Distanzen eingesetzt.1 Zwischen 1250 und 800 v. Chr. erfolgt der Übergang vom Fahren zum Reiten im kriegerischen Kontext. Aus dieser Zeit sind erste Darstellungen von Sätteln überliefert. Die Verwendung eines Reitsattels setzt sich aber erst im 4. Jahrhundert n. Chr. durch.2 Relief eines Wagenlenkers 6. Jahrhundert v. Chr. (aus: Marmor, Kyzikos Erdek), Archaisch, letztes Viertel 6. Jh. V. Chr. Standort Istanbul, Archäologisches Museum. Als Begründer der klassischen Reitlehre kann der griechische Feldherr und Schriftsteller Xenophon (430-354) angesehen werden. Er bezieht sich in seinen Schriften zur Reiterei „Peri Hippikes“ (über die Reitkunst) und „Hippiarchikos“ (von den Pflichten eines Reiterführers) auf den griechischen Tierarzt Simon von Athen, von dem selbst aber keine Schriften 1 Vgl. Frömming, Angelika (2011): Bilder und Fakten zur Entwicklung der Ausbildung von Reiter und Pferd im Dressur- und Springreiten. FN Verlag. Warendorf. S. 14f. 2 Vgl. Frömming (2011). S. 16f. überliefert wurden. Unter der Prämisse „Setze Belohnung vor Strafe“ legt er Grundsätze zur Behandlung des Pferdes und Möglichkeiten der Einwirkung des Reiters auf das Pferd dar.3 Als erste neuzeitliche Schrift über das Reiten in Europa gilt Dom Duartes I. 1434 veröffentlichtes „Livro da ensinanca de bem calvagar toda sela“ (Reitbuch, um in allen Sätteln gut zu reiten). Der portugiesische König beschäftigt sich darin vor allem mit den Anforderungen an einen guten und gefühlvollen Reiter. Während der Renaissance entwickelte sich die Reiterei maßgeblich weiter – auch beeinflusst dadurch, dass zu dieser Zeit die Schriften Xenophons gefunden und übersetzt wurden. Die Ausbildung des Pferdes orientierte sich zunehmend an der Anatomie und den Bewegungen des Pferdes und nicht mehr nur an kriegerisch-taktischen Einsatzmöglichkeiten. Lektionen, die Reiter und Pferd zu dieser Zeit erlernen sollten, sollten Reiter und Pferd von Nutzen sein. So sollte durch eine verbesserte Versammlung erreicht werden, dass das Pferd Lasten besser tragen konnte. Aus heutiger Sicht muss natürlich der jeweils vorherrschende Zeitgeist und das vorhandene Wissen im Umgang mit dem Tier bei der historischen Betrachtung berücksichtigt werden.4 Im 17. Jahrhundert wurden Pferde nicht mehr vorrangig zu Kriegszwecken, sondern zum gesellschaftlichen Zeitvertreib am Hof ausgebildet.5 Die Schrift „Lob statt Strafe“ von Antoine de la Baume Pluvinel (1555-1620) zeigt, wie sich das aufklärerische Denken auch in den Gedanken zur Pferdeausbildung niederschlägt. Das Wohl des Pferdes rückt vermehrt in den Vordergrund und die natürlichen Anlagen werden bei der Ausbildung berücksichtigt und entwickelt. 1680 gründet Ludwig XIV. die Reitschule von Versailles und in der Folge bis 1685 zehn weitere Reitakademien in Frankreich. Beeinflusst durch die hier verbreitete Lehre trug im 18. Jahrhundert Francois Robichon Sieur de la Guérinière entscheidend zur Weiterentwicklung der klassischen Reitlehre hinsichtlich der Gymnastizierung des Pferdes bei.6 3 Vgl. Frömming (2011). S. 21ff. Vgl. Frömming (2011). S. 37f. 5 Vgl. Frömming (2011). S. 42. 6 Vgl. Frömming (2011). S. 45. 4 Im 17. Jahrhundert veröffentlichte der bedeutende Reitmeister Georg Engelhard von Löhneysen seine Beobachtungen zur Reiterei unter dem Titel „Della Cavalleria. Gründlicher Bericht von allem, was zur loblichen Reutterei gehoerig“. Die Neuauflage dieser Schrift unter dem Titel „Die neu eröffnete Hof-, Kriegs- und Reitschul“ aus dem Jahr 1729 fand große Beachtung. Besonders erwähnenswert sind hier sicherlich die Thesen, die von Löhneysen als Begründung für den frühzeitigen Verschleiß der Pferde der Deutschen aufstellt. Hierfür macht er unter anderem das zu frühe Anreiten und zu grobe Reiten der Pferde verantwortlich. Neben Aspekten der reiterlichen Ausbildung führt er in seinem Werk verschiedene Lektionen auf.7 Seine Ausführungen zur Reiterei lassen sich unter der folgenden Prämisse resümieren, die die Ausbildung des Pferdes zum Wohl des Pferdes in den Vordergrund stellt: Es ist eine Hauptregel, dass die Reitkunst nie wider die Natur ausgeführt werden soll, im Gegenteil, man soll versuchen, die Natur nachzuahmen, so sogar, wo immer möglich, noch besser.8 Wie bereits erwähnt finden sich auch in den Ausführungen von von Löhneysen Aspekte in der Ausbildung des Pferdes die aus heutiger Sicht und vor allem unter ethischen Gesichtspunkten nicht haltbar sind. Auch hier muss aber der Beitrag zur Weiterentwicklung der klassischen Reitlehre unter Berücksichtigung des historischen Kontextes betrachtet werden. Als weiterer Meilenstein können die Veröffentlichungen von Antoine de la Baume Pluvinel (1555-1620) angesehen werden, der Ausbilder am Hofe von König Heinrich iV. war. Er bezeichnet die Versammlung des Pferdes als Schlüssel für leichteres Reiten und erkennt, den Schub aus der Hinterhand mit freier Schulter zu erreichen anstelle von scharfer Zäumung:9 Die Versammlung richtig ausgeführt, macht das Pferd leichter und hebt es, setzt es auf die Hinterhand und schiebt es zusammen, verleiht seinem Rhythmus Sicherheit und lässt es die Hilfen der Hand und des Beins willig annehmen. Dadurch wird es die von ihm verlangten Übungen besser ausführen können, was die ganze Sache wesentlich erleichtert.10 (zitiert nach BUF S. 49). Als einer der ersten Ausbilder und Theoretiker betrachtete William Cavendish, Duke of Newcastle (1592-1676), den Aspekt des Pferderückens – wenn er auch aus heutiger Sicht einige falsche Schlüsse aus seinen Überlegungen zieht. Er fordert zunächst, dass der Mensch, der das Pferd seines natürlichen Lebensraums beraubt habe, nicht nur für seinen Unterhalt 7 Vgl. Frömming (2011). S. 45 ff. Frömming (2011). S. 48. 9 Vgl. Frömming (2011). S. 49. 10 Frömming (2011). S. 49 8 zuständig ist. Er müsse das Pferd durch Training beschäftigen, damit es ausgelastet ist und beschäftigte sich im Weiteren mit der Ausarbeitung verschiedener Lektionen.11 Der eigentliche Grundstein der klassischen Reitlehre, die als systematische Gymnastizierung des Pferdes verstanden wird, legte, wie bereits erwähnt, Francois Robichon Sieur de la Guérinière im 18. Jahrhundert mit seinem Buch „École de Cavalerie“. Als „Ecuyer Académiste“ war er berechtigt, eine Reitakademie zu eröffnen. Er bot unter anderem Lehrgänge an, die öffentlich zugänglich waren und an denen er auch einen Veterinär und einen Hufschmied beteiligte.12 Er sieht das Ziel der Reiterei darin, das Pferd durch systematische Gymnastizierung während verschiedener Lektionen, Übungen oder Schulsprüngen „zur völligen Entwicklung seiner natürlichen Möglichkeiten [zu bringen] und es gehorsam zu machen“.13 Guérinière setzte wichtige Impulse dafür, dass auch in Deutschland die Reitkunst zunehmend wissenschaftlich betrachtet wurde. Es kommt zur Festlegung erster allgemeiner Richtlinien im Zusammenhang mit der Schulreiterei.14 Im 19. Jahrhundert wird das Pferd als Nutztier für Verkehr Landwirtschaft aufgrund zunehmender Motorisierung immer mehr verdrängt. Es kommt temporär zu einem Rückschritt hinsichtlich klassischer Ausbildungsprinzipien des Pferdes. Dies zeigt sich beispielsweise in einer fehlerhaften Einschätzung der senkrechten Aufrichtung des Pferdes, wobei sich die Stirnlinie idealerweise unter 45° neigen sollte. Verschiedene Hippologen diskutierten diese Auffassung kritisch. 1882 wird sie in einer neu bearbeiteten Reitinstruktion für die Armee revidiert. Im 19. Jahrhundert entwickelt sich zudem schrittweise die Sparte der Sportreiterei mit neuen reitsportlichen Disziplinen wie Springprüfungen.15 11 Vgl. Frömming (2011). S. 51f. Vgl. Frömming (2011). S. 55. 13 Frömming (2011). S. 56. 14 Vgl. Frömming (2011). S. 58. 15 Vgl. Frömming (2011). S. 74 f. 12 Ein weiterer Erkenntnisschub wurde durch die Fotografie der Bewegungen des Pferdes im 19. Jahrhundert möglich. Teilweise stellten sich gängige Lehrmeinungen über den Bewegungsablauf als falsch heraus. Eadward Muybridge (1830-1904): Phayne L. Running Stride, 19 ft. 9 in., Plate XVI, 1878-79 albumen print, published 1881; Washington D.C., National Gallery of Art. Eadward Muybridg: „Daisy jumping a hurdle, saddled, preparing for the leap“, photograph, plate 636 from Animal Locomotion, 1887, Library of Congress, Washington D.C. Der „Verfall“ der Reitkultur im 19. Jahrhundert führte zu einem schlechten Allgemeinzustand der preußischen Kavallerie, der als mangelhaft hinsichtlich der Ausbildung von Reiter und Pferd beurteilt wurde. 1816 wurde die „Militär-Reitunterricht-Anstalt“ in Berlin eröffnet, um den Entwicklungen entgegenzuwirken und zu einer einheitlichen Reitweise in der Armee zu gelangen. In der Folge bestanden verschiedene weitere Militärreitschulen bis zum Ausbruch des Ersten Weltkrieges. Nach Ende des Krieges setzte sich General Paul Seiffert für einen Wiederaufbau der Kavallerieschule, dem „Königlich-Preußischen Militär Reit-Institut“, ein. So wurde 1919 die Offizier-Reitschule, später Kavallerieschule, in Hannover gegründet.16 Im 20. Jahrhundert wird das Pferd endgültig schwerpunktmäßig zum Reittier und es etabliert sich der Turniersport. Vor allem Gustav Rau setzte sich dafür ein, dass sich auch ein ländlicher Turniersport entwickelte. Die Entwicklung auf internationalem Niveau lässt sich vermutlich anhand der geforderten Lektionen ablesen. So zählten schon 1932 Piaffe und Passage als Pflichtübungen zum olympischen Programm.17 1912 wurde die Heeresdienstvorschrift von 1912 (H.Dv.12) erlassen. Eine Überarbeitung für die Ausgabe von 1937 erfolgte unter der Mitarbeit von Max Freiherr von Redwitz, Hans von Heydebreck, Lauffer, Felix Bürkner und dem Veterinärmediziner Dr. Bürger. Er veröffentlichte später gemeinsam mit Otto Zietzschmann das Standardwerk „Der Reiter formt das Pferd“. Heeresdienstvorschrift 18 Bereits in der Fassung von 1912 steht explizit die systematische Gymnastizierung und die schonende Ausbildung im Vordergrund, um das Pferd möglichst lang gesund zu erhalten. Im 16 Vgl. Frömming (2011). S. 79. Vgl. Frömming (2011). S. 102. 18 https://de.wikipedia.org/wiki/Reitvorschrift_H.Dv.12 17 ersten Ausbildungsjahr des jungen Pferdes kamen den Ausbildungszielen Takt, Losgelassenheit, Anlehnung und Durchlässigkeit besondere Bedeutung zu. Im zweiten Ausbildungsjahr sollten dann Schwung, Geraderichten, Versammlung und Aufrichtung erreicht werden. Die Idee, die Ausbildung des Pferdes anhand dieser Ziele aufzubauen und abzufragen findet sich in den heute gültigen Richtlinien für Reiten und Fahren wieder.19 Nach Ende des Zweiten Weltkrieges und damit auch dem Ende der Kavallerie wurde der Reitsport gerade auch im ländlichen Bereich zu einer der ersten bedeutenden Sportarten für die breitere Masse.20 Die heutige Deutsche Reitschule wurde 1955 in Warendorf unter dem Namen „Höhere Reitund Fahrschule“ gegründet. Vor über 50 Jahren erschienen die ersten Richtlinien für Reiten und Fahren, die als Standardwerk und Grundlage für die klassische Ausbildung von Reiter und Pferd international Beachtung finden. Sie erschienen zuletzt im Jahr 2014 in der 30. überarbeiteten Auflage.21 Die über mehrere Jahrtausende lange, theoretische und praktische Beschäftigung mit der Reiterei führte durch die zunehmenden Erkenntnismöglichkeiten zu dieser Manifestation der Grundsätze der klassischen Reiterei. Grundlegend geht es darum, dass die Ausbildung der Anatomie, Physiologie und Psyche des Pferdes gerecht wird. Das Springen und seine Zweckmäßigkeit findet bereits in den Ausführungen Xenophons aus der Antike Erwähnung. Mit der aufkommenden Jagdreiterei im 19. Jahrhundert wurde auch das sichere Überwinden von Naturhindernissen relevanter. Das Interesse an einer vielseitigen Ausbildung des Pferdes und des Reiters zeigt sich auch darin, dass bis in die 1960er Jahre (SDressur) beziehungsweise in die 1970er Jahre (weitere Dressuren) der Gehorsamssprung nach jeder Dressurprüfung obligatorisch war. Das mittlerweile breite Angebot an unterschiedlichen 19 Vgl. Frömming (2011). S. 108ff. Vgl. Frömming (2011). S. 120. 21 Vgl. http://www.fnverlag.de/pferdebuecher-reitbuecher-fuer-kinder-und-erwachsene/fachliteraturdressur-dressurreiten/grundausbildung-fuer-reiter-und-pferd-isbn-978-3-88542-721-6_p1000.html, Zugriff am 14.09.2015 20 Spring- und Geländeprüfungen gerade im Jungpferdebereich und für Reitanfänger macht eine solide vielseitige Ausbildungsarbeit an der Basis möglich.22 2.2 Verpflichtung zur Ausbildung abgeleitet aus den „Ethischen Grundsätzen des Pferdefreundes“ Ethik in der Reiterei basiert auf einer harmonischen Gemeinschaft. Sie bedeutet die Verpflichtung einem Wesen gegenüber, das wie kein anderes in der Geschichte der Menschheit so von Nutzen war, absolut auf den Menschen angewiesen ist und ohne ihn seine Lebensberechtigung verloren hätte. Die Lebensbedingungen des Pferdes sind - als Ergebnis eines langen Zivilisationsprozessesvom Menschen geschaffen, der sich das Pferd in seiner Verwendbarkeit in Zucht-, Freizeitund Breitensport zu Nutze macht. Beruhend darauf übernimmt also der Mensch die Verantwortung für das Pferd, das seinen natürlichen Lebensraum verloren hat. Diese Aufgabe weist auf die ethischen Aspekte der Mensch-Pferd-Beziehung hin und fordert weiter die Festsetzung ethischer Grundsätze.23 „Die Ethischen Grundsätze des Pferdefreundes“ wurden vom Arbeitskreis Ethik ausgearbeitet und am 4. Mai 1995 vom Verbandsrat der Deutschen Reiterlichen Vereinigung verabschiedet. Einige Aspekte aus diesen Grundsätzen sollen im Folgenden hinsichtlich ihrer Bedeutung für die Grundausbildung des jungen Pferdes näher betrachtet werden. So fordert beispielsweise der dritte Grundsatz, dass der physischen und psychischen Gesundheit des Pferdes unabhängig von seiner Nutzung oberste Bedeutung einzuräumen ist.24 Gesundheitsvorsorge und Gesunderhaltung müssen für jeden im Umgang mit dem Pferd absolute Priorität haben. Diese Aufgabe richtet sich zunächst an den Züchter, der durch Haltung und Aufzucht des Fohlens den Grundstein dafür legt, dass das Pferd physisch und 22 Vgl. Frömming (2011). S. 209. vgl.: Ethik im Pferdesport – Teil I. Die Ethischen Grundsätze des Pferdefreundes. Hrsg. von Deutsche Reiterliche Vereinigung. 9. Auflage. 2006. S. 4f. 24 vgl.: Ethik im Pferdesport – Teil I. Die Ethischen Grundsätze des Pferdefreundes. Hrsg. von Deutsche Reiterliche Vereinigung. 9. Auflage. 2006. S. 14 23 psychisch gesund heranwachsen kann. Denn nur ein gut ausgebildetes und gesundes Pferd kann den Anforderungen im Turnier- und Breitensport gerecht werden. Hier müssen wirtschaftliche Interessen außen vor bleiben und das Streben nach Erfolg muss sekundär sein. Diese Verantwortung wird im Laufe der Zeit an Reiter und Ausbilder weitergegeben, die vor allem durch eine systematische, artgerechte und gymnastizierende Ausbildung des Pferdes zu dessen physischer und psychischer Gesunderhaltung beitragen. Der siebte ethische Grundsatz zielt dann konkret auf die Ausbildung von Reiter und Pferd ab: 7. Der Mensch, der gemeinsam mit dem Pferd Sport betreibt, hat sich und das ihm anvertraute Pferd einer Ausbildung zu unterziehen. Ziel jeder Ausbildung ist die größtmögliche Harmonie zwischen Mensch und Pferd.25 Der aktive Reiter ist ausnahmslos zur Aus- und Fortbildung verpflichtet, wobei das Ziel das absolute Vertrauen sein sollte, das das Pferd mit der Zeit durch seine Ausbildung zum Reiter aufbaut. Die Beherrschung anspruchsvoller Aufgaben muss somit der Harmonie untergeordnet sein, auch wenn das Pferd leistungsorientiert eingesetzt werden soll. Dies erfordert Erfahrung und vor allem Geduld bei der Ausbildung des Pferdes. Die Bereitschaft des Pferdes kann nicht erzwungen werden, was meint, dass es nicht über seine individuellen Möglichkeiten hinaus sportliche Leistung erbringen kann. Durch gezielte Selektion in der Zucht verfügt der Reiter weitestgehend über Pferde ohne schwerwiegende Mängel bei Exterieur und Interieur. Daraus folgt für den Reiter, dass Probleme bei der Ausbildung größtenteils durch fehlerhaftes Reiten verursacht werden. 26 Gute (Auf-) Zucht darf nicht den Blick auf das eigentliche Alter sowie die Erfahrenheit des Pferdes verschränken. Unabhängig von Talenten muss jedes Pferd gleich aufgebaut und ausgebildet werden, und zwar ohne Zeit- und Leistungsdruck. Das Maß für eine „gute“ Ausbildung darf nicht alleine im Erfolg liegen, denn dieser ist nicht zwangsläufig langfristig. Die Ziele der Internationalen Reiterlichen Vereinigung betrachten im § 401 die klassischen Richtlinien als Ziel für den Reiter: 25 vgl.: Ethik im Pferdesport – Teil I. Die Ethischen Grundsätze des Pferdefreundes. Hrsg. von Deutsche Reiterliche Vereinigung. 9. Auflage. 2006. S. 26 26 vgl.: Ethik im Pferdesport – Teil I. Die Ethischen Grundsätze des Pferdefreundes. Hrsg. von Deutsche Reiterliche Vereinigung. 9. Auflage. 2006.S. 18f Dressur sollte die schrittweise, vernünftige, auf wissenschaftlichen Grundlagen basierende Entwicklung und Gymnastizierung des Pferdes sein, die ihm nach korrekter Ausbildung ermöglicht, Leistung zu erbringen.27 Das meint nicht, dass der Wettbewerb prinzipiell abzulehnen ist. Die Prüfungen müssen dem Ausbildungsstand des Pferdes entsprechen, wobei der Erfolg nicht zum höchsten Ziel der Reiterei werden darf, denn ein guter Reiter wird sich auf einem gut ausgebildeten Pferd zwangsläufig unter den Platzierten befinden. Im Zeitalter des rasanten Fortschritts muss gerade im Reitsport das Bewusstsein dafür wachsen, dass es sich bei den klassischen Grundsätzen der Reiterei nicht um veraltete, sondern um über Jahrhunderte bewährte Methoden handelt - mag die Versuchung auch noch so groß sein das „moderne“ Pferd durch seine züchterisch verbesserte Grundkonstitution schnellstmöglich zum Erfolg zu bringen. Es darf also nicht darum gehen, durch Ausprobieren von der Allgemeingültigkeit weg, hin zu einer „persönlich passenden“ Reit- und Ausbildungsweise zu gelangen. Der ethische Aspekt im Reitsport wirkt sich ebenso auf die Vermarktung aus und ist hier ein guter Ratgeber. Ein klassisches Vorurteil, dem ich mich noch immer von Zeit zu Zeit stellen muss, ist das Bild des Händlers, des korrupten „Marktschreiers“. In unserem Ausbildungsund Verkaufsstall können wir diesem Vorwurf nur mit guter Arbeit und ehrlicher Leistung begegnen. Unsere „Ware“ ist nicht leblos. Wir übernehmen die Verantwortung für die uns anvertrauten Pferde und diese erstreckt sich nicht nur bis zum erfolgreichen Abschluss. Die Verantwortung, die wir in der Vermarktung übernehmen, zeigt sich nicht nur in artgerechter Haltung, Fütterung und medizinischer Versorgung. Wir haben die Pflicht, die „Nutzung“ des Pferdes in Bezug auf seine Fähigkeiten und seine Konstitution abzuwägen. Das können wir nur, wenn wir uns behutsam, den Stärken und Schwächen des Pferdes nähern und dabei einen vielseitigen Ansatz verfolgen. Wer sagt uns im Vorfeld, dass das ausgebildete Dressurpferd nicht auch ein passender Freizeitpartner im Gelände sein kann. Oder ein solides Mannschaftspferd für Dressur und Springen auf A-Niveau? Verfolgten wir diesen Ansatz nicht, würden wir uns selbst die Wege der Vermarktung verbauen. Wir machen in unserem beruflichen Alltag immer wieder die Erfahrung, dass sich der Anspruch der Kunden verlagert hat. Die breite Masse ist im medialen Zeitalter aufgeklärter geworden. Der ethische Anspruch überwiegt meist dem Leistungsaspekt. 27 Kunffy, Charles de: Ethik im Dressursport. Ein leidenschaftlicher Appell. Stuttgart: Kosmos 1997. S. 37 Der Arbeitsalltag im Bereich der Pferdevermarktung hat sich auch dahingehend verändert, dass wir keine kurzen Durchlaufzeiten mehr haben. Dies ist auch Grund dafür, warum wir als Ausbildungs- und Verkaufsstall diese beiden Bereiche untrennbar mit einander verknüpft haben. Es existiert kein Markt für schlecht gerittene und unsachgemäß ausgebildete Pferde. Wenn wir uns die Zeit nehmen, zufriedene und nachreitbare Pferde zu vermitteln, sind diese unser bestes Aushängeschild. 2.3 Eigenschaften des Pferdes und Konsequenzen für die Ausbildung Pferde unterscheiden sich durch ihren Charakter und ihr Temperament. Kenntnisse über die Eigenschaften des Pferdes sind eine Grundvoraussetzung für den artgerechten und gewissenhaften Umgang. Durch Erfahrung und aufmerksames Beobachten lernt der Reiter, das Verhalten des Pferdes richtig zu deuten. Nur so kann er beispielsweise zwischen Angst und Widersetzlichkeit unterscheiden und sich dadurch in der Erziehung und Ausbildung richtig verhalten. Das Pferd ist ein Herdentier. Der Herdenverband bietet dem Pferd Schutz und Sicherheit. Das bedeutet für die Ausbildung des jungen Pferdes, dass es an das Alleinsein behutsam gewöhnt werden muss. Zudem können erfahrene Pferde als Führpferde eingesetzt werden, um das unerfahrene Pferd an fremde Situationen heranzuführen. In der Herde herrscht eine feste Rangordnung. Der Umgang der Pferde untereinander folgt eigenen Regeln. Zum Instinktverhalten des Pferdes gehören Rangordnungskämpfe. Es verteidigt sich mit Hufen und Zähnen. Auf der anderen Seite zeigt es sich durch Neugier- und Zuneigungsverhalten. Auch in der Mensch-Pferd-Beziehung wird die Rangordnung abgeklärt. Nur ein gelassener und konsequenter Reiter wird als ranghöher akzeptiert werden. Das Pferd ist ein Fluchttier. Flucht bietet dem Pferd Schutz vor Gefahr. Gerät ein Pferd in Panik, kann es jede Sinneswahrnehmung ausschalten und wird zur Gefahrenquelle. Gründliche und geduldige Gewöhnung an fremde Situationen geben dem Pferd Sicherheit und Vertrauen; Aus dem Vertrauen heraus akzeptiert das Pferd die Hilfen des Reiters. Das Pferd ist ein Lauftier. Das frei lebende Pferd bewegt sich in seinem ursprünglichen Lebensraum mehrere Stunden täglich, um Futter aufzunehmen. Ausreichende und abwechslungsreiche Bewegung, Licht, Luft und Kontakt zu Artgenossen sind Voraussetzung für das psychische und physische Wohlbefinden des Pferdes.28 Aus eigener Erfahrung kann ich sagen, dass sich derjenige, der mit jungen oder unerfahrenen Pferden umgeht, sich gar nicht oft genug darauf besinnen kann, wie und wodurch das Verhalten des Pferdes gesteuert wird. Nämlich zunächst durch natürliche Instinkte. Viele Rückschläge in der Ausbildung eines jungen Pferdes können durch ein vorsorgliches Hineinversetzen vermieden werden. Dies ist eine Prämisse unseres täglichen Handelns, die auch den Auszubildenden sofort nahegelegt wird. Wir wollen in unserem Ausbildungsstall sicherstellen, dass unser Verhalten für die Pferde nachvollziehbar wird und auch bleibt. Das heißt, dass sich jeder im Umgang mit unseren Pferden an gewisse Regeln und auch Kommandos in der Ansprache des Pferdes halten soll. Dadurch geben wir nicht nur dem Pferd Sicherheit, sondern auch unseren Mitarbeitern oder späteren Besitzern des Pferdes. Bei der Wahl unseres Stalltraktes wurde von vorneherein darauf Wert gelegt, dass hier ganzjähriger Auslauf auf Paddocks oder Weiden möglich ist. Da die Gefahr von Verletzungen hierdurch natürlich nicht von der Hand gewiesen werden kann, setzen wir darauf, „Kaltstarts“ bewusst zu vermeiden und den Pferden täglich so viel Aufmerksamkeit und Bewegung zukommen zu lassen, dass das Risiko eines unkontrollierten „Herumtollens“ minimiert werden kann. Ein unzufriedenes, nicht ausgelastetes Pferd kann sich ebenso im eigenen Stall Verletzungen zuziehen. Wir vertreten in unserem Ausbildungsstall die Auffassung, dass sich mentale Stärke nur aus Ausgeglichenheit heraus aufbauen kann. Das Gewöhnen an verschiedene äußere Einflüsse macht Pferde mutig machen und befähigt sie zu mehr Selbstvertrauen. Dies kann durch Reiten im Gelände geschehen. Genauso schafft man aber positive Erfahrungen, wenn beispielsweise das unsichere Dressurpferd kleine Sprünge erfolgreich absolviert und so vielleicht „über sich hinaus wächst. Ist das Pferd bereits soweit ausgebildet, dass erste Turnierstarts angestrebt werden können, werden auch diese gründlich vorbereitet. Es hat sich gezeigt, dass die Zeit, die im Vorfeld investiert wird, um das Pferd an die fremde Situation zu gewöhnen im Gegenzug in der Regel zu schnellerem Erfolg auf dem Turnier führt. Das heißt, dass das Verladen rechtzeitig und ohne Zeitdruck geübt wird und auch das Training vor dem ersten Turnierstart bereits an anderen Orten und ohne Leistungsdruck stattgefunden hat. 28 Vgl. Richtlinien für Reiten und Fahren. Band 1 xxxx Wo es möglich ist, versuchen wir insbesondere Eignungsprüfungen als Einstiegsprüfungen zu nutzen. Hier befindet sich das Pferd in einer Abteilung mit anderen Pferden, die ihm Sicherheit in der neuen Situation geben können. Nach der Dressuraufgabe ist im Idealfall erste Anspannung abgefallen, sodass sich das junge Pferd auf die Sprünge, die es während der Aufgabe bereits mehrmals passiert hat, konzentrieren kann. Wir legen großen Wert darauf, dass jedes unserer Pferde so ausgebildet wird, dass es auf diesem Niveau in der Lage ist, die Teilaufgaben Dressur und Springen ordentlich zu absolvieren. 2.4 Der Ausbilder/ Reiter Wichtiger als die körperlichen Voraussetzungen des Reiters sind sein Verantwortungsbewusstsein für das ihm anvertraute Pferd und sein Charakter. Im Umgang mit dem Pferd muss dem Reiter zu jeder Zeit bewusst sein, dass er das Pferd nicht zwingen und bezwingen kann. Er muss geduldig, selbstbeherrscht und diszipliniert sein. Dazu gehört die Bereitschaft, die eigenen Fähigkeiten ständig zu erweitern und Fehler zunächst bei sich selbst zu suchen. In jeder Sportart gibt es Regelwerke, die der Sportler kennen sollte. Im Gegensatz zu anderen Sportarten ist theoretisches Wissen im Reitsport elementar, um einen artgerechten Umgang zu ermöglichen. Der Reiter ist dem Pferd gegenüber verpflichtet, bestimmte Eigenschaften und Verhaltensweisen, Kenntnisse über Haltung und Umgang mit dem Pferd sowie die Ausbildungsprinzipien der klassischen Reitlehre zu haben. Der Ausbilder sollte dem Ausbildungsstand und seiner Disziplin entsprechend über Kenntnisse und praktische Erfahrung auf möglichst vielen, unterschiedlichen Pferden verfügen. Dadurch kann er sich in das Pferd einfühlen. Er muss die individuellen Anlagen des Pferdes erkennen und entsprechend ausbilden. Dabei hat das psychische und physische Wohlbefinden des Pferdes zu jeder Zeit absolute Priorität.29 29 Vgl Richtlinien Band 1 Insbesondere durch die Lage unseres Stalls im Kreis Warendorf ist uns ein reger Austausch mit Fachleuten und Experten möglich, sei es im Rahmen von Vorträgen oder Lehrgängen an den Reit- und Fahrschulen in Münster oder Warendorf oder im direkten Kontakt. Von diesem Netzwerk versuchen wir bestmöglich zu profitieren. Insbesondere in der Ausbildung unserer Lehrlinge sind wir bemüht, diesen eine vielseitige Ausbildung auf unseren Pferden zukommen zulassen: dies fördert und fordert Reiter und Pferd. Langfristig profitiert der gesamte Betrieb hiervon. Über Kooperationen mit anderen Ausbildungsbetrieben können wir es möglich machen, die Ausbildung von Reiter und Pferd nicht nur in den Disziplinen sondern auch in den didaktischen Methoden möglichst abwechslungsreich und vielseitig zu gestalten. Genauso sollte man sich eingestehen, dass selbst den erfahreneren Reitern nicht jedes Pferd in seiner Art und seinem Temperament gleichermaßen gut liegt. Die Kooperationen mit anderen Ausbildungsställen nutzen wir auch dazu, um den idealen Reiter für das jeweilige Pferd ausmachen zu können oder auch, um ehrliche und neutrale Beurteilungen und Meinungen einzuholen. Der selbstkritische Blick auf das eigene Tun sowie die ständige Weiterbildung sind letzten Endes das, was „die Spreu vom Weizen trennt“. 2.5 Ausrüstung des Pferdes in der Grundausbildung Die Grundausrüstung des Pferdes bilden das Zaumzeug und der Sattel. Unabhängig von der Disziplin ist die Trensenzäumung für die Grundausbildung am besten geeignet. Sie besteht aus dem Trensenzaum mit Gebiss und Zügeln (Genickstück, Backenstücken, Kehlriemen, Stirnriemen) sowie dem Reithalfter. Trensengebisse wirken über die Zunge auf die Kinnladen des Pferdes. Die Laden (der zahnlose Zwischenraum im Unterkiefer des Pferdes) bieten den Platz für das Gebiss im Pferdemaul. Ein Gebiss wirkt umso punktueller, aber auch schärfer, je dünner es ist. Mangelnde Durchlässigkeit kann durch ein schärferes Gebiss nicht ausgeglichen werden. Dahingegen wirken sich Fehler in der Hilfengebung der Hand umso deutlicher aus, je schärfer das Gebiss ist. Die Wassertrense ist das gebräuchlichste Gebiss, vor allem bei jungen Pferden. Sie ist für alle Einsatzarten geeignet, da sie weich wirkt und gleichzeitig gute Kontrolle ermöglicht. Die Wahl des Reithalfters ist abhängig vom Pferd. Durch ein korrekt verschnalltes Reithalfter werden die Laden des Pferdes entlastet. Bei der Einwirkung mit dem Gebiss wird der Druck teilweise auf den Nasenrücken des Pferdes übertragen. Zudem wird verhindert, dass sich das Pferd durch ein aufgesperrtes Maul den Zügelhilfen entzieht.30 Von Fall zu Fall kann es hilfreich sein, gelegentlich Gebissart und –material zu wechseln. Über die im Turniersport erlaubten Gebisse gibt die LPO Auskunft. Versucht man sich hieran zu orientieren, gilt es, unbedingt die Prüfungsform zu berücksichtigen: In welcher Prüfungsform welcher Klasse für Pferde welchen Alters sind welche Gebisse zulässig? In meinem Ausbildungsstall wird Wert darauf gelegt bei der Wahl von Gebiss und Reithalfter, die von der grundsätzlichen Ausbildungsausrüstung abweichen, immer im Hinterkopf zu behalten, dass dies 1. der Verfeinerung der Hilfengebung dient und daher 2. immer nur temporär Einsatz findet. Wir sind stets darum bemüht, beim jungen Pferd immer zum Reiten auf Wassertrense zurückzufinden. Gerade mit Blick auf die Vermarktung zeigt sich, dass kurzfristiger Erfolg durch Manipulation – z. B. durch den Einsatz von unsachgemäßen Gebissen, Zäumungen oder Hilfszügeln – nicht erzielt werden kann. Ganz im Gegenteil. Im Gesamtkonzept wirft das „Reiten mit der Brechstange“ das Pferd häufig in der Ausbildung zurück und schadet der Mensch-Pferd-Beziehung. 3. Vielseitige Grundausbildung vs. frühe Spezialisierung 3.1 Blick in die Praxis Betrachtet man das aktuelle Zeit- und Turniergeschehen so führt der Weg beim Thema „ Vielseitige Grundausbildung“ an Ingrid Klimke nicht vorbei. Wie kaum eine andere Reiterin ist sie Sinnbild geworden für Erfolg auf höchstem sportlichen Niveau und Fairness im Umgang mit den ihr anvertrauten Pferden, die sich allesamt als Allrounder mit Talent in den verschiedenen Disziplinen präsentieren. Zur Person 30 Vgl. Richtlinien Die Pferdewirtschaftsmeisterin und Reitmeisterin Ingrid Klimke startet seit ihrer Jugend in den Disziplinen Dressur, Springen sowie Vielseitigkeit. Seit 1998 betreibt sie einen Turnierstall, in dem sie junge Pferde bis zur Championatsreife ausbildet. Ihre Ausbildung erfolgte ganz im Sinne der klassischen Reitweise – in der Dressur zunächst durch ihren Vater Dr. Reiner Klimke, später und bis heute dann durch Major a. D. Paul Stecken. Im Springen trainierte sie lange Zeit mit Fritz Ligges. Mittlerweile wird sie hierbei vom ehemaligen Bundestrainer der deutschen Springreiter, Kurt Gravemeier, unterstützt. In der Vielseitigkeit arbeitet Ingrid Klimke mit den Bundestrainern Christopher Bartle und Hans Melzer zusammen. Durch Wilfried Gehrmann wird sie bei der Ausbildung der Pferde an der Doppellonge und vom Boden aus unterstützt. Etliche Platzierungen im internationalen Sport zeugen vom Erfolg ihres Ausbildungs- und Trainingskonzept: mehrfache Deutsche Meisterin der Vielseitigkeit, etliche Platzierungen bei Welt- und Europameisterschaften, Mannschaftsgold bei den Europameisterschaften 2013 in Malmö sowie 2015 in Schottland, Mannschaftsgold bei den Weltreiterspielen in Caen 2014, Mannschaftsgold bei den Olympischen Spielen 2008 in Hong Kong sowie 2012 in London – dies nur als schmaler Auszug aus den Erfolgen, die Ingrid Klimke in den letzten Jahrzehnten konstant erlangt hat. 2013 wird Ingrid Klimke vom Deutschen Olympiade-Komitee für Reiterei (DOKR) der OttoLörke-Preis für ihr Pferd Dresden Mann verliehen; das Pferd, das dem Dressurausschuss durch besonders herausragende Leistungen in Grand-Prix-Prüfungen aufgefallen war. Seit 2013 ist Ingrid Klimke neben ihrer Tätigkeit als Ausbilderin von Reiter und Pferd zudem Botschafterin des Weltreitsport-Verbandes und als Botschafterin für das weltweite Entwicklungsprogramm "FEI-Solidarity" tätig.31 Bei aller laut gewordenen Kritik und sicherlich auch fragwürdiger medialer Aufbereitung im Rahmen der Europameisterschaften 2015 in Aachen fällt Klimke der breiten Öffentlichkeit auch hier wieder positiv auf. So fordert beispielsweise die Zeitschrift die Welt in ihrem Artikel „Handelt endlich im Sinne der Pferde!“ vom 17.08.2015: 31 Vgl. http://www.klimke.org/vita-1.php Zugriff am 21.09.2015 Es ist der schönste Moment dieser Europameisterschaften – wie Ingrid Klimke mit Escada über die Geländestrecke kommt, über den Sandweg hinein ins große Stadion galoppiert. Die letzten Sprünge der Prüfung gibt es im Stadion. Alle hier fiebern mit. Die Menschen halten sich an der Hand. Tatsächlich Gänsehaut, nasse Augen. Das letzte Hindernis ist überwunden, Ingrid Klimke lässt die Zügel lang, und Escada, diese in sich selbst ruhende, so sichere Stute, schaut sich die Kulisse an. Entspannt, interessiert, klug. Das ist guter Pferdesport. Der Reitsport-Weltverband FEI und die Veranstalter sollten Klimke die Füße küssen.32 Grund genug einen Blick auf die Ausbildungsprämissen dieser erfolgreichen Reiterin zu werfen. 2015 erschien die achte überarbeitete Auflage des von Ingrid und Reiner Klimke veröffentlichten Buches „Grundausbildung des jungen Reitpferdes. Dressur. Springen. Gelände“. Interessant ist, was hier bereits im ersten Kapitel konstatiert wird: Es werden uns heute auf Reitpferde-Auktionen ungeniert dreijährige Pferde als Spitzendressur-, -spring- oder vielseitigkeitsnachwuchs angeboten. Von Pferden, die gerade erst angeritten sind, weiß man angeblich bereits jetzt, dass sie sich für große Leistungen in einer ganz bestimmten Disziplin eignen. Einem erfahrenen Pferdemann kann man das nicht vormachen. Er kennt den langen, geduldigen Weg der Ausbildung eines Pferdes von der Grundausbildung bis zur Spezialausbildung in den verschiedenen Disziplinen.33 Dieser Differenzierung der Ausbildung des jungen Pferdes in Grundausbildung und daran anknüpfende Spezialausbildung schließt sich die vorliegende Arbeit im Folgenden an. Klimke geht in ihren Ausführungen noch weiter und stellt die Vermutung auf, dass viele Beinschäden bei Pferden selbst im gehobenen Turniersport unter Umständen auf eine zu frühe Spezialausbildung mit einseitiger Belastung zurückzuführen seien.34 Im Laufe meines bisherigen Beruflebens habe ich mehrfach die Erfahrung machen können, dass es sich auszahlt, einen vielseitigen und disziplinoffenen Ansatz in der Ausbildung zu verfolgen. Exemplarisch seien im Folgenden zwei Pferde genannt, die in unseren Ausbildungsstall kamen. Der Wallach Antek 24 (Arpeggio x Florestan I) kam als 4-jähriges „Dressurpferd“ in unseren Stall. Er wurde abgegeben, da er sich für eine Laufbahn als Dressurpferd nicht 32 http://www.welt.de/sport/article145289683/Handelt-endlich-im-Sinne-der-Pferde.html Zugriff am 21.09.2015 33 Klimke, Ingrid/ Klimke, Rainer (2015): Grundausbildung des jungen Reitpferdes. Dressur, Springen, Gelände. Kosmos Verlag. Stuttgart. S. 9. 34 Vgl. Klimke (2015). S. 9. ausreichend eigne. Als 6-jähriges Pferd konnte er sich insgesamt sechs Mal unter unseren Reitern für das Bundeschampionat Springen qualifizieren. 3.2 Die Grundausbildung In Anlehnung an die Formulierung der Richtlinien für Reiten und Fahren wird das Ziel der Grundausbildung verstanden als das systematische Training des jungen, noch ungerittenen oder angerittenen Pferdes, das die Grundlage für eine spätere Spezialisierung schafft. Erst wenn das Pferd einen Stand in seiner Grundausbildung erreicht hat, in dem es sich mit dem zunächst noch fremden Reitergewicht ausbalanciert in seinem natürlichen Ablauf bewegt und eine Haltung einnehmen kann, die die Lockerung des Rückens als Bewegungszentrale ermöglicht, kann sich zeigen, für welche weitere Ausbildung das Pferd geeignet erscheint.35 Immer wieder sieht man sehr junge, bereits gerittene Pferde auf Reitpferdeauktionen, die durch ihre Zuchtbedingten, guten Anlagen den Blick auf ihr eigentliches Alter verklären. Die Ausbildung des jungen Reitpferdes sollte aber unbedingt erst dann beginnen, wenn das Wachstum der Gelenke, Knochen und Sehnen genügend weit fortgeschritten ist und der „Belastung“ des Reitens standhalten kann. So empfiehlt es sich in der Regel, mit dem Anreiten des Pferdes nicht vor dem dritten Lebensjahr zu beginnen. Dem Gewöhnen und Anreiten – meist im Frühjahr – kann dann 35 Klimke (2015). S. 10. idealerweise eine volle Weidesaison folgen, sodass dann zum Herbst die regelmäßige Arbeit unter dem Reiter beginnen kann.36 Dies ist lediglich eine grobe Richtschnur. Der Entwicklungsstand jedes Pferdes – sowohl physisch als auch mental - muss individuell betrachtet und die Ausbildung begleitend beobachtet werden. Nur ohne Zwang und Überforderung wird jedes Ausbildungsziel reell erreicht und langfristig gesichert. Die Grundausbildung (und auch der Aufbau jeder Trainingseinheit) orientiert sich gemäß den Richtlinien für Reiten und Fahren Band 1 an der Skala der Ausbildung: Takt Losgelassenheit Anlehnung Schwung Geraderichten Versammlung Diese Ausbildungsziele dienen dem Verbessern und Erreichen der Duchlässigkeit; das heißt die Bereitschaft des Pferdes, die Hilfen des Reiters anzunehmen, auf die treibenden Hilfen zu reagieren und dabei aktiv mit den Hinterbeinen abzufußen. Daraus kann sich in der fortschreitenden Ausbildung Schub- und Tragkraft entwickeln.37 Die einzelnen Punkte der Skala der Ausbildung gilt es, in ein Gesamtsystem aus Dressur-, Spring- und Geländereiten einzubinden. Über die einzelnen Lektionen und Übungen geben die Richtlinien für Reiten und Fahren Auskunft. Die vorliegende Meisterarbeit zum Meisterlehrgang „Zucht und Haltung“ legt den Fokus nicht auf das konkrete Reiten während der Grundausbildung sondern diskutiert verschiedene Aspekte und Argumente für eine vielseitige Grundausbildung. Im Folgenden soll kurz auf den Aufbau der Grundausbildung eingegangen werden, da dieser fundamental für das theoretische Verständnis und die meiner Meisterarbeit und meinem Beruf zu Grunde liegenden Sichtweise ist. 36 37 Vgl Klimke (2015). S. 17f. Vgl Klimke (2015). S. 56 und Richtlinien 3.2.1 Die Longenarbeit Die Arbeit an der Longe kann unterschieden werden in das Anlongieren, das Longieren vor dem Reiten und das Longieren anstelle des Reitens. Mit dem Anlongieren beginnt die Zeit der täglichen Ausbildungsarbeit für das junge Pferd. Es kann sich an Ausrüstung und Reiter gewöhnen und erlernt ein erstes Zusammenwirken der Hilfen. Das Longieren vor dem Reiten kann von Zeit zu Zeit hilfreich sein, um einen gewissen „Stallübermut“ des jungen Pferdes herauszulassen. Hier sowie grundsätzlich bei der Arbeit muss stets bedacht werden, dass die Pferde zuvor im Idealfall größtenteils auf der Weide standen und dort ihrem Bewegungsdrang zu jeder Zeit freien Lauf lassen durften. Das Pferd sollte daher nicht nur einmal täglich zum Reiten die Box verlassen, sondern einen Tagesablauf erhalten, der seinem Bedürfnis nach Bewegung gerecht wird. Auf diesen Punkt wurde bereits weiter oben im Zusammenhang mit den Eigenschaften des Pferdes verwiesen. Eine bedachte Tagesgestaltung des Pferdes, die ihm eine gewisse Routine erkennbar macht, ist Grundvoraussetzung, um überhaupt sinnhaft mit der Ausbildungsarbeit beginnen zu können. Durch ein Ablongieren vor dem Reiten, versuchen wir gezielt, Übermut des Pferdes herauszulassen, sodass dann das eigentliche Reiten bei voller Aufmerksamkeit möglich wird. Durch ein Longieren anstelle des Reitens geben wir unseren jungen und auch älteren Pferden mindestens ein- bis zweimal wöchentlich die Möglichkeit, sich möglichst frei und locker zu bewegen und eventuelle Spannungen herauszulassen. Wann immer es möglich ist, versuchen wir auch mit den unerfahrenen Pferden so früh wie möglich auf einem Longierzirkel im Freien zu arbeiten, um die neue Umgebung voller Anreize so früh wie möglich als Realität akzeptierbar zu machen. Das Longieren anstelle des Reitens – auch über Cavalettis – kann nicht nur eine willkommene Abwechslung in der täglichen Ausbildungsarbeit darstellen. Ebenso bietet sich dem Reiter die Möglichkeit, den Bewegungsablauf seines Pferdes vom Boden aus zu betrachten.38 38 Vgl. Klimke (2015). S. 37 f. Das korrekte Longieren will ebenso wie das Reiten gelernt sein. Es stellt einen wertvollen Teil der Arbeit mit dem Pferd dar. Es sollte nicht als schnelle Alternative zum Reiten verkommen. Da das Anlongieren die erste wirkliche Übung des Pferdes in der Reitbahn darstellt, muss ihm genauso viel Beachtung geschenkt werden wie dem Anreiten und der weiteren Ausbildung. Idealerweise erfolgt das Anlongieren des unerfahrenen Pferdes mit zwei ihm bereits bekannten Personen, von denen der Longenführer in der Mitte des Zirkels steht und der Zweite das Pferd auf der Kreislinie führt. Ist keine komplette Begrenzung, wie beispielsweise in einer Longierhalle, gegeben, sollte wenn möglich der Zirkel zumindest an zwei oder drei Seiten begrenzt sein. Dies erleichtert es, dem Pferd zu verstehen, was von ihm verlangt wird. An dieser Stelle sei noch einmal darauf hingewiesen, dass der erfahrene Ausbilder immer einen Schritt weiter denken sollte, um gewisse Situationen in der Ausbildung geschickt zu vermeiden. So kann es sich bei temperamentvollen Pferden mit großem Bewegungsdrang durchaus empfehlen, sie vor dem Anlongieren in Ruhe ohne Hetze oder Antreiben in der Halle laufen zu lassen. Wenn sich der erste Übermut gelegt hat, kann sich das Pferd deutlich besser auf die neuen Aufgaben konzentrieren. Mit dem Anlongieren kann in der Regel am besten auf der linken Hand begonnen werden, da es den meisten Pferden hier auf Grund der natürlichen Schiefe leichter fällt. Das Arbeiten an der Longe zielt zum einen darauf ab, das Pferd locker anzutrainieren. In erster Linie soll hierdurch aber Sicherheit und Gehorsam erreicht werden, sodass der Reiter bald zum ersten Mal aufsitzen kann. Es muss unbedingt beachtet werden, dass es nur einen ersten Moment für das erste Aufsitzen gibt. Eile und Hast sind hier kein guter Ratgeber. Wenn das junge Pferd mit langem Hals, vorwärts-abwärts gedehnt, zufrieden und losgelassen an der Longe geht und das Gebiss annimmt, ist es bereit, das zusätzliche Reitergewicht aufzunehmen. Nachdem zunächst das Auf- und Absitzen des Reiters mit dem jungen Pferd behutsam geübt wird, kann der Reiter in der Folge zunächst an der Longe und als eher passiver Reiter die ersten Runden im Schritt und Trab an der Longe absolvieren. Es folgen in den nächsten Wochen erste Runden in der Reitbahn, in denen sich der Reiter auch zunächst nur den Bewegungen des Pferdes geschmeidig anpasst und größtenteils über die Stimme und eventuell den Einsatz einer kurzen Reitgerte versucht, das Tempo zu regulieren. An das Bewegen in der gesamten Reitbahn kann das junge Pferd zuvor auch durch freies Laufen lassen gewöhnt werden. Durch das Aufstellen von Kegeln in die Ecken der Reitbahn kann das Pferd erlernen, sich auf dem Hufschlag vorwärts zu bewegen.39 3.2.2 Beginn und Aufbau der Grundausbildung Wie bereits erwähnt orientieren sich die Grundausbildung und der Aufbau jeder einzelnen Trainingseinheit an der Skala der Ausbildung. Sie fasst Erfahrungswerte und Erkenntnisse zusammen, die unumstößlich sind. Gerade hinsichtlich der Entwicklung verschiedener alternativer Reitweisen sei an dieser Stelle in aller Deutlichkeit darauf hingewiesen. Die einzelnen Aspekte der Skala der Ausbildung bauen aufeinander auf, bedingen sich aber auch gegenseitig im Wechselspiel miteinander. Die ersten drei Punkte Takt, Losgelassenheit und Anlehnung stellen in der Ausbildung des Pferdes die Inhalte der Gewöhnungsphase dar, die ca. ein halbes Jahr der Ausbildung in Anspruch nimmt. Erst wenn Takt, Losgelassenheit und Anlehnung reell und sicher vorhanden sind, kann in der Ausbildung weitergegangen werden. In der späteren Übungseinheit sind diese drei Punkte Inhalt der Lösungsphase. 39 Vgl. Klimke (2015). S. 45ff. Erster Grundsatz ist der Erhalt des Taktes, also des natürlichen Bewegungsablaufs im Schritt (Viertakt), Trab (Zweitakt) und Galopp (Dreitakt). Mit dem neuen, zusätzlichen Gewichts des Reiters muss das junge Pferd darin unterstützt werden, sein natürliches Gleichgewicht wiederzufinden. Die Losgelassenheit wird unterschieden in innere und äußere Losgelassenheit, die sich allerdings gegenseitig bedingen und im Prinzip nicht getrennt voneinander betrachtet werden können. Vielmehr stellen sie die beiden Aspekte der Losgelassenheit dar. So wird unter Losgelassenheit das zwanglose Mitschwingen des Rückens und das lockere An- und Abspannen der gesamten Muskulatur des Pferdes verstanden. Das Pferd zeigt sich zufrieden, entspannt und willig, den Hilfen des Reiters seinem Ausbildungsstand entsprechend zu folgen. Das Pferd schnaubt ab und zeigt eine gute Maultätigkeit. Unter Anlehnung wird die ständige, weiche und elastische Verbindung zwischen Reiterhand und Pferdemaul verstanden. Das Pferd nimmt dabei eine Haltung ein, die ihm ermöglicht, seine Kräfte zu entfalten und später Schwung zu entwickeln. In dieser Haltung ist es dem Pferd unter anatomischen Gesichtspunkten am besten möglich, das Reitergewicht zu tragen und sich schonend zu bewegen. In der nächsten Ausbildungsphase folgt die Entwicklung der Schubkraft und des Ganges aus dem energisch abfußenden Hinterbein über den schwingenden Rücken nach vorne. Bei jungen Pferden muss besonders der natürlichen Schiefe Beachtung geschenkt werden. Durch gezielte Gymnastizierung auf gebogenen und geraden Linien sowie durch gleichmäßige Durchbildung und Geschmeidigkeit der Rippenbögen auf beiden Seiten wird das Pferd durch den Reiter dazu befähigt, mit Hinterhand und Vorderhand in dieselbe Spur zu fußen. Systematisch geschieht dies dadurch, dass die Vorderhand auf die Hinterhand eingestellt wird. Keinesfalls andersherum. Das Geraderichten ist insbesondere ein wichtiger Aspekt hinsichtlich der Gesunderhaltung des Pferdes, da alle vier Beine gleichmäßig belastet werden und sich nicht ungleiche Muskulatur durch ungleiches Gehen ausbildet.40 Hier wird zudem deutlich, wie wichtig die vielseitige Grundausbildung ist: 40 Klimke (2015). S. 60. So manchem Pferd wird man beim Freilaufen vor dem eigentlichen Anreiten nicht ansehen, wie sich seine Grundgangarten durch systematisches Gymnastizieren noch verbessern können. Sicherlich ist eine Grundveranlagung immer vorhanden. Dennoch können viele Pferde ihre Grundgangarten unter einem guten und gefühlvollen Reiter noch deutlich ausdrucksvoller präsentieren. Unter vermarktungstechnischen Gesichtspunkten kann sich die Investition in die vielseitige Grundausbildung nur auszahlen. Hierauf wird später noch ausführlich eingegangen. Mit der Versammlung wird in der Regel erst nach einem Jahr der Grundausbildung begonnen. Im Zusammenspiel mit Geraderichten und Schwung kann dann die Tragkraft entwickelt werden. Unter Versammlung versteht man die vermehrte Lastaufname (Reiter- und Eigengewicht) durch die Hinterhand des Pferdes. Anatomisch ist dies schon allein deshalb ein sinnvoller Punkt in der Ausbildung des Pferdes, da 2/3 seines Gewichts auf den Vorderbeinen lasten. Durch vermehrte Winkelung zwischen Hüfte, Sitzbeinhöcker und Kniegelenk verlagert sich die Lastaufnahme vermehrt nach hinten. Es ist wichtig zu erkennen, dass die Versammlung keine Dressurlektion darstellt, sondern Relevanz für alle Bereich und Disziplinen hat. Aus dem Zusammenspiel der einzelnen Grundsätze der Skala der Ausbildung wird zunehmend mehr Durchlässigkeit erreicht: die Grundvoraussetzung für eine Harmonie zwischen Reiter und Pferd, für angenehmes und sicheres Reiten. Die Duchlässigkeit ist kein absolutes Ziel, sondern immer relativ zum Ausbildungsstand, also zu dem dem Pferd überhaupt Möglichen bewertet werden. Die Ausbildung muss vielseitig und abwechslungsreich gestaltet werden. Begründet wurde dies zuvor schon dadurch, dass sich erst durch eine vielseitige Ausbildung das eigentliche Talent zeigen kann. Zudem führt einseitige Belastung zu frühzeitigem Verschleiß und dient nicht der physischen Gesunderhaltung. Einseitiges und nicht abwechslungsreiches Training fördert auch nicht die psychische Gesunderhaltung des Pferdes und seine Leistungsfähigkeitund Bereitschaft. Im ersten halben Jahr beinhaltet die Grundausbildung im Prinzip „nur“ lösende Lektionen zum Abfragen und Erlernen von Takt, Losgelassenheit und Anlehnung wie beispielsweise Leichttraben ganze Bahn und auf dem Zirkel, häufige Handwechsel im Trab, häufige Wechsel zwischen Trab und Schritt, Wechsel zwischen Trab und Galopp auf dem Zirkel, Tritte und Sprünge verlängern auf der ganzen Bahn, einfache Schlangenlinien oder Schlangenlinien mit drei Bögen durch die Bahn. Diese Übungen sollten bei steter Genickkontrolle am längstmöglichen Zügel geritten werden.41 Je nach Temperament des Pferdes sollte bereits hier schon durch gewisse Umgebungswechsel Abwechslung in die tägliche Arbeit gebracht werden. Hierbei sollte Stress durch Verladen und fremde Situationen vermieden werden. Gemeint ist eher, die Schrittphase vor oder nach dem Reiten gegebenenfalls schon einmal auf dem bereits bekannten Außenplatz an der Hand oder unter dem Reiter zu verbringen. Die Arbeitsphase kann dann wie gewohnt in der Reitbahn stattfinden, wo die geschlossene Raumsituation Sicherheit für Reiter und Pferd bietet. Im zweiten Halbjahr der Ausbildung können bereits schwierigere lösende Übungen und Lektionen in die Arbeitseinheit eingebaut werden: Hierzu zählen unter anderem in den Zirkel hineinreiten und schenkelweichenartig wieder herausreiten, doppelte Schlangenlinien an der langen Seite, Viereck verkleinern und vergrößern, Zügel-aus-der Hand-Kauen-lassen. Im zweiten Ausbildungsjahr werden dann erste versammelnde Übungen hinzugenommen wie größere Volten im Trab und Galopp, Paraden vom Trab zum Halten, Mitteltrab und -galopp und jeweils wieder Zurückführen des Tempos, Angaloppieren aus dem Schritt. Schwierigere versammelnde Übungen gehören erst in die Grundausbildung des 5- oder 6-jährigen Pferdes.42 Über die einzelnen Übungen informieren die Richtlinien für Reiten und Fahren Band 1. Nicht nur in der Grundausbildung sondern bei der täglichen Arbeit jeden Pferdes in jedem Alter und Ausbildungsstand ist Ziel der Arbeit zunächst einmal das gelöste Pferd. Ingrid Klimke vertritt diese These in ihrem Buch mit absoluter Vehemenz: Das Ziel des täglichen Reitens eines jungen Pferdes ist das voll gelöste Pferd. Es gibt zwar Reiter, die die Ansicht vertreten, ein älteres gerittenes Pferd brauche nicht mehr gelöst zu werden, da es dann nur auf die Vorhand käme. Außerdem sei es sinnlos, die Spannungen erst herauszureiten, da man sie nachher, Z. B. für die Piaffe und Passage, doch wieder benötige. Solche Irrtümer können indessen nur auftauchen, wenn man das System der Reitausbidung in seiner Gesamtheit nicht erkennt und deshalb vom richtigen Weg abweicht.43 41 Vgl Klimke (2015). S. 67. Vgl. Klimke (2015). S. 69. 43 Klimke (2015). S. 70. 42 Um das Pferd zu lösen, die Rückenmuskulatur zu kräftigen und auch die Galoppsprünge zu verlängern eignet sich die ruhige Galopparbeit auf einer Rennbahn. Die Möglichkeit, auf einer solch langen Linie zu reiten führt auch im Trab dazu, dass die Bewegungen größer und raumgreifender geritten werden können. Hinzu kommt, und hier spielt wieder der Aspekt der natürlichen Eigenschaften des Pferdes eine Rolle, dass diese Form der Arbeit dem Pferd als Bewegungstier sehr entgegen kommt.44 Ein Beispiel aus unserem eigenen Stall ist der Wallach London 32. Ein Pferd, das schon sehr früh sehr viel Springvermögen zeigen konnte – allerdings ohne Konstanz. Ein gutes Pferd, das aber auf Grund von Körpergröße und Exterieur als junges Pferd große Schwierigkeiten hatte, sich auszubalancieren. Durch langfristige dressurmäßige Arbeit wurde es überhaupt erst möglich, das gesamte Vermögen voll und konstant abzufragen. Als älteres Pferd konnte sich dieser Wallach erfolgreich bis zur schweren Klasse platzieren. Anders verhielt es sich mit dem Wallach Louys 2. Abstammend von Lord Siclair I und eigentlich als „Dressurpferd“ gekauft, zeigte er schon früh beim Freispringen viel Geschick und Herz und war vom Charakter fast so wach und blutgeprägt, dass wir sowohl die dressurmäßige als auch springmäßige Ausbildung verfolgten. Louys wurde von einem Amateur im Springen bis zur Klasse S erfolgreich vorgestellt. 4. Plädoyer für eine vielseitige Grundausbildung von Reiter und Pferd 44 Klimke (2015). S. 115. Blickt man noch einmal in der Geschichte des Turniersports zurück, so wiederholen sich die Namen der erfolgreichen Reiterinnen und Reiter nicht selten in den Platzierungslisten der verschiedenen Disziplinen. Genannt seien hier nur zwei exemplarisch. Madeleine WinterSchulze gewann sowohl die Deutschen Meisterschaften in der Dressur (1959) als auch im Springen (1969, 1975). Fritz Thiedemann, der meist als herausragender Springreiter der 1950er Jahre Erwähnung findet, gelang als bisher einziger Reiter der Welt der Medaillengewinn bei Olympischen Spielen sowohl in der Dressur als auch im Springen. 1952 bei den Olympischen Spielen in Helsinki gewann er die Bronzemedaille im Springen sowie mit der deutschen Dressurmannschaft die Bronzemedaille. Vielseitige Grundausbildung des Pferdes und vielseitige Grundausbildung des Reiters bedingen sich gegenseitig, denn das eine kann ohne das andere nicht existieren. Die Gründe für die vielseitige Ausbildung des Pferdes wurden weiter oben ausgeführt. Kurz zusammengefasst lassen sie sich wie folgt resümieren: Die vielseitige Ausbildung des Pferdes ergibt sich aus den Ausführungen der klassischen Reitlehre untermauert von Erkenntnissen zur Biomechanik. Die Biomechanik des Pferdes ist leitet die Zusammenhänge der klassischen Ausbildungsphilosophie aus anatomischer Sicht her und hilft, diese besser zu verstehen. Jede Art der physischen und psychischen Spannung zwischen Reiter und Pferd führt zu Dysharmonie und im Längeren zum Verschleiß des Pferdes. Unter Aspekten der Biomechanik drückt sich die Harmonie in einem „schwingenden Rücken, einem kauendem Maul, einem hergegebenen Genick und einem rhythmisch und kräftig schiebend vorwärtsgehenden Pferd aus“.45 Vielseitiges Reiten fordert und fördert immer verschiedene Muskelpartien: so hilft die Springgymnastik dem Pferd dabei, den Rücken aufzuwölben. Das Abdrücken vor dem Sprung bildet das Pendant zum energischen Abfußen des Pferdes und ist damit die Grundlage jeder Dressurlektion. Das Reiten über Stangen verbessert den Takt, sei es als In-Out im Galopp oder über Schrittstangen, die dabei unterstützen können, das Pass gehen oder ein „Zackeln“ im Schritt zu vermeiden. Das Reiten im Gelände fördert die Trittsicherheit und gewöhnt das Pferd daran, auf Außeneinflüsse gelassen zu reagieren. 45 Vgl. http://www.gerdheuschmann.com/48.html Die klassische Reitlehre, wie in den Richtlinien für Reiten und Fahren wiedergegeben, zeigt also einen klaren, auf der Anatomie und der Psyche (der Natur) des Pferdes aufbauenden, Weg zum gesunden, rittigen Pferd auf. Sie stellt des Weiteren die ethische Verpflichtung dar, das Pferd durch systematische Gymnastizierung zur vollen Entfaltung seiner natürlichen Anlagen bei möglichst langer Gesunderhaltung zu bringen. Zudem bringt eine frühe Spezialisierung nicht nur die Gefahr einer einseitigen Belastung mit sich. Unter Umständen verstellt sich der Reiter, Ausbilder oder Besitzer, der diese forciert, selbst den Blick auf die weiteren Talente des Pferdes. Ebenso wie man in den letzten Jahren zunehmend früh spezialisierte, ihrem Altersstand fast zu weit ausgebildete junge Pferde auf Auktionen oder Championaten sieht, so stellt man nicht nur im nationalen sondern auch im ländlichen Sport eine Trendwende fest, die die Ausbildung des Reiters betrifft. Bereits auf Basisniveau versucht sich, eine frühe Spezialisierung des Reitanfängers zu etablieren, die sich vielleicht weniger am konkreten Talent orientiert, als die Mutigen von den Vorsichtigen trennt. Dabei sollte beim Reiter ebenso wie beim Pferd in die vielseitige Grundausbildung und die weiterführende Spezialausbildung unterschieden werden. Die vielseitige Grundausbildung schult Balance und Unabhängigkeit des Sitzes des Reiters und lehrt ihn, auch in unerwarteten Situationen, souverän zu reagieren. Wer nicht einmal in vollem Galopp über eine Rennbahn oder ein Feld geritten ist, wird sich schneller unsicher zeigen, wenn sein Pferd einmal aus Übermut das Tempo erhöht. Der Reiter, der eine Grundausbildung im Überwinden von Hindernissen erfahren hat, wird während eines etwaigen Bocksprungs leichter die Balance halten und die Situation auflösen können. Die vielseitige Grundausbildung des Reiters erhöht also auch die Sicherheit beim Reiten. Seitens der FN wird die vielseitige Ausbildung von Reiter und Pferd seit Jahren gefördert und gefordert. Das Konzept setzt auf den verschiedenen Ebenen und Leistungsniveaus an. Die Ausbildung des jungen Reiters, soweit er an Turnieren teilnehmen oder Abzeichen zur Motivation und Überprüfung der eigenen Ausbildung ablegen möchte, fragt neben theoretischen Kenntnissen auf Basisniveau auch die beiden Disziplinen Springen und Dressur, teilweise auch Geländereiten ab. Die Reitabzeichen sind unterteilt in die Kategorien RA 10 bis RA 1 ab. Das Reitabzeichen 10 ist das einfachste Reitabzeichen. Die Anforderungen sind noch nicht so hoch. So reiten die Anfänger hier noch an der Longe oder am Führzügel. Außerdem müssen sich die Absolventen in der Pferdepflege auskennen und beim Satteln und Trensen mithelfen. Mit dem RA 8 kommt bereits das Reiten mit verkürzten Bügeln im leichten Sitz hinzu. Mit dem RA 6 werden zusätzlich zum Dressurreiten, der Bodenarbeit und der Abfrage theoretischer Kenntnisse auch erste Sprünge in Anlehnung an die Klasse E absolviert. Erst mit dem RA 5 kann, wenn gewünscht, eine Differenzierung in RA Dressur und RA Springen erfolgen.46 Die Ausbildung der Trainer als Multiplikatoren im Verein fragt ebenfalls die vielseitige Ausbildung des Ausbilders selbst, als auch seine Befähigung zur vielseitigen Ausbildung seiner Reitschüler ab. Auf der ersten Lizenzstufe (Eingangsstufe) erfolgt die Ausbildung zum Trainer C. Unabhängig von der Differenzierung in Basis- oder Breitensport müssen die Anwärter das RA 4 (Dressur und Springen) nachweisen und im Rahmen der Prüfung unter anderem die gymnastizierende Arbeit auf ebenem Hufschlag, über Hindernisse und im Gelände zeigen. Für die Ausbildung zum Trainer A muss das RA 2 in Dressur und Springen nachgewiesen werden. Praktische Prüfungsanforderungen sind hier unter anderem das dressur-, springe- und geländemäßige Arbeiten des Pferdes.47 Nicht zuletzt müssen auch diejenigen, die sich beruflich dem Reiten widmen, eine vielseitige Ausbildung nachweisen. Seit 1975 wird der Beruf des Pferdewirts durch das Berufsausbildungsgesetz geregelt. Der Titel des „Pferdewirts Schwerpunkt Reiten“ wurde mittlerweile geändert in „Pferdewirt – Schwerpunkt klassische Reitausbildung“. Als spezielle Aufgabengebiete für diesen Beruf nennt die FN unter anderem die vielseitige, klassische Ausbildung des Pferdes. Zu den Prüfungsbereichen zählen unter anderem die Vorstellung eines Pferdes bis zum Schwierigkeitsgrad der beginnenden Versammlung nach den Kriterien einer Dressurreiterprüfung auf Kandare sowie im Springparcours bis zum Schwierigkeitsgrad von 1,20 m Höhe nach den Kriterien einer Standardstilspringprüfung. Bei der Meisterprüfung zum Pferdewirtschaftsmeister wird dann sogar das Geländereiten, das Dressurreiten auf 46 Vgl. http://www.pferd-aktuell.de/reitabzeichen/abzeichen-im-ueberblick/abzeichen-im-ueberblick Zugriff am 28.09.2015 47 Vgl. Broschüre „Trainer Reiten 2014“. FN Verlag. http://www.pferdaktuell.de/shop/index.php/cat/c97_Berufsausbildung-und-Trainerausbildung.html#22010 Zugriff am 28.09.2015 Trense, das Dressurreiten Klasse M auf Kandare und das Springreiten der Klasse M abgefragt.48 5. Schluss Ein abschließendes Argument für eine vielseitige Ausbildung des jungen Pferdes ergibt sich aus rein pragmatischen Gründen. Derjenige, der sich beruflich mit dem Reitsport befasst, ist häufig in seinem Tun auch von der Vermarktung abhängig. Missachtet man ethische Grundsätze sowie die Forderungen der klassischen Reitweise, stellt sich berechtigterweise die Frage, wem dies eigentlich von Nutzen sein soll? Das Pferd wird keine innere und äußere Losgelassenheit finden, kann sich weder optimal entwickeln noch reell präsentieren, der Käufer ist früher oder später unzufrieden. Schätzungsweise 10.000 Fohlen werden jedes Jahr geboren. Dabei ist die Zucht in den letzten Jahren immer spezifischer geworden – die Nachfrage auch? Ist es nicht vielmehr so, dass die breite Masse nach „Allroundern“, dem klassischen „Mannschaftspferd“, sucht? In der Praxis der Vermarktung zeigt es sich immer wieder, dass ein gut gerittenes Springpferd mit „normalem“ Vermögen viel gefragter ist, als der Spezialist, der vielleicht mit deutlich mehr Vermögen ausgestattet ist, sich dafür aber weniger rittig präsentiert. Es darf nicht der Fehler gemacht werden, die Ansprüche und Bedürfnisse der Breitensportler zu unterschätzen. 9/10 aller Reiter kommen aus der Sparte des Breitensports, von ihnen leben die Wirtschaftszweige, die sich dem Pferd und Pferdesport widmen – sei es die Futtermittel- oder die Textilindustrie, der Vermarkter oder die Pensionsställe. So kann beispielsweise auch die Nachfrage an Jagdpferden - vielseitig ausgebildete Pferde, flink und mutig, mit viel Übersicht – ebenso wie die Nachfrage nach gelassenen Voltigier- oder Freizeitpferden kaum bedient werden. Und das nicht, weil es diese Pferde nicht gibt, sondern weil sie häufig durch ein Beharren beispielsweise auf einen unverrückbaren Zusammenhang von Talent und Abstammung gar nicht erkannt werden. 48 Vgl. Broschüre „Die Berufsausbildung zum Pferdewirt“. FN Verlag. http://www.pferdaktuell.de/shop/index.php/cat/c97_Berufsausbildung-und-Trainerausbildung.html#22010 Zugriff am 28.09.2015 Es gilt, zu hinterfragen, ob vor diesem Hintergrund nicht sogar die leistungsorientierte Zucht am eigentlichen Zuchtziel vorbei geht. So beschlossen 1975 die Verbände das Rahmenzuchtziel des Deutschen Reitpferdes als Oberbegriff für die Pferde der regionalen Warmblut-Zuchtgebiete. Es heißt hier: Gezüchtet wird ein edles, großliniges und korrektes Reitpferd mit schwungvollen, raumgreifenden, elastischen Bewegungen, das aufgrund seines Temperamentes, seines Charakters und seiner Rittigkeit für Reitzwecke jeder Art geeignet ist.49 Zucht und Sport sollten sich an diesem Ziel orientieren. Ist der durchschnittliche Reiter – was hier nicht wertend gemeint ist – überhaupt in der Lage, ein völlig spezialisiertes Leistungspferd auszubilden oder nachzureiten? Verlangen die 9/10 der reitenden Bevölkerung danach? Mit dem Rückgang der ländlichen Zucht, eventuell bedingt durch Wirtschaftskrisen, während derer keine reellen Preise für Pferde erzielt werden konnten, entwickelte sich eine Art Teufelskreis. Das „normale“ Pferd gemäß dem oben genannten Zuchtziel wurde fast zur Mangelware. Denjenigen, die sich beruflich dem Reitsport verschrieben haben, sollte immer wieder klar werden, dass die Menschen, die durch eventuell zu spezialisierte Zucht und zu wenig Geduld und Investition in schonende und vielseitige Grundausbildung, nicht „bedient“ werden können, dem Verband verloren gehen. Sie wandern ab und wenden sich gegebenenfalls alternativen Reitweisen zu. Mit der vorliegenden Arbeit wurden verschiedene Aspekte der vielseitigen Grundausbildung herausgearbeitet. Beispielsweise wurde die vielseitige Grundausbildung als Selbstverständnis des Reiters gegenüber seinem Pferd betrachtet, ihm einen abwechslungsreichen Alltag zur ermöglichen. Aus historischer Perspektive wurde die Entwicklung des Reitsports und seinen Regelwerken nachvollzogen, die letzten Endes zu den Richtlinien für Reiten und Fahren führten. Auf Grundlage von Erfahrungen und biomechanischen Erkenntnissen, begründet sich hier die vielseitige Ausbildung gemäß der Skala der Ausbildung, indem sie die Grundlage für die 49 Richtlinien für Reiten und Fahren . Band 2. S. 49. Harmonie zwischen Reiter und Pferd bei gleichzeitig möglichst langer physischer und psychischer Gesunderhaltung bildet. Es wurden exemplarisch Maßnahmen und Bemühungen seitens der Deutschen Reiterlichen Vereinigung vorgestellt, die die vielseitige Ausbildung von Reiter und Pferd fördern sollen. Zuletzt wurde aus wirtschaftlicher Sicht, nämlich unter der Perspektive der Vermarktung, die Sinnhaftigkeit einer vielseitigen Grundausbildung begründet. Jedem Pferd seinen Job. Wenn wir uns das zum Leitgedanken unseres Handelns machen, einen vielseitigen und offenen Ansatz verfolgen, dann tragen wir unseren Teil dazu bei, dem Pferd seinen Möglichkeiten entsprechend zu fördern und zu fordern. Über allem steht letzten Endes die ethische Verpflichtung, die wir dem Lebewesen gegenüber haben, das uns als Freizeit- oder Sportpartner anvertraut wurde und zur Seite steht. 6. Literaturverzeichnis Frömming, Angelika (2011): Bilder und Fakten zur Entwicklung der Ausbildung von Reiter und Pferd im Dressur- und Springreiten. FN Verlag. Warendorf. http://www.fnverlag.de/pferdebuecher-reitbuecher-fuer-kinder-und-erwachsene/fachliteraturdressur-dressurreiten/grundausbildung-fuer-reiter-und-pferd-isbn-978-3-88542-7216_p1000.html, Zugriff am 14.09.2015 Ethik im Pferdesport – Teil I. Die Ethischen Grundsätze des Pferdefreundes. Hrsg. von Deutsche Reiterliche Vereinigung. 9. Auflage. 2006. Kunffy, Charles de (1997): Ethik im Dressursport. Ein leidenschaftlicher Appell. Stuttgart: Kosmos. Vgl. Richtlinien für Reiten und Fahren. Band 1 xxxx http://www.klimke.org/vita-1.php Zugriff am 21.09.2015 http://www.welt.de/sport/article145289683/Handelt-endlich-im-Sinne-der-Pferde.html Zugriff am 21.09.2015 Klimke, Ingrid/ Klimke, Rainer (2015): Grundausbildung des jungen Reitpferdes. Dressur, Springen, Gelände. Kosmos Verlag. Stuttgart. . http://www.pferd-aktuell.de/reitabzeichen/abzeichen-im-ueberblick/abzeichen-im-ueberblick Zugriff am 28.09.2015 Broschüre „Trainer Reiten 2014“. FN Verlag. http://www.pferd- aktuell.de/shop/index.php/cat/c97_Berufsausbildung-und-Trainerausbildung.html#22010 Zugriff am 28.09.2015 http://www.gerdheuschmann.com/48.html Zugriff am 29.09.2015