Salmans Kopf - Schauspiel Stuttgart

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Salmans Kopf
Brüder Presnjakow
Hintergrundmaterial für den Unterricht
Uraufführung > 22. September 2012
Spielzeit 2012/2013
1
Liebe Lehrerinnen und Lehrer,
Salman Rushdie steckt in einer Schreibblockade. Seine zum Liefern von szenischen Skizzen
verdonnerte Familie hat wohl am meisten unter diesem Kreativitätsloch zu leiden.
Als er selbst die Geschichte um Liza Minelli, einen unsichtbaren Hund und eine
bethlehemisch anmutende Geburt in einer Flughafenhalle nur mit Zorn auf seine
uninspirierte Famile quittiert, fasst diese einen Entschluss: Das Familienoberhaupt muss
weg! Und dazu noch möglichst geldbringend. Die Lösung liegt klar auf der Hand: Salmans
Kopf soll im Internet versteigert werden! Aber einen vermögenden Käufer zu finden,
scheint schwieriger als gedacht...
SALMANS KOPF ist eine Uraufführung des Autorenpaares Wladimir und Oleg Presnjakow.
Die Brüder stammen aus Jekaterinenburg im Ural und sind spätestens seit ihrem Stück
Terrorismus (Europäischer Autorenpreis des Heidelberger Stückemarkts 2003) auch im
deutschsprachigen Theater bekannt.
Mit SALMANS KOPF haben die Presnjakows eine schräge Komödie geschrieben, in der sie
mit allen Mitteln des Theaters spielen. Sie machen dabei vor keinem Tabu Halt,
»Ähnlichkeiten mit lebenden Personen sind rein zufällig« heißt es mit einem
Augenzwinkern auf der Seite ihres Verlages. Gemeint sind Ähnlichkeiten mit dem
indischbritischen Starautor Salman Rushdie, dessen Roman Die satanischen Verse den
iranischen Staatschef Khmoeini 1989 dazu veranlasste, die Fatwa über ihn auszusprechen,
weil er sich darin abschätzig gegenüber dem Islam und dem Propheten geäußert habe.
Rushdie musste untertauchen und bekam vom britischen Staat dauerhaft Polizeischutz,
was dem Erfolg seines Romans und weiterer Bücher keinen Abbruch tat.
Wer Salman Rushdie bisher nur durch seine Kurzgeschichte Good Advice Is Rarer
Than Rubies (Bestandteil der Pflichlektüre in Englisch) begegnet ist, soll hier die
Möglichkeit erhalten, das dramatische Potenzial rund um den Autor zu entdecken.
Wir wünschen eine spannende Auseinandersetzung mit diesem Material
und ein anregendes Theatererlebnis!
Daniela Urban
Theaterpädagogik
SCHAUSPIELSTUTTGART
[email protected]
FON > 0711.2032-234
FAX > 0711.2032-595
Silke Klose
Schul- und Gruppenreferat
SCHAUSPIELSTUTTGART
[email protected]
FON > 0711.2032-526
FAX > 0711.2032-595
2
INHALTSVERZEICHNIS
SALMANS KOPF > Zur Inszenierung ..................................................................................................4
BRÜDER PRESNJAKOW >
Die Autoren .........................................................................................5
SALMANS KOPF > Inhaltliche Zusammenfassung.............................................................................6
SALMANS KOPF > Realität und Fiktion .............................................................................................7
SALMAN RUSHDIE > Hintergründe – „Im Mauseloch der Angst“ ....................................... 8
HERE WE GO AGAIN > Excerpts from “From Fatwa to Jihad” by Kenan Malik ..................... 10
SALMAN RUSHDIE > Interview - „Vielleicht sind Sie weiser als ich“ .................................. 18
WHY THEY STILL DON’T HATE US > About the 'us' versus 'them' worldview................... 26
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SALMANS KOPF > Zur Inszenierung
Salman Rushdie hat ein Problem: Er steckt in einer Schreibblockade. Alle seine Themen
erscheinen ihm ausgelutscht, nichtig und irrelevant. Am meisten, so scheint es, leidet seine
Familie unter diesem Kreativitätsloch. Nicht genug, dass das Familienoberhaupt sie dazu
missbraucht, ihm szenische Skizzen zu entwerfen, er weiß die Versuche nicht einmal zu
würdigen. Im Gegenteil – selbst die Geschichte um Liza Minelli, einen unsichtbaren Hund
und eine bethlehemisch anmutende Geburt in einer Flughafenhalle quittiert er mit Zorn auf
seine scheinbar so uninspirierte Familie. Doch die hat seine dirigierende Art nun endgültig
satt. Leider ist er als Ernährer trotzdem nicht verzichtbar. Doch wie kann man mit einem
schreibblockierten, ehemaligen Promi-Autor noch Geld machen? Der Familie scheint die
Lösung klar auf der Hand zu liegen: mit dem Nachklang seiner Berühmtheit. Salmans Kopf
soll im Internet versteigert werden! Das muss doch Geld bringen. Fehlt nur noch ein
Käufer, der bereit dazu ist, eine Million für Salman Rushdies Kopf hinzublättern und das
erweist sich als schwieriger als gedacht...
Besetzung:
Salman
Liza
Sohn
Boyfriend
Teenager
Nimrod
Michail
Natascha
Sebastian Kowski
Anna Windmüller
Matthias Kelle
Jan Jaroszek
Fridolin Y. Sandmeyer
Bijan Zamani
Sebastian Röhrle
Eléna Weiß
Regie
Bühne
Kostüme
Musik
Dramaturgie
Catja Baumann
Jelena Nagorni
Maike Storf
Murat Parlak
Katrin Spira
Uraufführung 22. September 2012| NORD
Regie > Catja Baumann
Die Uraufführung der grotesken Farce SALMANS KOPF inszeniert Catja
Baumann, die in den Spielzeiten 2010/2011 und 2011/2012 künstlerische
Leiterin des NORD war. Am SCHAUSPIEL STUTTGART führte sie
ebenfalls in LA LÍNEA, ROMEO UND JULIA, DIE DUNKLE
UNERMESSLICHKEIT DES TODES und FRÜHLINGS ERWACHEN Regie.
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BRÜDER PRESNJAKOW > Die Autoren
Die
Brüder
Presnjakow
kommen
aus
Jekaterinburg im Ural, sind beide promovierte
Philologen und haben mehrere Jahre an der
Universität ihrer Heimatstadt unterrichtet Oleg (Jahrgang 1969) Literaturwissenschaft,
Wladimir (Jahrgang 1974) Psychologie.
Sie haben noch während des Studiums ein
kleines Theater gegründet, in dem sie sich als
Autoren,
Regisseure
und
Schauspieler
ausprobieren konnten, seit Ende der neunziger
Jahre schreiben sie zusammen Theaterstücke.
Bereits ihre ersten Stücke fanden große Beachtung. EUROPA ASIEN
(Deutsche
Erstaufführung 26.11.2004 am Staatstheater Cottbus) wurde 2001 beim Moskauer Festival
für junge Dramatik „Ljubimowk“ als bestes Stück ausgezeichnet.
Den wirklichen Durchbruch erzielte das Autorenduo mit dem Stück TERRORISMUS,
das in der Inszenierung von Starregisseur Kirill Serebrennikow am Moskauer
Künstlertheater im November 2002 uraufgeführt wurde und seitdem auch international
Erfolge feiert (mit Inszenierungen u.a. in London, Lissabon, Stockholm und einer Einladung
zu den Wiener Festwochen 2004). Beim Heidelberger Stückemarkt 2003 erhielt
TERRORISMUS (Deutsche Erstaufführung 16.4.2004 am Maxim Gorki Theater Berlin) den
Europäischen Autorenpreis.
Im August 2003 hatte ihr Stück OPFER VOM DIENST seine Uraufführung am Traverse
Theatre in Edinburgh (Deutsche Erstaufführung 7.5.2004 am Hessischen Staatstheater
Wiesbaden). Es folgten die Stücke FUSSBODENBELAG (Deutsche Erstaufführung
21.5.2005 am Theater Aachen), VOR DER SINTFLUT (Deutsche Erstaufführung 28.3.2008
am Staatstheater Stuttgart) und SALMANS KOPF (Uraufführung 22.09.2012 ebenfalls am
Staatstheater Stuttgart).
In Russland zählt das Autorenduo heute zu den bekanntesten Dramatikern ihrer Generation,
ihre Stücke werden weiter mit großem Erfolg gespielt. Mit dem Roman TÖTET DEN
SCHIEDSRICHTER (2007) gaben die Brüder ihr Prosadebüt. Die deutsche Hörspielfassung
nach diesem Roman (Bearbeitung Gabi Bigott/Andrea Czesienski) wurde bereits mehrfach
gesendet und mit Preisen geehrt.
„Sie sind aufgetaucht wie Teufel aus der Tabakdose, haben genervt mit ihren Flüchen und
ihrer spöttischen Haltung zur Geschichte und deren heiligen Kühen, mit ihrer
Leidenschaft, „eine Realität zu erfinden“, in der das Alltägliche mit seinen riesigen
Geschwüren erscheint.“
(Dina Goder, Die Wochenzeitung, 18. 12. 02)
5
SALMANS KOPF > Inhaltliche Zusammenfassung
Salman ist Schriftsteller – nicht mehr jung, aber prominent.
„Papa, du bist doch ein Dings, ein Kulturerbe“
schmeichelt ihm sein jüngster Sohn etwas unbeholfen und will den Vater damit endlich aus
der Reserve locken. Salman hat nämlich ein echtes Problem: Er steckt in einer
Schreibblockade. Alle Themen erscheinen ihm als schon dagewesen, nichtig oder irrelevant
- er ist auf der Suche nach einer genialen Story, einem Clou, mit dem er noch einmal
provozieren könnte, um damit vielleicht endlich den Nobelpreis abzuräumen. Dann, so
erträumt er sich, wäre alles wie früher:
„Leibwächter! Geld! Nutten! Hi de ho!“
Etwas verklärt blickt Salman auf die eigene Vergangenheit: Früher schaute die ganze Welt
auf ihn, seine Bücher und sein Schicksal. Immerhin hatte er mit einem Roman den
iranischen Staat so sehr provoziert, dass ein Kopfgeld auf ihn ausgesetzt wurde und er vom britischen Personenschutz bewacht - untertauchen musste. Doch all das ist wirklich
lange her, kaum jemand interessiert sich mehr für Salman.
Auf dem Spiel steht nun der lieb gewonnene und inzwischen unverzichtbare PromiLebensstandard. Denn ein Schriftsteller, der nichts schreibt, bringt kein Geld mehr nach
Hause. Fast noch mehr als Salman selbst, leidet seine Familie unter seinem Kreativitätsloch.
Nicht genug, dass das Familienoberhaupt sie dazu missbraucht, ihm szenische Skizzen zu
entwerfen, er weiß die Versuche nicht einmal zu würdigen:
„Habt ihr nicht ein Thema für mich, für das man heute verflucht werden kann?“
Nachdem auch der showreife Auftritt von Liza Minelli,
ein unsichtbarer Hund und eine bethlehemisch
anmutende Geburt in einer Flughafenhalle am Gate
nach Israel von Salman nur mit Zorn auf seine
uninspirierte Familie quittiert wird, hat diese seine
dirigierende Art endgültig satt. Leider ist er als Ernährer
trotzdem nicht verzichtbar.
Doch wie kann man mit einem schreibblockierten,
ehemaligen Promi-Autor noch Geld machen? Der
Familie scheint die Lösung klar auf der Hand: Mit dem
Nachklang seiner Berühmtheit. Salmans Kopf spuckt
keine Ideen mehr aus, dann soll er im Internet
versteigert werden! Das muss doch Geld bringen. Fehlt
nur noch ein Käufer, der bereit dazu ist, dafür eine
Million hin zu blättern.
Aber wie kommt man ran, an Salmans Kopf? Klar, runter muss er. Irgendwie. Allerdings
traut sich niemand in der Familie so richtig zu, selbst Hand anzulegen. Wenn schon keine
moralischen Zweifel, dann doch wenigstens welche die eigenen Enthauptungskünste
betreffend. Hier kommt Fleischer Nimrod ins Spiel, der nicht nur Schlacht-Erfahrung,
sondern auch gleich mal die selbstkonstruierte Guillotine mitbringt. Bleibt nur noch ein
Problem: Wie kommt der Kopf zum Käufer? Luftpost? Als „Wursttorte“ getarnt? Alles viel zu
verdächtig!
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„Dann muss der Käufer eben zum Kopf kommen!“, denkt sich der russische Oligarch
Michail und schneit gleich mal bei den Rushdies rein. Der braucht nämlich dringend ein
extravagantes Geburtstagsgeschenk für einen guten Freund und hält den Kopf des
Starautors für eine adäquate Lösung. Da lässt er auch gerne ein Milliönchen springen.
Es kommt also zum Showdown: Der zappelnde
Salman wird unter die Guillotine geschnallt, die
Familie samt Fleischer drapiert sich mit
Partyhütchen und Luftschlangen drum herum
und stimmt ein Ständchen an. Der dirigierende
Oligarch filmt fleißig mit, schließlich soll das
Enthauptungs-Video ja gleich via Smartphone
ans Geburtstagskind gesendet werden.
Die Guillotine wird betätigt, das Beil fällt und
Salman schreit. Und schreit. Und schreit? Ist der
Kopf nicht ab? War alles nur Show? Nur um
die Genialität des Familienoberhaupts zu
erwecken, so tief in die Trickkiste greifen? Für
die Erleuchtung im Moment des Todes? Oder so
ähnlich. Ob es wohl geklappt hat?
SALMANS KOPF > Realität und Fiktion
„Ähnlichkeiten mit lebenden Personen sind rein zufällig.“
Gemeint sind Ähnlichkeiten mit dem indisch-britischen Starautor Salman Rushdie, dessen
Roman „Die satanischen Verse“ den iranischen Staatschef Khomeini 1989 dazu veranlasste,
die Fatwa über ihn auszusprechen, weil er sich abschätzig gegenüber dem Islam und dem
Propheten geäußert habe. Rushdie musste untertauchen und bekam vom britischen Staat
dauerhaft Polizeischutz, was dem Erfolg seines Romans und weiterer Bücher keinen
Abbruch tat.
Die Presnjakows haben Spaß daran, von der Geschichte Rushdies ausgehend den
bewussten Tabubruch zu begehen, zu dekonstruieren und virtuos und überraschend mit
einem Spiel im Spiel zu jonglieren. Die groteske Farce setzt auf hintergründigen Humor
und arbeitet mit Zitaten der aktuellen Literatur-, Theater- und Filmwelt.
Dabei werden Erwartungen aufgebaut, für einen Moment absolut ernsthaft erfüllt,
um dann wieder gebrochen zu werden und neue Realitäten und Erwartungen zu erschaffen.
Das jeweilige Spiel ist im Moment, in dem es stattfindet, immer absolut ernst zu nehmen ebenso wie die Codes, die es nennt. Ob Facebook oder Dante, Dostojewski oder Liza Minelli
- alles erscheint gleich wichtig, beziehungsweise nimmt sich wichtig. So wird auch
die Selbstreferentialität des Kulturbetriebs aufs Korn genommen und die Frage gestellt,
was Kultur eigentlich wertvoll macht.
7
SALMAN RUSHDIE > Hintergründe - „Im Mauseloch der Angst“
Das Attentat auf den Zeichner Kurt Westergaard war nicht der erste Versuch,
eine tödliche Fatwa zu vollstrecken. Im Fall von Salman Rushdie vor gut 20 Jahren war
der Protest laut. Heute gehen westliche Dichter und Denker in Deckung, wenn es um
den Schutz "religiöser Gefühle" geht.
Im Jahr 1988 erschien Salman Rushdies Roman
"Die Satanischen Verse" in der amerikanischen
Originalausgabe. Worauf der iranische Staats- und
Revolutionsführer, Ajatollah Chomeini, eine "Fatwa"
gegen Rushdie erklärte und ein hohes Kopfgeld für
dessen Ermordung auslobte. Es kam zu mehreren
Anschlägen auf die Übersetzer und Verleger des
Romans, wobei der japanische Übersetzer Hitoshi
Igarashi ums Leben kam. Millionen von Muslimen in
aller Welt, die das Buch nicht gelesen und den
Namen Rushdie noch nie gehört hatten, wollten das
Todesurteil gegen den Autor vollstreckt sehen, um
mit seinem Blut die beschmutzte Ehre des Propheten
wieder reinzuwaschen.
In dieser Atmosphäre traute sich kein deutscher Verlag, Rushdies Buch zu publizieren.
Worauf einige Schriftsteller, unter ihnen Günter Grass, die Initiative ergriffen, damit
Rushdies Roman in Deutschland erscheinen konnte - in einem Verlag, der ausschließlich zu
diesem Zweck gegründet wurde. Er hieß „ARTIKEL 19“ - wie der Paragraf der UnoDeklaration, der das Recht auf Meinungsfreiheit garantiert - und war ein Gemeinschaftsunternehmen, an dem Dutzende von Verlagen, Organisationen und Einzelpersonen beteiligt
waren, darunter Bertelsmann, Fischer, Hoffmann & Campe, Suhrkamp und Wagenbach,
der Verband deutscher Schriftsteller und das PEN-Zentrum der Bundesrepublik, Norbert
Blüm und Oskar Lafontaine, Hans Magnus Enzensberger und Klaus Staeck, Frank
Schirrmacher und Roger Willemsen. Es war die breiteste Koalition, die je in der
Bundesrepublik zustande gekommen war.
17 Jahre später, nachdem die dänische
Tageszeitung
"Jyllands-Posten"
auf
einer Seite ein Dutzend MohammedKarikaturen veröffentlicht hatte, kam es
in der islamischen Welt zu ähnlichen
Reaktionen: Millionen Muslime und
Muslima zwischen London und Jakarta,
die keine der Karikaturen gesehen oder
auch nur den Namen der Zeitung je
gehört hatten, demonstrierten gegen die
Beleidigung
des
Propheten
und
verlangten die Bestrafung der Übeltäter:
mit dem Tode. Osama bin Laden ging
so weit, die Auslieferung der Zeichner
zu verlangen, um sie von einem
islamischen Gericht aburteilen zu
lassen.
8
Doch anders als im Falle von Rushdie solidarisierte sich diesmal kaum jemand mit den
bedrohten dänischen Karikaturisten. Im Gegenteil. Günter Grass, der die ARTIKEL-19Aktion angestoßen hatte, äußerte sein Verständnis für die verletzten Gefühle der Muslime
und die daraus resultierenden gewalttätigen Reaktionen; diese seien, so Grass, eine
"fundamentalistische Antwort auf eine fundamentalistische Tat", womit er eine Äquidistanz
zwischen den zwölf Karikaturen und den Mordaufrufen auf die Karikaturisten herstellte.
Bei der Gelegenheit wurde Grass auch grundsätzlich: "Wir haben das Recht verloren, unter
dem Dach auf freie Meinungsäußerung Schutz zu suchen."
Der damalige britische Innenminister Jack Straw nannte die Veröffentlichung
der Karikaturen "unnötig, unsensibel, respektlos und falsch". Der "Vorwärts", das Organ
der SPD, verteidigte die Meinungsfreiheit im Allgemeinen, meinte aber, in diesem
speziellen Fall würden die Dänen die Freiheit "missbrauchen, nicht im rechtlichen, aber
im politischen-moralischen Sinne". Fritz Kuhn, 1955 geboren, hatte ein Déjà-vu:
"Mich haben sie (die Karikaturen) an die antijüdischen Zeichnungen in der Hitler-Zeit vor
1939 erinnert." Womit der damalige Fraktionschef der Grünen bewies, dass er entweder
ein sensationelles pränatales Gedächtnis oder noch keine einzige antisemitische Karikatur
aus dem "Stürmer" gesehen hat.
Es war, als würden Blinde über Kunst, Taube über Musik und Eunuchen über Sex
diskutieren - vom Hörensagen, denn abgesehen von "taz", "Welt" und "Zeit" waren alle
deutschen Zeitungen und Magazine der Empfehlung von Claudia Roth gefolgt "Deeskalation beginnt zu Hause" - und hatten auf einen Abdruck der Karikaturen
vorsorglich verzichtet. So wie es auch der Psychoanalytiker Horst-Eberhard Richter geraten
hatte: "Der Westen sollte alle Provokationen unterlassen, die Gefühle von Erniedrigung und
Demütigung hervorrufen...“
Wären die Mohammed-Karikaturen flächendeckend in
der deutschen Presse nachgedruckt worden, hätten die
Zeitungsleser sich selbst ein Bild machen können,
wie exzessiv harmlos die zwölf Zeichnungen waren und
wie bizarr und gegenstandslos die ganze Debatte, statt
die Beurteilung "Experten" zu überlassen, die jede Kritik
am Papst und der Kirche, jede blasphemische
Kunstaktion
im
Namen
der
Meinungsfreiheit
verteidigen, im Falle der Mohammed-Karikaturen
allerdings plötzlich der Ansicht waren, man müsse auf
religiöse Gefühle anderer Menschen Rücksicht nehmen.
Das freilich war nur eine Ausrede, eine Art Mauseloch der Angst. Denn zwischen der
Rushdie-Affäre und dem Karikaturen-Debakel war einiges passiert: 9/11, die Anschläge von
London, Madrid, Bali, Jakarta, Djerba, die von manchen Kommentatoren ebenfalls als
Ausdruck der Erniedrigung und Demütigung der islamischen Welt durch den Westen
interpretiert wurden. Vor dieser Drohkulisse schien es vernünftiger und vor allem sicherer,
"Respekt" vor religiösen Gefühlen zu bekunden als auf dem Recht auf freie
Meinungsäußerung zu bestehen.
Und es waren nur wenige, die aus der Reihe tanzten, der britische Komiker Rowan Atkinson
("Mr. Bean") erklärte, "das Recht zu beleidigen" sei "sehr viel wichtiger, als das Recht,
nicht beleidigt zu werden", die aus Somalia stammende und damals in Holland lebende
säkulare Muslimin Ayaan Hirsi Ali schrieb ein Manifest, das mit den Worten begann:
"I am here to defend the right to offend."
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Aber das waren Ausnahmen. Sogar der damalige französische Präsident, Jacques Chirac,
vergaß vorübergehend, dass er die "Grande Nation" vertritt, zu der auch Sartre,
Voltaire und Victor Hugo gehören, und dekretierte, dass "alles, was den Glauben anderer,
zumal den religiösen Glauben, beleidigen könnte, vermieden werden muss".
So begann die geforderte "Deeskalation" nicht
nur "zu Hause", sie endete auch vor der eigenen
Haustür. Denn die andere Seite denkt nicht daran
zu deeskalieren. Die Fatwa gegen Salman
Rushdie ist immer noch in Kraft, der
Mordanschlag gegen Kurt Westergaard war nicht
der erste Versuch, ein Todesurteil zu vollstrecken,
dem keine Straftat zugrunde liegt. Der Islam
mag in der Theorie eine "Religion des Friedens"
sein, die Praxis sieht anders aus.
Mitten in Berlin lebt eine deutsch-türkische Rechtsanwältin, die vor kurzem abtauchen
musste, weil sie mit Morddrohungen überzogen wurde, nachdem sie ein Buch veröffentlicht
hatte. Es enthält keine einzige Mohammed-Karikatur, allein der Titel ist eine Provokation,
die ans Eingemachte geht: "Der Islam braucht eine sexuelle Revolution".
(Henryk M. Broder für Spiegel Online, 02.01.2010)
HERE WE GO AGAIN > Excerpts from “From Fatwa to Jihad” by Kenan Malik
One thing should be clear. The violence across the Muslim world in response to an American
anti-Islamic film has nothing to do with that film. Yes, The Innocence of Muslims is a risibly
crude diatribe against Islam. But this obscure film that barely anyone had seen till last week is
no more the source of the current violence than God is the source of the Qur’an.
The details of the rioting in Benghazi that killed the US ambassador and sparked the current
crisis still remain unclear. What is clear, however, is that the violence is being driven less by
religious fury than by political calculation. In Libya, Egypt and elsewhere, the crisis is being
fostered by hardline Islamists in an attempt to seize the political initiative in a period of
transition and turmoil. The film is almost incidental to this process.
The real struggle is not between Muslims and non-Muslims, but between different shades
of Islamists, between hardline factions and more mainstream ones. The insurrections that
transformed much the Arab world over the past year have created a new terrain for the battle
between Muslim factions for political supremacy. But the struggle itself is nothing new. The
same tensions fuelled the confrontations over The Satanic Verses and the Danish cartoons.
I have long argued that both were primarily political rather than religious conflicts. I am
publishing here two edited extracts from my book From Fatwa to Jihad: The Rushdie Affair
and its Legacy which describes the development of both conflicts.
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FROM THE BAN TO THE BOOK BURNING TO THE FATWA
(From Fatwa to Jihad, pp1-7, 17-19)
On 5 October, barely a week after it had
been published in Britain, the Indian
Ministry of Finance placed The Satanic
Verses on its list of proscribed books. The
ban, the ministry proclaimed, ‘did not
detract from the literary and artistic merit
of Rushdie’s work.’ To which Rushdie
sardonically replied, ‘Thanks for the good
review’ – while also wondering what the
world might make of the fact ‘that it is the
Finance Ministry that gets to decide what
Indian readers may or may not read.’ The
ministry was acting on orders from Prime
Minister Gandhi who had been alerted to
the issue by MP Syed Shahabuddin,
a member of the opposition Janata Party,
and a self-proclaimed champion of India’s
150-million strong Muslim community.
‘The very title’ of Rushdie’s book, Shahabuddin complained in an article in The Times of
India, was ‘suggestively derogatory’… Like virtually all of Rushdie’s opponents,
Shahabuddin had not actually read The Satanic Verses. ‘I do not have to wade through a
filthy drain to know what filth is’, he retorted. He had been alerted to the novel’s
significance by Jamaat-i-Islami activists. Jamaat-i-Islami is an Islamist organisation founded
in India in 1941 by Sayyid Abu’l Ala Maududi, one of the heroes of the modern jihadist
movement. Rushdie had already taken aim at the Jamaat in his previous novel, Shame.
Its response was the campaign against The Satanic Verses. It organised protests and
petitioned Indian MPs. With a general election due in November, the result of which was
too close to call, no politician was willing to alienate an important Islamic organisation.
A ban on The Satanic Verses was inevitable, whether or not anyone had read the book,
and whatever its ‘literary and artistic merit’.
The Jamaat had a network of organisations in Britain, funded by the Saudi
government… The Saudis encouraged a number of Jamaat-influenced organisations in
Britain to set up the UK Action Committee on Islamic Affairs (UKACIA) to co-ordinate the
campaign against what one UKACIA circular described as ‘the most offensive, filthy and
abusive book ever written by any hostile enemy of Islam’.
But however overwrought the language, the Jamaati
and the Saudis wanted to keep the anti-Rushdie
campaign low-key. The Saudis’ style was that of
backroom manoeuvrings rather than street protests.
They hoped that a combination of diplomatic
pressure and financial muscle could suppress
The Satanic Verses, just as it had managed
to ensure that Death of a Princess, a 1980 TV
documentary hostile to the Saudis, was never
reshown on British TV. This time the campaign had
little success. Penguin refused to withdraw the book
and the British government refused to ban it.
11
Even Muslim states seemed barely interested. Few responded to the Saudi campaign or
banned the novel. In November Pakistan and South Africa followed India’s lead in
proscribing the book and soon after Saudi Arabia, Egypt, Bangladesh, Malaysia and Sudan
did so too. But in the majority of Muslim countries, including virtually all Arab states,
The Satanic Verses continued to be freely available, even after the Organization of Islamic
Conference had, in November, called for a ban.
In December – almost three months after the publication of the novel – came the first major
street protest in Britain. Seven thousand Muslims marched through Bolton… The
demonstration was organised not by the Jamaati but by a rival Islamic faction, the
Deobandis. The Jamaati possessed money and political influence, thanks to the Saudi
connection, but little support on the ground. The majority of British Muslims were Barelwis,
a Sufi-influenced tradition founded in India by Ahmad Raza Khan. Most mosques were run
by the Deobandis, another movement founded in nineteenth century British India, with the
aim of cleansing Islam and which placed particular stress on Qur’anic study and law…
Conflict between the Jamaatis, the Barelwis and the Deobandis was a feature of British
Islam, and helped fuel the Rushdie controversy.
The Bolton protest was an
impressive call to arms. Almost
7000 protestors from across
Britain marched through a town
with a total Muslim population of
around 10,000. As in Bradford,
they carried a copy of The
Satanic Verses that they torched
– the first time The Satanic
Verses had been burnt in anger
in Britain. Yet, almost no one took
any
notice.
Whatever
the
grievances of British Muslims
about The Satanic Verses, these
had not yet registered on the
national radar.
The Bradford protest the following month was different, partly because Bradford itself was
different… By the 1980s, this small northern town had become the heartbeat of Britain’s
Muslim communities. The creation of the Bradford Council of Mosques in 1981, and the
close relationship between the mosques – around half of which were controlled by the
Deobandis – and Bradford City Council, had provided the town’s imams with considerable
political clout. Bradford’s heart also beat strongly to a secular pulse. […] The demonstrators
videoed the protest and despatched the images to media outlets across the world. The
flames that incinerated The Satanic Verses were fanned into an international controversy.
In response to the Deobandi demonstrations the Jamaati organised its own street protests –
not in Britain but in Pakistan. Pakistan had already banned the novel. But the Islamic
Democratic Alliance, of which the Jamaat-i-Islami was an influential part, had recently lost
an election to Benazir Bhutto’s Pakistan People’s Party. ‘Was the agitation really against the
book which has not been read in Pakistan, is not for sale in Pakistan’, Bhutto wondered,
or ‘was it a protest by those people who lost the election… to try and destabilize the
process of democracy?’
12
The Jamaati organised an anti-Rushdie demonstration on 12 February, targeting neither the
British embassy nor the offices of Penguin books, but the American Cultural Centre in
Islamabad. An angry Jamaati-led mob, 2000-strong according to some reports, 10,000strong according to others, tried to storm the Centre shouting ‘Allahu Akhbar’ and
‘American Dogs’. They pulled down the Stars and Stripes flying on top of the building and
burnt it, along with an effigy of Salman Rushdie. Eyewitness described the police repeatedly
firing into the crowd with semi-automatic rifles and pump-action shotguns. By the end of
the day at least five people had been killed and more than a hundred injured – the first
fatalities of the Rushdie affair.
Yet even now fury about The Satanic Verses appeared confined largely to Muslims in the
Indian subcontinent and in Britain. Critics of Rushdie have insistently argued that the
blasphemies in his novel caused mortal offence to all Muslims. ‘The life of the Prophet
Mohammad’, the liberal Muslim writer Ziauddin Sardar has observed, ‘is the source
of Muslim identity.’ Because ‘the Prophet and his personality define Islam’, so every Muslim
relates to him directly and personally.’ That is why Sardar had ‘felt that every word, every
jibe, every obscenity in The Satanic Verses was directed at me – personally.’ Every Muslim
would have felt the same, Sardar insisted. ‘Just as people threatened with physical genocide
react to defend themselves, Muslims en masse would protest against this annihilation of
their cultural identity.’
Leaving aside the question of whether the
blasphemies in The Satanic Verses are really
more offensive than, say, the attempt to compare
the publication of a novel with the Final Solution,
Sardar’s claim that all Muslims would see such
blasphemies as the ‘annihilation of their cultural
identity’ was not borne out by events. The novel
had little impact on Muslims in other European
countries. There was barely a squeak of protest in
either country when the novel was published
there. In America there was an organised letter
campaign aimed at Viking Penguin, and bomb
threats against its offices, but no mass protests as
in Britain, India or Pakistan. Arabs and Turks, too,
seemed as unmoved by Rushdie’s blasphemies as
did their European and American brethren.
Even within the Islamic Republic of Iran there appeared to be little concern. Unlike the
governments of India, Pakistan, Saudi Arabia and South Africa, Teheran’s revolutionary
mullahs had felt no need to ban the book. In December 1988, Kayhan Farangi, a leading
Iranian literary journal, published a review. The Satanic Verses, it suggested, ‘contains a
number of false interpretations about Islam and gives wrong portrayals of the Qur’an and
the Prophet Muhammad. It also draws a caricature-like and distorted image of Islamic
principles which lacks even the slightest artistic credentials.’ Though highly critical of the
novel, there was no intimation that the ‘distorted images’ amounted to blasphemy or that
Rushdie’s ‘moral degradation’ constituted apostasy. Nor was there any suggestion that
The Satanic Verses was, as the Jamaati-inspired UK Action Committee had put it, ‘the most
offensive, filthy and abusive book ever written by any hostile enemy of Islam’.
Kayhan Farangi acknowledged Rushdie’s insistence ‘that his book is nothing more than a
work of imagination which tries to investigate the birth of a major religion from the point of
view of a secular individual.’ It acknowledged, too, Rushdie’s fear that the campaign against
the novel in the subcontinent was driven by politics rather than theology.
13
[…] The fatwa transformed the Rushdie affair from a dispute largely confined to Britain and
the subcontinent (albeit with considerable Saudi involvement) into a global conflict with
historic repercussions, from a quarrel about blasphemy and free speech into a matter of
terror and geopolitics.
According to one story, the Ayatollah Khomeini was watching the evening news on TV
when he saw the Islamabad demonstrations and the killing of the protestors. So moved
was he by the deaths that he immediately called for his secretary and dictated the fatwa.
In reality, the fatwa was less an emotional response to the Islamabad killings than a political
tactic to respond to inter-Islamic strife both inside and outside Iran…
The 1979 revolution, which had overthrown the Shah and
established an Islamic republic, had made Tehran the
capital of Muslim radicalism, and Ayatollah Khomeini its
spiritual leader. Yet Tehran’s attempts, in the following
decade, to broaden the Islamic revolution had made little
headway. It had failed to destabilise the deeply
conservative Saudi regime or to loosen the Saudi grip on
the direction of Islam worldwide. It had also been forced,
in 1988, to abandon ingloriously its bitter and bloody eightyear war against Iraq, and with it its hopes of bringing
down Saddam Hussein… Inside Iran, Khomeini was facing
increased opposition from reformers such as the speaker of
the parliament, Ali Hashemi Rafsanjani, who had
condemned the ‘shortsightedness’ of Iranian foreign policy
for ‘making enemies without reason’ and was pushing for
improved relations with the West.
The fatwa turned the tables on Khomeini’s Islamic enemies. His bold action seemed to
contrast with the spinelessness of the Saudis and allowed him to appeal over the heads of
his opponents to the disappointed and deprived multitudes, offering them a new moral and
religious struggle to restore their pride.
Today Inayat Bunglawala is a prominent British Muslim leader. In 1989 he was a student at
London’s Queen Mary College. He was distressed by The Satanic Verses and frustrated by
the Saudi campaign that ‘did not seem to be getting anywhere’. Then came the fatwa.
‘I felt a thrill’, he remembers. ‘It was incredibly uplifting. The fatwa meant that as British
Muslims we did not have to regard ourselves just as a small, vulnerable minority; we were
part of a truly global and powerful movement. After the fatwa we could say, “If we are not
treated with respect, then we have friends capable of forcing you to respect us”.’
The fatwa sowed confusion and division among supporters of the Saudi regime. A number
of militants who had taken part in the Afghan jihad against the Soviet Union and who had
been within Riyadh’s orbit now pledged allegiance to Teheran – among them the Egyptian
Sheik Omar Abdel Rahman, who is currently serving a life sentence in America for planning
to bomb the World Trade Centre in New York in 1993.
Inside Iran, the fatwa stopped in its tracks attempts to improve relations with the West. The
reformers were forced to denounce Rushdie, Rafsanjani describing the publication of The
Satanic Verses as ‘an organized and planned’ plot involving the intelligence services of
Britain, France, Germany, the United States – and certain ‘Zionist publishers’.
14
The fatwa helped transform the very geography of Islam. Under traditional Islamic law, no
fatwa could be valid outside those areas in which sharia law applied. Muslims may have
emigrated to Britain or converted in India, but a fatwa could have no validity there because
these states were not under Islamic authority. With his four-paragraph pronouncement,
the Ayatollah had transcended the traditional frontiers of Islam and placed the whole world
under his jurisdiction. At the same time he helped relocate the confrontation between the
Islam and the West, which until then had been played out largely to the Middle East and
South Asia, into the heart of Western Europe. For the West, Islam was now a domestic
issue.
HOW THE DANISH CARTOONS LAUNCHED A GLOBAL CONTROVERSY
(From Fatwa to Jihad, pp142-145, 147-149)
In 2005 Kåre Bluitgen was writing a children’s book on Islam, The Qur’an and the Life of
the Prophet Mohammed, which he hoped would bring greater understanding of the religion
to a new generation of Danes. He looked for an illustrator. The first three he approached
refused to take on the job, the fourth would do so only on condition of anonymity. All were
worried that they would end up like Theo van Gogh, the Dutch film-maker ritually murdered
on the streets of Amsterdam by a Muslim incensed by his anti-Islamic films. Many Muslims,
they reminded Bluitgen, considered it blasphemous to portray Mohammed in the flesh…
The leftwing newspaper Politiken ran a story about Bluitgen’s fruitless search, under the
headline ‘Dyb angst for kritik af islam’ (‘Profound anxiety about criticism of Islam’).
In response, Flemming Rose, the culture editor of Politiken’s rightwing rival
Jyllands-Posten, asked the nation’s most renowned cartoonists to draw pictures of
Mohammed. Rose said he wanted to see ‘how deep this self-censorship lies in the Danish
public’. He approached forty cartoonists, 12 of whom accepted the challenge. Their
caricatures were published in Jyllands-Posten on 30 September 2005, under the headline
‘Muhammeds ansigt’ (‘The face of Muhammed’).
The most controversial of the cartoons showed the Prophet
wearing a turban in the form of a bomb. In another,
dumbfounded suicide bombers are turned away from the gates
of paradise with the words, ‘Stop. Stop. We have run out of
virgins.’ ‘The modern secular society’, Rose wrote in a
commentary to the cartoons, ‘is rejected by some Muslims.
They demand a special position, insisting on special
consideration of their own religious feelings. It is incompatible
with contemporary democracy and freedom of speech, where
you must be ready to put up with insults, mockery and ridicule.’
That is why, he added, ‘Jyllands-Posten has invited members
of the Danish editorial cartoonists union to draw Mohammed as
they see him.’
And so began the infamous Danish cartoons controversy. Except that it didn’t – at least not
straight away. The publication of the cartoons caused no immediate reactions, even in
Denmark. About a week later, not having created the furore they had hoped for, journalists
contacted a number of imams for their response. The cartoons had simply not registered
with Muslim leaders, but once the journalists had pointed them out, they quickly recognised
the opportunity provided not just by the caricatures themselves but also by the sensitivity
of Danish journalists and politicians to their publication.
15
Among the first contacted was Ahmed Abu Laban, infamous for his controversial views
on Osama bin Laden (whom he called a ‘businessman and freedom fighter’) and 9/11
(‘I mourn dry tears for the victims’, was Laban’s response). Described by the Danish press
as a ‘spiritual leader’, he was in fact a mechanical engineer by trade, and an Islamist
by inclination. Having been expelled from both Egypt and the United Arab Emirates
because of his Islamist views, he had sought refuge in Denmark in 1984. There he became
leader of the Islamic Society of Denmark, an organisation closely linked to the Muslim
Brotherhood. […]
Abu Laban seized upon the cartoons to transform himself into a spokesman for Denmark’s
180,000 Muslims, demanding an apology not just from the newspaper but from the Danish
Prime Minister, too, and organising a demonstration outside the offices of Jyllands-Posten.
Yet however hard the imams pushed, they could not provoke major outrage either in
Denmark or abroad. Three days after the Copenhagen demonstration, the Egyptian
newspaper Al Fagr republished the cartoons. It was accompanied by a critical commentary,
but the newspaper made no attempt to blank out Mohammed’s face. (When the British
liberal magazine Prospect republished one of the cartoons to illustrate an essay I had
written about the affair, the Prophet’s face was left blank, so as not to cause offence.)
Neither the Egyptian government nor the country’s religious authorities raised any
objections to Al Fagr’s full-frontal photos.
In the very week in which Al Fagr had republished the cartoons without official censure,
the Egyptian ambassador to Denmark joined nine other Muslim diplomats to request a
meeting with the Danish Prime Minister Anders Fogh Rasmussen, and to demand that he
distance himself from the caricatures. Rasmussen refused to meet the ambassadors,
claiming that to do so would infringe the freedom of the press.
At the beginning of December 2005, the Organisation of Islamic Conference (OIC) held
a summit in Mecca. A group of Danish imams compiled a forty-page dossier about the
cartoons to circulate to the delegates. The dossier consisted of the original 12 cartoons,
pictures from another Danish newspaper, Weekendavisen, that were ‘even more offending’
(they were in fact parodies of the pompousness of the Jyllands-Posten caricatures),
hate-mail sent to Danish Muslims, and letters from Muslim organisations explaining the
case for censorship. Also in the dossier were three other pictures that had nothing to do
with Jyllands-Posten but at least one of which was reported on the BBC as having been
published in the Danish paper. It showed a man with a pig mask, and was widely taken
to be an offensive depiction of Muhammed himself. In fact it was a photo taken at a
traditional pig-squealing contest in France; there was no connection to Islam. The imams
later claimed that it had been sent to Muslims taking part in an online debate about the
cartoons and was included as an illustration of the ‘Islamaphobia’ under which Danish
Muslims lived. The OIC summit condemned the cartoons and demanded that the United
Nations take action against Denmark.
Two weeks later a second delegation of Danish imams
toured various Middle Eastern, Near Eastern and North
African countries. At the end of January, Saudi Arabia
recalled its ambassador from Denmark and launched a
consumer boycott of Danish goods. In response a
swathe of European newspapers – including France
Soir, Germany’s Die Welt, Die Zeit, Tagesspiegel and
Berliner Zeitung, Italy’s La Stampa, El Periodico in
Spain and the Dutch paper Volkskrant – republished
the cartoons in ‘solidarity’ with Jyllands-Posten.
16
It was only now – more than four
months after the cartoons had been
originally published, more than four
months of effort to create a
controversy – that the issue became
more than a minor diplomatic
kerfuffle. The republication of the
cartoons sparked off protests in
India, Pakistan, Indonesia, Egypt,
Libya, Syria, Iran, Nigeria, Palestine,
Afghanistan and elsewhere, leaving
more than 250 dead, many killed
when police fired into crowds. At
least a hundred died as Muslim and
Christian mobs clashed in Nigeria.
Danish embassies in Damascus,
Beirut and Teheran were torched…
Like the Rushdie affair, the controversy over the Danish cartoons was driven not by
theology but by politics. The Islamic art historian (and member of the Jordanian royal
family) Wijdan Ali has shown that, far from Islam having always forbidden representations
of the Prophet, it was perfectly common to portray him until comparatively recently.
The prohibition against such depictions only emerged in the 17th century.
Even over the past 400 years, a number of Islamic, especially Shiite, traditions have
accepted the pictorial representation of Muhammed. The Edinburgh University Library in
Scotland, the Bibliotheque National in Paris, New York’s Metropolitan Museum of Art and
the Topkapi Palace Museum, Istanbul, all contain dozens of Persian, Ottoman and Afghan
manuscripts depicting the Prophet. A 17th-century mural on the Iman Zahdah Chah Zaid
Mosque in Isfahan in Iran shows a veiled figure of Mohammed; through the veil, his facial
features are clearly visible.
Even today, few Muslims have a problem in seeing the Prophet’s face. The Iranian
newspaper Hamshahri, which, in response to the Jyllands-Posten caricatures, launched a
competition for cartoons about the Holocaust ran, at the very time it was campaigning
against the Danish cartoons, a photo of a mural from a contemporary Iranian building that
depicted Mohammed on his Night Voyage. When Al Fagr republished the cartoons, it did
not think it necessary to blank out Muhammed’s face, and faced no opprobrium for not
doing so. The paper might have been critical of Jyllands-Posten but it certainly was not
obsessed with the idea that the Prophet must remain unseen – and neither were Egypt’s
religious and political authorities. It took several months of dedicated, and often hysterical,
campaigning to generate an international storm.
Pandaemonium | September 14, 2012 by Kenan Malik
17
SALMAN RUSHDIE > Interview - „Vielleicht sind Sie weiser als ich“
„ich bin die summe all dessen, was vor mir geschah,
all dessen, was unter meinen augen getan wurde,
all dessen, was mir angetan wurde.
ich bin jeder mensch und jedes ding,
dessen dasein das meine beeinflusste
oder von meinem beeinflusst wurde.
ich bin alles, was geschieht,
nachdem ich nicht mehr bin,
und was nicht geschähe,
wenn ich nicht gekommen wäre“
> Salman Rushdie
Herr Rushdie, Sie sind der berühmteste lebende Schriftsteller der Welt.
Nein, nur mein Name ist berühmt, weil er mit gewissen Ereignissen in Verbindung
gebracht wird, und jeder glaubt, mich zu kennen, auch wenn er kein einziges Buch von mir
gelesen hat.
Schmeichelt Ihnen das?
Im Gegenteil! Es ist, als wäre etwas berühmt, das ich nicht bin. In den Jahren, als ich unter
der Todesdrohung der Fatwa lebte, kam es mir vor, als schrieben andere meine
Lebensgeschichte. Jeder Taxifahrer hatte eine Meinung über mich. Es gab Tausende
Stimmen, gegen die ich nicht ankam mit meiner Stimme.
Wie ist es heute?
Es kommt immer noch vor, dass ich, wenn ich einen Raum voller Menschen betrete, die ich
zuvor nie getroffen habe, in den Gesichtern lesen kann, dass alle von mir eine Vorstellung
haben, die nichts zu tun hat mit dem, der ich tatsächlich bin. Ich muss dann zuerst den
Salman Rushdie, für den sie mich halten, wegwischen, damit sie begreifen, wer tatsächlich
vor ihnen steht.
Aber so geht es doch jedem Star.
Das stimmt. Aber in meinem Fall kam etwas Ärgerliches hinzu, nämlich die Frage, ob ich
ein guter Mensch sei oder ein schlechter. Es gab lange Zeit eine Menge Leute – ich meine
nicht Muslime –, die mir extrem feindselig gegenüberstanden.
Man gab Ihnen die Schuld an Ihrem Unglück. Man sagte, Sie hätten mit Ihrem Roman
„Die satanischen Verse“ das, was Ihnen danach widerfuhr, selbst heraufbeschworen.
Ja, und das passiert einer Madonna zum Beispiel nicht. Über die wird viel Klatsch
geschrieben, harmloses Geschwätz. Damit könnte ich umgehen. Aber in meinem Fall war es
anders. Ich wurde nicht als normale Berühmtheit behandelt, sondern einerseits idealisiert,
andererseits als eine Art Dämon verdammt. Weder das eine noch das andere entsprach der
Person, als die ich mich fühlte.
Sie sind zu einem Symbol für etwas geworden, das Samuel Huntington den „Kampf der
Kulturen“ nannte.
Ja, aber das langweilt mich.
Sie werden sich damit abfinden müssen, so wie sich Marilyn Monroe mit ihrem Image
als Sexsymbol abfinden musste.
Ich wäre lieber ein Sexsymbol.
18
Nun waren Sie im Zusammenhang mit dem Streit um die dänischen Karikaturen wieder
in aller Munde. Kaum ein Bericht verzichtete auf den Vergleich Ihres Falls mit dem der
bedrohten Karikaturisten.
Das ist legitim. Aber es wird sich legen. Der Streit um diese Zeichnungen ist eine Posse.
In Zukunft wird man sich, wenn wieder so etwas passiert, sowohl an die Karikaturen als
auch an mich erinnern. Also bin ich nicht mehr der Einzige.
Fanden Sie die Zeichnungen gelungen?
Die meisten nicht. Wäre ich der verantwortliche Redaktor gewesen, hätte ich nur eine
veröffentlicht, die ganz lustig ist, nämlich die, wo Mohammed zu den Selbstmordattentätern
sagt, sie sollten aufhören zu töten, die als Belohnung versprochenen Jungfrauen im
Paradies seien ausgegangen. Aber das ist nicht das Entscheidende. Von denen, die auf die
Straße gingen, haben die meisten die Karikaturen gar nicht gesehen, sondern wurden
instruiert, sich beleidigt zu fühlen. Es ging nicht um Religion, sondern um Macht.
Warum haben Sie, obwohl Sie betonen, dass Sie ausschließlich Ihrer Literatur wegen
geschätzt werden wollen, im März ein Manifest unterschrieben, das Sie erneut in die
Schlagzeilen brachte?
Da ging es um mehr, nämlich um den Protest gegen eine totalitäre Ideologie, die sich einer
religiösen Sprache bedient. Wir, die Unterzeichner, teilen die Sorge, dass die westlichen
Antworten auf dieses Phänomen zu beschwichtigend ausfallen. Hätte ich das nicht
unterschrieben, hätte ich mich als Feigling gefühlt. Das Merkwürdige ist, dass jetzt sogar
viele islamische Führer finden, es sei ein Fehler gewesen, wie man mit mir nach den
„Satanischen Versen“ verfuhr, ein taktischer Fehler, weil es nicht funktionierte.
Ein Mullah sagte, hätte man Sie damals getötet, hätte es nie diese Karikaturen gegeben.
Ja, man darf sich diesen Leuten gegenüber nicht versöhnlich verhalten, weil sie sich
dadurch ermutigt fühlen.
Obwohl die Regierung des Iran 1998 die Fatwa gegen Sie für beendet erklärte,
wird sie jedes Jahr von islamischen Geistlichen wiederholt.
Das bedeutet nichts. Es ist ein Ritual. Fakt ist, dass das seit acht Jahren keine
Auswirkungen mehr auf mein Leben hat.
Unlängst fand in Teheran ein sogenannter Kongress der Selbstmordattentäter statt,
wo gelehrt wurde, wie man solche Attentate begeht.
Ich weiß.
Eine Studentin sagte in einem Interview, eines der
Ziele sei die Ermordung des Schriftstellers Salman
Rushdie.
Ich kenne das Zitat. Aber das ist nur noch Rhetorik,
also kein wirkliches Mordkonzept, sondern Teil eines
Todeskults. Den Leuten dort wird gesagt, das Leben
sei unwichtig, interessant werde es erst nach dem
Tod. Der radikale Islam hat sich in eine Kirche des
Todes verwandelt.
Der Wahlspruch lautet: «Wer das Leben mehr liebt als den Tod, ist unser Feind.»
Genau. Das ist die scheußlichste Philosophie, die man sich vorstellen kann.
19
Die Attentäter werden indoktriniert.
Ja, aber das entschuldigt sie nicht. Man sagt ihnen, das Paradies ist das Ziel, die Welt
ist ein Jammertal. Aber letztlich liegt die Entscheidung bei ihnen. Jeder Mensch ist selbst
verantwortlich für seine Taten.
Auch wenn er arm und ungebildet ist?
Ja. Denn nicht Armut und Unwissenheit führen zu Unmoral. Sonst wäre die Welt voller
Teufel. Sie können es in Indien sehen, wo vor allem die Armen aus den Dörfern gegen
Ungerechtigkeit und Korruption votieren. Moralische Integrität hängt nicht vom
Bildungsstand ab. Die meisten Terroristen kommen aus der gebildeten Mittelschicht.
Ist Ihre Wohnadresse noch immer geheim?
Nein. Ich habe zwar noch gelegentlich
Kontakt zum britischen Geheimdienst, also
die haben das nicht vergessen. Aber ich
bewege mich frei und kann tun, was ich will.
In New York fahre ich jeden Tag mit der UBahn, weil man so schwer ein Taxi findet.
Trotzdem ist bis heute ein Kopfgeld auf Ihre
Beseitigung ausgesetzt.
Gut, aber erstens ist das Geld nicht
vorhanden, und zweitens könnte der Mörder
das gar nicht kassieren. Denn wohin soll er
gehen, nachdem er mich umgebracht hat?
Würde ich Sie jetzt erschießen, könnte ich nicht entkommen, klar.
Man würde Sie verhaften. Der Mordaufruf war nur so lange gefährlich, solange er vom
iranischen Staat ausging. Es wird eine Menge Lärm gemacht, aber in der Mitte des Lärms
steht ein kleiner Chihuahua und bellt in ein Megafon. Die Fatwa an sich war nie die Gefahr,
sondern die Tatsache, dass die iranische Regierung den Mord befahl. Die Briten haben
mich nicht deshalb beschützt, weil manche Muslime nicht mochten, was ich geschrieben
hatte, sondern weil ich britischer Staatsbürger bin und weil der Mordauftrag ein staatlicher
Angriff auf die Souveränität Großbritanniens war.
Die meisten Muslime, sagten Sie, hatten gar kein Problem mit Ihrem Buch.
Ja, das können Sie bei meinen Lesungen sehen. Meine größten Fans sind Muslime,
zumindest haben sie muslimische Namen. Ob sie strenggläubig sind, weiß ich nicht.
Ich habe auch einen muslimischen Namen und bin trotzdem nicht religiös.
[...]
Wissen Sie, wie Sie sich unter dem Naziregime verhalten hätten?
Ich hoffe, ich weiß es. Aber ich denke über diese Frage nicht nach. Einer der wertvollsten
Ratschläge, die ich, als ich in Cambridge Geschichte studierte, von einem Professor bekam,
war, dass die Frage „Was wäre, wenn?“ sinnlos ist. Es ist schwer genug, mit den
Problemen, denen wir tatsächlich gegenüberstehen, fertig zu werden. Die Frage, wie ich
mich als Deutscher unter den Nazis verhalten hätte, ist eine unnütze Frage. Denn ich bin
kein Deutscher, und ich lebe jetzt. Wenn Sie mich vor 1989 gefragt hätten, wie ich mit der
Todesgefahr, in die ich dann geriet, umgehen würde, wäre die Antwort nicht optimistisch
ausgefallen.
Als die Fatwa über Sie verhängt wurde, sagten Sie, Sie fühlten sich als toter Mann.
Ich hätte nicht darauf gewettet, das unbeschädigt zu überstehen.
20
Zwei Jahre später, in einem Interview für den Guardian, entschuldigten Sie sich
für Ihr Buch und erklärten, Sie seien zum Islam zurückgekehrt.
Das war ein Fehler. Mehr will ich darüber jetzt nicht mehr sagen.
Sie müssen nicht.
Es gab damals starken politischen Druck von allen Seiten. Die britische Regierung und viele
andere meinten, ich sollte etwas tun, um das Problem aus der Welt zu schaffen. Jeder hatte
eine Antwort, wie ich mich verhalten sollte. Ich möchte den Menschen sehen, der in so
einer Situation keinen Fehler macht.
Wenn man Ihren Roman „Die satanischen Verse“ heute liest, kommt es einem vor,
als hätten Sie Ihr Schicksal vorausgesehen.
Es gibt vielleicht Stellen, die diesen Eindruck erwecken. Im Nachhinein ist man immer
klüger.
Über seinen ungefügigen Schreiber Salman verhängt Mohammed, der im Buch
Mahound heißt, das Todesurteil.
Ja, es gibt Passagen...
„Deine Gotteslästerung, Salman“, sagt Mahound, „wird dir nicht vergeben.“
Ich stimme Ihnen zu, dass es heute so aussehen könnte, als hätte ich vorausgesehen, was
dann geschah. Aber ich habe es nicht vorausgesehen.
Vielleicht war das naiv.
Vielleicht. Ich habe, bevor der Roman erschien, das Manuskript zwei, drei Freunden
gezeigt, die fanden, dass es darin einige riskante Passagen gab. Wir diskutierten darüber
und kamen zu dem Schluss, dass ich sie nicht herausnehmen sollte. Denn wenn man als
Schriftsteller nicht ohne Angst schreiben kann, sollte man gar nicht schreiben. Ich habe
eine sehr hohe Auffassung von Literatur und von Kunst. Sie ist das Höchste, das Menschen
hervorbringen können, und man kann dieser Berufung nur gerecht werden, wenn man den
Mut und die Frechheit hat, sich nicht selbst zu zensieren.
[...]
Die Fundamentalisten sagen, durch die Gotteslästerung werden ihre Seelen getötet.
Ich habe niemandes Seele getötet.
Botho Strauss, der deutsche Schriftsteller...
...Ich kenne ihn...
...meint, die Verletzung sakraler Gefühle sollte ebenso strafbar sein wie die Verletzung
der persönlichen Ehre.
Was heißt das? Hier muss man genau unterscheiden zwischen einer Meinungsäußerung
und einer Verleumdung. In freien Gesellschaften ist es mein gutes Recht, meine Meinung
über eine Religion oder eine Person zu äußern. Wenn ich sage, Sie sind ein Idiot, müssen
Sie das ertragen. Wenn ich aber sage, Sie sind ein Mörder, obwohl Sie keiner sind, können
Sie gegen mich strafrechtlich vorgehen. Es gab in England einen berühmten Fall, da hatte
eine Zeitung über die Schauspielerin Charlotte Cornwell, die Schwester des Schriftstellers
John le Carré, geschrieben, sie habe einen großen Arsch. Sie klagte gegen die Zeitung, und
sie verlor. Denn über die Größe eines Arsches kann es verschiedene Ansichten geben.
Haben Sie gelesen, was Ihr Freund Günter Grass zum Karikaturenstreit sagte?
Nein.
21
Er fühlte sich an antisemitische Zeichnungen in dem nationalsozialistischen Hetzblatt
„Der Stürmer“ erinnert und nannte die Karikaturen eine „bewusste und geplante
Provokation einer rechten dänischen Zeitung“. Die islamischen Proteste seien eine
„fundamentalistische Antwort auf eine fundamentalistische Tat“.
Darin stimme ich nicht mit ihm überein, denn die politische Ausrichtung der Zeitung ist in
diesem Fall ohne Bedeutung. Es ist eine rechte Zeitung, ja, und vielleicht wurden die
Karikaturen tatsächlich veröffentlicht, um die Muslime zu ärgern. Aber es ist eine Sache,
jemanden zu ärgern, und eine andere, Bomben zu werfen. Es ist eine Frage der
Verhältnismäßigkeit...
Ja, aber...
Bitte lassen Sie mich meinen Gedanken zu Ende führen. Wer wird hier interviewt?
Sie oder ich?
Sie betrachten den Fall vom Standpunkt eines
aufgeklärten Europäers aus.
Sie müssten vielleicht versuchen, sich in einen
Muslim hineinzuversetzen, für den Mohammed
eine Art Vater ist.
Das ändert nichts. Wenn jemand meinen Vater
beleidigt, würde ich trotzdem nicht dessen Haus
niederbrennen. Wenn Sie nicht mögen, was in einem
Buch über Ihre Religion geschrieben steht, können
Sie das Buch wegwerfen oder ein eigenes Buch
dagegen schreiben. Aber wenn Sie den Autor mit
dem Tode bedrohen, überschreiten Sie eine Grenze.
Dagegen wehre ich mich. Im Kampf um die
Meinungsfreiheit zu kapitulieren, wäre der größte
Fehler. Auch ich habe schon sehr unangenehme
Karikaturen über mich in Zeitungen sehen müssen.
Sie pochen auf Ihr „Recht, beleidigt zu werden“, wie Sie es einmal nannten.
Ja, und ich werde ununterbrochen beleidigt. Jedes Mal, wenn Tony Blair den Mund
aufmacht, beleidigt mich das.
Weil Sie seine Irak-Politik missbilligen?
Unter anderem.
[...]
Gut, sprechen wir über die Liebe!
In Ordnung.
Sie sagen, dass muslimische Männer zur Liebe nicht fähig sind, weil sie nur in den
Kategorien von Ehre und Schande denken und die Frau nicht als gleichwertig
betrachten.
Ich sage das nicht über alle Muslime.
Im Koran heißt es: „Die Weiber sind euer Acker. Geht auf euren Acker, wie und wann
immer ihr wollt...“
Bitte verschonen Sie mich mit diesem Zeug! Ich kenne es.
22
Wie beurteilen Sie den Koran als Literat?
Das ist schwierig, weil ich nicht Arabisch kann. Ich lese Übersetzungen. Leute, die Arabisch
sprechen, sagen, es gebe darin sehr poetische Stellen.
Goethe hat ihn ein Buch endloser Tautologien genannt.
Literarisch bereitet die Bibel zweifellos mehr Vergnügen. Der Koran besteht im
Wesentlichen aus drei Teilen, den Erzählungen über das Leben des Propheten, der
Beschreibung der paradiesischen Freuden für die Gläubigen, der Höllenstrafen für die
Ungläubigen und, drittens, den Regeln, nach denen man leben soll.
Über die machen Sie sich in den „Satanischen Versen“ besonders lustig. „Vorschriften,
Vorschriften, Vorschriften“, heißt es da, „Vorschriften über alles und jedes, wenn ein
Mann einen Furz ließ, sollte er sein Gesicht in den Wind richten, eine Vorschrift, mit
welcher Hand man seinen Hintern säubern durfte...“
Über diese Stelle haben sich die Mullahs besonders geärgert.
Den Gläubigen wurde gesagt, Zitat, „wie viel sie essen durften, wie tief sie schlafen
sollten und welche Stellungen beim Geschlechtsverkehr die göttliche Billigung erhalten
hatten...“
Ja, so steht es im Koran. Ich habe nichts erfunden.
Am interessantesten finden Sie die
Höllenbeschreibungen.
Ja, die sind selbstverständlich das
Spannendste.
Wie auch bei Dante.
Richtig. Nur ist Dante besser. Für
einen Dichter ist das Paradies der
langweiligere Ort, schlechte Musik,
öde Mode, man trägt Nachthemden,
betet die ganze Zeit oder zupft auf der
Harfe. Wer will schon dorthin? In der
Hölle ist es viel aufregender, etwas
überheizt, aber eine tolle Party.
Sie lachen.
Ja, ich sehe das mit Humor, und ich glaube, dass der Kampf, den wir gerade erleben,
auch ein Kampf zwischen jenen ist, die einen Sinn für das Komische haben, und jenen,
die keinen haben.
Ayatollah Chomeini sagte: „Es gibt keinen Humor, es gibt kein Gelächter und keinen
Spaß im Islam.“
Das sagte er, weil der Humor eine Gefahr für die Mächtigen ist. Er ist subversiv, denn er ist
seinem Wesen nach immer respektlos. Wahrscheinlich hat mich mein Humor gerettet.
Sie meinen, in den Jahren Ihrer Verfolgung.
Ja.
Können Sie rückblickend in dieser katastrophalsten Erfahrung Ihres Lebens auch etwas
erkennen, das Sie bereichert hat?
Ich habe eine Menge Geld verdient, also für meine Karriere war die Fatwa extrem
vorteilhaft. Ist es das, was Sie hören wollen?
23
Nein, ich meine das eher im geistigen Sinne.
Ich verstehe, und ich kann Ihre Frage bejahen. Ich bin von Natur ein satirischer Autor,
aber die Satire ist immer nur gegen etwas gerichtet. Ich wusste schon immer, wogegen ich
kämpfte, aber als diese Bedrohung über mir schwebte, genügte das nicht mehr. Ich musste,
damit ich ihr standhalte, auch wissen, wofür ich kämpfe. Ich musste mich entscheiden, für
welche Werte ich mit meinem Leben einstehen will. Es gibt heute zwei Lager. In dem einen
ist alles versammelt, das ich ablehne, Voreingenommenheit, Bigotterie, Obskurantismus,
Tyrannei, Gewalt, Unterdrückung, im anderen alles, wofür ich stehe: Freiheit, Liebe,
Humor, Kunst und so weiter.
Sie wissen heute, was das Richtige und was das Falsche ist.
Sie nicht?
Ich bin mir nicht sicher.
Das heißt, Sie können nicht kämpfen.
Genau! Ich sehe den Lauf der Geschichte und resigniere. Ich weiß nicht, was gut und
was böse ist. In Goethes „Faust“ sagt der Teufel: „Ich bin ein Teil von jener Kraft...“
„...die stets das Böse will und stets das Gute schafft.“
Sie kennen das Zitat.
Ja, und im philosophischen Sinne stimmt es natürlich. Sie können das Gute nicht wollen,
ohne dass es das Böse gibt, weil Sie es nur durch sein Gegenteil definieren können.
Darüber wurde eine Menge Literatur geschrieben.
Der chinesische Philosoph Laotse sagt: „Was du vernichten willst, das musst du erst
richtig aufblühen lassen.“
Ja, aber das ist ein sehr mystischer Gedanke, mit dem Sie im praktischen Leben nicht
weiterkommen, es sei denn, Sie sind Fatalist.
Das bin ich. Das hat vielleicht mit meiner Biografie zu tun. Die Zeit, an die sich
die Deutschen am liebsten erinnern, ist die des Wiederaufbaus in den fünfziger Jahren,
den sie, um es zynisch zu sagen, dem Krieg verdankten.
So kann ich nicht denken. Denn das würde bedeuten, ich bin dankbar für das Unglück,
weil ich es überwinden kann. Ich bin dankbar für die Bombardierung von Dresden,
denn sie ermöglicht mir, die Stadt wieder aufzubauen. Ich bin dankbar für den Holocaust,
denn er gestattet mir das Gefühl der Entrüstung... Wenn Sie so denken, gehören Sie,
fürchte ich, zu den Verdammten. Es ist eine Tragödie, tut mir leid.
Ja, das ist es.
Das logische Ende eines solchen Gedankens ist ein kultureller Relativismus, den ich für eine
der größten Gefahren halte, die den Westen heute bedrohen. Denn wenn wir nicht mehr
wissen, wofür wir kämpfen, wenn wir angesichts der Feuerzeichen, die uns umgeben,
keine moralischen Entscheidungen treffen, gehen wir unter.
Ich halte Sie ja nicht ab von Ihrem Kampf, im Gegenteil, ich beneide Sie.
Nur anschließen kann ich mich nicht. Ich denke zu viel.
Vielleicht sind Sie weiser als ich.
Wie haben Sie sich Ihren Optimismus bewahren können?
Ich bin kein Optimist. Ich brauche nur so viel Optimismus, dass ich in der Lage bin, Bücher
zu schreiben. Denn das können Sie nicht, wenn Sie nicht davon überzeugt sind,
damit etwas in der Welt zu erreichen. Ich brauche den Optimismus nur als Brennstoff für
meine Kunst.
24
Genügt es Ihnen nicht, zu sagen, Sie schreiben zu Ihrem Vergnügen?
Doch, selbstverständlich. Ich tue es zunächst nur für mich. Aber ich will auch wirken.
Sie wollen mit Ihrem Schreiben die Welt
verändern.
Nein, denn die Welt verändert sich durch
alles, was geschieht, ganz von selbst.
Das Schreiben ist meine Art, auf der Welt
zu sein, meine Obsession, wenn Sie so
wollen. Ich bin wie der Kapitän Ahab in
Melvilles „Moby Dick“. Ich jage den weißen
Wal. Aber ich bin mir dessen nicht
bewusst. Man verliert, während man
schreibt, über sich die Kontrolle. Ich denke
dann auch nicht an den kommerziellen
Erfolg. Denn sonst würde ich schreiben wie
Dan Brown, dessen einziges Ziel es ist,
eine hohe Auflage zu haben... Aber wir
wollten doch über die Liebe sprechen.
[...]
Haben Sie Angst vor dem Alter?
Nein, außer wenn es mit physischem oder geistigem Verfall verbunden ist. Ich werde
nächstes Jahr sechzig. Ich fühle mich nicht so alt, aber es erschreckt mich, wie schnell die
Jahre vergehen. Der Vorteil des Alters ist, dass man nichts Überflüssiges mehr tut. Ich will
die Zeit nützen, die mir noch bleibt. Am wichtigsten sind mir die Arbeit und die Familie. Ich
habe zwei Söhne aus früheren Ehen, ich habe eine reizende Frau, und ich will Bücher
schreiben. Ich werde, bevor ich nur noch sabbernd in einem Stuhl sitzen kann, meine Zeit
nicht mit Dingen vergeuden, die ich nicht wirklich möchte. Bestimmt werde ich keine so
langen Interviews mehr wie das mit Ihnen führen.
Weltwoche, Interview mit André Müller vom 26.04.2006
25
WHY THEY STILL DON’T HATE US > About the 'us' versus 'them' worldview
I knew the title to my second book would be Why They Don't Hate Us before the last
embers of what had been the World Trade Center had cooled. Life in New York City was
just beginning to reanimate after two weeks in which everything seemed frozen in time.
The only thing that seemed to move was the ash and dust from the wreckage of the World
Trade Center which daily covered New York City with a fresh coat of death.
Walking through the bowels of the Times Square subway station I passed a Hudson News
stand and caught sight of the just published September 28, 2001, issue of Newsweek, with
the title "Why They Hate Us: The Roots of Islamic Rage" emblazoned across it over an
image of a young boy dressed in traditional garb holding a toy AK-47. The absurdity of the
title - as if the world could so neatly be divided into a "we" and a "they" each, playing our
respective roles in some preordained clash of civilizations - provided the perfect foil to
summarize the main argument of my research on the impact of globalization in the Middle
East during the last two years.
The similarity between that cover and the much-debated cover of last week's issue of
Newsweek, with the title "Muslim Rage" boldly written over an image of screaming Muslim
men, is striking. So is the fact that in each case Newsweek had a well-known nominally
Muslim writer with little public connection to their faith - Ayaan Hirsi Ali in fact is a selfdescribed atheist - explain what the "West" must do to win, or at least cope with the
irrational masses about whom they claim authority to speak.
Whether in 2001 or 2012, the need to generalize about almost one-fourth of humanity,
and the benefits of doing is, are evident from the opening sentences of the two articles.
Muslims or Arabs?
In the piercing aftermath of 9/11, Fareed Zakaria pointed out that "there are billions of poor
and weak and oppressed people around the world. They don't turn planes into bombs.
They don't blow themselves up to kill thousands of civilians... There is something stronger
at work here than deprivation and jealousy. Something that can move men to kill but
also to die". He went on to argue that the rage that motivated the 9/11 terrorists came
"out of a culture that reinforces their hostility, distrust and hatred of the West - and of
America in particular".
Zakaria did not blame Islam per se; his scorn was focused on its Arab heartland.
He declared that while countries like Indonesia were dutifully following the West's advice
on economic and political reform the Arab world was a cesspool of anti-American fury and
suicide bombings. His misreading of his Pakistan as a relatively moderate country
compared with Egypt or Syria remains as shocking as it is telling.
"By the late 1980s," he argued, "while the rest of the world was watching old regimes
from Moscow to Prague to Seoul to Johannesburg crack, the Arabs were stuck with their
ageing dictators and corrupt kings." Apparently the fact that all of these regimes were,
as he pointed out, brutal dictatorships with long histories of torturing their peoples,
apparently had little to do with their alleged "choice". Instead, it's "disillusionment with the
West" and a "lack of ideas" that is "at the heart of the problem".
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These views, according to the author, have "paralyzed Arab civilization", and led a region
"that had once yearned for modernity" to "reject it dramatically".
Venality and carelessness, in spades
Zakaria admitted that the United States had been too cozy with the region's ubiquitous
strong-men. But "America has not been venal in the Arab world", he explained, " only
careless". His ignorance - willful or not; the reader can decide which is worse - of American
policies and their motivations in the Middle East is as astonishing today as it was on
September 12, 2001. But it was absolutely crucial that America at worst be "careless" rather
than "venal". If it turned out that decades of support for some of the most oppressive
regimes in the world was the result of deliberate policies, what would that say about "us"?
Declaring himself part of the "we" against whom the Arab world is waging war, Zakaria
stated that "we", "cannot offer the Arab world support for its solution [to the Palestinian
problem] - the extinction of the state... Similarly, we cannot abandon our policy of
containing Saddam Hussein. He is building weapons of mass destruction".
We might mention that the declared policy of the majority of Arab states in 2001 was to
support the Oslo peace process while Saddam Hussein was not building WMDs.
But the facts don't really matter compared with the powerful perception Zakaria's attitude
helped to generate and sustain in the next decade. That "they" are fundamentally
incompatible and unable to live among "us" is too self-evidently true to be challenged by
mere facts.
Ayaan Hirsi Ali, the Somali-born Dutch political activist and former Parliamentarian,
similarly defines herself as part of the "we" against whom irrational Islam is rearing its ugly
head. "Once again the streets of the Arab world are burning with false outrage. But we must
hold our heads up high," she begins her article by declaring.
Like Zakaria a decade before, Ali sees little need to explain who "they" are. "Islam’s rage
reared its ugly head again last week", and thus it is Muslims as a collective who are
responsible. Ali argues that the murder of the Ambassador and members of his entourage
was the result of a "raging mob" who under the watch of a "negligent or complicit"
government. That the murders were the result of a well-planned attack by a terrorist group
in a region that the government has yet to be able to bring under its control (in good
measure thanks to all the weaponry released by the US-sponsored insurgency against
Gaddafi) is irrelevant.
Islam is nothing less or more than an anti-Western and anti-modern mob. Whether in Libya
or in Egypt, it's clear that Muslims are making a "free choice" to "reject freedom as the
West understands it" in favour of governments that "stand for ideals diametrically opposed
to those upheld by the United States".
Never mind that the "values" of the United States includes supporting corrupt and brutal
dictatorships and occupations, launching wars of aggression based on lies, violating its own
constitutional principles to detain indefinitely, torture and even murder suspected enemies
(including its own citizens). Or that a small but politically powerful percentage of American
citizens seem as determined to incite violence in the Muslim world as their counterparts
there seem determined to launch violence against Westerners. If Islam is defined by the
rage of a small part of its adherents, the West is defined by the abstract liberal ideals that
never have to be actualized in practice to remain the standard against which others - but
not the West - are measured.
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Disaggregating us and them
Neither Zakaria in 2001 nor Ali today can offer any real advice for how "we" can deal with
"them", for four reasons.
First, many of their facts were and remain wrong that their larger arguments aren't very
useful. The problem is actually more damaging to Ali because, unlike Zakaria, she has a
very powerful personal story of suffering at the hands of an oppressive, violent and
patriarchal culture in her native Somalia that deserves to be heard. Sadly, it is undermined
by broad generalizations and inaccurate claims she makes.
Second, both authors completely leave out the history and ongoing realities of Western/US
support for violent and even murderous regimes across the region, which lies at the
foundation of much of the quite understandable anger and rage of Muslims against the US
or European governments. It is not the only reason for it, and it doesn't excuse terrorism
against civilians, whether Muslims or so-called "infidels", or the widespread religiously
grounded prejudices or oppression across the Arab/Muslim world. But the rage for which
they are attempting to account simply cannot be understood, never mind addressed,
without placing such policies at the centre for any analysis.
Similarly, both authors make scant mention of the quite long history and ongoing reality of
"irrational" rage among "Western" Christians or Jews against Islam which, aside from its
role in the present video scandal, has had at least as profound an impact on the policies of
the American or Israeli governments towards Muslims as Islamic rage has had on the
policies of most Arab/Muslim governments towards the US or Israel.
Third, both Zakaria and Ali, and their colleagues (both fellow Muslims like Fouad Ajami and
Irshad Manji and the broader mainstream and conservative punditocracy), generalize from
the most extreme segments of Arab/Muslim societies to Arab/Muslim "civilization" as a
whole. The simple fact is that the vast majority of Muslims have not been engaged in an
irrational hatred of the West or unwillingness to engage with the basic tenets of modernity.
As with their counterparts in Western countries and globally, they are just trying to survive
and build a better life for their children.
No matter how reprehensible is the behaviour of violent protesters during the most recent
protests, they comprise only the smallest percentage of the world's Muslims, and their
actions in fact have produced a wide backlash against them, from citizens attacking
extremist headquarters in Benghazi to progressive Muslims writing detailed rebuttals to the
ideologies underlying such actions. Moreover, no matter how unacceptable the ongoing
oppression of women or minorities in the Muslim world is, such actions are neither unique
to the Muslim world, nor are they the primary source of the rage these articles seek to
explain.
Fourth, all the "rage" writers completely ignore the long history of interaction and support
between people in the "West" and "Muslim" world - from interfaith jam sessions in
medieval al-Andalus to kings and sultans, beys and deys, allying against common enemies
on both sides of the religious divide in the unceasing great power games of the early
modern era, to tens of thousands of European migrants building multi-ethnic, religious and
linguistic communities in 19th century Alexandria or Tunis (in which former Christian
slaves could rise to high government positions), to anarchist-inspired activist collectives
conspiring together against authoritarian capitalist elites in early 20th - and now 21st century Cairo, Madrid and Wall Street.
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Of course, such collaborations also have had their much darker side, in the cozy
relationships between Western and Arab/Muslim governments. Whether it's freedom
fighters morphing into terrorists (a la Osama bin Laden), or terrorists becoming freedom
fighters (as we've seen occur just last week with the Obama administration's decision to
remove the MEK from the list of terrorist organizations), such policies are at the root of the
broader distortions in the relationships between the Muslim majority world and the West
that most "rage" writers fail to explain.
Maybe they do hate us?
If the Arab uprisings of the last two years have taught us anything, it is that there is no such
thing as one Arab personality or culture. Just as the US is seemingly evenly divided
between two broad trends that can scarcely be considered part of the same identity, most
every Arab/Muslim country is riven by overlapping class, ethnic, sectarian, tribal, national
and other conflicts.
The one generality that increasingly unites people across the globe, however, is the clear
lack of solidarity between the wealthiest members of all societies and their poorer
compatriots. Whether it's the richest 1.5 per cent in the United States, 5 per cent in
Pakistan or 10 per cent in Egypt or Morocco, contemporary neoliberal, globalized
capitalism is uniting the interests of elites against the rest of their societies - and as a result,
the interests of the rest of us together in opposition, like never before. This was clear to
anyone lucky enough to be in Tunis or Cairo during their initial uprisings, or Milwaukee,
Lower Manhattan and Madrid no longer thereafter.
When you look at the incredible damage being wrought by energy, mining, agribusiness,
food processing, weapons, and so many other industries on the planet, from global
warming to rain forest destruction to the poisoning of large swaths of the land and sea, it's
hard not to believe that they - the political and economic elites who manage the world today
and control most of its resources and wealth - really do hate the rest of us. Or at the very
least, they couldn't care less.
The German philosopher, Peter Sloterdijk, has argued that rage has long been a root force
shaping societies. The problem is that it's always been far too easy for those with power to
misdirect the rage of others away from them and towards whatever social forces might
challenge their control. But if rage all too often produces nihilistic anger and violence, it
also can produce heroism and courage. The trick is to figure out how to channel and control
the rage - not with anger, but with a positive vision of a future that address and transcends
the dynamics that lie beneath it.
This is precisely what the Arab uprisings, and soon after, the global Occupy movement,
have begun to do. If the rage that increasingly swirls around all our societies can be
channeled and directed against those who truly threaten our collective future, the sooner
we might be able slow, if not stop, the inexorable march towards ecological disaster and a
new feudal age.
(Aljazeera, Artikel von Mark LaVine vom 26.09.2012)
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