Auf den Lebensraum kommt es an Über 1.500* Pflanzenarten in Rhein-Main: Vielfalt mit Anspruch Zur biologischen Vielfalt in Frankfurt und Rhein-Main gehören nicht nur die vielen Pflanzenarten, sondern auch die unterschiedlichen Lebensräume, in denen sie leben. Den Taunus, die Nidda und den Frankfurter Stadtwald kennt fast jeder. Nicht viele wissen allerdings, dass es im Frankfurter Stadtgebiet Sanddünen, Schotterfluren und Moorsenken gibt oder dass im Rhein-Main-Gebiet ursprüngliche Auwaldreste und Bruchwälder erhalten geblieben sind? Von der Industrie- und Bahnbrache bis zum naturnahen Wald, von der Feuchtwiese bis zum Trockenhang, von nährstoffarmen Sanddünen bis zum fruchtbaren Acker, vom Gewässer bis zur Felswand: Im Rhein-Main-Gebiet sind, abgesehen von alpinen Standorten, von Meeresküsten und von Hochmooren, nahezu alle in Mitteleuropa bekannten Lebensraum-Typen vorhanden. Der Schlüssel zu einer hohen Arten- und Formenvielfalt liegt in der Vielfalt der Ökosysteme. Je zahlreicher und unterschiedlicher die Lebensräume in einem Gebiet sind, umso höher ist die zu erwartende Artenzahl. Nur wenn alle naturnahen und naturverträglich genutzten Ökosysteme geschont werden, kann die Vielfalt an Pflanzenarten erhalten werden. * die 1400 waren eine frühzeitige, vorsichtige Schätzung, die sich dann als zu niedrig entpuppte. Scharbockskraut (Ranunculus ficaria) Foto: H.-W. Grömping Mistel (Viscum album) Foto: pixelio Auf einer naturverträglich genutzten Streuobstwiese können über zweihundert Pflanzenarten vorkommen. Andere Arten benötigen wiederum andere Lebensbedingungen, als sie auf einer Wiese vorhanden sind. Das früh blühende Scharbockskraut (Ranunculus ficaria) beispielsweise findet optimale Bedingungen im feuchten und nährstoffreichen Frankfurter Stadtwald, das trocken- und hitzeresistente Silbergras (Corynephorus canescens) hingegen hat sich auf Biotope wie die nährstoffarme Schwanheimer Düne spezialisiert. Viele Pflanzenarten sind auf Bäume angewiesen, unter denen sie vor der prallen Sonne geschützt sind. Niedere Pflanzen wie zum Beispiel einige Algenarten nutzen Bäume zur direkten Besiedelung - beispielsweise Risse in der Baumrinde. Die Mistel (Viscum album) treibt ihre Halte- und Versorgungsorgane sogar in die LeitDas Silbergras (Corynephorus canescens) ist eine der wenigen Pflanzenarbündel des Wirtbaumes hinein, um sich so mit ten, die sich auf trockenem Sand Wasser und Nährstoffen zu versorgen. Ihren Enerhalten können. Auf der Düne im südgiebedarf deckt sie durch Photosynthese über ihre westlichen Frankfurter Stadtteil Schwanheim bildet es einen weitläufigrünen Blätter. gen Bestand. Das Silbergras erträgt Temperaturen von bis zu 60 Grad. Wird es von Sand überschüttet, bildet es über dem verschütteten Teil ein neues Wurzelstockwerk, aus dem ein neues Grasbüschel treibt. Pro Jahr kann das Silbergras so bis zu 10 cm neuen Flugsand durchwachsen. Im Vergleich der Lebensräume erweisen sich solche als besonders artenreich, die vielfältige Strukturen aufweisen. Da kein anderer Lebensraum im Rhein-Main-Gebiet so reich strukturiert ist wie seine Städte, kommen in diesen besonders viele Pflanzenarten vor. Die Artenvielfalt in der Stadt wird außerdem dadurch Foto: R. Witig gefördert, dass Städte im Vergleich zum Umland, Wärme-, Trockenund Kalkinseln darstellen. Hier können also Arten aus wärmeren und trockeneren Regionen oder aus Kalkgebieten heimisch werden, die im Umland keine geeigneten Standorte finden. Viele der städtischen Pflanzenarten stammen ursprünglich aus anderen Regionen der Erde. Bewusst oder unbewusst eingeführt oder eingewandert, haben sich viele dieser so genannten Neophyten perfekt in die bestehenden Lebensgemeinschaften eingefügt oder Standorte besetzt, auf denen keine einheimische Art überleben könnte. Einige Neophyten wie die Kanadische Goldrute (Solidago canadensis) neigen allerdings dazu, einheimische Pflanzen zu verdrängen, oder sie sind gesundheitlich bedenklich wie das Beifußblättrige Traubenkraut (Ambrosia artemisiifolia), dessen Pollen selbst bei gesunden Menschen starke Allergien auslösen können. Allein in Frankfurt wurden im Rahmen der vom Forschungsinstitut Senckenberg durchgeführten Biotopkartierung 1.400 Farn- und Samenpflanzenarten festgestellt. Nicht alle davon sind fester Bestandteil der natürlichen Flora, sondern es wurde auch eine Vielzahl zufälliger Gartenflüchtlinge mitgezählt. Ohne Zweifel aber gehören weit mehr als 1000 Pflanzenarten zur Flora Frankfurts. Im Taunus, wo die Abteilung Ökologie und Geobotanik des Instituts für Ökologie, Evolution und Diversität der Goethe-Universität seit dem Jahr 2000 die Flora untersucht, konnGoldrute ten bisher 1300 Arten ermittelt werden, von denen mindestens 1200 Kanadische (Solidago canadensis) fest angesiedelt sind. Berücksichtigt man noch die übrigen Teilregionen Foto: M. Zimmermann des Rhein-Main-Gebietes, so ist die Zahl von insgesamt 1500 Pflanzenarten eher zu niedrig als zu hoch angesetzt. Eine hohe Artenzahl alleine sagt allerdings noch nicht viel über den Wert der biologischen Vielfalt aus, die uns umgibt. Schaut man sich die große Dynamik der innerstädtischen Lebensräume an, gewinnen die Ökosysteme in den Grüngürteln der Städte oder auf dem Land eine herausragende Bedeutung. Im Gegensatz zu den innerstädtischen Ökosystemen sind sie oft langlebiger und stabiler, und sie erbringen lebenswichtige Dienstleistungen wie frisches Trinkwasser, saubere Luft und Nahrungsmittel. Vergleicht man zum Beispiel einen relativ artenarmen Buchenwald mit einer vergleichsweise artenreichen Wiese, so zeigt sich, dass ein artenarmes Ökosystem nicht zwangsläufig einen geringeren ökologischen und gesellschaftlichen Wert hat als ein artenreiches. Naturnahe Ökosysteme verdienen Schutz, egal, ob sie einer hohen oder niedrigen Zahl von Arten Lebensraum bieten. Schon jetzt im zeitigen Frühjahr lässt sich die pflanzliche Vielfalt anhand der bunten Tupfer im Unterwuchs erahnen. Frühblüher sorgen allerorts für ein buntes Farbenspiel. Aufgrund des milden Winters sind sie dieses Jahr um bis zu drei Wochen früher aufgeblüht als im langjährigen Mittel. Angesichts der leuchtenden Farbenpracht ist man versucht anzunehmen, ihre Hauptbestimmung sei es, unser Auge nach dem langen Wintergrau zu erfreuen. Vielmehr sind die Frühblüher aber lebenswichtig für zahlreiche Insektenarten, denen sie in der sonst noch kahlen Landschaft eine erste Nahrungsquelle bieten. Und von den Insekten wiederum ernähren sich viele Vogelarten. Die meisten Frühblüher gehören zur Lebensform der so genannten Geophyten. Der Begriff bezeichnet mehrjährige, krautige Pflanzen, die die ungünstige Jahreszeiten mit Hilfe unterirdischer Erneuerungsorgane überdauern. Die Speicherorgane können Zwiebeln (wie beim Bärlauch), Knollen (wie beim Scharbockskraut) oder unterirdische Spross-Fortläufer, so genannte Rhizome (wie beim Buschwindröschen) sein. Buschwindröschen-Teppich mit Lerchensporn-Tupfern im Frankfurter Niddapark Foto: H. Steinecke Besonders schön ist dieser Tage ein Spaziergang an der Nidda, z.B. im Ginnheimer Wäldchen am Ostende des Volksparks Niddatal, an der RosaLuxemburg-Straße. Das Ginnheimer Wäldchen ist ein Überbleibsel des frischen Eichen-Hainbuchen-Mischwaldes, der einst die natürliche Vegetation der Niddaniederung bildete. Von hier führen reizvolle Wanderwege durch das Landschaftsschutzgebiet der Niddaniederung. Der Hohle Lerchensporn (Corydalis cava) färbt den Unterwuchs des Ginnheimer Wäldchens purpur. Wie ein Meer aus übergroße Schneeflocken wirken dagegen die Teppiche der giftigen WaldAnemone (Anemone nemorosa), im Volksmund besser unter dem Namen Busch-Windröschen bekannt, die an schattigen, feuchten Standorten mit weniger Nährstoffen die Oberhand über den Lerchensporn gewinnt. Nicht jeder Frühblüher ist so giftig wie Busch-Windröschen, Schneeglöckchen oder Aronstab. Inzwischen hat fast jeder schon einmal Speisen mit Bärlauch (Allium ursinum) gegessen, einem Verwandten des Knoblauchs. Besonders gut schmecken seine frischen Blätter in Butter oder Quark. Von giftigen Maiglöckchen-Blättern ist der Bärlauch durch seinen KnoblauchGeruch bestens zu unterscheiden. Ernten sollte man ihn generell nur dort, wo er in großen Beständen vorhanden ist, und nur außerhalb von Schutzgebieten. Von der Blattrosette sollte man mindestens zwei Drittel stehen lassen, damit die Pflanze die Zeit bis zum nächsten Jahr übersteht. Wenn Sie Lust verspüren, mehr über die Pflanzenarten im Rhein-Main-Gebiet zu erfahren, bieten sich die Führungen im Bärlauch (Allium ursinum) im Bad Vilbeler Wald Rahmen der Kampagne „Biodiversitätsregion Frankfurt/RheinFoto: H. Steinecke Main“ von BioFrankfurt an; die nächsten finden am Sa., dem 29. März, um 15 Uhr im Botanischen Garten und am Sa., dem 19. April, um 10.30 Uhr in Königstein-Falkenstein statt. Nähere Informationen zu diesen und weiteren interessanten Veranstaltungen über die heimische biologische Vielfalt erhalten Sie im Internet unter: www.biofrankfurt.de. Gefleckter Aronstab (Arum maculatum); Insekten, die vom Aasgeruch angelockt wurden, werden im Inneren der Blüte gefangen gehalten, bis diese bestäubt ist. Foto: H. Steinecke Christian Offer