10. Juni 2011: Auftritt von Christoph Kujawa

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10. Juni 2011: Auftritt von Christoph Kujawa „Darf ich euch meine beiden Geliebten vorstellen?“ Smart und lässig mit den Händen in der Hosentasche steht Christoph Kujawa auf der Bühne der kleinen Turnhalle des Maria-­‐Ward-­‐
Gymnasiums in Altötting. Schmunzelnd präsentiert er seine Gitarren. Durch die Klänge, die er seinen Geliebten gefühlvoll entlockt, nimmt er das Publikum mit auf eine „leise Reise“ in die Gedanken-­‐ und Gefühlswelt der Romantik und entführt sie in eine Zaubernacht voll Fantasie, Empfindsamkeit und Mondschein. Dabei ist Christoph Kujawa eigentlich Softwareentwickler. So stellt er sich zumindest den verdutzten Schülern der Q11 und ihren Deutschlehrern selbst vor. Natürlich drängt sich die Frage auf, warum er dann nicht vor einem Computer sitzt und programmiert, stattdessen mit einem Programm auftritt, das den stimmungsvollen Titel „Die Romantik in Liedern und Gedichten“ trägt. Auf eine Auflösung wartet man vorerst jedoch vergeblich, denn nun beginnt die Reise. Die Gitarrenseiten werden zum ersten Mal an diesem Vormittag angeschlagen: Spanisch anmutende Klänge verbinden sich mit den Versen des Gedichtes „Wünschelrute“ von Joseph von Eichendorff. Was sich wie eine ziemlich gewagte Mischung anhören mag, passt doch überraschend gut zusammen, wenn die geheimnisvolle Musik die Suche nach der verborgenen Poesie untermalt und die Zuhörer in ihren Bann zieht. Kujawas Repertoire deckt dabei alle Entwicklungsphasen der romantischen Epoche ab und reicht vom Frühromantiker Novalis bis hin zum „Überwinder der Romantik“ Heinrich Heine, der ganz bewusst nicht ausgegrenzt worden ist. Im Gegenteil: „Ein Funke Selbstironie bewirkt oft wahre Wunder!“, gibt Kujawa seinen Zuhörern als Ratschlag mit auf den Weg. Gemeinsam ist allen ausgewählten Gedichten, dass sie mit viel Herzblut interpretiert werden. Abseits des trockenen Schulbuchwissens lässt Kujawa alte Texte neu erklingen, überwindet mit seinen Vertonungen Zugangsbarrieren und macht aus romantischer Lyrik ein intensives Hörerlebnis. So baut er dem Publikum eine Brücke vom leistungsorientierten Schulalltag in eine romantische Märchenwelt, in der man Sterne wie Blumen pflücken kann. Dass die melancholische Sehnsucht, die Kujawa in seine Lieder legt, auf die Zuhörer überspringt, merkt man an der beinahe andächtigen Stille, die in der Turnhalle ansonsten selten herrscht. Das Überzeugende am Konzept seines Programms ist mitunter auch, dass Kujawa damit Herz und Verstand anspricht. Während das Publikum in seinen Liedern die faszinierende Weltanschauung der Romantiker erfühlen und erspüren kann, lässt Kujawa dazwischen in kurzen Vorträgen immer wieder auch die philosophischen und programmatischen Grundlagen interessant und lebensnah aufbereitet einfließen. Hierbei räumt er mit den gängigen Klischees auf, die die Romantik als Weltflucht und reine Gefühlsduselei abtun, von der man bestenfalls noch als Stimmungsmacher beim Vorspiel Gebrauch machen könne. Mit Grillparzer postuliert er dabei die Stellung der romantischen Fantasie als die Mutter aller Dichtkunst und geht sogar noch einen Schritt weiter, wenn er behauptet, dass das „Kopf-­‐ und Seelenkino“, das in der romantischen Dichtung erfahrbar werde, „älter als die Sprache“ sei. Die Schüler hängen währenddessen an den Lippen Kujawas, dem „Mann mit der Radiomoderatorenstimme“, wie eine Schülerin danach lobend anmerkt. Was danach folgt, ist ein chronologischer Abriss wichtiger Vertreter romantischen Gedankenguts, wobei Kujawa rhetorisch geschliffen und packend die Ideenwelt kaleidoskopartig in all ihren Farben entfaltet. Dabei verliert er jedoch nie die Bodenhaftung und zeigt immer wieder die mögliche Relevanz des romantischen Weltbilds für die eigene Lebensphilosophie auf. Von Johann Gottfried Herder ausgehend, der in Abkehr zur Aufklärung das Gefühl nicht als dunklen Gegenspieler der Vernunft angesehen hat, erzählt Kujawa von der Suche nach einer lebendigen Sprache, die die Seele beleuchtet und sich an die Empfindungen anschmiegt. Dass die Unausweichlichkeit, den Gefühlen einen individuellen Ausdruck zu verleihen, geblieben ist, wird von dem Brückenbauer Kujawa mit einem Zitat Bob Marleys verdeutlicht: „Du kannst davonlaufen, aber du kannst dir selbst niemals entrinnen.“ Doch bleibt die romantische Philosophie nicht in einer narzisstischen Seelenschau stecken. Kujawa greift auf Schiller zurück, der schon früh romantische Ideen formuliert hat, und von einer inneren Befreiung, von einer „geistigen“ Revolution des Menschen schreibt, durch die er erst die Fähigkeit zur Selbstentfaltung erlangt. Der „philosophische Rebell der Freiheit“ Johann Gottlieb Fichte, der die Romantik ebenfalls beeinflusst hat, sieht den Menschen als ein „reges, weltschaffendes Wesen“, das gegenüber der Mannigfaltigkeit des Lebens aufgeschlossen sein muss. Durchaus Ansichten also, die in einer globalisierten Welt helfen können, eine innere Heimat zu finden. Dabei geht es immer um Entgrenzung, um das Einreißen künstlicher Trennwände, die streng zwischen Gefühl und Vernunft scheiden, und den Menschen als Ganzes aus den Augen verlieren. Diese Erkenntnisse werden auch auf die Poesie übertragen, die universal und harmonisierend, jedoch ohne enge, normative Grenzen sein soll. In diesem Zusammenhang wird Friedrich Schlegel, der „Architekt des offenen Kunstwerks“, zitiert, der in seinen Aussagen eher an einen radikal modernen Künstler erinnert. Überhaupt wird all das nicht wie verstaubte Weisheiten alter Philosophen wiedergegeben. Christoph Kujawas lebendige Erzählweise lässt zweihundert Jahre alte romantische Aussagen hochaktuell erscheinen und zeigt eindrucksvoll, wie aus philosophischen Theorien ganz konkrete Ratschläge für die individuelle Lebensgestaltung abgeleitet werden können. Gerade in Zeiten einer anhaltenden Wertekrise kann der romantische Apell, das eigene Leben als Kunstwerk zu betrachten, Vertrauen auf die persönliche Kreativität in allen Lebenslagen geben. Am Ende dürfen die Oberstufenschüler noch Fragen an den Künstler stellen. Es ist nicht verwunderlich, dass sich die erste Frage auf seine Vorstellung bezieht: „Mein Name ist Christoph Kujawa. Ich bin Softwareentwickler.“ Was das Publikum anfangs irritiert hat, wird am Ende aufgelöst. Kujawa macht einen Unterschied zwischen Beruf und Berufung. Seine Berufung ist die Gitarrenmusik, der Gesang und das eigene Dichten, auch wenn er mit Programmierarbeit sein Geld verdient. Ihn fasziniert zwar die Struktur in der Mathematik, die er mit der Struktur in der Sprache und der Philosophie vergleicht, doch seine eigentliche Leidenschaft ist die Poesie. Nun wird erst klar, wie sehr Kujawas Bühnenprogramm und er selbst zusammenhängen, wie eng Kunst und Mensch miteinander verwoben sind. Die Kunst als Spiegel des eigenen Lebens, das eigene Leben als Kunstwerk, nirgends werden die autobiografischen Bezüge so deutlich wie in dem von Kujawa vertonten Gedicht von Novalis: „Wenn nicht mehr Zahlen und Figuren / Sind Schlüssel aller Kreaturen /Wenn die so singen, oder küssen / Mehr als die Tiefgelehrten wissen.“ Matthias Bauer
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