Telefon: (089) 53 06-425 [email protected] Telefax: (089) 53 06-8661 Münchner Merkur Nr. 23 | Montag, 28. Januar 2008 MEINE SPRECHSTUNDE Leben ................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................. 19 DIE TÄGLICHE MEDIZIN Heute: Bei Tinnitus hilft Psychotherapie Prof. Dr. Christian Stief Prof. Dr. Alexander Berghaus ist Direktor der Klinik für Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde des Klinikums der Universität München. Als Chefarzt im Münchner Klinikum Großhadern erlebe ich täglich, wie wichtig medizinische Aufklärung ist. Meine Kollegen und ich möchten daher jeden Montag den Merkur-Lesern ein Thema vorstellen, das für ihre Gesundheit von Bedeutung ist. Die Autoren des heutigen Artikels sind Prof. Dr. Alexander Berghaus und Dr. John Martin Hempel. Sie erklären, warum das Hören im Alter immer schlechter wird und was man dagegen tun kann. Leserfragen an Prof. Dr. Alexander Berghaus und Dr. John Martin Hempel: www.merkur-online.de/sprechstunde Dr. John Martin Hempel ist Oberarzt der Klinik für Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde des Klinikums der Universität München. Sprache, Geräusche und Musik: Unsere Ohren machen die Welt zu einem akustischen Erlebnis. Moderne Implantate und Hörgeräte können helfen, wenn das Gehör geschädigt ist. FOTO: DPA Feinarbeit für ein gutes Gehör Eine Entzündung, ein Hörsturz oder auch nur Ohrenschmalz: Wenn man plötzlich schlechter hört, kann das viele Ursachen haben. Doch gibt es heute gute Therapien, um Störungen des Gehörs zu behandeln. So filtern moderne Hörgeräte Störgeräusche heraus, Implantate ersetzen wichtige Teile des Ohrs. VON ALEXANDER BERGHAUS UND JOHN MARTIN HEMPEL Wenn das Gehör nachlässt, ist häufig fest sitzendes Ohrenschmalz die Ursache. Doch nicht immer sind Hörstörungen so einfach zu behandeln. Die Aufgabe des Hals-Nasen-Ohren-Arztes ist es, die Ursache des Hörverlustes zu finden. Dazu stehen ihm die Möglichkeiten moderner Hörprüfung (Audiometrie) zur Verfügung. Zum anderen muss er aber auch das Ohr untersuchen, – wenn nötig auch mit einem Mikroskop. Wie funktioniert das menschliche Ohr? Das Ohr ist ein sehr kompliziert aufgebautes Sinnesorgan. Daher ist es auch anfällig für Störungen. Zunächst fängt die Ohrmuschel den Schall auf und leitet ihn durch den äußeren Gehörgang ins Mittelohr. Hier liegen die sogenannten Gehörknöchelchen. Zwischen dem äußeren Gehörgang und dem Mittelohr liegt das Trommelfell. Das Trommelfell und die drei winzigen Gehörknöchelchen verstärken den Schall und übertragen ihn an das Innenohr. In der Gehörschnecke des Innenohrs wird der Schall dann in Nervenimpulse umgewandelt. In der Gehörschnecke befindet sich dazu Flüssigkeit. Wenn diese sich bewegt, biegt sie feine Härchen um, die dann Nervenimpulse auslösen. Der Hörnerv leitet die gehörten Eindrücke in das Gehirn, wo sie weiterverarbeitet werden. Akute Entzündung im Mittelohr Eine Ursache, dass unser Gehör für eine begrenzte Zeit nachlässt, ist eine Entzündung des Mittelohrs. Sie wird durch Bakterien oder Viren hervorgerufen. Meist ist sie die Folge eines Infekts im Nasen-Rachen-Raum. Besonders häufig kommt die akute Mittelohrentzündung bei Säuglingen und Kleinkindern vor. Anzeichen dafür sind Ohrenschmerzen, die rasch zunehmen, sowie Abgeschlagenheit. Auch Fieber und Schnupfen sind typische Symptome für eine akute Mittelohrentzündung. Die Symptome bekämpfen abschwellende Nasensprays oder -tropfen sowie Schmerzmittel. Meist heilt die Entzündung ohne schwere Folgen ab. Bei schweren Verläufen helfen Antibiotika. Chronische Mittelohrentzündung Die chronische Mittelohrentzündung ist in der Regel nicht schmerzhaft. Doch kann sie das Gehör schwer beeinträchtigen. Ein Anzeichen kann ein mehr oder weniger ausgeprägter Ausfluss aus dem Ohr sein. In manchen Fällen kann eine Operation helfen, das Gehör wieder zu verbessern. Andere Patienten sollten indessen unbedingt operiert werden, um zu verhindern, dass weitere Schäden entstehen. Der Ohrenarzt muss durch eine sorgfältige Untersuchung eindeutig feststellen, zu welcher Gruppe der Patient gehört. Operieren muss man zum Beispiel in jedem Fall beim sogenannten Cholesteatom. Bei dieser Form der chronischen Mittelohrentzündung, bei der auch die Knochen vereitern, wächst ein entzündlicher Prozess in das Mittelohr ein. Zum Glück ist die Erkrankung heute seltener geworden. Flüssigkeit im Mittelohr Nicht selten kommt es bei Kindern vor, dass sich Flüssigkeit im Mittelohr ansammelt. Dies führt zu einer vorübergehenden Störung des Gehörs. Bleibt die Flüssigkeit über längere Zeit im Ohr, kann das zusätzlich zu einer Artikulationsstörung und Problemen in der Schule führen. Ursache dieser sogenannten Mittelohrergüsse im Kindesalter sind meist sogenannte Polypen. Tatsächlich handelt es sich dabei um geschwollenes Lymphgewebe (Adenoide). Es verstopft den Luftkanal zwischen Nase und Mittelohr. Wenn nötig, kann den Kindern durch einen kleinen Eingriff zuverlässig geholfen werden. Schwerer zu behandeln ist ein Mittelohrerguss, wenn er als Folge einer Fehlbildung wie der Lippen-Kiefer-Gaumenspalte auftritt. Um diese Fehlbildung zu beheben, müssen neben dem HNO-Arzt auch ein Kieferchirurg und ein Phoniater einbezogen werden. Erkrankungen des Innenohrs Hörstörungen, die vom Mittelohr ausgehen, lassen sich meist durch eine Operation verbessern. Schwieriger ist die Behandlung, wenn das Innenohr geschädigt ist. Beim Erwachsenen ist dies zum Beispiel beim sogenannten Hörsturz der Fall. Hierbei tritt ein plötzlicher Hörverlust ein, zu dem oft Ohrgeräusche (Tinnitus) hinzukommen. Erfreulicherweise heilt ein Hörsturz oft von selbst wieder aus. Dennoch muss der Arzt ausschließen, dass andere behandelbare Erkrankungen bestehen. So kann ein kleiner Tumor am Hörnerv (Akustikusneurinom) das Gehör im Innenohr beeinträchtigen. Die richtige Behandlung eines solchen Tumors erfordert viel Erfahrung und Fachkenntnis. Auch für Kinder ist ein gutes Gehör sehr wichtig: So ist es zum einen die Voraussetzung für eine normale Sprachentwicklung. In Deutschland hört jedes tausendste Neugeborene so schlecht, dass die Sprachent- wicklung dadurch gestört wird. Der größte Teil solcher frühkindlicher Schwerhörigkeiten wird vererbt – allerdings nicht nur von schwerhörigen Eltern. Die Altersschwerhörigkeit kann offenbar ebenfalls erblich sein. Darauf weisen neuere Untersuchungen hin. Doch nicht nur die Gene können zu frühkindlicher Schwerhörigkeit führen. Auch wenn die Mutter während der Schwangerschaft viel Alkohol trinkt oder an einer Infektion erkrankt, kann dies dazu führen, dass das Neugeborene Hörprobleme hat. Implantate ersetzen Gehörschnecke Kommt ein Kind gehörlos zur Welt, kann ein Implantat helfen. Moderne Implantate können die feinen Haarzellen in der Hörschnecke (Cochlea) ersetzen. Zudem sind sie äußerst leistungsfähig. Sie sind sozusagen die ersten Prothesen für ein Sinnesorgan, die tatsächlich seine Funktionen übernehmen können. Besteht eine hochgradige Schwerhörigkeit, kann die Sinnesprothese bereits Säuglingen eingesetzt werden. Der Eingriff ist heute bereits Routine. In der Regel ist das Kind danach mit entsprechendem Training fähig, Sprache zu hören und zu erlernen. Ist der schwerhörige Patient noch in der Lage die tiefen Frequenzen gut zu hören, kann man das Implantat mit einem Hörgerät kombinieren (Hybrid-Systeme). Schwerhörigkeit im Alter Viele Menschen bemerken mit Mitte 50 – einige schon früher – dass sie immer öfter manche Worte nicht mehr gut verstehen, zum Beispiel wenn viele Menschen gleichzeitig sprechen oder Hintergrundgeräusche im Raum stören. Sie können sich dann an der Tischrunde mit Freunden oder Kollegen nicht mehr ungehindert unterhalten. Ursache für das schlechte Gehör kann eine Schädigung der Sinneszellen im Innenohr sein. Aber auch die Filterfunktion des Hörzentrums ist im Alter nicht selten eingeschränkt. Denn wir hören zwar mit den Ohren, verstehen aber die Sprache mit dem Gehirn. Das Gehirn filtert quasi das Wort des Tischnachbarn als die wichtige Information aus dem Lärm der Umgebung heraus. So können wir das, was uns wichtig ist, gut verstehen. Das Gehirn filtert die Töne, indem sie die lauten Töne der Umgebung einfach ignoriert. Manchmal ist diese Fähigkeit auch schon bei Kindern eingeschränkt. Ein schlechtes Gehör ist nicht nur ein körperliches Problem, es kann bei den Betroffenen auch zu sozialen und psychischen Schwierigkeiten führen. Denn nicht selten beginnen sie, Gesellschaft immer mehr zu meiden. Es kommt zu Schwierigkeiten am Arbeitsplatz oder in der Schule. Manche Patienten werden sogar depressiv. Hilfe durch moderne Hörgeräte Die moderne Medizintechnik hat wirksame Methoden entwickelt, das Gehör wieder zu verbessern. So sind digitale Hörgeräte ein entscheidender Fortschritt, um Menschen mit schlechtem Gehör zu helfen. Denn ähnlich wie das Gehirn können sie die Geräusche filtern. Diese hoch entwickelten Geräte unterscheiden bei einem eintreffenden Schall zwischen Sprache und Störgeräuschen. Auf diese Weise können sie die eingehenden Schallsignale optimal verarbeiten. Sprache wird demnach besser hörbar gemacht, während der Störschall in den Hintergrund gedrängt wird. So kann auch leise Sprache von einem Hörgeräteträger wieder gut verstanden werden, während laute Sprache oder Geräusche nicht gleich wieder als zu laut empfunden werden. So muss der Träger eines Hörgeräts sich nicht mehr beklagen, dass die Umgebung zu leise spricht – oder auch zu laut. Auch das früher störende Pfeifen, das bei Hörgeräten durch eine sogenannte akustische Rückkopplung ausgelöst wurde, können moderne digitale Hörgeräte vermeiden. Der Akzeptanz des Hörgerätes steht demnach nichts mehr im Weg. Zumal heute schon fast jeder mit einem Knopf im Ohr unterwegs ist, sei es mit Kopfhörern eines MP3-Players oder eines Handys. So selbstverständlich wie eine Brille sollte auch das Hörgerät sein. Wohin können sich Patienten wenden? Hörstörungen aller Art werden an der HNO-Klinik des Klinikum der Universität München untersucht. Parallel dazu wird auch die jeweils angemessene Behandlung angeboten. Die Klinik hat für solche Untersuchungen zwei Anlaufstellen: die HNO-Poliklinik an der Pettenkoferstraße 4 a (im gleichen Gebäude wie die Phoniatrie der HNOKlinik) und die HNO-Poliklinik am Klinikum Großhadern. Am Samstag, 5. April, findet eine öffentliche Informationsstunde am Klinikum Großhadern zum Thema Hörverlust statt. Im Ohr pfeift, zischt oder brummt es, den ganzen Tag, ohne die kleinste Pause – obwohl es um den Patienten herum völlig still ist. Viele Menschen, die unter einem sogenannten Tinnitus leiden, empfinden die dauerhaften Ohrgeräusche als eine große Belastung. Nicht selten erkranken sie daher zusätzlich an Depressionen oder Angststörungen, wie der Berufsverband Deutscher Nervenärzte (BVDN) in Neuss mitteilt. Doch auch wenn die Medizin gegen das Pfeifen im Ohr kein wirksames Mittel kennt, gibt es Möglichkeiten, die Belastung deutlich zu verringern. So kann laut Experten Psychotherapie die Lebensqualität von Betroffenen erheblich verbessern. „Durch psychotherapeutische Unterstützung erlernen Betroffene, ihre Aufmerksamkeit von dem Ohrgeräusch wegzulenken“, erläutert der BVDNVorsitzende Frank Bergmann. Darüber hinaus helfen Entspannungsverfahren Tinnitus-Patienten, Stress in den Griff zu bekommen und ihren Alltag besser zu bewältigen. Bei Hörsturz zum Arzt Doch sollten Patienten rechtzeitig reagieren, damit die lästigen Ohrgeräusche möglichst nicht entstehen: „Ein plötzlich auftretender Tinnitus infolge eines Hörsturzes oder starker Lärmeinwirkung sollte unverzüglich mit durchblutungsfördernden Medikamenten behandelt wer- Ständige Ohrgeräusche können sogar zu Depressionen führen. ABDA/GMS den“, sagt Bergmann. Nur so lasse sich verhindern, dass die Ohrgeräusche chronisch werden, sagt der Psychiater und Psychotherapeut aus Aachen. Häufig tritt ein Tinnitus bei hoher Stressbelastung auf, meist im Berufsleben. Auch starker Lärm wie ein Knall oder der Besuch eines Rockkonzertes können die unangenehmen Ohrgeräusche auslösen. Vorsicht vor Lärm „Bereits durch ein einziges lautes Geräusch nahe am Ohr können die Hörsinneszellen empfindlich verletzt werden“, warnt Bergmann. Interpretiere das Gehirn die veränderte Information aus dem Innenohr fälschlicherweise als Geräusch, entstehe ein Tinnitus. „Wegen der zunehmenden Lärmbelastung durch MP3-Player, in Diskotheken und zum Teil bereits durch Kinderspielzeug entwickelt sich ein Tinnitus immer öfter bereits in jungen Jahren“, sagt der Experte. Insgesamt leiden etwa 30 Prozent der Bevölkerung an Ohrgeräuschen. Doch bei den meisten verschwinden sie nach einiger Zeit wieder. Acht Prozent fühlen sich durch den Tinnitus deutlich gestört, ein Prozent sind durch die Ohrgeräusche die Lebensqualität und Leistungsfähigkeit stark beeinträchtigt. sog/dpa