1 Grundbegriffe der Biologie 1.1 Einleitung Diese Kriterien werden von Tieren, Pflanzen, Pilzen, Protozoen und Bakterien erfüllt. Viren und Prionen (engl. Proteinaceous Infectious Particles, siehe Kapitel 1.6) erfüllen diese Kriterien nicht und nehmen daher eine Sonderstellung ein. Für das Verständnis der Gefährlichkeit biologischer Gefahrstoffe müssen wir uns mit zwei Teilbereichen der Biologie auseinandersetzen: der Zellbiologie und der Molekularbiologie. Die Zellbiologie beschreibt den Zellaufbau und die Funktionsweise der Zellkompartimente. Die Molekularbiologie beschäftigt sich mit den molekularen Vorgängen der Genexpression (beinhaltet das 9 © 2008 W. Kohlhammer, Stuttgart Die Biologie ist die Wissenschaft von der belebten Natur. Welche beobachtbaren Erscheinungen unterscheiden nun Lebewesen von nicht lebenden Gegenständen? Die Äußerungen des Lebens sind sehr vielseitig, lassen sich aber durch bestimmte Kennzeichen begreifbar machen: 1. Bewegung, 2. Nahrungsaufnahme und Verdauung, 3. Stoffwechsel, 4. Wachstum und Vermehrung, 5. Reizbarkeit. Ablesen der Gene und ihre Übersetzung in Eiweißstoffe) und deren Funktion in der Zelle (z. B. Zellkommunikation). Die Zelle, ein universelles Bauelement aller Lebewesen, ist die kleinste funktionelle Einheit in einem Organismus, die sich durch Teilung selbst vermehren kann. Zellen sind »offene Systeme«, die über eine semipermeable (halbdurchlässige) Membran ständig Stoffe aufnehmen, diese umsetzen und Reaktionsprodukte an die Umgebung abgeben. Tierische Zellen sind von einer Zellmembran, pflanzliche Zellen von einer Zellwand begrenzt. Innerhalb der Zelle gibt es verschiedene Zellorganellen, welche die verschiedenen biochemischen Prozesse voneinander separieren. Ein Beispiel hierfür ist das Mitochondrium, das Kraftwerk der Zelle, in dem die Zellatmung abläuft (Bild 1). Bei den höheren Organismen (Eukarionten) liegt das genetische Material, die DNS (Desoxyribonukleinsäure; engl. DNA), separiert im Zellkern, bei Bakterien (Prokarionten) hingegen frei vor. Andere Zellorganellen bilden aus der genetischen Information die funktionellen Proteine (Ribosomen), formen Kanalsysteme und stellen eine Verbindung nach außen her (endoplasmatisches Retikulum) oder dienen dem Stoffexport (Golgi-Apparat). Pflanzliche Zellen verfügen zusätzlich über die besondere Möglichkeit, in so genannten Chloroplasten Lichtenergie in chemische Energie umzuwandeln (Photosynthese). Eine einzelne Zelle kann zwischen 2 µm und 200 µm, Zellorganellen zwischen 20 und 200 nm und Moleküle zwischen 10 © 2008 W. Kohlhammer, Stuttgart 1.2 Zellaufbau Mitochondrium ER Zellmembran Zellkern mit DNS .... . . 0,2 nm und 20 nm groß sein. Die Größe von Atomen liegt unter 0,2 nm (Bild 2). Alle biochemischen Prozesse innerhalb der Zellkompartimente benötigen Grundstoffe wie Eiweiße (= Proteine, 14 %), Lipide (2 %), Nukleinsäuren (3 %), Kohlenhydrate (1 %), Mineralsalze (3 %) und Wasser (77 %). Diese liegen je nach Stoffwechselzustand in veränderlichen Anteilen in den Zellen vor. 11 © 2008 W. Kohlhammer, Stuttgart Ribosomen RNS Golgi-Apparat Bild 1: Schematischer Aufbau einer tierischen Zelle [DNS]: Desoxyribonukleinsäure; [RNS]: Ribonukleinsäure, [ER]: Endoplasmatisches Retikulum; blaue Pfeile: zelluläre Prozesse der Transkription (DNS ablesen, RNS herstellen) und Translation (RNS in Proteine übersetzen). Biologische Gefahrstoffe können an unterschiedlichen Punkten des Zellstoffwechsels ihre schädigende Wirkung entfalten, wie z. B. auf den Stofftransport an der Zellmembran, auf die Mitochondrien sowie auf die Transkription und Translation. Alle Zellen sind aus diesen Grundbestandteilen aufgebaut. Sie sind jedoch gemäß ihrer Aufgabe im Organ spezialisiert und daher sehr unterschiedlich in ihrer Struktur und Gestalt. Der Bau der Zellen ist also ihrer Funktion angepasst (funktionsspezifische Differenzierung, z. B. Leberzellen zur Entgiftung, Herzmuskelzellen zur Kontraktion des Herzens, Nervenzellen zur Erregungsweiterleitung). Die Unterschiede in Gestalt, Struktur und Funktion bedeuteten 12 © 2008 W. Kohlhammer, Stuttgart Bild 2: Größenverhältnisse in der Zellbiologie. Die logarithmische Skala reicht von den eukarytischen Zellen (hier grün gefärbte menschliche Nierenzellen) über Bakterien bis zur unbelebten molekularen Welt (grauer Kasten). Die natürliche Auflösungsgrenze des menschlichen Auges liegt bei etwa 0,2 mm. Daher sind alle hier aufgeführten Strukturen nur mit dem Licht- oder Elektronenmikroskop sichtbar. auch, dass die Zellen unterschiedlich auf biologische, chemische und radioaktive Gefahrstoffe reagieren. Die Erbfaktoren (Gene) sind Sequenzen von vier Basen A C G T (Adenin, Cytosin, Guanin, Thymin), die, aneinandergereiht, kettenförmig einen langen Faden bilden, die DNS. Zwei gegenläufige Sequenzen bilden eine »Strickleiter«, die wendeltreppenartig zu einer DNS-Doppelhelix aufgewunden ist. Im Zellkern wird zunächst ein Strang der DNS abgeschrieben (Transkription). Die entstandene Kopie nennt man mRNS (messenger Ribonukleinsäure). Diese wandert nun aus dem Kern heraus ins Zytoplasma, um dort von einer Lese- und Übersetzungsmaschine (Ribosomen) aufgenommen zu werden. Die Ribosomen können die Basensequenzen lesen und in die Aminosäuresequenzen übersetzen (Translation). Die Reihenfolge (Sequenz) der vier Basen A, C, G, T ist die Anleitung für den Aufbau von Proteinen. Innerhalb der DNS bildet die Reihenfolge von jeweils drei Basen eine Informationseinheit für eine der 20 natürlich vorkommenden Aminosäuren, die Grundbausteine der Proteine. So entstehen Proteine, die nicht nur aus lang gestreckten Ketten bestehen, sondern sich knäueln, aufrollen, falten und mit anderen Proteinketten zusammenlagern. Die dreidimensionale Faltung schafft Falten und Gruben, die später exakt zum jeweiligen Reaktionspartner passen (Schlüssel-Schloss-Prinzip). 13 © 2008 W. Kohlhammer, Stuttgart 1.3 Proteinsynthese 1.4 Funktionen von Proteinen Es sind tausende von Proteinen bekannt, die, wenn sie korrekt gefaltet sind, viele unterschiedliche Funktionen im Körper ausüben. Beispielsweise transportieren sie Stoffe, sind Schutz- und Abwehrstoffe innerhalb unseres Immunsystems und ermöglichen die Kommunikation zwischen den Zellen. Viele Gefahren im ABCEinsatz führen zu Veränderungen in der DNS selbst, Defekten in der Umschreibung der DNS zu Proteinen oder zu Veränderungen bereits vorhandener Proteine und schädigen somit permanent oder vorübergehend betroffene Körperfunktionen (siehe auch Bild 1). Bakterien sind sehr kleine Lebewesen, die mikroskopisch nach ihrer Form unterschieden werden können. Es gibt runde (einzeln Mikrokokken, zu zweit Diplokokken), runde, perlenkettenartig aneinander gehängte (Streptokokken) oder traubenförmig aneinander gehängte Bakterien (Staphylokokken) sowie stäbchen- und schraubenförmige. Andere sind schlangen- oder kommaförmig (Spirillen und Vibrionen) oder besitzen Geißeln. Ebenso wie ihre Vielgestaltigkeit haben Bakterien nahezu alle Lebensräume besiedelt und manche haben sich auf extreme Bedingungen spezialisiert. Sie fungieren im Naturhaushalt als Destruenten, sind am Abbau der abgestorbenen Biomasse zu anorganischen Verbindungen 14 © 2008 W. Kohlhammer, Stuttgart 1.5 Bakterien und Viren beteiligt und spielen so wichtige Rollen im Kreislauf des Kohlenstoffs, Stickstoffs, Phosphors und Schwefels in unserer Biosphäre. Obwohl die Zahl der nützlichen Bakterien überwiegt, werden meist nur diejenigen Bakterien wahrgenommen, die krankheitsauslösend und pathogen sind. Bakterien können durch zwei Mechanismen Erkrankungen auslösen: durch Invasion des Wirtsgewebes und/oder durch die Abgabe von Toxinen. Viren bestehen aus einer Kapsel, aus verschiedenen Proteinen und aus nur einem Nukleinsäuretyp (entweder DNS oder RNS). Sie können sich im Gegensatz zu anderen Mikroorganismen nicht selbstständig reproduzieren, sondern bedienen sich einer anderen lebenden Zelle. Dazu müssen die Viren in eine Wirtszelle eindringen und deren Stoffwechselapparat zur eigenen Vervielfältigung nutzen. Mit einer Größe zwischen 20 und 300 nm sind Viren sehr viel kleiner als Bakterien. Prionen sind infektiöse Eiweiße, die verschiedene degenerative Hirnerkrankungen wie beispielsweise die Creutzfeldt-JakobDisease (CJD) beim Menschen, die Bovine Spongiforme Enzephalopathie (»Rinderwahnsinn«, BSE) beim Rind, Scrapie beim Schaf oder die Feline Spongiforme Enzephalopathie (FSE) bei Katzen hervorrufen können. Man nimmt an, dass Prionen modifizierte Zellproteine mit einer Größe < 100 nm sind und durch den Verzehr von kontaminierter Nahrung aufgenommen werden. Prionen sind äußerst resistent gegenüber Hitze, Desinfektionsmitteln 15 © 2008 W. Kohlhammer, Stuttgart 1.6 Prionen und Bestrahlung. Zur Desinfektion/Dekontamination werden hoch konzentriertes Natriumhypochlorid, Natriumhydroxid, Perjodat oder Phenol angewendet. Parasiten sind Organismen, die einen anderen, meist größeren Organismus als Nahrungsquelle nutzen. Die Anpassung zwischen Parasit und Wirt dauert aber relativ lange, sodass die verschiedenen Parasiten unterschiedlich pathogen für ihren Wirt sind. Ein gut angepasster Parasit schädigt seinen Wirt daher nur mäßig, beispielsweise durch die Absonderung von giftigen Stoffwechselprodukten oder indem er durch sein Eindringen in den Wirt die Zellen oder Gewebe zerstört. Oft kommt es bei einer parasitären Erkrankung zu einer zusätzlichen bakteriellen Infektion. Ektoparasiten wie Moskitos, Zecken, Wanzen, Flöhe und Läuse übertragen andere Erreger wie beispielsweise Protozoen, Würmer, Bakterien oder Viren. Parasitäre Erkrankungen sind keineswegs auf die südlicheren Länder beschränkt, denn derzeit breitet sich in Deutschland zusätzlich zu der angestammten Zeckenart (Ixodes spec.) eine weitere Zeckenart aus (Dermacentor spp.). Infizierte Zecken der Familie Ixodes übertragen auf Menschen, Hunde, Katzen und Rinder sowohl die Zeckenenzephalitis (FSME, ausgelöst durch einen Virus) als auch die so genannte Lyme Borreliose, welche durch das Bakterium Borrelia burgdorferi verur16 © 2008 W. Kohlhammer, Stuttgart 1.7 Pathogene Protozoen (Einzeller), Pilze, Helminthen (Würmer) und Arthropoden (Gliedertiere) 17 © 2008 W. Kohlhammer, Stuttgart sacht wird. Dermacentor kann auf Menschen, Rinder, Schafe und Hunde den Erreger der Tularämie (Francisella tularensis), des Rocky Mountain Fleckfieber (Rickettsien) und der Babesiose (Babesia canis) übertragen. Diese Beispiele zeigen, dass es auch in unseren gemäßigten Zonen Ektoparasiten gibt, die sehr gefährliche Erkrankungen auf Mensch und Tier übertragen können. Hier besteht die »Bio-Gefahr« aber nicht spezifisch für die Feuerwehr, sondern für alle Menschen, die sich in entsprechenden Verbreitungsgebieten aufhalten. Dennoch sollte bei Einsätzen in Wald- und Heidegebieten an diese Möglichkeit gedacht und die eingesetzten Kräfte sollten nach einem Einsatz dazu aufgefordert werden, sich bei Verdacht auf Zecken abzusuchen.