Klinisches Kolloquium Kognitive Umstrukturierung Caroline Kuhn SS 2007 Carsten Hüsslein / Magnus Neuschwander Ziel: Irrationale (selbstschädigende/nicht zielführende) Bewertungen, die der gegenwärtigen emotionalen und/oder Verhaltensstörung des Klienten zu Grunde liegen, zu verändern und dabei insbesondere auch die als grundlegend betrachteten absoluten Forderungen („Prämissen“) des Klienten zu bearbeiten. I. Grundannahmen Menschen… verarbeiten die Umgebungsreize aktiv vor dem Hintergrund bisheriger Lernerfahrungen bilden Erwartungen über Situationen, Handlungen und Konsequenzen haben ein steuerndes und planendes „Ich“ sind zur Selbstregulation und Selbstreflexion in der Lage Ideales Ziel: Das Verhelfen zu einer rationaler Lebensanschauung, die den Klienten dazu befähigt, nicht nur mit seinen aktuell belastenden Problemen, sondern auch mit zukünftigen Problemen „angemessen“ (das heißt in einer für ihn „nicht selbstschädigenden“/„zielführenden“ Art und Weise) umzugehen. „normalerweise“: Situation → Kognition → Emotion/Verhalten Therapeutisches Vorgehen: 1.Die Vermittlung des ABC-Modells an den Klienten 2.Die Exploration seiner emotionalen / oder Verhaltensstörung (C), der auslösenden Situationen (A) und seiner persönlichen Veränderungsziele (Z) 3.Die Exploration und Bewusstmachung zentraler irrationaler (das heißt selbstschädigender/nicht zielführender) Überzeugungen (B) (sowohl auf primärer wie auch auf sekundärer Ebene) 4.Das Infragestellen (die so genannte „Disputation“ D) der als „irrational“ erkannten Überzeugungen (dabei Beginn mit der sekundären Ebene, „Symptomstress“) 5.Die Erarbeitung und das Einüben neuer, „rationalerer“ (d.h. hilfreicher, zielführender) Überzeugungen. Bei Patienten: Situation → Dysfunktionale Kognition → Psychische Störung II. Theoretische Grundlagen a) Albert Ellis Verhaltensanalyse: (A-B-C-Theorie psychischer Störungen) A Auslösende Situation (activating event) B Bewertungen / Überzeugungen (beliefs) rB rationale Überzeugung (rational belief) iB irrationale Überzeugung (irrationale belief) b) Aaron Beck Kognitive Therapie Zentrale Annahmen und Begriffe ähnlich der RET von Ellis „Verzerrte Sicht der Realität“ anstelle von „Bewertungen“ (Ellis) negative Konzepte über ihr Selbst, ihre Umwelt und ihre Zukunft bereits in ihrer Kindheit erworben – zumeist über Prozesse sozialen Lernens Die Reaktivierung dieser negativen Schemata führt zu fehlerhafter Informationsverarbeitung C Konsequenzen (consequences) rC rationale Folgen (rational consequences) iC irrationale Folgen (irrationale consequences) 1 Klinisches Kolloquium Kognitive Umstrukturierung Caroline Kuhn SS 2007 Carsten Hüsslein / Magnus Neuschwander zentrale Bedeutung: „automatische Gedanken“ schnell ablaufende, blitzartig auftretende, subjektiv plausibel erscheinende und unfreiwillig sich einstellende Kognition verzerrt und fehlerhaft unbewusst; können jedoch leicht bewusst gemacht werden und sind dadurch einer therapeutischen Bearbeitung zugänglich Zugangsmöglichkeit zu den dahinterliegenden, grundlegenderen und situationsübergreifenden „depressogenen Grundannahmen“, d.h. jene dysfunktionalen Überzeugungen, die den Betreffenden zur Depression prädisponieren (Bsp: depressogene Grundannahme: „Um glücklich zu sein, muss ich bei allem, was ich unternehme, Erfolg haben.) zentrale Bedeutung: „Selbstverbalisation“ für die Entstehung und Aufrechterhaltung psychische Störungen Die Art des inneren Selbstgesprächs ist nach Meichenbaum entscheidend für die Fähigkeit, Stresssituationen zu bewältigen 4 Phasen: 1. Phase der Vorbereitung auf eine stressauslösende Situation 2. Phase der Konfrontation mit der stressauslösenden Situation 3. Phase der Auseinandersetzung mit dem Gefühl, überwältigt zu werden 4. Phase der Selbstverstärkung „Stressimpfungstraining“: Förderung der allgemeinen Kompetenzen des Individuums, belastende Situationen („Stresssituationen“) zu bewältigen. Hauptziel: Die verzerrten, nicht realitätsgerechten Kognitionen, zu verändern in Richtung auf eine realitätsadäquatere Wahrnehmung und Interpretation der Realität. Zusammenfassend: 3 verschiedene Zugänge: (1) Einfluss bestimmter Bewertungsmuster und absolutistischer Lebensphilosophien (Ellis) → Philosophischer Zugang (2) Bedeutung von Denkfehlern bei der Wahrnehmung und Interpretation der Realität (Beck) → Empirischer Zugang (3) Bewältigungsaussagen / Selbstverbalisationen in konkreten Situationen → Technischer Zugang c) Donald Meichenbaum Stressimpfungstraining (SIT) Zentrale Annahmen und Begriffe Verhaltenssteuernde Wirkung von selbst geäußerten Instruktionen („sprechen zu sich selbst“, „ innerer Monolog“) Systematisches Einüben von hilfreichen Selbstinstruktionen Grundlage war die Annahme, dass auch Emotionen durch Selbstverbalisationen hervorgerufen und beeinflusst werden können Im Vergleich zu den beiden vorhergehenden Theorien betont dieses Vorgehen die Erarbeitung und das Training förderlicher Kognitionen (in Form von Selbstverbalisationen) 2 Klinisches Kolloquium Kognitive Umstrukturierung Caroline Kuhn SS 2007 Carsten Hüsslein / Magnus Neuschwander Ad 2: 2 zentrale Schritte: (1) Verschiedene belastende Gefühle differenzieren und benennen, Stärke + Dauer feststellen, eruieren der damit einhergehenden Verhaltensweisen + Körperempfindungen (2) Auch nach Gefühlen im Anschluss an die Situation und bei Erinnerung an die Situation fragen; evtl. sekundäre Störungen erforschen III. Die kognitive Umstrukturierung Grundlegende Schritte und Vorgehensweisen: a) Vermittlung des Kognitiven Modells an den Klienten b) Aufdeckung der dysfunktionalen Kognitionen in konkreten Problemsituationen c) Infragestellen der dysfunktionalen Kognition d) Erarbeitung angemessenerer, funktionaler Kognitionen e) Einübung dieser neuen Kognitionen in problematischen Situationen (sowohl in der Vorstellung wie auch in der Realität) als neue Bewältigungsfertigkeiten Wichtig: Patient genau beobachten und diese Beobachtungen direkt ansprechen und aufgreifen Ad a: Vereinfachtes ABC-Modell (nach Ellis): A beschreibt die auslösende Situation B umfasst alle Gedanken über A C umfasst die emotionalen und Verhaltenskonsequenzen Ad 3: 2 zentrale Schritte: (1) Identifikation der Cs, die vom Pat. verändert werden möchten (2) Festlegen konkreter Veränderungen • Therapeuten gehen häufig intuitiv vor • So konkret wie möglich Ziele formulieren, um hinterher Bezug nehmen zu können Ad b: Gemeinsamer Suchprozess von Therapeut und Klient → Anleitung und Unterstützung zur Selbstexploration Ad 4: Nach A und C erst dann die Exploration der aufrechterhaltenden Kognitonen Schritte: 1. bewusstseinsnahe Annahmen und Gedanken in konkreten Situationen, 2. Erschließung nicht unmittelbarer Grundannahmen und Prämissen Formulierungen weisen auf dysfunktionale Kognitionen des Klienten hin, hilfreich beim "Aufspüren" Sätze wie "Ich bin..." oder Worte wie "nie, immer, alles" (Übergeneralisierungen) Entstehung der dysfunktionalen Kognitionen kann erfragt werden Vorgehensweise mit Hilfe des ABC-Modells 4 Explorationsschritte: 1. Exploration der auslösenden Situation A 2. Exploration der belastenden Gefühle und Verhaltensweisen C 3. Exploration der konkreten Veränderungsziele C‘ 4. Exploration der dysfunktionalen Kognitionen B Ad 1: Ziel: Spezifizierung des (inneren oder äußeren) auslösenden Ereignisses 3 Klinisches Kolloquium Kognitive Umstrukturierung Caroline Kuhn SS 2007 Carsten Hüsslein / Magnus Neuschwander Ad c: Infragestellen der dysfunktionalen Kognitionen B: Eigentliches Kernstück der kognitiven Therapien Große Variationsbreite von therapeutischen Interpretationsmöglichkeiten Dauer der Disputation: wenige Minuten – mehrere Stunden IV. Nützliches Zusatzwissen 1.) Der Sokratische Dialog Sokratischer Dialog Ziel: Entkräftung der dysfunktionalen Kognitionen durch den Patienten selbst → Therapeut in der Rolle des naiven Fragenden, der einfach möchte, dass die Dinge, die ihm nicht einleuchtend erscheinen, eingehend erklärt werden. Er fragt den Klienten immer wieder nach der Zweckmäßigkeit und Sinnhaftigkeit seiner Annahmen (hedonistische Disputation) bzw. nach den empirischen Belegen, die für seine Annahmen sprechen (empirische Disputation), obwohl er natürlich weiß, dass es dafür keine Argumente gibt und das Ergebnis des Gesprächs ihm bereits vorher klar ist. Niemals aber sollte der Therapeut den Eindruck erwecken, er wolle den Klienten bei Widersprüchen „ertappen“, „ihm Fallen stellen“, ihn bloßstellen oder abwerten. Vorgehen: 1.) zunächst auf eine dysfunktionale Kognition beschränken 2.) Dringend empfohlen: jeweils an der konkreten Problemsituation, strukturiert in Form eines ABC´s, „dran zu bleiben“ – keine abstrakte, situations- zielunabhängige Diskussion des für und Wider eines Gedankens ohne Bezug zu der konkreten Problemsituation und zu den Zielen des Klienten führen. 3.) Ein zu früher Beginn der Disputation ist die häufigste Quelle von „Widerständen“ auf Seiten des Klienten Kunst gegenüber Patient: Immer einen Schritt „vor ihm“ (was die Analyse seiner Kognition betrifft), aber auch immer „bei ihm“ (emphatisch) zu sein. Ad d: → Sind dysfunktionale Kognitionen „entkräftet“, so gilt es alternative Kognitionen zu entwickeln • Schriftliche Bewältigungsaussagen und –sätze • Selbstinstruktionen in direkter Rede • Modellvorstellung Das Ganze sollte im ABC-Schema schriftlich festgehalten werden 2.) Häufige Schwierigkeiten und Fehler bei der kognitiven Umstrukturierung: • Beschriebene Techniken „trügerisch einfach“ • Keine „rein-kognitiven“ Interventionen • Aktiv-direktiver Interviewstil passt nicht zu jedem Therapeuten oder Klienten • Disputation ohne ausreichende Vorbereitung • Zu hypothesengeleitetes Vorgehen • Schulmeisterlichkeit und Belehrungen • Zu schnelles Vorgehen • Ausdauer und Redundanz sind essentiell • unmittelbarer Bezug zu Patient ist wichtig • Sekundäre Problematiken nicht unterschätzen • Therapeut benötigt Selbsterfahrung im Umgang mit kognitiver Umstrukturierung Ad e: → Neue, hilfreiche Kognitionen müssen mit dem Klienten eingeübt werden Konkrete Möglichkeiten: 1. 2. 3. 4. Kognitive Vertiefung Üben in der Vorstellung Üben in der Realität Förderung der Selbsthilfetätigkeiten des Patient → Tonbandaufnahmen oder Supervisoren helfen, mögliche Fehler zu reproduzieren → Spezielle Fortbildungen zu kognitiver Umstrukturierung und sokratischem Dialog wärmstens empfohlen 4