Schwerpunkt Umweltethik Einführung Von Timo Kaphengst, Potsdam E thik kommt immer dann zum Tragen, wenn die Frage gestellt wird, wie man sich gegenüber jemandem oder etwas verhalten soll. Ethik beschreibt im Gegensatz zu den Naturwissenschaften nicht, wie etwas (empirisch) ist, sondern wie etwas (normativ) sein soll. Ethische Fragen nach dem „moralisch richtigen“ Verhalten sind fast so alt wie die Menschheit selbst. Allerdings beschränkten sich große Ethiker wie Aristoteles, Immanuel Kant oder David Hume in ihren Theorien auf die zwischenmenschliche Dimension. Erst in den siebziger Jahren des letzten Jahrhunderts tritt die Umweltethik verstärkt als Disziplin der angewandten Ethik in Erscheinung. Als Reaktion auf die sich verstärkende Wahrnehmung der „ökologischen Krise“ befasst sich die Umweltethik mit dem normativ richtigen (individuellen und kollektiven) Verhalten gegenüber der äußeren (belebten oder unbelebten), nicht menschlichen Natur (vgl. Krebs 1996). Anders als die Naturwissenschaften, in denen mit Hilfe von Experimenten und Analysen und Auswertungen Fakten geschaffen werden, die mit den gleichen empirischen Mitteln widerlegt werden können, bewegt sich die Umweltethik in einem aus Intuitionen, Plausibilisierungen und Begründungen bestehenden Argumentationsraum. Ihre Aufgaben sind einerseits, diesen Argumentationsraum zu beschreiben und zu strukturieren, und andererseits, eigene Sollenskonzeptionen zu entwickeln, die in einem Diskurs „bestehen“ können, d.h. die mit Hilfe „guter Gründe“ zu verteidigen sind. Diese „weiche“ Seite gewinnt an Kontur, wenn es um konkrete Fälle oder (Umwelt-)Kon- 10 flikte geht, in denen normative Entscheidungen getroffen werden müssen. Umweltkonflikte entstehen zum Beispiel dort, wo Menschen sich mit unterschiedlichen Interessen, Bedürfnissen und Werten über die richtige Verteilung von Ressourcen, über angemessene Instrumente einer nachhaltigen Energieversorgung oder über Zielsetzungen im Naturschutz einigen sollen (vgl. Eser & Müller 2006). Umweltethische Diskussionen bewegen sich normalerweise in drei voneinander zu unterscheidenden Argumentationsfeldern, die dieses Schwerpunktheft zum größten Teil abdeckt: Das erste Argumentationsfeld betrifft die Frage, welche Entitäten als moralisch berücksichtigungswürdig erachtet und damit in die „Moralgemeinschaft“ aufgenommen werden sollen. Einfacher ausgedrückt geht es hierbei darum, ob Menschen nur gegenüber anderen Menschen moralische Verpflichtungen haben oder auch gegenüber (schmerzempfindlichen) Tieren, Pflanzen oder sogar gegenüber allem (Natürlichen) – wie Bergen, Landschaften oder Steinen. Diese zentrale Frage der Umweltethik, die als Inklusionsproblem bekannt ist, stellen Julia Schlüns und Lieske Voget in ihrem Beitrag ab Seite 12 dar. Der Beitrag von Timo Kaphengst beleuchtet Begründungen und Konsequenzen der Ökozentrik, einer umweltethischen Konzeption, die eine sehr große Moralgemeinschaft behauptet (Seite 25ff.). Im zweiten Argumentationsfeld geht es um das Verhältnis von Werten und Gütern. Naturgüter wie Arten, Landschaften oder auch Tier- und Pflanzenindividuen werden von Menschen unterschiedlich wertgeschätzt. Während sie für die einen schon aufgrund ihrer Existenz oder ihres FORUM GEOÖKOL. 19 (1), 2008 Schwerpunkt ästhetischen Reizes einen Wert haben, messen andere ihnen nur dann einen Wert bei, wenn sie sie nutzen können, zum Beispiel als Rohstoffressource oder zur Ausübung einer Freizeittätigkeit. Die Stellung von Werten in der Umweltethik und ihre Beziehungen zueinander sind Thema des Beitrages von Tanja von Egan-Krieger und Barbara Muraca (Seite 16ff.). Die Autorinnen schlagen eine Kategorisierung von Werten vor, die die strenge Unterscheidung der Anerkennung von moralischen Selbstwerten einerseits und der darauf bezogenen Zuschreibung von instrumentellen Werten, die als bloße Mittel betrachtet werden dürfen andererseits, überwindet. Das dritte Argumentationsfeld befasst sich mit Gerechtigkeit und der Vergabe von Rechten. Während es bei Gerechtigkeit meistens um übergeordnete Fragen der allgemeinen Ethik geht, besteht bei der Vergabe von Rechten eine enge Verbindung zum Politischen und zum (Umwelt-)Recht, in denen neben kollektiv verbindlichen Regelungen auch Zielsetzungen enthalten sind. Anhand eines klassischen Praxisfeldes der Umweltethik zeigt Philipp Pratap Thapa in seinem Beitrag die unterschiedlichen normativen Facetten einer Zieldiskussion im Naturschutz auf (Seite 21ff.). Die Schlaglichter, die dieser FORUMSchwerpunkt auf das komplexe Feld der Umweltethik wirft, machen bereits deutlich, dass umweltethische Diskurse dynamische Prozesse sind und als Produkt menschlicher Akteure auch einer Konjunktur unterliegen. Dennoch, auch trotz der Komplexität und Verschiedenartigkeit der einzelnen Problemfälle, bei denen Umweltethik zur Anwendung kommt, kann diese angewandte Philosophie für gedankliche Ordnung und Orientierung sorgen. Sie hilft nicht nur, die moralische Dimension einer praktischen Problemstellung zu erkennen und zu explizieren, sondern bietet abseits von politischen Verhandlungen, wirtschaftlichen Interessen und technokratischen Strategien einen objektivierbaren Rahmen für Entscheidungen im Umweltund Naturschutz. FORUM GEOÖKOL. 19 (1), 2008 Alle Autorinnen und Autoren dieses Schwerpunkts sind Mitglieder des Forums Ethik & Nachhaltigkeit (Ethna, www.forum-ethna.de). Wir haben uns zum Ziel gesetzt, gesellschaftliche Diskurse über umweltethische Themen anzuregen und zu fördern, etwa über die Verantwortung gegenüber zukünftigen Generationen, den richtigen Umgang mit Natur und Umwelt oder über nachhaltige Wirtschafts- und Lebensweisen. In diesem Sinne wünsche ich den Leserinnen und Lesern dieses Schwerpunkts, dass die Lektüre ihnen neue, wichtige und fruchtbare Blickwinkel auf Themen eröffnet, mit denen sie in ihrer wissenschaftlichen Arbeit genauso konfrontiert sind wie als private und öffentliche Person. Summary While the natural sciences describe nature empirically, the philosophical discipline of environmental ethics discusses normative questions of how we ought to deal with nature. Major topics in environmental ethics are the inclusion problem (or, demarcation problem), the relation of values and goods, and justice and rights. The contributions in this issue cover all of them, showing that environmental ethics not only helps to recognise the moral dimension of human dealings with nature, but provides an objectifiable framework for decisions in environmental policy and nature conservation. The authors are members of an informal think tank dedicated to promoting and informing the societal discourse on ethics and sustainability (www.forum-ethna.de). Literatur • Eser, U., Müller, A., (2006): Umweltkonflikte verstehen und bewerten. Ethische Urteilsbildung im Natur- und Umweltschutz. Oekom, München. • Krebs, A. (1996): Ökologische Ethik I: Grundlagen und Grundbegriffe. In: NidaRümelin, J. (Hrsg.): Angewandte Ethik. Alfred Kröner Verlag, Stuttgart: 346– 385. Timo Kaphengst (Kontaktdaten siehe Seite 27) 11