Umweltethik für Kinder

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T. Pyhel, A. Bittner, A.-K. Klauer,
V. Bischoff (Hrsg.)
Umweltethik für Kinder
Impulse für die Nachhaltigkeitsbildung
DBU-Umweltkommunikation / Band 9
Selbstverpflichtung zum nachhaltigen Publizieren
Nicht nur publizistisch, sondern auch als Unternehmen setzt sich der oekom verlag
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Bildmaterial im Innenteil: alle Fotos Sächsische Landesstiftung Natur und Umwelt (LaNU) außer S. 155 und 168
unten: Amöba – Verein für Umweltbildung e. V. (Amöba);
Zeichnungen und Aquarelle: Claudia Weiand, auf folgenden Seiten ergänzt durch Zeichnungen und Aquarelle
von Anna-Katharina Klauer: S. 155, 164, 171, 172 Tiere, 189 unten, 191 Mitte und 196.
Textgestaltung: Helga Kuhn, DBU Zentrum für Umweltkommunikation
Druck: Bosch-Druck GmbH, Ergolding
Alle Rechte vorbehalten
ISBN 978-3-86581-818-8
E-ISBN 978-3-96006-144-1
Herausgegeben von:
Thomas Pyhel, Alexander Bittner,
Anna-Katharina Klauer, Vera Bischoff
Umweltethik
für Kinder
Impulse für die
Nachhaltigkeitsbildung
Inhaltsverzeichnis
EINFÜHRUNG
»Und wo bleibt die Moral?«
Ethische Aspekte einer Nachhaltigkeitsbildung
Thomas Pyhel und Alexander Bittner
7
WISSENSCHAFTSTHEORETISCHE BETRACHTUNG
Grundzüge der Umweltethik
Konrad Ott
15
Natur schützen, nutzen und gerecht teilen
Umweltethik im Lichte nachhaltiger Entwicklung
Uta Eser
33
»Es gibt nichts Gutes, außer man tut es«.
Zur Bedeutung von Ethik in der Umweltkommunikation
Markus Vogt
45
Das »ökologische Interesse« als Basis der Umweltethik?
Thomas Petersen
59
Nachhaltige Entwicklung: Leitbild für eine ethische und
politische Grundbildung?
Bernd Overwien
69
»Ist Tugend lehrbar?«
Zwischen Werteerziehung und kritischer Urteilsbildung
Ulrich Gebhard und Kerstin Michalik
79
Das Prinzip »Achtsamkeit« in der
religionspädagogischen Umweltbildung
Matthias Albani
93
PRAKTISCHER TEIL
Warum? – Darum! Umweltethik mit Kindern im Vor- und Grundschulalter
Anna-Katharina Klauer
Ansatz und Ziel
Umweltbildung für nachhaltige Entwicklung
Philosophieren mit Kindern
Rückblick und Ausblick
103
103
104
113
131
6
Inhaltsverzeichnis
Umweltethik, Material zur praktischen Umsetzung mit
Kindern im Vor- und Grundschulalter
Anna-Katharina Klauer
133
Thema 1, Energie: Energie – aber wie?
135
Thema 2, Konsum: Essen mit Spaß – aber was?
157
Thema 3, Artenvielfalt: Mein Recht – echt?
167
Thema 4, Abfall und Boden: Müll und Dreck – einfach weg?
177
HERAUSGEBER- UND AUTORENVERZEICHNIS
199
Zugunsten der Lesefreundlichkeit wurde auf eine durchgehend geschlechtsneutrale
Schreibweise verzichtet. Die verwendete männliche Form schließt bei Entsprechung die
weibliche Form selbstverständlich ein.
Thomas Pyhel und Alexander Bittner
»Und wo bleibt die Moral?«
Ethische Aspekte einer Nachhaltigkeitsbildung
Aufgrund der Tatsache, dass nachhaltige Entwicklung in erster Linie ein anthropozentrisches normatives Konzept ist, sind umweltethische Fragestellungen und Nachhaltigkeitsbildung in diesem Handlungsfeld untrennbar miteinander verbunden. Es ergibt sich aus diesem
Sachverhalt eine Verpflichtung, dass sich Nachhaltigkeitsbildung ethischen Fragestellungen
ebenso gleichrangig zuwenden muss, wie sie sich naturwissenschaftlichen und ökonomischen
Aspekten widmet. Hier werden neue methodische Zugänge bedeutsam, die unter anderem
auch Aspekte der ethischen und politischen Grundbildung berücksichtigen, da die Bewertung
von Nachhaltigkeitsfragen aber auch die Mitwirkung und Beteiligung bei der Bearbeitung
solcher Fragen wesentlich für eine nachhaltige Transformation gesellschaftlicher Handlungsfelder sind. Der Beitrag stellt die Notwendigkeit einer grundsätzlichen inter- und transdisziplinären Weiterentwicklung von Bildungsansätzen heraus, die insbesondere jungen Menschen
eine Teilhabe an der Gestaltung einer zukunftsfähigen, nachhaltigen Gesellschaft ermöglichen,
und ordnet die Einzelbeiträge des Herausgeberbandes in diesen Kontext ein.
Ethik ist en vogue. Kaum ein gesellschaftlicher Bereich kommt heute noch ohne eine
ethische Reflektion, ohne eine Einordnung von Aufgaben, Zielen und Handeln in moralische Maßstäbe aus. Je komplexer unsere Welt wird, umso größer erscheint das Bedürfnis
nach Orientierung, nach Sicherheit und Verlässlichkeit für unser aktuelles und zukünftiges
Handeln. Eine der Kernfragen ethischer Reflexion lautet daher: Wie beziehungsweise nach
welchen Prinzipien wollen wir leben?
Bei der Suche nach einer Antwort stoßen wir schnell auf ein bekanntes Problem. Theorie
und Wirklichkeit klaffen nicht selten weit auseinander. Auch das durchdachteste Konzept
oder die im breitesten Konsens erarbeiteten »moralischen Leitplanken« sind kein Garant
tatsächlichen adäquaten Handelns. Das Beispiel des Leitbilds der Nachhaltigkeit, das
Markus Vogt in seinem Beitrag zum vorliegenden Band heranzieht, verdeutlicht dies eindrücklich: Trotz einer breiten Zustimmung des Konzeptes in politischen, wirtschaftlichen
und privatgesellschaftlichen Bereichen ist nicht zwingendermaßen ein verbessertes ökologisches Handeln auszumachen. Vergleichbare Phänomene sind uns aus der Verhaltensforschung bekannt (vgl. u. a. Diekmann/Preisendörfer 2001; Kruse 2002 und 2013; Abrahamse
et al. 2005; Bamberg/Möser 2007).
8
»Und wo bleibt die Moral?« Ethische Aspekte einer Nachhaltigkeitsbildung
Gleichwohl spielen ethische Leitbilder eine wichtige Rolle für unser Tun und drücken
unsere Grundhaltung, unsere Einstellungen und Wertehaltungen aus. Sie sind ein Angebot
»guter Gründe«, sich so oder so zu verhalten, diese oder jene Perspektive einzunehmen,
und sie repräsentieren das »moralische Wissen« einer gesellschaftlichen Gruppe, einer
Institution oder eines Unternehmens. Als Reflexionsfläche für das individuelle und gesellschaftliche Handeln übernehmen ethische Leitbilder insbesondere in komplexen, unüberschaubaren Situationen und Zusammenhängen eine wichtige Funktion bei der Einordnung
und Bewertung verschiedener Handlungsoptionen. Gerade bei aktuellen Umweltthemen
wie dem Klimaschutz, der sicheren Energieversorgung oder dem nachhaltigen Ressourcenmanagement geht es im Kern immer auch um ethische Positionen (etwa zur Verteilung materieller Güter, zur Gerechtigkeit zwischen den Generationen, bei der Suche nach
geeigneten Maßstäben bei der Abwägung zwischen Ansprüchen intra- und intergenerationeller Gerechtigkeit, beim Verständnis von Natur und Nachhaltigkeit etc.), die sich in einem
ethischen Leitbild widerspiegeln und die eine entsprechende Orientierung geben können.
Und dennoch: Ethische Orientierungen reichen allein nicht als Motivator für unser tatsächliches Handeln aus. Sie weisen vielmehr in eine Richtung, in die wir aber zunächst lernen
müssen zu gehen. Bedeutsamer als das Leitbild selbst erscheint dabei der Weg dorthin, der
einen gut vorbereiteten demokratischen Diskurs, die Aneignung und den Austausch von
Fachwissen, Vorstellungen, Wünschen, Ängsten und Hoffnungen, die Klärung von Handlungsalternativen, die Festlegung von Zielvereinbarungen und vieles mehr umfassen muss.
Hier kommt der Nachhaltigkeitsbildung eine besondere Aufgabe und Verantwortung
zu. Nachhaltigkeitsbildung kann und sollte den Rahmen für einen entsprechenden Diskurs
über ethische Fragen und Aspekte bilden. Sie kann nicht nur beispielhaft aufzeigen, mit
welchen ethischen Implikationen zu rechnen und wie diesen zu begegnen ist, sondern sie
kann und sollte auch motivieren, erste Schritte auf dem gewählten »Pfad der Vernunft« zu
gehen. Nachhaltigkeitsbildung wird damit zu einem Erfahrungsfeld, das uns sicherer im
Umgang mit schwierigen, komplexen Fragen zu Gerechtigkeit, Solidarität und Verantwortung für zukünftige Generationen macht. Die formalen Voraussetzungen, sprich die Prinzipien guter Nachhaltigkeitsbildung, die darauf ausgerichtet sind, Menschen durch die
Vermittlung von Kompetenzen zu befähigen, Zukunft nachhaltig zu gestalten, bilden hierfür eine hervorragende Plattform. Nachhaltige Entwicklung ist nicht auf eine kurzfristig
geltende Verantwortlichkeit ausgerichtet, sondern ist ein Querschnittsthema, das alle
gesellschaftlichen und individuellen Lebensbereiche betrifft, wie etwa den globalen Wandel
von Ökosystemen und deren Belastungsfähigkeit, den Zugang zu und Umgang mit Rohstoffen, Wachstumskriterien der Wirtschaft, Produkte, Dienstleistungen, Konsum, aber auch
Gerechtigkeitskonzepte und Lebensstile (vgl. Gruber-Mannigel/Pyhel/Wiener 2010: 20).
Dabei kommt es darauf an, Problembereiche wie zum Beispiel Armut in Entwicklungsländern, gerechte Handelsbeziehungen, sozial-, umwelt- und gesundheitsverträgliche Produktions- und Konsummuster, Bevölkerungsentwicklung und Generationengerechtigkeit,
»Und wo bleibt die Moral?« Ethische Aspekte einer Nachhaltigkeitsbildung
9
den Zugang zu neuen energieeffizienten Technologien oder neue Formen der Partizipation
auch ethisch in den Blick zu nehmen.
Nachhaltigkeitsbildung kann und sollte aber nicht nur den theoretischen Diskurs zu
einer ethischen Orientierung vorantreiben, sondern möglichst auch konkrete Handlungsangebote unterbreiten. Das sozialwissenschaftliche Konstrukt der Lebensstile kann
zumindest in einem Teilbereich hierzu einen Beitrag leisten, da sich in Lebensstilen Ressourcen, Verhaltensweisen und Wertorientierungen zu erkennbaren und gegebenenfalls
zu verändernden Mustern der Lebensführung verbinden. Lebensstile stellen somit Typen
von Lebensmustern dar, »die sich heute insbesondere durch die Art der Konsumorientierung unterscheiden« (Michelsen 2007: 35). Dabei bedarf es auf der konkreten Handlungsebene einer Reflexion und Bewertung, um zwischen besseren und weniger guten
Alternativen entscheiden zu können. Die Nachhaltigkeitsbewertung von Prozessen, Produkten und Dienstleistungen, die einen maßgeblichen Einfluss auf die Ausgestaltung des
gewählten Lebensstils vermuten lässt, stellt damit eine große Herausforderung dar. Diese
besteht darin, auf Basis von Indikatoren Entscheidungshilfen für die Bewertung von Nachhaltigkeit zu entwickeln, zu kommunizieren und anzuwenden. Die Vermittlung von entsprechenden Kompetenzen und systemischen Zusammenhängen sowie die Förderung von
Bewusstsein und Handeln im Rahmen einer Bildung für Nachhaltigkeit sind die Voraussetzung für die Gestaltung einer zukunftsfähigen Gesellschaft. Dabei sind auch Fragen zu
leitenden Werten und ethischen Grundhaltungen zu berücksichtigen.
Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE) hat zum Ziel, »allen Menschen Bildungschancen zu eröffnen, die es ermöglichen, sich Wissen und Werte anzueignen sowie
Verhaltensweisen und Lebensstile zu erlernen, die für eine lebenswerte Zukunft und eine
positive gesellschaftliche Veränderung erforderlich sind« (Nationalkomitee der UN-Dekade
»Bildung für nachhaltige Entwicklung« 2011: 7). Gerade Kinder und Jugendliche stellen
hierbei eine wichtige Zielgruppe entsprechender Bildungsprogramme und -maßnahmen
dar. Die »Stärkung kindlicher Autonomie und sozialer Mitverantwortung«, wie es etwa der
Bildungsplan Hessen fordert, kann und soll dazu beitragen, »dem Kind zu helfen, sich selbst
zu organisieren, ein Bild über seine Stärken und Schwächen zu gewinnen und dadurch ein
gesundes Selbstwertgefühl zu entwickeln« (Hessisches Ministerium für Soziales und Integration & Hessisches Kultusministerium 2015: 25). Damit verbunden ist die Stärkung des
kompetenten Umgangs mit Veränderungen und Belastungen, die Mobilisierung eigener
Kräfte und die Nutzung sozialer Ressourcen, die dem Kind eine erfolgreiche Bewältigung
ermöglichen (ebd.: 26). Frühkindliche Bildungsprozesse sollten dabei den Erwerb von
Kompetenzen zur Entwicklung, kritischen Reflexion und Verstetigung von Werten und
Normen umfassen. »Die Einigung auf Normen ist ein wesentlicher Bestandteil funktionierender Gesellschaften. Bestehende Normen tragen aber auch zu einer nicht nachhaltigen
Entwicklung bei. Daher muss die Reflexion dieser Normen in dem Moment einsetzen,
in dem Kinder beginnen sich an dem Verstehen und der Durchsetzung der Normen zu
10
»Und wo bleibt die Moral?« Ethische Aspekte einer Nachhaltigkeitsbildung
beteiligen und einen Sinn für die Sozialität des menschlichen Daseins zu entwickeln«
(Kosler/Benoist 2013: 152). Warum-Fragen von Kindern können dann »Ausgangspunkt für
eine Transformation gesellschaftlicher Normen sein« (ebd.: 152).
Eine Annäherung an diese komplexe Herausforderung kann über den Zugang des
philosophischen Gespräches erfolgen. »Philosophieren ist die Kunst, im richtigen Moment
die richtige Frage zu stellen«, schreibt Eva Zoller-Morf in ihrem Buch »Die kleinen Philosophen: Vom Umgang mit ›schwierigen‹ Kinderfragen« (1995). Kinder stellen Fragen, sie wollen die Welt begreifen und die Zusammenhänge erkennen. Sie wollen wissen, warum der
Himmel blau ist, ob Pflanzen Schmerzen empfinden, ob wir ohne Strom leben können, ob
der Mensch wichtiger ist als die Tiere oder ob es Dinge gibt, auf die der eine verzichten kann
und der andere nicht. Die Fragen nach dem Warum und Woher sind entscheidend für die
Entwicklung des eigenen und kollektiven Bewusstseins, für die Einordnung individuellen
und gemeinschaftlichen Handelns und damit für die Entwicklung neuer kreativer Ideen
und Lösungskonzepte. Philosophische Gespräche und ein gemeinsames, spielerisches Tun
können helfen, Klarheit und eine »Orientierung im Denken« (Martens 2007) zu finden.
Die Zahl entsprechender Publikationen und Initiativen, die sich mit der Methode des
Philosophierens mit Kindern befassen, ist in den letzten Jahren auffällig gestiegen (vgl.
u. a. Brüning 2001; Martens 2007; Rude et al. 2007; Akademie Kinder philosophieren 2008;
Zoller-Morf 2010; Calvert/Hausberg 2011). Aber auch wenn das Philosophieren mit Kindern
im Trend liegt, werden umweltphilosophische und umweltethische Fragen nur selten
thematisiert. Daher gibt es nur wenig geeignetes Lehr- und Lernmaterial. Umgekehrt hat die
Umweltpädagogik bisher nur wenig auf die Methoden des Philosophierens zurückgegriffen, sondern ist oft bei der reinen Vermittlung von Sachverhalten stehen geblieben. Dabei
bietet sich der Umweltbereich geradezu für philosophische und ethische Reflektionen mit
Kindern an. »Wenn sich Kinder Themen der Nachhaltigkeit aus philosophischer Perspektive nähern, dann setzen sie sich bewusst und aktiv mit einzelnen Teilaspekten der Nachhaltigkeit auseinander: Begriffe werden durchleuchtet, nach Sinn und Bedeutung gefragt,
Bezüge zu anderen Bereichen hergestellt und Antworten und Lösungen gesucht. Philosophieren ist ein Prozess des Reflektierens und Bewusstmachens, dessen Ausgangspunkt die
eigene Lebens- und Erfahrungswelt ist« (Akademie Kinder philosophieren 2012: 23).
In dem von der Deutschen Bundesstiftung (DBU) geförderten Projekt »Warum? –
Darum! Umweltethik für Kinder. Entwicklung und Erprobung philosophischer Methoden
zur Umweltbildung mit Kindern«, das den praktischen Kern der vorliegenden Publikation
bildet, wurden für die Zielgruppe der Kindergarten- und Grundschulkinder die klassischen
Methoden der Umwelt- und Nachhaltigkeitsbildung mit Methoden des Philosophierens
verknüpft. Die Kinder wurden und werden angeregt, über aktuelle Umweltprobleme und
über die Möglichkeiten jedes Einzelnen, Verantwortung zu übernehmen, nachzudenken.
Im Vordergrund stand die Entwicklung geeigneter pädagogischer Konzepte und Materialien zu Themen wie Nachhaltigkeit, Verantwortung oder Rechte von Menschen. Diese
»Und wo bleibt die Moral?« Ethische Aspekte einer Nachhaltigkeitsbildung
11
Materialien wurden in Partnerschulen und Kindergärten erprobt, optimiert und anschließend publiziert. Ergänzend wurden Aktionstage, Projektwochen und regelmäßige Arbeitsgruppengespräche durchgeführt sowie eine kleine Wanderausstellung zu dem Thema mit
den beteiligten Kindern, Erzieherinnen sowie Grundschullehrerinnen und Grundschullehrern umgesetzt.
Die Projektergebnisse, die am Ende dieser Publikation in dem Beitrag »Warum? –
Darum! Umweltethik mit Kindern im Vor- und Grundschulalter« von Anna-Katharina
Klauer zusammengefasst werden und auch Material zur praktischen Umsetzung umfassen,
zeigen, dass auch Vorschul- und Grundschulkinder schon in der Lage sind, differenziert
über Sachverhalte und ethische Fragen wie zum Beispiel über die Notwendigkeit zum
Teilen oder den Wert eines Lebewesens nachzudenken. Darüber hinaus zeigt sich, dass
bei Erzieherinnen und Erziehern sowie bei Lehrerinnen und Lehrern ein großes Interesse
an der Einführung von philosophischen Methoden in die Umwelt- und Nachhaltigkeitsbildung besteht. Hierzu soll dieses Buch neue Impulse geben.
Die konkrete Projektbeschreibung ist eingebettet in wissenschaftstheoretischen Überlegungen, die das Thema aus verschiedenen Perspektiven beleuchten. So werden in dem
Beitrag von Konrad Ott zunächst die »Grundzüge der Umweltethik« und damit einige der
zentralen Topoi dieser Disziplin rekonstruiert und die Rolle der Umweltethik im Gefüge
der Philosophie und der Umweltwissenschaften verortet.
Uta Eser stellt in ihrem Beitrag »Natur schützen, nutzen und gerecht teilen – Umweltethik im Lichte nachhaltiger Entwicklung« bewusst nicht die Frage nach dem moralischen
Selbstwert der Natur, die lange Zeit als Schlüsselfrage der Umweltethik galt. Ihr erweiterter Fokus verlangt neben Fragen instrumenteller Klugheit und ökologischer Gerechtigkeit
(und damit Fragen sozialer und globaler Gerechtigkeit) insbesondere auch die Frage nach
dem Guten Leben, die in den Blick der Umweltethik gelangen muss.
Dass (Umwelt-)Ethik durch die stets neu zu suchende Balance zwischen den drei Grundfunktionen der Ethik, nämlich kritisieren, motivieren und integrieren, zur Entwicklung und
Übernahme von Verantwortung befähigt, verdeutlicht der Aufsatz von Markus Vogt. Unter
dem Titel »Es gibt nichts Gutes, außer man tut es. Zur Bedeutung von Ethik in der Umweltkommunikation« beschreibt er nicht nur die Grenzen rationaler Ethik, sondern betont insbesondere das Prinzip der Verantwortung als Schlüsselbegriff der Umweltkommunikation.
Eine ethische Umweltkommunikation wird dann als erfolgreich gesehen, wenn sie im Sinne
eines Kulturwandels die mentalen Vorstellungsmuster von einem gelingenden und sinnvollen Leben um ökologische Dimensionen erweitert.
Der Beitrag von Thomas Petersen geht der Frage nach, ob »Das ›ökologische Interesse‹
als Basis der Umweltethik?« zu verstehen ist, und wenn ja, an welche Voraussetzungen
dieses Interesse gebunden ist und wie man es bestimmen kann. Ein Ergebnis seiner Analyse
ist: Wenn wir das ökologische Interesse qualifizieren wollen, müssen wir die Frage
12
»Und wo bleibt die Moral?« Ethische Aspekte einer Nachhaltigkeitsbildung
beantworten, warum Menschen überhaupt existieren sollen oder anders gefragt: was den
Menschen einer solchen Erhaltung würdig macht.
Bernd Overwien beleuchtet in seinem Beitrag »Nachhaltige Entwicklung: Leitbild
für eine ethische und politische Grundbildung?« die Rolle der politischen Bildung bei der
Sensibilisierung auch für ethische Fragen. Auch wenn Nachhaltigkeitsfragen in der politischen Bildung (noch) kein »Mainstream-Thema« sind, eröffnet der Beitrag einen wertvollen
Blick in die Bildungspraxis und verdeutlicht die Möglichkeiten und Chancen einer Verknüpfung globalen Lernens mit Aufgaben und Zielen der politischen Bildung.
Natur- und Umweltbildung ist oft mit dem Vorwurf der Indoktrinierung und Überwältigung konfrontiert. In ihrem Aufsatz »Ist Tugend lehrbar? Zwischen Werteerziehung und
kritischer Urteilsbildung« zeigen Ulrich Gebhard und Kerstin Michalik unter anderem auf,
dass Rahmenbedingungen geschaffen werden können, unter denen Moral- und Werteentwicklung als Ausdruck des autonomen Subjekts möglich sind. Neben der Frage, wie ethisch
relevantes Handeln entsteht, gehen die Autoren dabei auf den Ansatz der Alltagsphantasien ein, bei dem es um das Verhältnis von rationalen Argumenten einerseits und irrationalen, intuitiven, erlebnisbezogenen Elementen des Naturbezugs andererseits geht und die
Fähigkeit, zwischen rationalen und intuitiven, symbolischen Vorstellungen hin- und herzupendeln, erfordert. Das Philosophieren mit Kindern und Jugendlichen wird als Chance
gesehen, verantwortungsvolles Handeln gegenüber Mensch und Natur anzubahnen.
»Das Prinzip ›Achtsamkeit‹ in der religionspädagogischen Umweltbildung« ist Gegenstand des Beitrages von Matthias Albani. Der vorliegende Aufsatz skizziert dabei die
Grundlinien eines noch in der Entwicklung befindlichen umweltethischen Konzeptes, das
in Zusammenhang mit dem genannten DBU-Projekt »Warum? – Darum! Umweltethik für
Kinder« erfolgt. Aus religionspädagogischer Sicht geht es darum, das Thema Schöpfungsbewahrung beziehungsweise Umweltethik/Umweltpädagogik noch stärker in der Religionspädagogik zu verankern, wobei im Zentrum der spirituelle Gedanke der Achtsamkeit
steht. Im Gegensatz zu kognitiven und pragmatischen Lernansätzen kann das spirituelle
Achtsamkeitsprinzip aus Sicht des Verfassers auch die emotionalen Tiefen der menschlichen Existenz erreichen und vermag daher wirksamer und nachhaltiger zu einem umweltethischen Verhalten zu motivieren.
Die vorliegende Publikation soll Anregungen für eine weitere Diskussion und Erprobung umweltethischer Ansätze in der Nachhaltigkeitsbildung junger Menschen geben. Sie
soll die vielfältigen Perspektiven auf und die möglichen Herangehensweisen an das Thema
aufzeigen und erste Impulse für eine praktische Umsetzung im Bereich der schulischen und
außerschulischen Umweltbildungsarbeit setzen.
»Und wo bleibt die Moral?« Ethische Aspekte einer Nachhaltigkeitsbildung
13
Literatur
Abrahamse, W./Steg, L./Vlek, C./Rothengatter, T. (2005): A review of intervention studies aimed at household
energy conservation. In: Journal of Environmental Psychology, 25, S. 273–291.
Akademie Kinder philosophieren (Hrsg.) (2008): Ich bin ich. Oder?
Akademie Kinder philosophieren (Hrsg.) (2012): Wie wollen wir leben? Kinder philosophieren über Nachhaltigkeit. oekom verlag, München.
Bamberg, S./Möser, G. (2007): Twenty years after Hines, Hungerford, and Tomera: A new meta-analysis of
psycho-social determinants of proenvironmental behavior. In: Journal of Environmental Psychology, 27,
S. 14–25.
Brüning, B. (2001): Philosophieren in der Grundschule. Grundlagen, Methoden, Anregungen. Cornelsen
Lernhilfen 2001.
Calvert, K./Hausberg, A. (2011): PhiNa Handbuch: Philosophieren mit Kindern über die Natur. Schneider 2011.
Diekmann, A./Preisendörfer, P. (2001): Umweltsoziologie. Eine Einführung. Rheinbeck bei Hamburg. Rowohlt.
Gruber-Mannigel,J./Pyhel, T./Wiener, K. (2010): »… uuund Action!« Medienorientierte Umweltkommunikation für Kinder und Jugendliche. oekom verlag. München.
Hessisches Sozialministerium/Hessisches Kultusministerium (2015): Bildung von Anfang an. Bildungs- und
Erziehungsplan für Kinder von 0 bis 10 Jahren in Hessen. URL: http://www.bep.hesse.de (Download vom
26.10.2016).
Kosler, T./Benoist, B. (2013): Bildung für eine nachhaltige Entwicklung im Elementarbereich. In: Pütz, N./
Schweer, M. K. W./Logemann, N. (Hrsg.) (2013): Bildung für nachhaltige Entwicklung. Aktuelle theoretische
Konzepte und Beispiele praktischer Umsetzung. Psychologie und Gesellschaft, 11, S. 143–158.
Kruse, L. (2002): Umweltverhalten – Handeln wider besseres Wissen? In: Hempel, G./Schulz-Baldes, M. (Hrsg.)
(2002): Nachhaltigkeit und globaler Wandel. S. 175–192.
Kruse, L. (2013): Vom Handeln zum Wissen – ein Perspektivwechsel für eine Bildung für nachhaltige Entwicklung. In: Pütz, N./Schweer, M. K. W./Logemann, N. (Hrsg.) (2013): Bildung für nachhaltige Entwicklung.
Aktuelle theoretische Konzepte und Beispiele praktischer Umsetzung. Psychologie und Gesellschaft, 11,
S. 31–57.
Martens, E. (2007): Philosophieren mit Kindern. Eine Einführung in die Philosophie. Reclam 2007.
Michelsen, G. (2007): Nachhaltigkeitskommunikation: Verständnis – Entwicklung – Perspektiven. In:
Michelsen, G./Godemann, J. (Hrsg.) (2007): Handbuch Nachhaltigkeitskommunikation. Grundlagen und
Praxis. S. 25–41.
Nationalkomitee der UN-Dekade »Bildung für eine nachhaltige Entwicklung« (Hrsg.) (2011): UN-Dekade
»Bildung für nachhaltige Entwicklung« 2005–2014. Nationaler Aktionsplan für Deutschland 2011.
http://www.bne-portal.de/coremedia/generator/unesco/de/Downloads/Dekade_Publikationen_national/
Der_20Nationale_20Aktionsplan_202011.pdf (Download vom 23.11.2011).
Rude, C./Simbeck, S./Witt-Kruse, E./Zeitler, K. (2007): Praxisleitfaden Kinder philosophieren für Kindertageseinrichtungen und Schulen. Kind sein – Sinn erfahren – Werte lernen.
Zoller-Morf, E. (1995): Die kleinen Philosophen. Vom Umgang mit ›schwierigen‹ Kinderfragen. Freiburg 1995.
Konrad Ott
Grundzüge der Umweltethik
Die Umweltethik ist ein Bereich der praktischen Philosophie, der an der diskursrationalen
Begründung von Maßstäben und Grundsätzen für einen moralisch verantwortbaren Umgang
mit außermenschlichen Wesen interessiert ist. Der folgende Beitrag rekonstruiert einige der
zentralen Topoi dieser noch recht jungen Disziplin und versucht, die Rolle der Umweltethik
im Gefüge der Philosophie und der Umweltwissenschaften zu verorten. Dabei sollen einige
der begrifflichen, zeitdiagnostischen und normativen Voraussetzungen und die mit ihnen verknüpften Probleme benannt werden.
Gründe und Maßstäbe für Werte und Normen in der Umwelt- und
Naturschutzethik
Die Umweltethik (synonym: environmental ethics, Naturethik) ist eine Teildisziplin der
praktischen Philosophie. Sie fragt zum einen nach den Gründen und den aus ihnen gewonnenen Maßstäben (Werte und Normen), die unser individuelles und kollektives Handeln
im Umgang mit der außermenschlichen Natur bestimmen sollten. Zum anderen fragt sie
danach, wie diese Maßstäbe praktisch umgesetzt werden könnten. Die Umweltethik hat
also eine theoretische und eine praktische Dimension.
Die Frage nach Gründen setzt einiges voraus. Erstens setzt sie ein Konzept der Gründe
(Argumente) einschließlich eines Verständnisses davon voraus, warum und wofür wir
einander Gründe schuldig sind, und wie wir uns bei praktischen Fragen mit Gründen an
Gründen orientieren können und sollen. Zweitens setzt sie die Möglichkeit gemeinsamer Einsichten in Maßstäbe unseres Naturumgangs voraus. Für überzeugte Naturschützerinnen sind die Gründe, die zugunsten des Umwelt- und Naturschutzes sprechen,
bereits mehr oder minder feste Überzeugungen und daher auch Motivationsquellen; es
steht aber außer Frage, dass nicht alle Personen diese Überzeugungen und Motive teilen,
sodass ein »Wir« hier nichts Gegebenes, sondern etwas Aufgegebenes ist. Naturschützer
mögen ihre Schutzbestrebungen und -ziele für etwas halten, was sich »eigentlich« von selbst
versteht; die Umweltethik fragt, ob Naturschutz eines bestimmten Ausmaßes aufgrund
guter Gründe selbstverständlich werden sollte.
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Grundzüge der Umweltethik
Übergänge von naturschützerischen Emotionen und Intuitionen zu ethischen Argumenten erfolgen auf Wegen der Versprachlichung. Dieser mühselige Weg ist auch der einzige ethische Weg, vom Ich zu einem Wir oberhalb einzelner Kulturen und Generationen
zu gelangen. Dass in Bezug auf Maßstäbe des Naturumgangs eine kulturübergreifende
Orientierung ethisch sinnvoll ist, kann angesichts der Vielzahl der realen Naturzustände,
der Umgangsweisen mit natürlichen Ressourcen und der kulturellen und religiösen Naturverständnisse nicht einfach vorausgesetzt werden. Viel näher liegt ja die Auffassung, dass es
kulturübergreifende Prinzipien allenfalls im zwischenmenschlichen Bereich (etwa »Menschenrechte«), nicht aber in Bezug auf den Naturumgang geben kann, der auf immer kulturgeprägt und -abhängig bleiben müsse und sogar bleiben solle, da andernfalls sogar die
Gefahr bestünde, dass westliche Naturschützer ihre Vorstellungen (etwa von »wilderness«)
anderen Kulturen aufnötigten. »Wilderness«, so sagen es Mitglieder der First Nations, sei
eine Erfindung der weißen Kolonisatoren, durch die sie selbst zu »Wilden« gemacht worden
seien. Andererseits zwingen die Entwicklungen in einer globalisierten Welt dazu, Fragen
des Naturumgangs universalistisch beziehungsweise »menschheitlich« zu thematisieren.
Die Umweltethik steht daher konzeptionell in der Spannung, eine transkulturelle Ausrichtung ohne den vielfach kritisierten Hegemonieanspruch westlicher Wertvorstellungen zu
erreichen.
Drittens setzt die Ausgangsfrage ein Konzept der Natur voraus, das nicht nur die von
Menschen unberührte Natur (»Wildnis«) betrifft, sondern auch die graduell von Menschen
überformte Natur einschließen kann. Ein solches graduelles Naturkonzept ist, erkenntnistheoretisch betrachtet, elementar realistisch. Es setzt voraus, dass es »gibt«, worüber
gesprochen wird. Dieses Naturkonzept darf den naturwissenschaftlichen Erkenntnissen
nicht widersprechen, muss aber darüber hinaus offen sein für kulturelle Naturdeutungen.
Die Umweltethik geht davon aus, dass die »objektiven« Wahrheiten der Naturwissenschaften nicht alles enthalten, was sich vernünftigerweise über Natur sagen lässt. Grob gesagt,
beschäftigen sich die Naturwissenschaften mit der Natur »an sich«, das heißt mit einer
verobjektivierten Natur, die sich für jeden neutralen Beobachter in ihren realen Eigenschaften und Kausalstrukturen gleich zeigt, wohingegen sich die Umweltethik mit der Natur
»für uns« befasst, das heißt mit all den Hinsichten, in denen Natur uns als bedeutsam, wertvoll und verpflichtend erscheint. Während die moderne Naturwissenschaft eine Tendenz
hat, sich für sehr kleine und große zeitliche und räumliche Skalen zu interessieren (Mikround Makrokosmos), bewegt sich die Umweltethik eher im Mesokosmos der Erfahrungswelt. Die umweltethisch wesentlichen Erfahrungen finden nicht am Mikro- oder Teleskop,
sondern in der Lebenswelt statt, sodass eine Nähe der Umweltethik zu den Naturwissenschaften besteht, die ebenfalls auf mesokosmischen Skalen forschen. Dies sind vornehmlich die organismische Biologie und die Landschaftsökologie. Im Unterschied zu den
Naturwissenschaften interessiert sich die Umweltethik nur für Natur, sofern diese im
Grundzüge der Umweltethik
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Bereich menschlicher Handlungsvollzüge liegt, also derzeit allenfalls bis zum Mond. Die
Naturethik ist »planetarisch« dimensioniert.
Unterschiedliche Begründungen für Umwelt- und Naturschutzethik
Die Umweltethik fragt, wie gesagt, nach vernünftigen Begründungen für Umwelt-, Tierund Naturschutz. Terminologisch wird »Naturschutz« als Oberbegriff verwendet, der den
Umweltschutz (Wasser, Böden, Luft, Abfall, Lärm u. ä.), den Tierschutz und den Naturschutz im engeren Sinne (Artenschutz, Habitatschutz, Wildnisschutz u. ä.) umfasst. In erster
und grober Annäherung lässt sich die Grundfrage nach dem Sinn von Naturschutz im
weiten Sinn so beantworten, dass Menschen die Natur schützen sollen, erstens sofern sie
(und ihre Nachkommen) auf deren Nutzung (als Ressource, Speicher und Medium) angewiesen sind und (wahrscheinlich) sein werden, und zweitens, sofern bestimmte Naturzustände ihnen (allen, den meisten vielen, einigen mit hoher Intensität usw.) Freude, Behagen, Beruhigung, Vergnügen, das heißt Naturgenuss bereitet. Ressourcennutzung und
Naturgenuss können unter einem weiten Begriff des Nutzens oder auch des menschlichen
Wohlergehens zusammengefasst werden. Eine dritte Antwort auf die Frage nach Begründungen geht von der Intuition aus, dass Naturschutz nicht nur aufgrund des Nutzens für
Menschen, sondern um der Natur respektive um bestimmter Naturwesen willen moralisch
geboten, das heißt allen Personen unabhängig von ihren kulturellen Werten und individuellen Vorlieben als eine einsehbare Pflicht beziehungsweise als komplexer Pflichtenkatalog auferlegt sein könnte. Diese Intuition bezieht sich auf die Kategorie des moralischen
Selbstwertes (auch: moralischer Eigenwert), sofern diese auf Naturwesen bezogen wird.
Entsprechende Argumente werden als physiozentrisch bezeichnet (von »physis« = altgr.
Natur); Argumente, die die beiden ersten Antworten auf die Ausgangsfrage thematisieren,
werden hingegen als anthropozentrisch bezeichnet. Konzeptionen von Umweltethik befassen sich daher mit Natur als Ressource, mit Natur als Quelle des Genusses und mit Natur
als einem Ensemble von Wesen, denen moralischer Selbstwert zukommen könnte. Je nach
umweltethischer Konzeption variieren Bedeutung und Status der einzelnen Begründungselemente zueinander. So werden in physiozentrischen Konzeptionen anthropozentrische
Begründungen randständig und tendenziell entbehrlich, da der Naturschutz direkt mithilfe der Kategorie des moralischen Selbstwertes begründet werden kann. Dies enthebt die
Physiozentrik über Fragen der Art, welchen Naturschutz das naturästhetische Erleben nach
sich ziehen sollte.
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Grundzüge der Umweltethik
Die Fundierung der Umweltethik im Spannungsfeld der normativen
Konzepte »Natur« und »Interesse«
Die Umweltethik kann entweder in der Natur selbst, in normativ gehaltvollen Konzepten wie etwa dem des Interesses oder im menschlichen Sprachgebrauch fundiert werden.
Aus einer als wertfrei vorgestellten physikalischen Natur können Werte und Normen
nicht logisch abgeleitet werden, denn aus einer beliebigen Menge empirisch-deskriptiver Aussagen lässt sich nicht ableiten, was getan werden soll. Dies wäre ein sogenannter
naturalistischer Fehlschluss. Zwar kann man den Fehler des naturalistischen Fehlschlusses
vermeiden, indem man Natur anders konzipiert. Schreibt man der Natur vom Menschen
unabhängige, das heißt absolute Werthaftigkeit zu oder fasst man sie als Gottes gute Schöpfung, als Große Mutter oder als Weltseele auf, von der alle Wesen ein Teil sind, so begeht
man keinen logischen Fehler, wenn man aus solchen Prämissen Präskriptionen für Handlungen oder für angemessene Grundeinstellungen der Natur gegenüber ableitet. Die Fundierung der Umweltethik in der Natur kann also nur gelingen, wenn ein ethisch gehaltvoller Naturbegriff vorausgesetzt wird. Entsprechende Naturphilosophien sind keineswegs
antiwissenschaftlich, aber immer derart voraussetzungsvoll, dass sie leicht unter Metaphysikverdacht gestellt werden könnten. Wenn man solcherlei Naturphilosophie (als
spekulativ, metaphysisch usw.) zurückweist, bleibt die Möglichkeit, die Umweltethik so zu
konzipieren, dass es gut und richtig wäre, wenn durch menschlichen Naturumgang möglichst viele menschliche Interessen befriedigt und möglichst wenig Interessen verletzt
würden. Für menschliche Interessen gilt jedoch: Interessen sind nicht einfach vorhanden, und nicht alle Interessen verdienen moralische Anerkennung. Viele Interessen mögen
auf aufgeklärtem Egoismus beruhen, aber auch in Situationen, in denen man Mitleid verspürt oder sich solidarisch erklärt, nimmt man ein Interesse. Dieser weite Interessenbegriff
ist für die Umweltethik sachgerecht, da viele Menschen daran interessiert sind, dass es in
dieser Welt weiterhin Wale, Tiger, Korallenriffe usw. gibt. Ökonomen sprechen hinsichtlich
solcher Interessen von Existenzwerten. Eigene oder fremde Interessen müssen als solche
geltend gemacht werden. Nur in sprachlich verfasster Form werden die Intensität, Anerkennungswürdigkeit und ethische Bedeutung von Interessen (Bedürfnisse, Präferenzen,
Wünsche) deutlich.
Zudem unterscheidet man mit Blick auf Naturwesen zwischen einem starken und
einem schwachen Interessenbegriff. Ein starkes Interesse meint, dass ein Wesen selbst Interesse an etwas hat. Ein schwaches Interesse meint, dass etwas im Interesse eines Wesens
ist. Ein Hirsch hat Interesse an frischem Wasser, Wasser ist im Interesse einer Pflanze. Ob
das Vorliegen schwacher Interessen hinreicht, ihre Träger moralisch direkt zu berücksichtigen, ist eine diffizile umweltethische Frage. Unabhängig davon, welche Antwort man
gibt, ist der Fall schwacher Interessen ein Beleg dafür, dass Interessen auch in Bezug auf
Naturwesen nicht nur empirisch registriert, sondern in ihrer moralischen Signifikanz »für
Grundzüge der Umweltethik
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uns« diskursiv anerkannt werden müssen. Sollten wir Menschen moralische Vorwürfe
machen, wenn sie ihre Zimmerpflanzen nicht gießen, wenn wir ziemlich sicher sind, dass es
falsch ist, einen Hund im Käfig verdursten zu lassen?
Aufgrund des bisher Gesagten ist es vorteilhaft, die Umweltethik weder in der Natur
noch im umstrittenen Konzept des Interesses, sondern vielmehr in der Argumentationspraxis zu verankern. Dies erscheint vielen Naturschützern eigenartig, denn dadurch wird
der Naturschutz abhängig von etwas, das üblicherweise als Gegensatz zur Natur gedacht
wird: nämlich dem argumentativen Gebrauch der menschlichen Sprache. Gleichwohl sollten Naturschützer den Umweltethikern, die diesen Weg einschlagen, einmal versuchsweise
folgen. Der Naturschutz ist in dieser Perspektive eine kulturelle Praxis, die in diskursiver
Verständigung über Mensch-Natur-Verhältnisse gründet.
Umweltethik – eine Bereichsethik auf Basis der Diskurstheorie
praktischer Vernunft
Die Umweltethik wird üblicherweise als eine von mehreren Bereichsethiken verstanden,
die mit Blick auf Gegenwartsprobleme praktische Orientierung vermitteln wollen (Medizinethik, Wirtschaftsethik, Medienethik, Technikethik usw.). Bereichsethiken werden oft
unter dem Titel einer angewandten Ethik (Applied Ethics) zusammengefasst.1 Bereichsethiken sind an konkurrierende allgemeine Ethiktheorien gebunden und beziehen sich auf
bestimmte Bereiche menschlicher Praxis, die sich in kollektiver geschichtlicher Erfahrung
als wertbestimmt und regulierungsbedürftig erwiesen haben (Medizin, Erziehung, Wirtschaft, Politik, Wissenschaft, Landnutzung). Die Einheit der Bereichsethiken liegt in der
Metapraxis der Argumentation (Ott 1997). Als übergreifendes Vernunftkonzept bietet sich
daher eine Theorie des kommunikativen Handelns an, die zu einer Diskurstheorie praktischer Vernunft (Diskursethik) spezifiziert werden kann (Habermas 1981). Die Metapraxis
der Argumentation erlaubt es, die ethischen Probleme, die sich innerhalb von Praxisfeldern
stellen, in ihrem Eigensinn unverkürzt zu erörtern. Dabei muss man technische, ökonomische, rechtliche, axiologische, existenzielle und moralische Aspekte unterscheiden können.
Im Innern der jeweiligen Bereichsethiken bildet sich im Verlauf der Zeit eine komplexe »Textur« (ein Gewebe) von Argumentationsmustern heraus, die sich unter anderem
auf Werte, Normen, Regelwerke (Institutionen) und auf kasuistische Problemlösungen
beziehen. Nur im Medium einer kritischen Beurteilung all dessen, was in bestimmten
Bereichen argumentativ geltend gemacht wird, kann man sich das Universe of Discourse der
1 Dieser Titel wäre missverstanden, würde man einen schematisch-technischen Sinn des Anwendens
zugrunde legen. Es gibt keine allgemein anerkannte Ethiktheorie, deren Maßstäbe (Werte, Nomen, Klugheitsregeln, Kriterien) nur logisch korrekt und empirisch plausibel auf die Themen der Bereichsethiken
angewendet werden müssten.
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