T. Pyhel, A. Bittner, A.-K. Klauer, V. Bischoff (Hrsg.) Umweltethik für Kinder Impulse für die Nachhaltigkeitsbildung DBU-Umweltkommunikation / Band 9 Selbstverpflichtung zum nachhaltigen Publizieren Nicht nur publizistisch, sondern auch als Unternehmen setzt sich der oekom verlag konsequent für Nachhaltigkeit ein. Bei Ausstattung und Produktion der Publikationen orientieren wir uns an höchsten ökologischen Kriterien. Dieses Buch wurde auf 100 % Recyclingpapier, zertifiziert mit dem FSC®-Siegel und dem Blauen Engel (RAL-UZ 14), gedruckt. Auch für den Karton des Umschlags wurde ein Papier aus 100 % Recyclingmaterial, das FSC® ausgezeichnet ist, gewählt. Alle durch diese Publikation verursachten CO2-Emissionen werden durch Investitionen in ein Gold-Standard-Projekt kompensiert. Die Mehrkosten hierfür trägt der Verlag. Mehr Informationen finden Sie unter: http://www.oekom.de/allgemeine-verlagsinformationen/nachhaltiger-verlag.html Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet unter http://dnb.d-nb.de abrufbar. © 2017 oekom Gesellschaft für ökologische Kommunikation mbH, Waltherstraße 29, 80337 München Umschlagentwurf: Elisabeth Fürnstein, oekom verlag Umschlagabbildung: © Christin Lola - Fotolia.com Bildmaterial im Innenteil: alle Fotos Sächsische Landesstiftung Natur und Umwelt (LaNU) außer S. 155 und 168 unten: Amöba – Verein für Umweltbildung e. V. (Amöba); Zeichnungen und Aquarelle: Claudia Weiand, auf folgenden Seiten ergänzt durch Zeichnungen und Aquarelle von Anna-Katharina Klauer: S. 155, 164, 171, 172 Tiere, 189 unten, 191 Mitte und 196. Textgestaltung: Helga Kuhn, DBU Zentrum für Umweltkommunikation Druck: Bosch-Druck GmbH, Ergolding Alle Rechte vorbehalten ISBN 978-3-86581-818-8 E-ISBN 978-3-96006-144-1 Herausgegeben von: Thomas Pyhel, Alexander Bittner, Anna-Katharina Klauer, Vera Bischoff Umweltethik für Kinder Impulse für die Nachhaltigkeitsbildung Inhaltsverzeichnis EINFÜHRUNG »Und wo bleibt die Moral?« Ethische Aspekte einer Nachhaltigkeitsbildung Thomas Pyhel und Alexander Bittner 7 WISSENSCHAFTSTHEORETISCHE BETRACHTUNG Grundzüge der Umweltethik Konrad Ott 15 Natur schützen, nutzen und gerecht teilen Umweltethik im Lichte nachhaltiger Entwicklung Uta Eser 33 »Es gibt nichts Gutes, außer man tut es«. Zur Bedeutung von Ethik in der Umweltkommunikation Markus Vogt 45 Das »ökologische Interesse« als Basis der Umweltethik? Thomas Petersen 59 Nachhaltige Entwicklung: Leitbild für eine ethische und politische Grundbildung? Bernd Overwien 69 »Ist Tugend lehrbar?« Zwischen Werteerziehung und kritischer Urteilsbildung Ulrich Gebhard und Kerstin Michalik 79 Das Prinzip »Achtsamkeit« in der religionspädagogischen Umweltbildung Matthias Albani 93 PRAKTISCHER TEIL Warum? – Darum! Umweltethik mit Kindern im Vor- und Grundschulalter Anna-Katharina Klauer Ansatz und Ziel Umweltbildung für nachhaltige Entwicklung Philosophieren mit Kindern Rückblick und Ausblick 103 103 104 113 131 6 Inhaltsverzeichnis Umweltethik, Material zur praktischen Umsetzung mit Kindern im Vor- und Grundschulalter Anna-Katharina Klauer 133 Thema 1, Energie: Energie – aber wie? 135 Thema 2, Konsum: Essen mit Spaß – aber was? 157 Thema 3, Artenvielfalt: Mein Recht – echt? 167 Thema 4, Abfall und Boden: Müll und Dreck – einfach weg? 177 HERAUSGEBER- UND AUTORENVERZEICHNIS 199 Zugunsten der Lesefreundlichkeit wurde auf eine durchgehend geschlechtsneutrale Schreibweise verzichtet. Die verwendete männliche Form schließt bei Entsprechung die weibliche Form selbstverständlich ein. Thomas Pyhel und Alexander Bittner »Und wo bleibt die Moral?« Ethische Aspekte einer Nachhaltigkeitsbildung Aufgrund der Tatsache, dass nachhaltige Entwicklung in erster Linie ein anthropozentrisches normatives Konzept ist, sind umweltethische Fragestellungen und Nachhaltigkeitsbildung in diesem Handlungsfeld untrennbar miteinander verbunden. Es ergibt sich aus diesem Sachverhalt eine Verpflichtung, dass sich Nachhaltigkeitsbildung ethischen Fragestellungen ebenso gleichrangig zuwenden muss, wie sie sich naturwissenschaftlichen und ökonomischen Aspekten widmet. Hier werden neue methodische Zugänge bedeutsam, die unter anderem auch Aspekte der ethischen und politischen Grundbildung berücksichtigen, da die Bewertung von Nachhaltigkeitsfragen aber auch die Mitwirkung und Beteiligung bei der Bearbeitung solcher Fragen wesentlich für eine nachhaltige Transformation gesellschaftlicher Handlungsfelder sind. Der Beitrag stellt die Notwendigkeit einer grundsätzlichen inter- und transdisziplinären Weiterentwicklung von Bildungsansätzen heraus, die insbesondere jungen Menschen eine Teilhabe an der Gestaltung einer zukunftsfähigen, nachhaltigen Gesellschaft ermöglichen, und ordnet die Einzelbeiträge des Herausgeberbandes in diesen Kontext ein. Ethik ist en vogue. Kaum ein gesellschaftlicher Bereich kommt heute noch ohne eine ethische Reflektion, ohne eine Einordnung von Aufgaben, Zielen und Handeln in moralische Maßstäbe aus. Je komplexer unsere Welt wird, umso größer erscheint das Bedürfnis nach Orientierung, nach Sicherheit und Verlässlichkeit für unser aktuelles und zukünftiges Handeln. Eine der Kernfragen ethischer Reflexion lautet daher: Wie beziehungsweise nach welchen Prinzipien wollen wir leben? Bei der Suche nach einer Antwort stoßen wir schnell auf ein bekanntes Problem. Theorie und Wirklichkeit klaffen nicht selten weit auseinander. Auch das durchdachteste Konzept oder die im breitesten Konsens erarbeiteten »moralischen Leitplanken« sind kein Garant tatsächlichen adäquaten Handelns. Das Beispiel des Leitbilds der Nachhaltigkeit, das Markus Vogt in seinem Beitrag zum vorliegenden Band heranzieht, verdeutlicht dies eindrücklich: Trotz einer breiten Zustimmung des Konzeptes in politischen, wirtschaftlichen und privatgesellschaftlichen Bereichen ist nicht zwingendermaßen ein verbessertes ökologisches Handeln auszumachen. Vergleichbare Phänomene sind uns aus der Verhaltensforschung bekannt (vgl. u. a. Diekmann/Preisendörfer 2001; Kruse 2002 und 2013; Abrahamse et al. 2005; Bamberg/Möser 2007). 8 »Und wo bleibt die Moral?« Ethische Aspekte einer Nachhaltigkeitsbildung Gleichwohl spielen ethische Leitbilder eine wichtige Rolle für unser Tun und drücken unsere Grundhaltung, unsere Einstellungen und Wertehaltungen aus. Sie sind ein Angebot »guter Gründe«, sich so oder so zu verhalten, diese oder jene Perspektive einzunehmen, und sie repräsentieren das »moralische Wissen« einer gesellschaftlichen Gruppe, einer Institution oder eines Unternehmens. Als Reflexionsfläche für das individuelle und gesellschaftliche Handeln übernehmen ethische Leitbilder insbesondere in komplexen, unüberschaubaren Situationen und Zusammenhängen eine wichtige Funktion bei der Einordnung und Bewertung verschiedener Handlungsoptionen. Gerade bei aktuellen Umweltthemen wie dem Klimaschutz, der sicheren Energieversorgung oder dem nachhaltigen Ressourcenmanagement geht es im Kern immer auch um ethische Positionen (etwa zur Verteilung materieller Güter, zur Gerechtigkeit zwischen den Generationen, bei der Suche nach geeigneten Maßstäben bei der Abwägung zwischen Ansprüchen intra- und intergenerationeller Gerechtigkeit, beim Verständnis von Natur und Nachhaltigkeit etc.), die sich in einem ethischen Leitbild widerspiegeln und die eine entsprechende Orientierung geben können. Und dennoch: Ethische Orientierungen reichen allein nicht als Motivator für unser tatsächliches Handeln aus. Sie weisen vielmehr in eine Richtung, in die wir aber zunächst lernen müssen zu gehen. Bedeutsamer als das Leitbild selbst erscheint dabei der Weg dorthin, der einen gut vorbereiteten demokratischen Diskurs, die Aneignung und den Austausch von Fachwissen, Vorstellungen, Wünschen, Ängsten und Hoffnungen, die Klärung von Handlungsalternativen, die Festlegung von Zielvereinbarungen und vieles mehr umfassen muss. Hier kommt der Nachhaltigkeitsbildung eine besondere Aufgabe und Verantwortung zu. Nachhaltigkeitsbildung kann und sollte den Rahmen für einen entsprechenden Diskurs über ethische Fragen und Aspekte bilden. Sie kann nicht nur beispielhaft aufzeigen, mit welchen ethischen Implikationen zu rechnen und wie diesen zu begegnen ist, sondern sie kann und sollte auch motivieren, erste Schritte auf dem gewählten »Pfad der Vernunft« zu gehen. Nachhaltigkeitsbildung wird damit zu einem Erfahrungsfeld, das uns sicherer im Umgang mit schwierigen, komplexen Fragen zu Gerechtigkeit, Solidarität und Verantwortung für zukünftige Generationen macht. Die formalen Voraussetzungen, sprich die Prinzipien guter Nachhaltigkeitsbildung, die darauf ausgerichtet sind, Menschen durch die Vermittlung von Kompetenzen zu befähigen, Zukunft nachhaltig zu gestalten, bilden hierfür eine hervorragende Plattform. Nachhaltige Entwicklung ist nicht auf eine kurzfristig geltende Verantwortlichkeit ausgerichtet, sondern ist ein Querschnittsthema, das alle gesellschaftlichen und individuellen Lebensbereiche betrifft, wie etwa den globalen Wandel von Ökosystemen und deren Belastungsfähigkeit, den Zugang zu und Umgang mit Rohstoffen, Wachstumskriterien der Wirtschaft, Produkte, Dienstleistungen, Konsum, aber auch Gerechtigkeitskonzepte und Lebensstile (vgl. Gruber-Mannigel/Pyhel/Wiener 2010: 20). Dabei kommt es darauf an, Problembereiche wie zum Beispiel Armut in Entwicklungsländern, gerechte Handelsbeziehungen, sozial-, umwelt- und gesundheitsverträgliche Produktions- und Konsummuster, Bevölkerungsentwicklung und Generationengerechtigkeit, »Und wo bleibt die Moral?« Ethische Aspekte einer Nachhaltigkeitsbildung 9 den Zugang zu neuen energieeffizienten Technologien oder neue Formen der Partizipation auch ethisch in den Blick zu nehmen. Nachhaltigkeitsbildung kann und sollte aber nicht nur den theoretischen Diskurs zu einer ethischen Orientierung vorantreiben, sondern möglichst auch konkrete Handlungsangebote unterbreiten. Das sozialwissenschaftliche Konstrukt der Lebensstile kann zumindest in einem Teilbereich hierzu einen Beitrag leisten, da sich in Lebensstilen Ressourcen, Verhaltensweisen und Wertorientierungen zu erkennbaren und gegebenenfalls zu verändernden Mustern der Lebensführung verbinden. Lebensstile stellen somit Typen von Lebensmustern dar, »die sich heute insbesondere durch die Art der Konsumorientierung unterscheiden« (Michelsen 2007: 35). Dabei bedarf es auf der konkreten Handlungsebene einer Reflexion und Bewertung, um zwischen besseren und weniger guten Alternativen entscheiden zu können. Die Nachhaltigkeitsbewertung von Prozessen, Produkten und Dienstleistungen, die einen maßgeblichen Einfluss auf die Ausgestaltung des gewählten Lebensstils vermuten lässt, stellt damit eine große Herausforderung dar. Diese besteht darin, auf Basis von Indikatoren Entscheidungshilfen für die Bewertung von Nachhaltigkeit zu entwickeln, zu kommunizieren und anzuwenden. Die Vermittlung von entsprechenden Kompetenzen und systemischen Zusammenhängen sowie die Förderung von Bewusstsein und Handeln im Rahmen einer Bildung für Nachhaltigkeit sind die Voraussetzung für die Gestaltung einer zukunftsfähigen Gesellschaft. Dabei sind auch Fragen zu leitenden Werten und ethischen Grundhaltungen zu berücksichtigen. Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE) hat zum Ziel, »allen Menschen Bildungschancen zu eröffnen, die es ermöglichen, sich Wissen und Werte anzueignen sowie Verhaltensweisen und Lebensstile zu erlernen, die für eine lebenswerte Zukunft und eine positive gesellschaftliche Veränderung erforderlich sind« (Nationalkomitee der UN-Dekade »Bildung für nachhaltige Entwicklung« 2011: 7). Gerade Kinder und Jugendliche stellen hierbei eine wichtige Zielgruppe entsprechender Bildungsprogramme und -maßnahmen dar. Die »Stärkung kindlicher Autonomie und sozialer Mitverantwortung«, wie es etwa der Bildungsplan Hessen fordert, kann und soll dazu beitragen, »dem Kind zu helfen, sich selbst zu organisieren, ein Bild über seine Stärken und Schwächen zu gewinnen und dadurch ein gesundes Selbstwertgefühl zu entwickeln« (Hessisches Ministerium für Soziales und Integration & Hessisches Kultusministerium 2015: 25). Damit verbunden ist die Stärkung des kompetenten Umgangs mit Veränderungen und Belastungen, die Mobilisierung eigener Kräfte und die Nutzung sozialer Ressourcen, die dem Kind eine erfolgreiche Bewältigung ermöglichen (ebd.: 26). Frühkindliche Bildungsprozesse sollten dabei den Erwerb von Kompetenzen zur Entwicklung, kritischen Reflexion und Verstetigung von Werten und Normen umfassen. »Die Einigung auf Normen ist ein wesentlicher Bestandteil funktionierender Gesellschaften. Bestehende Normen tragen aber auch zu einer nicht nachhaltigen Entwicklung bei. Daher muss die Reflexion dieser Normen in dem Moment einsetzen, in dem Kinder beginnen sich an dem Verstehen und der Durchsetzung der Normen zu 10 »Und wo bleibt die Moral?« Ethische Aspekte einer Nachhaltigkeitsbildung beteiligen und einen Sinn für die Sozialität des menschlichen Daseins zu entwickeln« (Kosler/Benoist 2013: 152). Warum-Fragen von Kindern können dann »Ausgangspunkt für eine Transformation gesellschaftlicher Normen sein« (ebd.: 152). Eine Annäherung an diese komplexe Herausforderung kann über den Zugang des philosophischen Gespräches erfolgen. »Philosophieren ist die Kunst, im richtigen Moment die richtige Frage zu stellen«, schreibt Eva Zoller-Morf in ihrem Buch »Die kleinen Philosophen: Vom Umgang mit ›schwierigen‹ Kinderfragen« (1995). Kinder stellen Fragen, sie wollen die Welt begreifen und die Zusammenhänge erkennen. Sie wollen wissen, warum der Himmel blau ist, ob Pflanzen Schmerzen empfinden, ob wir ohne Strom leben können, ob der Mensch wichtiger ist als die Tiere oder ob es Dinge gibt, auf die der eine verzichten kann und der andere nicht. Die Fragen nach dem Warum und Woher sind entscheidend für die Entwicklung des eigenen und kollektiven Bewusstseins, für die Einordnung individuellen und gemeinschaftlichen Handelns und damit für die Entwicklung neuer kreativer Ideen und Lösungskonzepte. Philosophische Gespräche und ein gemeinsames, spielerisches Tun können helfen, Klarheit und eine »Orientierung im Denken« (Martens 2007) zu finden. Die Zahl entsprechender Publikationen und Initiativen, die sich mit der Methode des Philosophierens mit Kindern befassen, ist in den letzten Jahren auffällig gestiegen (vgl. u. a. Brüning 2001; Martens 2007; Rude et al. 2007; Akademie Kinder philosophieren 2008; Zoller-Morf 2010; Calvert/Hausberg 2011). Aber auch wenn das Philosophieren mit Kindern im Trend liegt, werden umweltphilosophische und umweltethische Fragen nur selten thematisiert. Daher gibt es nur wenig geeignetes Lehr- und Lernmaterial. Umgekehrt hat die Umweltpädagogik bisher nur wenig auf die Methoden des Philosophierens zurückgegriffen, sondern ist oft bei der reinen Vermittlung von Sachverhalten stehen geblieben. Dabei bietet sich der Umweltbereich geradezu für philosophische und ethische Reflektionen mit Kindern an. »Wenn sich Kinder Themen der Nachhaltigkeit aus philosophischer Perspektive nähern, dann setzen sie sich bewusst und aktiv mit einzelnen Teilaspekten der Nachhaltigkeit auseinander: Begriffe werden durchleuchtet, nach Sinn und Bedeutung gefragt, Bezüge zu anderen Bereichen hergestellt und Antworten und Lösungen gesucht. Philosophieren ist ein Prozess des Reflektierens und Bewusstmachens, dessen Ausgangspunkt die eigene Lebens- und Erfahrungswelt ist« (Akademie Kinder philosophieren 2012: 23). In dem von der Deutschen Bundesstiftung (DBU) geförderten Projekt »Warum? – Darum! Umweltethik für Kinder. Entwicklung und Erprobung philosophischer Methoden zur Umweltbildung mit Kindern«, das den praktischen Kern der vorliegenden Publikation bildet, wurden für die Zielgruppe der Kindergarten- und Grundschulkinder die klassischen Methoden der Umwelt- und Nachhaltigkeitsbildung mit Methoden des Philosophierens verknüpft. Die Kinder wurden und werden angeregt, über aktuelle Umweltprobleme und über die Möglichkeiten jedes Einzelnen, Verantwortung zu übernehmen, nachzudenken. Im Vordergrund stand die Entwicklung geeigneter pädagogischer Konzepte und Materialien zu Themen wie Nachhaltigkeit, Verantwortung oder Rechte von Menschen. Diese »Und wo bleibt die Moral?« Ethische Aspekte einer Nachhaltigkeitsbildung 11 Materialien wurden in Partnerschulen und Kindergärten erprobt, optimiert und anschließend publiziert. Ergänzend wurden Aktionstage, Projektwochen und regelmäßige Arbeitsgruppengespräche durchgeführt sowie eine kleine Wanderausstellung zu dem Thema mit den beteiligten Kindern, Erzieherinnen sowie Grundschullehrerinnen und Grundschullehrern umgesetzt. Die Projektergebnisse, die am Ende dieser Publikation in dem Beitrag »Warum? – Darum! Umweltethik mit Kindern im Vor- und Grundschulalter« von Anna-Katharina Klauer zusammengefasst werden und auch Material zur praktischen Umsetzung umfassen, zeigen, dass auch Vorschul- und Grundschulkinder schon in der Lage sind, differenziert über Sachverhalte und ethische Fragen wie zum Beispiel über die Notwendigkeit zum Teilen oder den Wert eines Lebewesens nachzudenken. Darüber hinaus zeigt sich, dass bei Erzieherinnen und Erziehern sowie bei Lehrerinnen und Lehrern ein großes Interesse an der Einführung von philosophischen Methoden in die Umwelt- und Nachhaltigkeitsbildung besteht. Hierzu soll dieses Buch neue Impulse geben. Die konkrete Projektbeschreibung ist eingebettet in wissenschaftstheoretischen Überlegungen, die das Thema aus verschiedenen Perspektiven beleuchten. So werden in dem Beitrag von Konrad Ott zunächst die »Grundzüge der Umweltethik« und damit einige der zentralen Topoi dieser Disziplin rekonstruiert und die Rolle der Umweltethik im Gefüge der Philosophie und der Umweltwissenschaften verortet. Uta Eser stellt in ihrem Beitrag »Natur schützen, nutzen und gerecht teilen – Umweltethik im Lichte nachhaltiger Entwicklung« bewusst nicht die Frage nach dem moralischen Selbstwert der Natur, die lange Zeit als Schlüsselfrage der Umweltethik galt. Ihr erweiterter Fokus verlangt neben Fragen instrumenteller Klugheit und ökologischer Gerechtigkeit (und damit Fragen sozialer und globaler Gerechtigkeit) insbesondere auch die Frage nach dem Guten Leben, die in den Blick der Umweltethik gelangen muss. Dass (Umwelt-)Ethik durch die stets neu zu suchende Balance zwischen den drei Grundfunktionen der Ethik, nämlich kritisieren, motivieren und integrieren, zur Entwicklung und Übernahme von Verantwortung befähigt, verdeutlicht der Aufsatz von Markus Vogt. Unter dem Titel »Es gibt nichts Gutes, außer man tut es. Zur Bedeutung von Ethik in der Umweltkommunikation« beschreibt er nicht nur die Grenzen rationaler Ethik, sondern betont insbesondere das Prinzip der Verantwortung als Schlüsselbegriff der Umweltkommunikation. Eine ethische Umweltkommunikation wird dann als erfolgreich gesehen, wenn sie im Sinne eines Kulturwandels die mentalen Vorstellungsmuster von einem gelingenden und sinnvollen Leben um ökologische Dimensionen erweitert. Der Beitrag von Thomas Petersen geht der Frage nach, ob »Das ›ökologische Interesse‹ als Basis der Umweltethik?« zu verstehen ist, und wenn ja, an welche Voraussetzungen dieses Interesse gebunden ist und wie man es bestimmen kann. Ein Ergebnis seiner Analyse ist: Wenn wir das ökologische Interesse qualifizieren wollen, müssen wir die Frage 12 »Und wo bleibt die Moral?« Ethische Aspekte einer Nachhaltigkeitsbildung beantworten, warum Menschen überhaupt existieren sollen oder anders gefragt: was den Menschen einer solchen Erhaltung würdig macht. Bernd Overwien beleuchtet in seinem Beitrag »Nachhaltige Entwicklung: Leitbild für eine ethische und politische Grundbildung?« die Rolle der politischen Bildung bei der Sensibilisierung auch für ethische Fragen. Auch wenn Nachhaltigkeitsfragen in der politischen Bildung (noch) kein »Mainstream-Thema« sind, eröffnet der Beitrag einen wertvollen Blick in die Bildungspraxis und verdeutlicht die Möglichkeiten und Chancen einer Verknüpfung globalen Lernens mit Aufgaben und Zielen der politischen Bildung. Natur- und Umweltbildung ist oft mit dem Vorwurf der Indoktrinierung und Überwältigung konfrontiert. In ihrem Aufsatz »Ist Tugend lehrbar? Zwischen Werteerziehung und kritischer Urteilsbildung« zeigen Ulrich Gebhard und Kerstin Michalik unter anderem auf, dass Rahmenbedingungen geschaffen werden können, unter denen Moral- und Werteentwicklung als Ausdruck des autonomen Subjekts möglich sind. Neben der Frage, wie ethisch relevantes Handeln entsteht, gehen die Autoren dabei auf den Ansatz der Alltagsphantasien ein, bei dem es um das Verhältnis von rationalen Argumenten einerseits und irrationalen, intuitiven, erlebnisbezogenen Elementen des Naturbezugs andererseits geht und die Fähigkeit, zwischen rationalen und intuitiven, symbolischen Vorstellungen hin- und herzupendeln, erfordert. Das Philosophieren mit Kindern und Jugendlichen wird als Chance gesehen, verantwortungsvolles Handeln gegenüber Mensch und Natur anzubahnen. »Das Prinzip ›Achtsamkeit‹ in der religionspädagogischen Umweltbildung« ist Gegenstand des Beitrages von Matthias Albani. Der vorliegende Aufsatz skizziert dabei die Grundlinien eines noch in der Entwicklung befindlichen umweltethischen Konzeptes, das in Zusammenhang mit dem genannten DBU-Projekt »Warum? – Darum! Umweltethik für Kinder« erfolgt. Aus religionspädagogischer Sicht geht es darum, das Thema Schöpfungsbewahrung beziehungsweise Umweltethik/Umweltpädagogik noch stärker in der Religionspädagogik zu verankern, wobei im Zentrum der spirituelle Gedanke der Achtsamkeit steht. Im Gegensatz zu kognitiven und pragmatischen Lernansätzen kann das spirituelle Achtsamkeitsprinzip aus Sicht des Verfassers auch die emotionalen Tiefen der menschlichen Existenz erreichen und vermag daher wirksamer und nachhaltiger zu einem umweltethischen Verhalten zu motivieren. Die vorliegende Publikation soll Anregungen für eine weitere Diskussion und Erprobung umweltethischer Ansätze in der Nachhaltigkeitsbildung junger Menschen geben. Sie soll die vielfältigen Perspektiven auf und die möglichen Herangehensweisen an das Thema aufzeigen und erste Impulse für eine praktische Umsetzung im Bereich der schulischen und außerschulischen Umweltbildungsarbeit setzen. »Und wo bleibt die Moral?« Ethische Aspekte einer Nachhaltigkeitsbildung 13 Literatur Abrahamse, W./Steg, L./Vlek, C./Rothengatter, T. (2005): A review of intervention studies aimed at household energy conservation. In: Journal of Environmental Psychology, 25, S. 273–291. Akademie Kinder philosophieren (Hrsg.) (2008): Ich bin ich. Oder? Akademie Kinder philosophieren (Hrsg.) (2012): Wie wollen wir leben? Kinder philosophieren über Nachhaltigkeit. oekom verlag, München. Bamberg, S./Möser, G. (2007): Twenty years after Hines, Hungerford, and Tomera: A new meta-analysis of psycho-social determinants of proenvironmental behavior. In: Journal of Environmental Psychology, 27, S. 14–25. Brüning, B. (2001): Philosophieren in der Grundschule. Grundlagen, Methoden, Anregungen. Cornelsen Lernhilfen 2001. Calvert, K./Hausberg, A. (2011): PhiNa Handbuch: Philosophieren mit Kindern über die Natur. Schneider 2011. Diekmann, A./Preisendörfer, P. (2001): Umweltsoziologie. Eine Einführung. Rheinbeck bei Hamburg. Rowohlt. Gruber-Mannigel,J./Pyhel, T./Wiener, K. (2010): »… uuund Action!« Medienorientierte Umweltkommunikation für Kinder und Jugendliche. oekom verlag. München. Hessisches Sozialministerium/Hessisches Kultusministerium (2015): Bildung von Anfang an. Bildungs- und Erziehungsplan für Kinder von 0 bis 10 Jahren in Hessen. URL: http://www.bep.hesse.de (Download vom 26.10.2016). Kosler, T./Benoist, B. (2013): Bildung für eine nachhaltige Entwicklung im Elementarbereich. In: Pütz, N./ Schweer, M. K. W./Logemann, N. (Hrsg.) (2013): Bildung für nachhaltige Entwicklung. Aktuelle theoretische Konzepte und Beispiele praktischer Umsetzung. Psychologie und Gesellschaft, 11, S. 143–158. Kruse, L. (2002): Umweltverhalten – Handeln wider besseres Wissen? In: Hempel, G./Schulz-Baldes, M. (Hrsg.) (2002): Nachhaltigkeit und globaler Wandel. S. 175–192. Kruse, L. (2013): Vom Handeln zum Wissen – ein Perspektivwechsel für eine Bildung für nachhaltige Entwicklung. In: Pütz, N./Schweer, M. K. W./Logemann, N. (Hrsg.) (2013): Bildung für nachhaltige Entwicklung. Aktuelle theoretische Konzepte und Beispiele praktischer Umsetzung. Psychologie und Gesellschaft, 11, S. 31–57. Martens, E. (2007): Philosophieren mit Kindern. Eine Einführung in die Philosophie. Reclam 2007. Michelsen, G. (2007): Nachhaltigkeitskommunikation: Verständnis – Entwicklung – Perspektiven. In: Michelsen, G./Godemann, J. (Hrsg.) (2007): Handbuch Nachhaltigkeitskommunikation. Grundlagen und Praxis. S. 25–41. Nationalkomitee der UN-Dekade »Bildung für eine nachhaltige Entwicklung« (Hrsg.) (2011): UN-Dekade »Bildung für nachhaltige Entwicklung« 2005–2014. Nationaler Aktionsplan für Deutschland 2011. http://www.bne-portal.de/coremedia/generator/unesco/de/Downloads/Dekade_Publikationen_national/ Der_20Nationale_20Aktionsplan_202011.pdf (Download vom 23.11.2011). Rude, C./Simbeck, S./Witt-Kruse, E./Zeitler, K. (2007): Praxisleitfaden Kinder philosophieren für Kindertageseinrichtungen und Schulen. Kind sein – Sinn erfahren – Werte lernen. Zoller-Morf, E. (1995): Die kleinen Philosophen. Vom Umgang mit ›schwierigen‹ Kinderfragen. Freiburg 1995. Konrad Ott Grundzüge der Umweltethik Die Umweltethik ist ein Bereich der praktischen Philosophie, der an der diskursrationalen Begründung von Maßstäben und Grundsätzen für einen moralisch verantwortbaren Umgang mit außermenschlichen Wesen interessiert ist. Der folgende Beitrag rekonstruiert einige der zentralen Topoi dieser noch recht jungen Disziplin und versucht, die Rolle der Umweltethik im Gefüge der Philosophie und der Umweltwissenschaften zu verorten. Dabei sollen einige der begrifflichen, zeitdiagnostischen und normativen Voraussetzungen und die mit ihnen verknüpften Probleme benannt werden. Gründe und Maßstäbe für Werte und Normen in der Umwelt- und Naturschutzethik Die Umweltethik (synonym: environmental ethics, Naturethik) ist eine Teildisziplin der praktischen Philosophie. Sie fragt zum einen nach den Gründen und den aus ihnen gewonnenen Maßstäben (Werte und Normen), die unser individuelles und kollektives Handeln im Umgang mit der außermenschlichen Natur bestimmen sollten. Zum anderen fragt sie danach, wie diese Maßstäbe praktisch umgesetzt werden könnten. Die Umweltethik hat also eine theoretische und eine praktische Dimension. Die Frage nach Gründen setzt einiges voraus. Erstens setzt sie ein Konzept der Gründe (Argumente) einschließlich eines Verständnisses davon voraus, warum und wofür wir einander Gründe schuldig sind, und wie wir uns bei praktischen Fragen mit Gründen an Gründen orientieren können und sollen. Zweitens setzt sie die Möglichkeit gemeinsamer Einsichten in Maßstäbe unseres Naturumgangs voraus. Für überzeugte Naturschützerinnen sind die Gründe, die zugunsten des Umwelt- und Naturschutzes sprechen, bereits mehr oder minder feste Überzeugungen und daher auch Motivationsquellen; es steht aber außer Frage, dass nicht alle Personen diese Überzeugungen und Motive teilen, sodass ein »Wir« hier nichts Gegebenes, sondern etwas Aufgegebenes ist. Naturschützer mögen ihre Schutzbestrebungen und -ziele für etwas halten, was sich »eigentlich« von selbst versteht; die Umweltethik fragt, ob Naturschutz eines bestimmten Ausmaßes aufgrund guter Gründe selbstverständlich werden sollte. 16 Grundzüge der Umweltethik Übergänge von naturschützerischen Emotionen und Intuitionen zu ethischen Argumenten erfolgen auf Wegen der Versprachlichung. Dieser mühselige Weg ist auch der einzige ethische Weg, vom Ich zu einem Wir oberhalb einzelner Kulturen und Generationen zu gelangen. Dass in Bezug auf Maßstäbe des Naturumgangs eine kulturübergreifende Orientierung ethisch sinnvoll ist, kann angesichts der Vielzahl der realen Naturzustände, der Umgangsweisen mit natürlichen Ressourcen und der kulturellen und religiösen Naturverständnisse nicht einfach vorausgesetzt werden. Viel näher liegt ja die Auffassung, dass es kulturübergreifende Prinzipien allenfalls im zwischenmenschlichen Bereich (etwa »Menschenrechte«), nicht aber in Bezug auf den Naturumgang geben kann, der auf immer kulturgeprägt und -abhängig bleiben müsse und sogar bleiben solle, da andernfalls sogar die Gefahr bestünde, dass westliche Naturschützer ihre Vorstellungen (etwa von »wilderness«) anderen Kulturen aufnötigten. »Wilderness«, so sagen es Mitglieder der First Nations, sei eine Erfindung der weißen Kolonisatoren, durch die sie selbst zu »Wilden« gemacht worden seien. Andererseits zwingen die Entwicklungen in einer globalisierten Welt dazu, Fragen des Naturumgangs universalistisch beziehungsweise »menschheitlich« zu thematisieren. Die Umweltethik steht daher konzeptionell in der Spannung, eine transkulturelle Ausrichtung ohne den vielfach kritisierten Hegemonieanspruch westlicher Wertvorstellungen zu erreichen. Drittens setzt die Ausgangsfrage ein Konzept der Natur voraus, das nicht nur die von Menschen unberührte Natur (»Wildnis«) betrifft, sondern auch die graduell von Menschen überformte Natur einschließen kann. Ein solches graduelles Naturkonzept ist, erkenntnistheoretisch betrachtet, elementar realistisch. Es setzt voraus, dass es »gibt«, worüber gesprochen wird. Dieses Naturkonzept darf den naturwissenschaftlichen Erkenntnissen nicht widersprechen, muss aber darüber hinaus offen sein für kulturelle Naturdeutungen. Die Umweltethik geht davon aus, dass die »objektiven« Wahrheiten der Naturwissenschaften nicht alles enthalten, was sich vernünftigerweise über Natur sagen lässt. Grob gesagt, beschäftigen sich die Naturwissenschaften mit der Natur »an sich«, das heißt mit einer verobjektivierten Natur, die sich für jeden neutralen Beobachter in ihren realen Eigenschaften und Kausalstrukturen gleich zeigt, wohingegen sich die Umweltethik mit der Natur »für uns« befasst, das heißt mit all den Hinsichten, in denen Natur uns als bedeutsam, wertvoll und verpflichtend erscheint. Während die moderne Naturwissenschaft eine Tendenz hat, sich für sehr kleine und große zeitliche und räumliche Skalen zu interessieren (Mikround Makrokosmos), bewegt sich die Umweltethik eher im Mesokosmos der Erfahrungswelt. Die umweltethisch wesentlichen Erfahrungen finden nicht am Mikro- oder Teleskop, sondern in der Lebenswelt statt, sodass eine Nähe der Umweltethik zu den Naturwissenschaften besteht, die ebenfalls auf mesokosmischen Skalen forschen. Dies sind vornehmlich die organismische Biologie und die Landschaftsökologie. Im Unterschied zu den Naturwissenschaften interessiert sich die Umweltethik nur für Natur, sofern diese im Grundzüge der Umweltethik 17 Bereich menschlicher Handlungsvollzüge liegt, also derzeit allenfalls bis zum Mond. Die Naturethik ist »planetarisch« dimensioniert. Unterschiedliche Begründungen für Umwelt- und Naturschutzethik Die Umweltethik fragt, wie gesagt, nach vernünftigen Begründungen für Umwelt-, Tierund Naturschutz. Terminologisch wird »Naturschutz« als Oberbegriff verwendet, der den Umweltschutz (Wasser, Böden, Luft, Abfall, Lärm u. ä.), den Tierschutz und den Naturschutz im engeren Sinne (Artenschutz, Habitatschutz, Wildnisschutz u. ä.) umfasst. In erster und grober Annäherung lässt sich die Grundfrage nach dem Sinn von Naturschutz im weiten Sinn so beantworten, dass Menschen die Natur schützen sollen, erstens sofern sie (und ihre Nachkommen) auf deren Nutzung (als Ressource, Speicher und Medium) angewiesen sind und (wahrscheinlich) sein werden, und zweitens, sofern bestimmte Naturzustände ihnen (allen, den meisten vielen, einigen mit hoher Intensität usw.) Freude, Behagen, Beruhigung, Vergnügen, das heißt Naturgenuss bereitet. Ressourcennutzung und Naturgenuss können unter einem weiten Begriff des Nutzens oder auch des menschlichen Wohlergehens zusammengefasst werden. Eine dritte Antwort auf die Frage nach Begründungen geht von der Intuition aus, dass Naturschutz nicht nur aufgrund des Nutzens für Menschen, sondern um der Natur respektive um bestimmter Naturwesen willen moralisch geboten, das heißt allen Personen unabhängig von ihren kulturellen Werten und individuellen Vorlieben als eine einsehbare Pflicht beziehungsweise als komplexer Pflichtenkatalog auferlegt sein könnte. Diese Intuition bezieht sich auf die Kategorie des moralischen Selbstwertes (auch: moralischer Eigenwert), sofern diese auf Naturwesen bezogen wird. Entsprechende Argumente werden als physiozentrisch bezeichnet (von »physis« = altgr. Natur); Argumente, die die beiden ersten Antworten auf die Ausgangsfrage thematisieren, werden hingegen als anthropozentrisch bezeichnet. Konzeptionen von Umweltethik befassen sich daher mit Natur als Ressource, mit Natur als Quelle des Genusses und mit Natur als einem Ensemble von Wesen, denen moralischer Selbstwert zukommen könnte. Je nach umweltethischer Konzeption variieren Bedeutung und Status der einzelnen Begründungselemente zueinander. So werden in physiozentrischen Konzeptionen anthropozentrische Begründungen randständig und tendenziell entbehrlich, da der Naturschutz direkt mithilfe der Kategorie des moralischen Selbstwertes begründet werden kann. Dies enthebt die Physiozentrik über Fragen der Art, welchen Naturschutz das naturästhetische Erleben nach sich ziehen sollte. 18 Grundzüge der Umweltethik Die Fundierung der Umweltethik im Spannungsfeld der normativen Konzepte »Natur« und »Interesse« Die Umweltethik kann entweder in der Natur selbst, in normativ gehaltvollen Konzepten wie etwa dem des Interesses oder im menschlichen Sprachgebrauch fundiert werden. Aus einer als wertfrei vorgestellten physikalischen Natur können Werte und Normen nicht logisch abgeleitet werden, denn aus einer beliebigen Menge empirisch-deskriptiver Aussagen lässt sich nicht ableiten, was getan werden soll. Dies wäre ein sogenannter naturalistischer Fehlschluss. Zwar kann man den Fehler des naturalistischen Fehlschlusses vermeiden, indem man Natur anders konzipiert. Schreibt man der Natur vom Menschen unabhängige, das heißt absolute Werthaftigkeit zu oder fasst man sie als Gottes gute Schöpfung, als Große Mutter oder als Weltseele auf, von der alle Wesen ein Teil sind, so begeht man keinen logischen Fehler, wenn man aus solchen Prämissen Präskriptionen für Handlungen oder für angemessene Grundeinstellungen der Natur gegenüber ableitet. Die Fundierung der Umweltethik in der Natur kann also nur gelingen, wenn ein ethisch gehaltvoller Naturbegriff vorausgesetzt wird. Entsprechende Naturphilosophien sind keineswegs antiwissenschaftlich, aber immer derart voraussetzungsvoll, dass sie leicht unter Metaphysikverdacht gestellt werden könnten. Wenn man solcherlei Naturphilosophie (als spekulativ, metaphysisch usw.) zurückweist, bleibt die Möglichkeit, die Umweltethik so zu konzipieren, dass es gut und richtig wäre, wenn durch menschlichen Naturumgang möglichst viele menschliche Interessen befriedigt und möglichst wenig Interessen verletzt würden. Für menschliche Interessen gilt jedoch: Interessen sind nicht einfach vorhanden, und nicht alle Interessen verdienen moralische Anerkennung. Viele Interessen mögen auf aufgeklärtem Egoismus beruhen, aber auch in Situationen, in denen man Mitleid verspürt oder sich solidarisch erklärt, nimmt man ein Interesse. Dieser weite Interessenbegriff ist für die Umweltethik sachgerecht, da viele Menschen daran interessiert sind, dass es in dieser Welt weiterhin Wale, Tiger, Korallenriffe usw. gibt. Ökonomen sprechen hinsichtlich solcher Interessen von Existenzwerten. Eigene oder fremde Interessen müssen als solche geltend gemacht werden. Nur in sprachlich verfasster Form werden die Intensität, Anerkennungswürdigkeit und ethische Bedeutung von Interessen (Bedürfnisse, Präferenzen, Wünsche) deutlich. Zudem unterscheidet man mit Blick auf Naturwesen zwischen einem starken und einem schwachen Interessenbegriff. Ein starkes Interesse meint, dass ein Wesen selbst Interesse an etwas hat. Ein schwaches Interesse meint, dass etwas im Interesse eines Wesens ist. Ein Hirsch hat Interesse an frischem Wasser, Wasser ist im Interesse einer Pflanze. Ob das Vorliegen schwacher Interessen hinreicht, ihre Träger moralisch direkt zu berücksichtigen, ist eine diffizile umweltethische Frage. Unabhängig davon, welche Antwort man gibt, ist der Fall schwacher Interessen ein Beleg dafür, dass Interessen auch in Bezug auf Naturwesen nicht nur empirisch registriert, sondern in ihrer moralischen Signifikanz »für Grundzüge der Umweltethik 19 uns« diskursiv anerkannt werden müssen. Sollten wir Menschen moralische Vorwürfe machen, wenn sie ihre Zimmerpflanzen nicht gießen, wenn wir ziemlich sicher sind, dass es falsch ist, einen Hund im Käfig verdursten zu lassen? Aufgrund des bisher Gesagten ist es vorteilhaft, die Umweltethik weder in der Natur noch im umstrittenen Konzept des Interesses, sondern vielmehr in der Argumentationspraxis zu verankern. Dies erscheint vielen Naturschützern eigenartig, denn dadurch wird der Naturschutz abhängig von etwas, das üblicherweise als Gegensatz zur Natur gedacht wird: nämlich dem argumentativen Gebrauch der menschlichen Sprache. Gleichwohl sollten Naturschützer den Umweltethikern, die diesen Weg einschlagen, einmal versuchsweise folgen. Der Naturschutz ist in dieser Perspektive eine kulturelle Praxis, die in diskursiver Verständigung über Mensch-Natur-Verhältnisse gründet. Umweltethik – eine Bereichsethik auf Basis der Diskurstheorie praktischer Vernunft Die Umweltethik wird üblicherweise als eine von mehreren Bereichsethiken verstanden, die mit Blick auf Gegenwartsprobleme praktische Orientierung vermitteln wollen (Medizinethik, Wirtschaftsethik, Medienethik, Technikethik usw.). Bereichsethiken werden oft unter dem Titel einer angewandten Ethik (Applied Ethics) zusammengefasst.1 Bereichsethiken sind an konkurrierende allgemeine Ethiktheorien gebunden und beziehen sich auf bestimmte Bereiche menschlicher Praxis, die sich in kollektiver geschichtlicher Erfahrung als wertbestimmt und regulierungsbedürftig erwiesen haben (Medizin, Erziehung, Wirtschaft, Politik, Wissenschaft, Landnutzung). Die Einheit der Bereichsethiken liegt in der Metapraxis der Argumentation (Ott 1997). Als übergreifendes Vernunftkonzept bietet sich daher eine Theorie des kommunikativen Handelns an, die zu einer Diskurstheorie praktischer Vernunft (Diskursethik) spezifiziert werden kann (Habermas 1981). Die Metapraxis der Argumentation erlaubt es, die ethischen Probleme, die sich innerhalb von Praxisfeldern stellen, in ihrem Eigensinn unverkürzt zu erörtern. Dabei muss man technische, ökonomische, rechtliche, axiologische, existenzielle und moralische Aspekte unterscheiden können. Im Innern der jeweiligen Bereichsethiken bildet sich im Verlauf der Zeit eine komplexe »Textur« (ein Gewebe) von Argumentationsmustern heraus, die sich unter anderem auf Werte, Normen, Regelwerke (Institutionen) und auf kasuistische Problemlösungen beziehen. Nur im Medium einer kritischen Beurteilung all dessen, was in bestimmten Bereichen argumentativ geltend gemacht wird, kann man sich das Universe of Discourse der 1 Dieser Titel wäre missverstanden, würde man einen schematisch-technischen Sinn des Anwendens zugrunde legen. Es gibt keine allgemein anerkannte Ethiktheorie, deren Maßstäbe (Werte, Nomen, Klugheitsregeln, Kriterien) nur logisch korrekt und empirisch plausibel auf die Themen der Bereichsethiken angewendet werden müssten.