Ethik Lernziel Wir wollen nicht zum Gut-Sein erziehen. Der Dozent spürt bei seinen Zuhörern nach dieser Stellungnahme oft eine gewisse Erleichterung, ist so doch die Befürchtung genommen, dass sie eine Art Religionsunterricht erleiden müssten. Wichtig ist, Verständnis für die Denkweise der anderen Wissenschaftsfraktion zu gewinnen. Der trennende Graben ist von H. Maier-Leibnitz, einem früheren Leiter der Deutschen Forschungsgemeinschaft, so formuliert worden: Ingenieure denken oft in Schwarz-Weiß-Kategorien: Für ihre Denkweise stehen die exakten Naturwissenschaften, die mit der Aufstellung von quantitativen Gesetzmäßigkeiten beginnen, auf die zum Teil die Sprache der Mathematik angewandt werden kann, und die mit so allgemeinen Behauptungen wie 'ein Satz kann falsch sein' enden. Die andere Denkweise beginnt mit der unendlichen Vielfalt unverstandener Erscheinungen, in mitten derer wir leben, und endet mit Lebensregeln und Maximen, in denen die Begriffe 'richtig' und 'falsch' höchstens eine untergeordnete Rolle spielen, solche wie 'Macht' und 'Glaube' jedoch von außerordentlicher Wichtigkeit sind. Besonders Studenten der Ingenieurwissenschaft verinnerlichen eine für das Bestehen von Klausuren durchaus sinnvolle Erfolgsstrategie: „Eine Aufgabe hat immer genau eine richtige Lösung. Alle anderen möglichen Lösungen sind falsch.“ Die Problemstellungen dieser Veranstaltung erzeugen deshalb bei ihnen zunächst Unsicherheit und Irritation, eine optimale Voraussetzung, um etwas Neues zu lernen. In der Veranstaltung sollen zunächst philosophische Grundkenntnisse zur Ethik vermittelt werden. Damit verbunden sind ethische Bewertungsregeln, die sich je nach philosophischer Schule grundlegend unterscheiden. Damit erfahren die Teilnehmer automatisch die Vielschichtigkeit moralischer Urteile in unserer Gesellschaften, wieder eine neue intellektuelle Erfahrung für den Ingenieur, der ansonsten von der Lösung technischer Fragestellungen an die Existenz verbindlicher und weitestgehend eindeutiger technischer Normen und Vorschriften gewöhnt ist. Inhalte der Vorlesung Aufbauend auf einem praxisorientiert aufgebauten Lehrbuch /[1]/ werden die folgenden Inhalte vermittelt: Was heißt Ethik und Moral? Ist Moral begründbar? Ethikkonzepte Moralische Prinzipien Moralische Werte Das gute Leben Das Prinzip Verantwortung Warum muss die Technik ein Gegenstand der Ethik sein? Technologiefolgen-Abschätzung Umweltethik Ethische Regeln und moralische Wertesysteme werden hierbei soweit möglich in ihren historischen Zusammenhang gestellt und es wird auch besonders auf die Wandlungen bzw. Erweiterungen ethischer Normen hingewiesen. So gilt zwar die Jahrtausende alte Goldene Regel auch heute noch: Behandle Deine Mitmenschen so, wie Du von ihnen behandelt werden willst. Aber die Umweltethik und das Prinzip der Nachhaltigkeit (Sustainability) sind nun einmal Kinder unserer heutigen Zeit. Damit wird die Tatsache und auch die Notwendigkeit der Wandelbarkeit ethischer Normen ins Bewusstsein geführt, eine wichtige Lernerfahrung in unserer heutigen sich sehr schnell wandelnden Welt. Beispiel – Aufgabe Zum Abschluss ein Fallbeispiel, das in der Veranstaltung von den Teilnehmern vorgestellt und mit möglichen Lösungswegen diskutiert wird/[2]/. Produktionsfehler: Freiwilliger Rückruf? Sie arbeiten bei der Zilch Materials Corporation als Testingenieur. Kürzlich hat die Firma ein neues Zweikomponenten-Gießharz «Megazilch» eingeführt. Es wurde, so glaubte man, von der Firma und einigen ausgewählten Kunden gut getestet. Alle Testresultate, welche vor der Produktionsaufnahme vorlagen, erfüllten die publizierten Spezifikationen. Das Material übertraf mit seinen Eigenschaften und den niedrig geschätzten Kosten alle andern im gleichen Anwendungsbereich. Mögliche oder schon eingeführte Anwendungsbereiche umfassen Kinderspielzeuge, Büroausstattungen, Innenausstattung von Flugzeugen und - als Gehäusematerial - viele elektronische Geräte. Das Marketing schätzte einen Ertragszuwachs von 25% im ersten Jahr nach Aufnahme der Serienproduktion. Die Produktion ist in vollem Gange und große Mengen werden ausgeliefert, als Sie mit Schrecken feststellen, dass unter gewissen Lagertemperaturen und anderen noch unbekannten Faktoren die Lagerfähigkeit stark beeinträchtigt wird. Insbesondere werden die Anforderungen an die Brandhemmung nicht mehr erfüllt, wenn es 60 Tage vor dem Mischen gelagert wurde, obwohl in den Publikationen 24 Monate angegeben wurden. Ebenso ist die Zugs- und Druckfestigkeit wesentlich reduziert. Beträchtliche Mengen wurden ausgeliefert, deren Vorgeschichte in Bezug auf Temperatur und Alter nicht mehr feststellbar ist. Ein Rückruf wurde für die Firma große finanzielle Verluste bedeuten und sie in Finanznöte bringen. Zu diesem Zeitpunkt ist es noch nicht klar, ob die Lagerfähigkeit verbessert werden kann. Nur Sie und ein Ihnen unterstellter Testfachmann haben Kenntnis des Problems. Nehmen Sie an, dass keine schnelle Abhilfe möglich und das Problem ernsthaft ist. Fragen zur Diskussion: 1. Wie würden Sie in dieser Situation handeln? 2. Nehmen Sie an, Sie hätten Ihre Sorge Ihrem direkten Vorgesetzten mitgeteilt, worauf dieser Ihnen sagt: «Keine Sorge, das ist keine große Sache. Wir können das später beheben. Überlassen Sie mir diese Angelegenheit.» 3. Nehmen Sie ferner an, dass seit Ihrem Gespräch mit Ihrem Vorgesetzten mehrere Wochen verstrichen sind, ohne dass etwas geschah. Was nun? 4. Im Falle (c) wurden Sie den Vorgesetzten daraufhin ansprechen. Dieser erklärt Ihnen: „Ich habe mit den leitenden Angestellten gesprochen und sie stimmen zu. Wir werden das Produkt weiterhin ausliefern und am Problem arbeiten. Dies haben wir bereits in die Wege geleitet.“ Unternehmen Sie etwas? Wenn ja, was? 5. Seither sind drei Monate vergangen und eine Stichprobe des versandfertigen Materials zeigt Ihnen, dass nichts unternommen wurde, um das Problem zu beheben. Wie reagieren Sie darauf? [1] Fridolin Stähli: „Ingenieurethik an Fachhochschulen“ (1998) [2] Beispiel aus: Fridolin Stähli: „Ingenieurethik an Fachhochschulen“ (1998)