Inhaltsangabe I Seite 1) Vorworte Ministepräsidentin Malu Dreyer 8 Redaktionsteam 10 Grußwort von der Stadtbibliotek Trier 11 2) Schwerpunkt-Thema: Psychisch bedingte Syndrome Syndrom 15 Das Jerusalem-Sydrom 16 Paris-Syndrom 19 Stendhal-Syndrom 22 Warum Macht Politiker und Manager verblendet 24 Amentielles Syndrom und Verstandeswesen im Gegenwartsgefüge 31 Wahnsinn wird normal 32 3) Offizielles aus dem Landesverband Psychiatrie-Erfahrener Rheinland-Pfalz e.V. Protokoll der Mitgliederversammlung des LVPE Rheinland-Pfalz am 29. September 2012 in der KIS, Bogenstr. 53, 56073 Koblenz 45 Abrechnung mit dem Landesamt für Soziales, Jugend und Versorgung 48 Tabellarische Haushaltsabrechnung 54 Kranzniederlegung mit Verspätung 55 4) Selbsthilfe Bedeutung von Recovery und Inklusion in der Gemeindepsychiatrie 59 Wandern, eine Alternative zur Pharmakologischen Therapie 63 Erster Trialogischer Workshop in Rheinland-Pfalz 66 Gesundheitsbezogene Selbsthilfe in Deutschland 67 Selbsthilfe ermöglichen bei Depressionserkrankung 69 Jeder ist seines Glückes Coach 70 Adieu, Sylvia, Dankeschön 71 Kreative Höhenflüge: Wie kann man die Absturzgefahr minimieren 72 Inhaltsangabe II Seite 5) Ex-In, News und Personalien Ex-In – Was ist das eigentlich? Psychiatrieerfahrene als Partner Gesprächsangebot für Patienten gestartet Rettungsanker für viele verzweifelte Menschen Krisendienst wird mobil: Fahrzeug für Hausbesuche übergeben Leserbrief – Rhein-Zeitung Neuer Landesbehindertenbeauftragter am 1. Januar 2013 Neufassung einer Rechtsgrundlage für ärztliche Zwangsmaßnahmen Leistung von Dr. Wolfgang Guth gewürdigt Neue Ärztliche Direktorin: PD Dr. Anke Brockhaus-Dumke Gedächtnisambulanz ist in Planung Wohnraum für psychisch Behinderte Projekt in Brauheck „Leuchtturm“ die ganze Region Experiment gescheitert Beschlussvorlage für die Sitzung des Landesbeirates zur Teilhabe behinderte Menschen am 27. September 2012 76 77 78 79 80 81 82 83 85 86 87 88 89 90 91 Menschen mit Behinderung – Dreyer: Budget für Arbeit bietet Chancen für Arbeitnehmer und Arbeitgeber 92 Bundessozialgericht stellt Wahlrecht für Betroffene im Persönlichen Budget klar 93 6) Aus Medien und der Wissenschaft Professor Dr. Klaus Lieb ist „Hochschullehrer des Jahres“ 96 Schaden Antipsychotika dem Fötus? 98 Oft mehr Schein als Innovation 99 Burnout und seine Therapie 101 ADHS, Burnout, Depression – Forscher warnen vor Millionen Scheinpatienten 103 Modediagnose ADHS 105 Therapiehund 107 Meditation verbessert Gehirnnerven 109 Erfolgsspuren im Hirn 110 TK – Gesundheitsreport 2012 112 Inhaltsangabe III Seite Macht die Klienten unzufrieden! Zu den Ergebnissen einer Befragung in einem Zuverdienstunternehmen 113 Psychiater bangen um Versorgung ihrer Patienten 115 Studenten leiden zunehmend an Burnout-Symptomen 117 Hirndoping ist kein Massenphänomen 118 Studenten schlucken häufiger Tabletten 119 7) Impressum 121 1) Vorworte Ministepräsidentin Malu Dreyer Seite 8 Redaktionsteam 10 Grußwort von der Stadtbibliotek Trier 11 Leuchtfeuer Ausgabe 16 8 Leuchtfeuer Ausgabe 16 Grußwort Liebe Leser und Leserinnen, mit der aktuellen Ausgabe des „Leuchtfeuers“ halten Sie wieder eine thematisch breit gefächerte Lektüre in den Händen. Dem Herausgeber – dem rheinländisch-pfälzischen Landesverband der Psychiatrie-Erfahrenen – bin ich seit meiner Zeit als Sozialministerin sehr verbunden. Das Land verdankt dem Engagement des Landesverbandes viel. Denn die sozialpsychiatrischen Fortschritte, die wir in Rheinland-Pfalz in den letzen zwei Jahrzehnten gemacht haben, wären ohne das Engagement der Psychiatrie-Erfahrenen nicht möglich gewesen. Die Beteiligung Psychiatrie-Erfahrener und die Beteiligung von Angehörigen psychisch kranker Menschen an psychiatriepolitischen Entscheidungen und Veränderungen ist für mich unerlässlich. Sie trägt auch dazu bei, dass Psychiatrie-Erfahrene und Angehörige noch stärker für ihre eigenen Interessen einstehen. Diese Beteiligung ist in Rheinland-Pfalz nicht nur gesetzlich in unserem PsychKG verankert, sondern wird auch tatsächlich gelebt. Der Landesverband gehört zu den engagiertesten Mitgliedern im Landespsychiatriebeirat, er hat die Verbreitung von Krisenpässen für Patienten initiiert und wichtige Projekte, wie zum Beispiel die Nutzerbefragung von Besucherinnen und Besuchern der Tagesstätten in Rheinland-Pfalz, angestoßen. Betroffene und ihre Angehörigen wissen am besten, wo die Versorgung weiter verbessert werden kann und sie sind oft die wichtigsten Ansprechpartner für andere Betroffene. Glücklicherweise setzt sich diese Erkenntnis der Psychiatrie-Erfahrenen als „Profis in eigener Sache“ immer stärker durch. Deshalb ist auch die in dieser „Leuchtfeuer“-Ausgabe vorgestellte „Ex-In-Ausbildung“ von Psychiatrie-Erfahrenen und ihre anschließende Tätigkeit als Genesungsbegleiter so bemerkens- und unterstützenswert. Erkrankungen an der Seele sind häufig chronisch und schränken die Betroffenen über einen langen Zeitraum im alltäglichen Leben ein. Eine solche chronische Krankheit zu haben und sich gleichzeitig für andere zu engagieren, halte ich für eine enorme Leistung. Dafür zolle ich Ihnen meinen größten Respekt und Dank. Malu Dreyer Ministerpräsidentin von Rheinland-Pfalz 9 Leuchtfeuer Ausgabe 16 Liebe Leserinnen und Leser des Journal „Leuchtfeuer“ Seit 1998 erscheint unser Journal „Leuchtfeuer“ und nun bereits im 16. Jahr in der 17. Auflage. Bevor wir auf die aktuelle Ausgabe kommen, möchten wir auf das ereignisreiche Jahr 2012 zurückblicken. Der Aktualität geschuldet haben wir eine „Sonderausgabe des Leuchtfeuers des Landesverbandes der Psychiatrie-Erfahrener Rheinland-Pfalz e.V.“ herausgebracht. In einer Auflage von 500 Exemplaren (normalerweise haben wir nur eine 250-er Auflage) haben wir vier Beiträge von Psychiatrie-Erfahrenen, zwei Beiträge von Mediziner, drei Beiträge von Juristen und die Stellungnahme von der Aktion Psychisch Kranke zu den Urteilen des Bundesverfassungsger ichtes zusammen getragen und auf 62 Seiten zusammen gefasst. Dieses Sonderheft ist an die Mitglieder, Fördermitglieder, Psychiatriekoordinatoren, Abteilungen der Erwachsenen-, Kinderund Jugendpsychiatrie sowie an Eingliederungsheime der Behindertenhilfe und an bundesweite Multiplikatoren verteilt worden. Resonanz kam vom Rechtsausschuss des Bundestages und von der Stadtbibliothek Trier, denen die Sonderausgabe auch zugespielt wurde. Die Stadtbibliothek Trier erbittet die Zusendung aller Hefte aus der Vergangenheit und der Zukunft als „Pflichtexemplare“. Aus diesem Grund informiert Frau Weck in ihrem Grußwort, wie und wo unsere Dokumentationen der Öffentlichkeit bereitgestellt werden. Unser zweites Standbein in der Öffentlichkeitsarbeit ist unsere Homepage www.lvpe-rlp.de. Diese Homepage hatte im letzten Jahr 108.000 Besucher mit 270.500 Seitenaufrufe – was in 10 Jahren fast eine Verzehnfachung der Besucher und Seitenaufrufe bedeutet. 59% wurden durch direkten Zugriff, 19 % durch Suchmaschinen und 22% über Domains erzielt. Wesentliche Seiten der Homepage sind die Krankheitsbilder, Beratungsstelle, Aufsätze und Vorträge, Wer ist Wer, Historie, Wissenswertes, Denkanstöße und das Leuchtfeuer. Passend zu unserem Sonderheft hatte auch die Seite „Leitlinien für der Umgang mit Zwangsmaßnahmen“ in den letzten vier Monaten des Jahres 2012 eine starke Nachfrage von 1000 Besuchern erfahren. Die neue Ministerpräsidentin Malu Dreyer hat selbstverständlich das politische Vorwort inne. Das Schwerpunktthema „Psychisch bedingte Syndrome“ basiert auf der Idee von Jörg Lenau, der auch einen Beitrag zum Amentiellen Syndrom schrieb. Wir hoffen mit der neuen Ausgabe Nr. 16 wieder einen Querschnitt der aktuellen Themen des Jahres 2012 abgebildet zu haben und wünschen Ihnen viel Spaß beim Lesen! Das Redaktionsteam 10 Leuchtfeuer Ausgabe 16 Grußwort Sehr geehrte Leserinnen und Leser der Zeitschrift „Leuchtfeuer“, das „Leuchtfeuer“ hat mit der Sonderausgabe 2012 unter der Signatur Zq 2120 Einzug gehalten in den Bestand der Wissenschaftlichen Stadtbibliothek Trier an der Weberbach. „Schuld“ daran ist der § 14 des Landesmediengesetzes von Rheinland-Pfalz. Dort heißt es sinngemäß, dass von jedem Druckwerk, das in Rheinland-Pfalz verlegt wird, ein Exemplar an die zuständige Bibliothek abzuliefern ist. Die Stadtbibliothek Trier sammelt die Veröffentlichungen aus dem Gebiet des ehemaligen Regierungsbezirks Trier. Durch diese Regelung soll gewährleistet werden, dass eine Publikation in mindestens einer regionalen Bibliothek archiviert und für interessierte Benutzer bereitgestellt wird. Wir als Bibliothek müssen uns nun darum kümmern, dass die Verleger Ihre Publikationen nicht nur einmalig abliefern, sondern uns in Zukunft mit allen Neuerscheinungen versorgen. Für den Landesverband Psychiatrie-Erfahrener Rheinland-Pfalz habe ich in dieser Hinsicht keine Bedenken, denn Herr Wagner war sehr angetan von der Vorstellung, dass die Schriften seines Verbandes in Zukunft über unsere Bibliothek einer breiten Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden können. Unter www.stadtbibliothek-weberbach.de können Sie auf unseren online-Katalog zugreifen und selbst nachschauen, welche für Sie interessanten Schriften wir im Bestand haben. Mit herzlichen Grüßen Dagmar Weck Stadtbibliothek Trier, Weberbach 25, 54290 Trier Trier, im Februar 2013 11 2) Schwerpunkt-Thema: Psychisch bedingte Syndrome Seite Syndrom 15 Das Jerusalem-Sydrom 16 Paris-Syndrom 19 Stendhal-Syndrom 22 Warum Macht Politiker und Manager verblendet 24 Amentielles Syndrom und Verstandeswesen im Gegenwartsgefüge 31 Wahnsinn wird normal 32 Leuchtfeuer Ausgabe 16 Syndrom Aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie Das Syndrom (griechisch σύνδρομος sýndromos ‚begleitend‘, ‚zusammentreffend‘; aus συν syn ‚zusammen‘, ‚mit‘ und δρόμος drómos ‚der Weg‘, ‚der Lauf‘) ist in der Medizin und Psychologie das gleichzeitige Vorliegen verschiedener Krankheitszeichen, sogenannter Symptome. Deren ursächlicher Zusammenhang, also die Ätiologie, ist mehr oder weniger bekannt oder kann zumindest vermutet werden, jedoch ist die Entstehung und Entwicklung der Krankheit, die Pathogenese, nicht bekannt.[1] Wenn sowohl Ätiologie als auch Pathogenese bekannt sind, handelt es sich um ein Krankheitsbild. Von Syndrom wird häufig dann gesprochen, wenn es sich um zumindest in gewisser Hinsicht einheitliche und in vergleichbaren Fällen ähnliche Krankheitszeichen handelt. Eine andere Bedeutung hat der Begriff Symptomenkomplex.[2] Gehäuftes Zusammentreffen von einheitlichen oder zumindest in gewisser Hinsicht vergleichbaren Symptomen lässt mit einiger Wahrscheinlichkeit auf einen ätiologischen Zusammenhang im Sinne der Korrelation schließen. Dies stellt bei der Diagnose einer Krankheit immer den ersten Schritt zu einer Nosologie (= Krankheitssystematik oder Krankheitslehre) und damit zu ihrem Verständnis und zu ihrer Behandlung dar. Beispiele: o o o o o o o o o Apallisches Syndrom Adrenogenitales Syndrom Alterssyndrome Down-Syndrom Funktionelle Syndrome Postthrombotisches Syndrom Vegetatives Syndrom AIDS, die Abkürzung für „Acquired Immune Deficiency Syndrome“, dt.: „Erworbenes Immunschwächesyndrom“ Kongenitales Schielsyndrom der Adipositas in den USA, Syndrom der Verschuldung privater Haushalte usw. o In der Kodierungstheorie, einem Teilgebiet der angewandten Mathematik, steht der Begriff Syndrom für die „Symptome der Fehler“ welche in einem Codewort im Rahmen einer digitalen Datenübertragung bzw. Datenspeicherung auftreten können. Der Begriff wird im Rahmen verschiedener Fehlerkorrekturverfahren verwendet. Ein Syndrom bei einem linearen Code ist definiert als eine Multiplikation eines empfangenen bzw. gelesenen, möglicherweise ungültigen Codewortes am Empfänger (Decoder) mit der Prüfmatrix (Kontrollmatrix) und ist als wesentliche Eigenschaft nur von dem möglicherweise aufgetretenen Fehler und nicht von dem gesendeten Codewort abhängig. Ist kein Fehler vorhanden, ist das Syndrom s daher immer gleich dem Nullvektor. Liegt ein Übertragungsfehler vor, gibt das Syndrom s als Vektor die fehlerhafte Datenstelle an, welche in Folge richtiggestellt werden kann. Siehe auch o o o Liste der Syndrome Syndromanalyse Komplex (Medizin) Einzelnachweise 1. Spranger J. Monatsschr Kinderheilkd. 1989 137:2 2. Roche Lexikon Medizin. Urban & Fischer, 5. Aufl. 2003, ISBN 3-437-15157-6, Fernladbares Stichwort / Stw.-Suche Bitte den Hinweis zu Gesundheitsthemen beachten! Kategorie: Nosologie Wenn drei Symptome typischerweise gemeinsam auftreten, sprechen Mediziner von einer Trias (zum Beispiel „Merseburger Trias“ beim Morbus Basedow), bei vier von einer Tetralogie (zum Beispiel Fallot-Tetralogie), bei fünf von einer Pentalogie. Weitere Begriffsverwendung o o Wikipedia® ist eine eingetragene Marke der Wikimedia Foundation Inc. In der Soziologie wird eine Gruppe von Merkmalen oder Faktoren, deren gemeinsames Auftreten einen bestimmten Zusammenhang oder Zustand anzeigt, ebenfalls als Syndrom bezeichnet. Beispiele: Syndrom o Diese Seite wurde zuletzt am 19. Januar 2013 um 05:27 Uhr geändert. Der Text ist unter der Lizenz „Creative Commons Attribution/Share Alike“ verfügbar; zusätzliche Bedingungen können anwendbar sein. Einzelheiten sind in den Nutzungsbedingungen beschrieben. 15 Leuchtfeuer Ausgabe 16 http://www.tagesspiegel.de/weltspiegel/gesundheit/heilige-krankheit-das-jerusalem-syndrom/5992492.html 26.12.2011 13:35 Uhr Heilige Krankheit Das Jerusalem-Syndrom Von Mounia Meiborg Christen, Muslime und Juden – sie alle finden in Jerusalem ihre Heiligtümer. Und manch einen Gläubigen macht das verrückt. Einblicke in eine sehr spezielle Krankheit. Blick auf Jerusalem. - Foto: AFP Der Messias trägt einen grünen Rock aus Cord. Tagsüber läuft er durch die Altstadt und predigt, nachts schläft er in Höhlen außerhalb der Stadtmauer. Er hat einen Plan für den Weltfrieden. Aber als er den auf dem Ölberg verkündet, wird er von arabischen Jugendlichen zusammengeschlagen. psychische Störung, die jedes Jahr einige Touristen befällt. So wie Herbert, den Mann im grünen Cord. Nicht alle von ihnen halten sich für eine Figur aus der Bibel, manche reden auch vom Jüngsten Gericht oder haben andere Wahnvorstellungen. Aber nicht nur Jesus wurde in der Altstadt von Jerusalem gesichtet, auch die Jungfrau Maria, König David und Moses kann man dort treffen. Uwe Gräbe hat in sechs Jahren nur einen Messias kennengelernt. Aber in seine Gemeinde, die Erlöserkirche im christlichen Teil der Altstadt, kommen oft Menschen, bei denen nicht klar ist, ob sie noch normale Pilger sind oder schon psychisch krank. „Die Mühseligen und die Beladenen“, nennt er sie. Wie die alleinerziehende Mutter, die mit ihren zwei Töchtern kam, weil sie überzeugt war, dass Gott in Jerusalem zu ihr sprechen würde. Monatelang zog sie durch die Kirchen, die Kinder verwahrlosten vor dem Fernseher. „Die Stadt ist ein Katalysator“, glaubt Gräbe. „Sie fördert das, was in den Menschen drinsteckt.“ Im Fall der Mutter war es das Unvermögen, mit einer Lebenskrise umzugehen. Es sind Fälle, die den Pfarrer beschäftigen. Und sie werden mehr, sagt Gräbe, die Messiasse dagegen weniger. So steht es jedenfalls in den Reiseführern. Jerusalem-Syndrom heißt die Die Suche nach harten Fällen führt von der Erlöser- zur Grabeskirche, Drei Jahre ist das jetzt her. Seitdem hat Uwe Gräbe, Propst der Deutschen Evangelischen Kirche in Jerusalem, den angeblichen Messias nicht mehr gesehen. Die Israelis haben dem Mann, der eigentlich Herbert heißt, ein Einreiseverbot in den Pass gestempelt. 16 nur eine Straßenecke entfernt. In der Kirche wurden schon einige biblische Figuren gesehen. Weihrauch hängt in der Luft, Tauben fliegen herum. Japanische Geschäftsmänner posieren vor der Grabstätte, Russinnen tragen kurze Röcke und Sonnenbrillen. Frauen mit Kopftüchern küssen die Stelle, an der Jesus’ toter Körper gelegen haben soll. Andachtsvoll legen sie Kerzen auf den kalten Stein. Eine Frau, die aus der Grabstätte herauskommt, schluchzt heftig. Ein erstes Anzeichen für religiösen Wahnsinn? Nein, würde das Urteil von Arzt Gregory Katz lauten. Er arbeitet da, wo das Jerusalem-Syndrom im Jahr 2000 zum ersten Mal beschrieben wurde: am Kfar- Shaul-Krankenhaus. Die Psychiatrie liegt im Vorort Givat Shaul, einem orthodoxen jüdischen Viertel, in dem Männer schwarze Hüte tragen und Frauen lange Röcke. Die Klinik besteht aus kleinen, verstreut liegenden Häusern. Es sind die Überreste eines arabischen Dorfes, das bis zum israelisch-palästinensischen Krieg 1948 hier stand. „So ist das im Krieg: Die einen gewinnen, die anderen verlieren“, sagt der Pförtner auf dem Weg zur Notaufnahme. Vielleicht passt es zu dieser Stadt, dass dort, wo Muslime einst von Juden vertrieben wurden, heute Christen behandelt werden. Vielleicht sind die Touristen mit Jerusalem-Syndrom gar nicht die Verrücktesten hier. Gregory Katz – schlank, Brille, kurze graue Haare – ist der Leiter der Notaufnahme. Zu ihm kommen dieje- Leuchtfeuer Ausgabe 16 nigen, die so auffällig sind, dass sie jemand einliefert. Die Polizei zum Beispiel. Denn der Versuch, in der Altstadt Muslime und Juden zu bekehren, endet manches Mal in einer Schlägerei. Die Krankheit tritt in zwei verschiedenen Varianten auf: Beim „reinen“ Jerusalem-Syndrom war der Betroffene vorher noch nicht psychisch krank. Erst nach der Ankunft in Jerusalem gerät er in einen manischen Zustand. Von diesem Typ bekommt Katz nur etwa einen Fall pro Jahr. Häufiger ist der zweite Typ, das „überlagerte“ Syndrom. Diese Patienten waren vorher schon krank, meist manisch-depressiv oder schizophren. Von denen gibt es 15 bis 30 pro Jahr. Der Drang, die heiligen Stätten in Jerusalem zu sehen, ist bei ihnen oft Teil der Krankheit. Insgesamt gibt es jedoch immer weniger Fälle. In den vergangenen zehn Jahren ist die Zahl der Patienten um 40 Prozent gesunken, sagt Gregor Katz. Der 50-jährige Psychiater redet langsam und stockend. Auf keinen Fall will er allzu einfache Erklärungen für das Phänomen abgeben. Er glaubt nicht daran, dass die Stadt eine bestimmte Atmosphäre habe, die die Menschen krank mache. „Es ist alles in unserer Psyche“, sagt er – und vergleicht Jerusalem mit Graceland, wo Elvis-Fans gelegentlich durchdrehen. „Für religiöse Christen ist Jerusalem ein Ort, an dem Himmel und Erde sich berühren. Da zu stehen, wo Jesus gekreuzigt und beerdigt wurde: Das ist eine einmalige Erfahrung, die sehr verwirrend sein kann.“ Katz’ Job ist es, jeden Patienten zu verstehen. Nachsichtig erzählt er von der Frau, die in ein Krankenhaus kam, um den Messias zur Welt zu bringen. Oder von dem Mann, der dem Küchenpersonal im Hotel befahl, das letzte Abendmahl zuzubereiten. Einige der Patienten fallen auf, wenn sie die Hotellaken als Gewand benutzen. Beliebt seien bei den Patienten die günstigen Unterkünfte in der Altstadt, sagt der Arzt, wie das Petra-Hostel. Manche robben auf ihren Knien durch die Grabeskirche Das Petra-Hostel liegt kurz hinter dem Jaffa-Tor, durch das die meisten Touristen in die Altstadt strömen. Händler versuchen, rosafarbene Schals aus Indien loszuwerden und begrüßen jede vorbeilaufende Frau gewissenhaft mit einem „I like you“. Aus dem Gedränge führt eine Stiege nach oben, wo Hostelmanager Hazim Saeed hinter einer Glasscheibe sitzt. „Nein“, sagt er bestimmt, er wisse von nichts. In seiner Herberge haben keine Verrückten gewohnt. Er sorgt sich wohl um den guten Ruf seines Hauses. Dann, im ruhigeren armenischen Viertel, kennt es doch einer: Adam Edilih. Seit zwei Jahren arbeitet der 30-Jährige an der Rezeption vom Citadel Hostel. Drei Leute hat er seitdem getroffen, von denen er glaubt, dass sie das Jerusalem-Syndrom hatten. An einen erinnert er sich besonders gut. „Das war ein netter Typ, gebildet, kein Dummschwätzer wie so viele andere.“ Er kam aus Finnland, Mitte 30, und wollte Urlaub machen mit Frau und Tochter. Er trug Shorts und Sportschuhe und war rasiert. Dann, plötzlich, ließ er sich einen Bart wachsen. Jeden Tag trug er dieselben Kleider, „Hippielook“, sagt Edilih verächtlich. Tagsüber ging er in Kirchen und zu Pfarrern, und wenn er abends ins Hostel kam, faselte er von Sünden und Pilger und Prediger in den Straßen der Heiligen Stadt. Foto: Reuters Also weiter durch die Gassen, vorbei an spanischen Pilgern, die ein mannsgroßes Holzkreuz schleppen, und griechisch-orthodoxen Mönchen in schwarzen Kutten. Die meisten Hotelbetreiber haben noch nie von dem Syndrom gehört: „Jerusalem what?“, fragt einer. Das Jerusalem-Syndrom hat belgische Rockbands zu ihrem Namen inspiriert, französische Filme, türkische Songs und amerikanische Bücher. Aber in der Altstadt will es keiner kennen? Umkehr. „Er war immer noch nett, aber man konnte sehen, dass etwas mit ihm nicht stimmte.“ Ein paar Monate später kam er zurück, allein. Die Frau hatte ihn verlassen. Bis heute kommt er drei- oder viermal im Jahr. Edilih weiß nur, was der Finne ihm erzählt: Dass er dazu bestimmt ist, in Jerusalem zu beten. Bei Doktor Katz ist der Finne bisher nicht gelandet. Denn er ist nie so auffällig geworden, dass man ihn einlie- 17 Leuchtfeuer Ausgabe 16 fern musste. Sein Profil passt aber zu dem anderer Betroffener. Die meisten stammen aus den USA oder aus Skandinavien. Fast alle sind sehr religiöse Christen, in der Regel Protestanten. 400 Christen hat Katz in zehn Jahren behandelt, aber nur zwei Muslime und vier Juden. Warum das so ist, darüber will Gregory Katz nicht spekulieren. „Wenn ein jüdischer Arzt über christliche Pilger spricht, kommt das nicht so gut an.“ Sicher ist, dass die Patienten im Durchschnitt 35 Jahre alt sind. Und dass es Frauen etwas öfter trifft als Männer. Diagnostiziert wurde das Syndrom 2000 vom israelischen Arzt Yair Bar-El. Aber Berichte darüber sind schon viel älter. Die Spuren zum Ursprung der Krankheit führen hinauf auf den SkopusBerg. Hier hat man eine gute Sicht auf die Altstadt, ein Meer weißer Dächer, aus dem golden die Kuppel des Felsendoms ragt. Hier oben liegt die Universität, und die Regale der Bibliothek sind voll mit Büchern zur Stadtgeschichte. In einem davon steht, dass in den 1930er Jahren ähnliche Symptome als „Fièvre jerusalemienne“, also als Jerusalem-Fieber, bezeichnet wurden. Auch aus dem 19. Jahrhundert sind Fälle überliefert. Und schon im Mittelalter beschrieben Pilger ihre besonderen Erlebnisse in der Stadt. Eine von ihnen war Margery Kempe. Im frühen 15. Jahrhundert pilgerte die Engländerin durch Europa und Asien. Die beschwerlichste Reise führte sie nach Jerusalem. Ihre Ergriffenheit beschreibt sie, wie immer in dritter Person von sich erzählend, so: „Und als sie zum Berg Golgatha kamen, fiel sie hin, weil sie nicht stehen oder knien konnte, und rollte und rang mit ihrem Körper, und spreizte ihre Arme ab, und schrie mit lauter Stimme, als ob ihr Herz auseinanderbräche. Denn in der Stadt ihrer Seele sah sie wahrlich und klar, wie Unser Herr gekreuzigt wurde.“ Zwar hielt sich Margery Kempe nicht 18 für eine Figur aus der Bibel. Aber ihre Anfälle und Visionen – öfters erschien ihr auch Jesus – wären typisch für das Syndrom. Ihre Beschreibungen erinnern an einen Fachartikel vom Arzt Yair Bar-El, in dem er die Symptome so schildert: Zu Beginn sind die Betroffenen aufgeregt und schotten sich ab. Später waschen sie sich obsessiv und ziehen weiße Gewänder an. Viele singen laut oder rufen Bibelverse. Oft werden sie in diesem Zustand schon eingeliefert. Falls nicht, prozessieren sie im letzten Stadium der Krankheit zu einer heiligen Stätte, um dort zu predigen. Zurück in der Altstadt. Wenn man nicht nur nach weißen Bettlaken Ausschau hält, fallen plötzlich einige seltsame Menschen auf: Auf der Via Dolorosa läuft einer ganz in Weiß, ein goldenes Stirnband um den Kopf, und hebt die Arme, als wolle er predigen. Ein Andenkenverkäufer kennt eine Frau, die auf Knien durch den Chorraum der Grabeskirche robbt und sich für Maria Magdalena hält. Ein Touristenführer erzählt, dass er bereits Verrückte an der Klagemauer gesehen habe, die dort Juden bekehren wollten. Der Weg dorthin führt einmal quer durch die Altstadt. Vorbei am arabischen Markt, wo blechern der Muezzin aus den Boxen ruft; vorbei an der Grabeskirche, in der sechs christliche Gemeinden darum streiten, wer welche Treppenstufe putzen darf, dessen Hausmeister deshalb ein Moslem ist, und wo immer ein Gedränge herrscht. Vielleicht ist einfach der Platzmangel das Problem. Vier Viertel gibt es auf einem knappen Quadratkilometer, ein christliches, jüdisches, muslimisches und armenisches. 1948 besetzten Jordanier die Altstadt und warfen die Juden hinaus. 1967 besetzten Israelis die Altstadt und warfen die Araber hinaus. Heute ist der Status ungeklärt. Das israelische Militär kontrolliert zwar die Altstadt, aber die internationale Gemeinschaft erkennt die Besat- zung nicht an. So kommt es, dass eine unscheinbare Holzbrücke zwischen Tempelberg und Klagemauer israelische, jordanische und ägyptische Politiker streiten lässt. Wer das normal findet, ist verrückt. Dunkelblau hängt der Himmel über der Klagemauer, Scheinwerfer erleuchten ihren hellen Stein. Vielleicht bietet die Stadt einfach eine gute Kulisse, um durchzudrehen – für Pilger wie für Einheimische. Es ist Freitagnachmittag, der Sabbat beginnt. Auf dem Vorplatz warten Hunderte Soldaten, die Maschinengewehre über der Schulter, um zusammen zu feiern. Orthodoxe Jungen tanzen Arm in Arm zum Gebet, Ultraorthodoxe eilen mit der Thora in der Hand an ihnen vorbei. Ein verschwitzter Jogger bahnt sich seinen Weg durch die Menge. Ein weißes Gewand trägt keiner. Die Suche nach dem Jerusalem-Syndrom, sie endet hier. Diese Stadt, das wird wieder einmal klar, ist mehrfach geteilt: Nicht nur zwischen Klagemauer und Tempelberg, jüdisch und arabisch, West- und Ostjerusalem. Sondern auch zwischen den säkularen Juden, die am Sabbat joggen gehen, und den Ultraorthodoxen, die Werbeplakate mit weiblichen Models am liebsten verbieten möchten. In dieses Chaos kommen die Touristen. Die allermeisten von ihnen werden nicht verrückt. Sie gucken Kirchen, Moscheen und Synagogen an und fahren wieder. Die allerwenigsten lernen Doktor Katz so kennen wie der Messias auf dem Ölberg. Und ein paar werden einfach seltsam. Wie der Mann, der stundenlang am Ausgang der Altstadt steht. Am JaffaTor wartet er mit langem Bart, stumm und unbeweglich, während die Touristenmassen an ihm vorbeiziehen. Die Schrift auf seinem T-Shirt ist auch im Dunkeln gut zu lesen. „Jesus is coming back.“ Leuchtfeuer Ausgabe 16 Paris-Syndrom Aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie Als Paris-Syndrom (französisch syndrome de Paris, japanisch Pari shōkōgun) wird eine vorübergehende psychische Störung bezeichnet, die meist Japaner beim Aufenthalt in Paris trifft. Es handelt sich um ein kulturgebundenes Syndrom, das ähnlicher Natur ist wie das Stendhal- und das Jerusalem-Syndrom, nicht jedoch um eine anerkannte Diagnose (nach ICD-10 oder DSM-IV). Als Auslöser des Paris-Syndroms gilt die starke Differenz zwischen der Erwartungshaltung der Touristen und der Realität der Stadt. Inhaltsverzeichnis 1 Geschichte 2 Häufigkeit 3 Symptome 4 Auslöser 5 Behandlung 6 Rezeption 6.1 Kritik 6.2 Kultur 7 Siehe auch 8 Literatur 9 Weblinks 10 Einzelnachweise Stendhal-Syndrom entstehen. Häufigkeit Die Zahl der Fälle pro Jahr ist nicht genau erfasst. In der Berichterstattung zum Syndrom liegen die Zahlen zwischen 12 und 100 Fällen pro Jahr.[1][2] Die japanische Botschaft in Paris spricht von 20[5] bis 24 „gravierende[n] Fälle[n]“ pro Jahr.[6] Im Artikel Les Japonais en voyage pathologique à Paris: un modèle original de prise en charge transculturelle, der 2004 im französischen Psychiatriemagazin Nervure erschien, nennen die Autoren, darunter auch Ota, eine Zahl von 63 Patienten zwischen 1988 und 2004.[7] Von diesen 63 Patienten waren 34 Frauen und 29 Männer im Alter zwischen 20 und 65 Jahren, wobei 50 % zwischen 20 und 30 Jahren alt waren. Der Eiffelturm, Wahrzeichen der Stadt Paris Geschichte Die Grundlage des Begriffs ParisSyndrom (Pari shōkōgun) lieferte der in Paris arbeitende japanische Psychiater Hiroaki Ota, der 1991 das Buch Pari shôkôgun veröffentlichte und schon 1986 die ersten Personen mit dem Syndrom diagnostizierte.[1][2][3] Youcef Mahmoudia, Arzt am HôtelDieu de Paris, kam zu dem Schluss, das Paris-Syndrom sei eine psychopathologische Manifestation, die eher mit der Reise als mit dem Reisenden verbunden sei.[4] Seiner Theorie nach bringt die Aufregung, die der Besuch in Paris auslöst, eine Erhöhung der Herzfrequenz mit sich, was zu Kurzatmigkeit und Schwindelgefühlen führt, wodurch Halluzinationen ähnlich dem Japanische Touristen in Paris 19 Leuchtfeuer Ausgabe 16 Laut Ota sind vor allem japanische Frauen in ihren Dreißigern betroffen.[6][2] Das Syndrom ist nicht auf Touristen beschränkt: In einem Artikel aus dem Jahr 2005 erwähnte Ota, dass 73 % der Patienten junge Frauen seien, die eine geringe Motivation besitzen, die Sprache Französisch zu lernen, jedoch durch die finanzielle Unterstützung ihrer Familie in Paris leben können.[8][9] Auch junge Frauen aus diesen familiären Verhältnissen, die mit „romantischen Vorstellungen“ etwa Kunstgeschichte in Paris studieren wollen, fallen in dieses Muster.[1] Zwischen 700.000[1] und einer Million[2] Japaner besuchen Paris pro Jahr und zwischen 20.000[10][11] und 25.000[12][13] Japaner leben in Paris, wobei in anderen Quellen jedoch auch 28.000 japanische Einwohner genannt werden.[14] 2004 waren 14.000 japanische Bewohner von Paris beim Konsulat gemeldet, wobei von „weiteren tausenden“ ausgegangen wurde, die nicht beim Konsulat gemeldet waren.[15] 1996 lebten 20.060 Japaner in Frankreich, 9.012 davon in Paris.[3] Symptome Das Paris-Syndrom ist durch einige psychische Symptome gekennzeichnet: akute Wahnzustände, Halluzinationen, Verfolgungswahn (Wahrnehmung, ein Opfer von Vorurteilen, Aggression oder Anfeindung durch andere zu sein), Derealisation, Depersonalisation, Angst sowie psychosomatische Manifestationen wie etwa Schwindel, Tachykardie oder Schwitzen.[16] Die Ausprägungen unterscheiden sich. So berichtete Yoshikatsu Aoyagi, Konsulatschef der japanischen Botschaft in Paris, im Oktober 2006 von zwei Frauen, die glaubten, ihr Hotelzimmer sei verwanzt und gegen sie sei eine Verschwörung gerichtet; einem 20 Mann, der der Überzeugung war, er sei Ludwig XIV., und einer Frau, die glaubte, sie werde mit Mikrowellen attackiert.[17] Auslöser Der Artikel Les Japonais en voyage pathologique à Paris: un modèle original de prise en charge transculturelle beschrieb die Kombination von vier Faktoren als Auslöser für das ParisSyndrom: o Sprachbarriere: Nur wenige Japaner sprechen Französisch und nur wenige Franzosen sprechen Japanisch. Dies scheint der Hauptgrund zu sein und die restlichen Faktoren zu bedingen. o Kulturelle Unterschiede: Es gibt nicht nur einen großen Unterschied zwischen den Sprachen, sondern auch in der Gestik und Mimik. Im Gegensatz zur höflichen Umgangsform der Japaner verhalten sich Franzosen oft unförmlicher, was von Japanern als unfreundlich aufgefasst wird. Die schnelle und häufige Änderung in Sprache und Verhaltensweise, besonders in Hinsicht des Humors, stellt dabei das größte Problem dar. Mario Renoux, der Präsident der französisch-japanischen Ärztegesellschaft, beschrieb in einem AP-Artikel die „aggressive Ungeduld und de[n] direkten Humor der Franzosen“ als einschüchternd.[15] o Das idealisierte Bild von Paris: Es besteht die Gefahr, dass Besucher unfähig sind, das populäre japanische Bild von Paris mit der Wirklichkeit in Einklang zu bringen. o Erschöpfung: Durch die Überbelegung der eigenen Zeit und Energie, sei es auf einer Geschäftsreise oder im Urlaub, kommt es zur psychischen Destabilisierung einiger Besucher. Beim Versuch, möglichst viel bei ihrem Aufenthalt in Paris zu erleben, übernehmen sie sich. Zusätzlich kommen noch die Auswirkungen des Jetlags hinzu. Renoux nannte in einem Artikel in der Tageszeitung Libération japanische Zeitschriften als hauptverantwortlich für die Entstehung des Syndroms. Renoux gibt an, dass in japanischen Medien (speziell jedoch in Magazinen) Paris als ein Ort beschrieben wird, in dem die meisten Menschen auf der Straße wie Models aussehen und die meisten Frauen Kleidung der Marke Louis Vuitton tragen.[18] In einem anderen Bericht wurde er hinsichtlich der japanischen Sicht auf Paris so zitiert: « Ils voient le Montparnasse des Années folles, Manet, Renoir, et des Parisiennes habillées comme des gravures de mode. » „[Die Japaner] sehen den Montparnasse der goldenen Zwanziger, Manet, Renoir und Pariser, die so angezogen sind, wie Modepuppen.“[19] Andere idealisierende Einflüsse könnten Filme wie Die fabelhafte Welt der Amélie sein, die Paris romantisch verklärt darstellen.[2] Die Besucherzahlen des Films in den Kinos in Japan lagen bei 1,3 Millionen Personen, wodurch Japan bei den Besucherzahlen auf Platz 6 weltweit lag.[20] Zudem leben einige japanische Fernseh- und Filmberühmtheiten in Paris.[14] Behandlung Bei leichteren Fällen wird das ParisSyndrom durch Bettruhe und Hydration behandelt, bei schwereren Fällen auch durch den Aufenthalt in einer Klinik (25 % der Fälle[19]) und durch die Heimreise.[21] In einem Viertel der Fälle, die die japanische Botschaft bearbeitet, wird eine sofortige Heimreise nötig.[6] Im Jahr 2011 gab es mindestens sechs Fälle, in denen die Botschaft eine Heimreise unter medizinischer Beaufsichtigung veranlassen musste.[21] Die Botschaft bietet eine Hotline bezüglich des Paris-Syndroms an, die 24 Stunden am Tag erreichbar ist.[22] Leuchtfeuer Ausgabe 16 Nach Aussagen von Mahmoudia geht es nach der Behandlung „einem Drittel sofort besser, ein Drittel erleidet Rückfälle und der Rest bekommt Psychosen“.[17] 2006 gründete Yoshikazu Sekiguchi in Paris einen Ableger der Nichtregierungsorganisation green bird, die es sich zur Aufgabe gemacht hat, Städte zu reinigen. Sekiguchi gab an, die green birds wollen „Paris attraktiver machen“, was „auch gegen das ParisSyndrom“ helfen würde.[1][23] Rezeption Kritik Ein Editorial in der Japan Times kritisierte die Bezogenheit der Studie auf japanische Touristen und sah die Frage ungeklärt, warum das Syndrom speziell in Paris und nicht etwa auch in „New York oder Mexico City“ auftrete. Der Artikel schloss: „Selbst wenn Paris eine Hand voll psychisch anfällige japanische Reisende zum Arzt schickt, scheint es eine Übertreibung, ihre Bedrängnisse als Syndrom zu kennzeichnen“ („Even if Paris does send a handful of fragile Japanese travelers to the doctor, it seems a stretch to label their affliction a syndrome.“).[24] In dem Artikel „Say Cheese!“ von Lauren Collins im Magazin The New Yorker beschäftigte sich diese mit dem Paris-Syndrom und einem eventuell analog existierenden New-YorkSyndrom. Dabei zitierte sie Howard Sigman, einen Konsulatsbeamten des japanischen Konsulats in New York. Dieser gab an, er glaube nicht an das Paris-Syndrom oder eine „New-York- Belastung“. Seiner Ansicht nach sind die Fälle, die durch den Kulturschock mit der japanischen Botschaft in Paris zu tun haben, „meist das Ergebnis einer bereits existierenden psychischen Erkrankung“.[25] Der Wissenschaftsblog Neurobonkers stellte die Vermutung auf, dass es sich aufgrund der geringen Patientenanzahl um einen Fall von Illusorischer Korrelation handeln könnte. Man ging von einer Quote von 12 Erkrankten bei einer Million japanischen Besuchern pro Jahr aus und verglich dies mit der Quote von Personen, die in ihrem Leben einmal eine schizophrenische Episode erleben, welche umgerechnet 7000 Erkrankte pro einer Million Menschen beträgt.[26] Der Blog royalwithcheese beschrieb die Verwendung der Bezeichnung Paris-Syndrom für zwei unterschiedliche Fälle. Zu Beginn sei diese auf Japaner, die in Paris lebten, angewendet worden. Die Medien und Ärzte wie Youcef Mahmoudia und Mario Renoux hätten es dann jedoch auf japanische Touristen bezogen. Die Autorin bezweifelte den Syndrom-Charakter des Paris-Syndroms und schrieb, dass es „nicht mehr als der Ventilatortod in Korea“ sei.[8] 2005 erschien. Es behandelt die Geschichte einer Praktikantin der japanischen Botschaft in Paris, die mit dem Paris-Syndrom zu kämpfen hat.[28] Das Buch wurde im Jahr 2008 von der japanischen Regisseurin Saé Shimaï verfilmt.[29] Auch der Film Mimi no Nikki behandelte das Thema ParisSyndrom. Der Film erschien 2012 und behandelt das Leben einer jungen Japanerin in Paris.[30] Zudem existieren zwei Dokumentationen zum Paris-Syndrom. John Menicks „Paris Syndrome“ erschien 2010 und wird von diesem als „kurzes, filmisches Essay“ beschrieben. Die Dokumentation ist dabei 27 Minuten lang.[31] 2012 veröffentlichte Raphaël George seine neunminütige Dokumentation „Le Syndrome de Paris“, in der die Symptome des Syndroms beschreibt und Pierre Rameau, Arzt am Hôpital Sainte-Anne, das Syndrom erklärt.[32] Der Kolumnist A. A. Gill der The Sunday Times nannte scherzhaft Rom als ein Heilmittel für das Paris-Syndrom.[27] Der Künstler Jun Yang gestaltete in der Galerie für Zeitgenössische Kunst das Café Paris Syndrom[33], sowie ein Hotelzimmer, welches er mit Hotel Paris Syndrom betitelte. Das Hotel Paris Syndrom öffnete im Dezember 2010[34] und entspricht, wie das Café, dem Syndrom in soweit, dass original französisch wirkende Möbelstücke und Fotografien lediglich Nachbildungen sind und somit der Unterschied zwischen Erwartung und Realität dargestellt wird.[35] Kultur […] Der französische Schriftsteller Philippe Adam verfasste ein Buch mit dem Titel Le Syndrome de Paris, welches Diese Seite wurde zuletzt am 17. November 2012 um 17:21 Uhr geändert. Der Text ist unter der Lizenz „Creative Commons Attribution/Share Alike“ verfügbar; zusätzliche Bedingungen können anwendbar sein. Einzelheiten sind in den Nutzungsbedingungen beschrieben. Wikipedia® ist eine eingetragene Marke der Wikimedia Foundation Inc. 21 Leuchtfeuer Ausgabe 16 Stendhal-Syndrom Aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie Als Stendhal-Syndrom werden gewisse psychosomatische Störungen bezeichnet, wenn diese im zeitlichen Zusammenhang mit einer kulturellen Reizüberflutung auftreten. Zu den Symptomen zählen Panikattacken, Wahrnehmungsstörungen und wahnhafte Bewusstseinsveränderungen. Erstmals wissenschaftlich beschrieben wurde dieses nach dem französischen Schriftsteller Stendhal benannte Syndrom 1979 von der italienischen Psychologin Graziella Magherini. Eine von Magherini zehn Jahre später veröffentlichte Studie, in der sie mehr als 100 für das Stendhal-Syndrom typische Krankheitsfälle von Touristen in der Kunstmetropole Florenz beschrieb, machte das Syndrom international bekannt. Bei der Besichtigung der Kirche Santa Croce, berühmt für die Grabmäler von Florentinern wie Michelangelo, Dante Alighieri oder Galileo Galilei, steigerte sich seine Begeisterung: „Ich befand mich bei dem Gedanken, in Florenz zu sein, und durch die Nähe der großen Männer, deren Gräber ich eben gesehen hatte, in einer Art Ekstase. […] Als ich Santa Croce verließ, hatte ich starkes Herzklopfen; in Berlin nennt man das einen Nervenanfall; ich war bis zum Äußersten erschöpft und fürchtete umzufallen.“ – Stendhal: Reise in Italien[1] Inhaltsverzeichnis 1 Historische Beschreibungen 2 Wissenschaftliche Studien 3 Rezeption 4 Einzelnachweise 5 Literatur 6 Weblinks Historische Beschreibungen Stendhal; Porträt von Johan Olaf Sodemark Stendhal; Porträt von Johan Olaf Sodemark, 1840 Stendhal fühlte sich wie ein Verliebter Der Begriff Stendhal-Syndrom be- und genoss die „angenehmen Sensazieht sich auf eine Notiz aus der 1817 tionen“, zeigte sich in seiner Schildeveröffentlichten Reiseskizze Reise in rung aber gleichzeitig bestürzt über Italien (Originaltitel: Rome, Naples seinen Erschöpfungszustand. et Florence), in der der französische Schriftsteller Marie-Henri Beyle, be- Stendhals Schilderung ist nicht das kannt unter dem Pseudonym Stendhal, einzige literarische Beispiel für das seine Eindrücke bei seinem Besuch überwältigende Gefühl, das europäin der italienischen Stadt Florenz be- ische Intellektuelle bei ihrer Grand schrieb. Schon bei der Ankunft in der Tour in Italien angesichts der Fülle der Stadt fühlte er sich wie in einem Wahn Kunst- und Bauwerke überkam. So und konnte keinen klaren Gedanken beschrieb der Schriftsteller Wilhelm fassen.[1] Heinse Ende des 18. Jahrhunderts in einem Brief ein Gefühl des Schwe- 22 Ansicht der Stadt Florenz bens, als er das Pantheon in Rom betreten hatte,[2] während Heinrich Heine in seinen Reisebildern über den Mailänder Dom urteilte, dass die unzähligen Heiligenbilder einem fast die Sinne verwirrten.[3] Mit Beginn des organisierten Tourismus Mitte des 19. Jahrhunderts nahm vor allem die Zahl der Besucher aus den Vereinigten Staaten in den europäischen Kunstmetropolen zu. In ihren Reiseberichten finden sich immer wieder Zeugnisse großer Ergriffenheit, verbunden mit Zuständen großer Verwirrung.[4] Eine erste psychologische Bewertung des Kunstempfindens lieferte Sigmund Freud, der 1936 im Rückblick seinen ersten Besuch der Athener Akropolis als eine „Erinnerungsstörung“ beschrieb, die in ihm Schuldgefühle ausgelöst hatte.[5] Wissenschaftliche Studien Der italienischen Ärztin Graziella Magherini fielen während ihrer Tätigkeit als Leiterin der psychologischen Abteilung des Florentiner Krankenhauses Santa Maria Nuova einander ähnelnde Krankheitsfälle unter ausländischen Touristen auf, die sie als eine Reaktion auf die Fülle an Kunstwerken und -eindrücken in Florenz deutete. In Anlehnung an die Reiseberichte Stendhals nannte sie 1979 diese psychosomatische Störung StendhalSyndrom.[6] In den folgenden Jahren studierte Magherini mit ihrem Team zahlreiche Fälle von Patienten, die unter dem Stendhal-Syndrom litten. 106 Leuchtfeuer Ausgabe 16 dieser Krankengeschichten wurden von Magherini im Januar 1989 in der Monografie La Sindrome di Stendhal veröffentlicht, wodurch der Begriff „Stendhal-Syndrom“ einer breiten Öffentlichkeit bekannt wurde. dem sie exemplarisch an Michelangelos David-Statue die Wirkung von Kunstwerken auf den Menschen beschrieb.[9] Merkmal des Stendhal-Syndroms sei ein „Verlust der Kohäsion des Selbst“.[7] Magherini unterschied drei Varianten von Symptomen. Bei einer Gruppe von Patienten äußerte sich das Stendhal-Syndrom durch Störungen des Denkens und der Wahrnehmung, die Halluzinationen und wahnhafte Stimmungen sowie tiefe Schuldgefühle bei den Betroffenen auslösten. Eine zweite Gruppe entwickelte affektive Störungen, die sowohl zu Allmachtsphantasien als auch zur Erkenntnis der eigenen Bedeutungslosigkeit angesichts der Fülle an Kunstschätzen führten. Bei einer dritten Gruppe von Patienten trat das Stendhal-Syndrom als eine Panikattacke auf, die mit erhöhtem Blutdruck, Ohnmachtsanfällen, Bauchschmerzen und Krämpfen verbunden war. Die meisten der vom Stendhal-Syndrom betroffenen Touristen waren zwischen 26 und 40 Jahre alt und unverheiratet. Alle Patienten waren Ausländer, zumeist aus den Vereinigten Staaten und der Nordhälfte Europas. Mehr als die Hälfte aller Patienten waren zuvor in psychologischer Behandlung.[8] Erste Veröffentlichungen über das Stendhal-Syndrom wurden von Medizinern kontrovers kommentiert.[10] Die von Magherini gestellte Diagnose wird nicht generell anerkannt, einige Ärzte betrachten das Stendhal-Syndrom als eine der bekanntesten Formen einer Neurose.[11] Magherini wurde vorgeworfen, verschiedene psychopathologische Symptome und anekdotische Beobachtungen zusammengefasst zu haben.[12] Andere Ärzte sehen in dem Stendhal-Syndrom dagegen eine ernstzunehmende psychische Störung,[13] die vor allem von Reisemedizinern näher untersucht wird.[14] Nach der Veröffentlichung ihrer Studien arbeitete Graziella Magherini an weiteren Untersuchungen zum Stendhal-Syndrom. Im Jahr 2007 veröffentlichte sie ein weiteres Buch, in Rezeption In der Kunstwelt wurde das StendhalSyndrom dagegen bereitwilliger angenommen. Die ausführliche Behandlung des Themas in der Presse beim Erscheinen von Magherinis Buch machte das Syndrom schnell bekannt. Mehrere Schriftsteller übernahmen das Motiv des von der Kunst überwältigten Betrachters in ihre Werke. Bereits 1989 veröffentlichte der niederländische Dramatiker Frans Strijards das Theaterstück Das Stendhal-Syndrom.[15] Ein Jahr später veröffentlichte die in Italien lebende deutsche Schriftstellerin Christine Wolter die Erzählung Das Stendhal-Syndrom.[16] Eine weitere Thematisierung findet sich in dem Roman Die florentinische Krankheit von Willi Achten.[17] Die bekannteste künstlerische Umsetzung des Stendhal-Syndroms ist Dario Argentos Horrorthriller Das StendhalSyndrom (Originaltitel: La sindrome di Stendhal) aus dem Jahr 1996. In diesem Film spielt Argentos Tochter Asia eine junge italienische Polizistin, die auf der Suche nach einem Serienmörder in den Florentiner Uffizien einen Zusammenbruch erleidet und so in die Hände des Mörders (dargestellt von Thomas Kretschmann) gerät. Der hohe Bekanntheitsgrad des Stendhal-Syndroms, das auch in Reiseführern über Florenz Erwähnung fand, führte nach Angaben von Graziella Magherini zu einem deutlichen Rückgang der Erkrankungen in Florenz.[9] Gleichzeitig wurden in medizinischen und populärwissenschaftlichen Veröffentlichungen ähnliche Syndrome mit Bezug auf andere Touristenziele beschrieben. So bezeichnet das Jerusalem-Syndrom eine psychische Störung, die zahlreiche Besucher der heiligen Stadt Jerusalem befällt. Angesichts der hohen Zahl von Selbstmordversuchen deutschsprachiger Touristen in Venedig wurde ein VenedigSyndrom diagnostiziert,[18] während bei japanischen Touristen das häufige Auftreten eines Paris-Syndroms beschrieben wurde.[19][20][21] [...] Literatur Graziella Magherini: La Sindrome di Stendhal. Ponte Alle Grazie, Florenz 1989. ISBN 978-88-7928-308-3. Graziella Magherini: «Mi sono innamorato di una statua»: Oltre la Sindrome di Stendhal. Nicomp, Florenz 2007. ISBN 978-88-87814-66-8. Diese Seite wurde zuletzt am 12. Februar 2013 um 19:25 Uhr geändert. Der Text ist unter der Lizenz „Creative Commons Attribution/Share Alike“ verfügbar; zusätzliche Bedingungen können anwendbar sein. Einzelheiten sind in den Nutzungsbedingungen beschrieben. Wikipedia® ist eine eingetragene Marke der Wikimedia Foundation Inc. 23 Leuchtfeuer Ausgabe 16 http://www.wiwo.de/erfolg/management/das-wulff-syndrom-warum-macht-politiker-und-manager-verblendet/v_detail_tab_ print/6088568.html 24.01.2012 Das Wulff-Syndrom Warum Macht Politiker und Manager verblendet von Daniel Rettig Die Kreditaffäre um den Bundespräsidenten zeigt: Umgeben von Ja-Sagern und getäuscht vom übermächtigen Selbstbild eigener Wichtigkeit, verlieren Politiker und Manager den Blick für die Realität. Macht wird gefährlich, wenn der mächtige sich nur um sich selbst dreht und die Chancen und Risiken in seiner Umgebung nicht mehr erkennt Quelle: Illustration: Thomas Fuchs Seit 1971 kürt die Gesellschaft für deutsche Sprache das Wort des Jahres, der letzte Sieger hieß „Stresstest“. 2012 ist noch jung, doch ein Wort könnte bei der diesjährigen Wahl gute Chancen haben: Salamitaktik. Mit eben dieser Strategie verärgert Bundespräsident Christian Wulff seit Beginn seiner Kredit- und Medienaffäre viele Bürger. Statt Fehler zuzugeben und alle Fakten offenzulegen, informiert er die Öffentlichkeit nur scheibchenweise. Was hat den höchsten Mann im Staat dazu getrieben? Trotzdem oder deswegen? An mangelnder Erfahrung kann es nicht liegen, der 52-Jährige ist seit mehr als 30 Jahren in der Politik. Trotzdem geriet er ins Zentrum einer Affäre, die bislang kein Bundespräsident durchleben musste. Trotzdem? Oder gerade deswegen? Bundespräsident Christian Wulff. Die Causa Wulff hat gezeigt: Wer die Möglichkeit hat, Macht auszuüben, gerät oft in Affären und Skandale. Aber nicht nur das: Umgeben von Ja-Sagern und duckmäuserischen Einflüsterern, geblendet von den eigenen Einflussmöglichkeiten, läuft der Mächtige Gefahr, den Blick für die Realität zu verlieren Quelle: dpa 24 Leuchtfeuer Ausgabe 16 Die Causa Wulff Die Causa Wulff hat nicht nur eine Diskussion entfacht über die Zukunft des höchsten politischen Amtes. Deutlich wurde vor allem: Wer die Möglichkeit hat, weitreichende Entscheidungen zu treffen, Einfluss zu nehmen auf die Geschicke eines Landes oder eines Unternehmens, sprich: Macht auszuüben über andere, gerät nicht nur immer wieder in Affären und Skandale. Umgeben von Ja-Sagern und duckmäuserischen Einflüsterern, geblendet von den eigenen Einflussmöglichkeiten, läuft er Gefahr, den Blick für die Wirklichkeit zu verlieren. Kurz: Er wird blind vor Macht. Egal, ob günstige Kredite oder Gratis-Urlaube, egal, ob Spitzenpolitiker oder Top-Manager: Immer wieder erliegen Personen in herausragenden Positionen dem süßen Gift der Macht. Sie verlieren das Gespür für die Realität, stolpern über ihre Gier, Dummheit oder Hybris. Sie verkennen, was juristisch vielleicht noch legal, aber moralisch schon längst nicht mehr legitim ist. Manchen passiert es früher, manchen später. Sie waren mal Stars Philipp Hildebrand In seiner Funktion brauche er absolute Glaubwürdigkeit, sagte Hildebrand zu seinem Rücktritt vor wenigen Wochen – doch daran mangelte es ihm erheblich. Seine Frau hatte mit vermeintlichen Insidergeschäften etwa 62.000 Euro verdient. Bild: dapd Audienz statt Konferenz „Gib einem Menschen Macht“, sagte der frühere US-Präsident Abraham Lincoln, „und du erkennst seinen wahren Charakter.“ Zum Vorschein kommen, vereinfacht gesagt, zwei Charaktertypen: Die einen können sich nicht mehr selbst hinterfragen, ignorieren im Glauben an die eigene Unverwundbarkeit und Unfehlbarkeit jeden guten Ratschlag. Von ihren Mitarbeitern fordern sie Engagement, bügeln aber jeglichen Widerspruch ab. Jede Konferenz wird zur Audienz. Die anderen schaffen es nicht mehr, gesunde Distanz zu wahren gegenüber dem üblichen Apparat an Assistenten, Beratern und Fachleuten. Natürlich können Vorstandsvorsitzende oder Ministerpräsidenten weder ihre Termine selbst koordinieren noch jeden Vorgang im Detail kennen. Sie brauchen Leibwächter für ihre Sicherheit, Referenten für Fraktionssitzungen, Sekretärinnen für die Termine. Sie werden im Dienstwagen zu Terminen chauffiert, Assistenten bereiten Reden vor. Macht wird gefährlich, wenn sie blind für Fallen macht. Dann tappt der Mächtige nämlich oft in ebendiese Quelle: Illustration: Thomas Fuchs Kleingeistige Reförmchen Doch wer sich völlig nach außen abschirmen lässt, der verliert schnell den Blick für die Realität. Er wird unfähig, sich gegen einen Apparat durchzusetzen, der eigene Vorhaben so lange durchkaut, bis auch die kühnsten Ideen zu kleingeistigen Reförmchen geschrumpft sind (siehe Essay Seite 82). 25 Leuchtfeuer Ausgabe 16 Die Geschichte ist reich an Personen, die Opfer ihrer Machtfülle wurden – egal, ob Manager, die in die eigene Tasche wirtschafteten, oder Politiker, die sich in privaten Affären verstrickten. „Macht korrumpiert, und absolute Macht korrumpiert absolut“, sagte einst der Historiker Lord Acton. Anders gesagt: Macht macht mies. Sie schüchtert Mitmenschen ein, verändert die Selbstwahrnehmung, verleitet zum Lügen und Betrügen. Grenzen ignorieren in der Chefetage Aber warum passiert es selbst denen, die es besser wissen sollten? Warum fälschte der damalige Hewlett-Packard-Chef Mark Hurd ein Dutzend Spesenquittungen im Wert von knapp 20.000 US-Dollar, bei einem Gehalt von 82.000 Dollar – pro Tag? Warum glaubte der frühere Deutsche-Post-Chef Klaus Zumwinkel, ungestraft Steuern hinterziehen zu können? Warum rechnete Eliot Spitzer, einstiger Generalstaatsanwalt von New York, damit, dass sein Kontakt mit Prostituierten – in vielen US-Bundesstaaten illegal – unentdeckt bleiben würde? Eine Antwortet lautet: Weil die Veranlagung dazu, Grenzen zu ignorieren, bereits in der Persönlichkeit vieler Führungskräfte angelegt ist. Die wichtigsten Regeln wider den Machtmissbrauch Die wichtigsten Regeln wider den Machtmissbrauch o o o Alles anzeigen Freiheiten gewähren Kritiker suchen Widerspruch akzeptieren Tendenziell extrovertiert Wer es an die Spitze eines Konzerns, einer Partei oder eines Landes schaffen will, ist tendenziell extrovertiert – graue Mäuse fallen zu wenig auf, um sich in Gremien, bei Vorgesetzten, Headhuntern oder Aufsichtsräten für Spitzenjobs zu empfehlen. Wer sich zutraut, Dutzenden, Hunderten oder Tausenden von Mitarbeitern vorzustehen und über millionenoder gar milliardenschwere Etats zu verfügen, ist in der Regel optimistisch und selbstbewusst. Doch die Grenze zur Selbstüberschätzung verläuft fließend – und Macht sorgt häufig dafür, dass sie überschritten wird. Dann wird aus Selbstbewusstsein Hybris, aus Einfluss Manipulation, aus visionärem Denken Größenwahn, aus Entscheidungsfreude Gefühlskälte. Es ist ein schmaler Grat zwischen verantwortungsvollem Umgang mit Macht und ihrem Missbrauch. So viel bekommen die Dax-Chefs nach der Karriere Platz 12: Karl-Ludwig Kley (60) Für Karl-Ludwig Kley hat der Pharma- und Chemieunternehmen Merck 7 Millionen Euro angespart. Kleys hat sein Mandat im Vorstand seit 4 Jahren, in jedem Jahr wird im Schnitt 1,8 Millionen Euro zurückgelegt. Kley ist aktuell als künftiger Präsident des Chemieverbandes VCI im Gespräch. Bild: dpa Das Experiment Wie schmal dieser Grat ist, zeigt ein Blick ins Jahr 1971. Damals begleitete der Psychologe Philip Zimbardo von der kalifornischen Eliteuniversität Stanford 24 Studenten in einen Kellerraum. Für einen Versuch hatte er dort ein Gefängnis rekonstruiert. Nach dem Zufallsprinzip teilte Zimbardo die Freiwilligen in Aufseher und Häftlinge ein. Die Wärter bekamen 26 Leuchtfeuer Ausgabe 16 Uniformen und Schlagstöcke, die Häftlinge wurden in Einzelzellen gepfercht, zogen sich einen Kittel über den Körper, Ketten an die Füße, einen Nylonstrumpf über den Kopf. Zimbardo filmte mit versteckter Kamera – und dokumentierte eine Tour des Grauens. Nach zwei Tagen fingen die Wärter aus eigenem Antrieb und grundlos an, den Schlaf der Gefangenen zu stören, ihnen das Essen zu verweigern und sie zu beschimpfen. Die Insassen blockierten daraufhin die Türen, die Aufseher wiederum sprühten mit Feuerlöschern eisiges Kohlendioxid in die Zellen, nahmen den Gefangenen Kleidung und Betten weg und verweigerten ihnen nach 22 Uhr den Gang zur Toilette. Nach wenigen Tagen brach Psychologe Zimbardo den Versuch ab, der als „Stanford Prison Experiment“ in die Fachliteratur einging und später auch als Film-Vorlage diente („Das Experiment“). Zimbardos beängstigendes Fazit: Das Böse sei in jedem Menschen verankert – es liege bloß an unserer Umgebung, ob es ans Tageslicht kommt oder nicht. Nicht gleich ein Sadist Natürlich wird nicht jeder Vorstandsvorsitzende gleich zum Sadisten. Aber der eine oder andere kommt solch charakterlicher Deformation schon recht nah: Glaubt man Insidern, führte etwa der einstige Klinik-König Ulrich Marseille in seinem Unternehmen bisweilen diktatorisch Regime. Fehler tolerierte er nicht, Führungskräfte stauchte er in Besprechungen öffentlich zusammen – so lange, bis auch gestandene Personen zu weinen begannen. „Macht“, sagt der deutsche Hirnforscher Gerhard Roth, „ist ein größerer Verführer als Geld oder Sex.“ Schleichender Prozess Wie so oft beginnt auch dieser Prozess schleichend: „Menschen mit Macht können besser lügen“, sagt Managementprofessorin Dana Carney. Sie hat in Experimenten festgestellt, dass Versuchspersonen mit geliehener Macht nicht nur häufiger flunkerten. Bei ihnen hinterließ das Lügen außerdem weder emotionale noch körperliche Reaktionen. Chefs logen, ohne rot zu werden. Was passiert, wenn Menschen Macht über andere verliehen bekommen, wies US-Psychologin Deborah Gruenfeld in ihrem legendären Kekstest nach: Die Wissenschaftlerin von der Stanford-Universität ließ mehrere Studentengruppen über Politik und Religion diskutieren. Einer der Probanden sollte die Aussagen der Kommilitonen beurteilen. Mit anderen Worten: Er bekam eine Prise Macht geliehen. Macht wird gefährlich, wenn der Mächtige sich in sein Bollwerk zurückzieht Quelle: Illustration: Thomas Fuchs Befriedigung eigener Bedürfnisse Kurz vor Ende des Versuchs reichte Gruenfeld jeder Gruppe einen Teller mit fünf Keksen. Ergebnis: Wer zuvor Macht erhalten hatte, nahm sich mehr Kekse als die anderen, kaute häufiger mit offenem Mund und bekrümelte den Tisch. Gruenfeld zufolge passiert Folgendes, wenn Menschen Macht erlangen: Einerseits konzentrieren sie sich mehr auf die Befriedigung eigener Bedürfnisse und weniger um die ihrer Untergebenen. Andererseits scheren sie sich selbst weniger 27 Leuchtfeuer Ausgabe 16 um jene Regeln, deren Einhaltung sie von allen anderen allerdings erwarten. „Führungskräfte sind Vorbilder“, sagte der damalige Deutsche-Post-Chef Klaus Zumwinkel einst in der Mitarbeiterzeitung. Im Februar 2008 durfte er die Aussage bereut haben: An einem trüben Donnerstagmorgen durchsuchten Staatsanwaltschaft und Polizei seine Villa wegen des Verdachts der Steuerhinterziehung. Imagepflege Zumwinkel verlor nicht nur seinen Posten, auch gesellschaftlich fiel er tief. Das Gericht verurteilte ihn außerdem zu zwei Jahren Haft auf Bewährung und mehr als einer Million Euro Geldstrafe, sein Bundesverdienstkreuz gab der einstige Vorzeigemanager zurück. Deutschland kehrte er den Rücken, heute lebt er zurückgezogen in Norditalien, verschanzt hinter den dicken Mauern einer mittelalterlichen Burg, verbittert und von vielen ehemaligen Weggefährten gemieden. Doch längst nicht immer mündet Machtmissbrauch in sozialer Ächtung. Der Sozialpsychologe Gerben van Kleef von der Universität von Amsterdam ist davon überzeugt, dass offensichtliche Missachtung jeglicher Anstandsregeln dazu beiträgt, dass der Querschläger sein Image pflegt. „Regelbrecher wirken mächtiger“, sagt van Kleef, „weil sie den Eindruck machen, sie könnten sich alles erlauben.“ Autoritär-cholerisch So wie James Cayne. Als im Juli 2007 in den USA die Finanzkrise losbrach, meldete die Investmentbank Bear Stearns Milliardenverluste. Bank-Chef Cayne brachte das nicht aus der Ruhe: Während sich die Katastrophe anbahnte, saß er nicht im Büro – sondern bei einem Bridge-Turnier. Ohne Handy, ohne Internet-Zugang. Als Bear Stearns im März 2009 kurz vor dem Bankrott stand, hatte Cayne ebenfalls etwas Wichtigeres zu tun: In Detroit nahm er an den nordamerikanischen Bridge-Meisterschaften teil. Natürlich gewinnen Manager viel Zeit, wenn sie Entscheidungen alleine oder nur im engsten Führungszirkel treffen. Doch verlieren sie dadurch etwas viel Kostbareres: die Loyalität ihrer Mitarbeiter. Daran scheiterte auch Léo Apotheker. So brillant er fachlich war, so schwierig war er menschlich. Schon als SAP-Boss mangelte es ihm an der Unterstützung der Mitarbeiter – woran sein autoritär-cholerischer Führungsstil sicher nicht unschuldig war. Im Februar 2010 musste er seinen Posten als SAP-Vorstandssprecher räumen – nach weniger als einem Jahr. Auch seine Amtszeit als CEO von Hewlett-Packard endete nach elf Monaten. So gut sind die Aufsichtsräte der Dax-Konzerne Manfred Schneider Der Ex-Bayer-Chef ist Aufsichtsratschef von Bayer, Linde, RWE und bis April 2011 auch bei Daimler. Die unter seiner Führung kontrollierten Unternehmen schneiden in der Ruhwedel-Untersuchung allesamt schlecht ab. Bayer landet mit 59,1 von 100 möglichen Punkten auf Platz 21 von 26, RWE mit 55,2 Punkten auf dem vorletzten und Linde mit 49,3 Punkten sogar auf dem letzten Platz. Dabei fuhr RWE bei der Begutachtung der Eignung des 20-köpfigen Aufsichtrats das schlechteste aller Ergebnisse ein. Bei Linde mangelt es insbesondere an geeigneter Arbeitsweise und an Vielfalt in der Gremienbesetzung. Bild: AP 28 Leuchtfeuer Ausgabe 16 Kritik von außen wird ignoriert „Manager an der Spitze neigen dazu, um sich ein Team aufzubauen, das sie permanent bestärkt“, sagt die Berliner Managementberaterin Ulrike Wolff. Die Folge: Kritik von außen wird ignoriert oder kommt gar nicht erst bei ihnen an. Manche ergötzen sich so sehr an ihrem Einfluss, dass es ihnen nur noch um den Erhalt der Macht geht – oder deren Erweiterung. Ein Problem, das Georg Milbradt gut kennt. Der 66-Jährige war von April 2002 bis Mai 2008 sächsischer Ministerpräsident. Damals hetzte er im Dienstwagen von Termin zu Termin, heute beantwortet er E-Mails innerhalb weniger Minuten selbst. Milbradt ist seit 2009 außerordentlicher Professor an der TU Dresden, wirkt offen und entspannt – ganz anders als früher. „Als Ministerpräsident habe ich in einer Art Kokon gelebt“, sagt Milbradt. „Die Fähigkeit, Kritik zu ertragen, sinkt im Laufe der Zeit.“ Kredite der Bank Völlig verhindern, sagt Milbradt, könne man diesen Prozess nicht. „Aber man kann ihn verzögern.“ Nur wie? Milbradt umgab sich mit einer Gruppe von Ratgebern, „die mir im kleinen Kreis offen Widerworte geben konnten“. Sollte es so gewesen sein – geholfen hat es wenig. Seinen Rücktritt reichte er nicht nur wegen der Krise bei der Sachsen LB ein. Es kam auch heraus, dass er und seine Frau Ende der Neunzigerjahre Kredite der Bank in Anspruch genommen hatten – Milbradt war damals sächsischer Finanzminister und somit Chef des Sachsen-LB-Verwaltungsrats. Plaudern mit Arbeitern Skandale dieser Art sind Werner Marnette erspart geblieben. Der heute 66-Jährige arbeitete knapp 30 Jahre bei der Norddeutschen Affinerie (NA), der heutigen Aurubis. Er formte das Unternehmen zu Europas größtem Kupferkonzern, davon 13 Jahre als Vorstandschef. Im Jahr 2007 trat er nach einem Konflikt mit dem Aufsichtsrat zurück. Noch heute hat er Kontakt mit seiner damaligen Sekretärin, bekommt Post von NA-Angestellten oder telefoniert mit ihnen. Jeden Arbeitstag begann Marnette eigenen Angaben zufolge mit einem Besuch in den Werkshallen und plauderte mit den Arbeitern. Er wollte immer nahbar bleiben – weil er wusste, wie wichtig das für das gesamte Betriebsklima ist: Wer nur aus der Vorstandsetage regiert, bekomme gar nicht mit, was den einzelnen Angestellten oder Arbeiter bewegt, sagt Marnette. Schlechtes Zeugnis für Arbeitgeber Kelly Services hat 97.000 Arbeitnehmer in 30 Ländern ihre Chefs beurteilen lassen. Mit einem vernichtenden Ergebnis: Auf einer Skala von eins (sehr gut) bis zehn (sehr schlecht) erreichten die meisten Bosse bloß eine 6,2. 21 Prozent der deutschen Angestellten gaben ihren Vorgesetzten die Noten mangelhaft oder sehr schlecht. Bild: Fotolia Scheitern an Unternehmensstrukturen Zugegeben, es gibt Menschen, die ihn für einen Choleriker halten. Es seien „natürlich mal die Fetzen geflogen“, sagt Marnette. Immerhin steht er dazu. Das unterscheidet ihn von vielen aktiven Kollegen, die über Machtfallen nicht öffentlich 29 Leuchtfeuer Ausgabe 16 reden wollen. Weil sie zumindest ahnen, wie schwer es ist, sie zu umgehen. Zudem scheitern Manager häufig an den Strukturen des Unternehmens, wie Gerd Kerkhoff weiß. Der Gründer und Geschäftsführer der gleichnamigen Unternehmensberatung hat beobachtet, dass Führungskräfte selbst bei sinnvollen Veränderungen auf Protest stoßen – weil sich die Belegschaft dagegen wehrt. „Macht ist die einzige Lust, derer man nicht müde wird“ - Oscar Wilde Exzellente Chefs passen sich an das Unternehmen an Wie Manager vorgehen sollten, weiß Charles Farkas von der Managementberatung Bain & Company. Er interviewte vor einigen Jahren 160 CEOs zu ihrem Führungsstil. Die Chefs der erfolgreichsten Unternehmen legten ihre eigene Persönlichkeit im Joballtag beiseite. Sie legten den Fokus nicht auf sich selbst, sondern die Bedürfnisse der Organisation: „Exzellente Chefs passen sich an das Unternehmen an“, sagt Farkas, „und nicht umgekehrt.“ Kerkhoff vergleicht die Machtsituation in Unternehmen gern mit dem Verhältnis zwischen Kindern und ihren Eltern. Der Nachwuchs will durchaus angeleitet und geführt werden – aber dafür müssen die Eltern geradlinig sein, konsequent und glaubwürdig. Dass das vielen Managern schwerfällt, liegt laut Kerkhoff an der mangelnden Menschenkenntnis vieler Manager: „Psychologie sollte deshalb Pflichtteil der Ausbildung sein. Süßes Gift der Macht Schon, um sich selbst besser kennen zu lernen – und darüber nachzudenken, was Managementforscher Jon Maner von der Florida-State-Universität kürzlich herausfand. Wer vor allem an Autorität und Dominanz interessiert ist, sieht eigene Interessen an oberster Stelle, verheimlicht wertvolle Informationen, schließt qualifizierte Untergebene aus und versucht zu verhindern, dass andere an die Macht kommen – und geht damit dem süßen Gift der Macht auf den Leim. Ein Mechanismus, den man sich nicht oft genug vor Augen führen kann. Denn Macht, sagte schon der irische Schriftsteller Oscar Wilde, „ist die einzige Lust, derer man nicht müde wird“. weitere Links zum Artikel Werner Marnette“ Führungskräfte werden nicht nach Qualifikation ausgesucht“ Beratungsresistenz Die tauben Ohren der EU-Kommissare Essay Gefangene der Macht © 2011 Handelsblatt GmbH - ein Unternehmen der Verlagsgruppe Handelsblatt GmbH & Co. KG 30 Leuchtfeuer Ausgabe 16 JÖRG LENAU Hausen 7, D-65558 Balduinstein Amentielles Syndrom und Verstandeswesen im Gegenwartsgefiige Die Demenz kennt jeder, aber die Amenz keiner? Den Begriff trifft man noch in lexikalischen Werken an, aber es findet sich niemand, wer dazu Informationen liefern kann, weder was es damit auf sich hat, noch warum man dieses Sachverhältnis antrifft. Anscheinend war es einst Bestandteil von Diagnose und Behandlung ist jedoch im Laufe der Zeit in der Senke verschwunden. „Ein amentielles Syndrom (lat. Amentiä) ist eine akute halluzinatorische Verwirrtheit mit Desorientiertheit, Ratlosigkeit, illusionärer Verkennung der Wirklichkeit und zusammenhanglosem Denken. Es tritt als Begleiterscheinung bei Gehirnschädigungen und körperlich begründbaren Psychosen, beispielsweise beim Alkoholdelir auf.“ So lautet die Spezifikation. Diese geht jedoch von dem Selbstverständnis aus, daß jeder Mensch veranlagungsbedingt Verstand besitzt, was die Voraussetzung dafür ist, zusammenhängend und logisch denken und darüber beurteilen und somit darüber wiederum auch eigenständig entscheiden zu können. Der Verstand basiert jedoch auf der Fähigkeit, sich das Sein verständlich zu machen, sodaß man es darin prinzipiell mit einer graduellen Präsenz zu tun hat, welche erst einmal entsprechend eines Wissensschatzes gebildet werden muß. Erschwerend kommt noch hinzu, daß man zwar allgemein um das Verhältnis von Wissen weiß, jedoch kaum ein Verständnis darüber existiert, wie das Verstandeswesen funktioniert, so dass dieser umfängliche Sachverhalt wohl in erster Linie einer allgemeingültigen Anwendung in Diagnose und Behandlung im Wege steht. Was kann man somit gegenwärtig tun, wenn man selbst davon betroffen ist? Diesbezüglich gibt es nämlich zweierlei Betroffene, einerseits Diejenigen, welche unter dieser Störung aus ihrer selbst heraus leiden und andererseits Diejenigen, welche über die gemeinschaftliche Verbundenheit mit Jemandem, welcher unter dieser Störung leidet, anhänglich darunter zu leiden haben. Wie mir meine langjährige Erfahrung damit aufzeigt, wissen die meisten der unter dieser Störung Leidenden sehr wohl um ihrer Behinderung teils bewusst, teils unbewusst und auch wie damit umzugehen ist, genau so, wie man es bei anderen Behinderten antrifft, so dass maßgeblich die mit diesen Personen verbundenen die eigentlichen Betroffen sind, weil es sich diesen, wenn überhaupt, dann nur kausal ergibt. Gerade bei diesen trifft man jedoch fast ausschließlich auf ein Unbewusstsein über diese Gegebenheit, so dass sich darüber eine Art von ‚ausbreitender Ansteckung‘ ergibt und zu völlig chaotischen Lebensverhältnissen fuhren kann, die ohne das Bewusstsein über das Sachverhältnis gar nicht deregulierbar sind. Besonders gravierend wird dies in Rechts- und Geschäftsverhältnissen, wie generell in Verhältnissen, wo der an dieser Störung primär Leidende Maßstab und zentraler Inhalt des gemeinschaftlichen Miteinander sind Man kann als sekundär Betroffener den Sachverhalt noch nicht einmal als solchen deklarieren und diesem Externas gegenüber stellen, was ein absolutes Dilemma darstellt. Als Betroffener befindet man sich somit gegenwärtig in einem Teufelskreis, dem als solches nichts anderes entgegen gesetzt werden kann, als die Erforderung auf Änderung dieses Sachverhaltes auszusprechen. Es bedarf in erster Linie des bewusst machens dessen zur Förderung wie auch Einforderung des Dialoges darüber und ich hoffe, dass diese Veröffentlichung dazu beitragen kann. In erster Linie sind dazu die sekundär Betroffenen aufgerufen, um sich des Sachverhaltes bewusst zu werden und sich miteinander zu koordinieren Es fehlt nämlich vor allem an Informationsquellen, welche den Sachverhalt aufzeigen. Gerade diese Lücke gilt es zunächst einmal, durch ein entsprechendes Breitenspektrum auszufüllen. Das Bewusstsein über den Sachverhalt kann man sich nämlich sehr wohl auch als Laie verschaffen, indem man sich die Verhältnismäßigkeit von Wissen und Verstand über das Nebeneinanderstellen dessen systematisch bewußt macht Der größte Teil des Seins ist einzig über das Verständnis fassbar, so dass man darüber prinzipiell damit konfrontiert ist. Über das Nebeneinanderstellen und Differenzieren der Inhaltlichkeit kann man vor allem aber auch die unter dieser Störung primär, wie sekundär Leidenden nachvollziehen, worüber der Umgang damit kalkulierbar(er) wird Wenn man zusätzlich noch den Sachverhalt einbezieht, daß unsere Wahrnehmung, wie auch unsere Kommunikation generell einzig Informationen in Form von Wissen vermitteln, kann man sich nach und nach ein relativ eindeutiges Sachverhältnis verschaffen, worüber dies dann auch anderen vermittelt werden kann und der Umgang damit sich auch als Ganzes ändert. Datum: 27.12.2012 31 Leuchtfeuer Ausgabe 16 32 Leuchtfeuer Ausgabe 16 33 Leuchtfeuer Ausgabe 16 34 Leuchtfeuer Ausgabe 16 35 Leuchtfeuer Ausgabe 16 36 Leuchtfeuer Ausgabe 16 37 Leuchtfeuer Ausgabe 16 38 Leuchtfeuer Ausgabe 16 39 Leuchtfeuer Ausgabe 16 40 Leuchtfeuer Ausgabe 16 41