Syndrom - Landesverband Psychiatrie-Erfahrener Rheinland

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Inhaltsangabe I
Seite
1) Vorworte
Ministepräsidentin Malu Dreyer
8
Redaktionsteam
10
Grußwort von der Stadtbibliotek Trier
11
2) Schwerpunkt-Thema: Psychisch bedingte Syndrome
Syndrom
15
Das Jerusalem-Sydrom
16
Paris-Syndrom
19
Stendhal-Syndrom
22
Warum Macht Politiker und Manager verblendet
24
Amentielles Syndrom und Verstandeswesen im Gegenwartsgefüge
31
Wahnsinn wird normal
32
3) Offizielles aus dem Landesverband Psychiatrie-Erfahrener
Rheinland-Pfalz e.V.
Protokoll der Mitgliederversammlung des LVPE Rheinland-Pfalz
am 29. September 2012 in der KIS, Bogenstr. 53, 56073 Koblenz
45
Abrechnung mit dem Landesamt für Soziales, Jugend und Versorgung
48
Tabellarische Haushaltsabrechnung
54
Kranzniederlegung mit Verspätung
55
4) Selbsthilfe
Bedeutung von Recovery und Inklusion in der Gemeindepsychiatrie
59
Wandern, eine Alternative zur Pharmakologischen Therapie
63
Erster Trialogischer Workshop in Rheinland-Pfalz
66
Gesundheitsbezogene Selbsthilfe in Deutschland
67
Selbsthilfe ermöglichen bei Depressionserkrankung
69
Jeder ist seines Glückes Coach
70
Adieu, Sylvia, Dankeschön
71
Kreative Höhenflüge: Wie kann man die Absturzgefahr minimieren
72
Inhaltsangabe II
Seite
5) Ex-In, News und Personalien
Ex-In – Was ist das eigentlich?
Psychiatrieerfahrene als Partner
Gesprächsangebot für Patienten gestartet
Rettungsanker für viele verzweifelte Menschen
Krisendienst wird mobil: Fahrzeug für Hausbesuche übergeben
Leserbrief – Rhein-Zeitung
Neuer Landesbehindertenbeauftragter am 1. Januar 2013
Neufassung einer Rechtsgrundlage für ärztliche Zwangsmaßnahmen
Leistung von Dr. Wolfgang Guth gewürdigt
Neue Ärztliche Direktorin: PD Dr. Anke Brockhaus-Dumke
Gedächtnisambulanz ist in Planung
Wohnraum für psychisch Behinderte
Projekt in Brauheck „Leuchtturm“ die ganze Region
Experiment gescheitert
Beschlussvorlage für die Sitzung des Landesbeirates zur Teilhabe behinderte
Menschen am 27. September 2012
76
77
78
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88
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90
91
Menschen mit Behinderung – Dreyer: Budget für Arbeit bietet Chancen für
Arbeitnehmer und Arbeitgeber
92
Bundessozialgericht stellt Wahlrecht für Betroffene
im Persönlichen Budget klar
93
6) Aus Medien und der Wissenschaft
Professor Dr. Klaus Lieb ist „Hochschullehrer des Jahres“
96
Schaden Antipsychotika dem Fötus?
98
Oft mehr Schein als Innovation
99
Burnout und seine Therapie
101
ADHS, Burnout, Depression – Forscher warnen vor Millionen Scheinpatienten
103
Modediagnose ADHS
105
Therapiehund
107
Meditation verbessert Gehirnnerven
109
Erfolgsspuren im Hirn
110
TK – Gesundheitsreport 2012
112
Inhaltsangabe III
Seite
Macht die Klienten unzufrieden! Zu den Ergebnissen einer Befragung in einem
Zuverdienstunternehmen
113
Psychiater bangen um Versorgung ihrer Patienten
115
Studenten leiden zunehmend an Burnout-Symptomen
117
Hirndoping ist kein Massenphänomen
118
Studenten schlucken häufiger Tabletten
119
7) Impressum
121
1) Vorworte
Ministepräsidentin Malu Dreyer
Seite
8
Redaktionsteam
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Grußwort von der Stadtbibliotek Trier
11
Leuchtfeuer Ausgabe 16
8
Leuchtfeuer Ausgabe 16
Grußwort
Liebe Leser und Leserinnen,
mit der aktuellen Ausgabe des „Leuchtfeuers“ halten Sie wieder eine thematisch breit gefächerte Lektüre in
den Händen. Dem Herausgeber – dem rheinländisch-pfälzischen Landesverband der Psychiatrie-Erfahrenen – bin ich seit meiner Zeit als Sozialministerin sehr verbunden. Das Land verdankt dem Engagement des
Landesverbandes viel. Denn die sozialpsychiatrischen Fortschritte, die wir in Rheinland-Pfalz in den letzen
zwei Jahrzehnten gemacht haben, wären ohne das Engagement der Psychiatrie-Erfahrenen nicht möglich
gewesen.
Die Beteiligung Psychiatrie-Erfahrener und die Beteiligung von Angehörigen psychisch kranker Menschen
an psychiatriepolitischen Entscheidungen und Veränderungen ist für mich unerlässlich. Sie trägt auch dazu
bei, dass Psychiatrie-Erfahrene und Angehörige noch stärker für ihre eigenen Interessen einstehen. Diese
Beteiligung ist in Rheinland-Pfalz nicht nur gesetzlich in unserem PsychKG verankert, sondern wird auch
tatsächlich gelebt. Der Landesverband gehört zu den engagiertesten Mitgliedern im Landespsychiatriebeirat,
er hat die Verbreitung von Krisenpässen für Patienten initiiert und wichtige Projekte, wie zum Beispiel die
Nutzerbefragung von Besucherinnen und Besuchern der Tagesstätten in Rheinland-Pfalz, angestoßen.
Betroffene und ihre Angehörigen wissen am besten, wo die Versorgung weiter verbessert werden kann und
sie sind oft die wichtigsten Ansprechpartner für andere Betroffene. Glücklicherweise setzt sich diese Erkenntnis der Psychiatrie-Erfahrenen als „Profis in eigener Sache“ immer stärker durch. Deshalb ist auch die in
dieser „Leuchtfeuer“-Ausgabe vorgestellte „Ex-In-Ausbildung“ von Psychiatrie-Erfahrenen und ihre anschließende Tätigkeit als Genesungsbegleiter so bemerkens- und unterstützenswert.
Erkrankungen an der Seele sind häufig chronisch und schränken die Betroffenen über einen langen Zeitraum
im alltäglichen Leben ein. Eine solche chronische Krankheit zu haben und sich gleichzeitig für andere zu engagieren, halte ich für eine enorme Leistung. Dafür zolle ich Ihnen meinen größten Respekt und Dank.
Malu Dreyer
Ministerpräsidentin von Rheinland-Pfalz
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Leuchtfeuer Ausgabe 16
Liebe Leserinnen und Leser des Journal „Leuchtfeuer“
Seit 1998 erscheint unser Journal „Leuchtfeuer“ und nun bereits im 16. Jahr in der 17. Auflage.
Bevor wir auf die aktuelle Ausgabe kommen, möchten wir auf das ereignisreiche Jahr 2012
zurückblicken.
Der Aktualität geschuldet haben wir eine „Sonderausgabe des Leuchtfeuers des Landesverbandes
der Psychiatrie-Erfahrener Rheinland-Pfalz e.V.“ herausgebracht. In einer Auflage von 500
Exemplaren (normalerweise haben wir nur eine 250-er Auflage) haben wir vier Beiträge von
Psychiatrie-Erfahrenen, zwei Beiträge von Mediziner, drei Beiträge von Juristen und die
Stellungnahme von der Aktion Psychisch Kranke zu den Urteilen des Bundesverfassungsger
ichtes zusammen getragen und auf 62 Seiten zusammen gefasst. Dieses Sonderheft ist an die
Mitglieder, Fördermitglieder, Psychiatriekoordinatoren, Abteilungen der Erwachsenen-, Kinderund Jugendpsychiatrie sowie an Eingliederungsheime der Behindertenhilfe und an bundesweite
Multiplikatoren verteilt worden. Resonanz kam vom Rechtsausschuss des Bundestages und von der
Stadtbibliothek Trier, denen die Sonderausgabe auch zugespielt wurde. Die Stadtbibliothek Trier
erbittet die Zusendung aller Hefte aus der Vergangenheit und der Zukunft als „Pflichtexemplare“.
Aus diesem Grund informiert Frau Weck in ihrem Grußwort, wie und wo unsere Dokumentationen
der Öffentlichkeit bereitgestellt werden.
Unser zweites Standbein in der Öffentlichkeitsarbeit ist unsere Homepage www.lvpe-rlp.de.
Diese Homepage hatte im letzten Jahr 108.000 Besucher mit 270.500 Seitenaufrufe – was in 10
Jahren fast eine Verzehnfachung der Besucher und Seitenaufrufe bedeutet. 59% wurden durch
direkten Zugriff, 19 % durch Suchmaschinen und 22% über Domains erzielt. Wesentliche Seiten
der Homepage sind die Krankheitsbilder, Beratungsstelle, Aufsätze und Vorträge, Wer ist Wer,
Historie, Wissenswertes, Denkanstöße und das Leuchtfeuer. Passend zu unserem Sonderheft hatte
auch die Seite „Leitlinien für der Umgang mit Zwangsmaßnahmen“ in den letzten vier Monaten
des Jahres 2012 eine starke Nachfrage von 1000 Besuchern erfahren.
Die neue Ministerpräsidentin Malu Dreyer hat selbstverständlich das politische Vorwort inne.
Das Schwerpunktthema „Psychisch bedingte Syndrome“ basiert auf der Idee von Jörg Lenau, der
auch einen Beitrag zum Amentiellen Syndrom schrieb.
Wir hoffen mit der neuen Ausgabe Nr. 16 wieder einen Querschnitt der aktuellen Themen des
Jahres 2012 abgebildet zu haben und wünschen Ihnen viel Spaß beim Lesen!
Das Redaktionsteam
10
Leuchtfeuer Ausgabe 16
Grußwort
Sehr geehrte Leserinnen und Leser der Zeitschrift „Leuchtfeuer“,
das „Leuchtfeuer“ hat mit der Sonderausgabe 2012 unter der Signatur Zq 2120 Einzug gehalten
in den Bestand der Wissenschaftlichen Stadtbibliothek Trier an der Weberbach.
„Schuld“ daran ist der § 14 des Landesmediengesetzes von Rheinland-Pfalz. Dort heißt es
sinngemäß, dass von jedem Druckwerk, das in Rheinland-Pfalz verlegt wird, ein Exemplar
an die zuständige Bibliothek abzuliefern ist. Die Stadtbibliothek Trier sammelt die
Veröffentlichungen aus dem Gebiet des ehemaligen Regierungsbezirks Trier.
Durch diese Regelung soll gewährleistet werden, dass eine Publikation in mindestens einer
regionalen Bibliothek archiviert und für interessierte Benutzer bereitgestellt wird.
Wir als Bibliothek müssen uns nun darum kümmern, dass die Verleger Ihre Publikationen nicht
nur einmalig abliefern, sondern uns in Zukunft mit allen Neuerscheinungen versorgen.
Für den Landesverband Psychiatrie-Erfahrener Rheinland-Pfalz habe ich in dieser Hinsicht keine
Bedenken, denn Herr Wagner war sehr angetan von der Vorstellung, dass die Schriften seines
Verbandes in Zukunft über unsere Bibliothek einer breiten Öffentlichkeit zugänglich gemacht
werden können.
Unter www.stadtbibliothek-weberbach.de können Sie auf unseren online-Katalog zugreifen und
selbst nachschauen, welche für Sie interessanten Schriften wir im Bestand haben.
Mit herzlichen Grüßen
Dagmar Weck
Stadtbibliothek Trier, Weberbach 25, 54290 Trier
Trier, im Februar 2013
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2) Schwerpunkt-Thema: Psychisch bedingte Syndrome
Seite
Syndrom
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Das Jerusalem-Sydrom
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Paris-Syndrom
19
Stendhal-Syndrom
22
Warum Macht Politiker und Manager verblendet
24
Amentielles Syndrom und Verstandeswesen im Gegenwartsgefüge
31
Wahnsinn wird normal
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Leuchtfeuer Ausgabe 16
Syndrom
Aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
Das Syndrom (griechisch σύνδρομος sýndromos ‚begleitend‘, ‚zusammentreffend‘; aus συν syn ‚zusammen‘,
‚mit‘ und δρόμος drómos ‚der Weg‘, ‚der Lauf‘) ist in der
Medizin und Psychologie das gleichzeitige Vorliegen verschiedener Krankheitszeichen, sogenannter Symptome.
Deren ursächlicher Zusammenhang, also die Ätiologie, ist
mehr oder weniger bekannt oder kann zumindest vermutet werden, jedoch ist die Entstehung und Entwicklung der
Krankheit, die Pathogenese, nicht bekannt.[1] Wenn sowohl Ätiologie als auch Pathogenese bekannt sind, handelt
es sich um ein Krankheitsbild. Von Syndrom wird häufig
dann gesprochen, wenn es sich um zumindest in gewisser
Hinsicht einheitliche und in vergleichbaren Fällen ähnliche
Krankheitszeichen handelt. Eine andere Bedeutung hat der
Begriff Symptomenkomplex.[2]
Gehäuftes Zusammentreffen von einheitlichen oder zumindest in gewisser Hinsicht vergleichbaren Symptomen
lässt mit einiger Wahrscheinlichkeit auf einen ätiologischen
Zusammenhang im Sinne der Korrelation schließen. Dies
stellt bei der Diagnose einer Krankheit immer den ersten
Schritt zu einer Nosologie (= Krankheitssystematik oder
Krankheitslehre) und damit zu ihrem Verständnis und zu
ihrer Behandlung dar.
Beispiele:
o
o
o
o
o
o
o
o
o
Apallisches Syndrom
Adrenogenitales Syndrom
Alterssyndrome
Down-Syndrom
Funktionelle Syndrome
Postthrombotisches Syndrom
Vegetatives Syndrom
AIDS, die Abkürzung für „Acquired Immune Deficiency Syndrome“, dt.: „Erworbenes Immunschwächesyndrom“
Kongenitales Schielsyndrom
der Adipositas in den USA, Syndrom der Verschuldung
privater Haushalte usw.
o
In der Kodierungstheorie, einem Teilgebiet der angewandten Mathematik, steht der Begriff Syndrom für
die „Symptome der Fehler“ welche in einem Codewort
im Rahmen einer digitalen Datenübertragung bzw. Datenspeicherung auftreten können. Der Begriff wird im
Rahmen verschiedener Fehlerkorrekturverfahren verwendet. Ein Syndrom bei einem linearen Code ist definiert als eine Multiplikation eines empfangenen bzw.
gelesenen, möglicherweise ungültigen Codewortes am
Empfänger (Decoder) mit der Prüfmatrix (Kontrollmatrix) und ist als wesentliche Eigenschaft nur von dem
möglicherweise aufgetretenen Fehler und nicht von
dem gesendeten Codewort abhängig. Ist kein Fehler
vorhanden, ist das Syndrom s daher immer gleich dem
Nullvektor. Liegt ein Übertragungsfehler vor, gibt das
Syndrom s als Vektor die fehlerhafte Datenstelle an,
welche in Folge richtiggestellt werden kann.
Siehe auch
o
o
o
Liste der Syndrome
Syndromanalyse
Komplex (Medizin)
Einzelnachweise
1. Spranger J. Monatsschr Kinderheilkd. 1989 137:2
2. Roche Lexikon Medizin. Urban & Fischer, 5. Aufl.
2003, ISBN 3-437-15157-6, Fernladbares Stichwort /
Stw.-Suche
Bitte den Hinweis zu Gesundheitsthemen beachten!
Kategorie: Nosologie
Wenn drei Symptome typischerweise gemeinsam auftreten, sprechen Mediziner von einer Trias (zum Beispiel
„Merseburger Trias“ beim Morbus Basedow), bei vier von
einer Tetralogie (zum Beispiel Fallot-Tetralogie), bei fünf
von einer Pentalogie.
Weitere Begriffsverwendung
o
o
Wikipedia® ist eine eingetragene Marke der Wikimedia
Foundation Inc.
In der Soziologie wird eine Gruppe von Merkmalen
oder Faktoren, deren gemeinsames Auftreten einen
bestimmten Zusammenhang oder Zustand anzeigt,
ebenfalls als Syndrom bezeichnet. Beispiele: Syndrom
o
Diese Seite wurde zuletzt am 19. Januar 2013 um 05:27
Uhr geändert.
Der Text ist unter der Lizenz „Creative Commons Attribution/Share Alike“ verfügbar; zusätzliche Bedingungen können anwendbar sein. Einzelheiten sind in
den Nutzungsbedingungen beschrieben.
15
Leuchtfeuer Ausgabe 16
http://www.tagesspiegel.de/weltspiegel/gesundheit/heilige-krankheit-das-jerusalem-syndrom/5992492.html
26.12.2011 13:35 Uhr
Heilige Krankheit
Das Jerusalem-Syndrom
Von Mounia Meiborg
Christen, Muslime und Juden – sie alle finden in Jerusalem ihre Heiligtümer. Und manch einen Gläubigen
macht das verrückt. Einblicke in eine sehr spezielle Krankheit.
Blick auf Jerusalem. - Foto: AFP
Der Messias trägt einen grünen Rock
aus Cord. Tagsüber läuft er durch die
Altstadt und predigt, nachts schläft er
in Höhlen außerhalb der Stadtmauer.
Er hat einen Plan für den Weltfrieden. Aber als er den auf dem Ölberg
verkündet, wird er von arabischen Jugendlichen zusammengeschlagen.
psychische Störung, die jedes
Jahr einige Touristen befällt. So
wie Herbert, den
Mann im grünen
Cord. Nicht alle
von ihnen halten sich für eine
Figur aus der
Bibel, manche
reden auch vom
Jüngsten Gericht
oder haben andere Wahnvorstellungen.
Aber nicht nur Jesus wurde in der Altstadt von Jerusalem gesichtet, auch
die Jungfrau Maria, König David und
Moses kann man dort treffen.
Uwe Gräbe hat in sechs Jahren nur
einen Messias kennengelernt. Aber in
seine Gemeinde, die Erlöserkirche im
christlichen Teil der Altstadt, kommen
oft Menschen, bei denen nicht klar ist,
ob sie noch normale Pilger sind oder
schon psychisch krank. „Die Mühseligen und die Beladenen“, nennt er
sie. Wie die alleinerziehende Mutter,
die mit ihren zwei Töchtern kam, weil
sie überzeugt war, dass Gott in Jerusalem zu ihr sprechen würde. Monatelang zog sie durch die Kirchen, die
Kinder verwahrlosten vor dem Fernseher. „Die Stadt ist ein Katalysator“,
glaubt Gräbe. „Sie fördert das, was in
den Menschen drinsteckt.“ Im Fall der
Mutter war es das Unvermögen, mit
einer Lebenskrise umzugehen. Es sind
Fälle, die den Pfarrer beschäftigen.
Und sie werden mehr, sagt Gräbe, die
Messiasse dagegen weniger.
So steht es jedenfalls in den Reiseführern. Jerusalem-Syndrom heißt die
Die Suche nach harten Fällen führt
von der Erlöser- zur Grabeskirche,
Drei Jahre ist das jetzt her. Seitdem
hat Uwe Gräbe, Propst der Deutschen
Evangelischen Kirche in Jerusalem,
den angeblichen Messias nicht mehr
gesehen. Die Israelis haben dem
Mann, der eigentlich Herbert heißt,
ein Einreiseverbot in den Pass gestempelt.
16
nur eine Straßenecke entfernt. In der
Kirche wurden schon einige biblische
Figuren gesehen. Weihrauch hängt in
der Luft, Tauben fliegen herum. Japanische Geschäftsmänner posieren
vor der Grabstätte, Russinnen tragen
kurze Röcke und Sonnenbrillen. Frauen mit Kopftüchern küssen die Stelle,
an der Jesus’ toter Körper gelegen haben soll. Andachtsvoll legen sie Kerzen auf den kalten Stein. Eine Frau,
die aus der Grabstätte herauskommt,
schluchzt heftig. Ein erstes Anzeichen
für religiösen Wahnsinn?
Nein, würde das Urteil von Arzt Gregory Katz lauten. Er arbeitet da, wo
das Jerusalem-Syndrom im Jahr 2000
zum ersten Mal beschrieben wurde: am Kfar- Shaul-Krankenhaus.
Die Psychiatrie liegt im Vorort Givat
Shaul, einem orthodoxen jüdischen
Viertel, in dem Männer schwarze Hüte
tragen und Frauen lange Röcke. Die
Klinik besteht aus kleinen, verstreut
liegenden Häusern. Es sind die Überreste eines arabischen Dorfes, das
bis zum israelisch-palästinensischen
Krieg 1948 hier stand. „So ist das im
Krieg: Die einen gewinnen, die anderen verlieren“, sagt der Pförtner auf
dem Weg zur Notaufnahme. Vielleicht
passt es zu dieser Stadt, dass dort, wo
Muslime einst von Juden vertrieben
wurden, heute Christen behandelt
werden. Vielleicht sind die Touristen
mit Jerusalem-Syndrom gar nicht die
Verrücktesten hier.
Gregory Katz – schlank, Brille, kurze
graue Haare – ist der Leiter der Notaufnahme. Zu ihm kommen dieje-
Leuchtfeuer Ausgabe 16
nigen, die so auffällig sind, dass sie
jemand einliefert. Die Polizei zum
Beispiel. Denn der Versuch, in der Altstadt Muslime und Juden zu bekehren,
endet manches Mal in einer Schlägerei.
Die Krankheit tritt in zwei verschiedenen Varianten auf: Beim „reinen“
Jerusalem-Syndrom war der Betroffene vorher noch nicht psychisch krank.
Erst nach der Ankunft in Jerusalem
gerät er in einen manischen Zustand.
Von diesem Typ bekommt Katz nur
etwa einen Fall pro Jahr. Häufiger ist
der zweite Typ, das „überlagerte“ Syndrom. Diese Patienten waren vorher
schon krank, meist manisch-depressiv
oder schizophren. Von denen gibt es
15 bis 30 pro Jahr. Der Drang, die heiligen Stätten in Jerusalem zu sehen, ist
bei ihnen oft Teil der Krankheit.
Insgesamt gibt es jedoch immer weniger Fälle. In den vergangenen zehn
Jahren ist die Zahl der Patienten um 40
Prozent gesunken, sagt Gregor Katz.
Der 50-jährige Psychiater redet langsam und stockend. Auf keinen Fall will
er allzu einfache Erklärungen für das
Phänomen abgeben. Er glaubt nicht
daran, dass die Stadt eine bestimmte
Atmosphäre habe, die die Menschen
krank mache. „Es ist alles in unserer
Psyche“, sagt er – und vergleicht Jerusalem mit Graceland, wo Elvis-Fans
gelegentlich durchdrehen. „Für religiöse Christen ist Jerusalem ein Ort, an
dem Himmel und Erde sich berühren.
Da zu stehen, wo Jesus gekreuzigt und
beerdigt wurde: Das ist eine einmalige Erfahrung, die sehr verwirrend sein
kann.“
Katz’ Job ist es, jeden Patienten zu
verstehen. Nachsichtig erzählt er von
der Frau, die in ein Krankenhaus kam,
um den Messias zur Welt zu bringen.
Oder von dem Mann, der dem Küchenpersonal im Hotel befahl, das
letzte Abendmahl zuzubereiten. Einige der Patienten fallen auf, wenn sie
die Hotellaken als Gewand benutzen.
Beliebt seien bei den Patienten die
günstigen Unterkünfte in der Altstadt,
sagt der Arzt, wie das Petra-Hostel.
Manche robben auf ihren Knien
durch die Grabeskirche
Das Petra-Hostel liegt kurz hinter dem
Jaffa-Tor, durch das die meisten Touristen in die Altstadt strömen. Händler
versuchen, rosafarbene Schals aus Indien loszuwerden und begrüßen jede
vorbeilaufende Frau gewissenhaft mit
einem „I like you“. Aus dem Gedränge führt eine Stiege nach oben, wo
Hostelmanager Hazim Saeed hinter
einer Glasscheibe sitzt. „Nein“, sagt er
bestimmt, er wisse von nichts. In seiner Herberge haben keine Verrückten
gewohnt. Er sorgt sich wohl um den
guten Ruf seines Hauses.
Dann, im ruhigeren armenischen Viertel, kennt es doch einer: Adam Edilih.
Seit zwei Jahren arbeitet der 30-Jährige an der Rezeption vom Citadel
Hostel. Drei Leute hat er seitdem getroffen, von denen er glaubt, dass sie
das Jerusalem-Syndrom hatten. An
einen erinnert er sich besonders gut.
„Das war ein netter Typ, gebildet, kein
Dummschwätzer wie so viele andere.“
Er kam aus Finnland, Mitte 30, und
wollte Urlaub machen mit Frau und
Tochter. Er trug Shorts und Sportschuhe und war rasiert. Dann, plötzlich,
ließ er sich einen Bart wachsen. Jeden
Tag trug er dieselben Kleider, „Hippielook“, sagt Edilih verächtlich.
Tagsüber ging er in Kirchen und zu
Pfarrern, und wenn er abends ins Hostel kam, faselte er von Sünden und
Pilger und Prediger in den Straßen der Heiligen Stadt.
Foto: Reuters
Also weiter durch die Gassen, vorbei
an spanischen Pilgern, die ein mannsgroßes Holzkreuz schleppen, und
griechisch-orthodoxen Mönchen in
schwarzen Kutten. Die meisten Hotelbetreiber haben noch nie von dem
Syndrom gehört: „Jerusalem what?“,
fragt einer. Das Jerusalem-Syndrom
hat belgische Rockbands zu ihrem
Namen inspiriert, französische Filme,
türkische Songs und amerikanische
Bücher. Aber in der Altstadt will es
keiner kennen?
Umkehr. „Er war immer noch nett,
aber man konnte sehen, dass etwas mit
ihm nicht stimmte.“ Ein paar Monate
später kam er zurück, allein. Die Frau
hatte ihn verlassen. Bis heute kommt
er drei- oder viermal im Jahr. Edilih
weiß nur, was der Finne ihm erzählt:
Dass er dazu bestimmt ist, in Jerusalem zu beten.
Bei Doktor Katz ist der Finne bisher
nicht gelandet. Denn er ist nie so auffällig geworden, dass man ihn einlie-
17
Leuchtfeuer Ausgabe 16
fern musste. Sein Profil passt aber zu
dem anderer Betroffener. Die meisten
stammen aus den USA oder aus Skandinavien. Fast alle sind sehr religiöse
Christen, in der Regel Protestanten.
400 Christen hat Katz in zehn Jahren
behandelt, aber nur zwei Muslime und
vier Juden. Warum das so ist, darüber
will Gregory Katz nicht spekulieren.
„Wenn ein jüdischer Arzt über christliche Pilger spricht, kommt das nicht
so gut an.“ Sicher ist, dass die Patienten im Durchschnitt 35 Jahre alt sind.
Und dass es Frauen etwas öfter trifft
als Männer. Diagnostiziert wurde das
Syndrom 2000 vom israelischen Arzt
Yair Bar-El. Aber Berichte darüber
sind schon viel älter.
Die Spuren zum Ursprung der Krankheit führen hinauf auf den SkopusBerg. Hier hat man eine gute Sicht
auf die Altstadt, ein Meer weißer Dächer, aus dem golden die Kuppel des
Felsendoms ragt. Hier oben liegt die
Universität, und die Regale der Bibliothek sind voll mit Büchern zur Stadtgeschichte. In einem davon steht, dass
in den 1930er Jahren ähnliche Symptome als „Fièvre jerusalemienne“,
also als Jerusalem-Fieber, bezeichnet
wurden. Auch aus dem 19. Jahrhundert sind Fälle überliefert. Und schon
im Mittelalter beschrieben Pilger ihre
besonderen Erlebnisse in der Stadt.
Eine von ihnen war Margery Kempe.
Im frühen 15. Jahrhundert pilgerte die
Engländerin durch Europa und Asien.
Die beschwerlichste Reise führte sie
nach Jerusalem. Ihre Ergriffenheit beschreibt sie, wie immer in dritter Person von sich erzählend, so: „Und als
sie zum Berg Golgatha kamen, fiel sie
hin, weil sie nicht stehen oder knien
konnte, und rollte und rang mit ihrem
Körper, und spreizte ihre Arme ab,
und schrie mit lauter Stimme, als ob
ihr Herz auseinanderbräche. Denn in
der Stadt ihrer Seele sah sie wahrlich
und klar, wie Unser Herr gekreuzigt
wurde.“
Zwar hielt sich Margery Kempe nicht
18
für eine Figur aus der Bibel. Aber ihre
Anfälle und Visionen – öfters erschien
ihr auch Jesus – wären typisch für das
Syndrom. Ihre Beschreibungen erinnern an einen Fachartikel vom Arzt
Yair Bar-El, in dem er die Symptome
so schildert: Zu Beginn sind die Betroffenen aufgeregt und schotten sich
ab. Später waschen sie sich obsessiv
und ziehen weiße Gewänder an. Viele
singen laut oder rufen Bibelverse. Oft
werden sie in diesem Zustand schon
eingeliefert. Falls nicht, prozessieren
sie im letzten Stadium der Krankheit
zu einer heiligen Stätte, um dort zu
predigen.
Zurück in der Altstadt. Wenn man nicht
nur nach weißen Bettlaken Ausschau
hält, fallen plötzlich einige seltsame
Menschen auf: Auf der Via Dolorosa
läuft einer ganz in Weiß, ein goldenes
Stirnband um den Kopf, und hebt die
Arme, als wolle er predigen. Ein Andenkenverkäufer kennt eine Frau, die
auf Knien durch den Chorraum der
Grabeskirche robbt und sich für Maria
Magdalena hält. Ein Touristenführer
erzählt, dass er bereits Verrückte an
der Klagemauer gesehen habe, die
dort Juden bekehren wollten.
Der Weg dorthin führt einmal quer
durch die Altstadt. Vorbei am arabischen Markt, wo blechern der Muezzin aus den Boxen ruft; vorbei an der
Grabeskirche, in der sechs christliche
Gemeinden darum streiten, wer welche Treppenstufe putzen darf, dessen
Hausmeister deshalb ein Moslem ist,
und wo immer ein Gedränge herrscht.
Vielleicht ist einfach der Platzmangel
das Problem. Vier Viertel gibt es auf
einem knappen Quadratkilometer, ein
christliches, jüdisches, muslimisches
und armenisches. 1948 besetzten
Jordanier die Altstadt und warfen die
Juden hinaus. 1967 besetzten Israelis
die Altstadt und warfen die Araber hinaus. Heute ist der Status ungeklärt.
Das israelische Militär kontrolliert
zwar die Altstadt, aber die internationale Gemeinschaft erkennt die Besat-
zung nicht an. So kommt es, dass eine
unscheinbare Holzbrücke zwischen
Tempelberg und Klagemauer israelische, jordanische und ägyptische Politiker streiten lässt. Wer das normal
findet, ist verrückt.
Dunkelblau hängt der Himmel über
der Klagemauer, Scheinwerfer erleuchten ihren hellen Stein. Vielleicht
bietet die Stadt einfach eine gute Kulisse, um durchzudrehen – für Pilger
wie für Einheimische. Es ist Freitagnachmittag, der Sabbat beginnt. Auf
dem Vorplatz warten Hunderte Soldaten, die Maschinengewehre über
der Schulter, um zusammen zu feiern.
Orthodoxe Jungen tanzen Arm in Arm
zum Gebet, Ultraorthodoxe eilen mit
der Thora in der Hand an ihnen vorbei.
Ein verschwitzter Jogger bahnt sich
seinen Weg durch die Menge.
Ein weißes Gewand trägt keiner. Die
Suche nach dem Jerusalem-Syndrom,
sie endet hier. Diese Stadt, das wird
wieder einmal klar, ist mehrfach geteilt: Nicht nur zwischen Klagemauer
und Tempelberg, jüdisch und arabisch,
West- und Ostjerusalem. Sondern auch
zwischen den säkularen Juden, die am
Sabbat joggen gehen, und den Ultraorthodoxen, die Werbeplakate mit weiblichen Models am liebsten verbieten
möchten.
In dieses Chaos kommen die Touristen. Die allermeisten von ihnen werden nicht verrückt. Sie gucken Kirchen, Moscheen und Synagogen an
und fahren wieder. Die allerwenigsten
lernen Doktor Katz so kennen wie der
Messias auf dem Ölberg. Und ein paar
werden einfach seltsam.
Wie der Mann, der stundenlang am
Ausgang der Altstadt steht. Am JaffaTor wartet er mit langem Bart, stumm
und unbeweglich, während die Touristenmassen an ihm vorbeiziehen. Die
Schrift auf seinem T-Shirt ist auch im
Dunkeln gut zu lesen. „Jesus is coming back.“
Leuchtfeuer Ausgabe 16
Paris-Syndrom
Aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
Als Paris-Syndrom (französisch
syndrome de Paris, japanisch Pari
shōkōgun) wird eine vorübergehende
psychische Störung bezeichnet, die
meist Japaner beim Aufenthalt in Paris
trifft. Es handelt sich um ein kulturgebundenes Syndrom, das ähnlicher Natur ist wie das Stendhal- und das Jerusalem-Syndrom, nicht jedoch um eine
anerkannte Diagnose (nach ICD-10
oder DSM-IV). Als Auslöser des Paris-Syndroms gilt die starke Differenz
zwischen der Erwartungshaltung der
Touristen und der Realität der Stadt.
Inhaltsverzeichnis
1 Geschichte
2 Häufigkeit
3 Symptome
4 Auslöser
5 Behandlung
6 Rezeption
6.1 Kritik
6.2 Kultur
7 Siehe auch
8 Literatur
9 Weblinks
10 Einzelnachweise
Stendhal-Syndrom entstehen.
Häufigkeit
Die Zahl der Fälle pro Jahr ist nicht
genau erfasst. In der Berichterstattung
zum Syndrom liegen die Zahlen zwischen 12 und 100 Fällen pro Jahr.[1][2]
Die japanische Botschaft in Paris
spricht von 20[5] bis 24 „gravierende[n]
Fälle[n]“ pro Jahr.[6]
Im Artikel Les Japonais en voyage pathologique à Paris: un modèle original
de prise en charge transculturelle, der
2004 im französischen Psychiatriemagazin Nervure erschien, nennen die
Autoren, darunter auch Ota, eine Zahl
von 63 Patienten zwischen 1988 und
2004.[7] Von diesen 63 Patienten waren 34 Frauen und 29 Männer im Alter
zwischen 20 und 65 Jahren, wobei 50
% zwischen 20 und 30 Jahren alt waren.
Der Eiffelturm,
Wahrzeichen der Stadt Paris
Geschichte
Die Grundlage des Begriffs ParisSyndrom (Pari shōkōgun) lieferte der
in Paris arbeitende japanische Psychiater Hiroaki Ota, der 1991 das Buch
Pari shôkôgun veröffentlichte und
schon 1986 die ersten Personen mit
dem Syndrom diagnostizierte.[1][2][3]
Youcef Mahmoudia, Arzt am HôtelDieu de Paris, kam zu dem Schluss,
das Paris-Syndrom sei eine psychopathologische Manifestation, die eher
mit der Reise als mit dem Reisenden
verbunden sei.[4] Seiner Theorie nach
bringt die Aufregung, die der Besuch
in Paris auslöst, eine Erhöhung der
Herzfrequenz mit sich, was zu Kurzatmigkeit und Schwindelgefühlen führt,
wodurch Halluzinationen ähnlich dem
Japanische Touristen in Paris
19
Leuchtfeuer Ausgabe 16
Laut Ota sind vor allem japanische
Frauen in ihren Dreißigern betroffen.[6][2] Das Syndrom ist nicht auf
Touristen beschränkt: In einem Artikel aus dem Jahr 2005 erwähnte Ota,
dass 73 % der Patienten junge Frauen seien, die eine geringe Motivation
besitzen, die Sprache Französisch zu
lernen, jedoch durch die finanzielle
Unterstützung ihrer Familie in Paris
leben können.[8][9] Auch junge Frauen aus diesen familiären Verhältnissen,
die mit „romantischen Vorstellungen“
etwa Kunstgeschichte in Paris studieren wollen, fallen in dieses Muster.[1]
Zwischen 700.000[1] und einer Million[2] Japaner besuchen Paris pro
Jahr und zwischen 20.000[10][11] und
25.000[12][13] Japaner leben in Paris,
wobei in anderen Quellen jedoch auch
28.000 japanische Einwohner genannt
werden.[14] 2004 waren 14.000 japanische Bewohner von Paris beim Konsulat gemeldet, wobei von „weiteren
tausenden“ ausgegangen wurde, die
nicht beim Konsulat gemeldet waren.[15]
1996 lebten 20.060 Japaner in Frankreich, 9.012 davon in Paris.[3]
Symptome
Das Paris-Syndrom ist durch einige
psychische Symptome gekennzeichnet: akute Wahnzustände, Halluzinationen, Verfolgungswahn (Wahrnehmung, ein Opfer von Vorurteilen,
Aggression oder Anfeindung durch
andere zu sein), Derealisation, Depersonalisation, Angst sowie psychosomatische Manifestationen wie etwa
Schwindel, Tachykardie oder Schwitzen.[16]
Die Ausprägungen unterscheiden
sich. So berichtete Yoshikatsu Aoyagi,
Konsulatschef der japanischen Botschaft in Paris, im Oktober 2006 von
zwei Frauen, die glaubten, ihr Hotelzimmer sei verwanzt und gegen sie sei
eine Verschwörung gerichtet; einem
20
Mann, der der Überzeugung war, er
sei Ludwig XIV., und einer Frau, die
glaubte, sie werde mit Mikrowellen
attackiert.[17]
Auslöser
Der Artikel Les Japonais en voyage
pathologique à Paris: un modèle original de prise en charge transculturelle beschrieb die Kombination von vier
Faktoren als Auslöser für das ParisSyndrom:
o Sprachbarriere: Nur wenige Japaner sprechen Französisch und nur
wenige Franzosen sprechen Japanisch. Dies scheint der Hauptgrund
zu sein und die restlichen Faktoren
zu bedingen.
o Kulturelle Unterschiede: Es gibt
nicht nur einen großen Unterschied
zwischen den Sprachen, sondern
auch in der Gestik und Mimik.
Im Gegensatz zur höflichen Umgangsform der Japaner verhalten
sich Franzosen oft unförmlicher,
was von Japanern als unfreundlich
aufgefasst wird. Die schnelle und
häufige Änderung in Sprache und
Verhaltensweise, besonders in Hinsicht des Humors, stellt dabei das
größte Problem dar. Mario Renoux,
der Präsident der französisch-japanischen Ärztegesellschaft, beschrieb in einem AP-Artikel die
„aggressive Ungeduld und de[n]
direkten Humor der Franzosen“ als
einschüchternd.[15]
o Das idealisierte Bild von Paris: Es
besteht die Gefahr, dass Besucher
unfähig sind, das populäre japanische Bild von Paris mit der Wirklichkeit in Einklang zu bringen.
o Erschöpfung: Durch die Überbelegung der eigenen Zeit und Energie,
sei es auf einer Geschäftsreise oder
im Urlaub, kommt es zur psychischen Destabilisierung einiger Besucher. Beim Versuch, möglichst
viel bei ihrem Aufenthalt in Paris
zu erleben, übernehmen sie sich.
Zusätzlich kommen noch die Auswirkungen des Jetlags hinzu.
Renoux nannte in einem Artikel in der
Tageszeitung Libération japanische
Zeitschriften als hauptverantwortlich
für die Entstehung des Syndroms. Renoux gibt an, dass in japanischen Medien (speziell jedoch in Magazinen)
Paris als ein Ort beschrieben wird, in
dem die meisten Menschen auf der
Straße wie Models aussehen und die
meisten Frauen Kleidung der Marke
Louis Vuitton tragen.[18] In einem anderen Bericht wurde er hinsichtlich der
japanischen Sicht auf Paris so zitiert:
« Ils voient le Montparnasse des
Années folles, Manet, Renoir, et des
Parisiennes habillées comme des
gravures de mode. »
„[Die Japaner] sehen den Montparnasse der goldenen Zwanziger, Manet, Renoir und Pariser, die so angezogen sind, wie Modepuppen.“[19]
Andere idealisierende Einflüsse könnten Filme wie Die fabelhafte Welt der
Amélie sein, die Paris romantisch verklärt darstellen.[2] Die Besucherzahlen
des Films in den Kinos in Japan lagen
bei 1,3 Millionen Personen, wodurch
Japan bei den Besucherzahlen auf
Platz 6 weltweit lag.[20] Zudem leben
einige japanische Fernseh- und Filmberühmtheiten in Paris.[14]
Behandlung
Bei leichteren Fällen wird das ParisSyndrom durch Bettruhe und Hydration behandelt, bei schwereren Fällen
auch durch den Aufenthalt in einer
Klinik (25 % der Fälle[19]) und durch
die Heimreise.[21] In einem Viertel
der Fälle, die die japanische Botschaft
bearbeitet, wird eine sofortige Heimreise nötig.[6] Im Jahr 2011 gab es
mindestens sechs Fälle, in denen die
Botschaft eine Heimreise unter medizinischer Beaufsichtigung veranlassen
musste.[21] Die Botschaft bietet eine
Hotline bezüglich des Paris-Syndroms
an, die 24 Stunden am Tag erreichbar
ist.[22]
Leuchtfeuer Ausgabe 16
Nach Aussagen von Mahmoudia geht
es nach der Behandlung „einem Drittel sofort besser, ein Drittel erleidet
Rückfälle und der Rest bekommt Psychosen“.[17]
2006 gründete Yoshikazu Sekiguchi
in Paris einen Ableger der Nichtregierungsorganisation green bird, die es
sich zur Aufgabe gemacht hat, Städte zu reinigen. Sekiguchi gab an, die
green birds wollen „Paris attraktiver
machen“, was „auch gegen das ParisSyndrom“ helfen würde.[1][23]
Rezeption
Kritik
Ein Editorial in der Japan Times kritisierte die Bezogenheit der Studie
auf japanische Touristen und sah die
Frage ungeklärt, warum das Syndrom
speziell in Paris und nicht etwa auch in
„New York oder Mexico City“ auftrete.
Der Artikel schloss: „Selbst wenn Paris eine Hand voll psychisch anfällige
japanische Reisende zum Arzt schickt,
scheint es eine Übertreibung, ihre Bedrängnisse als Syndrom zu kennzeichnen“ („Even if Paris does send a handful of fragile Japanese travelers to the
doctor, it seems a stretch to label their
affliction a syndrome.“).[24]
In dem Artikel „Say Cheese!“ von
Lauren Collins im Magazin The New
Yorker beschäftigte sich diese mit
dem Paris-Syndrom und einem eventuell analog existierenden New-YorkSyndrom. Dabei zitierte sie Howard
Sigman, einen Konsulatsbeamten des
japanischen Konsulats in New York.
Dieser gab an, er glaube nicht an das
Paris-Syndrom oder eine „New-York-
Belastung“. Seiner Ansicht nach sind
die Fälle, die durch den Kulturschock
mit der japanischen Botschaft in Paris
zu tun haben, „meist das Ergebnis einer bereits existierenden psychischen
Erkrankung“.[25]
Der Wissenschaftsblog Neurobonkers
stellte die Vermutung auf, dass es sich
aufgrund der geringen Patientenanzahl
um einen Fall von Illusorischer Korrelation handeln könnte. Man ging von
einer Quote von 12 Erkrankten bei
einer Million japanischen Besuchern
pro Jahr aus und verglich dies mit
der Quote von Personen, die in ihrem
Leben einmal eine schizophrenische
Episode erleben, welche umgerechnet 7000 Erkrankte pro einer Million
Menschen beträgt.[26]
Der Blog royalwithcheese beschrieb
die Verwendung der Bezeichnung Paris-Syndrom für zwei unterschiedliche
Fälle. Zu Beginn sei diese auf Japaner,
die in Paris lebten, angewendet worden. Die Medien und Ärzte wie Youcef Mahmoudia und Mario Renoux
hätten es dann jedoch auf japanische
Touristen bezogen. Die Autorin bezweifelte den Syndrom-Charakter des
Paris-Syndroms und schrieb, dass es
„nicht mehr als der Ventilatortod in
Korea“ sei.[8]
2005 erschien. Es behandelt die Geschichte einer Praktikantin der japanischen Botschaft in Paris, die mit dem
Paris-Syndrom zu kämpfen hat.[28] Das
Buch wurde im Jahr 2008 von der
japanischen Regisseurin Saé Shimaï
verfilmt.[29] Auch der Film Mimi no
Nikki behandelte das Thema ParisSyndrom. Der Film erschien 2012 und
behandelt das Leben einer jungen Japanerin in Paris.[30]
Zudem existieren zwei Dokumentationen zum Paris-Syndrom. John Menicks „Paris Syndrome“ erschien 2010
und wird von diesem als „kurzes, filmisches Essay“ beschrieben. Die
Dokumentation ist dabei 27 Minuten
lang.[31] 2012 veröffentlichte Raphaël
George seine neunminütige Dokumentation „Le Syndrome de Paris“, in
der die Symptome des Syndroms beschreibt und Pierre Rameau, Arzt am
Hôpital Sainte-Anne, das Syndrom
erklärt.[32]
Der Kolumnist A. A. Gill der The
Sunday Times nannte scherzhaft Rom
als ein Heilmittel für das Paris-Syndrom.[27]
Der Künstler Jun Yang gestaltete in
der Galerie für Zeitgenössische Kunst
das Café Paris Syndrom[33], sowie ein
Hotelzimmer, welches er mit Hotel
Paris Syndrom betitelte. Das Hotel
Paris Syndrom öffnete im Dezember
2010[34] und entspricht, wie das Café,
dem Syndrom in soweit, dass original
französisch wirkende Möbelstücke
und Fotografien lediglich Nachbildungen sind und somit der Unterschied
zwischen Erwartung und Realität dargestellt wird.[35]
Kultur
[…]
Der französische Schriftsteller Philippe Adam verfasste ein Buch mit dem
Titel Le Syndrome de Paris, welches
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21
Leuchtfeuer Ausgabe 16
Stendhal-Syndrom
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Als Stendhal-Syndrom werden gewisse psychosomatische Störungen
bezeichnet, wenn diese im zeitlichen
Zusammenhang mit einer kulturellen
Reizüberflutung auftreten. Zu den
Symptomen zählen Panikattacken,
Wahrnehmungsstörungen und wahnhafte Bewusstseinsveränderungen.
Erstmals wissenschaftlich beschrieben wurde dieses nach dem französischen Schriftsteller Stendhal benannte
Syndrom 1979 von der italienischen
Psychologin Graziella Magherini.
Eine von Magherini zehn Jahre später
veröffentlichte Studie, in der sie mehr
als 100 für das Stendhal-Syndrom typische Krankheitsfälle von Touristen
in der Kunstmetropole Florenz beschrieb, machte das Syndrom international bekannt.
Bei der Besichtigung der Kirche Santa Croce, berühmt für
die Grabmäler von Florentinern
wie Michelangelo, Dante Alighieri oder Galileo Galilei, steigerte sich seine Begeisterung:
„Ich befand mich bei dem Gedanken, in Florenz zu sein, und
durch die Nähe der großen Männer,
deren Gräber ich eben gesehen hatte, in einer Art Ekstase. […] Als ich
Santa Croce verließ, hatte ich starkes Herzklopfen; in Berlin nennt
man das einen Nervenanfall; ich
war bis zum Äußersten erschöpft
und fürchtete umzufallen.“
– Stendhal: Reise in Italien[1]
Inhaltsverzeichnis
1 Historische Beschreibungen
2 Wissenschaftliche Studien
3 Rezeption
4 Einzelnachweise
5 Literatur
6 Weblinks
Historische Beschreibungen
Stendhal; Porträt von Johan Olaf Sodemark
Stendhal; Porträt von Johan Olaf Sodemark, 1840
Stendhal fühlte sich wie ein Verliebter
Der Begriff Stendhal-Syndrom be- und genoss die „angenehmen Sensazieht sich auf eine Notiz aus der 1817 tionen“, zeigte sich in seiner Schildeveröffentlichten Reiseskizze Reise in rung aber gleichzeitig bestürzt über
Italien (Originaltitel: Rome, Naples seinen Erschöpfungszustand.
et Florence), in der der französische
Schriftsteller Marie-Henri Beyle, be- Stendhals Schilderung ist nicht das
kannt unter dem Pseudonym Stendhal, einzige literarische Beispiel für das
seine Eindrücke bei seinem Besuch überwältigende Gefühl, das europäin der italienischen Stadt Florenz be- ische Intellektuelle bei ihrer Grand
schrieb. Schon bei der Ankunft in der Tour in Italien angesichts der Fülle der
Stadt fühlte er sich wie in einem Wahn Kunst- und Bauwerke überkam. So
und konnte keinen klaren Gedanken beschrieb der Schriftsteller Wilhelm
fassen.[1]
Heinse Ende des 18. Jahrhunderts in
einem Brief ein Gefühl des Schwe-
22
Ansicht der Stadt Florenz
bens, als er das Pantheon in Rom
betreten hatte,[2] während Heinrich
Heine in seinen Reisebildern über
den Mailänder Dom urteilte, dass die
unzähligen Heiligenbilder einem fast
die Sinne verwirrten.[3] Mit Beginn
des organisierten Tourismus Mitte des
19. Jahrhunderts nahm vor allem die
Zahl der Besucher aus den Vereinigten
Staaten in den europäischen Kunstmetropolen zu. In ihren Reiseberichten
finden sich immer wieder Zeugnisse
großer Ergriffenheit, verbunden mit
Zuständen großer Verwirrung.[4]
Eine erste psychologische Bewertung
des Kunstempfindens lieferte Sigmund Freud, der 1936 im Rückblick
seinen ersten Besuch der Athener
Akropolis als eine „Erinnerungsstörung“ beschrieb, die in ihm Schuldgefühle ausgelöst hatte.[5]
Wissenschaftliche Studien
Der italienischen Ärztin Graziella
Magherini fielen während ihrer Tätigkeit als Leiterin der psychologischen
Abteilung des Florentiner Krankenhauses Santa Maria Nuova einander
ähnelnde Krankheitsfälle unter ausländischen Touristen auf, die sie als
eine Reaktion auf die Fülle an Kunstwerken und -eindrücken in Florenz
deutete. In Anlehnung an die Reiseberichte Stendhals nannte sie 1979 diese
psychosomatische Störung StendhalSyndrom.[6] In den folgenden Jahren
studierte Magherini mit ihrem Team
zahlreiche Fälle von Patienten, die unter dem Stendhal-Syndrom litten. 106
Leuchtfeuer Ausgabe 16
dieser Krankengeschichten wurden
von Magherini im Januar 1989 in der
Monografie La Sindrome di Stendhal
veröffentlicht, wodurch der Begriff
„Stendhal-Syndrom“ einer breiten Öffentlichkeit bekannt wurde.
dem sie exemplarisch an Michelangelos David-Statue die Wirkung von
Kunstwerken auf den Menschen beschrieb.[9]
Merkmal des Stendhal-Syndroms
sei ein „Verlust der Kohäsion des
Selbst“.[7] Magherini unterschied drei
Varianten von Symptomen. Bei einer
Gruppe von Patienten äußerte sich das
Stendhal-Syndrom durch Störungen
des Denkens und der Wahrnehmung,
die Halluzinationen und wahnhafte
Stimmungen sowie tiefe Schuldgefühle bei den Betroffenen auslösten. Eine
zweite Gruppe entwickelte affektive
Störungen, die sowohl zu Allmachtsphantasien als auch zur Erkenntnis
der eigenen Bedeutungslosigkeit angesichts der Fülle an Kunstschätzen
führten. Bei einer dritten Gruppe von
Patienten trat das Stendhal-Syndrom
als eine Panikattacke auf, die mit erhöhtem Blutdruck, Ohnmachtsanfällen, Bauchschmerzen und Krämpfen
verbunden war. Die meisten der vom
Stendhal-Syndrom betroffenen Touristen waren zwischen 26 und 40 Jahre alt und unverheiratet. Alle Patienten
waren Ausländer, zumeist aus den
Vereinigten Staaten und der Nordhälfte Europas. Mehr als die Hälfte aller
Patienten waren zuvor in psychologischer Behandlung.[8]
Erste Veröffentlichungen über das
Stendhal-Syndrom wurden von Medizinern kontrovers kommentiert.[10]
Die von Magherini gestellte Diagnose
wird nicht generell anerkannt, einige
Ärzte betrachten das Stendhal-Syndrom als eine der bekanntesten Formen einer Neurose.[11] Magherini
wurde vorgeworfen, verschiedene
psychopathologische Symptome und
anekdotische Beobachtungen zusammengefasst zu haben.[12] Andere
Ärzte sehen in dem Stendhal-Syndrom dagegen eine ernstzunehmende
psychische Störung,[13] die vor allem
von Reisemedizinern näher untersucht
wird.[14]
Nach der Veröffentlichung ihrer Studien arbeitete Graziella Magherini
an weiteren Untersuchungen zum
Stendhal-Syndrom. Im Jahr 2007 veröffentlichte sie ein weiteres Buch, in
Rezeption
In der Kunstwelt wurde das StendhalSyndrom dagegen bereitwilliger angenommen. Die ausführliche Behandlung des Themas in der Presse beim
Erscheinen von Magherinis Buch
machte das Syndrom schnell bekannt.
Mehrere Schriftsteller übernahmen
das Motiv des von der Kunst überwältigten Betrachters in ihre Werke. Bereits 1989 veröffentlichte der niederländische Dramatiker Frans Strijards
das Theaterstück Das Stendhal-Syndrom.[15] Ein Jahr später veröffentlichte die in Italien lebende deutsche
Schriftstellerin Christine Wolter die
Erzählung Das Stendhal-Syndrom.[16]
Eine weitere Thematisierung findet
sich in dem Roman Die florentinische
Krankheit von Willi Achten.[17]
Die bekannteste künstlerische Umsetzung des Stendhal-Syndroms ist Dario
Argentos Horrorthriller Das StendhalSyndrom (Originaltitel: La sindrome
di Stendhal) aus dem Jahr 1996. In
diesem Film spielt Argentos Tochter
Asia eine junge italienische Polizistin,
die auf der Suche nach einem Serienmörder in den Florentiner Uffizien
einen Zusammenbruch erleidet und so
in die Hände des Mörders (dargestellt
von Thomas Kretschmann) gerät.
Der hohe Bekanntheitsgrad des Stendhal-Syndroms, das auch in Reiseführern über Florenz Erwähnung fand,
führte nach Angaben von Graziella
Magherini zu einem deutlichen Rückgang der Erkrankungen in Florenz.[9]
Gleichzeitig wurden in medizinischen
und populärwissenschaftlichen Veröffentlichungen ähnliche Syndrome
mit Bezug auf andere Touristenziele
beschrieben. So bezeichnet das Jerusalem-Syndrom eine psychische
Störung, die zahlreiche Besucher der
heiligen Stadt Jerusalem befällt. Angesichts der hohen Zahl von Selbstmordversuchen deutschsprachiger Touristen in Venedig wurde ein VenedigSyndrom diagnostiziert,[18] während
bei japanischen Touristen das häufige
Auftreten eines Paris-Syndroms beschrieben wurde.[19][20][21]
[...]
Literatur
Graziella Magherini: La Sindrome di Stendhal. Ponte Alle Grazie, Florenz 1989. ISBN 978-88-7928-308-3.
Graziella Magherini: «Mi sono innamorato di una statua»: Oltre la Sindrome di Stendhal. Nicomp, Florenz 2007. ISBN
978-88-87814-66-8.
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23
Leuchtfeuer Ausgabe 16
http://www.wiwo.de/erfolg/management/das-wulff-syndrom-warum-macht-politiker-und-manager-verblendet/v_detail_tab_
print/6088568.html
24.01.2012
Das Wulff-Syndrom
Warum Macht Politiker und Manager verblendet
von Daniel Rettig
Die Kreditaffäre um den Bundespräsidenten zeigt: Umgeben von Ja-Sagern und getäuscht vom übermächtigen
Selbstbild eigener Wichtigkeit, verlieren Politiker und Manager den Blick für die Realität.
Macht wird gefährlich, wenn der mächtige sich nur um sich selbst
dreht und die Chancen und Risiken in seiner Umgebung nicht
mehr erkennt
Quelle: Illustration: Thomas Fuchs
Seit 1971 kürt die Gesellschaft für deutsche Sprache das Wort des Jahres, der letzte Sieger hieß „Stresstest“. 2012 ist noch
jung, doch ein Wort könnte bei der diesjährigen Wahl gute Chancen haben: Salamitaktik.
Mit eben dieser Strategie verärgert Bundespräsident Christian Wulff seit Beginn seiner Kredit- und Medienaffäre viele
Bürger. Statt Fehler zuzugeben und alle Fakten offenzulegen, informiert er die Öffentlichkeit nur scheibchenweise. Was
hat den höchsten Mann im Staat dazu getrieben?
Trotzdem oder deswegen?
An mangelnder Erfahrung kann es nicht liegen, der 52-Jährige ist seit mehr als 30 Jahren in der Politik. Trotzdem geriet
er ins Zentrum einer Affäre, die bislang kein Bundespräsident durchleben musste.
Trotzdem? Oder gerade deswegen?
Bundespräsident Christian Wulff. Die Causa Wulff hat gezeigt: Wer die Möglichkeit hat, Macht auszuüben, gerät oft in Affären und Skandale. Aber nicht nur das:
Umgeben von Ja-Sagern und duckmäuserischen Einflüsterern, geblendet von den
eigenen Einflussmöglichkeiten, läuft der Mächtige Gefahr, den Blick für die Realität
zu verlieren
Quelle: dpa
24
Leuchtfeuer Ausgabe 16
Die Causa Wulff
Die Causa Wulff hat nicht nur eine Diskussion entfacht über die Zukunft des höchsten politischen Amtes. Deutlich wurde
vor allem: Wer die Möglichkeit hat, weitreichende Entscheidungen zu treffen, Einfluss zu nehmen auf die Geschicke eines Landes oder eines Unternehmens, sprich: Macht auszuüben über andere, gerät nicht nur immer wieder in Affären und
Skandale. Umgeben von Ja-Sagern und duckmäuserischen Einflüsterern, geblendet von den eigenen Einflussmöglichkeiten, läuft er Gefahr, den Blick für die Wirklichkeit zu verlieren. Kurz: Er wird blind vor Macht.
Egal, ob günstige Kredite oder Gratis-Urlaube, egal, ob Spitzenpolitiker oder Top-Manager: Immer wieder erliegen Personen in herausragenden Positionen dem süßen Gift der Macht. Sie verlieren das Gespür für die Realität, stolpern über
ihre Gier, Dummheit oder Hybris. Sie verkennen, was juristisch vielleicht noch legal, aber moralisch schon längst nicht
mehr legitim ist. Manchen passiert es früher, manchen später.
Sie waren mal Stars
Philipp Hildebrand
In seiner Funktion brauche er absolute Glaubwürdigkeit, sagte Hildebrand zu seinem Rücktritt vor wenigen Wochen – doch daran mangelte es ihm erheblich. Seine
Frau hatte mit vermeintlichen Insidergeschäften etwa 62.000 Euro verdient.
Bild: dapd
Audienz statt Konferenz
„Gib einem Menschen Macht“, sagte der frühere US-Präsident Abraham Lincoln, „und du erkennst seinen wahren Charakter.“ Zum Vorschein kommen, vereinfacht gesagt, zwei Charaktertypen: Die einen können sich nicht mehr selbst hinterfragen, ignorieren im Glauben an die eigene Unverwundbarkeit und Unfehlbarkeit jeden guten Ratschlag. Von ihren
Mitarbeitern fordern sie Engagement, bügeln aber jeglichen Widerspruch ab. Jede Konferenz wird zur Audienz.
Die anderen schaffen es nicht mehr, gesunde Distanz zu wahren gegenüber dem üblichen Apparat an Assistenten, Beratern und Fachleuten. Natürlich können Vorstandsvorsitzende oder Ministerpräsidenten weder ihre Termine selbst koordinieren
noch jeden Vorgang im Detail kennen. Sie brauchen Leibwächter für ihre Sicherheit, Referenten für Fraktionssitzungen,
Sekretärinnen für die Termine. Sie werden im Dienstwagen zu Terminen chauffiert, Assistenten bereiten Reden vor.
Macht wird gefährlich, wenn sie blind für Fallen macht.
Dann tappt der Mächtige nämlich oft in ebendiese
Quelle: Illustration: Thomas Fuchs
Kleingeistige Reförmchen
Doch wer sich völlig nach außen abschirmen lässt, der verliert schnell den Blick für die Realität. Er wird unfähig, sich gegen einen Apparat durchzusetzen, der eigene Vorhaben so lange durchkaut, bis auch die kühnsten Ideen zu kleingeistigen
Reförmchen geschrumpft sind (siehe Essay Seite 82).
25
Leuchtfeuer Ausgabe 16
Die Geschichte ist reich an Personen, die Opfer ihrer Machtfülle wurden – egal, ob Manager, die in die eigene Tasche
wirtschafteten, oder Politiker, die sich in privaten Affären verstrickten. „Macht korrumpiert, und absolute Macht korrumpiert absolut“, sagte einst der Historiker Lord Acton. Anders gesagt: Macht macht mies. Sie schüchtert Mitmenschen ein,
verändert die Selbstwahrnehmung, verleitet zum Lügen und Betrügen.
Grenzen ignorieren in der Chefetage
Aber warum passiert es selbst denen, die es besser wissen sollten? Warum fälschte der damalige Hewlett-Packard-Chef
Mark Hurd ein Dutzend Spesenquittungen im Wert von knapp 20.000 US-Dollar, bei einem Gehalt von 82.000 Dollar –
pro Tag? Warum glaubte der frühere Deutsche-Post-Chef Klaus Zumwinkel, ungestraft Steuern hinterziehen zu können?
Warum rechnete Eliot Spitzer, einstiger Generalstaatsanwalt von New York, damit, dass sein Kontakt mit Prostituierten
– in vielen US-Bundesstaaten illegal – unentdeckt bleiben würde?
Eine Antwortet lautet: Weil die Veranlagung dazu, Grenzen zu ignorieren, bereits in der Persönlichkeit vieler Führungskräfte angelegt ist.
Die wichtigsten Regeln wider den Machtmissbrauch
Die wichtigsten Regeln wider den Machtmissbrauch
o
o
o
Alles anzeigen
Freiheiten gewähren
Kritiker suchen
Widerspruch akzeptieren
Tendenziell extrovertiert
Wer es an die Spitze eines Konzerns, einer Partei oder eines Landes schaffen will, ist tendenziell extrovertiert – graue
Mäuse fallen zu wenig auf, um sich in Gremien, bei Vorgesetzten, Headhuntern oder Aufsichtsräten für Spitzenjobs zu
empfehlen. Wer sich zutraut, Dutzenden, Hunderten oder Tausenden von Mitarbeitern vorzustehen und über millionenoder gar milliardenschwere Etats zu verfügen, ist in der Regel optimistisch und selbstbewusst.
Doch die Grenze zur Selbstüberschätzung verläuft fließend – und Macht sorgt häufig dafür, dass sie überschritten wird.
Dann wird aus Selbstbewusstsein Hybris, aus Einfluss Manipulation, aus visionärem Denken Größenwahn, aus Entscheidungsfreude Gefühlskälte. Es ist ein schmaler Grat zwischen verantwortungsvollem Umgang mit Macht und ihrem
Missbrauch.
So viel bekommen die Dax-Chefs nach der Karriere
Platz 12: Karl-Ludwig Kley (60)
Für Karl-Ludwig Kley hat der Pharma- und Chemieunternehmen Merck 7 Millionen Euro angespart. Kleys hat sein Mandat im Vorstand seit 4 Jahren, in jedem
Jahr wird im Schnitt 1,8 Millionen Euro zurückgelegt. Kley ist aktuell als künftiger
Präsident des Chemieverbandes VCI im Gespräch.
Bild: dpa
Das Experiment
Wie schmal dieser Grat ist, zeigt ein Blick ins Jahr 1971. Damals begleitete der Psychologe Philip Zimbardo von der kalifornischen Eliteuniversität Stanford 24 Studenten in einen Kellerraum. Für einen Versuch hatte er dort ein Gefängnis rekonstruiert. Nach dem Zufallsprinzip teilte Zimbardo die Freiwilligen in Aufseher und Häftlinge ein. Die Wärter bekamen
26
Leuchtfeuer Ausgabe 16
Uniformen und Schlagstöcke, die Häftlinge wurden in Einzelzellen gepfercht, zogen sich einen Kittel über den Körper,
Ketten an die Füße, einen Nylonstrumpf über den Kopf. Zimbardo filmte mit versteckter Kamera – und dokumentierte
eine Tour des Grauens.
Nach zwei Tagen fingen die Wärter aus eigenem Antrieb und grundlos an, den Schlaf der Gefangenen zu stören, ihnen
das Essen zu verweigern und sie zu beschimpfen. Die Insassen blockierten daraufhin die Türen, die Aufseher wiederum
sprühten mit Feuerlöschern eisiges Kohlendioxid in die Zellen, nahmen den Gefangenen Kleidung und Betten weg und
verweigerten ihnen nach 22 Uhr den Gang zur Toilette. Nach wenigen Tagen brach Psychologe Zimbardo den Versuch
ab, der als „Stanford Prison Experiment“ in die Fachliteratur einging und später auch als Film-Vorlage diente („Das
Experiment“). Zimbardos beängstigendes Fazit: Das Böse sei in jedem Menschen verankert – es liege bloß an unserer
Umgebung, ob es ans Tageslicht kommt oder nicht.
Nicht gleich ein Sadist
Natürlich wird nicht jeder Vorstandsvorsitzende gleich zum Sadisten. Aber der eine oder andere kommt solch charakterlicher Deformation schon recht nah: Glaubt man Insidern, führte etwa der einstige Klinik-König Ulrich Marseille in seinem
Unternehmen bisweilen diktatorisch Regime. Fehler tolerierte er nicht, Führungskräfte stauchte er in Besprechungen
öffentlich zusammen – so lange, bis auch gestandene Personen zu weinen begannen.
„Macht“, sagt der deutsche Hirnforscher Gerhard Roth, „ist ein größerer Verführer als Geld oder Sex.“
Schleichender Prozess
Wie so oft beginnt auch dieser Prozess schleichend: „Menschen mit Macht können besser lügen“, sagt Managementprofessorin Dana Carney. Sie hat in Experimenten festgestellt, dass Versuchspersonen mit geliehener Macht nicht nur häufiger flunkerten. Bei ihnen hinterließ das Lügen außerdem weder emotionale noch körperliche Reaktionen. Chefs logen,
ohne rot zu werden.
Was passiert, wenn Menschen Macht über andere verliehen bekommen, wies US-Psychologin Deborah Gruenfeld in
ihrem legendären Kekstest nach: Die Wissenschaftlerin von der Stanford-Universität ließ mehrere Studentengruppen
über Politik und Religion diskutieren. Einer der Probanden sollte die Aussagen der Kommilitonen beurteilen. Mit anderen
Worten: Er bekam eine Prise Macht geliehen.
Macht wird gefährlich, wenn der Mächtige sich in sein Bollwerk zurückzieht
Quelle: Illustration: Thomas Fuchs
Befriedigung eigener Bedürfnisse
Kurz vor Ende des Versuchs reichte Gruenfeld jeder Gruppe einen Teller mit fünf Keksen. Ergebnis: Wer zuvor Macht
erhalten hatte, nahm sich mehr Kekse als die anderen, kaute häufiger mit offenem Mund und bekrümelte den Tisch.
Gruenfeld zufolge passiert Folgendes, wenn Menschen Macht erlangen: Einerseits konzentrieren sie sich mehr auf die
Befriedigung eigener Bedürfnisse und weniger um die ihrer Untergebenen. Andererseits scheren sie sich selbst weniger
27
Leuchtfeuer Ausgabe 16
um jene Regeln, deren Einhaltung sie von allen anderen allerdings erwarten.
„Führungskräfte sind Vorbilder“, sagte der damalige Deutsche-Post-Chef Klaus Zumwinkel einst in der Mitarbeiterzeitung. Im Februar 2008 durfte er die Aussage bereut haben: An einem trüben Donnerstagmorgen durchsuchten Staatsanwaltschaft und Polizei seine Villa wegen des Verdachts der Steuerhinterziehung.
Imagepflege
Zumwinkel verlor nicht nur seinen Posten, auch gesellschaftlich fiel er tief. Das Gericht verurteilte ihn außerdem zu zwei
Jahren Haft auf Bewährung und mehr als einer Million Euro Geldstrafe, sein Bundesverdienstkreuz gab der einstige Vorzeigemanager zurück. Deutschland kehrte er den Rücken, heute lebt er zurückgezogen in Norditalien, verschanzt hinter
den dicken Mauern einer mittelalterlichen Burg, verbittert und von vielen ehemaligen Weggefährten gemieden.
Doch längst nicht immer mündet Machtmissbrauch in sozialer Ächtung. Der Sozialpsychologe Gerben van Kleef von der
Universität von Amsterdam ist davon überzeugt, dass offensichtliche Missachtung jeglicher Anstandsregeln dazu beiträgt,
dass der Querschläger sein Image pflegt. „Regelbrecher wirken mächtiger“, sagt van Kleef, „weil sie den Eindruck machen, sie könnten sich alles erlauben.“
Autoritär-cholerisch
So wie James Cayne. Als im Juli 2007 in den USA die Finanzkrise losbrach, meldete die Investmentbank Bear Stearns
Milliardenverluste. Bank-Chef Cayne brachte das nicht aus der Ruhe: Während sich die Katastrophe anbahnte, saß er
nicht im Büro – sondern bei einem Bridge-Turnier. Ohne Handy, ohne Internet-Zugang. Als Bear Stearns im März 2009
kurz vor dem Bankrott stand, hatte Cayne ebenfalls etwas Wichtigeres zu tun: In Detroit nahm er an den nordamerikanischen Bridge-Meisterschaften teil.
Natürlich gewinnen Manager viel Zeit, wenn sie Entscheidungen alleine oder nur im engsten Führungszirkel treffen.
Doch verlieren sie dadurch etwas viel Kostbareres: die Loyalität ihrer Mitarbeiter. Daran scheiterte auch Léo Apotheker.
So brillant er fachlich war, so schwierig war er menschlich. Schon als SAP-Boss mangelte es ihm an der Unterstützung
der Mitarbeiter – woran sein autoritär-cholerischer Führungsstil sicher nicht unschuldig war. Im Februar 2010 musste
er seinen Posten als SAP-Vorstandssprecher räumen – nach weniger als einem Jahr. Auch seine Amtszeit als CEO von
Hewlett-Packard endete nach elf Monaten.
So gut sind die Aufsichtsräte der Dax-Konzerne
Manfred Schneider
Der Ex-Bayer-Chef ist Aufsichtsratschef von Bayer, Linde, RWE und bis April 2011 auch bei Daimler. Die unter seiner Führung kontrollierten
Unternehmen schneiden in der Ruhwedel-Untersuchung allesamt schlecht ab. Bayer landet mit 59,1 von 100 möglichen Punkten auf Platz 21 von
26, RWE mit 55,2 Punkten auf dem vorletzten und Linde mit 49,3 Punkten sogar auf dem letzten Platz. Dabei fuhr RWE bei der Begutachtung der
Eignung des 20-köpfigen Aufsichtrats das schlechteste aller Ergebnisse ein. Bei Linde mangelt es insbesondere an geeigneter Arbeitsweise und an
Vielfalt in der Gremienbesetzung.
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Kritik von außen wird ignoriert
„Manager an der Spitze neigen dazu, um sich ein Team aufzubauen, das sie permanent bestärkt“, sagt die Berliner Managementberaterin Ulrike Wolff. Die Folge: Kritik von außen wird ignoriert oder kommt gar nicht erst bei ihnen an.
Manche ergötzen sich so sehr an ihrem Einfluss, dass es ihnen nur noch um den Erhalt der Macht geht – oder deren
Erweiterung.
Ein Problem, das Georg Milbradt gut kennt. Der 66-Jährige war von April 2002 bis Mai 2008 sächsischer Ministerpräsident. Damals hetzte er im Dienstwagen von Termin zu Termin, heute beantwortet er E-Mails innerhalb weniger Minuten
selbst. Milbradt ist seit 2009 außerordentlicher Professor an der TU Dresden, wirkt offen und entspannt – ganz anders als
früher. „Als Ministerpräsident habe ich in einer Art Kokon gelebt“, sagt Milbradt. „Die Fähigkeit, Kritik zu ertragen, sinkt
im Laufe der Zeit.“
Kredite der Bank
Völlig verhindern, sagt Milbradt, könne man diesen Prozess nicht. „Aber man kann ihn verzögern.“ Nur wie? Milbradt
umgab sich mit einer Gruppe von Ratgebern, „die mir im kleinen Kreis offen Widerworte geben konnten“.
Sollte es so gewesen sein – geholfen hat es wenig. Seinen Rücktritt reichte er nicht nur wegen der Krise bei der Sachsen
LB ein. Es kam auch heraus, dass er und seine Frau Ende der Neunzigerjahre Kredite der Bank in Anspruch genommen
hatten – Milbradt war damals sächsischer Finanzminister und somit Chef des Sachsen-LB-Verwaltungsrats.
Plaudern mit Arbeitern
Skandale dieser Art sind Werner Marnette erspart geblieben. Der heute 66-Jährige arbeitete knapp 30 Jahre bei der Norddeutschen Affinerie (NA), der heutigen Aurubis. Er formte das Unternehmen zu Europas größtem Kupferkonzern, davon
13 Jahre als Vorstandschef. Im Jahr 2007 trat er nach einem Konflikt mit dem Aufsichtsrat zurück. Noch heute hat er
Kontakt mit seiner damaligen Sekretärin, bekommt Post von NA-Angestellten oder telefoniert mit ihnen.
Jeden Arbeitstag begann Marnette eigenen Angaben zufolge mit einem Besuch in den Werkshallen und plauderte mit
den Arbeitern. Er wollte immer nahbar bleiben – weil er wusste, wie wichtig das für das gesamte Betriebsklima ist: Wer
nur aus der Vorstandsetage regiert, bekomme gar nicht mit, was den einzelnen Angestellten oder Arbeiter bewegt, sagt
Marnette.
Schlechtes Zeugnis für Arbeitgeber
Kelly Services hat 97.000 Arbeitnehmer in 30 Ländern ihre Chefs beurteilen lassen. Mit einem vernichtenden Ergebnis: Auf einer Skala von eins (sehr
gut) bis zehn (sehr schlecht) erreichten die meisten Bosse bloß eine 6,2. 21 Prozent der deutschen Angestellten gaben ihren Vorgesetzten die Noten
mangelhaft oder sehr schlecht.
Bild: Fotolia
Scheitern an Unternehmensstrukturen
Zugegeben, es gibt Menschen, die ihn für einen Choleriker halten. Es seien „natürlich mal die Fetzen geflogen“, sagt Marnette. Immerhin steht er dazu. Das unterscheidet ihn von vielen aktiven Kollegen, die über Machtfallen nicht öffentlich
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reden wollen. Weil sie zumindest ahnen, wie schwer es ist, sie zu umgehen.
Zudem scheitern Manager häufig an den Strukturen des Unternehmens, wie Gerd Kerkhoff weiß. Der Gründer und Geschäftsführer der gleichnamigen Unternehmensberatung hat beobachtet, dass Führungskräfte selbst bei sinnvollen Veränderungen auf Protest stoßen – weil sich die Belegschaft dagegen wehrt.
„Macht ist die einzige Lust, derer man nicht müde wird“ - Oscar Wilde
Exzellente Chefs passen sich an das Unternehmen an
Wie Manager vorgehen sollten, weiß Charles Farkas von der Managementberatung Bain & Company. Er interviewte
vor einigen Jahren 160 CEOs zu ihrem Führungsstil. Die Chefs der erfolgreichsten Unternehmen legten ihre eigene Persönlichkeit im Joballtag beiseite. Sie legten den Fokus nicht auf sich selbst, sondern die Bedürfnisse der Organisation:
„Exzellente Chefs passen sich an das Unternehmen an“, sagt Farkas, „und nicht umgekehrt.“
Kerkhoff vergleicht die Machtsituation in Unternehmen gern mit dem Verhältnis zwischen Kindern und ihren Eltern. Der
Nachwuchs will durchaus angeleitet und geführt werden – aber dafür müssen die Eltern geradlinig sein, konsequent und
glaubwürdig. Dass das vielen Managern schwerfällt, liegt laut Kerkhoff an der mangelnden Menschenkenntnis vieler
Manager: „Psychologie sollte deshalb Pflichtteil der Ausbildung sein.
Süßes Gift der Macht
Schon, um sich selbst besser kennen zu lernen – und darüber nachzudenken, was Managementforscher Jon Maner von
der Florida-State-Universität kürzlich herausfand. Wer vor allem an Autorität und Dominanz interessiert ist, sieht eigene
Interessen an oberster Stelle, verheimlicht wertvolle Informationen, schließt qualifizierte Untergebene aus und versucht
zu verhindern, dass andere an die Macht kommen – und geht damit dem süßen Gift der Macht auf den Leim.
Ein Mechanismus, den man sich nicht oft genug vor Augen führen kann. Denn Macht, sagte schon der irische Schriftsteller Oscar Wilde, „ist die einzige Lust, derer man nicht müde wird“.
weitere Links zum Artikel
Werner Marnette“ Führungskräfte werden nicht nach Qualifikation ausgesucht“
Beratungsresistenz Die tauben Ohren der EU-Kommissare
Essay Gefangene der Macht
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JÖRG LENAU
Hausen 7, D-65558 Balduinstein
Amentielles Syndrom und Verstandeswesen im Gegenwartsgefiige
Die Demenz kennt jeder, aber die Amenz keiner? Den Begriff trifft man noch in lexikalischen Werken an, aber es findet
sich niemand, wer dazu Informationen liefern kann, weder was es damit auf sich hat, noch warum man dieses Sachverhältnis antrifft. Anscheinend war es einst Bestandteil von Diagnose und Behandlung ist jedoch im Laufe der Zeit in der
Senke verschwunden.
„Ein amentielles Syndrom (lat. Amentiä) ist eine akute halluzinatorische Verwirrtheit mit Desorientiertheit, Ratlosigkeit,
illusionärer Verkennung der Wirklichkeit und zusammenhanglosem Denken. Es tritt als Begleiterscheinung bei Gehirnschädigungen und körperlich begründbaren Psychosen, beispielsweise beim Alkoholdelir auf.“
So lautet die Spezifikation. Diese geht jedoch von dem Selbstverständnis aus, daß jeder Mensch veranlagungsbedingt
Verstand besitzt, was die Voraussetzung dafür ist, zusammenhängend und logisch denken und darüber beurteilen und somit darüber wiederum auch eigenständig entscheiden zu können. Der Verstand basiert jedoch auf der Fähigkeit, sich das
Sein verständlich zu machen, sodaß man es darin prinzipiell mit einer graduellen Präsenz zu tun hat, welche erst einmal
entsprechend eines Wissensschatzes gebildet werden muß. Erschwerend kommt noch hinzu, daß man zwar allgemein um
das Verhältnis von Wissen weiß, jedoch kaum ein Verständnis darüber existiert, wie das Verstandeswesen funktioniert, so
dass dieser umfängliche Sachverhalt wohl in erster Linie einer allgemeingültigen Anwendung in Diagnose und Behandlung im Wege steht.
Was kann man somit gegenwärtig tun, wenn man selbst davon betroffen ist? Diesbezüglich gibt es nämlich zweierlei
Betroffene, einerseits Diejenigen, welche unter dieser Störung aus ihrer selbst heraus leiden und andererseits Diejenigen,
welche über die gemeinschaftliche Verbundenheit mit Jemandem, welcher unter dieser Störung leidet, anhänglich darunter zu leiden haben. Wie mir meine langjährige Erfahrung damit aufzeigt, wissen die meisten der unter dieser Störung
Leidenden sehr wohl um ihrer Behinderung teils bewusst, teils unbewusst und auch wie damit umzugehen ist, genau so,
wie man es bei anderen Behinderten antrifft, so dass maßgeblich die mit diesen Personen verbundenen die eigentlichen
Betroffen sind, weil es sich diesen, wenn überhaupt, dann nur kausal ergibt. Gerade bei diesen trifft man jedoch fast ausschließlich auf ein Unbewusstsein über diese Gegebenheit, so dass sich darüber eine Art von ‚ausbreitender Ansteckung‘
ergibt und zu völlig chaotischen Lebensverhältnissen fuhren kann, die ohne das Bewusstsein über das Sachverhältnis
gar nicht deregulierbar sind. Besonders gravierend wird dies in Rechts- und Geschäftsverhältnissen, wie generell in Verhältnissen, wo der an dieser Störung primär Leidende Maßstab und zentraler Inhalt des gemeinschaftlichen Miteinander
sind Man kann als sekundär Betroffener den Sachverhalt noch nicht einmal als solchen deklarieren und diesem Externas
gegenüber stellen, was ein absolutes Dilemma darstellt.
Als Betroffener befindet man sich somit gegenwärtig in einem Teufelskreis, dem als solches nichts anderes entgegen
gesetzt werden kann, als die Erforderung auf Änderung dieses Sachverhaltes auszusprechen. Es bedarf in erster Linie des
bewusst machens dessen zur Förderung wie auch Einforderung des Dialoges darüber und ich hoffe, dass diese Veröffentlichung dazu beitragen kann. In erster Linie sind dazu die sekundär Betroffenen aufgerufen, um sich des Sachverhaltes
bewusst zu werden und sich miteinander zu koordinieren Es fehlt nämlich vor allem an Informationsquellen, welche den
Sachverhalt aufzeigen. Gerade diese Lücke gilt es zunächst einmal, durch ein entsprechendes Breitenspektrum auszufüllen.
Das Bewusstsein über den Sachverhalt kann man sich nämlich sehr wohl auch als Laie verschaffen, indem man sich die
Verhältnismäßigkeit von Wissen und Verstand über das Nebeneinanderstellen dessen systematisch bewußt macht Der
größte Teil des Seins ist einzig über das Verständnis fassbar, so dass man darüber prinzipiell damit konfrontiert ist. Über
das Nebeneinanderstellen und Differenzieren der Inhaltlichkeit kann man vor allem aber auch die unter dieser Störung
primär, wie sekundär Leidenden nachvollziehen, worüber der Umgang damit kalkulierbar(er) wird Wenn man zusätzlich
noch den Sachverhalt einbezieht, daß unsere Wahrnehmung, wie auch unsere Kommunikation generell einzig Informationen in Form von Wissen vermitteln, kann man sich nach und nach ein relativ eindeutiges Sachverhältnis verschaffen,
worüber dies dann auch anderen vermittelt werden kann und der Umgang damit sich auch als Ganzes ändert.
Datum: 27.12.2012
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