Cornelia Tödt Musikgeschichte: vom Mittelalter bis zur Moderne – Ergänzungsmaterial Differenzierungsmaterial für den Einsatz in leistungsheterogenen Lerngruppen Mittelalter Sachtext mit Hervorhebungen Mittelalter Wir schreiben das Jahr 500 nach Christus. Hier beginnt unsere Zeitreise durch die europäische Musikgeschichte. Mittelalterliche Musik ist gar nicht so „angestaubt“, wie ihr vielleicht glaubt. In der heutigen populären Musik taucht sie wieder auf. Bands wie „Subway to Sally“, „In Extremo“ oder „Schandmaul“ bedienen sich altertümlicher Instrumente oder mittelalterlicher Texte, wobei sich inzwischen der Mittelalter-Rock als eine Stilrichtung der Rockmusik fest etabliert hat. Das Mittelalter – wer denkt da nicht zuerst an Burgen, Klöster, Raubritter, Kreuzzüge, die verheerenden Folgen der Pestepidemie und den Beginn der Inquisition? Eine „Gewalt“-ige Zeit, doch auf die Musik der Zeit trifft dies nicht zu. Statue von Guido von Arezzo in Florenz Musik wurde im Mittelalter besonders in Kirchen und Klöstern gepflegt. Die meditativ-religiöse Vortragsweise des gesungenen Gebets in lateinischer Sprache wird als gregorianischer Choral bezeichnet. Dieser Gesang ist einstimmig, von einer einfachen Melodik und ohne Begleitung. Die Sammlung von Kirchengesängen geht auf Papst Gregor I. (um 540–604) zurück. Auch außerhalb der Kirchenmauern traf man auf musikalische Darbietungen. Die Musiker jener Zeit waren die Spielleute, die Minnesänger und später die Meistersinger. Spielleute waren die mittelalterlichen Volksmusiker. Sie zogen umher, sangen, führten Kunst- und Theaterstücke auf und überbrachten zudem oft singend Botschaften und Nachrichten. Minnesänger traf man vor allem auf den Burgen an. Diese Musiker gehörten schon zur gehobenen Gesellschaftsschicht. Sie dichteten und komponierten ihre Burg Burghausen Lieder selbst. Der bekannteste unter ihnen war Walther (vor 1025 entstanden) von der Vogelweide (um 1170–1230). Mit dem Untergang des Rittertums und der Entstehung des Bürgertums organisierten sich Sänger nun in Zünften und es entstanden die sogenannten „Singeschulen“. Die Liedermacher wurden nun „Meistersinger“ genannt, wenn ihnen eine Kommission gestandener Meistersinger diesen Titel zuerkannte. Einer von ihnen war Hans Sachs (1494–1576). Schon im Mittelalter verfügte man über ein abwechslungsreiches Instrumentarium. Die bekanntesten Instrumente waren die Flöte, die Fidel, die Schalmei und die Sackpfeife (Dudelsack). Daneben erfreute sich die Harfe großer Beliebtheit. Sie hatte zunächst ganze 25 Saiten. Heute besitzt eine „ausgewachsene“ Harfe übrigens 47 Saiten. Nachdem das Verbot des Spielens von Instrumenten in der Kirche aufgehoben worden war, wurde etwa im 9. Jahrhundert die Orgel eingeführt. Cornelia Tödt: Musikgeschichte: vom Mittelalter bis zur Moderne © Persen Verlag Harfe 2 Etwa zur selben Zeit entwickelte sich auch die Mehrstimmigkeit, was als eine der wichtigsten musikalischen Entwicklungen des Mittelalters anzusehen ist – ebenso wie die Entstehung der Notenschrift. Die Statue oben zeigt übrigens Guido von Arezzo. Er lebte von 992 bis 1050 und war Benediktinermönch, Musiktheoretiker und Lehrer. Er verbesserte die bis dahin gängige Notation, indem er ein erweitertes Liniensystem mit vier Notenlinien einführte. Die heutige Notenschrift geht auf diese Entwicklung zurück. Unsere Zeitreise durch die Musikgeschichte endet vorerst im Jahre 1500 mit der nun „ausklingenden“ Epoche des Mittelalters. In der Geschichte wird durch die Erfindung der Buchdruckerkunst (Druck der Gutenberg-Bibel ca.1454) und durch die Entdeckung Amerikas (1492) der Wechsel zur Epoche der Renaissance „eingeläutet“. Macht euch also auf den Weg und wendet euch einem anderen spannenden Zeitalter zu! Cornelia Tödt: Musikgeschichte: vom Mittelalter bis zur Moderne © Persen Verlag 3 Renaissance Sachtext mit Hervorhebungen Renaissance „Die Musik ist eine Gabe und Geschenk Gottes.“1 Dieses Zitat stammt von Martin Luther, einem fortschrittlichen und mutigen Augustinermönch, der 1517 seine bedeutenden 95 Thesen an die Tür der Wittenberger Schlosskirche genagelt haben soll. Die Zeit der Reformation begann, und so veränderten sich die bis dahin geltenden Grundsätze der kirchlichen Ordnung. Das 15. und 16. Jahrhundert brachten aber noch andere entschlossene und tapfere Männer hervor. Nachdem Christoph Kolumbus 1492 Amerika entdeckt hatte, umsegelte Fernando Magellan von 1519 bis 1522 zum ersten Mal die Welt. Nikolaus Kopernikus (1473–1543) rüttelte an den Grundideen über die Erschaffung der Welt, indem er zu der Erkenntnis gelangte, dass sich die Erde um die Sonne dreht und nicht umgekehrt. In der Kunst bezeichnen wir die Zeit von 1500–1600 als die Epoche der Renaissance. Der Begriff kommt aus dem Französischen und bedeutet „Wiedergeburt“. Gemeint ist das „Comeback“ der Ideale und des Menschenbildes der Antike. Nun könnte man annehmen, dass sich in dieser Epoche nichts weiter tat. So ist es aber nicht. Manchmal muss man eben zu seinen Wurzeln zurückkehren, um sich weiterzuentwickeln. Betrachtet einmal das weltberühmte Gemälde der „Mona Lisa“ von Leonardo da Vinci. Kunstfreunde aus aller Welt interpretieren dieses Gesicht als Inbegriff von Schönheit, Klarheit und Sinnlichkeit. Sowohl in der bildenden Kunst als auch in der Musik der Renaissancezeit finden wir diese Ideale wieder. Künstler suchen nach Harmonie, Schlichtheit und Verständlichkeit. Die „Mona Lisa“ im Pariser Louvre In der Musik spiegelte sich die Suche nach Klarheit und Einfachheit in der Schaffung einer Ordnung im Tonsystem. Dieses System besitzt bis heute Gültigkeit. Die Dur- und Molltonarten, die Funktion des Dreiklanges sowie der Akkorde – all dies wurde damals eingeführt. Nach der Erfindung des Buchdrucks konnten bald Noten gedruckt werden. Das war auch bitter nötig, wenn man vierstimmige Musikstücke in großer Auflage für die Nachwelt erhalten wollte. Die Mehrstimmigkeit mit den vier Stimmen Sopran, Alt, Tenor und Bass wurde zur gängigen Form der Vokal- und Instrumentalmusik. Typische Musikformen der Renaissance sind die Messe, die Motette und das Madrigal. Die Messe ist die musikalische Untermalung der 1 Vgl. Dülmen, Richard van: Kultur und Alltag in der Frühen Neuzeit. Religion, Magie, Aufklärung. München 2005, S. 64. Cornelia Tödt: Musikgeschichte: vom Mittelalter bis zur Moderne © Persen Verlag 4 Renaissance Sachtext mit Hervorhebungen einzelnen Abschnitte des katholischen Gottesdienstes. Motette und Madrigal sind mehrstimmige Chorlieder. Während eine Motette ein durchkomponierter geistlicher Text ist, liegt dem Madrigal ein weltlicher Text zugrunde. Die bekanntesten Komponisten der Renaissance lebten oder wirkten in Italien: Giovanni Palestrina (1515–1594), Orlando di Lasso (1532–1594) und Claudio Monteverdi (1567–1643) schufen zahlreiche Messen, Motetten und Madrigale. Die Oper als musikalische Form tritt erst in der Epoche des Barocks in Erscheinung. Die erste Oper der Musikgeschichte schrieb jedoch Monteverdi. Sie heißt „L’Orfeo“, entstand 1607, und handelt von der tragischen Liebe Orfeos zu Euridice, die durch einen Schlangenbiss zu Tode kommt. Er folgt ihr in das Totenreich und singt dort so schön, dass die Götter ihm das Mädchen wieder mitgeben, aber nur unter der Bedingung, dass er sich nicht nach ihr umblickt. Inhaltlich ist diese Oper ein Beispiel für das Interesse der Künstler an der antiken Sagenwelt. Zu den typischen Musikinstrumenten, die in der Epoche der Renaissance ihre Blütezeit erlebten, gehörten die Gambe, die Laute, der Zink, die Rebec und das Krummhorn. Aus ihnen entwickelten sich einige der heute modernen Standardinstrumente. Aufbau und Spielweise sind also schon seit Jahrhunderten bekannt. Ein besonderer Hingucker sind Gamben. Ihre Wirbelkästen wurden durch Schnitzereien kunstvoll verschönert. Unter den geschnitzten Verzierungen findet man Tier-, Menschen- und auch häufig Engelsköpfe. Die Zeitreise in die Epoche der Renaissance endet, wie sie begonnen hat – mit einem Zitat von Luther: „Musika ist eine halbe Disziplin und Zuchtmeisterin, so die Leute gelinder und sanftmütiger, sittsamer und vernünftiger macht.“ 2 Der verzierte Wirbelkasten einer Gambe 2 Vgl. Zacharias, Horst: Geschichte der Musik. Die Geschichte der deutschen Romantik. Mannheim 2005, S. 39. Cornelia Tödt: Musikgeschichte: vom Mittelalter bis zur Moderne © Persen Verlag 5 Barock Sachtext mit Hervorhebungen Barock Zunächst die gute Nachricht für alle, die es mit der Grammatik nicht so genau nehmen. Es heißt „der“ oder „das Barock“! Jetzt die weniger gute Nachricht: „Barock“ hat nichts mit „Rock“ zu tun, obwohl viele der Komponisten jener Zeit wirklich angesagt waren und bis heute noch sind. Der Begriff „Barock“ geht zurück auf das portugiesische Wort „barocco“, einer Bezeichnung für ungleichmäßig geformte Edelsteine und Perlen. Der musikalische Barock wird auch als das „Generalbasszeitalter“ bezeichnet. Unter „Generalbass“ verstehen wir eine verkürzte Notenschrift zur Begleitung, wie sie in jener Zeit gebraucht wurde. Ähnlich der heute verwendeten Akkordbezeichnungen (z. B. für die Gitarrenbegleitung) wurden damals Ziffern an die Noten im Bassschlüssel geschrieben. Dieser „bezifferte Bass“ stand für geeignete Akkorde zur Melodiebegleitung, die somit dem Musiker einen gewissen Spielraum zur Improvisation boten. Die Epoche des Barocks umfasst die Zeit zwischen 1600 und 1750, dem Todesjahr von Johann Sebastian Bach (1685–1750). Seine bekanntesten musikalischen Zeitgenossen waren Georg Friedrich Händel (1685–1759), Georg Philipp Telemann (1681–1767) und Antonio Vivaldi (1678–1741). Wie ihr aus dem Geschichtsunterricht wisst, tobte in Europa zu Beginn des 17. Jahrhunderts der 30-jährige Krieg. In Mitteleuropa wurde nach dem Krieg der Absolutismus die geltende Herrschaftsform. Die politischen und gesellschaftlichen Verhältnisse beruhten auf der uneingeschränkten Macht des weltlichen Adels und der kirchlichen Würdenträger. Deren Einfluss und Reichtum spiegelten sich in prächtigen Schlössern und Kirchen, ausdrucksstarker Malerei, reich verzierten Gebrauchsgegenständen sowie dem für die Zeit typischen aufwändigen Kleidungsstil wider. Das nötige Kleingeld für das ausschweifende Leben der Machthabenden lieferten die Bauern und Handwerker, die Abgaben und Steuern zu zahlen hatten. Letztlich haben wir es damit auch diesen fleißigen Menschen zu verdanken, dass wir die Musik dieser Zeit als mächtig, prächtig und feierlich bewundern können. Viele Stücke, die heute noch zu festlichen Anlässen gespielt werden, stammen aus der Zeit des Barocks, wie z. B. das „Weihnachtsoratorium“ von J.S. Bach oder die Melodie der Eurovisionshymne, die Marc-Antoine Charpentier (1643–1704) komponierte. Cornelia Tödt: Musikgeschichte: vom Mittelalter bis zur Moderne © Persen Verlag Prachtvolles Barockschloss in Dornburg (Thüringen) Ein Paar in prächtigen Barockgewändern 6 Barock Sachtext Die Instrumentalmusik gewann mehr und mehr an Bedeutung. Im Concerto grosso, einer frühen Form des Konzertes, spielen Soloinstrumente und Orchester im Wechsel. Der Begriff geht auf die lateinische Übersetzung des Wortes „concertare“ zurück und bedeutet so viel wie „zusammenwirken“. Die Oper wird zur eigenständigen Musikform. Sie entstand um 1600 in Italien und verbindet erstmalig Musik und Dichtung. Die erste Oper stammt noch aus der Zeit der Renaissance. Die Damen und Herren bei Hofe ließen es auch gerne mal so richtig krachen. Bei diesen Gelegenheiten waren Gesellschaftstänze wie das Menuett sehr beliebt. Ein instrumentales Vortragsstück, das ursprünglich aus einer Tanzschrittfolge entstanden ist, heißt Suite. Neue musikalische Formen entstehen auch in der Vokalmusik. Die Kantate (lat. „cantare“ = singen) und das Oratorium sind mehrteilige Musikstücke, wobei ein geistlicher Text musikalisch untermalt wird. Sie bestehen aus Arien, Rezitativen und Chorsätzen. Das Oratorium ist dabei umfassender als die Kantate und stellt das kirchliche Gegenstück zur weltlichen Oper dar. Merkmale der Kunstepoche des Barocks sind Verzierungen und kunstvolle, verschnörkelte Ornamente. Derartige Gestaltungsmittel finden sich sowohl in der Architektur und der Malerei als auch in der Musik. Charakteristisch für die Kompositionen jener Zeit sind die musikalischen Kontraste, die durch Wechsel der Klangfarbe, der Melodik oder der Dynamik hervorgerufen wurden. Um eine Melodie auszuschmücken, werOrgel in der Spitalkirche Heilig Geist (Wangen) den für die Notation Verzierungszeichen (Vorschlag, Doppelschlag, Praller, Triller) verwandt. Diese zeigen dem Musiker eine besondere Spielweise an, mit der er einen Ton ausschmückend spielen muss. Hörbare Kontraste und Verzierungen der Töne sind nun auch möglich geworden, weil das Instrumentarium vollkommener und präziser gefertigt werden konnte. Seit der Barockzeit bildet das komplette Orchester die Grundlage für die Instrumentalmusik. In der Kirche erklingt der gewaltige Klang der Orgel, die wegen ihrer Größe und Schönheit auch die „Königin der Instrumente“ genannt wird. Das Cembalo erlebt im Barock seine Blütezeit. Cornelia Tödt: Musikgeschichte: vom Mittelalter bis zur Moderne © Persen Verlag 7 Wiener Klassik Sachtext mit Hervorhebungen Wiener Klassik Stellt euch vor, ihr habt gerade eine wirklich interessante Musikstunde mit einem tollen Thema, das euch fesselt, und der Klassenclown macht mal wieder eine unpassende Bemerkung! Das ist dann wohl „klassisch“ im Sinne von „typisch“. Stellt euch weiter vor, ihr befragt 100 Leute nach einem bekannten Komponisten. Umfragen zufolge nennen die meisten Mozart oder Beethoven. Wie kommt das? Es sind eben typische „Klassiker“! Da Wien in dieser Zeit die Metropole des musikalischen Wirkens war, wird die Epoche zwischen 1750 und 1830 als „Wiener Klassik“ bezeichnet. Die Komponisten Wolfgang Amadeus Mozart (1756–1791) und Ludwig van Beethoven (1770–1827) gehören zusammen mit Joseph Haydn (1732–1809) zu den bedeutendsten Vertretern der Epoche. Seit dem Ende des 18. Jahrhunderts vollzog sich eine gesellschaftspolitische und wirtschaftliche Entwicklung von weltgeschichtlicher Bedeutung. Eine Errungenschaft im Zuge der ca. ab 1750 einsetzenden Industrialisierung war z. B. die Erfindung der Dampfmaschine durch James Watt (1768). Einen nachhaltigen geschichtlichen Einschnitt bildete die 1789 ausbrechende Französische Revolution (1789–1799). Sie kennzeichnet das Ende der ständischen Gesellschaft und den Durchbruch des Bürgertums. Im Zusammenhang mit den gesellschaftlichen Ereignissen war Musik nicht mehr nur bei Hofe oder in der Kirche zu hören, sondern fand an öffentlichen Plätzen und in Konzertsälen vor breiterem, bürgerlichem Publikum statt. Im Gegensatz zur festlich überladenen und reich verzierten Musik des Barockzeitalters steht die Musik der Wiener Klassik für Klarheit und Einfachheit im Sinne von „verständlich“ und „eindeutig“. Typische musikalische Formen, die in der Zeit der Wiener Klassik ihren Höhepunkt erleben, sind durch diese Klarheit gekennzeichnet. So haben die Sonate und die Sinfonie einen übersichtlichen Aufbau. Die Sonate ist ein Instrumentalmusikstück für Soloinstrumente oder Instrumentengruppen. Sie besteht aus drei oder vier Sätzen, die sich in ihrer Ausdrucksform meist stark voneinander unterscheiden. Die Sinfonie ist der Form nach der Sonate ähnlich. Sie ist jedoch ein Instrumentalwerk für das vollständige Orchester. Der 1. Satz einer Sonate ist nach einer festen Form aufgebaut, die Sonatenhauptsatzform genannt wird. Joseph Haydn gilt als „Erfinder“ der Sonate. In Zusammensetzung und Aufbau etablierte sich das Sinfonieorchester in der Form, in der es heute noch besteht. Im Orchestergraben herrscht Ordnung: Die Streichinstrumente erklingen vorn, gefolgt von den Holz- und den Blechblasinstrumenten. Hinten sitzen die Musiker, die sich mit dem Schlagwerk auskennen. Innerhalb einer Instrumentengruppe folgt die Anordnung nach der Größe von links nach rechts, wobei auf Das Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin Cornelia Tödt: Musikgeschichte: vom Mittelalter bis zur Moderne © Persen Verlag 8 der linken Seite das Instrument mit dem kleinsten Resonanzraum gespielt wird. Die erste Geige spielt links neben dem Dirigenten. Zu den gebräuchlichsten Instrumenten der Wiener Klassik gehören die Violine, die Klarinette und das Hammerklavier, das sich vom heutigen modernen Klavier durch die (Holz-)Rahmenkonstruktion und die Besaitung unterscheidet. Achtung Stolperstein: „Wiener Klassik“ ist die Bezeichnung für eine der Epochen innerhalb der Musikgeschichte; der Begriff „klassische Musik“ wird jedoch für die Musik aller Epochen verwendet, die sich von der „unterhaltenden“ Musik (im Sinne der heutigen Form von Unterhaltungsmusik) abgrenzt! Cornelia Tödt: Musikgeschichte: vom Mittelalter bis zur Moderne © Persen Verlag 9 Romantik Sachtext mit Hervorhebungen Romantik Würdet ihr der Einladung eines guten Freundes zum gemütlichen Beisammensein am Lagerfeuer folgen? Freut ihr euch schon auf die besinnliche Weihnachtszeit mit Lebkuchenduft und Kerzenschein? Träumt ihr manchmal bei einem ruhigen Lied vor euch hin? Dann seid ihr vielleicht doch ein klein wenig romantisch! Der Begriff Romantik steht einerseits für die kunstgeschichtliche Epoche in der Zeit von 1830 bis 1900 und andererseits für ein Lebensgefühl, das wir als träumerisch und auch etwas wirklichkeitsfern bewerten. Eine Wirklichkeit, die gerade nicht vorDas Gemälde „Der Wanderer handen ist – die man sich also herbeiwünscht, nach der man über dem Nebelmeer“ von C. D. Friedrich sich sehnt. Die Romantiker nehmen von der Wirklichkeit Abstand, indem sie sich der Natur, tiefen Gefühlen oder der Familie zuwenden. Deshalb zeigen sich in der romantischen Kunst immer wiederkehrende Motive wie Wandern, Aufbruch, Sehnsucht oder Fernweh. Hier wird der Zusammenhang zu den gesellschaftlichen Verhältnissen in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts deutlich. Nach dem Sturz Napoleons I. kam es infolge der Beschlüsse des Wiener Kongresses (1814/15) zu einer Neuordnung der europäischen Mächte, die dazu führte, dass die vorrevolutionären politischen Zustände teilweise wiederhergestellt wurden. Diese Ergebnisse stießen vor allem beim Bildungsbürgertum der Völker auf Protest. Es folgte eine spannungsgeladene Zeit, die sich in Revolutionen in ganz Europa widerspiegelte. In der Geschichte wird die Zeit vom Wiener Kongress bis zur Revolution in Deutschland (1848/49) als „Restauration“ bezeichnet. Erst durch die Gründung des deutschen Kaiserreichs (1871) mit Otto von Bismarck als Reichskanzler begannen sich die politischen Verhältnisse nachhaltig zu wandeln. Es ist schon ein Phänomen, dass sich die Künstler in dieser angespannten und verworrenen Zeit gerade auf ein romantisches Lebensgefühl besannen. In der Musik äußert sich die Betonung von Empfindungen und Gefühlen durch Vielfalt und Ausdrucksstärke. Das geschieht in den Musikstücken durch einen verstärkten Wechsel von Lautstärke und Tempo. Für die Kompositionen werden deshalb detaillierte musikalische Zeichen wichtig. Die italienischen Begriffe bzw. deren Abkürzungen stehen unter der Notenzeile und geben den Musikern Veränderungen der Lautstärke oder des Tempos genau an. Zudem wird das Sinfonieorchester durch den Einsatz der Blechblasinstrumente ergänzt, dessen Klangvielfalt nun vollständig ausgeschöpft wird. In der Romantik entwickelt sich die Programmmusik als eine Musikform, die den Zuhörer musikalisch durch ein Programm führt. Das kann eine Geschichte oder ein Märchen sein wie im Falle der „Peer-Gynt-Suite“ von Edvard Grieg (1843–1907). Ganz im eigentlichen Sinne der romantischen Lebensart werden aber auch Naturerscheinungen beschrieben, wohl bekannt durch das Stück „Die Moldau“ von Bedřich Smetana (1824–1884). Um dem Zuhörer den Inhalt des Programms musikalisch nahezubringen, werden Leitmotive eingesetzt. Sie stellen gewissermaßen die Erkennungsmelodie für einen bestimmten Inhalt (z. B. einer Person) des Programms dar. Einer, der dies in hervorragender Weise verstand, war Richard Cornelia Tödt: Musikgeschichte: vom Mittelalter bis zur Moderne © Persen Verlag 10 Romantik Sachtext mit Hervorhebungen Wagner (1813–1883). Eine Form der Programmmusik ist die Sinfonische Dichtung, die anspruchsvolle literarische Vorlagen zum Inhalt hat. Das Klavier erfährt in der Romantik seine Blütezeit und damit das klavierbegleitete Lied, das wir Kunstlied nennen. Im Gegensatz zum mündlich überlieferten Volkslied braucht das Kunstlied einen Komponisten. Wenn ihr nach einem solchen einmal gefragt werdet, liegt ihr mit Franz Schubert (1797–1828) fast immer richtig. Das liegt daran, dass er in seinem kurzen Leben über 600 solcher Lieder komponiert hat. Oft hat er Texte oder Gedichte von J.W.v. Goethe und F.Schiller vertont. In den Liedern wie „Das Heidenröslein“, „Der Lindenbaum“, „Das Wandern ist des Müllers Lust“ oder „Der Erlkönig“ geht es durch und durch romantisch zu. Sie handeln von unerfüllter Liebe, von der Natur, mal wieder vom Wandern und von der Sehnsucht, ja sogar von der Todessehnsucht. Die erweiterten Möglichkeiten im Instrumentenbau machten auch ein präziseres Spiel möglich. Musiker, denen man nachsagt, dass sie ihr Instrument in Perfektion beherrschen, nennt man Virtuosen. Einer der Meister seines Fachs war der Komponist und Pianist Frédéric Chopin (1810–1849). In der Epoche der Romantik erreichte die Kunst ein bisher noch nicht dagewesenes technisches und stilistisches Niveau. Dieses hohe Niveau versuchten einige Künstler in der folgenden Zeit mit modernen Mitteln noch zu überbieten. Mondnacht (1835) Es war, als hätt’ der Hi mmel Die Erde still geküßt, Daß sie im Blüthensch immer Von ihm nun träumen müßt’. Die Luft ging durch die Felder, Die Aehren wogten sa cht, Es rauschten leis die Wälder, So sternklar war die Na cht. Und meine Seele span nte Weit ihre Flügel aus. Flog durch die stillen Lande, Als flöge sie nach Haus . (Joseph von Eichendorf f)3 3 Joseph Freiherr von Eichendorff: Werke. Erster Theil. Gedichte. Berlin 1841, S. 382f. Cornelia Tödt: Musikgeschichte: vom Mittelalter bis zur Moderne © Persen Verlag 11 Moderne Sachtext mit Hervorhebungen Moderne Auf unserer Zeitreise durch die europäische Musikgeschichte sind wir nun im 20. Jahrhundert angekommen. Die Kunstepoche ab 1900 wird als die Moderne bezeichnet. In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts wurden Europa und die Welt von den beiden Weltkriegen erschüttert. Allerorts wütete Zerstörung und viele Menschen erfuhren unermessliches Leid. Außerdem veränderte sich die Lebensweise der MenDas im Stil der Klassischen Moderne schen durch die Folgen der Industrialisierung enorm. Ihr kennt gebaute Bauhaus in Dessau das ja! Wenn das Leben durch äußere Einflüsse einmal aus den Fugen gerät, braucht man eine Weile, um sich umzustellen. Das gilt ebenso für die Kunst. In den Wirren jener Zeit suchten die Künstler nach neuen Ausdrucksformen oder besannen sich auf Stilmittel früherer Epochen. Viele Künstler wurden in der Zeit des Nationalsozialismus auch verfolgt, mussten fliehen und lebten im Exil. Dadurch verbreiteten sich künstlerische Ideen weltweit und vermischten sich teilweise mit den Einflüssen anderer Kulturen. Die Epoche der Moderne umfasst daher ganz unterschiedliche Kunstrichtungen, die sich teilweise nur schwer voneinander abgrenzen lassen und manchmal von eher unkonventionellen Formen geprägt sind. So kann es vorkommen, dass die Kunst der Moderne mitunter unverständlich oder befremdlich wirkt. In der Musik wird dies durch neuartige Kompositionstechniken deutlich. Arnold Schönberg (1874–1951) gilt als der Erfinder der Zwölftontechnik; Claude Debussy (1862–1918) beschäftigte sich unter anderem mit der Ganztontechnik. Bei der Komposition werden hier entgegen des bestehenden Tonartenprinzips entweder alle zwölf Halbtöne oder nur die sechs Ganztöne einer Oktave berücksichtigt. Beim Musizieren wurde viel ausprobiert und experimentiert. John Cage (1912–1992) präparierte sein Klavier, um außergewöhnliche Klänge zu erzeugen. Carl Orff (1885–1982) schuf mit seiner „Carmina Burana“ ein Werk, in dem er mittelalterliche Elemente verarbeitete. Als einer der einflussreichsten Komponisten der Moderne gilt Karlheinz Stockhausen (1928–2007), der sich schon sehr früh mit elektronischer Musik beschäftigte. Das Instrumentarium vervollständigt sich um elektronische (wie Synthesizer, Keyboard oder Drumcomputer) sowie um elektromechanische Instrumente (wie E-Gitarre oder Hammond Orgel). Eine frühe Errungenschaft der Technisierung war die Erfindung des Grammofons im Jahr 1887, was auf die Verbreitung und Vermarktung von Musik enormen Einfluss hatte. Cornelia Tödt: Musikgeschichte: vom Mittelalter bis zur Moderne © Persen Verlag Grammofon 12 Moderne Sachtext mit Hervorhebungen Unterhaltungsmusik Parallel zur klassischen ernsten Musik rückt die sogenannte Unterhaltungsmusik seit Beginn des 20. Jahrhunderts mehr und mehr in den Vordergrund. Der Begriff Unterhaltungsmusik taucht schon in der Romantik als Bezeichnung für unterhaltende Tanzmusik auf. Die musikalischen Traditionen und das Musikempfinden afrikanischer Menschen, die nach Amerika verschleppt wurden und dort als Sklaven unter unwürdigen Bedingungen leben mussten, beeinflussten die musikalischen Entwicklungen nachhaltig. Aus den Worksongs und den Spirituals entwickelte sich Ende des 19. Jahrhunderts in den Südstaaten Amerikas der Blues. Etwa in dieselbe Zeit fällt die Entstehung eines typischen Klaviermusikstils, der Ragtime genannt wird. Der Jazzmusiker Bob Berg Blues und Ragtime sind die Vorläufer des Jazz, der sich um 1900 als eigenständige Musikrichtung entwickelt. Zu den bekanntesten Jazzmusikern zählt Louis Armstrong (1901– 1971). Mit der Entwicklung des Jazz wird das Saxofon sehr populär. Der Ton wird, wie bei einer Klarinette, durch ein in Schwingung versetztes Rohrblatt erzeugt. Das Saxofon mit seinem warmen, sehr variablen Klang und dem großen Tonumfang wurde schon im Jahre 1840 vom belgischen Instrumentenbauer und Musiker Adolphe Sax erfunden. Zu seiner Beerdigung (1894) sollen auf dem Friedhof in Montmartre Saxofonisten aus aller Welt gespielt haben. Aus dem Rock’n’Roll entstand etwa um 1960 die Rockmusik und etablierte sich ausgehend von Europa (England) in der ganzen Welt. Bis heute erlebt die Rockmusik zahlreiche Veränderungen, die sich in unterschiedlichen und eigenständigen Musik-stilen manifestieren. Sie unterscheiden sich durch die Art des Gesangs, Melodik, Rhythmik und das Tempo und spiegeln häufig eine Gruppenzugehörigkeit wider. Als Gemeinsamkeit gilt, dass es sich um populäre, erfolgreich vermarktete Musik handelt, die den Musikgeschmack einer breiten Masse trifft. Zur Standardbesetzung einer Rockband gehören Gesang, Schlagzeug, E- und Bassgitarre und häufig das Keyboard. Cornelia Tödt: Musikgeschichte: vom Mittelalter bis zur Moderne © Persen Verlag 13 Moderne Lesetext mit Hervorhebungen Von der Romantik zur Neuen Musik Die Epoche der Moderne wird in der Musik auch als „Neue Musik“, „Zeitgenössische Musik“ oder „Musik der Gegenwart“ bezeichnet. Der Begriff Neue Musik hat sich durchgesetzt und meint die unterschiedlichen musikalischen Stilrichtungen von 1950 bis zur Gegenwart. Der Übergang von der Romantik zur Neuen Musik verlief über die aus der Kunst und der Literatur hervorgegangenen Stilrichtungen des Impressionismus (Ende des 19. Jahrhunderts) und des Expressionismus (1910–1925). Während die Künstler des Impressionismus einen sinnlich empfundenen Eindruck der Wirklichkeit vermitteln wollten, konfrontierten die Expressionisten das Publikum mit ihrer ausdrucksstarken und leidenschaftlichen Betrachtung der Realität. In der Musik gilt der französische Komponist Claude Debussy (1862–1918) als bedeutendster Vertreter des Impressionismus; einer der Hauptvertreter des musikalischen Expressionismus ist Kurt Weill (1900–1950). Das expressionistische Gemälde „Spanisches Mädchen“ von Alexej von Jawlensky Um 1920 entwickelte Arnold Schönberg (1874–1951) eine neue Kompositionstechnik, auf deren Grundlage neben dem bestehenden Tonartensystems die Zwölftonmusik entstand. Alle zwölf Halbtöne einer Tonleiter werden hier gleichberechtigt behandelt. In einer Komposition werden diese zu einer Reihe arrangiert, wobei sich kein Ton wiederholen darf. Die Zwölftonmusik ist kein Musikstil, sondern eine Kompositionsmethode, die wegen des Fehlens von Tonleitern und Tonarten als „atonal“ bezeichnet wird. Das musikalische Wirken um Arnold Schönberg in Wien wird in der Musikgeschichte als „Neue Wiener Schule“ bezeichnet, welche die Entwicklungen der „Neuen Musik“ ab 1950 beeinflusst. Eine Weiterentwicklung der Zwölftonreihentechnik stellt die Serielle Musik dar. Neben der Anordnung der Tonhöhen werden in diesem Musikstil auch die Tonlänge, die Lautstärke und die Klangfarbe nach strengen mathematischen Regeln und zudem in Zahlenreihen festgelegt. Ein Komponist dieser Musikrichtung ist Pierre Boulez (*1925). Gegen Ende der 1950er-Jahre gewinnt die Aleatorik als Stilrichtung der Neuen Musik vor allem durch das Schaffen des amerikanischen Komponisten John Cage (1912–1992) große Bedeutung. Aleatorische Musik (lat. alea = Würfel) ist eine zufällig hervorgebrachte Musik und setzt somit der musikalischen Experimentierfreude die Krone auf. Arnold Schönberg, Los Angeles 1948 Als Gegenstück zur atonalen Musik entstand in den 1960er-Jahren in den USA die Minimal Music. Grundlage dieser Kompositionen sind einfache musikalische Motive (patterns), die sich über eine längere Zeit ständig wiederholen und im Verlauf nur minimal variiert werden. Der amerikanische Komponist Philip Glass (*1937) gehört zu den bekanntesten Vertretern des musikalischen Minimalismus. Cornelia Tödt: Musikgeschichte: vom Mittelalter bis zur Moderne © Persen Verlag 14