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Funkkolleg
6. Trommel-Fälle – Die Evolution des Hörens
Samstag, 11. November 2006, 9:30 Uhr
Modell eines Ohrs
Die ersten Landtiere hatten das Zeug zu hören, aber sie konnten es nicht. Es muss damals abgesehen
von der Geräuschkulisse von Wind und Wetter ziemlich still auf der Erde zugegangen sein.
Wenige Belege für die Ohr-Evolution
Wann begann das Hören in der Stammesgeschichte, im Verlauf der Evolution? Gegenüber mechanischen
Reizen waren schon die frühesten Lebewesen empfindlich. Wie lange aber hatte es gedauert, bis ein
wirklich hoch entwickeltes Hörorgan entstanden war? Die Antworten auf diese Fragen sind nicht einfach,
denn Evolutionsbiologen können die Geschichte des Hörens nicht aufblättern wie ein Photoalbum. Zu
viele Bilder aus der Vergangenheit fehlen noch, sprich: es mangelt an Fossilien. Erst seit 20, 30 Jahren
gerät die akustische Welt der Tiere früherer Erdepochen ins Licht der Forschung.
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Im Fisch kann man vergangene Zeiten erkennen
Die Fische unserer Meere existieren in einem Lebensraum, der seit Millionen Jahren weitgehend stabil
und unverändert geblieben ist. Daher haben sich auch die Meeresfische in mancherlei Hinsicht nur wenig
verändert - und deswegen sind die Fische oft ziemlich urtümliche Wesen. Sie spiegeln in ihren Organen
und in ihrem Verhalten vielfach noch die Welt einer fernen geologischen Vergangenheit wider.
Umgekehrt finden sich bei ihnen aber auch überraschenderweise zentrale Bestandteile des Hörsystems,
die sich bis heute erhalten haben.
Zum Beispiel die Haarsinneszellen, die noch heute im menschlichen Innenohr sitzen. Sie sind ein höchst
empfindlicher Sensor für mechanische Reize, also für Druckunterschiede. Wenn sie berührt und dadurch
bewegt werden, und da genügt der Bruchteil eines Tausendstel Millimeters, dann lösen sie ein
elektrisches Potenzial aus. Haarzellen sind aber ursprünglich gar nicht fürs Gehör genutzt worden,
sondern für den viel älteren Gleichgewichtssinn.
Mit der Schwimmblase können Fische "hören"
Vor dem Beginn des Hörens stand also der Gleichgewichtssinn. Auch bei ihm geht es um die
Wahrnehmung von Druck, der von außen kommt - um die Wahrnehmung der Erdanziehungskraft. Auch
wenn im menschlichen Ohr Gehör und Gleichgewichtswahrnehmung quasi in eins fallen, es ist nicht
dasselbe, und es hat sich auch nicht das eine aus dem anderen entwickelt.
Bei den Fischen beginnt das Hören im engeren Sinn nämlich erst mit der Entwicklung ihrer
Schwimmblase. Die Schwimmblase ist für den Auftrieb zuständig und entwickelte sich bei den
Knochenfischen aus der Lunge. Knorpelfische waren aus dem Meer in sauerstoffarme Flüsse
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eingewandert und hatten dort eine Lunge entwickelt - das Ergebnis waren die Lungenfische. Einige
Lungenfische wanderten wieder ins Meer zurück, wo ihre noch immer funktionsfähigen Kiemen für das
Atmen genügten - die nun wieder überflüssige Lunge wurde zur Schwimmblase. Lungenfische haben
daher noch keine Schwimmblase, und auch jene fernen Verwandten der heutigen Lungenfische, die vor
Zeiten als erste Wirbeltiere das Land besiedelten, hatten daher ebenfalls keine Schwimmblase. Auch die
stammesgeschichtlich älteren Knorpelfische wie der Hai haben noch keine Schwimmblase - und nicht alle
Fische, die eine Schwimmblase haben, hören auch mit ihr.
Vibration muss übertragen werden
Rein mechanisch muss die Vibration der Schwimmblase irgendwie übertragen werden. Dazu ist der
Webersche Apparat da. Er besteht aus einer Handvoll Knöchelchen, die wie ein akustisches Gelenk die
Vibrationen der Schwimmblase an das Innenohr weiterleiten. Ein ähnlicher Mechanismus also wie bei
den drei Gehörknöchelchen der Säugetiere, die aber unabhängig vom Weberschen Apparat der Fische
und erst viel später entstanden sind.
Insekten brachten uns die Revolution des Gehörs
Als die ersten Wirbeltiere an Land gingen, besaßen sie eine Lunge und keine Schwimmblase. Der
Luftschall war für sie lange Zeit eine Welt, zu der sie keinen unmittelbaren Zugang hatten. Sie nahmen
nur jenen Schall wahr, den sie durch den Boden spürten. Die Verbesserung des Hörens begann bei den
Wirbeltieren erstaunlich spät nach dem ersten Landgang, nämlich erst hundert oder zweihundert
Millionen Jahre später.
Und es waren tatsächlich die Reptilien, die das Hören und die eigenen Lautäußerungen weiter
entwickelten und damit die Revolution des Gehörs eingeleitet haben, über das auch wir Menschen
verfügen. Darüber sind bis zu 150 Millionen Jahre vergangen.
Die bauchkriechenden Wirbeltiere waren aber keineswegs die einzigen, denen sich die Welt des
Luftschalls eröffnete. Zu den frühen reinen Landbewohnern gehörten auch die Insekten.
Wer kommuniziert ist klar im Vorteil
Ob Insekten oder Wirbeltiere: Als sie sich nach und nach vom Boden erhoben, sei es, dass sie ganz in
die Luft aufstiegen, sei es, dass sie nur den Kopf vom Erdboden gehoben hatten: In jedem Fall waren
die Tiere vom einzigen, was sie akustisch wahrnehmen konnten abgekoppelt, vom Bodenschall. Not
macht bekanntlich erfinderisch, und im Verlauf der Evolution ist die Umnutzung vorhandener
Bauelemente für überraschend andersartige Zwecke eher die Regel als die Ausnahme. Die neuartige
Nutzung betraf bei den Wirbeltieren das Gleichgewichtsorgan.
Dieses Gleichgewichtsorgan hat sich weiterentwickelt zu einer so genannten Hör-Papille. Ist zuerst ein
neues Organ entstanden und dann erst der Wunsch zu kommunizieren? Oder war es umgekehrt: Hat die
erste Lautäußerung den Organ-Umbau nach sich gezogen? Solche Fragen beantworten zu wollen, würde
den Forscher in die Irre führen, denn sie suggerieren eine Entwicklungslinie, die es so nicht gegeben
hat. Vielmehr ergeben sich zufällig neue physiologische Konstellationen, die in ihrer jeweiligen Umwelt
erfolgreich sind - oder auch nicht. Als sich all die vielen neuen Tiergruppen auf dem Land eingehaust
hatten, entdeckten sie mit ihrem einfachen Schalldrucksystem irgendwann den Luftschall. Geräusche,
die sie selbst herausfiepten und grunzten und Geräusche von anderen. Rasch wurde es zum
Überlebensvorteil, sich mit dem Artgenossen akustisch zu verständigen oder Fressfeinde zu hören.
Die ausgereiftesten Teile des Sinnesorgans, Mittelohr und Trommelfell, sind allerdings erst vor 100 bis
215 Millionen Jahren vergleichsweise spät entstanden. Da liefen wir schon 150 Millionen Jahre auf dem
Land herum.
Von Von Florian Hildebrand
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