Vorträge Meeresumwelt-Symposium 2005

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MeeresumweltSymposium
2005
15. Symposium
7. bis 8. Juni 2005
CCH - Congress Center Hamburg
Am Dammtor
20355 Hamburg
Bundesamt für Seeschifffahrt und Hydrographie
in Zusammenarbeit mit dem Umweltbundesamt
und dem Bundesamt für Naturschutz
im Auftrag des Bundesministeriums für
Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
© Bundesamt für Seeschifffahrt und Hydrographie (BSH)
Hamburg und Rostock 2006
www.bsh.de
Alle Rechte vorbehalten. Kein Teil dieses Werkes darf ohne ausdrückliche schriftliche
Genehmigung des BSH reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme
verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.
Inhalt
Vorwort .................................................................................................................................................................. 5
EHLeRS, PeTeR
Neue Entwicklungen im Meeresumweltschutz . .................................................................................................... 7
Europäische Meerespolitik
HOLZWARTH, FRITZ
Meeresschutz - eine gemeinsame Aufgabe: Global, EU-weit, regional und national........................................... 13
SCHeReR, BeRND
Meeresschutzstrategie aus Sicht eines Küstenlandes ....................................................................................... 17
TRebeSCH, HILDe
Position der Bundesregierung zur Meerespolitik.................................................................................................. 21
Neue Nutzungsformen des Meeres und ihre Risiken
LAUTeRJUNG, JÖRN
Deutsche Initiative zum Tsunami-Warnsystem im Indischen Ozean . ................................................................. 33
PONTeS, TeReSA
Ocean Energy ..................................................................................................................................................... 35
RICHeRT, FRANK
Wasserstoff-Herstellung auf dem Meer ............................................................................................................... 37
LINDeQUIST, ULRIKe
Arzneimittel aus dem Meer ................................................................................................................................. 43
Das Wattenmeer
ESSINK, KAReL
Trilateral Monitoring and Assessment Supporting Conservation and Management of the Wadden Sea ........... 53
JANNING, JÖRG
Das Wattenmeer - Zustandseinschätzung für das Jahr 2005 nach der Wasserrahmenrichtlinie (WRRL) . ........ 57
STOCK, MARTIN
Salzwiesenmonitoring im schleswig-holsteinischen Wattenmeer - Ergebnisse und Perspektiven
für das Monitoring im Rahmen von FFH und WRRL ........................................................................................... 61
Klima und Küste
SCHUCHARDT, BASTIAN UND MICHAeL SCHIRmeR
Klimawandel und Küste: Zeit zur Anpassung?! .................................................................................................. 79
MÜLLeR-NAVARRA, SYLVIN
Neues aus der Sturmflutforschung ..................................................................................................................... 91
FLemmING, BURGHARD
Meeresspiegelanstieg und Sedimentumlagerung .............................................................................................. 95
GeYeR, BeATe
Wasserkreislauf, Klimaveränderung und Süßwassereintrag ............................................................................... 99
KÖRTZINGeR, ARNe
Der Ozean im Zeitalter des Anthropozäns - eine Betrachtung aus biogeochemischer Perspektive . .............. 107
Meeresnaturschutz
ZUCCO, CATHeRINe
Auswirkungen von Offshore-Windkraftanlagen auf die marine Fauna und den Vogelzug - Erkenntnisse
aus nationaler und internationaler Begleitforschung ........................................................................................ 113
VON DORRIeN, CHRISTIAN
Meeresschutzgebiete - (k)ein Instrument des Fischereimanagements? .......................................................... 115
MeNN, IRIS
Schutzgebiete - der große Coup im Meeresschutz?! ....................................................................................... 125
BRÄGeR, STefAN
Aktivitäten zum Schutz der Kleinwale in Nord- und Ostsee unter dem ASCOBANS-Abkommen .................... 129
KRUmme, UWe
Die südasiatische Tsunami-Katastrophe - ökologische Aspekte des Desasters
und der Folgenbewältigung .............................................................................................................................. 133
Vorwort
Das 15. Symposium „Aktuelle Probleme der Meeresumwelt“ fand vom 7. bis 8. Juni 2005 in Hamburg statt. Das
Symposium wird veranstaltet vom Bundesamt für Seeschifffahrt und Hydrographie in Zusammenarbeit mit dem
Umweltbundesamt, dem Bundesamt für Naturschutz und im Auftrag des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit.
Wie bereits in den vergangenen Jahren kommt das BSH dem Wunsch nach Veröffentlichung der Vorträge mit
diesem speziellen Symposiumsband nach. Damit ist beabsichtigt, die Vielzahl der vorgetragenen Informationen
zu dokumentieren, einem größeren Kreis von Interessenten zugänglich zu machen und die Diskussion um die
weiterhin aktuellen Probleme zu beleben.
Die Beiträge wurden ohne Reviewverfahren in unveränderter Form übernommen und abgedruckt.
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Neue Entwicklungen im Meeresumweltschutz
Begrüßungsansprache zum 15. Meeresumweltsymposium
PETER EHLERS
Zum 15. Mal findet jetzt das Meeresumweltsymposium statt. Begonnen hat alles 1991. Geht man um
weitere 15 Jahre zurück, so landet man mitten in den
70er Jahren des vergangenen Jahrhunderts. Das
war die Zeit, als es mit dem Meeresumweltschutz
begann. Die Übereinkommen von Helsinki, London,
Oslo und Paris, die alle die Reduzierung der Meeresverschmutzung zum Ziel hatten, wurden in dieser
Zeit verabschiedet. Jedoch dauerte es noch eine
ganze Weile, bis sie in Kraft traten und die internationale Zusammenarbeit für den Meeresumweltschutz
wirklich Fahrt aufnahm.
30 Jahre – das ist eine Generation. Ist das für den
Meeresumweltschutz nun eine lange oder eine kurze
Zeit? Darüber kann man gewiss streiten. Genauso
wird man darüber streiten können, ob in diesen 30
Jahren der Schutz der Meere weit genug vorangekommen ist. Vergleicht man die Diskussionen von
damals mit den heutigen Themen, so ist zumindest
eines klar: die Thematik hat sich ganz wesentlich gewandelt. Während es anfangs vor allem um die Meeresverschmutzung ging, sind wir uns inzwischen einig, dass der Schutz der Meere weit darüber hinaus
gehen muss. Noch das Seerechtsübereinkommen,
das nach wie vor die entscheidende internationale
Rechtsgrundlage für den Meeresumweltschutz ist,
konzentriert sich auf die Verschmutzung, so dass
Rufe nach einer Weiterentwicklung des Seerechts
immer wieder zu hören sind.
Heute geht es nicht mehr nur darum, dass die
Meere nicht als Müllschlucker für all die Abfälle und
Rückstände missbraucht werden dürfen, derer wir
Menschen uns entledigen wollen. Es geht um die
Bewahrung der Ökosysteme, die Erhaltung der Biodiversität, den Naturschutz, aber auch um die Auswirkungen von Klimaveränderungen. Umweltschutz
mit einem ökosystemaren Ansatz ist längst Teil unserer Bemühungen um eine nachhaltige Entwicklung
geworden, mit dem Ziel, die natürlichen Ressourcen
so zu behandeln und zu nutzen, dass wir auch nachfolgenden Generationen eine lebenswerte Umwelt
bewahren. Das verlangt auch eine sachgerechte Interessenabwägung zwischen den unterschiedlichen
Nutzungen und dem Schutz der Meere. Führt man
sich diese Entwicklung des Meeresumweltschutzes
vor Augen, so erscheint es mehr als folgerichtig,
dass inzwischen auf europäischer, aber auch auf nationaler Ebene an umfassenden Meeresschutzstrategien gearbeitet wird, die dann ihrerseits integraler
Teil einer noch umfassenderen Meerespolitik werden
müssen.
Diese Entwicklung spiegelt sich in den Meeresumweltsymposien wider. Auch deren Themen haben
sich im Laufe der Jahre gewandelt. So sind die Symposien nicht nur ein inzwischen fest installiertes Forum für alle, die sich dem Meeresumweltschutz verbunden fühlen. Sie dienen als eine Art Seismograph,
mit dem aktuelle Entwicklungen möglichst frühzeitig
aufgespürt werden. In dieser Tradition steht auch
das diesjährige Symposium, zu dem ich Sie alle sehr
herzlich begrüße.
Erneut ist ein großer Teilnehmerkreis aus Wissenschaft, Verbänden und Verwaltung zusammengekommen. Knapp 400 Teilnehmer haben sich angemeldet. Das sind noch einige mehr als in den letzten
Jahren. Nun glauben Sie aber bitte nicht, dass wir
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dieses Mal im CCH tagen, weil wir damit signalisieren wollen, dass wir allmählich die größten Veranstaltungsräume in Hamburg benötigen. Der Grund dafür
ist viel prosaischer: die Räume, in denen wir in den
vergangenen Jahren getagt haben, standen nicht
zur Verfügung.
Besonders willkommen heiße ich die Referenten,
wissen wir doch genau, dass von Ihren Beiträgen
der Erfolg der Veranstaltung ganz entscheidend abhängt,
Ein sehr herzlicher Gruß gilt den ausländischen Teilnehmern. Wir schwanken immer wieder, ob wir das
Symposium gezielt zu einem internationalen Forum
ausweiten sollen. Bisher haben wir davon abgesehen, weil sich dann der Charakter dieser Veranstaltung vermutlich grundlegend ändern würde. Umso
mehr freuen wir uns aber, dass immer wieder einige Kollegen aus dem Ausland dabei sind, die dafür
sorgen, dass wir über allzu enge nationale Grenzen
hinausblicken, was gerade im maritimen Bereich unerlässlich ist. Thematisch sind wir natürlich längst
international geworden, denn die Meere und ihre
Probleme sind grenzenlos.
Gern hätte ich an dieser Stelle, wie geplant, Herrn
Bundesminister Trittin begrüßt, der aber leider kurzfristig absagen musste. So bleibt es weiterhin Klaus
Töpfer vorbehalten, als einziger zweimal die Auftaktrede bei einem unserer Symposien gehalten zu haben.
Den Auftakt zu diesem Symposium bildet das alles
umfassende Thema „Meerespolitik“. Dazu gehört
zum einen die Meeresschutzstrategie, deren Entwicklung wir in den vergangenen Jahren aufmerksam
verfolgt haben. Da nun die Arbeiten auf europäischer
Ebene allmählich zu einem Abschluss kommen sollen und dazu ergänzend auch eine nationale Strategie entwickelt wird, sind wir natürlich sehr daran
interessiert, mehr über den aktuellen Sachstand zu
erfahren. Von besonderem Interesse ist dabei, wie
die strategischen Überlegungen zum Meeresschutz
in eine übergreifende europäische Meerespolitik eingebettet werden.
Das leitet dann über zu dem nächsten Abschnitt,
in dem es um neue Nutzungsformen des Meeres
und ihre Risiken geht. Die Stichworte Wellenenergie, Wasserstoffherstellung, Gewinnung von Arzneimitteln aus dem Meer lassen die Aktualität deutlich
werden. Von noch viel größerer Aktualität sind die
Folgerungen, die aus der Tsunami-Katastrophe in
Südostasien zu ziehen sind. Dabei hat die deutsche
Initiative zum Aufbau eines Frühwarnsystems besonderes Gewicht.
Unser Augenmerk gilt dann dem Wattenmeer. Neben
aktuellen Einschätzungen geht es um Monitoringaktivitäten, die Voraussetzung sind, um Aussagen zum
Qualitätszustand überhaupt treffen zu können.
Bei der Diskussion um Klimaveränderungen gewinnt die Frage nach möglichen Auswirkungen auf
die Küstenzone zunehmend an Bedeutung. Dem
tragen wir durch den Themenbereich „Klima und
Küste“ Rechnung. Hier wollen wir über biologische
und geochemische������������������������������
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Auswirkungen, aber auch über
Veränderungen des Wasserstandes und des Wasserkreislaufes diskutieren.
Im Rahmen eines umfassenden Meeresschutzes
spielt der Naturschutz eine herausgehobene Rolle. Die zu erörternden Themen betreffen die Ausweisung von Schutzgebieten, die Auswirkungen
von Offshore-Windanlagen und den Schutz der
Kleinwale in Nord- und Ostsee. Weit darüber hinausgehend sollen aber auch die ökologischen
Auswirkungen der Tsunami-Katastrophe beleuchtet
werden.
Die große thematische Breite, die auch dieses Symposium kennzeichnet, bringt die Gefahr mit sich,
dass zwar vieles angerissen wird, dabei aber die
häufig notwendige oder zumindest wünschenswerte
Vertiefung zu kurz kommt. Dessen sind wir uns wohl
bewusst. Richtschnur ist für uns auch nicht jenes
Motto aus Goethes Faust, wo es im Vorspiel auf dem
Theater heißt: „Wer vieles bringt, wird manchem
etwas bringen. Und jeder geht zufrieden aus dem
Haus.“ Wir meinen aber, dass wir die Erörterung
der Meeresumweltprobleme nicht auf einige wenige
Themen reduzieren dürfen, wenn wir dem Anspruch
des Symposiums als einem aktuellen Informationsund Diskussionsforum gerecht werden wollen. Wenn
wir auch bei weitem nicht alle Problembereiche des
Meeresschutzes im Programm untergebracht haben, so hoffe ich, dass die gleichwohl bestehende
thematische Vielfalt uns nicht daran hindern wird,
zu möglichst konkreten Ergebnissen, Feststellungen
und vielleicht auch Handlungsvorschlägen zu gelangen. Das wiederum setzt eine aktive Beteiligung
von Ihnen allen voraus. Noch mehr als in der Ver-
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gangenheit soll deshalb genügend Zeit für Diskussionen sein. Wir haben uns bemüht, das bei der Programmgestaltung angemessen zu berücksichtigen.
Denn das Gespräch miteinander ist eines der wesentlichen Elemente dieser Veranstaltung. Dem dient
dann auch wieder das abendliche Beisammensein
im BSH, zu dem ich Sie alle herzlich einlade.
Ermöglicht wird der Abendempfang genauso wie
das Symposium insgesamt durch das Bundesum-
Anschrift des Verfassers:
Prof. Dr. Peter Ehlers
Präsident und Professor des Bundesamtes
für Seeschifffahrt und Hydrographie
Bernhard-Nocht-Straße 78
20359 Hamburg
Neptunallee 5
18057 Rostock
weltministerium, dem ich dafür sehr herzlich danke. In den Dank schließe ich all die Kolleginnen und
Kollegen ein, die das Symposium vorbereitet haben
und durchführen. Nur dank ihres besonderen Engagements kann Jahr für Jahr diese für uns so wichtige
Veranstaltung stattfinden.
Ich freue mich auf ein informatives, diskussionsfreudiges und sicher erfolgreiches Symposium, das ich
hiermit eröffne.
Europäische Meerespolitik
Europäische Meerespolitik
Meeresschutz - eine gemeinsame Aufgabe:
Global, EU-weit, regional und national
FRITZ HOLZWARTh
Sehr geehrte Frau Trebesch,
sehr geehrter Herr Dr. Ehlers,
sehr geehrte Damen und Herren,
in der Politik ist bekanntermaßen das Beständigste
der Wechsel, und das gilt auch für Gelegenheiten
wie diese. Der Minister hat kurzfristig eine andere
Verpflichtung und mich deshalb gebeten, dieses
Eingangsreferat heute hier zu halten. Nichtsdestoweniger darf ich Ihnen, Herr Ehlers, dem BSH, aber
auch dem Auditorium die Wünsche des Ministers
überbringen. Er wünscht der Veranstaltung einen
guten Verlauf.
Dieses Stichwort „Rolle des Symposiums“ greife ich
gerne auf. Wir befinden uns in einem Diskussionsprozess, in dem wir Ihren Sachverstand, Ihre Unterstützung und auch Ihre Diskussionsbeiträge notwendig
brauchen. Seit 15 Jahren ist der Titel für dieses Symposium „Aktuelle Probleme der Meeresumwelt“. Diese Überschrift könnte uns dem Verdacht aussetzen,
dass wir über das Problematisieren nicht hinauskommen. Der Inhalt der Symposien geht jedoch nach allen bisher gemachten Erfahrungen über dieses Problematisieren deutlich hinaus. Im Englischen ist es
manchmal einfacher, solche Dinge auszudrücken.
Da würde man sagen: „From vision to action“.
Ich brauche diesem Kreis nicht vorzutragen, welche
Bedeutung die Meere als Grundlage unseres Lebens
haben. Was mir wichtig zu sein scheint ist, dass wir
beim Thema Meeresschutz einen Vierklang brauchen. Wir brauchen zum einen die globale Ebene.
Dazu gehören das Seerechtsübereinkommen und
die Diskussionen über dessen Revision, die gerade
beginnen. Dann gibt es die europäische Ebene, die
sich anschickt, im Meeresschutz etwas breiter an die
Thematik heranzugehen. In diesem Zusammenhang
bin ich auch ausgesprochen dankbar, dass Frau Kollegin Trebesch aus dem BMVBW etwas zum Grünbuchprozess sagt. Zudem haben wir die nationale
Ebene, für die wir eine nationale Strategie entwickeln,
die deutlich macht, dass dies ein wichtiges Politikfeld darstellt. Und wir haben in der Bundesrepublik
die Küstenländer, die im Vollzug eine große Aufgabe
und Verantwortung für den Meeres- und den Küstenschutz haben.
Im Grunde genommen können wir die Problemlage,
nämlich die vielfältigen Nutzungsansprüche und die
daraus resultierenden „pressures“ für die Nordsee
ganz gut auf der Webseite des BSH abrufen. Dort
finden Sie u. a. das Informationssystem CONTIS,
mit dem Sie beispielsweise alle Nutzungen, die auf
der Nordsee lasten, nacheinander aufrufen können.
Wenn Sie diese übereinander legen, wird Ihnen mit
einem Blick deutlich, dass wir die vier Ebenen der
Herausforderungen in der Meerespolitik dringend
brauchen. Mit ihnen müssen wir auch unterschiedliche Einflussfaktoren miteinander in Verbindung bringen und durchaus auch gegensätzliche Interessen
ausgleichen. Die Diagnose ist im Grunde genommen
ziemlich klar. Die haben wir auch mehrfach in diesem
Kreise diskutiert und thematisiert. Nutzungen dürfen
nicht länger isoliert oder sektoral betrachtet werden,
ansonsten könnte eines Tages der Satz über einem
Vortrag stehen: „Die zuverlässigste Diagnose kommt
allemal noch vom Pathologen.“ Das ist meiner Meinung nach eine Situation, die man sich immer vor
Augen halten muss. Wenn Sie diese Nutzungsdrücke
sehen und wenn Sie sehen, was wir an Forderungen
haben und wie diese vier Ebenen zusammenspielen müssen, dann ist Meeresschutzpolitik und auch
Meerespolitik insgesamt das, was Max Weber als
das „Bohren dicker Bretter“ bezeichnet hat. Dieses
ist dicker als manches andere Brett, das wir im politischen Bereich zu bohren haben. Vielleicht nicht
so attraktiv und nicht so schlagzeilenträchtig. Es sei
denn, es gibt Tankerhavarien oder Seehundseuchen
oder irgendwelche vergleichbaren öffentlichkeitswirksamen Ereignisse respektive Katastrophen. Trotz
dieser nur sporadischen Wahrnehmung handelt es
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Europäische Meerespolitik
sich um ein hochkomplexes Politikgebiet. Dieses
müssen wir in seiner Zusammenschau betrachten
und sollten es nicht in einzelne konkurrierende Aspekte von Schutz und Nutzungen unterteilen. Integration ist angesagt und die Herstellung einer Balance beider Elemente.
Über die Europäische Meeresschutzstrategie wurde
bereits in einem früheren Symposium berichtet. Sie
ist auf dem Weg, finalisiert zu werden. Es sieht so
aus, dass das in Brüssel geschnürte Paket eine Strategie enthält, die die aktuelle Situation beschreibt
und die meeresschutzpolitische Richtung in Europa
vorzeichnet, in die es zukünftig weitergehen sollte.
Darüber hinaus werden wir - die einen sagen „hoffentlich“, die anderen sagen „hoffentlich nicht“ - den
Entwurf einer Rahmenrichtlinie zum Meeresschutz
bekommen. Sie wird die konsequente Ergänzung der
für die Flüsse und Seen vor fünf Jahren in Kraft getretenen Wasserrahmenrichtlinie darstellen. Ich weiß,
dass dies nicht viele hören wollen. Aber ich glaube,
dass die Rahmenrichtlinie Meeresschutz eine wichtige Perspektive für die Umsetzung der Ziele darstellt,
mit denen wir uns hier befassen. Bei aller Notwendigkeit für die Beachtung regionaler Spezifika einerseits,
müssen wir auf der anderen Seite auch europäisch
einheitlich vorgehen. Wir benötigen ein Instrument,
das in Ergänzung zu den regionalen Aktivitäten eine
rechtliche Verbindlichkeit vorsieht. Die Erfolge der
Regionalkooperationen an Nordostatlantik und Ostsee sind unbestritten und wir verdanken diesen Kooperationen große Fortschritte beim Schutz und der
Sanierung unserer Meere. Fest steht jedoch auch,
dass die recht unterschiedlichen Umsetzungsaktivitäten der jeweiligen Vertragsstaaten, sei es aus
Gründen finanzieller Unzulänglichkeiten oder aus
Gründen politisch anderer nationaler Prioritätensetzung zu einer Art „Wettbewerbsverzerrung“ zwischen
den europäischen Nachbarn geführt hat. Diese gilt es
abzubauen und zum Wohle eines balancierten Meeresschutzes und letztlich zum Wohle unserer Meere
mit rechtlicher Verbindlichkeit auszustatten.
Ich habe an dieser Stelle auch schon mehrfach
selbstkritisch gesagt: “Das Implementierungsdefizit,
das wir in den regionalen Konventionen haben, gilt
es zu reduzieren“. Es ist völlig klar, dass unsere britischen Kollegen jenseits des Kanals sich an dieser
Stelle nicht in Freudensprüngen bewegen. Hier ist
eher die Schrittfolge der Echternacher Spring prozession angesagt: Drei Schritte vor, einer zurück. Im
Augenblick wird der Versuch unternommen, diese
Meeresrahmenrichtlinie im Keim zu ersticken, bevor
sie in Brüssel das Licht der Welt erblickt hat. Es wird
nämlich deutlich, dass eine solche Rahmenrichtlinie
nicht in der Themsemündung oder in anderen Flussmündungen auf der Insel enden kann. Hier liegt die
wichtigste Schnittstelle zur WRRL, denn alles endet
in dieser. Danach hätten wir zukünftig nicht nur die
Einträge, sondern auch die Einflüsse von Strömungsverhältnissen mit zu berücksichtigen, wenn wir eine
gute Qualität in den Küstengewässern erreichen
wollen. Daraus folgt zwingend – und das Gleiche
gilt auch für die Niederländer - dass wir selbst dann,
wenn wir alles in unserer Macht Stehende tun, noch
immer Frachten in unseren Küstengewässern vorfinden, die nicht durch unsere Maßnahmen reduziert
werden können.
Das gilt für alle, die so miteinander verbunden sind.
Meeresverschmutzungen kennen eben (auch) keine
Grenzen.
In jedem Fall halte ich dies für eine wichtige Entwicklung auf europäischer Ebene, die aber auch
eine deutsche Antwort erfordert. Welche Antwort hat
Deutschland auf diese Fragen?. Der Sachverständigenrat für Umweltfragen hat vor 14 Monaten sein
Meeresgutachten vorgelegt.
Eine wesentliche Empfehlung des Rates lautet, eine
nationale Meeresstrategie zu erarbeiten. Ich bin dankbar, dass wir diese Idee bereits aufgreifen konnten.
Wichtig ist dabei, dass dies nicht nur eine einsame Entscheidung des BMU ist. Es besteht vielmehr Einigkeit
unter den betroffenen Bundesressorts, das ehrgeizige
Ziel zu realisieren, die Meeresstrategie als Strategie
der Bundesregierung zu entwickeln. Da werden wir
noch einige Anstrengungen investieren müssen. Aber
ich denke, die integrierte Betrachtungsweise, die wir
in den Mittelpunkt unserer Überlegungen stellen, ist
eine konsequente Antwort auf den Befund in unseren
Meeren. Hinsichtlich der nationalen Meeresstrategie
haben wir uns zunächst einmal des Sachverstandes
der Kollegen im Bereich des BSH, des Umweltbundesamtes, des Bundesamtes für Naturschutz und anderer
Einrichtungen bedient. Wir haben auch Zulieferungen
aus den betroffenen Bundesressorts bekommen. Alles in allem liegen etwa 180 Seiten auf dem Tisch, die
noch nicht schlüssig sind, aber viele Ideen enthalten.
Und natürlich offenbart die Lektüre der Beiträge noch
das eine oder andere Konfliktfeld. Einigkeit besteht
jedoch besonders im Hinblick darauf, dass wir im In-
Europäische Meerespolitik
teresse einer erfolgreichen Meeresschutzpolitik die
Themen Umwelt und Naturschutz nicht als alleinigen
Maßstab nehmen können. Wir müssen uns vielmehr
mit dem Thema Nutzungen auseinandersetzen und
eine Balance zwischen Schutz und Nutzung herstellen. Andernfalls können wir sicher ein lyrisch wunderbar aufgearbeitetes Papier zum „Schutz“’ auf den
Tisch legen. Ob dieses Papier aber mehr ist als ein
Steinbruch für politische Sonntagsreden, wage ich zu
bezweifeln.
Was aber sind die Leitlinien, die wir uns gegeben
haben, um diese Nationale Strategie zu entwickeln?
Basis muss zunächst einmal sein, dass es in erster
Linie um den Erhalt der Funktionsfähigkeit des Ökosystems gehen muss. Dies ist eine wichtige Leitlinie.
Sie besagt, dass politisch gewollte Nutzungen dieses
Ökosystems akzeptiert werden müssen und man sie
zugleich auch in Einklang mit dem Schutzgedanken
bringen muss. Das bedeutet - und nun komme ich zum
ersten konkreten Beispiel - dass wir unseren Einfluss
geltend machen müssen, wenn es um die Weiterentwicklung und die Formulierung der Gemeinsamen Europäischen Fischereipolitik geht. Auch wissenschaftlich ist man sich da im Grunde genommen einig. Einer
der größten, wenn nicht sogar der gewichtigste Faktor, wenn es um das Ökosystem Meer hinsichtlich der
Nutzung und der negativen Auswirkungen geht, ist
der Bereich der Fischerei. Da ist einiges in den letzten
Jahren passiert. Aber ich sage es noch einmal ausdrücklich: „Es ist noch nicht genug geschehen!“
Ich habe es dieser Tage in einer Diskussion wie folgt
formuliert: „Wenn alles das, was heute in der reformierten Fischereipolitik auf EU-Ebene auf dem Papier steht, wirklich umgesetzt werden würde, dann
wären wir auf dem Weg zu einer Verbesserung des
Ökosystems Meer einen maßgeblichen Schritt weiter.“
Hier wird es darum gehen, diese Vorstellung weiter
in der Diskussion zu halten und damit unseren Beitrag zu einer schrittweisen Verbesserung zu leisten.
Es ist bekanntermaßen keineswegs selbstverständlich, dass zwischen Umwelt-, Fischerei- und Landwirtschaftsministerium Konfliktfreiheit herrscht. Es gibt
naturgemäß unterschiedliche Interessen. Daher muss
es unser Ziel sein, an dieser Stelle eine Haltung der
Bundesregierung zu formulieren, die wir weiter nach
Brüssel transportieren können. Das wichtigste in dem
Bereich ist, dass wir von den ad hoc-Festlegungen
von Fangquoten wegkommen. Wir müssen vielmehr
im Rahmen der Weiterentwicklung der Fischereipolitik
dazu kommen – so wie wir das beispielsweise beim
Heringsbestand seit wenigen Jahren haben – dass
Vier-, Fünf- oder sogar Sechsjahrespläne beschlossen
werden. Auf keinen Fall darf mehr, wie beim letzten Fischereirat im Dezember, alljährlich das berühmte Dezemberfieber ausbrechen. Dann werden Fangquoten
verteilt, bei denen mehr politische denn wissenschaftliche Argumente eine Rolle spielen. Wir müssen uns
bei der Debatte als Deutsche aber auch darüber im
Klaren sein, dass es Landstriche in der EU gibt, die
ökonomisch und sozial von der Fischerei abhängig
sind. Ich würde jedem raten, der hier besonders radikale Forderungen bereit hält, sich mal auf den Weg an
die galizische Küste zu machen. Dort kann man sich
vor Ort ansehen, welche ökonomische und soziale
Bedeutung die Fischerei für die Region hat. Für uns
bedeutet dies, dass wir wie bei der Einbringung national abgestimmter Positionen in diesen Prozess auch
akzeptieren, dass ein Strukturwandel dieser Dimension nicht von heute auf morgen zu bewerkstelligen ist.
Zudem könnte der Verdacht aufkommen, dass wir das
Thema Fischerei auf der EU-Ebene ‚in Ordnung bringen’ wollten, obwohl wir faktisch davon nicht besonders stark betroffen sind. Das reicht aber nicht aus.
Zunehmend kommt auch die globale Ebene hinzu.
Es kann nicht sein, dass wir dann die Verminderung
von Fangquoten in Europa in der Konsequenz exportieren und damit den Fangdruck an den Küsten
der Entwicklungsländer so erhöhen, dass die Fischer
dort nicht einmal mehr ihre Subsistenzfischerei betreiben können, weil sie in Küstennähe keine oder nur
geringe Bestände vorfinden. Dies ist meiner Meinung
nach ein Punkt, den wir u.a. über nationale Ansätze in
der Fischereipolitik hinaus weiterentwickeln müssen.
Ein anderes aus Sicht des Meeresschutzes relevantes Thema ist die Schifffahrt. Dort lautet noch heute oft die Devise: Weder national noch auf EU-Ebene
kann oder soll hier etwas geschehen. Dies gehört
in die fachliche Zuständigkeit der einschlägigen
UN-Behörde, der Internationalen Seeschifffahrtsorganisation, IMO. Mit dieser Vorstellung mussten
wir uns lange Zeit auseinandersetzen. Spätestens
seit den beiden schweren Schiffsunglücken vor der
französischen und vor der spanischen Küste ist jedoch klar, dass auch die EU wirksame Handlungsmöglichkeiten hat. Diese werden genutzt, um das
Thema Schiffsicherheit und die Auswirkungen der
Schifffahrt auf die Umwelt stärker zu gestalten als
bisher. Das kann - wie in der Vergangenheit auch
bereits geschehen – auch durch gemeinsame Einbringung von EU-Initiativen in die IMO erfolgen.
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Europäische Meerespolitik
Beim Thema Ökosystem gibt es natürlich noch einen
Punkt. Bei dem wird zwar ebenfalls in Brüssel Politik gemacht und Anreize werden gesetzt, allerdings
können wir natürlich auch national einiges tun. Es
geht um die Landwirtschaft. Die Punktquellen sind
mit wenigen Ausnahmen in der Bundesrepublik kein
großes Thema mehr wie in den 80er und 90er Jahren. Zu einem Punkt gibt es einen Vortrag im ersten
Block zu dem Thema „Neue Nutzungsformen/Arzneimittel aus dem Meer“. Dies ist ein Thema, das wir mit
der klassischen Kläranlage nicht bewältigen können.
Darüber muss verstärkt nachgedacht werden, weil
es keine schnellen und einfachen Lösungen gibt.
Entscheidend ist, dass nach wie vor die Haupteinträge diffuser Art aus der Landwirtschaft und an zweiter
Stelle über den Luftpfad erfolgen. An dieser Stelle
müssen wir darüber nachdenken, welche nationalen
Instrumente wir einsetzen können, um darauf Einfluss
zu nehmen. Wenn natürlich in der Novelle der Düngeverordnung, die momentan auf dem Tisch liegt,
für Grünland 230 kg Stickstoff pro Jahr und Hektar
als akzeptabel angesehen werden, anstatt 170 kg,
dann bekommen wir mit diesem Ansatz das Thema
Eutrophierung nicht in den Griff. Wir sind hier zwar
in guter europäischer Gesellschaft, doch das ist ein
schwacher Trost. Auch bei diesem Thema müssen
wir daher weiter am Ball bleiben.
Diese drei Themen machen einzeln und erst recht
bei einer Gesamtschau deutlich, dass wir nur weiterkommen, wenn wir uns über die Sektoren hinweg
abstimmen.
Das bedeutet gleichzeitig, dass nicht die Umweltseite allein in jedem Fall immer die Maßstäbe setzen
kann, die andere umsetzen müssen. Das gilt es auf
der Umweltseite einfach auch zu akzeptieren. Wir
müssen uns die fachlichen Erfahrungen, die es in
den einzelnen Sektoren gibt, zu Nutze machen.
Lassen Sie mich einen letzten Punkt ansprechen. Es
gibt einen Konflikt, den wir nicht nur im Meeresschutz
beobachten. Dieser existiert auch in vielen anderen Bereichen des Umweltschutzes und schwebt
wie eine Art Fata Morgana über allem. Es gilt, den
Konflikt zwischen Vorsorgeprinzip und letztem Beweis aufzulösen. Das bedeutet, dass wir uns nicht
darauf ausruhen können, noch nicht alle wissenschaftlichen Erkenntnisse gewonnen zu haben, die
wir gerne hätten und politische Entscheidungen deshalb nicht zu treffen. Es bedeutet vielmehr, dass wir
mit dem Vorsorgeprinzip, also mit der auf dem Tisch
liegenden wissenschaftlichen Erkenntnis, unsere Politik begründen und formulieren müssen. Lücken in
der wissenschaftlichen Erkenntnis dürfen nicht zum
Prinzip des Nichtstuns im Meeresbereich führen.
Mir ist bewusst, dass das Thema Vorsorgeprinzip
und letzter wissenschaftlicher Beweis eine Art Tanz
auf der Rasierklinge ist. Das kann und möchte ich
nicht wegdiskutieren. Wenn wir das Vorsorgeprinzip
weiter als tragendes Element von Politikgestaltung
in allen Bereichen der Umweltpolitik, also auch im
Meeresbereich haben wollen, müssen wir einen Weg
finden, damit in der Praxis wirklich umzugehen, ohne
jedoch ausschließlich Sonntagsreden zu formulieren.
Ein Meeresschutz auf dieser Grundlage ist das Ziel
der nationalen und auch der europäischen Strategie.
Meeresschutz ist nicht die Frage saisonaler Aktivitäten bei Auftauchen von Problemen, wie z. B. vorgestern, als wir wieder über (die) Tickermeldungen
des Themas „Algenblüte“ auf unsere Schreibtische
gespült bekommen haben. Nicht selten bricht dann
eine Art Betroffenheitstourismus aus - so nenne ich
das einmal. Aber vier Wochen später, wenn es darum geht, die gewonnenen Erkenntnisse in tatsächliche Politik umzusetzen und dafür zu sorgen, dass
wir die nationale Meeresstrategie als ein Kontinuum
über die Jahreszeiten hinweg im Auge behalten können, dann wird es etwas schwierig.
Ich weiß, wir haben einen ehrgeizigen Plan. Ich bin
auch davon überzeugt, eine nationale Meeresstrategie kein Projekt ist, das sich in den Grenzen von
Legislaturperioden erarbeiten lässt. Das ist vielmehr
ein Projekt, das über Legislaturperioden hinweg wirken muss. Nur dann werden wir in langer Perspektive erfolgreich sein. Der Spruch von John Maynard
Keynes, dem Ökonomen der 20er Jahre, kann uns
nicht genug sein: “In the long run we are all dead.”
Vielen Dank.
Anschrift des Verfassers:
Dr. Fritz Holzwarth
Ministerialdirigent
Unterabteilungsleiter Wasserwirtschaft
im Bundesministerium für Umwelt,
Naturschutz und Reaktorsicherheit
Robert-Schuman-Platz 3
53175 Bonn
Europäische Meerespolitik
Meeresschutzstrategie aus Sicht eines Küstenlandes
BERND SCHERER
Europa ist eine Halbinsel, die überwiegend von
Meeren umschlossen ist. Ein Drittel der Menschen in
der EU lebt an den Küsten.
Die europäischen Meere stellen eine gewaltige natürliche Ressource dar, auch für die Wirtschaftskraft der
EU. Gleichzeitig gilt: Die Meere sind einer Vielzahl
von Nutzungen ausgesetzt, die zu einer fortschreitenden Belastung, teilweise sogar zu einer Zerstörung ihrer Ökosysteme geführt haben und weiterhin
führen.
Die EU- Kommission hat im Jahre 2002 eine Mitteilung „Hin zu einer Strategie zum Schutz und zur
Erhaltung der Meeresumwelt“ (KOM(2002)539) vorgelegt, in der das Thema Meer erstmals mit einem
umfassenden integrativen Politikansatz behandelt
wird. Dieser Ansatz hat zwar einen Schwerpunkt
im Bereich Umwelt, verweist aber an vielen Stellen
auch auf Wirtschaft und Soziales. Das übergreifende
Ziel der EU Meeresschutz-Strategie besteht in einer
nachhaltigen Nutzung der Meere und dem Erhalt der
Meeresökosysteme. Der ökosystemare Ansatz auf
der Grundlage des Vorsorgeprinzips soll Politiken
und Managementmaßnahmen ermöglichen, die darauf abzielen, die Folgen von Nutzungen und Eingriffen zu bewerten und zu bewältigen. Der Ansatz
zielt auf alle menschlichen Aktivitäten, die Auswirkungen auf die Meere haben - auf See ebenso wie
an Land.
Die Kommission plant, die endgültige „Marine Strategy“ noch im Laufe des Jahres 2005 vorzulegen. An
der Fertigstellung dieser EU-Strategie ist auch Schleswig-Holstein als Vertreter der 5 Küstenländer in den
entsprechenden deutschen Delegationen vertreten.
Noch völlig offen ist die entscheidende Frage, welche
Qualität die „Marine Strategy“ am Ende bekommen
wird. Da es bereits genug unverbindliches Papier
in den Bücherregalen gibt, sollten die wesentlichen
Inhalte aus Sicht des Meeresschutzes unbedingt
rechtliche Bindungswirkung erhalten, etwa durch
Realisierung einer EU-Richtlinie.
Inzwischen ist der für die neue Generaldirektion „Fischerei und maritime Angelegenheiten“ berufene
EU-Kommissar Joseph Borg für die übergreifende
Koordinierung der gesamten maritimen Politik innerhalb der Europäischen Kommission verantwortlich. Zugleich hat er den Vorsitz einer ressortübergreifenden Kommissions-Arbeitsgruppe (Taskforce)
übernommen, die ein Grünbuch zur maritimen Politik
entwickeln soll.
Das Grünbuch wird die Chancen und Herausforderungen herausarbeiten, mit denen Europa auf dem
maritimen Sektor konfrontiert ist. Es muss sowohl
Wege zu einer effektiven als auch zu einer umfassend nachhaltigen Nutzung der Ressource Meer
aufzeigen: es gilt, die ökonomische und ökologische
Zukunftsfähigkeit der Ressource Meer sicherzustellen, entsprechend den Zielsetzungen von Lissabon
(Schwerpunkt Wirtschaftswachstum) und Göteborg
(Schwerpunkt Nachhaltigkeit).
Noch ist nicht vorherzusehen, mit welchem Gewicht
die „Marine Strategy“ in das Grünbuch eingehen
wird. Der Umgang mit dem Thema Meer wird insofern zu einem Prüfstein werden, wie die Europäische
Union die Stärkung ihrer wirtschaftlichen Interessen
mit ihrer Verantwortung für globale ökologische Entwicklungen verbindet. Dabei haben viele Entscheidungen im Bereich der Meerespolitik Auswirkungen
auf die Küstenregionen.
Auf Bundesebene wird derzeit an einer nationalen
Meeresschutz-Strategie gearbeitet. Diese soll vermutlich noch in diesem Jahr auch mit den Küstenländern beraten werden.
17
18
Europäische Meerespolitik
Vor diesem europäischen und nationalen Hintergrund wird als wichtiges politisches Ziel SchleswigHolsteins eine eigene Meerespolitik formuliert, um
die eigene regionale Dimension in das Grünbuch zur
maritimen Politik und damit in eine umfassende europäische Meerespolitik einzubringen.
Vor diesem Hintergrund sind aus schleswig-holsteinischer Sicht folgende Bereiche von besonderer Bedeutung:
Die Landesregierung Schleswig-Holstein hat deshalb vor einiger Zeit die Initiative „Zukunft Meer“ gestartet. Damit sollen Potenziale im Land freigesetzt
und gefördert, und zugleich die auf EU-Ebene verfolgte Strategie komplementär begleitet und unterstützt werden.
• Verringerung der Einträge von Schad- und Nährstoffen ins Meer, insbesondere durch Umsetzung
der Wasserrahmenrichtlinie und durch Förderung
extensiver und ökologischer Landbewirtschaftung,
denn noch immer sind unsere Meere Problemgebiete der Eutrophierung und zu hoch mit Schadstoffen belastet.
•· Klimaschutzaktivitäten zum Schutz mariner Ökosysteme und der Küste,
denn Folgen des Klimawandels beeinflussen u. a.
Fischerei und Küstenschutz.
•· Entwicklung und Förderung von Aquakulturprojekten
mit geschlossenen Kreisläufen,
denn bei gleich bleibendem oder steigendem Bedarf an Nahrung aus dem Meer und anhaltender
Überfischung können diese eine Entlastung (und
Exportchance) bedeuten.
In einem umfassenden regionalen Ansatz zur integrierten und fachbereichsübergreifenden Meerespolitik sollen die Stärken in den verschiedenen
maritimen Sektoren identifiziert und zu einem Gesamtkonzept mit konkreten Projekten gebündelt
werden. Schleswig-Holstein soll so zu einer europäischen Modellregion für maritime Kompetenzen
gemacht werden.
In diese Landesaktivitäten zur Meerespolitik insgesamt gliedern sich die auf den integrierten Meeresschutz bezogenen strategischen Ansätze des
Ministeriums für Landwirtschaft, Umweltschutz und
ländliche Räume ein. Sie gründen sich auf die Einsicht, dass zwar der Meeresschutz bezogen auf die
gesamte Meerespolitik nicht alles ist, dass aber ohne
ihn alles nichts ist!
Dies gilt für Leben, Gesundheit und Genuss von
uns und unseren Kindern – und damit für den entscheidenden weichen Standortfaktor von SchleswigHolstein. Das gilt gleichermaßen für Fischerei- und
Ernährungswirtschaft, sowie für einen unserer ertragreichsten Wirtschaftszweige, den Tourismus. Es gilt
aber auch für Seetransport, der nur in Verbindung
mit dem Meeresschutz gesellschaftliche Akzeptanz
hat, und in der Folge für Schiffbauindustrie und verwandte Bereiche. Selbst die „kulturelle Nutzung“ von
Meer und Küste ist ohne eine intakte Meersumwelt
schlechterdings nicht vorstellbar.
Es ist deshalb entscheidend, dass wirksamer und
umfassender Meeresschutz weder als sektorales
Naturschutzhobby noch als wirtschaftsbehindernde Aktivität von Einzelnen verkannt wird, sondern als das gesehen wird, was er ist: Unabdingbare Voraussetzung für menschliches Leben und
Wirtschaften.
Aktivitäten an Land:
Aktivitäten auf See:
• Flächenhafter Natur- und Meeresschutz, u. a. durch
die Entwicklung des Nationalparks Schleswig-Holsteinisches Wattenmeer und das Netz der marinen
Natura 2000-Schutzgebiete,
denn nur gezielter Erhalt der wertvollsten Lebensräume sichert Biodiversität und bewahrt die Grundlage für unsere (auch wirtschaftliche!) Zukunft.
•· Wirksamer Schutz für Wale im schleswig-holsteinischen Walschutzgebiet,
denn noch immer ertrinken tausende von Walen in
der Nordsee in Stellnetzen.
• Vorsorge gegen und die Bekämpfung von Meeresverschmutzungen,
denn sowohl die tägliche „kleine“ Ölverschmutzung, als auch die großen Unfälle bedrohen unsere Küsten.
•· Mitwirkung bei der Verbesserung der Schiffssicherheit und der Sicherheit im Seeverkehr,
denn, obwohl schon viel erreicht ist, stehen wichtige
Schritte noch aus.
•· Entwicklung und Förderung einer nachhaltigen Fischerei,
denn nach wie vor befinden sich viele Arten u.a.
durch anhaltende Überfischung außerhalb biologisch sicherer Grenzen.
Europäische Meerespolitik
• Hinwirken auf eine Verringerung des Schadstoffausstoßes durch den Schiffsverkehr,
denn wir wissen, dass (mindere) Qualität und Menge der als Schiffstreibstoff genutzten Bunker-Öle
eine signifikante Belastung der Atmosphäre und der
Meere darstellen.
Mitwirkung bei der nationalen und internationalen
Meeresschutzpolitik:
• Mitarbeit in den regionalen Meeresschutzkonventionen HELCOM und OSPAR,
denn nur auf der internationalen Ebene können die
Meere wirksam geschützt werden – hier müssen die
schleswig-holsteinischen Interessen eingebracht
werden.
• Mitarbeit bei der EU Marine Strategy,
denn bei der Vielzahl von internationalen Arbeitsgremien ist eine Verschlankung und Vereinheitlichung
auf der europäischen Ebene mit anschließender
rechtlicher Bindungswirkung der Regeln dringend
erforderlich.
• Hinwirken auf die Erarbeitung einer Neukonzeption
des deutschen Meeresmonitorings,
denn das Bund/Länder-Messprogramm muss vor
dem Hintergrund von Wasserrahmenrichtlinie, Natura 2000 und anderen internationalen Anforderungen
grundsätzlich neu ausgerichtet werden.
Alle diese Punkte sind der besonderen geographischen Lage Schleswig-Holsteins zwischen den europäischen Meeren Nord- und Ostsee geschuldet. Sie
haben über den reinen Meeres- und Umweltschutz
hinaus unmittelbare kurz- und vor allem langfristige
Bedeutung auch für die schleswig-holsteinische Wirtschaft. Sie sind geeignet, wissenschaftliche und technologische Entwicklung im Land zu befördern. Sie
unterstützen das positive Image Schleswig-Holsteins
als Umwelt-, Technologie und Gesundheitsstandort.
Sie erhalten und verbessern die weichen Standortfaktoren für die Ansiedlung von Menschen und Unternehmen. Und viele - dies ist für eine Küstenregion wie
Schleswig-Holstein von besonderer Bedeutung - sind
Voraussetzung und Bedingung für einen unserer bedeutendsten Wirtschaftszweige, den Tourismus.
Initiative
„Zukunft Meer“
Identifizierung von
Stärken in
maritimen Sektoren
Unterstützung und
Begleitung der EUMeerespolitiken/Strategien
Schleswig-Holstein als
Modellregion für
Maritime Kompetenzen
Abb. 1: Grundgedanken der Initiative „Zukunft Meer“, schematische Darstellung
Freisetzung und Förderung
wirtschaftlicher Potenziale
19
20
Europäische Meerespolitik
Meeresschutz als Voraussetzung für die Sicherung der maritimen Wirtschaft
Schutz der marinen
Nahrungsgrundlagen
Vermeidung der Schadund Nährstoffeinträge
Stärkung
Stärkung Tourismus:
Fischerei-/
Ernährungswirtschaft
Badegewässer-,
Strandqualität
Sight Seeing
Schutz von Artenvielfalt/
Meeresumwelt
gesellschaftliche
Akzeptenz u. a. des
Seetransportes
Abb. 2: Meeresschutz als Voraussetzung für die Sicherung der maritimen Wirtschaft, schematische Darstellung
Anschrift des Verfassers:
Dr. Bernd Scherer
Meeresschutz und Nationalpark
Ministerium für Landwirtschaft, Umwelt und
ländliche Räume des Landes Schleswig-Holstein
Mercatorstr. 3
24106 Kiel
Europäische Meerespolitik
Position der Bundesregierung zur Meerespolitik
HILDE TREBESCh*
Gegenstand dieses Vortrages ist das Positionspapier der Bundesregierung zur Meerespolitik.
Die Bundesregierung begrüßt die Entscheidung der
EU-Kommission, ein Grünbuch zur EU-Meerespolitik
zu erarbeiten, und will in diesen Prozess ihre Position
einbringen.
1
Grundsätze
Die Meere sind eine maßgebliche Grundlage des Lebens. Rund 70 % der Erdoberfläche sind vom Meer
bedeckt. Es enthält 98 % des Wasservolumens des
Planeten: Gesunde Meere sind eine vielfältige Quelle
für Ernährung, Wohlstand und Beschäftigung der Menschen sowie ein wesentlicher Klimafaktor und wichtiger Lebensraum für Pflanzen und Tiere. Das Meer
hat entscheidende Bedeutung für das wirtschaftliche,
soziale und kulturelle Miteinander der Menschheit.
Die zunehmende Globalisierung und Vernetzung
erfordern es, das Meer ganzheitlich als einen dem
Land gleichwertigen Natur- und Wirtschaftsraum zu
erfassen. Nur eine abgestimmte Politik der Mitgliedstaaten kann wegweisend und beispielhaft über die
Meere hinweg sein.
Die Bundesregierung unterstützt die Absicht der
Kommission, Aktivitäten im Bereich der Meerespolitik
zusammenzuführen. Dieser integrative Politikansatz
kann es ermöglichen, einen Ausgleich zwischen den
sektoralen Politiken der EU zu finden. Betroffen sind
Bereiche wie Verkehr, Umwelt, Fischerei und Landwirtschaft, Industrie, Energie, Rohstoffgewinnung,
Forschung und Tourismus. Meeresbezogene Aufgaben und ihre Auswirkungen auf Drittländer, insbeson-
*
dere aber auch die Nachhaltigkeit bei der Nutzung
der Meere und der Schutz der Meeresumwelt sowie
die Erhaltung ihrer Funktionen sind bei den Gemeinschaftspolitiken systematisch zu berücksichtigen.
Eine nachhaltige Meerespolitik steht im Spannungsfeld zwischen Regulierung und Wettbewerb. Sie hat
sich einzufügen in die einschlägigen EU-Strategien
wie die Lissabon-Strategie und die Nachhaltigkeitsstrategie einschließlich des Auftrags zu ökonomischer, sozialer und umweltpolitischer Erneuerung.
Künstlich gezogene Grenzen, wie Hoheitsgewässer
und Ausschließliche Wirtschaftszonen, haben nichts
mit den Funktionen der Meere zu tun. Ein Grünbuch EU-Meerespolitik kann sich insofern nicht auf
bestimmte Zonen beschränken, sondern muss alle
Weltozeane in ihrer Gesamtheit miterfassen.
Maßnahmen zugunsten des Meeresumweltschutzes
und der Schiffssicherheit erfordern verbindliche Regelungen. Solche Regelungen reichen über die Grenzen der Hoheitsgewässer hinaus, da Vorschriften
z. B. auch die Bedingungen für Schiffe regeln, die
in Hoheitsgewässer einfahren. Ebenso gelten EUQualitätsanforderungen an Schiffe und Besatzungen
der Mitgliedstaaten, wo immer sich diese Schiffe
und Besatzungen auf den Weltmeeren befinden.
Über die Internationale Seeschifffahrtsorganisation
(International Maritime Organization – IMO) können
die EU-Mitgliedstaaten EU-Regelungen weltweit Geltung verschaffen und den Ansatz des Grünbuchs zur
Meerespolitik über die Grenzen hinaustragen.
Auf der anderen Seite erfordert die „Freiheit der
Meere“ freien Handel und Wettbewerb sowie freien
Zugang zu den Häfen.
Im Vortrag wurden Schwerpunkte des von der Bundesregierung erarbeiteten Positionspapieres zur Meerespolitik dargestellt, das hier in voller Länge wiedergegeben wird.
21
22
Europäische Meerespolitik
Für eine nachhaltige Nutzung und den Schutz der
Meere unverzichtbar sind die wissenschaftlich
begründete Meeresforschung sowie die Entwicklungsaktivitäten der Schiffs- und Meerestechnik. Die
Meerespolitik muss den dafür benötigten Freiraum
schaffen.
Eine gemeinsame Meerespolitik der EU-Mitgliedstaaten ändert per se nichts an bestehenden Zuständigkeiten, also auch nichts am Grundsatz der
Subsidiarität. Sie kann jedoch dazu beitragen, dass
übereinstimmende Ziele gemeinsam verfolgt werden.
2
Forschung/Wissen über die Meere
2.1
Herausforderungen
Die Meeresforschung liefert die wissenschaftlichen
Grundlagen einer zukunftsfähigen Entwicklung:
Schutz der Umwelt und nachhaltige Nutzung der marinen Ressourcen. Es gilt, ein Gesamtverständnis zu
erlangen über die Prozesse in der Erdkruste mit dem
damit verbundenen Nutzungs- und Risikopotenzial,
den Ozeanen, Randmeeren und ihren Ökosystemen,
den Polkappen und der Atmosphäre. Nur so können
die Wechselwirkungen von natürlichen Abläufen und
antropogenen Einflüssen verstanden und globale
Prozesse, wie die Klimaentwicklung aufgeklärt und
berücksichtigt werden. Fach- und länderübergreifende Zusammenarbeit wird dabei zunehmend unverzichtbarer.
Bei der Entwicklung der Messtechnik zeichnen sich
verschiedene, einander ergänzende Systeme ab:
am Meeresgrund fest verankerte Messplattformen
einerseits und mobile Systeme andererseits. Ergänzt
werden die Systeme durch flugzeug-, aber insbesondere durch satellitengestützte Messverfahren.
Informationen von den Stationen zu den Auswertezentren müssen energiearm übertragen werden.
Dies gilt auch für die Steuerung der Stationen durch
Einsatzzentren.
3
Küstenschutz
3.1
Herausforderungen
Küstenregionen sind Schnittstellen zwischen Meeresund Landnutzung und bedeutende Wirtschaftsräume. 70 % der Weltbevölkerung und 60 % der Europäer leben in Küstennähe. Küstenregionen sind sozial,
wirtschaftlich und kulturell von der Meeresnutzung
entscheidend geprägt und abhängig. Küstenzonen
sind nicht nur die Küstengewässer und die Ausschließliche Wirtschaftszone, sondern auch ein breiter Streifen an Land, der jedenfalls die Flussmündungen, aber auch alle ins Meer führenden Flussläufe in
Küstennähe umfasst.
Die deutschen Küstenländer stellen gegenwärtig für
die Küstenmeere und der Bund für die Ausschließliche Wirtschaftszone Raumordnungspläne auf.
3.2
2.2
Handlungsfelder
Ein Monitoring der Meeresumwelt sollte im Rahmen
der EU gefördert werden. Eine enge Abstimmung
nationaler Programme im europäischen Raum findet
in den „ERA-Nets„ der Europäischen Gemeinschaft
statt; hier vor allem CRUE zu Hochwasserthemen, BONUS im Bereich der Ostseeforschung und MarinERA�
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im Bereich der Nordsee- und Atlantikforschung sowie im weltweit aktiven IODP. Für eine erfolgreiche
europäische Forschung wird es darauf ankommen,
in Zukunft die Forschungsaktivitäten noch stärker
zu koordinieren und gemeinsame Infrastrukturen zu
schaffen. Der Förderung des World Fish Centers in
Malaysia kommt große Bedeutung hinsichtlich der
anwendungsbezogenen entwicklungsorientierten Forschung im Bereich nachhaltiger Fischerei zu.
Handlungsfelder
Im Rahmen der Umsetzung des integrierten Managements der Küstengebiete in Europa (Integriertes
Küstenzonenmanagement - IKZM) werden alle wirtschaftlichen, ökologischen und gesellschaftlichen
Aspekte zu betrachten sein, die auf diese Zone einwirken. Die Nutzung der Küstenregionen ist so zu gestalten, dass der Verlust von Menschenleben und die
Zerstörung von Infrastruktureinrichtungen bei Naturkatastrophen weitgehend vermieden wird.
Die nachhaltige Entwicklung der Küstengebiete und
Meere ist ein wichtiges Ziel der in Rio 1992 verabschiedeten Agenda 21. Auch die internationale und
von Deutschland und der EU ratifizierte Biodiversitäts-Konvention räumt dem Küstenschutz einen besonderen Stellenwert ein.
Europäische Meerespolitik
4
Nachhaltige Nutzung des Meeres
4.1
Fischerei
4.1.1 Herausforderungen
Die Fischerei ist von großer wirtschafts-, ernährungsund beschäftigungspolitischer Bedeutung. In vielen
Ländern der Erde ist Fisch die wichtigste Eiweißquelle für Hunderte Millionen Menschen. Jedoch sind die
natürlichen Produktionsgrenzen erreicht. Die Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO) schätzt zwei Drittel aller Meere
und Gewässer als voll genutzt bis überfischt ein.
4.1.2 Handlungsfelder
Die Fischerei sollte grundsätzlich dem Prinzip der
Nachhaltigkeit folgen, so wie es in der gemeinsamen Fischereipolitik der EU verabschiedet wurde. Ökosystemansatz und Vorsorgeprinzip sollten
zentrale Bedeutung für die europäische Fischerei
haben. Die Fischerei sollte negative Auswirkungen
auf Lebewesen des Meeresbodens vermeiden und
selektivere bzw. umweltfreundlichere Fangtechniken nutzen.
Für die kommenden Jahre muss alles getan werden,
um die notwendigen Erhaltungs- und Bewirtschaftungsmaßnahmen zu verbessern und konsequent
anzuwenden, damit auf Dauer eine umweltverträgliche und nachhaltige Fischerei sichergestellt werden kann. Insbesondere kommt es darauf an, die
illegale Fischerei sowie die hohen Rückwürfe unbeabsichtigt mitgefangener Fische und anderer Meeresorganismen zu unterbinden. Der Verhaltenskodex der FAO für eine verantwortungsvolle Fischerei
muss konsequent umgesetzt werden.
Für einen nachhaltigen Ausbau der marinen Aquakultur müssen die geeigneten Fischarten für die
Aquakultur und ihre Haltungsbedingungen identifiziert, die Aufzucht von wichtigen Fischarten im
großen Maßstab gemeistert und die Ernährung der
in Aquakultur gehaltenen Tiere umweltverträglich
gestaltet sowie die Abwässer geklärt werden.
Europäische Fischereiflotten sind heute vielfach in
den Hoheitsgewässern vieler Entwicklungs- und
Schwellenländer Afrikas und Asiens tätig. Derzeit
werden nahezu 60 % des europäischen Verbrauchs
mariner Nahrungsressourcen aus Drittländern eingeführt, stammen also aus Meeren außerhalb Europas. Die gleichen Prinzipien, die für die Fangaktivitäten in EU-Gewässern gelten, sollten auch für
Fischereiabkommen mit Drittstaaten gelten. Gelder,
die Drittstaaten aus diesem Abkommen zufließen,
sollten vor Ort zur Verbesserung des Fischereimanagements führen.
4.2
Energie- und Rohstoffgewinnung
4.1.1 Herausforderungen
Ziel der Nachhaltigkeitsstrategie der Bundesregierung im Energiebereich ist es, die Abhängigkeit von
Energieimporten zu verringern und die Umweltverträglichkeit – vor allem unter Klimaschutzgesichtspunkten – zu erhöhen. Zu einer langfristig gesicherten Energieversorgung soll vor dem Hintergrund des
Kernenergieausstiegs und der CO2-Minderungsverpflichtungen im Sinne der Nachhaltigkeitsstrategie der Bundesregierung auch der Ausbau der
Offshore-Windenergie beitragen. Der Ausbau der
Windenergie auf dem Meer bietet große Möglichkeiten für einen effizienten Klimaschutz.
Die Nutzung mariner Rohstoffe kann ein wichtiger
Baustein für den wirtschaftlichen Fortschritt der
Entwicklungs- und Transformationsländer sein.
Zahlreiche Länder, insbesondere in Afrika, verfügen derzeit allerdings noch nicht über institutionelle Kapazitäten (z. B. effektive hydrographische
Dienste), um die Ausdehnung von Souveränitätsrechten über die 200-Meilen-Zone hinaus bis zu
maximal 350 Meilen nach dem Internationalen
Seerechtsübereinkommen der Vereinten Nationen
(SRÜ) in der vorgegebenen Frist bis 2009 zu beantragen. Hier kann die EU Hilfestellung geben.
Durch die dabei erlangten eindeutigen, international gültigen Regelungen können einseitige Festlegungen maritimer Grenzen vermieden werden, die
sich als Ausgangspunkt für Krisen und Konflikte
negativ auf die Nutzung der Meere durch die EU
auswirken könnten.
Im Sinne nachhaltiger Nutzungsstrategien ist das
Rohstoffpotenzial unerforschter Meeresregionen
von hoher Bedeutung sowie die Erforschung unkonventioneller Energierohstoffe und die Entwicklung innovativer Explorationskonzepte.
23
24
Europäische Meerespolitik
4.2.2
Handlungsfelder
Die Bundesregierung hat sich im Erneuerbare-Energien-Gesetz zum Ziel gesetzt, bis 2010 den Anteil der
erneuerbaren Energien auf mindestens 12,5 % an
der Stromversorgung und bis 2020 auf mindestens
20 % zu erhöhen. Der Ausbau der Offshore-Windenergie muss unter Berücksichtigung der Belange
des Umwelt- und Naturschutzes, der Sicherheit und
Leichtigkeit der Schifffahrt, der Wirtschaft und militärischer Nutzungen erfolgen.
Die Eckpunkte des Ausbaus der OffshoreWindenergie�����������������������������������
nutzung in Deutschland sind in der
„Strategie der Bundesregierung zur Windenergienutzung auf See“ (2002) festgelegt. Bis zum Jahr 2010
sollen zur Windenergienutzung auf See 2.000 bis
3.000 Megawatt und bis 2030 ca. 25.000 Megawatt
installierter Leistung in Offshore-Windparks aufgebaut werden. Zur Umsetzung der Strategie werden
parallel zu den laufenden Genehmigungsverfahren
Eignungsgebiete für Offshore-Windenergie bis Ende
2005 identifiziert.
Gleichfalls sind die aus dem Bereich Meerestechnologie für die Erdöl und Gasexplorationstechnik
entwickelten und bekannten Technologien für den
Aufbau von Windenergieanlangen in küstenfernen
Tiefwasserstandorten (Gründungstechniken) interessant.
Die erneuerbaren Energiegewinnungstechniken der
Gezeiten- und Strömungskraftwerke bzw. die Nutzung von Wärmeunterschieden in Gewässern können gegenwärtig nur an definierten Standorten mit
optimalen Umweltbedingungen, wie zum Beispiel
hohem Tidenhub, hohen Strömungsgeschwindigkeiten, hohen Temperaturgradienten, eingesetzt
werden. Es handelt sich hier aber um ein energiepolitisches Zukunftsthema, das aufgrund der geografischen Gegebenheiten für die Mitgliedstaaten von
sehr unterschiedlichem Gewicht ist.
Schon heute werden weltweit mehr als ein Drittel
der Öl- und Gasförderung vom Meeresboden aus
gewonnen. Damit die heute üblichen Offshore-Plattformen schrittweise durch umweltschonende Förderund Transporttechnologien für den Unterwassereinsatz (z. B. Mehrphasen-Pumptechnik, Pipelines)
ersetzt werden können, müssen durch Forschung
und Entwicklung die technischen Voraussetzungen
geschaffen werden.
4.3
Seeverkehr
4.3.1
Herausforderungen
Volkswirtschaften sind auf den reibungslosen
und günstigen Warenaustausch mit anderen Wirtschaftseinheiten in der Welt existenziell angewiesen. Daher ist die Nutzung des Meeres als Transportweg zwischen Wirtschaftsräumen zentrales
Element einer globalisierten Wirtschaft. Über 90 %
des europäischen Handels mit überseeischen
Märkten werden über das Meer als Verkehrsträger
abgewickelt. 35 % des innereuropäischen Warenverkehrs finden auf See statt. 25 % des deutschen
Warenaußenhandels wurden über deutsche Seehäfen verschifft, der Großteil über Hamburg, Bremen
und Wilhelmshaven. Im Internationalen Seerechtübereinkommen (SRÜ) wird dem Seeverkehr Vorrang vor anderen Nutzungen eingeräumt und der
rechtliche Rahmen zur Nutzung und zum Schutz
des Meeres gesetzt.
Häfen sind entscheidende Glieder in der Logistikkette, Träger von Innovationen und Jobmotoren in
der Region.
Die maritime Wirtschaft ist ein High-Tech-orientierter Wirtschaftszweig mit großer Innovationskraft
und zukunftsfähigen Beschäftigungsfeldern. Die
maritime Wirtschaft in Deutschland beschäftigt rund
300.000 Menschen und ist ein bedeutender Sektor
der Volkswirtschaft. Die Logistikbranche und der
Seeverkehr sind ökonomische Anwendungsfelder
für innovative Schlüsseltechnologien (Telematiksysteme, AIS, Galileo, Flottenmanagementsysteme),
die den europäischen Vorsprung gegenüber anderen Regionen und Nationen sichern können.
Durch die Einführung eines verbindlichen Internationalen Sicherheitsmanagement-Systems für
die Betreiber von Seeschiffen (ISM-Code) ist der
Schiffsbetrieb zuverlässiger und sicherer geworden. Dabei ist die Angemessenheit der jeweiligen
Sicherheits-Management-Systeme zu prüfen und
das Kosten-Nutzen-Verhältnis im Auge zu behalten.
International abgestimmte Bau- und Ausrüstungsvorschriften (z. B. Doppelhüllen für Tankschiffe,
sicherer Transport von Bunkeröl) müssen weltweit
gelten, damit es nicht Regionen unterschiedlicher
Sicherheit gibt.
Europäische Meerespolitik
4.3.2 Handlungsfelder
Die zunehmende Nutzung der Meere als Transportweg, Rohstofflieferant und Nahrungsquelle erfordert
neuartige technische Lösungen zum Schutz des
Meeres und der Küsten bei wirtschaftlich vertretbaren Kosten. Auf dem Gebiet von Unfallvorsorge
und Bekämpfung ist zwar schon viel erreicht worden,
durch Entwicklung leistungsfähiger Früherkennungsund Unfall-Management-Systeme können jedoch
weitere Möglichkeiten zum Schutz der Meeresökologie erschlossen werden. Zur Beseitigung von Meeresverschmutzungen nach Öltankerhavarien müssen
Techniken entwickelt werden, die auch bei hohem
Seegang und in Flachwassergebieten schnell und
wirksam einsetzbar sind. Illegale Öleinleitungen von
Schiffen werden durch Kontrollflüge, Kontrollen auf
See, Hafenstaatkontrollen und zunehmend auch
durch Auswertungen von Satellitendaten aufgespürt
und strafrechtlich verfolgt.
Der weitaus größte Teil des Schadstoffeintrags in die
Meere wird von Aktivitäten an Land verursacht und
nur zu einem geringen Prozentsatz von der Schifffahrt oder der Rohstoffförderung. IMO-Vorschriften
garantieren eine höhere Umweltfreundlichkeit der
Schiffe. Dazu gehören die Reduktion von Emissionen aus Schiffsmotoren ebenso wie Maßnahmen
zur Verhinderung der Einbringung von Öl, Abfällen
und Abwasser ins Meer. Darüber hinaus ergibt sich
aus der Weiterentwicklung besonders energieeffizienter Antriebssysteme ein erhebliches Potenzial zur
Senkung der Schadstoffbelastung. Hierzu gehören
Brennstoffzellen, Gasturbinen sowie Antriebe, die
auf der Hochtemperatur-Supraleittechnik basieren
oder die Windkraft nutzen.
Durch Regelungen für den Austausch oder die Behandlung des Ballastwassers auf Schiffen soll dem
Einschleppen von Schädlingen in Häfen oder sensible Seegebiete entgegengewirkt werden. Schiffsanstriche, die Bewuchs am Schiffsrumpf verhindern
sollen, müssen unschädlich für Flora und Fauna im
Meer sein. Baldmöglichst sollen weltweit kostengünstige und leistungsfähige Hafenauffangeinrichtungen
angeboten werden.
Zur Senkung der CO2-Emissionen der Schiffe erarbeitet die IMO ein Indexingsystem. Die Mitgliedstaaten der EU sollten im Rahmen der IMO auch die
politische Umsetzbarkeit von CO2-Reduktionen in
der Seeschifffahrt proaktiv thematisieren.
Freiwillige Initiativen wie Umweltzertifikate und wirtschaftliche Anreize für besonders umweltfreundliche
Schiffe, Kampagnen der Ölindustrie, freiwillige Maßnahmen von Reedereien (Greenshipping, Blaue-Engel-Zertifikate) und Werbung mit emissionsarmen
Transporten verbessern den Meeresschutz.
Bei stark befahrenen und gefährlichen Gebieten sind
klare Verkehrsregeln unter Einschluss von Verkehrstrennungsgebieten vorzugeben und entsprechende
Routen instand zu halten.
In Deutschland wurde ein umfangreiches Sicherheitskonzept entwickelt, das Vorschriften und Maßnahmen zur Verkehrsunterstützung und zur Verhütung von Unfällen ebenso enthält, wie Konzepte für
den Umgang mit Notfällen. Der Bund arbeitet dabei
eng mit den Küstenländern zusammen. Mit den
Nachbarstaaten Dänemark, Niederlande, Schweden
und Polen bestehen Kooperationsvereinbarungen
zur Unfallbekämpfung; auch mit der Russischen Föderation wurde eine Vereinbarung zur gegenseitigen
Unterstützung bei Unfällen geschlossen.
Zur Schadensbegrenzung bei Seeunfällen ist eine
effektive Notfallvorsorge und ein umfassendes Unfallmanagement einschließlich der Zuweisung eines
Notliegeplatzes von zentraler Bedeutung. Dies ist
durch eine Zusammenarbeit über die Staatsgrenzen
hinweg sicherzustellen.
Vorschriften zu Umweltmaßnahmen, für Bau und
Ausrüstung der Schiffe, für Haftung und Schadenersatz ebenso wie zur Besetzung der Schiffe und
Ausbildung der Besatzungen müssen für alle Flaggenstaaten gleichermaßen gelten, um Wettbewerbsverzerrungen und Ausflaggung zu vermeiden.
Zur Erhöhung der Sicherheit auf See ist international
auf die Weiterentwicklung sowohl terrestrischer als
auch satellitengestützter Manövrier-, Navigationsund Kommunikationssysteme für Schiffe sowie landgestützter Systeme zur Fernüberwachung (Tele-Monitoring) des Seeverkehrs zu drängen.
Die in der IMO beschlossenen Systeme mit dem
Merkmalen verschuldensunabhängige Gefährdungshaftung des Schiffseigners, Versicherungspflicht mit einheitlichem Nachweis und effektiver
Kontrolle sowie einem Direktanspruch des Geschädigten gegenüber dem Versicherer, ergänzt durch
zusätzliche Entschädigungsfonds, sind insbeson-
25
26
Europäische Meerespolitik
dere hinsichtlich der Haftungshöchstsummen der
Risikoentwicklung anzupassen. International noch
nicht in Kraft getretene Übereinkommen sind zügig
zu implementieren.
• Ausweisung von PSSA’s mit assoziierten Schutzmaßnahmen,
• bauliche Anforderungen,
• hinreichende Hafenstaatkontrollen.
EU-Mitgliedstaaten müssen ihr gewachsenes politisches Gewicht in der Seeschifffahrt nutzen und
neue Regelungen koordiniert im Rahmen der IMO
vorantreiben. Grundsätzlich ist zwar davon auszugehen, dass Regelungen auf EU-Ebene schneller zu
realisieren sind als Regelungen der IMO. Beide Ebenen können sich aber insoweit ergänzen, als striktere
und schnellere Regelungen, die auch die Vorreiterrolle spielen können, zunächst von der EU angegangen werden. Allerdings darf dabei die industrie- und
umweltpolitische Problematik einer solchen Vorreiterrolle – sprich: mögliche Wettbewerbsnachteile für
europäische Unternehmen – nicht aus den Augen
verloren werden.
Deutschland hat die Einrichtung der Europäischen
Schiffssicherheitsagentur EMSA unterstützt, deren
Aufgabe es sein wird, die Qualität der Kontrollen zur
Einhaltung von Vorschriften zu überwachen. Ziel ist
es, in allen europäischen Häfen ein hohes Niveau
der Kontrollen zu gewährleisten.
Europa ist der bedeutendste Schifffahrtsstandort der
Welt. Von hier aus wird der Großteil des Schiffsvolumens weltweit dirigiert, auch wenn nicht alle Schiffe
unter europäischen Flaggen fahren. Im Rahmen des
Grünbuchs sollten strategische Maßnahmen (ähnlich
dem Maritimen Bündnis in Deutschland) entwickelt
werden, die zu einer Rückflaggung in die Gemeinschaft führen könnten. Nach der Nationalität der Eigner belegt Deutschland Platz 4 unter den Handelsflotten und im Containerbereich sogar Platz 1. Eine
immer komplexere Technik an Bord der Schiffe, die
hoch verdichteten Arbeitsprozesse und die Vielzahl
der Vorschriften an Bord setzen hoch qualifizierte
Besatzungen voraus, die langfristig ausgebildet werden müssen. Arbeits- und Lebensbedingungen der
Seeleute sind international zu regeln, um zu weltweit
vergleichbaren Sozialstandards aller Seeleute zu
kommen. Dadurch werden gleiche Wettbewerbsbedingungen gewährleistet.
Die Schifffahrtsstraßen der EU gehören bereits heute
zu den weltweit am stärksten befahrenen. Wollen die
europäischen Staaten das Lissabon-Ziel verwirklichen,
müssen die Kapazitäten auf den zu erwartenden Zuwachs ausgerichtet werden, wobei besonderes Augenmerk auf die Ausgewogenheit zwischen Ausbau
der Wasserwege und Naturschutz zu richten ist. Maßnahmen bezüglich der Schiffssicherheit auf EU-Ebene
müssen vor allem folgende Bereiche umfassen:
• moderne Überwachungs- und Informationssysteme,
• angemessene Ausbildung der Schiffsbesatzungen,
Um die Erreichbarkeit über die Meere und damit die
Wettbewerbsfähigkeit des europäischen Wirtschaftsraumes zu gewährleisten, muss eine leistungsfähige
und anforderungsgerechte Infrastruktur der europäischen Seehafenstandorte im Einklang mit europäischen Nachhaltigkeitszielen sichergestellt werden.
Daneben müssen die Bemühungen auf europäischer
Ebene um faire und transparente Wettbewerbsbedingungen für die Seehäfen fortgesetzt und weiterentwickelt werden. Um Wettbewerbsverzerrungen zu
vermeiden und die eigenen Anstrengungen der Seehäfen um die Erhöhung ihrer Wirtschaftlichkeit zu forcieren, sind staatliche Beihilfen weiter abzubauen.
Für die Vollendung des Binnenmarktes sind Routen
auch im Seeverkehr sowie im Kurzstreckenseeverkehr unter Einbeziehung der Binnenschifffahrt von
hoher Bedeutung. Maßnahmen zur Stärkung des
intermodalen Verkehrs, wie zum Beispiel durch das
Programm Marco Polo 2007 – 2013, sollten unterstützt und weiterentwickelt werden.
Mit dem Konzept „LeaderSHIP 2015“ wird im Schiffbau der industriepolitische Ansatz der Kommission,
horizontale Maßnahmen zur Erreichung einer wettbewerbsfähigeren europäischen Wirtschaft durch
ein ganzes Spektrum spezieller sektorbezogener
Maßnahmen zu ergänzen, in beispielhafter Weise
umgesetzt. Die Bundesregierung unterstützt die
Kommission mit Nachdruck darin, sich auch künftig
entschlossen um die Probleme der europäischen
Schiffbauindustrie zu kümmern und dabei mit den
jetzigen und künftigen Mitgliedstaaten und der Industrie eng zusammenarbeiten zu wollen. Wettbewerbsverzerrungen müssen beseitigt, kompensiert
und künftig unmöglich gemacht werden. Im Hinblick
auf eine nachhaltige und rentable Verkehrswirtschaft
muss der Preis von Schiffen wieder ein realistisches
Niveau erreichen. Die Bundesregierung arbeitet auf
der Grundlage des industriepolitischen Ansatzes
Europäische Meerespolitik
der Kommission und in Zusammenarbeit mit der
maritimen Wirtschaft an der Entwicklung und Umsetzung von aufeinander abgestimmten Maßnahmen
zur Sicherung der Zukunft der deutschen und europäischen Schiffbau- und Schiffsreparaturindustrie
durch mehr Wettbewerbsfähigkeit.
4.4
Tourismus
4.4.1
Herausforderungen
Der Tourismus ist in den Küstenregionen ein bedeutender Wirtschaftsfaktor. Einige Regionen leben fast
ausschließlich vom Tourismusaufkommen. Die touristische Nutzung umfasst den Schiffstourismus, insbesondere Kreuzfahrttourismus und Sportboottourismus, sowie Badetourismus. Darüber hinaus werden
die Küstenregionen für Natururlaube genutzt.
Wie kaum ein anderer Wirtschaftszweig ist der Tourismus auf eine intakte Natur und Umwelt angewiesen. Natur- und Landschaftserlebnis gehören zu den
wichtigsten Urlaubsmotiven.
4.4.2
Handlungsfelder
Die Politik der Bundesregierung zielt auf die Erhaltung einer intakten Natur und Umwelt als Grundlage
des Tourismus sowie auf die Förderung einer umweltverträglichen Gestaltung des Tourismus.
Die Bundesregierung unterstützt gegenwärtig auch
die Erarbeitung einer „Agenda 21“ für einen nachhaltigen Tourismus in Europa. Erste Eckpunkte hierzu
hat der Rat mit den Schlussfolgerungen zum nachhaltigen Tourismus vom 18.04.2005 festgelegt.
5
Schutz der Meere
5.1
Herausforderungen
Vor dem Hintergrund immer knapper werdender
Ressourcen werden die Meere zunehmend für wirtschaftliche Aktivitäten genutzt. Zu den klassischen
Nutzungen für Schifffahrt, Fischerei und als „Senke“
für Abfälle und Schadstoffe kommen die immer intensiver werdenden Nutzungen der Meere als Standort
für Offshore-Aktivitäten (Erforschung und Gewinnung
von Öl-/Gas-/Sand-/Kies-Ressourcen, Errichtung von
Windkraftanlagen), für Tourismus (Sportschifffahrt/
Erlebnistourismus) und für Energieleitungen (Pipelines/Seekabel) hinzu. In einzelnen Bereichen ist
es bereits zu einer Überforderung des Ökosystems
Meer gekommen. Stellenweise ist ein besorgniserregender Verlust an biologischer Vielfalt der Meere zu
beobachten.
5.2
Handlungsfelder
Der Zustand des Ökosystems „Meer“ wird von den
unterschiedlichen Nutzungsformen des Meeres,
insbesondere Transport, Landwirtschaft, Fischerei und Energieerzeugung beeinflusst. Es gilt, eine
Balance zwischen diesen Nutzungen und einem effektiven Schutz der Meeresumwelt zu erreichen, da
nur so eine nachhaltige Nutzung der Meere möglich
ist. Voraussetzung dafür ist, in Abkehr von dem in
der Vergangenheit praktizierten sektorspezifischen
Ansatz, die Umsetzung des integrativen Politikansatzes, d. h. die Berücksichtigung des Schutzes
der Meeresumwelt in allen einschlägigen Politikbereichen.
Deutschland engagiert sich in regionalen Meeresschutzorganisationen wie der Kommission zum
Schutz der Meeresumwelt des Nordostatlantiks
(OSPAR-Kommission) und der Helsinki-Kommission
zum Schutz der Meeresumwelt des Ostseegebiets
(HELCOM) oder den Internationalen Nordseeschutzkonferenzen sowie ihrem Nachfolgeprozess, der
sich mit den Umweltauswirklungen von Schifffahrt
und Fischerei befasst. Dort können Regelungen
erarbeitet werden, die den natürlichen Vorgaben
sowie den speziellen Erfordernissen des jeweiligen
Meeresgebietes, im Falle der Ostsee z. B. geringer
Wasseraustausch mit den Ozeanen, Rechnung tragen.
Deutschland beteiligt sich am Aufbau eines globalen
satellitengestützten Umweltüberwachungssystems
Global Monitoring for Environment and Security
(GMES), einer gemeinsamen Initiative der EU-Kommission und der ESA für globale Umwelt- und Sicherheitsüberwachung.
Die EU und ihre Mitgliedstaaten sollten ihrer Verpflichtung von der 7. Vertragsstaatenkonferenz des
Übereinkommens über die biologische Vielfalt (CBD)
und des World Summit on Sustainable Development
(WSSD) in Johannesburg nachkommen und ein ko-
27
28
Europäische Meerespolitik
härentes Netzwerk von Meeresschutzgebieten einrichten. Des Weiteren sollte eine EU-Meerespolitik
dem erklärten EU-Ziel dienen, den Verlust an Biodiversität zu stoppen.
Deutschland begrüßt und unterstützt daher die Erarbeitung einer Europäischen Meeresschutzstrategie, wie sie vom 6. Europäischen Umweltaktionsprogramm gefordert wird. Diese Strategie, deren
Präsentation durch die KOM für Juli 2005 angekündigt ist, baut auf den genannten Aspekten „Integrationsprinzip“ und „Regionale Kooperation“ auf. Sie
muss in die EU-Meerespolitik integriert werden.
Vor diesem Hintergrund tritt Deutschland dafür ein,
die Meeresschutzstrategie zu einem integrativen Bestandteil der zukünftigen Meerespolitik zu machen.
Damit kann eine angemessene Berücksichtigung
der Meeresschutz-Aspekte sichergestellt werden,
wie dies auch in Art. 6 des EG-Vertrages gefordert
wird.
6
Ausblick
6.1
Von fundamentaler Bedeutung einer nachhaltigen
Meerespolitik ist die rasche Erarbeitung in-tegraler
Qualitätsziele (ökologischer und ökonomischer Zielgrößen), die bei der Formulierung einer EU-Meerespolitik berücksichtigt werden sollten.
Die Entwicklung einer europäischen Meerespolitik sollte Europas Rolle in der globalen Politik zum
Schutz und zur nachhaltigen Nutzung der Meere
befördern. Die EU und ihre Mitgliedstaaten sollten
dabei eine enge Kooperation mit Drittstaaten anstreben, um eine nachhaltige Meerespolitik auch im globalen Maßstab, insbesondere auch auf hoher See,
zu erreichen. Zur Erreichung dieses Ziels sollten die
EU und ihre Mitgliedstaaten
• die Arbeit einschlägiger internationaler Organisationen unterstützen und aktiv mitgestalten,
• regionale Managementansätze stärken,
• Entwicklungsländer und sogenannte „small island
states“ bei der Einrichtung von Managementfähigkeiten unterstützen und
• die partnerschaftliche Zusammenarbeit mit wissenschaftlichen Einrichtungen und Nicht-Regierungsorganisationen stärken.
Problematisch für ein einheitliches Vorgehen ist,
dass die Zielhierarchie in den europäischen Staaten unterschiedlich ist. Staaten mit Hauptinteresse
an Fischerei und Tourismus legen besonderen Wert
auf den Schutz ihrer Küsten- und Meeresgebiete
sowie der langfristigen Bewirtschaftung außereuropäischer Gewässer über Drittlandsabkommen.
Staaten mit starker Hafenwirtschaft oder großen
Handelsflotten wollen vorrangig eine leistungsfähige attraktive Seeverkehrswirtschaft fördern. Vor
diesem Hintergrund wird es darauf ankommen,
die gegenläufigen Interessen abzuwägen und eine
Meerespolitik zu entwickeln, die den Zielen nachhaltigen Wirtschaftswachstums, zukunftsfähiger Arbeitsplätze und dem Schutz von Natur und Umwelt
entspricht und gleichzeitig die durch Drittlandabkommen betroffenen Entwicklungsländer bei einer
nachhaltigen Bewirtschaftung ihrer Gewässer unterstützt.
Deutschland ist sowohl Flaggenstaat als auch Hafen- und Küstenstaat und kann insofern innerhalb
der EU eine wichtige Funktion beim Zusammenführen dieser Interessen spielen.
In Europa besteht zudem Koordinierungs- und Klärungsbedarf im Vorfeld der Beratungen in internationalen Gremien. Eine europäische Meerespolitik
kann als Orientierung für diese Beratungsaufgaben dienen. Ein koordiniertes Auftreten der Einzelstaaten in der IMO ist nicht durch eine Vertretung
der europäischen Staaten durch die EU-Kommission ersetzbar.
Die europäische Meerespolitik sollte nicht als Konkurrenz zu den Aufgaben in der IMO angelegt werden. Europäische Regeln dürfen nicht als regionale
Sonderlasten ausgelegt werden und zu Wettbewerbsnachteilen für den Standort Europa führen.
Vielmehr sollte die Überwachung und Einhaltung
von internationalen Verabredungen in der EU harmonisiert werden. Ziel der Zusammenarbeit in der
EU ist, relevante IMO-Beschlüsse für alle EU-Mitgliedstaaten einheitlich umzusetzen und Kontrollverfahren in Europa (z. B. Hafenstaatkontrolle) zu
harmonisieren, zum Beispiel hinsichtlich der Anforderungen an Schiffe, die europäische Häfen anlaufen, hinsichtlich der Meldepflichten, Hafenstaatkontrolle oder Entsorgung von Schiffsabfällen und
Ladungsrückständen.
Europäische Meerespolitik
6.2
6.4
Eine zukunftsorientierte europäische Meerespolitik,
die eine nachhaltige Nutzung des Meeres als Transportweg, Rohstofflieferant und Nahrungsquelle anstrebt und sich für den Erhalt der Vielfalt maritimer
Lebensumwelten einsetzt, muss der freien wissenschaftlichen Forschung, der Entwicklung und Innovation hohe Priorität einräumen.
Zur Lösung der durch die Nutzungsvielfalt des Meeresraumes mit ihren jeweiligen Ansprüchen hervorgerufenen Nutzungskonflikte ist die Raumordnung
ein geeignetes Instrument. Mit der Raumordnung
erfolgt eine abwägende und vorausschauende Planung und Lenkung der verschiedenen Nutzungsinteressen mit dem Ziel, Konflikte frühzeitig zu erkennen und sie koordiniert einer nachhaltigen Lösung
zuzuführen. Auf Grundlage der deutschen Raumordnungsgesetze werden Raumordnungspläne aufgestellt, in denen die Nutzungs- und Schutzansprüche
an den Meeres- und Küstenraum mittels Festlegung
von Zielen und Grundsätzen der Raumordnung einschließlich Gebietsfestlegungen für einzelne Nutzungen gesteuert werden. Diese raumplanerischen
Festlegungen entfalten gesetzliche Bindungswirkungen für nachfolgende, einzelne Nutzungs- und
Schutzprojekte und bieten so potentiellen Investoren
Planungssicherheit. Im Falle grenzüberschreitender
Auswirkungen der raumplanerischen Festlegungen
haben Nachbarstaaten die Raumordnungspläne
für die AWZ untereinander abzustimmen. Insofern
kommt auch Raumordnungsplänen, für die keine
EU-Zuständigkeit gegeben ist, grenzüberschreitende Bedeutung zu.
6.3
Eine europäische Meerespolitik hat auf der bisher
geleisteten Arbeit bestehender Kooperationen aufzubauen. Dies gilt insbesondere für die Regionalen
Meeresschutzkooperationen. Vor dem Hintergrund
der Notwendigkeit regionalspezifischer Problemlösungen weist ihnen die zu erwartende Meeresschutzstrategie eine wesentliche Rolle bei der Umsetzung
zu. Dies wird mittelfristig zu einer Stärkung der Rolle
der Regionalkooperationen führen. Auf der anderen
Seite wird sich ihre Arbeit an der EU-Meerespolitik zu
orientieren haben.
Anschrift der Vortragenden:
Frau MDgtin
Hilde Trebesch
Bundesministerium für Verkehr,
Bau und Stadtentwicklung
Invalidenstr. 44
11030 Berlin
29
Neue Nutzungsformen des
Meeres und ihre Risiken
Neue Nutzungsformen
Deutsche Initiative zum Tsunami-Warnsystem im
Indischen Ozean
German initiative for a tsunami warning system in the Indian Ocean
JÖRN LAUTERjUNG
Zusammenfassung
Summary
Ziel ist die Implementierung eines wirksamen TsunamiFrühwarnsystems für den Indischen Ozean, das später
auf den Mittelmeerraum und den Atlantik ausgedehnt
werden kann. Das Tsunami-Frühwarnsystem ist Teil
eines Early-Warning-Systems, das auch andere Naturkatastrophen wie z. B. Erdbeben und Vulkanausbrüche
erfassen soll. Das System integriert terrestrische Beobachtungsnetze der Seismologie und Geodäsie mit
marinen Messverfahren und Satellitenbeobachtungen.
Die dazu erforderlichen FuE-Arbeiten sollen im Rahmen eines Stufenplans realisiert werden, der einerseits
schnell, d. h. innerhalb von 1 bis 3 Jahren, wirksamen
Schutz garantiert und andererseits zulässt, auch spätere technologische Entwicklungen, für die jetzt noch
Forschungsbedarf besteht, problemlos einzubinden.
Die Initiative wird koordiniert von der Helmholtz-Gemeinschaft Deutscher Forschungszentren (HGF), vertreten
durch das GeoForschungsZentrum Potsdam (GFZ).
An effective tsunami early warning system will be implemented in the Indian Ocean, which is planned to be
extended to the Mediterranean Sea and Atlantic Ocean
at a later date. The tsunami early warning system is part
of a general early warning system intended to include
also other natural disasters like, e.g. earthquakes and
volcanic eruptions. The system integrates terrestrian
seismic and geodesic monitoring networks with marine
measuring methods and satellite imagery. The required
research and development activities will be carried out
within the framework of a graduated scheme which, on
the one hand, will provide effective protection after a
short period of only 1 – 3 years and, on the other hand,
will allow an easy integration of technological developments which are still in the research stage presently. The
initiative is co-ordinated by Helmholtz-Gemeinschaft
Deutscher Forschungszentren (HGF), represented by
GeoForschungsZentrum Potsdam (GFZ).
Aufgrund der geologischen Situation muss davon ausgegangen werden, dass vor allem Indonesien wegen
der unmittelbaren Nachbarschaft des seismisch aktiven
Sundabogens auch in Zukunft am häufigsten und am
stärksten von katastrophalen Tsunami-Ereignissen betroffen sein wird.
Because of the geological situation, it has to be expected that Indonesia, which lies in immediate proximity to
the seismically active Sunda Arc, will be affected most
frequently and most severely by catastrophic tsunami
events also in the future.
Komponenten des Systems
sungs- und Aktionskette. Parallel zur Messung der
Erdbeben mit einem Netz von Breitbandseismometern soll ein Monitoring des Deformationszustands
der Erdkruste mit Hilfe eines hochauflösenden GPSNetzes erfolgen, um möglichst umfangreiche Informationen zum Herdmechanismus des Bebens zu
erhalten.
2)Detektion und Quantifizierung eines möglichen Tsunamis mit ozeanographischen Methoden. Nicht jedes
Seebeben löst einen Tsunami aus. Um Fehlalarme,
Das vorgesehene Frühwarnsystem für den Indischen
Ozean besteht aus mehreren Komponenten, aus deren Daten und Messungen eine Warnung generiert
werden kann. Die Komponenten sind im Einzelnen:
1)Erdbebenmonitoring zur schnellen Lokalisierung
eines Seebebens und Feststellung der Stärke. Die
Warnung dieses Systems triggert die weitere Erfas-
33
34
Neue Nutzungsformen
die bei bloßer Berücksichtigung der Erdbeben unvermeidlich sind, weitgehend auszuschließen, muss
die Welle ozeanographisch gemessen werden. Dies
wird durch Ozeanboden-Druckpegel und speziell
ausgerüstete GPS-Bojen erreicht, die an strategisch
wichtigen Lokationen ausgebracht werden müssen. Unterstützt werden diese Messungen durch
Beobachtungen von Küstenpegeln, die speziell
im Falle Indonesiens auf den Sumatra und Java
vorgelagerten Inseln installiert werden sollen. Die
Küstenpegel liefern darüber hinaus permanent
Daten zur Verbesserung der Ozeanmodelle, die die
Grundlage für den nächsten Schritt der Warnkette
sind.
3)Wesentlicher Bestandteil der Frühwarnung ist die
Modellierung / Simulation eines Tsunamis. Aus diesen Simulationen sollen detaillierte Informationen
über das mögliche Schadenspotential des Tsunamis
und örtliche Unterschiede in der Wirkung abgeleitet
werden, um entsprechende Warnungen in die WarnKette einspeisen zu können. Voraussetzung für eine
erfolgreiche Simulation ist die genaue Kenntnis der
Ozeanbodentopographie vom Tiefseebereich über
Anschrift des Verfassers:
Dr. Jörn Lauterjung
GeoForschungsZentrum Potsdam (GFZ)
Telegrafenberg
14473 Potsdam
den Schelfbereich bis zur Küstenlinie. Im Bereich
des Indischen Ozeans weisen insbesondere die
Küste vor Indonesien und der angrenzenden Länder noch erhebliche Lücken auf, insbesondere um
die vorgelagerten Inselgruppen herum. Daher müssen bathymetrische Verdichtungsmessungen in allen Tiefenbereichen längs der indonesischen Küste
vorgenommen werden, um die Simulationen auf eine
gesicherte Datenbasis zu stellen.
4)Alle Daten sollen in nationalen bzw. lokalen Datenzentren zusammenlaufen, in denen die Auswertung,
Bewertung und Simulation vorgenommen wird. Dies
muss in nationaler Selbstverantwortung geschehen.
Auf der Basis der einlaufenden Daten und Simulationsergebnisse ist das Datenzentrum gleichzeitig
auch die die Warnung auslösende Stelle.
Der Vortrag beleuchtet die Entstehung des Tsunamis
vom 26. Dezember 2004, stellt die geplante technische Realisierung des Frühwarnsystems vor, zeigt
erste Modellierungsszenarien und gibt einen Ausblick über die vorgesehene Umsetzung eines Frühwarnsystems im Indischen Ozean.
Neue Nutzungsformen
Ocean Energy
Energie aus dem Meer
TERESA PONtES
Summary
The oceans contain huge energy resources of different
origins. Conversion technologies are using tidal energy
resulting from the gravitational fields of the moon and
sun, thermal energy (Ocean Thermal Energy Conversion or OTEC) resulting directly from solar radiation,
marine currents caused by thermal differences and
tidal effects, and wind-generated ocean waves. The latter two technologies have been developed intensively
during the past fifteen years because they have better prospects of becoming competitive in the short- to
medium-term. It has been found that about 200 TWh/y
of electrical energy may be produced from these two
renewable sources.
The technologies using wave energy and marine currents are at a pre-commercial stage, and the diversity
of systems being developed, especially wave energy
harnessing systems, indicates that there still is no winning technology.
Wave Energy
The global wave power potential is 1-2 TW, which corresponds to the worldwide consumption of electrical energy. Europe has a particularly high energy consumption.
Intensive research began after the 1973 oil crisis. The first
8 prototypes were shoreline (first generation) and nearshore (second generation) projects rated between 20 and
500 kW. Offshore systems (third generation) are better
suitable for extensive exploitation of wave energy resources. A considerable variety of offshore devices have been
developed using different extraction principles and power-take-off systems, most of which are floating devices.
But also bottom-mounted systems have been proposed
and prototype-tested. While first and second PTO (power
take-off systems) generations are using air and water turbines, hydraulic, air and water turbines and linear generators have been developed for the third generation.
Marine Currents
In Europe, this resource is of special interest to the UK,
Ireland, Greece, France and Italy. The predictability of
marine currents and the high load factor (20-60%) are
important positive factors for its utilisation. According to
a preliminary estimate, 48 TWy could be produced for
the European electricity grid.
The favoured technique resembles that used to tap wind
energy. The greatest technical problems will probably
arise from the need to ensure adequate operational life
and low maintenance cost of machinery operating in a
severe environment, although the offshore industry has
solved similar problems.
Environmental Impacts
Wave energy and marine current energy generation are
generally considered environmentally benign although
such systems may be visually intrusive and produce
considerable noise. Nearshore and offshore wave energy plants and marine current plants conflict with coastal
shipping, defence, fishing, and other uses. Most of
these burdens can be minimised and, in some cases,
eliminated.
Challenges
The European Commission supports the development
of European leadership in these technologies. National
support is re-starting, namely in the UK. Intensive further research and development will be needed to transform these technologies from pre-commercial to full
maturity.
35
36
Neue Nutzungsformen
Zusammenfassung
Meeresströmungen
Die Ozeane bieten gewaltige Energieressourcen aus
unterschiedlichen Quellen. Es existieren diverse Umwandlungstechniken für Gezeitenenergie, die durch die
Gravitationsfelder von Mond und Sonne entsteht, thermische Energie aufgrund der Sonneneinstrahlung, Energie aus Meeresströmungen mit ihren Temperaturunterschieden und Gezeiten sowie Wellenenergie. Die letzten
beiden Technologien sind in den vergangen 15 Jahren
intensiv weiterentwickelt worden, weil sie kurz- und mittelfristig bessere Aussichten auf Wettbewerbsfähigkeit
haben. Ca. 200 TWh elektrische Energie kann pro Jahr
aus diesen beiden Energiequellen gewonnen werden.
In Europa ist diese Technik vor allem für Großbritannien,
Irland, Griechenland, Frankreich und Italien von Interesse. Die Vorhersagbarkeit von Strömungen und der hohe
Wirkungsgrad (20-60 %) sprechen für diese Technik, die
nach vorläufigen Schätzungen 48 TWy für das europäische Stromnetz liefern könnte. Die bevorzugte Technik
ähnelt der bei Windkraftanlagen verwendeten. Technisch
wird es wahrscheinlich am schwierigsten sein, eine angemessene Betriebsdauer und niedrige Wartungskosten
für die Anlagen zu erzielen, die einer hohen Beanspruchung unterliegen. Im Offshoreindustriebereich konnten
vergleichbare Probleme schon gelöst werden.
Für die Energiegewinnung aus Wellen und Meeresströmungen existiert noch keine ausgereifte Technik, und
die Vielfalt unterschiedlicher Systeme deutet darauf hin,
dass sich bisher noch keine bestimmte Technik durchgesetzt hat.
Wellenenergie
Das Potential der Energiegewinnung aus Wellen beträgt
1-2 TW, was dem weltweiten Jahresverbrauch an elektrischer Energie entspricht. Der Energieverbrauch in Europa ist besonders hoch. Die Forschung wurde nach der
Ölkrise 1973 intensiviert. Die ersten 8 Prototypen im Uferund unmittelbaren Küstenbereich (1. und 2. Generation)
lieferten 20 – 500 kW. Offshore-Anlagen (3. Generation)
eignen sich besser für die Nutzung von Wellenenergie
im großen Maßstab. Für die Energiegewinnung im Offshorebereich werden vorwiegend schwimmende Anlagen eingesetzt, es wurden aber auch schon Prototypen
am Boden installierter Anlagen getestet.
Address of author:
Dr. Teresa Pontes
National Institute for Engineering
and Industrial Technology
Dept. of Renewable Energies
Estrada do Paco do Lumiar
1649 - 038 Lisbon
Portugal
Umweltauswirkungen
Die Energiegewinnung aus Wellen und Meeresströmungen gilt im allgemeinen als umweltfreundlich, obwohl solche Anlagen optisch und akustisch sehr störend wirken können. Es kann bei solchen Anlagen z.B.
zu Konflikten mit der Küstenschifffahrt, dem Küstenschutz und Fischereiinteressen kommen. Die meisten
Umweltauswirkungen lassen sich allerdings reduzieren
oder sogar ganz vermeiden.
Ausblick
Die Europäische Kommission unterstützt eine führende
Rolle Europas bei diesen Techniken. Auch auf nationaler
Ebene existiert eine Förderung, vor allem in Großbritannien. Bis zur vollen Marktreife dieser Techniken ist noch
intensive Forschungs- und Entwicklungsarbeit nötig.
Neue Nutzungsformen
Wasserstoff-Herstellung auf dem Meer
Hydrogen production at sea
FRANK RICHERT
Zusammenfassung
Summary
Eine von der Gesellschaft für Energie und Oekologie
GmbH (GEO) initiierte Studie zum Thema Wasserstoffproduktion in Offshore-Windparks ist zu dem Ergebnis gekommen, dass keine konzeptionellen und technischen Kriterien existieren, die eine Durchführung eines
solchen Vorhabens unmöglich erscheinen lassen.
A study of hydrogen production in offshore wind farms
initiated by Gesellschaft für Energie und Oekologie
GmbH (GEO) arrived at the conclusion that such a
project does not appear impossible in principle and under engineering aspects.
Offene Fragestellungen gibt es vor allem bei der Größenordnung der notwendigen Komponenten. Eine
Kostenkalkulation hat ergeben, dass die Produktion
von gasförmigem Wasserstoff und der anschließende
Pipelinetransport zum Festland die geringsten Gestehungskosten erzielt. Die Offshore-Verflüssigung von
Wasserstoff, die einen universellen Vertrieb direkt auch
in ferne Märkte ermöglicht, liegt bei etwa den doppelten Erzeugungskosten. Die Weiterverteilung des
Wasserstoffs kann an Land über bestehende Transportmedien, wie LKW, Eisenbahn oder zukünftig in
bestehenden Erdgasleitungen erfolgen. Inwieweit die
Erdgasleitungen ohne zusätzliche Veränderungen für
den Wasserstofftransport geeignet sind, oder ob es einen Bau neuer Leitungen bedarf, stellt einen weiteren
Untersuchungsbedarf dar.
Ein wesentliches Ziel der Bundesrepublik ist die
Reduktion von Treibhausgasen. Hierfür notwendige
Maßnahmen beeinflussen hauptsächlich zwei Sektoren:
• Den Energiesektor
• und den Fahrzeugsektor.
Für beide Bereiche werden zunehmend die Möglichkeiten von Wasserstoff als Energieträger diskutiert. Wie Strom in der Leitung oder Heißwasser im
Heizungssystem transportiert Wasserstoff, der erst
durch den Einsatz von Primärenergie hergestellt werden muss, lediglich die Energie. Da bei den Erzeu-
There are open questions, especially due to the size of
the required components. A cost calculation showed
that the production of gaseous hydrogen and subsequent pipeline transport to the mainland would involve
the lowest production costs. Existing land-based transportation systems such as trucks, railways or, in future,
natural gas pipelines could be used for onshore distribution of hydrogen. To what extent natural gas pipelines
are suitable for hydrogen transport without any technical alterations, or whether new pipelines are required,
will have to be investigated.
gungs- und Verteilungsprozessen von Wasserstoff,
wie auch beim Strom, Verluste entstehen, stellt sich
angesichts der existierenden Stromwirtschaft die
Frage, ob Wasserstoff parallel als „Strom“ in gasförmiger oder flüssiger Form überhaupt sinnvoll ist.
„Wasserstoff (und auch Strom) ist so sauber wie die
Energie, mit der er erzeugt wird.“
Das führt letztlich zu der Notwendigkeit, die Energieträger aus erneuerbaren Energien herzustellen. Neben Biomasse und Photovoltaik kann in Deutschland
insbesondere die Nutzung der Windenergie einen
wesentlichen Beitrag hierzu leisten.
37
38
Neue Nutzungsformen
In einem Strategiepapier der Bundesregierung (BMU,
BMWi, BMVBW, BMVEL, BMVg [2002]) wird als Ziel
bis 2025-30 der Aufbau einer genutzten Windenergieleistung von 20 bis 25 GW im Offshore-Bereich
(Kernbereich Nordsee, westlich von Sylt, nordwestlich von Borkum) definiert. Dem in 25 Jahren zu entwickelnden Potential von 25 GW stehen bereits Anträge für die Errichtung von Offshore-Windparks mit
mehr als 60 GW gegenüber.
Obwohl aufgrund der Windbedingungen im OffshoreBereich der Strom deutlich kontinuierlicher als an
Land erzeugt werden kann, müssen für die Integration des Wind-Stromes ggf. die Stromnetze verstärkt
werden und Regelreserven bereitgehalten werden.
Die derzeitige Diskussion über die Anbindung der
ersten Offshore-Pilotwindparks an die bestehenden
Stromnetze zeigt aber bereits die Schwierigkeiten,
zu einvernehmlichen Lösungen zu kommen. Eine allein auf die Einspeisung in die Stromnetze an Land
ausgerichtete Entwicklung der Offshore-Windenergie birgt daher aufgrund der vielfältigen Rahmenparameter die Gefahr, dass die oben genannten
Ziele nicht erreicht werden können. Vor diesem Hintergrund müssen weitere Möglichkeiten geschaffen
werden, die eine nachhaltige Nutzung der Ressource Windenergie erlauben.
Die Erzeugung von Wasserstoff durch OffshoreWindparks bietet die Möglichkeit, Spitzenleistungen
auszugleichen und Schwachwindperioden zu über-
brücken, aber auch einen Kraftstoff für den Fahrzeugsektor zu liefern.
Fast alle großen Autohersteller entwickeln zur Zeit
Fahrzeuge, die mit Wasserstoff betrieben werden
können und gehen von einer mittelfristigen Markteinführung der Wasserstofffahrzeuge aus. Von der Verkehrswirtschaftlichen Energiestrategie (VES), einem
Zusammenschluss mehrer Automobilkonzerne, Mineralölunternehmen und der deutschen Regierung, wird
Wasserstoff langfristig als der wichtigste Energieträger der Zukunft für den Transportsektor gesehen.
In einer von GEO beauftragten Studie (Altmann, N. et
al. [2001]) wurde als Planungsgrundlage untersucht,
ob Kriterien existieren, die eine Wasserstoffproduktion offshore unmöglich erscheinen lassen. Dazu wurde eine Grobauslegung und eine erste Kostenkalkulation durchgeführt, um konzeptionelle, technische
und wirtschaftliche Aspekte des Konzeptes mit in
die Untersuchung einzubeziehen. Durchgeführt wurde die Untersuchung modellhaft an einem 60 km von
der Küste entfernt liegenden Offshore-Windpark mit
einer Leistung von 400 MWel. Von diesem OffshoreWindpark ausgehend, wurden auf Basis der Elektrolyse die Produktion von flüssigem (Jahresproduktion
ca. 23.000 t) oder gasförmigem Wasserstoff (ca.
27.000 t Jahresproduktion) auf einer Plattform und
unterschiedliche Transportmöglichkeiten untersucht.
In Abbildung 1 ist die prinzipielle Unterteilung der
untersuchten Varianten dargestellt.
Abb. 1: Untersuchte Varianten der Offshore-Wasserstofferzeugung (Altmann, M. et al. [2001])
Neue Nutzungsformen
Die Elektrolyseanlage wird auf einer Offshore-Plattform eingerichtet und ist modular aus den zur Zeit
größten verfügbaren Elektrolyseuren aufgebaut. Die
Wasserversorgung der Elektrolyseure erfolgt über
eine Meerwasserentsalzungsanlage. Vor dem Hintergrund der elektrischen Leistung des Windparks, der
zusätzlichen elektrischen Verbraucher und der verfügbaren Elektrolyseurgröße ergibt sich ein Bedarf
von ca. 100 Elektrolyseeinheiten. Für den Transport
des Wasserstoffs in den „Pipeline-Varianten“ wird eine
Wasserstoffpipeline mit einem Durchmesser von ca.
20 cm benötigt. Der gasförmige Wasserstoff wird für
den Transport in der Pipeline auf den erforderlichen
Transportdruck durch einen Kompressor gebracht.
Für die zusätzliche Verflüssigung des Wasserstoffs
unter Offshore-Bedingungen muss berücksichtigt werden, dass die Verflüssigungsanlagen einen
hohen Raumbedarf sowie einen hohen Bedarf an
elektrischer Energie haben, die ebenfalls durch den
Offshore-Windpark zur Verfügung gestellt wird und
dann aber verglichen mit den GH2- (Gaseous Hydrogen) Varianten bei der Wasserstoffproduktion fehlt.
Es werden Verflüssigungsanlagen benötigt, die eine
Kapazität von ca. 156 t/d haben.
Da die Möglichkeit besteht, den flüssigen Wasserstoff über unterschiedliche Transportmittel an Land
zu transportieren, erfolgte eine Unterteilung der „Offshore-Flüssigwasserstoff-Variante“ in drei weitere Varianten. Untersucht wurden in diesem Zusammenhang
der Transport des flüssigen Wasserstoffs in Containern
auf Containerschiffen, der Transport mit Spezialschiffen, sogenannten Barges wie sie für das Euro-Quebec Projekt entwickelt wurden und der Transport des
flüssigen Wasserstoffs mit Tankschiffen. Ein Vorteil der
„Container-Variante“ ist, dass die Container an Land
auf bestehende Transportmedien verladen und z. B.
per Bahn oder LKW weiter verteilt werden können.
Im Gegensatz dazu müsste der Wasserstoff bei den
anderen beiden „Schiffs-Varianten“ erneut umgefüllt
werden, um den Weitertransport des Wasserstoffs zu
ermöglichen. Dafür wäre eine neue Infrastruktur an
Land notwendig und würde zudem noch weitere Umfüllverluste nach sich ziehen.
Aufgrund der Anforderungen der Komponenten in
den betrachteten Varianten kommt es je nach Variante zu einer unterschiedlichen Ausgestaltung der
Offshore-Plattform, womit auch die Kosten für die
Plattform unterschiedlich ausfallen können, da im
Wesentlichen Fläche und zu tragendes Gewicht für
die Investitionskosten einer Plattform entscheidend
sind. Beispielhaft ist in der folgenden Abbildung die
Anordnung der Komponenten für die Pipeline-Variante dargestellt.
Abb. 2: Offshore-Plattform für die Pipeline-Variante (Altmann, M. et al. [2001])
39
40
Neue Nutzungsformen
Die Berechnung der Wasserstoffgestehungskosten
aus den oben erläuterten Varianten ergibt, dass die
Variante mit Druckgaspipeline die geringsten Gestehungskosten erzielt. Die Pipeline-Variante bleibt sogar mit anschließender Onshore-Verflüssigung unter
den Gestehungskosten der beiden Offshore-Verflüssigungs-Varianten. Mehr als das Doppelte gemessen
an den Gestehungskosten der Pipeline-Variante betragen die Gestehungskosten der Container-Variante.
Die günstigere der beiden Offshore-VerflüssigungsVarianten ist die Variante, die Barges zum Transport
des erzeugten Wasserstoffs einsetzt. Nicht mit ein-
geschlossen in die Berechnung der Gestehungskosten ist die Variante mit einem Tankerschiff, da diese
durch die hohen Investitionen für die Schiffe und die
Infrastruktur sowie durch die für diese Transportart
geringe Menge an Transportaufkommen in den Gestehungskosten über den anderen Alternativen liegen. Bei diesem Vergleich muss erwähnt werden,
dass die vier in Abbildung 3 dargestellten Varianten
nicht direkt miteinander verglichen werden können,
weil die Varianten die Anlandung von Wasserstoff in
unterschiedlicher Form und an unterschiedlichen Orten berücksichtigen.
Abb. 3: Relative Wasserstoffgestehungskosten der untersuchten Varianten (Altmann, M. et al. [2001])
Auch der Vergleich mit konventionellen Treibstoffen
wie Diesel oder Benzin kann nicht ohne Einschränkung gemacht werden, da berücksichtigt werden
muss, dass die Kosten für den Wasserstoff keine
Steuern und Kosten für den Transport bis zur Tank-
stelle enthalten. Ferner gilt es, in diesen Vergleich
den bezogen auf einen Ottomotor besseren Wirkungsgrad einer Brennstoffzelle, aber auch die zur
Zeit höheren Anschaffungskosten eines mit Wasserstoff betriebenen Autos einzubeziehen.
Neue Nutzungsformen
Mit Blick auf die konzeptionelle und technische Durchführbarkeit ist die Studie bei keiner der untersuchten
Varianten auf Ausschlusskriterien gestoßen, die eine
praktische Umsetzung der Offshore-Wasserstoffversorgung von etwa 175.000 bis 200.000 Fahrzeugen
im Jahr unmöglich machen würden. Offene Fragen
bestehen allerdings weiterhin insbesondere bei:
1.den gesetzlichen Regelwerken hinsichtlich Transport und Wasserstofferzeugung offshore,
2.der Kapazität von Verflüssigern und Elektrolyseuren
und
3.der Offshore-Verladung von Barges und Containern.
Es existieren keine Verflüssiger mit der hier erforderlichen Größe. Die weltweit größte Verflüssigungsanlage stand in Sacramento und hatte eine Kapazität von 54 t/d LH2 (Liquid Hydrogen). Das Fehlen
größerer Anlagen ist nicht auf technische Probleme
zurückzuführen, sondern in der geringen Nachfrage
an flüssigem Wasserstoff begründet. Zur Zeit werden in Japan im Rahmen eines Forschungsprojektes
Verflüssiger mit einer Kapaziät von 300 t LH2/d untersucht. Elektrolyseanlagen existieren ebenfalls
nicht in der benötigten Größenordnung. Die zur
Zeit größte Anlage hat eine Leistungsaufnahme
von 156 MW. Aufgrund der modularen Aufbauweise dieser Technologie kann durch Hinzufügen weiterer Elektrolyseeinheiten die erforderliche Größe
erreicht werden.
Im Bereich des Transports von Gasen und auch
von Wasserstoff in Pipelines gibt es weltweit Erfahrungen, allerdings ist noch keine Wasserstoffpipeline offshore verlegt worden. Aufgrund des großen
Erfahrungsschatzes mit dem Gastransport, z. B.
Erdgas unter Onshore- und Offshore-Bedingungen,
wird der Transport von Wasserstoff in einer OffshoreWasserstoffpipeline als technisch möglich angesehen. Problematischer gestaltet sich hingegen der
Transport von flüssigem Wasserstoff mit Schiffen.
Neben der Errichtung einer Anlege- und Verladestelle an der Plattform muss auf der Plattform ein
Zwischenlager für den erzeugten Wasserstoff installiert werden, da in Fällen von starkem Seegang
und schlechtem Wetter gerade in Zeiten einer hohen elektrischen Energiegewinnung und somit einer
gleichzeitig hohen Wasserstoffproduktion zeitweise
kein Schiff anlegen kann, um den erzeugten Wasserstoff aufzunehmen und in den nächsten Hafen
zu transportieren. Eine weitere Möglichkeit für die
Zukunft wäre, den Wasserstoff in bestehenden Erdgaspipelines sowohl on- als auch offshore weiter
zu befördern. Ob der Wasserstoff generell in bestehenden Erdgaspipelines transportiert werden
kann, eine Anpassung dieser Leitungen notwendig
ist oder ob der Zubau neuer Leitungen zur flächendeckenden Versorgung erforderlich ist, stellt eine
weitere offene Fragestellung dar.
Für die Zukunft gilt es, auf Basis der Ergebnisse
dieser Studie detailliertere Untersuchungen anzufertigen, die offenen Fragestellungen zu bearbeiten
und die Entwicklung der Wasserstofftechnologien
gemeinsam mit öffentlichen und wissenschaftlichen
Institutionen voranzutreiben, da die grundsätzliche
Machbarkeit dieses Vorhabens gegeben ist. Die
GEO mbH hat dazu eine Wasserstoffstrategie entwickelt.
Beginnend mit der Anfertigung weiterer Studien,
die Planung kleinerer Wind-Wasserstoffvorhaben
an Land über die H2-Notstromversorgung eines Offshore-Windparks werden praktische Erfahrungen
gesammelt und Wissen hinzu gewonnen. Dieser
Wissens- und Erfahrungszuwachs ist notwendig und
sinnvoll, um Planungsfehler bei weiter entfernten
Offshore-Wind-Wasserstoffprojekten, wie z. B. das
Projekt H2-20, das die Wasserstoffproduktion und
den Wasserstofftransport in bereits bestehenden
Pipelines vorsieht, zu vermeiden.
Insbesondere vor dem Hintergrund der langen Entwicklungszeiträume für solche Wasserstoffprojekte
sollten Szenarien für eine Offshore-Wasserstoffwirtschaft in einem Leitbild für die nachhaltige Entwicklung der (Nord-)See als Energieressource für
Deutschland mit berücksichtigt werden.
41
42
Neue Nutzungsformen
Abb. 4: Strategie der Firma GEO für Wasserstoffprojekte
Literatur
Anschrift des Verfassers:
Altmann, M., Gaus, S., Landinger, H., Stiller, C. und
R. Wurster, 2001: Wasserstofferzeugung in Offshore-Windparks – Killer-Kriterien, grobe Auslegung und Kostenabschätzung. Studie im Auftrag der Gesellschaft für Energie und Oekologie
GmbH (GEO), Juli 2001.
BMU, BMWi, BMVBW, BMVEL, BMVg, 2002: Strategie der Bundesregierung zur Windenergienutzung auf See im Rahmen der Nachhaltigkeitsstrategie der Bundesregierung, Januar 2002.
Dipl.-Ing. Frank Richert
Gesellschaft für Energie und Oekologie mbH
Enger Str. 13
25917 Enge-Sande
Neue Nutzungsformen
Arzneimittel aus dem Meer
Medical drugs from the ocean
ULRIKE LINDEQuIST
Zusammenfassung
Summary
Die hohe Diversität der im Meer lebenden Organismen
sowie ihre im Vergleich zu terrestrischen Lebewesen
besonderen Lebensbedingungen (Wasser, Druck-,
Licht- und Temperaturverhältnisse, Nährstoffangebot,
enge Lebensgemeinschaften, oft benthische Lebensweise) führen dazu, dass marine Lebewesen als Quelle für ungewöhnliche Sekundärmetabolite immer mehr
Interesse finden. Sie können zum Beispiel Ausgangspunkt für die Arzneimittelentwicklung sein.
The marine environment probably is one of the richest
biospheres on earth. Living conditions in the oceans
differ fundamentally from those on earth in several parameters (water, pressure, light, temperature, nutrients,
close associations of organisms, benthic growth). This
necessitates the production of specific secondary metabolites which ensure the survival of their producers.
These substances may be the basis for the development of new drugs.
Die größten Fortschritte wurden bis jetzt bei potentiellen
neuen Antitumormitteln erzielt. Beispiele sind Ecteinascidin 743 (ET 743), ein Alkaloid, das von Ecteinascidia turbinata (Tunicata) produziert und bei Weichteilsarkom eingesetzt wird, oder Bryostatin, ein Makrolid aus
dem Moostierchen Bugula neritina bzw. symbiontisch
lebenden Mikroorganismen. Hervorhebenswert sind
auch Ziconotid, ein starkes Schmerzmittel, das ausgehend von Peptiden der giftigen Kegelschnecken (Conus sp.) entwickelt wurde, und entzündungshemmende
Stoffe wie die Pseudopterosine aus Korallen (Pseudopterogorgia elisabethae).
Most progress has been achieved in the field of potential cancer treatments. Examples are ecteinascidin
743 (ET 743), an alkaloid from the tunicate Ecteinascidia turbinata, and bryostatin, a makrolide from the
bryozoan Bugula neritina or symbiotic microorganisms.
Ziconotide, a strong analgetic drug, was developed on
the basis of toxic peptides from poisonous Conus species (molluscs). Further examples are anti-inflammatory compounds like the pseudopterosins from corals
(Pseudopterogorgia elisabethae).
Kritischer Punkt bei der Weiterentwicklung neu aufgefundener mariner Wirkstoffe zu potentiellen Arzneimitteln
ist ihre kontinuierliche Bereitstellung in ausreichender
Menge ohne Gefährdung der natürlichen Umwelt. Zur
Lösung dieses Problems bieten sich die Kultivierung
der produzierenden Organismen in Aquakultur oder
Fermentern, die Synthese und Derivatisierung der Wirkstoffe (Leitstrukturen!) oder die Expression des entsprechenden genetischen Materials in leichter kultivierbaren
Wirtszellen an.
Einige Beispiele aus der eigenen Arbeit werden vorgestellt.
A critical point in the process of drug development from
marine organisms is the permanent availability of sufficient amounts of organisms and compounds without
harming the marine environment. Possible solutions to
this problem are the cultivation of producing organisms
in aquaculture or fermenters (marine biotechnology),
synthesis and derivatisation of bioactive compounds
(lead structures) or expression of genetic information in
common industrial microbes.
Some examples of own work will be demonstrated.
43
44
Neue Nutzungsformen
Trotz intensiver Bemühungen der pharmazeutischen
Industrie und zahlreicher Wissenschaftler weltweit
sind noch immer nur etwa 1/3 aller Erkrankungen
ursächlich behandelbar; ein weiteres Drittel kann
symptomatisch behandelt werden. Für das restliche
Drittel fehlen geeignete medikamentöse Behandlungsmöglichkeiten. Die Problematik wird durch
das Auftreten neuer Erkrankungen (siehe Beispiel
Vogelgrippe!) und die Ausbreitung von Resistenzen
gegen herkömmliche Arzneistoffe, z. B. Antibiotika
oder Zytostatika, weiter verschärft. Auch in den Bereichen Veterinärmedizin, Ernährung oder Kosmetik
bzw. für technische Zwecke werden neue Wirk- und
Wertstoffe benötigt.
Die fortgesetzte gezielte Suche nach neuen Arzneistoffen ist daher unerlässlich. Bei dieser Suche bietet
der lange vernachlässigte marine Lebensraum enorme Chancen. Gründe dafür sind unter anderem die
riesige Ausdehnung dieses Lebensraumes (etwa
70 % unserer Erdoberfläche sind von Wasser bedeckt), die große Artenvielfalt und die speziellen Lebensbedingungen, die sich von denen auf der Erde
deutlich unterscheiden. Die Artenanzahl wird auf bis
zu 500 Millionen geschätzt. Unter den ca. 40000 bekannten Pflanzenarten im marinen Milieu überwiegen
die Rot- (3900), Braun- (1500) und Grünalgen (900
Arten). Die Anzahl der Blütenpflanzen ist dagegen mit
etwa 45 gering. Von den 34 bekannten Tier Phyla sind
33 auch im Meer vertreten, 15 kommen ausschließlich
im marinen Milieu vor. Hinsichtlich der Stoffproduktion sind Schwämme, Stachelhäuter und Cnidarien besonders gut untersucht. Unter den marinen Mikroorganismen werden ständig neue Arten entdeckt. Ihre
Anzahl ist noch nicht abschätzbar. Bis jetzt sind nur
etwa 5 % der marinen Organismen identifiziert, noch
geringer ist der Anteil der kultivierbaren.
Neben der Besonderheit Wasser sind die besonderen und sich über einen breiten Bereich erstreckenden Temperatur- (-1,5 bis + 350 oC), Druck(1 bis > 1000 atm) und Lichtverhältnisse, das sehr
unterschiedliche Nahrungsangebot sowie die häufig
engen Lebensgemeinschaften, die eine gute Kommunikation erfordern, hervorzuheben. Viele marine
Organismen sind an ihrer Unterlage festgewachsen
und können sich nicht durch Flucht ihren Angreifern
entziehen.
Das alles zusammen genommen bedeutet, dass marine Organismen andere Adaptationsmechanismen
an ihre Umgebung benötigen als terrestrische Lebe-
wesen. Wichtige Bestandteile solcher Adaptationsmechanismen sind spezielle Stoffwechselprodukte,
sogenannte Sekundärmetabolite. Sekundärmetabolite mit toxischer, zytostatischer oder antimikrobieller
Aktivität dienen beispielsweise der Abwehr von konkurrierenden oder angreifenden Organismen. Stoffe
mit UV-Schutzwirkung oder Reparaturkapazität für
die DNA ermöglichen das Überleben an der Wasseroberfläche unter hoher UV-Einstrahlung. Sogenannte kompatible Solute schützen Zellen gegen
Druck und hohe Salzkonzentrationen. Adhäsive Proteine von Muscheln vermitteln die intensive Anheftung der Tiere an ihrer Unterlage. Spezielle Enzyme
gestatten das Überleben unter extremen Umweltbedingungen, z. B. bei sehr niedrigen Temperaturen.
Viele dieser Eigenschaften sind auch für den Menschen nutzbar.
Trotz des großen Potentials mariner Organismen
zur Produktion von Wirk- und Wertstoffen, dessen
Erforschung seit den siebziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts verstärkt betrieben wird,
ist der Anteil der vom Menschen genutzten marinen Organismen oder ihrer Produkte bisher relativ
gering. Von den mehr 120 000 bekannten Naturstoffen stammen bis jetzt nur etwa 10 % aus marinen Lebewesen (Burja et al. [2001], Lindequist und
Schweder [2001]). Pharmazeutisch bedeutsame
Meeresprodukte wurden lange Zeit vorwiegend
wegen ihrer physiko-chemischen Eigenschaften
(z. B. Agar und Carrageenan aus Rotalgen) oder
ihres Gehaltes an basischen Polypeptiden (Protamine aus Fischen) genutzt. Weitere haben ernährungsphysiologischen Wert und werden aufgrund
ihres Gehaltes an Vitaminen (z. B. Vitamine A und
D in Fischlebertranen), mehrfach ungesättigten
Fettsäuren (z. B. Eicosapentaensäure und Docosahexaensäure in Kaltwasserfischen und Fischölen)
oder Carotinoiden (z. B. Farbstoffe des Hummer)
verwendet.
Die Erforschung von Sekundärmetaboliten mit origineller chemischer Struktur und hoher pharmakologischer Aktivität wird in steigendem Maße und mit
zunehmendem Erfolg erst seit etwa 30 Jahren intensiv betrieben. Schritte auf dem Weg bis hin zu einem
potentiellen neuen Wirkstoff sind die Sammlung und
Identifizierung von Organismen, die Herstellung von
Extrakten, die biologische Testung der Extrakte in
verschiedenen in vitro-Testsystemen, die Selektion
wirksamer Extrakte, die Isolierung der für die biologische Aktivität verantwortlichen Verbindungen und
Neue Nutzungsformen
schließlich deren Strukturaufklärung. Die Techniken
der funktionellen Genomanalyse eröffnen neue Möglichkeiten z. B. beim Screening nach neuen Wirkstoffen (Schweder et al. 2005).
Die auf diese Art und Weise gewonnenen Substanzen liegen meistens nur in sehr geringer Menge vor.
Um ausreichende Mengen für weitergehende Untersuchungen und eine eventuelle spätere Verwendung
zu erhalten, können verschiedene Wege beschritten
werden. Neben der Isolierung aus dem gesammelten
oder kultivierten natürlichen Material kommen auch
die chemische Synthese der Substanzen oder ihrer
Derivate oder eine gentechnologische Gewinnung mit
Hilfe leichter kultivierbarer Zellen in Betracht. Auch
die Verwendung von Extrakten oder der gesamten
Biomasse ist denkbar. Nach Vorliegen positiver Testdaten und geeigneter Gewinnungsverfahren müssen
mit den Entwicklungskandidaten umfangreiche vorgeschriebene präklinische und klinische Untersuchungen durchgeführt werden, um dann im besten
Fall eine Arzneimittelzulassung zu erreichen. Der Weg
von einem biologisch aktiven Extrakt bis zu einem einsetzbaren neuen Arzneistoff, und das betrifft nicht nur
marine Organismen, ist extrem lang, teuer und risikoreich. Aus diesem Grund ist es bis jetzt auch nur wenigen marinen Wirkstoffen gelungen, die Zulassung
als Arzneimittel zu erhalten. Es ist jedoch zu erwarten,
dass ausgehend von der mittlerweile großen Palette
an neu aufgefundenen Verbindungen die Anzahl zugelassener mariner Wirkstoffe steigen wird.
Firma Pharmamar die Zulassung als Zytostatikum zur
Behandlung von Melanomen sowie verschiedenen
hämatologischen und soliden Tumoren.
Abb. 1
Ein bei marinen Wirkstoffen häufig zu beobachtendes
Phänomen, die Produktion der Verbindungen durch
symbiontisch lebende Mikroorganismen (Proksch et
al. [2002]), wird u. a. bei den zytostatisch wirksamen
Bryostatinen deutlich. Sie wurden zuerst aus dem
Moostierchen Bugula neritina isoliert, die eigentlichen Produzenten sind mit den Moostierchen symbiontisch lebende Bakterien. Die zu den Polyketiden
gehörenden Bryostatine (Abb. 2) waren in klinischen
Prüfungen erfolgreich gegen verschiedene Tumorarten, z. B. Speiseröhrenkrebs (Faulkner [2000]).
Im Folgenden sollen sowohl einige bereits zugelassene Wirkstoffe als auch Entwicklungskandidaten
vorgestellt werden.
Entsprechend dem therapeutischen Bedarf, der eingeschlagenen Teststrategie und vermutlich auch
der ökologischen Funktion ist der Anteil zytostatisch
wirksamer Verbindungen unter den marinen Wirkstoffen auffallend hoch. Ecteinascidin 743 (Yondelis), ein von dem Manteltier Ecteinascidia turbinata,
produziertes Tetrahydroisochinolinalkaloid (Abb. 1),
wird von der Firma Pharmamar produziert und ist als
orphan drug zur Behandlung von Weichteilsarkom,
einer besonders aggressiven Tumorart, zugelassen.
Es hemmt durch kovalente Bindung an die DNA die
Zellteilung (Rinehart et al. [1990], Takebayashi et al.
[1999]). Aplidin (Dehydrodidemnin B) wird von dem
Manteltier Aplidium albicans gewonnen und gehört
zu den cyclischen Peptiden (Sakai et al. [1996]). Aufgrund erfolgreicher klinischer Prüfungen betreibt die
Abb. 2
45
46
Neue Nutzungsformen
Viele Meerestiere produzieren zur Abwehr von Angreifern akut toxische Verbindungen mit hoher pharmakologischer Aktivität. Ein bekanntes Beispiel sind
die in subtropischen und tropischen Meeren vorkommenden Kegelschnecken (Conus-Arten). Sie graben
sich meistens so in den Sand ein, dass nur noch ihr
hellrot gefärbter Rüssel sichtbar ist, der sich wie ein
Wurm auf dem Sand windet. Dadurch angelockte
Fische werden mit dem Giftpfeil des Rüssels gestochen und sind in Sekundenschnelle gelähmt. Ihre
Giftdrüsen enthalten ein komplexes Gemisch aus
Enzymen, niedermolekularen Substanzen und Peptiden, den sogenannten Conotoxinen. ω-Conotoxin
MVIIA (SNX-III) ist ein lineares Peptid aus 25 Aminosäuren aus der auch für den Menschen giftigen
Kegelschnecke Conus magus, das synthetisch herstellbar ist. Es blockiert spannungs-abhängige Calciumkanäle und besitzt eine starke schmerzstillende
Wirkung. In einigen Tiermodellen wirkt es stärker analgetisch als das bekannte Schmerzmittel Morphin.
Die Verbindung ist unter dem Namen Ziconotid (PRIALT®) zur Bekämpfung schwerer Schmerzzustände,
die z. B. in Verbindung mit Tumorerkrankungen oder
als neuropathische Schmerzen auftreten, in den USA
zugelassen. Die Zulassung in anderen Ländern ist in
Vorbereitung (www.elan.com/products/Prialt [2005]).
Als weiteres Beispiel für erfolgreich auf dem Markt
eingeführte marine Wirkstoffe seien die Pseudopterosine (Abb. 3, Roussis et al. [1990])) genannt. Sie
werden von der Hornkoralle Pseudopterogorgia elisabethae produziert und wirken über eine Hemmung
der Phospholipase A2 entzündungshemmend. Partiell gereinigte Extrakte dieser in der Karibik vorkommenden Koralle werden in hochwertigen Kosmetika
eingesetzt. Da die Korallen sehr schnell wachsen, ist
der Nachschub aus natürlichen Quellen in diesem
Fall kein Problem.
iertes bicyclisches λ-Lactam-ß-lacton-Ringsystem.
Es hemmt das 20S Proteasom, einen intrazellulären
Enzymkomplex, der bei der Regulation fundamentaler zellulärer Prozesse eine große Rolle spielt. Spezifische Proteasom-Hemmstoffe sind als potentielle
Zytostatika von großem Interesse. Berücksichtigt man
das bereits genutzte riesige Potential terrestrischer
Actinomyceten als Produzenten von Antibiotika usw.,
so lässt sich annehmen, dass auch die marinen Actinomyceten noch manche Überraschung bereithalten
werden.
Abb. 3: Quelle: Roussis et al. [1990]
Photolyase ist ein Enzym aus Cyanobakterien, das
die Reparatur bzw. unschädliche Entfernung von
durch UV-Strahlung geschädigter DNA erlaubt. Zusätzlich zu herkömmlichen chemischen und physikalischen Filtern ist dieses Enzym Bestandteil hochwertiger Sonnenschutzmittel.
Ein interessanter Entwicklungskandidat ist die Verbindung Salinosporamid A (Abb. 4, Feling et al. [2003]),
die aus einer neu entdeckten marinen Actinomyceten-Gattung stammt und schon in sehr geringen
Konzentrationen Tumorzellen in der Teilung hemmt.
Salinosporamid A besitzt ein interessantes substitu-
Abb. 4: Quelle: Feling et al. [2003]
Neue Nutzungsformen
In Greifswald hat sich während der letzten Jahre ein
Netzwerk mariner Biotechnologie entwickelt, in dessen
Zentrum neben der Universität das Institut für marine
Biotechnologie e. V. steht. Schwerpunkte der Arbeit
sind Genom- und Proteomanalysen mariner Mikroorganismen, bioaktive Verbindungen aus marinen Lebewesen, Enzyme aus psychrophilen (kälteliebenden)
marinen Mikroorganismen, die Derivatisierung mariner
Wirkstoffe sowie die galenische Verarbeitung mariner
Biomassen und Wirkstoffe zu Mikro- und Nanopartikeln. Als Quellen neuer Wirkstoffe werden bevorzugt
marine Mikroorganismen (Cyanobakterien, marine
Pilze) und Makroalgen, aber auch ausgewählte Invertebraten bearbeitet. Dafür stehen Stammsammlungen
zur Verfügung, die kontinuierlich erweitert werden.
Zum umfangreichen Methodenspektrum gehören die
Fermentation in unterschiedlichem Maßstab, verschiedene molekularbiologische Methoden, Extraktionsund chromatographische Verfahren zur Stofftrennung
und –isolierung, spektroskopische Verfahren zur Strukturaufklärung, Synthese und Derivatisierung auch mittels spezieller Enzyme sowie Technologien zur Herstellung von Mikro- und Nanopartikeln. Zur Prüfung
auf biologische Aktivität werden mikrobielle, zelluläre
und biochemische Assays eingesetzt. Es werden z. B.
Prüfungen auf antibakterielle, antifungale, antivirale,
antioxidative, zytotoxische, cancerostatische und
wundheilungsfördernde Wirkungen durchgeführt. Außerdem ist es möglich, den Einfluß von Extrakten und
Verbindungen auf menschliche Haut- und Knochenzellen zu testen sowie UV-protektive und potentielle
„Anti-aging“-Eigenschaften zu erfassen.
Cyanobakterien, auch als Blaualgen bekannt oder
als Mikroalgen bezeichnet, sind vor allem durch ihre
Fähigkeit zur Bildung von Wasserblüten, die für Menschen und Tiere toxisch sein können, bekannt. Sie
sind aber auch vielversprechende Produzenten potentieller therapeutischer Wirkstoffe. Mehr als 4000
Stämme waren bis 2001 dahingehend untersucht worden (Burja et al. [2001]). Am besten untersucht sind
die toxischen Inhaltsstoffe, vorzugsweise Peptide,
von Microcystis-Arten und Lyngbya majuscula. Einige
Wirkstoffe, z. B. die bereits erwähnte Photolyase, besitzen für den Menschen sehr nützliche Eigenschaften.
Andere Mikroalgen, z. B. Spirulina-Arten, werden als
Nahrungsergänzungsmittel und zur Produktion von
Carotinoiden und anderen Pigmenten genutzt (Puls et
al. [2001]). In der Greifswalder Arbeitsgruppe wurden
z. B. ungewöhnliche Fettsäuren mit antibakterieller
Aktivität aus Kulturen des Cyanobakteriums Oscillatoria redekei isoliert (Mundt et al. [2003]).
Die spezielle Verarbeitung der Biomassen von ausgewählten Cyanobakterien zu Mikro- und Nanopartikeln führt zu einer Verstärkung von deren positiven
Eigenschaften. Auf diese Art und Weise ist es zum
Beispiel gelungen, kosmetische Präparate zu entwickeln, die die Haut nicht nur pflegen, sondern auch
die Kontamination mit den Erregern nosokomialer Infektionen (im Krankenhaus erworbener Infektionen)
verhindern (Lukowski et al. [2003]).
Makroalgen besitzen ausgeprägte Fähigkeiten zur
Bildung antimikrobieller Metabolite. Im Rahmen eines
EU-Projektes zur integrierten Aquakultur wurden
umfangreiche Screeninguntersuchungen von gesammelten und kultivierten Algen auf Wirkung gegen
fischpathogene Bakterien, die in Aquakulturanlagen
große Verluste hervorrufen können, durchgeführt. Die
am stärksten aktiven Algen wurden phytochemisch
untersucht. Bei den für die Aktivität von Laurencia
chondrioides verantwortlichen Verbindungen handelt es sich um halogenierte Sesquiterpene (Abb. 5,
Bansemir et al. [2004]).
Abb. 5: 1 Elatol
2 10,15-Dibromochamarga-3(15),4,7(14)-trien-9-ol
Quelle: Bansemir et al. [2004]
47
48
Neue Nutzungsformen
Marine Pilze werden in immer stärkerem Maße als
Wirkstoffproduzenten entdeckt (Biabani und Laatsch
[1998]). Die erste und bis jetzt einzige Verbindung,
die therapeutisches Interesse erlangt hat, ist Cephalosporin C, das als Ausgangsstoff für die Partialsynthese anderer Cephalosporine, die als Antibiotika große
Bedeutung haben, dient. Es wurde aus dem aus Seewasserproben vor der Küste Sardiniens isolierten Pilz
Acremonium chrysogenum gewonnen (Lindequist et al.
[1999]). Eigene Untersuchungen führten z. B. zur Identifizierung der antimikrobiell wirkenden Verbindungen
Corollosporin aus Corollospora maritima (Liberra et al.
[1999]) oder Ascochitin und Ascochital aus Kirschsteiniothelia maritima (Abb. 6a, Kusnick et al. [2002]) und
gemeinsam mit Ascosalipyron und Hyalopyron aus
Chaetodiplodia caulina (Abb. 6b, Rosemann [2005]).
Ascochitin
Ascochital
Ascosalipyron
Hyalopyron
Abb. 6a: Quelle: Kusnick et al. [2002]
Abb. 6b: Quelle: Rosemann [2005]
Die Chancen zur Auffindung neuer Arzneistoffe
in marinen Organismen sind um so größer, je besser die Kenntnisse über Physiologie, Biochemie
und Ökologie der Lebewesen und Lebensgemeinschaften entwickelt sind. Das bedeutet, dass nicht
nur der angewandten, sondern auch der Grundlagenforschung große Beachtung geschenkt werden
muss. Die Weiterentwicklung hin zu einem Arzneimittel erfordert das interdisziplinäre Zusammenwirken
von Vertretern zahlreicher Fachrichtungen wie z. B.
Pharmazeuten, Biologen, Chemikern, Biotechnologen, Verfahrenstechnikern und Medizinern, und
kann nur in Zusammenarbeit mit der Industrie erfolgreich sein. Die bisherigen Erfahrungen zeigen, dass
der Weg von der Entdeckung eines neuen Wirkstoffs,
unabhängig von seiner Quelle, bis hin zu einem zulassungsfähigen Arzneimittel extrem lang, teuer und
risikoreich ist. Um so wichtiger ist es, das aussichtsreiche Potential, das gerade marine Organismen bieten, in sinnvoller Weise zu erschließen. Dazu gehört
es auch, rechtzeitig geeignete Gewinnungsmöglichkeiten, die die natürlichen Ressourcen schonen, zu
entwickeln. Das können z. B. Aquakultur, bio- oder
gentechnologische Verfahren oder die chemische
Synthese sein.
Unter Beachtung dessen sind der Schutz der Meeresumwelt und die Nutzung des Meeres und seiner
Organismen zur Arzneistoffgewinnung gut miteinander vereinbar.
Neue Nutzungsformen
Literatur
Bansemir A., Just N., Michalik M., Lalk M., and U. Lindequist, 2004: Sesquiterpene derivatives from the
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Anschrift der Verfasserin:
Prof. Dr. Ulrike Lindequist
Institut für Pharmazie
Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald
17487 Greifswald
und
Institut für Marine Biotechnologie e.V.
am Biotechnikum Greifswald
49
Das Wattenmeer
Das Wattenmeer
Trilateral Monitoring and Assessment Supporting
Conservation and Management of the Wadden Sea*
Schutz des Wattenmeers durch trilaterales Monitoringprogramm (TMAP)
KAREL ESSINk
Summary
Zusammenfassung
For the Trilateral Monitoring and Assessment Program
(TMAP) as well as any other monitoring program, the
questions Why? What? Where? and How? are essential.
It should be clear why monitoring is needed, or what
purpose(s) it has. The purpose of the TMAP is to
periodically evaluate the agreed trilateral targets laid
down in the Wadden Sea Plan of 1997.
Wie bei jedem anderen Monitoringprogramm lauten
auch bei dem Trilateral Monitoring and Assessment
Program (TMAP) die wesentlichen Fragen: Warum?
Was? Wo? und Wie? Es muss klar sein, warum die Überwachung erforderlich ist bzw. welchen Zweck sie hat.
Der Zweck des TMAP-Programms besteht darin, die
im Wadden Sea Plan von 1997 vereinbarten trilateralen
Ziele regelmäßig zu überprüfen.
In order to be able to evaluate these targets, Denmark,
Germany and the Netherlands agreed on the TMAP
Common Package of parameters, which were considered suitable to provide the required information. The
questions Where? and How? pertain to the sampling
strategy and the analytical and statistical methods. In
the case of TMAP, with different institutes and specialist
groups operating in different areas of the Wadden Sea,
quality assurance and harmonisation are other essential issues. An operational data exchange system completes the TMAP.
Periodic evaluation may, or should, result in new or intensified management measures aimed at complying
with the targets set. If necessary, targets may have to
be amended in response to new findings or changed
policy priorities. Monitoring and assessment play an essential role in the so-called policy cycle.
In this contribution, elements of the TMAP and examples of evaluation results from the Wadden Sea Quality
Status Report 2004 will be presented against the background of this policy cycle.
*
Was zwecks Überprüfung der Ziele überwacht werden
sollte, wurde von Dänemark, Deutschland und den Niederlanden in Form der gemeinsamen TMAP-Parameter
festgelegt. Die Fragen „Wo?“ und „Wie?“ beziehen sich
auf die Probenahmestrategie sowie die verwendeten
Statistik- und Analysemethoden. Bei TMAP mit seinen
diversen, in verschiedenen Teilen des Wattenmeers
tätigen Instituten und Fachgruppen, sind die Qualitätssicherung und Harmonisierung weitere Schwerpunkte.
Das TMAP wird durch ein operationelles Datenaustauschsystem ergänzt.
Regelmäßige Bewertungen können, oder sollten, zu
neuen oder intensiveren Maßnahmen führen, damit die
Ziele erreicht werden. Falls erforderlich, müssen Ziele
aufgrund neuer Erkenntnisse oder geänderter Prioritäten neu definiert werden. Die Überwachung und Auswertung spielt daher eine wichtige Rolle im sogenannten „Policy Cycle“.
In diesem Beitrag werden wesentliche Elemente von
TMAP und Beispiele für Bewertungen des Wadden Sea
Quality Status Report 2004 vor dem Hintergrund des
„Policy Cycle“ dargestellt.
The full paper will be published in: Proceedings of the 11th International Scientific Wadden Sea Symposium. Monitoring and
assessment in the Wadden Sea. Foundations and perspectives. Ministry of the Environment, National Environmental Research
Institute, Roskilde/ Silkeborg/ KalØ, Denmark. NERI Technical Report No. 573.
53
54
Das Wattenmeer
Policy cycle
Targets
Issues of concern
1. Problem
2. Policy formulation
Identification & acceptance
5. Evaluation
Monitoring
&
Assessment
Research
3. Policy implementation
QSR
4. Management &
maintenance
Ministerial
Declaration
National implementation
Trilateral Wadden Sea Plan
Targets:
• Landscape and Culture
• Water and Sediment
• Salt Marshes
• Tidal Area (tidal flats
and subtidal gullies)
• Beaches and Dunes
• Estuaries
• Offshore Zone
• Birds
• Marine Mammals
Regulations on :
• Agriculture
• Fishery
• Hunting
• Dredging and dumping
• Sand and clay extraction
• Tourism
• Shipping
• Energy (wind, gas, oil)
• Others
Das Wattenmeer
Monitoring (TMAP)
Trilateral Monitoring and Assessment Program
Common Package of TMAP Parameters
Chemical Parameters
Biological Parameters
•
•
•
•
•
•
•
•
•
•
•
•
Nutrients
Metals in sediment
TBT in sediment
Contaminants in blue mussels,
flounders and bird eggs
Habitat Parameters
•
•
•
Blue mussel beds
Salt marshes
Beaches and Dunes
Phytoplankton
Macroalgae
Eelgrass
Macrozoobenthos
Breeding birds
Migratory birds
Beached Bird Surveys
Common seals
General Parameters
•
•
•
•
Geomorphology
Flooding
Land use
Weather conditions
References
Common Wadden Sea Secretariat, 1997: Wadden
Sea Plan, 1997. In: Ministerial Declaration of the
Eighth Trilateral Governmental Conference on the
Protection of the Wadden Sea. Stade, October
1997, Annex 1. Common Wadden Sea Secretariat,
Wilhelmshaven, Germany.
Address of author:
Dr. Karel Essink
National Institute for Coastal and
Marine Management (RIKZ)
PO Box 207
9750 AE Haren
The Netherlands
Present address:
Hooiweg 119
9765 EE Paterswolde
The Netherlands
E-mail: [email protected]
Essink, K., Dettmann, C., Farke, H., Laursen, K.,
Lüerßen, G., Marencic, H. and W. Wiersinga (Eds.)��,
2005: Wadden Sea Quality Status Report 2004.
Wadden Sea Ecosystem No. 19. Common Wadden
Sea Secretariat, Trilateral Monitoring and Assessment Group, Wilhelmshaven, Germany.
55
Das Wattenmeer
Das Wattenmeer - Zustandseinschätzung für das
Jahr 2005 nach der Wasserrahmenrichtlinie (WRRL)
JÖRG JANNING
Die Ausweisung regionaler Gebietseinheiten und
das Bilanzieren von Belastungen und deren Auswirkungen in diesen Gebietseinheiten und die daraus
sich ergebende Zustandsbeschreibung und deren
Einordnung in ein Klassifizierungssystem zur Vergleichbarkeit der Verhältnisse EU-weit - das ist die
grundlegende Sichtweise der neuen europäischen
Wasserpolitik und insoweit eine neue Ausrichtung für
die behördliche Wasserbewirtschaftung.
Die regionalen Gebietseinheiten sind die Managementeinheiten für Bewirtschaftung und Maßnahmen
zum Verbessern, zum Schützen und zum Sanieren
der Oberflächengewässer. Innerhalb eines Flusseinzugsgebietes wirken diese Einheiten zumeist von
Abb. 1: Wasserkörper Küstengewässer
Oberlieger auf Unterlieger bis hinein in die Bilanzsenke der Küstengewässer.
Regionale Managementeinheiten - in der EG-Wasserrahmenrichtlinie Wasserkörper genannt - sollen einheitliche und bedeutende Abschnitte eines
Oberflächengewässers sein. Einheitlichkeit ergibt
sich über eine Typengleichheit und diese diente zunächst der Bestimmung von Wasserkörpern. Diese
Wasserkörper sind in den Berichten 2005 gemäß
Art. 5 WRRL angezeigt. Ob jeder dieser diskreten
Wasserkörper auch für die eigentliche Aufgabenstellung, das Management, bedeutend sein wird,
wird sich im Zuge der Bewirtschaftungsplanung bis
2009 herausstellen.
57
58
Das Wattenmeer
an der deutschen Nordseeküste die Typisierung vor
allem anhand der Salinität und der Exposition. Eine
Besonderheit sind die Küsten von Helgoland und
Helgoland Düne. Hier wurden zusätzlich die besonderen Substratverhältnisse des Inselbereichs (Fels)
herangezogen. Die geographische Lage und der Tidenhub wurden nur zur ergänzenden Charakterisierung der Gewässertypen genutzt.
Belastungen der Oberflächenwasserkörper (Anh. II 1.4 WRRL)
Abb. 2: Flussgebietseinheiten in der Bundesrepublik Deutschland
Typen von Oberflächenwasserkörpern in
den deutschen Küstengewässern
Die Typisierung erfolgt gemäß Anhang II 1.1 und
1.2 WRRL entweder nach dem „System A“ - bei den
Küstengewässern über drei obligatorische Faktoren
(Ökoregion, Salzgehalt, Wassertiefe) - oder nach
dem „System B“, bei dem zum System A ergänzende
physikalische und chemische Faktoren einbezogen
werden. Diese so genannten optionalen Faktoren
beziehen die spezifischen Eigenschaften der jeweiligen Küstenregion und deren hydromorphologische
Struktur ein. Unter Verwendung des „Systems B“
wurden nach einheitlichen Kriterien abgestimmt fünf
Typen für die Nordsee festgelegt.
Nach Beurteilung der verschiedenen Faktoren und
ihrer räumlichen und zeitlichen Variabilität erfolgte
Die Oberflächenwasserkörper in einer Flussgebietseinheit, also einschließlich der zugehörenden Küstengewässer unterliegen anthropogenen Belastungen,
deren Art und Ausmaß gemäß Anhang II 1.4 WRRL
festzustellen ist. Zu den Hauptbelastungsarten zählen im Allgemeinen Punkt- und diffuse Quellen sowie morphologische Veränderungen zum Schutz vor
dem Wasser und zum Nutzen des Wassers. Im Küstengewässer sind dies insbesondere gebietsspezifische anthropogene Eingriffe durch den Küstenund Inselschutz, die Schifffahrt mit Fahrrinnen und
Unterhaltungsbaggerung und der Baggergutverbringung, die Fischerei und den Tourismus, die ermittelt und hinsichtlich ihrer Signifikanz eingeschätzt
wurden. Auf Grundlage der erhobenen Daten und
Informationen ist anschließend beurteilt worden, ob
die Zielerreichung für die Oberflächengewässer bezogen auf die ausgewiesenen Wasserkörper als gefährdet einzuschätzen ist (Anhang II 1.5 WRRL). Für
die Küs-tengewässer sind die erfassten Belastungen
als nicht signifikant beurteilt worden.
Der Begriff „signifikant“ ist allerdings in der WRRL nicht
näher definiert, so dass es im Einzelfall zu unterschiedlichen Auffassungen hinsichtlich der Einschätzung der
Signifikanz bzw. der zugrunde liegenden Kriterien gekommen ist. In Anlehnung an CIS-Guidance 2.1 (IMPRESS-Leitfaden) wurde „signifikant“ so interpretiert,
dass eine Belastung sich so auswirkt, das dies zu
einem Nicht-Erreichen eines Umweltziels führen kann.
Küstengewässer sind dynamische Systeme, die
infolge der vielen verschiedenen Einflüsse starke
Variationen aufweisen. Ein wesentliches Charakteristikum hierbei ist die gezeitenbedingte periodische
horizontale Verlagerung der Wasserkörper, die durch
keine geomorphologisch signifikanten Grenzen begrenzt sind. Die Gezeitenströme bestimmen den horizontalen und den vertikalen Austausch und damit
die großräumige Vermischung. Hierdurch besitzen
Das Wattenmeer
Anzahl der Nennungen
10
8
6
4
2
0
Gewässerstruktur
(einschließlich
Durchgängigkeit)
Nährstoffe
Physikal./chemische
Stoffe
(Anhang VIII WRRL)
Prioritäre Stoffe
(Anhang IX und X
WRRL)
Abb. 3: In den zehn Flussgebietsberichten am häufigsten genannte Ursachen für die Zielverfehlung von Oberflächengewässern
Quelle: Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (BMU)
verändert nach Borchardt [1998]
Abb. 4: Veränderung der Belastung von Fließgewässern
Quelle: Universität Kassel, Gewässerökologie/Gewässerentwicklung. Workshop Fließgewässerbewertung, Witzenhausen
25./26. Juni 2003
59
60
Das Wattenmeer
anthropogene Belastungen (punktuell oder diffus)
einen größeren nicht genau abgrenzbaren Wirkbereich. Hinsichtlich ihrer Belastungssituation stellen
sie somit ein gemeinsames, sich gegenseitig beeinflussendes System dar. Auf Grund der naturräumlichen Gegebenheiten ist es daher für die meisten
Belastungsarten nicht sinnvoll, unterschiedliche Bewertung der einzelnen Wasserkörper innerhalb des
Gebietes der Küstengewässer vorzunehmen. Nur
bei einer ausreichenden Datenlage, die eine hinreichende Unterscheidung ermöglicht, können differenzierte Bewertungen vorgenommen werden.
Künstliche und erheblich veränderte Wasserkörper gem. Art 4(3)
In den Berichten 2005 ist die vorläufige Ausweisung
künstlicher und „erheblich veränderter“ Wasserkörper gefordert. Es war festzustellen, dass die durch
Menschen vorgenommenen physikalischen Ein-
2009 Bewirtschaftungsplan
Klassifizierung
griffe - zumeist im Küsten- und Inselschutz und in
der Schifffahrt - die Küstengewässer nicht in ihrem
natürlichen Wesen erheblich verändert haben, was
bei der Größe der ausgewiesenen Wasserkörper in
den Küstengewässern auch nicht zu erwarten war. In
den Ästuaren, also in den Bereichen der Übergangsgewässer wurde die Veränderung dagegen als erheblich angesehen und sie wurden entsprechend
ausgewiesen. Hafenbereiche im Wattenmeerbereich
sind im Bericht 2005 nicht gesondert ausgewiesen,
werden aber als künstlich oder erheblich verändert
einzustufen sein.
Diese vorläufige Ausweisung wird in der weiteren Bewirtschaftungsplanung bis 2009 einer Überprüfung
zu unterziehen sein. Die endgültige Ausweisung ist
bedeutsam, weil sie festlegt, dass Umweltziele unter
Beachtung der vorgegebenen und unverzichtbaren
hydromorphologischen Festlegungen anzustreben
sind und diese Festlegungen nicht in Frage zu stellen haben.
2004 Ausweisung
2005 Art. 5 Bericht
Bestandsaufnahme
Bewertung Zielerreichung
vorläufig
AWB / HMWB
2003 Belastungs- und
Bewertungsmatrices
nach LAWA Kriterien
Ökologischer Zustand
sehr gut
Zielerreichung
gut
wahrscheinlich
„not at risk“
mäßig
unklar
„at risk“
unbefriedigend
unwahrscheinlich
schlecht
Abb. 5
Anschrift des Verfassers:
Jörg Janning
Referatsleiter Gewässerschutz
Niedersächsisches Umweltministerium
Archivstr. 2
30169 Hannover
> 70 % WK-Strecke erfüllt
30 - 70 % WK Strecke erfüllt
> 70 % WK-Strecke
Strukturklasse > 5
und Nutzungen
< 30 % WK-Strecke erfüllt
Das Wattenmeer
Salzwiesenmonitoring im schleswig-holsteinischen
Wattenmeer - Ergebnisse und Perspektiven für das
Monitoring im Rahmen von FFH und WRRL
Salt marsh monitoring in the Schleswig-Holstein Wadden Sea – results and
implications for monitoring under FFH and WFD
MARTIN STOCK
Zusammenfassung
Summary
Salzwiesen stehen in der Diskussion um den Nationalpark im besonderen öffentlichen Interesse. Sie sind Bestandteil eines Kultur- und Naturraumes, dessen Schutz
in den letzten Jahrzehnten einen gesellschaftlichen
Wandel erlebt hat.
Salt marshes are of special interest to the public in the
discussion concerning the National Park area. They are
part of a cultural and natural area whose protection has
experienced a change of public attitude during the past
decades.
Die Ansprüche an das Land vor den Deichen sind vielfältig. Naturschutz, Küstenschutz, Landwirtschaft und
Tourismus haben jeweils eigene Erwartungen an diesen
Lebensraum. Unter Naturschutzgesichtspunkten erfüllen die Salzwiesen eine wichtige Funktion im NATURA
2000 Netzwerk und mit ihrer Filterfunktion zusätzlich im
Rahmen der Wasserrahmenrichtlinie der EU.
Numerous different interests focus on the area outside
the dikes. Protection of nature, coastal defence, agriculture, and tourism have their own expectations regarding
this habitat. Under nature conservation aspects, the salt
marshes have an important function within the NATURA
2000 network, and because of their filtering function
they are also relevant under the EU Water Framework
Directive.
Um die unterschiedlichen Interessen aus Küsten- und
Naturschutz in den Salzwiesen zu einem Ausgleich zu
bringen, hat das Land Schleswig-Holstein ein Vorlandmanagementkonzept geschaffen, dessen Planungen
und Umsetzungen vorbildlich für die deutsche Nordseeküste sind. Ein wesentlicher Bestandteil ist ein
Monitoringprogramm für die Salzwiesen, das zugleich
Bestandteil des Trilateralen Monitoring und Assessment
Programmes TMAP ist.
In order to co-ordinate the different environmental protection interests in the salt marshes, the state of Schleswig-Holstein developed a management concept for
the area which is exemplary in its planning and implementation in the German North Sea area. An important
component of the concept is the salt marsh monitoring
programme, which forms part of the Trilateral Monitoring and Assessment Programme (TMAP).
Im Rahmen dieser Programme werden regelmäßig flächendeckende Erhebungen zur Salzwiesenentwicklung
durchgeführt. Erstmalig sind nun alle Erfassungen synoptisch ausgewertet und in Form von Karten dargestellt
worden. In dem Vortrag werden exemplarisch wichtige
Ergebnisse vorgestellt und deren Bedeutung für die Zustands- und Qualitätsbeurteilung des Habitattyps vor
dem Hintergrund der EU-Richtlinien dargestellt.
Within the framework of these programmes, the complete area of the salt marshes has been monitored regularly to record its development. A synopsis of monitoring results is now available for the first time in the form
of charts. The presentation deals with some important
results and discusses their relevance to the assessment of the habitat type’s status and quality under the
EU regulations.
61
62
Das Wattenmeer
Einleitung
Küstenzonen sind ökologisch sehr wertvolle Landschaften. An der schleswig-holsteinischen Westküste
stehen insbesondere die Salzwiesen im besonderen
öffentlichen Interesse. Sie sind Bestandteil eines Kultur- und Naturraumes, dessen Schutz in den letzten
Jahrzehnten einen gesellschaftlichen Wandel erlebt
hat.
Die Ansprüche an das Land vor den Deichen sind
vielfältiger geworden. Naturschutz, Küstenschutz,
Landwirtschaft und Tourismus haben jeweils eigene
Erwartungen an diesen Lebensraum. Unter Naturschutzgesichtspunkten erfüllen die Salzwiesen eine
wichtige Funktion im NATURA 2000-Netzwerk und
im Rahmen der Wasserrahmenrichtlinie. In großen
Teilen sind sie heute Bestandteil des Nationalparks
Schleswig-Holsteinisches Wattenmeer. Unter Küstenschutzgesichtspunkten haben Salzwiesen unter anderem eine wichtige Aufgabe als Wellendämpfer. Sie
minimieren bei einer Sturmflut die Belastung unserer
Landesschutzdeiche. Um Grassoden für die Reparatur der Deiche zu gewinnen, müssen sie in Teilen
beweidet werden. Die Schafhaltung auf Deichen und
Salzwiesen hat eine regional-wirtschaftliche Bedeutung. Für den Tourismus ist die zurückkehrende Natur in den wieder erblühten Salzwiesen ein Werbepfund.
Um den unterschiedlichen Ansprüchen an den Lebensraum Salzwiese gerecht zu werden, entwickelte
eine Arbeitsgruppe „Vorland“ aus Vertretern und Vertreterinnen der Küstenschutz- und Naturschutzverwaltungen sowie des Marschenverbandes im Jahre 1995 erstmalig gemeinsame Grundsätze für das
künftige Management der Vorländer, die die rechtlichen Vorgaben (Landesnaturschutzgesetz, Landeswassergesetz, Nationalparkgesetz ) berücksichtigen (Hofstede und Schirmacher [1996]). Unter der
Maßgabe, dass der Schutz der Menschen höchste
Priorität hat, formuliert das Vorlandmanagement folgende Grundsätze:
• Es ist gemeinsames Ziel, vorhandenes Vorland zu
erhalten und vor Schardeichen neu zu entwickeln.
• Die Maßnahmen sind abhängig von den örtlichen
Verhältnissen; sie sind möglichst naturverträglich
auszuführen.
• Die Maßnahmen sind anhand eines Monitoringprogrammes auf Effektivität und auf ihre Naturverträglichkeit zu überprüfen und weiterzuentwickeln.
• Es werden Gebiete als Vorrangflächen für eine natürliche Entwicklung unter Verzicht auf Küstenschutzmaßnahmen ausgewiesen.
• Diese Gebiete werden beobachtet und überwacht.
Im Falle bedenklicher Entwicklungen werden die zu
ergreifenden Maßnahmen miteinander abgestimmt.
Das Monitoringprogramm wird vom Nationalparkamt
und vom Amt für ländliche Räume Husum gemeinsam getragen und finanziert. Die Ämter bedienen
sich dabei eines gemeinsamen Küstenschutz-Informations-Systems, das die Topographie der Westküste, die Morphologie und biologische Parameter mit
modernen Methoden dokumentiert.
Eine erste großflächige Erfassung der Salzwiesen
Im Nationalpark Schleswig-Holsteinisches Wattenmeer wurde schon 1988 durchgeführt. 1996 erfolgte die erste Wiederholungskartierung, die seitdem im Rhythmus von fünf Jahren im Rahmen des
Vorlandmanagementkonzeptes aktualisiert wird.
2001 konnte aufgrund einer beispielhaften Zusammenarbeit mehrerer Behörden erstmalig eine flächendeckende Erfassung aller Salzwiesen an der
Westküste von Schleswig-Holstein durchgeführt
werden. Zur Zeit wird die Kartierung 2006/2007
durchgeführt, bei der erstmalig mit digitalen Luftbildern gearbeitet wird.
Parallel zu der regelmäßigen Erfassung wurde in
den letzten Jahren auch eine Standardisierung
der Darstellungsmethodik erarbeitet (Bakker et al.
[2005]).
Methode
Ausdehnung und Vegetationsbedeckung der Salzwiesenvegetation wird auf der Grundlage von ColorInfrarot-Luftbildern im Maßstab 1:5.000 ermittelt, die
im Turnus von 5 Jahren aufgenommen werden. Im
Folgejahre der Befliegung wird eine Kartierung der
Vegetation durchgeführt.
Als Grundlage für die Kartierung der Salzwiesen
dienen Color-Infrarot (CIR) Luftbilder. CIR-Luftbilder
sind besonders für Vegetationsuntersuchungen geeignet, da die stärker differenzierte Remission des
Blattgrüns im nahen Infrarot sichtbar wird.
Die Auswertung der CIR-Luftbilder erfolgt am Leuchttisch. Als Kartengrundlage dienten die Deutsche
Das Wattenmeer
Grundkarte im Maßstab 1 : 5.000 (DGK5), Ausdrucke
des Geografischen Informationssystems des Nationalparkamtes (GIS) sowie die Ergebnisse der vorherigen Vegetationskartierung. Für die Auswertung der
Luftbilder der nachfolgenden Kartierungen lag eine
digitale Topografie auf der Grundlage von digitalen
Orthofotos vor.
Am Leuchttisch wird bei der Luftbildinterpretation
die Information des CIR-Bildes von untereinander
abgrenzbaren Flächen unterscheidbarer Vegetation
nach Farbe, Textur und Struktur der Oberfläche und
Verteilung der Objekte im Raum in einen transparenten Plot der Topografie übertragen.
Die Kartierung der Salzwiesenvegetation erfolgte
als pflanzensoziologische Ansprache. Nach Vorinterpretation der Flächenumrisse im Luftbild werden
die Pflanzenbestände im Gelände bereits beschriebenen Pflanzengesellschaften zugeordnet.
Die Ansprache der Vegetationsgesellschaften erfolgt
nach dem von Braun-Blanquet [1964] begründeten
Kennartenprinzip. Die Flächenbilanzierung richtet
sich nach der Untergliederung der Salzmarschen
von Hälterlein et al. [1991], um einen Flächenbezug
zu Brut- und Rastvogeldaten zu gewährleisten.
Die erhobenen Vegetationsdaten werden digitalisiert
und in einem Geographischen Informationssystem
(ARC-INFO) verarbeitet. Die digitale Erfassung erhöht zudem den Vergleich und die gemeinsame
Auswertung mit anderen Daten des GIS im Nationalpark (z. B. Brut- und Rastvogeldaten) sowie mit
Daten des Küstenschutz-Informations-Systems (KIS)
des ALR im Rahmen des Vorlandmanagements an
der Westküste von Schleswig-Holstein.
Voraussetzung für eine wattenmeerweite Betrachtung der Vegetationsausbildung ist eine einheitliche
Typisierung der Vegetation. Aus diesem Grund wurde eine wattenmeerweite Typologie erarbeitet. Sie
besteht aus 32 verschiedenen Vegetationstypen,
von denen jeder durch kennzeichnende und / oder
dominante Pflanzenarten charakterisiert ist. Diese
Vegetationstypen können zu 7 Vegetationszonen
zusammengefasst werden. Diese Typologie wird auf
die digitalen Daten angewendet und kann mit einer
einheitlichen Kartenlegende versehen werden.
Eine ausführliche Methodenbeschreibung ist bei
Stock et al. [2005] zu finden.
Ergebnisse
Entsprechend der Datengrundlage von 2001 konnte
erstmalig eine Gesamtbilanz der Salzwiesenfläche an
der Westküste von Schleswig-Holstein vorgenommen
werden. Die ermittelte Fläche von 11.625 ha beinhaltet auch die Quellervegetation und einen geringen
Anteil von Dünenvegetation, z. B. vor St. Peter-Ording, wo die eigentliche Salzwiese eng mit Dünenkomplexen verzahnt ist.
Entsprechend der ersten Gesamterfassung sind im
Jahre 2001 an der Festlandsküste 8.340 ha, auf den
Inseln 1.240 ha und auf den Halligen mit den dazugehörigen Vorländern 2.045 ha Salzwiesenfläche ermittelt worden (Tab. 1).
Gebiet
ha
Festland
8.340
Inseln
1.240
Halligen und Vorländer*
2.045
Gesamt
11.625
Tab. 1: Gesamtfläche der Salzwiesen an der Westküste von
Schleswig-Holstein im Jahr 2001
* inkl. einer nicht kartierten Halligfläche (26,2 ha)
Auf der Hallig Langeneß sind 935 ha, auf Hallig
Hooge 485 ha, auf der Hallig Nordstrandischmoor
195 ha, auf Hallig Gröde 184 ha, auf Hallig Oland
135 ha, auf Hallig Süderoog 58 ha, auf Hallig Südfall
37 ha, auf Hallig Norderoog 10 ha und auf der Hallig
Habel 6 ha Salzwiesenvegetation kartiert worden.
Mit dieser Bilanz wird erstmalig eine Flächenermittlung vorgelegt, die auf einer aktuellen Topographie
(1995 - 2003) aufbaut und bei der die gesamte Fläche nach einheitlicher Methode kartiert wurde, wobei
schwarz-weiße Luftbilder aus den Jahren 2001 bzw.
2003 als Kartenhintergrund Verwendung fanden.
Flächenentwicklung der Salzwiesen der Festlandsküste
Anhand der drei aufeinanderfolgenden Kartierungen
wird die Flächenentwicklung für die Vorland-Salzwiesen ab 1988 aufgezeigt (Abbildung 1). Da 1988 keine
Quellerfluren kartiert wurden, zeigt die Grafik die Flächenentwicklung für den Vergleich der drei Kartierungsdurchgänge ohne Quellerfluren und für den Vergleich
der beiden letzten Kartierungen mit Quellerfluren.
63
64
Das Wattenmeer
Flächenentwicklung pro Gebiet
9000 ha
Für die Festlands-Salzwiesen wird die Flächenentwicklung der letzten 13 Jahre für die einzelnen Vorlandbereiche getrennt betrachtet. In Anlehnung an
die erste Bilanz (Stock et al. [2001]) wurden für diese
Auswertung der Flächenveränderungen jeweils mehrerer kleiner Gebietsabschnitte zu 32 größeren Gebieten zusammengefasst. In dieser Analyse sind aus
Gründen der Vergleichbarkeit zu den Ausgangsdaten
die Wattqueller-Fluren nicht mit berücksichtigt.
8000 ha
7000 ha
6000 ha
1985
1990
1995
= ohne Queller
2000
2005
= mit Queller
Abb. 1: Flächenentwicklung der Salzwiesen an der Festlandsküste. 1988 wurde keine Quellervegetation kartiert
Ohne Berücksichtigung der Quellerfluren ergibt sich
für die Festlandsküste ein Anstieg der Salzwiesenfläche von ca. 6.650 ha im Jahr 1988 über ca. 7.100 ha im
Jahr 1996 auf ca. 7.760 ha im Kartierungsjahr 2001.
Das entspricht einer Zunahme der Salzwiesenfläche
vor den Deichen der Westküste von rund 16 % über
einen Zeitraum von 13 Jahren. Der mittlere jährliche
Zuwachs betrug somit 85 ha pro Jahr. Während der
Zuwachs von der ersten zur zweiten Kartierung knapp
7 % betrug, so ist er von der zweiten zur dritten Kartierung auf ca. 9 % angestiegen.
Der größere Anteil der Festlandssalzwiesen befindet
sich vor den Deichen der nordfriesischen Küste mit
der Halbinsel Eiderstedt. Die Zuwächse betrugen
zwischen zwei aufeinanderfolgenden Kartierungen
jeweils 6 % bzw. 9,7 %. Dithmarschen weist aufgrund
seiner geringeren Küstenlänge einen geringeren
Salzwiesenanteil auf
������������������������������������
als Nordfriesland. Die Zuwächse
liegen jedoch mit 8 % bzw. 8,5 % in einer ähnlichen
Größenordnung wie in Nordfriesland. Auch in dieser
Darstellung blieben die Quellerfluren unberücksichtigt, um bei der Bilanzierung die Vergleichbarkeit zur
ersten Kartierung zu gewährleisten.
Bei dieser Flächenbilanz handelt es sich um eine
Brutto-Flächenveränderung, da lokale Verluste z. B.
durch Deichverstärkungen und andere Baumaßnahmen, wie z. B. vor Neufeld, in der Bilanz enthalten
sind.
Abbildung 2 (rechts) zeigt die Flächenveränderung
der Festlands-Salzwiesen von 1996 bis 2001 für die
einzelnen Teilgebiete. In den einzelnen Vorlandbereichen wird eine unterschiedliche Entwicklung deutlich. 30 Gebiete zeigen eine positive Flächenbilanz.
In den beiden Gebieten mit negativer Bilanz liegen
die Werte in der Größenordnung von unter 1 ha und
befinden sich damit im Fehlerbereich der Analysemethode.
Im nordfriesischen Teil des Wattenmeeres betrug
der Zuwachs der mit Salzwiesenvegetation bestandenen Fläche zwischen 2 - 81 ha (Abb. 2, rechts).
Die größten Zuwächse von 40 ha und mehr waren
vor dem Rickelsbüller Koog, dem Friedrich-WilhelmLübke-Koog, im Bereich der Hamburger Hallig und
auf Nordstrand im Südwesten von Süderhafen zu
verzeichnen. In allen anderen nordfriesischen Gebieten betrug der Zuwachs in den letzten 5 Jahren
zwischen 10 und 20 ha. Zuwächse unter 10 ha waren vor dem Neugalmsbüller Koog, dem Osewoldter
Koog, dem Nordstrander Damm, vor Schobüll, vor
dem Simonsberger und dem Jordflether Koog, dem
Norderheverkoog, vor Westerhever, in der Tümlauer Bucht und vor Ehstensiel/Grothusenkoog zu verzeichnen.
Vor der Dithmarscher Küste wurde mit Ausnahme von Helmsand in allen Vorlandabschnitten ein
Zuwachs bilanziert (Abb. 2, rechts). Der Wert für
Helmsand liegt jedoch im Fehlerbereich der Analysemethode. Der flächenmäßig größte Zuwachs trat
im Friedrichskooger Vorland und vor dem Dieksander Koog auf und betrug 33 – 84 ha. Besonders im
Dieksander Koog ist ein ausgedehntes Salzwiesenwachstum mit natürlichen Strukturen in den extrem
tiefen Vorlandbereichen zu verzeichnen. Vor dem
Wesselburener Koog, dem Hedwigenkoog und
dem Kaiser-Wilhelm-Koog lagen die Zuwächse unter 10 ha.
Das Wattenmeer
-20 0
-20
20 40 60 80 100 120 140 ha
0
20
40
60
80 100 120 140 ha
Rickelsbüller Koog
F-W-Lübke-Koog Nord
F-W-Lübke-Koog Süd
Marienkoog
Neugalmsbüller Koog
Osewoldter Koog
Ockholmer Koog
Hamburger Hallig
Süderhafen Südwest
Süderhafen Nordost
Nordstrander Damm
Schobüller Vorland
Porrenkoog/Dockkoog
Husum Süd
Simonsberg
Ülvesbüller Vorland
Jordfletherkoog Vorland
Norderheverkoog Ost
Norderheverkoog West
Westerhever
Tümlauer Bucht
St. Peter-Ording Nord
St. Peter-Ording Süd
Ehstensiel/Grothusenkoog
Wesselburener Koog
Hedwigenkoog
Helmsand
Friedrichskoog-Vorland
Dieksanderkoog-Nord
Dieksanderkoog-Süd
Kaiser-Wilhelm Koog
Neufelderkoog/Neufeld
1988 - 2001
1996 - 2001
Abb. 2: Entwicklung der Salzwiesenvegetation an der Festlandküste in unterschiedlichen Vorlandbereichen. Wattquellerfluren sind
nicht enthalten. Dunkel unterlegte Bereiche kennzeichnen Vorlandbereiche, in denen in Teilgebieten zumindest in den letzten
10 Jahren keine Küstenschutzmaßnahmen stattfanden
Analysiert man den gesamten Untersuchungszeitraum von 1988 bis 2001, so zeigt sich die in Abbildung 2 (links) dargestellte Situation hinsichtlich der
Flächenveränderung. Von den 32 Gebieten weisen
28 eine positive Bilanz auf. In vier Gebieten ist die
Bilanz über den 13-jährigen Zeitraum negativ. Die
Zuwächse betrugen je nach Gebiet bis zu 135 ha
auf. In zwölf Gebieten war eine Ausdehnung der
Salzwiesenfläche�������������������������������
von über 40 ha und in zehn Gebieten von über 10 ha zu verzeichnen. Neun Gebiete
wiesen über den gesamten Untersuchungszeitraum
nur geringe Zuwächse von unter 10 ha auf.
Bei den vier Gebieten mit Flächenverlusten handelt
es sich in allen Fällen um Gebiete, die bereits in der
ersten Bilanzierung (Stock et al. [2001]) eine negative Bilanz aufwiesen. Dies sind die Vorländer vor dem
Marienkoog, dem Osewoldter Koog, dem �����������
Porrenkoog�/
Dockkoog und vor dem westlichen Norderheverkoog.
In drei der Gebiete traten innerhalb der letzten fünf
Jahre (1996 bis 2001) Zuwächse auf, die allerdings
die Verluste des vorhergehenden Zeitraumes noch
nicht ausgleichen konnten. Die Salzwiese vor dem
Porrenkoog/Dockkoog ist das einzige Gebiet, in dem
auch in dem jüngsten Erfassungszeitraum keine Ausdehnung der Fläche zu verzeichnen war.
Bei den Gebieten mit geringen Zuwächsen in den
letzten 13 Jahren sowie bei den Gebieten mit Flächenverlusten kann davon ausgegangen werden,
dass entweder die Sedimentbilanz in den vorgelagerten Wattbereichen unzureichend ist oder erosive
Kräfte und starke Strömungen in den Watten vorherrschen, die ein Anwachsen der Salzwiesenvegetation
65
66
Das Wattenmeer
verhindern. Selbst durch Lahnungsbau kann in solchen Situationen die Erosion zwar gemindert, aber
keine positive Sedimentationsrate erzielt werden.
Name des Vegetationstyps, sondern die deutsche
Bezeichnung der Pflanzengesellschaft verwendet
worden.
Flächenentwicklungen in den Vorranggebieten für den Naturschutz
Abbildung 3 zeigt die Anteile der einzelnen Vegetationstypen in den jeweiligen Kartierungsjahren und
ihre Entwicklung über die Zeit.
Die grau unterlegten Vorlandabschnitte in Abb. 2
weisen auf Vorlandbereiche hin, in denen in Teilbereichen kein Lahnungsbau mehr betrieben wird.
Es handelt sich um „Vorranggebiete für den Naturschutz“ entsprechend dem Vorlandmanagementkonzept (Hofstede und Schirmacher [1996]). In keinem
dieser Bereiche war in der Bilanz für den Zeitraum
1996 bis 2001 ein Rückgang der Salzwiesenvegetation zu verzeichnen. Betrachtet man den gesamten
Untersuchungszeitraum von 1988 bis 2001, so weist
die Salzwiese vor dem Osewoldter Koog als einziges
Vorranggebiet eine negative Flächenbilanz auf. Diese Flächenveränderung ist auf einen Flächenverlust
in Höhe von 60 ha infolge einer Vordeichung aus
dem Jahr 1989 zurückzuführen. Der Verlust fand daher außerhalb des Vorranggebietes statt. Die Bilanz
über den gesamten Zeitraum ist negativ, da die erste Kartierung (1988) die Salzwiesen vor dem eingedeichten Koog noch mit erfasst hat. Die leichten
Zuwächse in dem Zeitraum nach der Vordeichung
konnten die aus der Vordeichung resultierenden Verluste noch nicht wett machen.
Veränderungen in der Vegetationszusammensetzung der Festlandssalzwiesen
Fünf Jahre nach Nationalparkgründung, im Jahr
1990, wurden erstmals in größerem Umfang in den
Festlandssalzwiesen die Beweidung und die flächige Entwässerung eingestellt. In den betreffenden
Bereichen kann sich seitdem die Salzwiesenvegetation wieder entsprechend der Standortbedingungen
ausprägen. Parallel dazu ist die Salzwiese in vielen
Bereichen weiter in die Wattflächen vorgedrungen
und hat eine geschlossene Vegetationsdecke ausgebildet. Diese Flächenveränderungen spiegeln sich
auch in der Vegetationszusammensetzung wider.
Die nachfolgenden Betrachtungen berücksichtigen
bei den beiden letzten Kartierungen auch die Wattqueller-Fluren, da kein Vergleich von absoluten Flächengrößen vorgenommen wird. Im Nachfolgenden
ist aus sprachlichen Gründen nicht der lateinische
100 %
80 %
60 %
40 %
20 %
0%
1988
1996
2001
Abb. 3: Veränderung der Anteile der einzelnen Vegetationstypen
in den Salzwiesen der Festlandsküste von 1988 bis 2001
(Legende siehe Abb. 5)
Vor der Extensivierung der Festlandssalzwiesen
(1990 - 91) bedeckten Andelrasen den größten Anteil der unteren Salzwiese. Die obere Salzwiesenzone bestand zu ca. 60 % aus Rotschwingel-Rasen.
Ein knappes Viertel wurde von Bottenbinsen-Rasen,
der Rest zu geringen Flächenanteilen von Strandquecken- und Straussgras-Fluren eingenommen.
Die Verteilung der einzelnen Vegetationstypen änderte sich in den folgenden Jahren. Der Anteil des
Andelrasens nahm von 50 % auf 20 %, der des Rotschwingel-Rasens von 17 % auf 15 % und der des
Bottenbinsen-Rasens von 7 % auf 4 % der Gesamtfläche des jeweiligen Jahres ab. Salzmelden-Fluren
in der unteren Salzwiese haben von 0,6 % auf 4 %
und Strandquecken-Fluren in der oberen Salzwiese
von 2 % auf 7 % der Gesamtfläche des jeweiligen
Jahres zugenommen. Der Anteil der reinen Schlickgras-Fluren in der Pionierzone hat von 15 % auf 18 %
der jeweiligen Gesamtfläche zugenommen. Die aktuelle Kartierung weist erneut einen Anstieg unspezifischer Vegetationstypen in der Pionierzone, in der
unteren und in der oberen Salzwiese auf. Diese Kategorie beinhaltet Vegetationskomplexe, die häufig
auf eine bislang nicht abgeschlossene Sukzession
Das Wattenmeer
hindeuten. Insgesamt ist es aufgrund der Extensivierungsmaßnahmen zu einer Zunahme sowie einer
ausgeglicheneren Verteilung der Vegetationstypen
gekommen, die mehr den standörtlichen Gegebenheiten entspricht und weniger durch Beweidungsund Entwässerungsmaßnahmen bedingt ist. Die Ergebnisse der aktuellen Kartierung zeigen, dass eine
großflächige Dominanz einzelner Vegetationstypen
bislang nicht aufgetreten ist.
Vegetationsentwicklung am Beispiel der
Hamburger Hallig mit unterschiedlichen
Standortbedingungen und unterschiedlichem Management
Die Salzwiesen der Hamburger Hallig stellen zusammen mit den angrenzenden Salzwiesen vor dem
nördlichen und südlichen Sönke-Nissen-Koog den
größten zusammenhängenden Vorlandkomplex im
nordfriesischen Teil des Wattenmeeres dar. Sie sind
seit vielen Jahren gut untersucht und auch weiterhin
Gegenstand detaillierter Dauerbeobachtungen mit
mehreren Parametern. Die Entstehungsgeschichte und die Entwicklung der Salzwiesen sowie ihrer
Avifauna sind ausführlich bei Stock und Kiehl [2000]
beschrieben. Die jüngste Auswertung zur Vegetationsentwicklung, ermittelt anhand von Dauerflächenuntersuchungen, haben Schröder et al. [2002] vorgelegt.
Die Salzwiesenfläche der Hamburger Hallig ist kontinuierlich angewachsen, obwohl im südlichen Bereich
auf einer Länge von ca. 180 m ein aktive Abbruchkante vorzufinden ist. Die Verluste an dieser Kante
werden jedoch durch die Zuwächse andernorts ausgeglichen. Zuwächse sind vor allen Dingen in den
Lahnungsfeldern um die Hallig herum sowie vor dem
nördlichen Sönke-Nissen-Koog anzutreffen. Die heutige Ausdehnung beträgt einschließlich der QuellerFluren ca. 1.047 ha. Südlich der Hamburger Hallig
befindet sich ein Vorranggebiet für den Naturschutz,
in dem seit 1996 keine Küstenschutzaktivitäten in der
Fläche mehr stattfinden (Hofstede und Schirmacher
[1996]).
Mit Ausnahme einer kleinen, langjährig unbeweideten
Versuchsfläche waren die Salzwiesen der Hamburger Hallig bis 1991 ganzflächig intensiv mit Schafen
beweidet. Damals ist ein großflächiges Beweidungsmosaik eingeführt worden, welches bis heute – mit
Ausnahme der extensiv beweideten Flächen – in
seiner Nutzungsintensität nicht geändert wurde. Auf
den extensiv beweideten Flächen im zentralen Bereich des Vorlandes ist 1994 die Beweidungsintensität nochmals reduziert worden. Heute sind ca. 38 %
unbeweidet, ca. 20 % werden extensiv beweidet und
ca. 42 % werden nach wie vor intensiv genutzt.
Die Vegetation in diesem Vorlandbereich spiegelte während der ersten Kartierung die Situation zum
Zeitpunkt intensiver Landnutzung wider (Abb. 4).
100 %
80 %
60 %
40 %
20 %
0%
1988
1996
2001
Abb. 4: Veränderung der Anteile der einzelnen Vegetationstypen
in den Salzwiesen der Hamburger Hallig von 1988-2001
(Legende siehe Abb. 5)
Die Vegetation war auf 69 % der Fläche von Andelrasen dominiert. Rotschwingel-Rasen nahmen mit
16 % den zweitgrößten Anteil ein. Schlickgras-Fluren
machten 8 % und Salzmelden-Fluren 5 % der Fläche aus. Mit fortschreitender Sukzession aufgrund
der Beweidungsrücknahme differenzierte sich die
Vegetation mehr und mehr entsprechend der Standortgegebenheiten aus. Die mit Schlickgras-Fluren
bedeckten Flächen haben leicht zugenommen und
nahmen in der jüngsten Kartierung 14 % der Vegetationsdecke ein. Hinzu gekommen sind die Quellerund Strandsoden-Fluren, deren Anteil sich seitdem
nicht verändert hat. Die Andelrasen sind flächenmäßig zurückgegangen und nahmen 2001 noch 22 %
der Fläche ein. Mit zunehmender Sukzessionsdauer
ist der Anteil der Komplexe zwischen Einheiten der
Pioniervegetation und der unteren Salzwiese gestiegen. Innerhalb des Bereiches der unteren Salzwiese
haben sich die Bestände der beweidungsempfindlichen Salzmelden-Gesellschaft zunehmend ausbrei-
67
68
Das Wattenmeer
ten können. Salzmelden-Fluren der unteren Salzwiese nahmen einen Anteil von 11 % der Gesamtfläche
ein. Hinzu kommen weitere 3 %, die SalzmeldenFluren in der oberen Salzwiese einnehmen.
Die Rotschwingel-Rasen zeigen, wie in allen anderen Gebieten auch, in den ersten Jahren nach Beweidungsauflassung eine Ausdehnung. Ihr Anteil
stieg von 16 % im Jahr 1988 auf 19 % im Jahr 1996
und sank dann bis 2001 auf 11 %. Diese Entwicklung
ist charakteristisch: Andelvegetation wird durch Beweidung auch an solchen Standorten gefördert, die
von den abiotischen Standortfaktoren her der oberen
Salzwiese zuzurechnen wären. Mit Beweidungsauflassung breiten sich zunächst Rotschwingel-Rasen
aus, die zu schneller Ausbreitung mittels Ausläufern
in der Lage sind. Sie werden jedoch im Verlauf der
weiteren Sukzession von Beständen anderer Gesellschaften der oberen Salzwiese abgelöst. Folglich hat
sich die Vegetation im Bereich der oberen Salzwiese
bis 2001 weiter ausdifferenziert und wird heute von
Bottenbinsen-Rasen, Salzmelden- und StrandbeifußFluren sowie von Strandquecken-Fluren bewachsen.
Der Anteil der Strandquecken-Fluren hat sich seit
1988 von weniger als 1 % auf 7 % der Fläche in der
jüngsten Kartierung ausgedehnt. Im gleichen Zeitraum stieg die Anzahl der Vegetationstypen in den
Salzwiesen der Hamburger Hallig von 11 auf 17.
Strandbeifußes mit über 20 % Deckung auch in den
intensiv beweideten Flächen an der nordfriesischen
Festlandsküste, unter anderem auch in den Salzwiesen der Hamburger Hallig, keine Seltenheit mehr, obwohl der Strandwermut als Jungpflanze selektiv von
Schafen verbissen wird (Kiehl [1997]). Offenbar ist
das Diasporenangebot infolge der Ausbreitung beweidungsempfindlicher Pflanzenarten in den Brachen
so stark angestiegen, dass im Zusammenhang mit
den günstigen Keimungsbedingungen in der IntensivWeide (Bakker et al. [1985]) mittlerweile auch Strandastern, Keilmelden und Strandwermut die Chance haben, sich in beweideten Salzwiesen zu etablieren.
Die Vegetationskarten der Hamburger Hallig aus den
Jahren 1988, 1996 und 2001 zeigen die Vegetationsentwicklung exemplarisch für einen großen Salzwiesenbereich mit unterschiedlichem Management
(Abb. 5 bis 7).
In den Flächen mit extensiver Beweidung im Vorland
der Hamburger Hallig wurde 1996 von Gettner et al.
[1997] festgestellt, dass die Entwicklung von unterer
zu oberer Salzwiese nach der 1991 erfolgten Umstellung auf extensive Beweidung zwar schneller vonstatten ging als in intensiv beweideten Vergleichsflächen, aber langsamer als in den ebenfalls 1991
aufgelassenen Brachen. Mittlerweile haben die Andelrasen auch in den extensiv beweideten Flächen
deutlich abgenommen, sind aber immer noch häufiger als in den Brachen. Profitiert haben einerseits
Salzmelden-Fluren und andererseits Einheiten der
oberen Salzwiese. Von den mittlerweile zehn Jahren
extensiver Beweidung haben in den Salzwiesen der
Hamburger Hallig vor allem die Strandbeifuß-Fluren
eindeutig profitiert. Bottenbinsen-Rasen scheinen
sich in diesem Gebiet unter extensiver Beweidung
deutlich besser zu halten als in Brachen.
Zehn Jahre nach Beginn großflächiger Flächenstillegungen sind Initialstadien der Salzmelden-Fluren
in Andelrasen sowie von Strandwermut-Fluren in
Rotschwingel-Rasen und sogar Reinbestände des
Legende für die Abbildungen 3 - 7
Das Wattenmeer
°
Abb. 5: Salzwiesenvegetation auf der Hamburger Hallig im Jahr 1988. Die gesamte Hallig war intensiv beweidet.
69
70
Das Wattenmeer
°
Abb. 6: Salzwiesenvegetation auf der Hamburger Hallig im Jahr 1996. Auf 2/3 der Fläche wurde die Beweidung eingestellt bzw. extensiviert (Legende siehe Abb. 5).
Das Wattenmeer
°
Abb. 7: Salzwiesenvegetation auf der Hamburger Hallig im Jahr 2001. Bei gleichbleibendem Management hat sich die Vegetation
weiter ausdifferenziert (Legende siehe Abb. 5).
71
72
Das Wattenmeer
Salzwiesenmonitoring im Rahmen von
Wasserrahmen- und FFH-Richtlinie
Die europäische Wasserrahmenrichtlinie (WRRL) gibt
keine eindeutige Definition hinsichtlich der landseitigen Grenze der Übergangs- und Küstengewässer.
Da die Struktur der Gezeitenzone jedoch eine hydromorphologische Qualitätskomponente im Rahmen
der Wasserrahmenrichtlinie ist, ist die Gezeitenzone
zum Übergangs- und Küstengewässer dazugehörig
zu zählen.
In den Guidelines zur Umsetzung der WRRL (CISCOAST) wird folglich empfohlen, in den Übergangsund Küstengewässern das Tidegebiet (= Gezeitenzone) im Bereich von der höchsten bis zur niedrigsten
astronomischen Tide mit einzubeziehen. Im CIS-Wetlands wird ergänzend ausgeführt, dass in einigen
Wasserkörpern u.a. die Gezeitenzone wichtig ist, um
den guten Qualitätszustand für biologische Qualitätselemente zu erreichen. Auch dort ist die Gezeitenzone
wie obenstehend definiert. Im CIS-HGIWB 3.6 wird ferner ausgeführt, dass solche Feuchtgebiete mit einem
Wasserkörper verbunden werden müssen, die direkt
den Status des dazugehörigen Wasserkörpers beeinflussen. Die Grenzen solcher Feuchtgebiete müssen
nach pragmatischen Kriterien benannt werden.
Aufgrund des ökosystemaren Ansatzes der Wasserrahmenrichtlinie und der Ausführungen in den oben
genannten Guidelines ist zu folgern, dass die als
Feuchtgebiete von internationaler Bedeutung nach
dem RAMSAR-Abkommen ausgewiesenen Salzwiesen des Wattenmeeres unmittelbar zum entsprechenden Wasserköper zu zählen sind. Sie haben
eine wichtige Funktion als Sedimentationsraum und
damit als Nährstoffsenke des Wattenmeeres.
Der Definition des Gezeitenbereiches entsprechend
der CIS-Guidelines folgend, liegt der überwiegende
Teil der Salzwiesen des Wattenmeeres im Einflussbereich der astronomischen Tidalamplitude. Dies
trifft insbesondere dann zu, wenn die hydrologische
Wirkung des Wasserkörpers auf den Feuchtgebietslebensraum Salzwiese mit heran gezogen wird, da
der Wasserfluss im Kapillarraum des Bodens während jeder Tide wirksam ist und auch den Bereich
erfasst, der nicht mehr von der höchsten astronomischen Tide überspült wird.
.
Da weiterhin eine Begrenzung nach pragmatischen
Gesichtspunkten erfolgen soll, ist die seeseitige Kan-
te der Deiche die geeignete Grenzlinie. Aus fachlicher Sicht sind folglich die Salzwiesen des Wattenmeeres mit pragmatisch ausgerichteter landseitiger
Begrenzung als Bestandteil des entsprechenden
Wasserkörpers im Übergangs- und Küstengewässer
anzusehen. Für die Salzwiesen als Bestandteil der
Qualitätskomponente Gewässerflora (Angiospermen) sind somit Umweltziele zu definieren und eine
Überblicksüberwachung durchzuführen. Aus den
bisherigen Erfahrungen der Salzwiesenkartierungen
und dem dabei methodisch erprobten und pragmatischen Ansatz sollte der im trilateralen Wattenmeer erarbeitete Erfassungsstandard wie bisher im
Rhythmus von 5 bis 6 Jahren durchgeführt werden.
Die Salzwiesenerfassung im Rahmen der oben geschilderten Überblicksüberwachung soll als flächenhafte Erfassung auf der Ebene von Vegetationstypen
erfolgen.
Für das gesamte Wattenmeer ist im Rahmen des
aktuellen Qualitäts-Zustandsberichts eine wattenmeerweite Standardisierung der Erfassungs- und
Darstellungsmethodik erarbeitet worden. Diese unterscheidet 31 Vegetationstypen, die zu 6 Vegetationszonen zusammengefasst werden können (Bakker
et al. [2005]).
FFH-Typ 1330
FFH-Typ 1320
FFH-Typ 1310
2001
Var. A
Var. B
Var. C
Abb. 8: Beurteilung der FFH-Habitattypen anhand der TMAPTypologie. Die linke Säule zeigt die Verteilung der drei
Habitattypen aus der Kartierung 2001. Die Habitattypen 1310 und 1320 beinhalten nur eine Pflanzengesellschaft. Der Typ 1330 hingegen kann eine unterschiedlich große Anzahl Vegetationstypen beinhalten
(Var. A – C). Eine differenzierte Beschreibung und Qualitätsbeurteilung dieses Habitattyps ist nur bei differenzierter Analyse anhand der TMAP-Typologie möglich
Das Wattenmeer
Diese Klassifizierung ist in idealer Weise zur Erfüllung der FFH-Richtlinie geeignet, da eine rein beschreibende Erfassung der drei FFH-Habitattypen in
der Salzwiese (Quellerfluren, No. 1310; Schlickgrasfluren, No. 1320; Atlantische Salzwiesenvegetation,
No. 1330) allein für eine Beurteilung des guten Erhaltungszustandes nicht ausreicht. Dies wird schon
dadurch deutlich, dass die beiden Habitattypen
1310 und 1320 jeweils nur einen geringen Flächenanteil aufweisen und jeweils nur aus einer Pflanzengesellschaft bestehen. Der Habitattyp 1330 hingegen
nimmt den größten Flächenanteil ein. Er kann im Wattenmeer entsprechend der TMAP-Typologie aus bis
zu 30 verschiedenen Vegetationstypen bestehen.
suchungen auf den gleichen Dauerflächen zu den
Auswirkungen der eintretenden Veränderungen auf
andere Arten, z. B. der EU-Vogelschutzrichtlinie.
Diese Untersuchungen sind das Ergebnis abgestimmter Expertenempfehlungen im Rahmen des trilateralen Monitoring- und Bewertungsprogrammes
TMAP (TMAG [1997]).
Abbildung 8 verdeutlicht, dass eine Differenzierung
des Habitattypus „Atlantische Salzwiese“ erforderlich
ist, um eine Qualitätsbeschreibung entsprechend
der FFH-Richtlinie zu ermöglichen. Erst die differenzierte Beschreibung der Verteilung der Anteile der
unterschiedlichen Vegetationstypen innerhalb des
FFH-Typs 1330 ermöglicht es, eine Qualitätsbewertung vorzunehmen.
Nutzung der Salzwiesen
Neben der flächenhaften Erfassung der Salzwiesenvegetation alle 5 bis 6 Jahre ist eine jährliche
Erfassung der Vegetation und von Begleitparametern im kleinflächigeren Maßstab auf der Ebene
von Dauerflächen zur Beurteilung des guten Erhaltungszustandes erforderlich. Gleiches gilt für Unter-
intensiv 45 %
Ein Monitoring der Salzwiesen mit trilateralem Standard entspricht nicht nur der Erfüllung der zitierten
EU-Richtlinien (WRRL, FFH) sondern ist auch Bestandteil des gemeinsamen Vorlandmanagementkonzeptes von Natur- und Küstenschutz.
Bei der flächendeckenden Salzwiesenkartierung
2001 wurde systematisch die reale Nutzung der
Salzwiesen ermittelt. Das Ergebnis für die Gesamtfläche ist in Abbildung 9 (oben) dargestellt. Insgesamt waren demnach in den Jahren 2001 bis 2002
36 % aller Salzwiesen ungenutzt, 19 % wurden extensiv und 45 % intensiv beweidet.
Betrachtet man die Situation der im Nationalpark
gelegenen Salzwiesen, so zeigt sich folgendes Bild
(Abb. 9 unten). An der Festlandsküste waren 2001
39 % intensiv sowie 15 % extensiv beweidet, 46 %
waren ungenutzt.
unbeweidet 36 %
t
sam
e
üst
stk
We
ge
ins
a
tion
Na
teil
an
rk
lpa
extensiv 19 %
unbeweidet 46 %
intensiv 39 %
extensiv 15 %
Abb. 9: Nutzung der Salzwiesen an der Westküste
von Schleswig-Holstein.
Eine Beweidung findet
überwiegend mit Schafen statt. Auf den Halligen gibt es auch Rinder- und Pferdeweiden
73
74
Das Wattenmeer
Diskussion und Schlussfolgerung
Die Salzwiesenkartierungen haben gezeigt, dass in
den elf Jahren nach Managementänderung in den
aufgelassenen Flächen beweidungsempfindliche Arten wie Strandaster, Strandwermut, Salzmelde und
auch Strandflieder stabile und teils ausgedehnte
Bestände gebildet haben. Dies ist als eindeutiger Erfolg des Naturschutzes zu werten. Da sich damit die
Gefährdungssituation entsprechend der Roten Liste
der Pflanzengesellschaften für Schleswig-Holstein
(Dierssen [1983]) für die Salzmelden-, die Strandbeifuss- und Strandquecken-Fluren, ebenso wie für artenreiche Andelrasen und die Salzmelde als Art verbessert hat, kommt Gettner [2003] zu dem Schluss,
dass bei einer Überarbeitung der Roten Liste voraussichtlich die Gefährdungssituation für Schleswig-Holstein als günstiger eingestuft werden könnte.
Gettner [2003] folgert weiterhin, dass es wichtige
Gründe für weitere Stilllegungen gibt, da sich mit der
Einstellung der landwirtschaftlichen Nutzung und der
Begrüppung in den heute unbeweideten Flächen die
Naturnähe der Vegetation weiter erhöht hat. Dies entspricht dem Nationalpark-Leitbild einer möglichst ungestörten Entwicklung und beinhaltet einen Verzicht
auf Vorgaben bestimmter Zielgesellschaften oder
bestimmter Artenzahlen pro Fläche (Stock [2003]).
Eine weitere Extensivierung von Salzwiesen im Nationalpark ist in einem gewissen Umfang möglich
(Stock [2000]).
Das Management von Salzwiesenflächen zugunsten
von „Zielgesellschaften“ (z. B. Bakker et al. [1997])
steht den Zielen des Nationalparks entgegen. Die aktuelle Entwicklung in den Salzmarschen an der Westküste Schleswig-Holsteins zeigt zudem, dass auch
in den Flächen ohne Beweidung sich Standorte wie
abflusslose Senken, Salzpfannen und zugeschlickte
Grüppen in der Fläche ausbilden, die aufgrund der
dort stattfindenden Vernässung Standorte für Vegetation der Pionierzone und der unteren Salzwiesenzone
darstellen. Zudem wird es auch zukünftig Bereiche
mit unterschiedlich starken Sedimentationsraten geben. In den Salzwiesen der Hamburger Hallig konnte beispielsweise gezeigt werden, dass Flächen mit
geringen Sedimentationsraten auch nach langjähriger
Auflassung eine vielfältig zusammengesetzte Vegetation aufweisen (Kiehl et al. [2003]). Sofern diese Flächen dem Anstieg des Meeresspiegels standhalten,
wird auch auf Dauer eine vielfältige, den Standorten
entsprechende Vegetation anzutreffen sein.
Der Wiedervernässung und der Reduzierung der
großflächigen Entwässerung durch das bestehende Grüppensystem durch dessen Auflassung in der
Fläche kommt daher eine große Bedeutung für die
zukünftige Entwicklung der Vegetation zu. Künstlich
entwässerte Salzwiesen bieten aufgrund des hohen
Anteils gut entwässerter Standorte für bestimmte
Arten, z. B. die Strandquecke, mehr potenzielle Besiedlungsmöglichkeiten als dies in natürlichen Salzmarschen der Fall wäre. Reents et al. [1999] konnten
zeigen, dass in natürlichen Salzwiesen der Anteil
des Entwässerungssystems um die Hälfte geringer
ist, als in Vorlandsalzwiesen. Möglicherweise könnte
ein teilweiser Rückbau des Entwässerungssystems
dazu beitragen, dass sich die morphologische Vielfalt der Entwässerung und die Standortvielfalt in den
kulturbeeinflussten Vorlandsalzwiesen wieder erhöhen würden. In den Niederlanden werden solche
Maßnahmen bei der Revitalisierung von ausgedeichten Sommerpoldern praktiziert (Bakker et al. [2002]).
Auch in Niedersachsen sind in der Leybucht gezielt
derartige Maßnahmen durchgeführt worden (Remmers [2003]).
Bewertet man die Kartierungsergebnisse vor dem
Hintergrund der Nationalparkziele, so sind neben
den oben getroffenen Aussagen zur Entwicklung
der Salzwiesen�����������������������������������
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wichtige Aussagen im Hinblick auf
die weitere Ausgestaltung des Vorlandmanagementkonzepts von Bedeutung. Um die Zielsetzung einer
möglichst natürlichen Entwicklung der Salzwiesen
auch weiterhin zu fördern – unter Berücksichtigung
der Belange und Sicherheitsanforderungen des Küstenschutzes – wäre es ein großer Schritt in diese
Richtung, wenn in den Lahnungsfeldern an der Festlandsküste die flächige Entwässerung zur Stimulation der Salzwiesenbildung weiterhin reduziert, und
wo möglich ganz eingestellt werden könnte. Letzteres würde es im Rahmen des klassischen Küstenschutzes ermöglichen, naturnahe Salzwiesenentwicklung in den Lahnungsfeldern ohne einen Verlust
der Sicherheit der Küstenbevölkerung zuzulassen.
Mit Hinblick auf die Monitoringverpflichtungen aus
der Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie und der Wasserrahmen-Richtlinie kann gefolgert werden, dass
die im Rahmen des Vorlandmanagementkonzeptes
praktizierten Erhebungen die Anforderungen erfüllen können, um einen „guten Erhaltungszustand“
des Lebensraumes Salzwiese und dessen Veränderungen und Auswirkungen auf andere Komponenten
des Ökosystems zu beschreiben.
Das Wattenmeer
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Anschrift des Verfassers:
Dr. Martin Stock
Nationalparkamt Schleswig-Holsteinisches
Wattenmeer
Schlossgarten 1
25832 Tönning
[email protected]
Klima und Küste
Klima und Küste
Klimawandel und Küste: Zeit zur Anpassung?!
Climate change and the coast: time for adaptation?!
BASTIAN SCHUCHARDT UND MICHAEL SCHIRmER
Zusammenfassung
Summary
Der globale Klimawandel wird sich an der deutschen
Nordseeküste nicht nur mit einem beschleunigt steigendem Meeresspiegel, sondern auch mit steigenden
Temperaturen, veränderter Niederschlags- und Windverteilung sowie erhöhten CO2-Konzentrationen manifestieren. Trotz aller Unsicherheiten über Art und
Ausmaß dieser Veränderungen müssen die möglichen
Wirkungen erforscht werden, um vorsorgendes (Anpassungs-) Handeln zu ermöglichen. Dabei erfordert die
Analyse der Vulnerabilität einer Region die Analyse des
Zusammenwirkens aller Klimaparameter sowohl auf
das natürliche als auch auf das gesellschaftliche System sowie deren Adaptationskapazität.
Global climate change will manifest itself on the German North Sea coast not only in an accelerated rise of
sea level but also in rising temperatures, an altered distribution of precipitation and wind as well as higher CO2
levels. In spite of uncertainties regarding the type and
scope of such changes, possible impacts have to be investigated in order to enable preventive (adaptive) action to be taken. To analyse the vulnerability of a region,
it is necessary to analyse the interactions of all climate
parameters with both natural and social systems as well
as the adaptation capacity of the latter.
Anhand von Ergebnissen aus dem Verbundvorhaben
KLIMU wird für die Unterweserregion deutlich, dass der
Klimawandel zu einem breiten Spektrum von Auswirkungen sowohl auf das natürliche wie das gesellschaftliche System führen wird, dass die Auswirkungen des
betrachteten Klimaszenarios insgesamt als schwach
bis mäßig und, aufgrund der historisch entwickelten
Strukturen und Nutzungsformen, als beherrschbar bewertet werden können. Der Meeresspiegelanstieg ist
als der für die Region zentrale Parameter des Klimawandels zu identifizieren und es entsteht Handlungsbedarf vor allem im Bereich Küstenschutz. Die Ergebnisse
machen deutlich, dass zwar ausreichend Zeit für die
Planung und Umsetzung von Anpassungsmaßnahmen
bleibt, dass es aber jetzt Zeit ist, diesen langfristigen
Prozess der Anpassung an den nicht vermeidbaren
Teil des Klimawandels zu strukturieren. Es wird unter
anderem empfohlen, diesen Prozess im Rahmen einer
nationalen Anpassungsstrategie nicht nur für die Küste
sondern in Deutschland insgesamt zu koordinieren.
It is evident from the results of the KLIMU network project
that climate change will lead to a broad spectrum of impacts on natural and social systems in the Lower Weser
region and that the overall impacts of the climate scenario examined may be regarded as weak to moderate
and as controllable by virtue of historically developed
structures and forms of use. Sea level rise has to be
considered the key parameter of climate change in this
region and there is a need for action, particularly in the
area of coastal defence. The results clearly indicate
that although sufficient time remains for planning and
implementing adaptation measures, the time has come
to structure this long-term process of adaptation to the
unavoidable elements of climate change. Among other
things, it is recommended that this process be coordinated within the framework of a national adaptation
strategy involving not only the coasts but Germany as
a whole.
79
80
Klima und Küste
1
Einleitung
1.1 Hintergrund
Ein auch anthropogen beschleunigter globaler Klimawandel wird nicht nur für die Zukunft für wahrscheinlich gehalten, sondern manifestiert sich auch
bereits derzeit in verschiedenen Veränderungen
klimatischer Parameter und entsprechenden ökologischen (und sozioökonomischen) Auswirkungen
(IPCC 2002; www.ipcc.ch). Auf der Grundlage der
Ergebnisse der verschiedenen globalen Klima-Modelle erscheint danach global ein Anstieg des Meeresspiegels („SLR“) bis 2100 um bis zu 90 cm möglich. An der deutschen Nordseeküste würden durch
die geologisch-isostatische Landsenkung etwa 20
cm hinzu kommen, so dass mit insgesamt 110 cm ein
etwa viermal schnellerer Meeresspiegelanstieg möglich erscheint, als die bisher registrierten und bewältigten säkularen 25 cm. Infolge größerer Wassertiefe
ist darüber hinaus mit einer Zunahme des Tidehubs
an der Küste zu rechnen (Schirmer [2005]).
Aber bereits heute lassen sich beschleunigte Veränderungen klimatischer Parameter aufzeigen. So machen neuere Statistiken für die Weltmitteltemperatur
(Grieser et al. [2000], IPCC [2002]), Gezeitenstatistiken (Jensen [2000], Jensen und Mudersbach [2004])
und Sturmflutstatistiken (Gönnert [1999], Jensen et
al. [2004]) plausibel, dass sich der Klimawandel bereits in statistischen Daten manifestiert, obwohl diese Analysen auch kontrovers diskutiert werden (von
Storch [2005]). Gestützt werden diese Erkenntnisse
zum Klimawandel durch die Ergebnisse biogeographischer Analysen, die sowohl global als auch für
West- und Mitteleuropa umfangreiche Arealverschiebungen von Tier- und Pflanzenarten belegen (IPCC
[2002], Parmesan and Yohe [2003], CBD 2003).
Nach wie vor sind allerdings alle Prognosen zur globalen Klimaentwicklung mit erheblichen Unsicherheiten behaftet (IPCC [2002]), auch bezogen auf die
nähere Zukunft, in der heute zu treffende Entscheidungen wirksam werden (z. B. 30 Jahre für die Anpassung von Küstenschutzbauwerken; Standortentscheidungen für küstenorientierte Industrie). Diese
Unsicherheiten gelten in besonderem Maße für die
küstenrelevanten Folgen des verstärkten Treibhauseffekts, also den Anstieg des Meeresspiegels und
die Veränderung der Intensität und Häufigkeit von
sturmfluterzeugenden Stürmen (Sterr et al. [2000];
von Storch [2005]). Allerdings besteht weitgehende
Übereinstimmung, dass ein beschleunigter Anstieg
des Meeresspiegels und auch eine Zunahme der
Sturmintensität zu erwarten ist; das Ausmaß ist jedoch Gegenstand der wissenschaftlichen Diskussion und vor allem von der nicht prognostizierbaren,
sondern nur in Szenarien zu formulierenden möglichen Entwicklung der globalen Emission treibhausrelevanter Gase abhängig (IPCC [2002]).
Trotz der Bemühungen der Klimaschutzpolitik um
eine Begrenzung und Reduzierung der Emission
klimarelevanter Stoffe ist insgesamt davon auszugehen, dass sich auch Mitteleuropa auf eine Klimaveränderung einzustellen und vorzubereiten hat (BMBF
[2003], Met. Office [2004]). Durch einen beschleunigten Meeresspiegelanstieg und erhöhte Sturmintensitäten, aber auch durch die Veränderung weiterer
Klimaparameter wie Niederschlag und Temperatur
wird sich dabei besonders die Belastung des Naturund Lebensraumes Küste in Zukunft verändern und
natürliche Anpassungsprozesse auslösen und gesellschaftliche Anpassungsmaßnahmen erfordern.
Zusätzlich zur eigentlichen Klimaforschung gewinnen deshalb Untersuchungen an Relevanz, die die
möglichen Auswirkungen des Klimawandels vorsorgend analysieren und die möglicherweise erforderlichen Vorsorgemaßnahmen ableiten. Dies ist z. B.
Ziel des Bereichs Klimawirkungsforschung innerhalb
von DEKLIM, dem Deutschen Klimaforschungsprogramm des BMBF, in dem Auswirkungen von Klimaänderungen auf ausgewählte natürliche und sozioökonomische Systeme und ihre Wechselbeziehungen
untersucht werden (www.deklim.de). Dabei geht
es nicht nur darum, die Sensitivität dieser Systeme
gegenüber einer Klimaänderung zu bestimmen,
sondern ganz wesentlich auch darum, ihre Adaptationskapazität zu betrachten, um so frühzeitig Wissen über erforderliche Reaktionsmaßnahmen bereitzustellen und die Grenzen zu bestimmen, oberhalb
derer diese Kapazität erschöpft ist.
Dabei wird deutlich, dass der Klimawandel Auswirkungen nicht nur auf den Naturraum sondern auch
auf die sozioökonomische Situation haben wird und
dass entsprechende gesellschaftliche Anpassungsmaßnahmen erforderlich sein werden. Die Auswirkungen werden dabei aus mehreren Gründen regional deutlich unterschiedlich sein: erstens aufgrund
der unterschiedlichen regionalen Ausprägung des
Klimawandels, zweitens aufgrund der regional unterschiedlichen Sensitivitäten des Naturraumes den
Klima und Küste
veränderten Klimaparametern gegenüber (vergl. Fallstudien zu Brandenburg (Gerstengrabe et
al. [2003]) und zur Unterweserregion (Schuchardt
und Schirmer [2005])) und drittens aufgrund der
unterschiedlichen Handlungsmöglichkeiten der
betroffenen Gesellschaften. Dieser dritte Bereich,
der eine Vielzahl von einzelnen Aspekten enthält,
rückt unter dem Begriff Anpassungskapazität (adaptation capacity) in jüngster Zeit vermehrt in den
Mittelpunkt des wissenschaftlichen und politischen
Interesses.
1.2 Anpassungskapazität
Der Begriff der Anpassungskapazität bezeichnet
nach einer Definition des IPCC [2001] die Fähigkeit
eines Systems (eines natürlichen oder eines gesellschaftlichen) sich so an den Klimawandel anzupassen, dass mögliche Schäden reduziert, mögliche
entstehende Vorteile genutzt und nicht vermeidbare
Konsequenzen bewältigt werden können.
Die natürliche Anpassungskapazität, also die der
ökologischen Systeme an den Klimawandel ist je
nach betroffenem Ökosystemtyp und Art und Ausmaß (vor allem auch Geschwindigkeit) des Klimawandels sehr unterschiedlich und kann zwischen
niedrig und hoch variieren (IPCC [2001]). Das gilt
grundsätzlich auch für die gesellschaftliche Anpassungskapazität, ein wesentlicher Unterschied
ist jedoch die grundsätzliche Steuerbarkeit dieses
Prozesses. Dies ist ein komplexer Vorgang, der von
einer Vielzahl von (steuerbaren und nicht-steuerbaren) Faktoren beeinflusst wird. Als Wesentlichste
lassen sich identifizieren:
Eine Anpassung an ein sich wandelndes Klima haben nicht nur die natürlichen, sondern auch die gesellschaftlichen Systeme bereits immer vollzogen. So
ist die Küstengesellschaft der deutschen Nordseeküste geprägt worden durch ihre stete Anpassung
an einen steigenden Meeresspiegel. Neu sind allerdings derzeit sowohl Art und Geschwindigkeit der
zu erwartenden Klimaänderungen als auch ihre (begrenzte) Prognostizierbarkeit. Dies macht eine vorsorgende Auseinandersetzung mit diesem Thema
möglich und erforderlich. Dies erscheint besonders
dringend vor dem Hintergrund der Befürchtungen
zur Bewältigbarkeit der Folgen des Klimawandels
in Deutschland, den eine repräsentative Befragung
zu den Umwelteinstellungen der Deutschen 2002
hat deutlich werden lassen. Dabei zeigte sich, dass
die Befürchtungen bezüglich der Folgewirkungen
des Klimawandels in der Bevölkerung relativ hoch
sind: immerhin 60 % der Befragten waren wenig bis
überhaupt nicht von der der Bewältigbarkeit der Folgewirkungen überzeugt (Kuckartz und Grunenberg
[2002]).
Die Ergebnisse der kürzlich abgeschlossenen Forschungsvorhaben KLIMU („Fallstudie Weserästuar/
Klimaänderung und Unterweserregion)“; Schuchardt
und Schirmer [2005]), „Fallstudie Sylt“ (Daschkeit und
Schottes [2002]) und „Salzwiesen und Küstendünen“
(Vagts et al. [2000]), die Ergebnisse einer trilateralen
Arbeitsgruppe (CPSL [2001]) sowie auch die Sensitivitätsanalyse von Ebenhöh et al. [1997] belegen die
Relevanz des Klimawandels und seiner Folgen für den
Natur- und Kulturraum Nordseeküste und machen die
Erfordernis von Anpassungsmaßnahmen deutlich.
2
• Art, Umfang und Geschwindigkeit des Klimawandels,
• Natürliche Anpassungskapazität,
• frühzeitige Ermittelbarkeit der Gefährdungen,
• Risikowahrnehmung und -akzeptanz,
• technische Möglichkeiten für Anpassungsmaßnahmen,
• ökonomische Möglichkeiten für Anpassungsmaßnahmen,
• Akzeptanz von Anpassungsmaßnahmen,
• Erfahrungen in der Bewältigung von Naturgefahren
• Umgang mit Unsicherheit,
• gesellschaftliche Organisation und Entscheidungsstrukturen,
• Werthaltungen und Politikentwicklung.
Das Verbundvorhaben KLIMU
Neben den Inseln gelten besonders auch die Ästuarien von Eider, Elbe, Weser und Ems als sensibel gegenüber einem Klimawandel, zumal sie die Gewalten
des Meeres über hundert Kilometer bis in die großen
Städte Hamburg und Bremen hineintragen und große
Teile der Flussmarschen schon heute unter oder nur
minimal über dem mittleren Tidehochwasser liegen.
Aufgabe des vom BMBF und dem Land Bremen
geförderten Vorhabens KLIMU (Klimaänderung und
Unterweserregion) war deshalb die Analyse der Sensitivität des natürlichen und des sozioökonomischen
Systems einer Küstenregion gegenüber einer Klimaänderung. Besondere Beachtung fand die Ana-
81
82
Klima und Küste
lyse der Wechselwirkungen zwischen den beiden
Systemen und die Entwicklung möglicher Anpassungsmaßnahmen einschließlich der Betrachtung
der Konsequenzen dieser Maßnahmen. Das Projekt
war als Fallstudie für eine repräsentative Küstenregion konzipiert; die komplexe Aufgabenstellung
erforderte ein interdisziplinäres Verbundprojekt, in
dem die Schnittstelle Natur - Gesellschaft von besonderer Bedeutung war. Durch die Formulierung
von Szenarien (Klimaszenario; Reaktionsvarianten
des Küstenschutzes; Zukunftsbilder zu denkbaren
Entwicklungen der Region) wurden Aspekte der der
Klimafolgenforschung impliziten Unsicherheit operationalisiert; gleichzeitig stellten diese Vorgaben wesentliche Aspekte der Integration der verschiedenen
beteiligten Wissenschaftsdisziplinen dar. Die integrative Analyse von Subsystemen (Relationsgeflechten, die sowohl quantitative wie qualitative Aussagen zu den verschiedenen Systemkompartimenten
einschlossen) zielte dabei auf eine ganzheitliche
Betrachtung (s. ausführlich Schuchardt und Schirmer
[2005]).
und Fleeten, über die das Niederschlagswasser und
das aus der angrenzenden Geest ablaufende Grundwasser über eine größere Zahl von Sielen, die heute
überwiegend mit Pumpwerken ausgestattet sind, in
die großen Vorfluter, also vor allem die Unterweser,
abgeführt werden kann. Die Landschaft wird über
dieses historisch gewachsene System hauptsächlich entwässert; im Sommer kann jedoch, und das ist
unter dem Gesichtspunkt Klimafolgen ebenfalls von
großer Bedeutung, auch mit Süßwasser zugewässert
werden. Die Entwässerung erfolgt z. T. im freien Sielzug, z. T. wird, wenn die Wasserstände im Vorfluter
dies nicht zulassen, gepumpt. Die Wasserstände in
dem Grabensystem sind vor allem an den Erfordernissen der Landwirtschaft orientiert (die dieses System historisch auch installiert hat); Konflikte treten
heute vor allem mit dem Naturschutz und z. T. zwischen Grünlandwirtschaft und Ackerbau auf.
Wasserwirtschaft
Aufgrund des Ansteigens des Meeres-/Weserwasserspiegels, der vermehrten Niederschläge und des
vermehrten Wasserandrangs aus der Geest erhöhen sich unter Klimawandelbedingungen die Wassermengen, die aus der Marsch über das Grabensystem abzuführen sind. Die grundwasserbürtigen
Abflüsse übersteigen dabei deutlich die aus dem
oberirdischen Einzugsgebiet anfallenden Wassermengen. Insgesamt sind in den verschiedenen betrachteten Bilanzierungsräumen und unterschiedlich
für verschiedene Randbedingungen ca. 20 bis 65
% mehr Wasser abzuführen (Maniak et al. [2002]).
Aus den oben genannten Gründen haben wir für die
Betrachtung der Klimawirkungen definiert, dass das
Wasserstandsmanagement weiterhin so betrieben
wird, dass die derzeitigen Meliorationswasserstände
weitgehend eingehalten werden (s. o.). Die Analyse
zeigt, dass dies trotz der erhöhten grundwasser- und
niederschlagsbürtigen Abflüsse in allen mit Mündungsschöpfwerken ausgerüsteten Sieleinzugsgebieten durch verlängerte Betriebszeiten auch mit
den derzeit vorhandenen Pumpenleistungen möglich ist. Es ist jedoch eine deutliche Erhöhung der
Pumpmenge erforderlich: sie wird sich im Mittel über
alle Siele sowohl für feuchte als auch für trockene
Jahre in etwa verdoppeln.
Die bereits mit Errichtung einer ersten geschlossenen
Deichlinie vor ca. 1000 Jahren eingedeichte Wesermarsch ist nur durch das historisch gewachsene
Wassermanagementsystem bewirtschaftbar. Dieses
besteht aus einem dichten Netz von unterschiedlich
großen, überwiegend künstlich angelegten Gräben
Im Sommer ist durch den Klimawandel (steigende
Temperaturen; weniger Sommerniederschläge) mit
deutlich trockneren Bedingungen zu rechnen. Durch
die Nutzung der vorhandenen Zuwässerungseinrichtungen können Trockenschäden für die Landwirtschaft jedoch voraussichtlich weitgehend vermieden
3
Anpassung an den Klimawandel
Anhand der Ergebnisse der Fallstudie KLIMU zu den
Konsequenzen des Klimawandels für die Unterweserregion (s. Schuchardt und Schirmer [2005]) sollen
im Folgenden die Aspekte Anpassung und Anpassungskapazität für die Unterweserregion umrissen
werden. Die Ergebnisse, die hier nicht im Detail dargestellt werden können zeigen, dass die Wirkungen
des Klimaszenarios in der Gesamtbetrachtung als
insgesamt relativ schwach und beherrschbar bewertet werden können. Wesentliche Ursache ist
die hohe Anpassungskapazität der in der Unterweser-Region vorhandenen, z. T. historisch gewachsenen Strukturen an die sich durch den Klimawandel
voraussichtlich���������������������������������
verändernden Umweltbedingungen.
Dies soll im Folgenden für verschiedene Beispiele
illustriert werden.
Klima und Küste
werden und sind nur für höher liegende Bereiche zu
erwarten. Die Bewältigung dieser Konsequenzen des
Klimaszenarios ist also unter entsprechender Nutzung des vorhandenen, historisch entwickelten Wassermanagementsystems möglich; die Anpassungskapazität ist hoch.
Landwirtschaft
Die Landwirtschaft in der Wesermarsch ist durch die
flächenhaft dominierende standortangepasste Grünlandnutzung und eine entsprechende Nutzung des
vorhandenen Wassermanagementsystems (s. o.) voraussichtlich in der Lage, sich durch übliche betriebliche Maßnahmen an den Klimawandel anzupassen
(Bahrenberg et al. [2005], Kraft et al. [2005]). Deutlichere Wirkungen als im Binnenland ergeben sich,
vor allem als Folge des Meeresspiegelanstiegs, im
nicht durch Sommerdeiche geschützten Vorland, wo
vermutlich die Aufgabe landwirtschaftlicher Flächen
erforderlich wird. Eine Anpassung wäre durch den
Neubau von Sommerdeichen möglich; Zielkonflikte
mit dem Naturschutz wären zu erwarten. Insgesamt
machen die KLIMU-Ergebnisse deutlich, dass die
Landwirtschaft in der Unterweserregion deutlich
stärker durch die EU-Politik als durch den Klimawandel beeinflusst werden wird.
Kühlwassernutzung
Die verschiedenen an der Unterweser derzeit in Betrieb befindlichen Kraftwerke nutzen das Wasser der
Weser als Kühlwasser. Bei dem erwarteten Anstieg
der Wassertemperaturen als ein Aspekt des Klimawandels wird die Einhaltung der derzeit beauflagten
Aufwärmspannen bei der Einleitung von Kühlwasser
nicht ohne weiteres möglich sein (Grabemann et al.
[2005]). Mögliche Anpassungen wären die Errichtung von Kühltürmen, Betriebseinschränkungen
während bestimmter Wetterlagen, Schließung von
Kraftwerken/ Nutzung regenerativer Energie oder die
Erhöhung der derzeit beauflagten Grenzwerte.
Das Beispiel macht deutlich, dass das Spektrum
möglicher Anpassungsvarianten breit ist und die einzelnen Möglichkeiten jeweils ganz unterschiedliche
Voraussetzungen und Konsequenzen haben.
Vor einer Entscheidung ist also ein breiter gesellschaftlicher Diskurs erforderlich, der aufgrund lang-
fristiger Planungszeiträume für Erneuerungsinvestitionen im Kraftwerkssektor frühzeitig begonnen
werden sollte.
Küstenschutz
Wesentlicher Handlungsbedarf unter Klimaänderungsbedingungen wurde in KLIMU für den Küstenschutz identifiziert. Es wurden deshalb, anschließend an in der öffentlichen Diskussion befindliche
Möglichkeiten, drei Reaktionsvarianten des Küstenschutzes konzipiert:
1) die Verstärkung der Deichlinien,
2) die Rückverlegung eines Deichabschnittes und die
Anlage von Sturmflutentlastungspoldern am rechten
Weserufer und
3) der Bau eines Sturmflutsperrwerkes.
Die drei Varianten wurden in ihren Auswirkungen
auf die Unterweserregion untersucht. Aus den Ergebnissen der probabilistischen Untersuchung von
Überlaufereignissen wurden für die Reaktionsvariante 1 (Verstärkung der Deichlinien) resultierende
neue Deichhöhen und die erforderlichen finanziellen
Aufwendungen ermittelt. Zur Abschätzung der Realisierbarkeit der Reaktionsvarianten 2 (Ausdeichung
und Anlage von Sturmflutenlastungspoldern) und 3
(Errichtung eines Mündungssperrwerkes) wurden u.
a. die erforderlichen finanziellen Aufwendungen für
Polderdeiche und ein Sperrwerk auf der Basis von
Literaturstudien und Expertengesprächen geschätzt
sowie deren Wirksamkeit modelliert (Zimmermann et
al. [2005] von Lieberman et al. [2005]).
Die Ergebnisse zeigen, dass für die Variante 1 Deicherhöhungen um 0,2 bis 2,3 m erforderlich wären
und dabei Kosten von ca. 46 Mio. Euro bei Sicherung
des derzeitigen Wiederkehrintervalls entstehen würden. Probleme entstehen durch Standsicherheit (örtlich), Bauzeit, Platz- und Kleibedarf und örtlich die
ökologischen Auswirkungen. Für die Variante 2, die
die Anlage von 3 Entlastungspoldern mit zusammen
ca. 5.570 ha und die Ausdeichung der Luneplate
(ca. 1.000 ha) umfasst, zeigte die Modellierung, dass
das Maßnahmenbündel den Scheitelwasserstand
der Bemessungssturmflut (mit Klimaszenario) bei
UW-km 40 um 0,35 und bei UW-km 20 (Stadtgrenze
Bremen) um 0,70 cm absenkt. Die Kosten, nur für
den Bau der erforderlichen Polderdeiche, würden
sich auf ca. 350 Mio. Euro belaufen. Probleme entstehen vor allem bei Kettentiden, durch den Flächen-
83
84
Klima und Küste
bedarf und den Umfang der Baumaßnahmen, die
erforderlichen Eingriffe in Eigentumsrechte und die
ökologischen Auswirkungen. Bei Realisierung der
Variante 3, der Errichtung eines Sturmflutsperrwerks
bei Bremerhaven, entstehen Kosten von 300 bis 400
Mio. Euro. Probleme entstehen durch den Flächenbedarf, die Konsequenzen für die Hydrodynamik,
die Nutzungsdauer, die Unterhaltungskosten und die
ökologischen Auswirkungen.
Zu zwei Aspekten haben wir solche Zukunftsbilder
formuliert:
• zu Veränderungen der landwirtschaftlichen Nutzung
(Extensivierung und Intensivierung) und
• zu Veränderungen der Ausbautiefe der Schifffahrtsstraße Unter-/Außenweser (Vertiefung und Verflachung).
Zukunftsbilder landwirtschaftliche Nutzung
Die Kosten sind je nach Variante zwar erheblich, bedeuten bei Beibehaltung der derzeitigen Finanzierungsform jedoch nur einen relativ kleinen Impuls für
das regionale ökonomische System.
Auch bezüglich der erforderlichen Anpassungsmaßnahmen des Küstenschutzes ist die Anpassungskapazität also als hoch zu bezeichnen, auch deshalb,
weil es für den Küstenschutz eine historisch gewachsene und etablierte Organisationsstruktur gibt
und die Akzeptanz, wenn auch unterschiedlich für
die verschiedenen hier skizzierten Varianten, in der
Bevölkerung aufgrund der historischen Erfahrungen
(„Trutz blanke Hans“) hoch ist.
4
Gesellschaftlicher Wandel und Anpassungskapazität
Auch ohne Klimawandel hat sich die Gesellschaft in
der Vergangenheit und wird sich auch in Zukunft stetig
verändern. Der zukünftige Klimawandel wird also auf
eine Gesellschaft treffen, die gegenüber der heutigen
in einem nicht prognostizierbaren Ausmaß verändert
sein wird. Um diesen Zusammenhang zumindest beispielhaft zu bearbeiten, haben wir in KLIMU aus der
unendlichen Vielzahl möglicher zukünftiger Veränderungen in der Region Unterweser, die unabhängig von
einer Klimaänderung eintreten könnten, einige uns im
Projekt-Zusammenhang besonders wesentlich erscheinende Aspekte ausgewählt, die schlaglichtartig mögliche Veränderungen der Klimasensitivität der Region
beurteilen helfen sollten. Diese von uns als Zukunftsbilder bezeichneten Szenarien (s. Schuchardt et al.
[2005]) fokussieren auf ausgewählte Schnittstellen zwischen den Systemen Gesellschaft und Naturraum und
versuchen jeweils die Flanken (Spannweite) möglicher
Entwicklungen zu bezeichnen. Im Vordergrund stand
dabei nicht die Frage, wie wahrscheinlich ihr Eintreten,
sondern ob solche Entwicklungen die Sensitivität des
Gesamtsystems gegenüber einer Klimaänderung bzw.
die Adaptationskapazität verändern würden.
Die Landwirtschaft stellt die flächenmäßig deutlich
dominierende Art der Flächennutzung im Untersuchungsgebiet dar und ist damit nicht nur sozioökonomisch und ökologisch von Bedeutung, sondern auch
für den Landschaftscharakter. Sie ist aufgrund ihrer
Abhängigkeit von der klimatischen Situation per se
als empfindlich gegenüber Klimaveränderungen zu
bezeichnen. Denkbar und auch in der gesellschaftlichen Diskussion sind als Reaktion auf sich ändernde
ökonomische Randbedingungen sowohl eine weitere
Intensivierung als auch eine Extensivierung, wie sie
auch von Seiten des Natur- und Umweltschutzes
bzw. des Verbraucherschutzes gefordert wird.
Deshalb wurden die beiden Landnutzungsszenarien
„Intensivierung der Nutzung“ und „Extensivierung der
Nutzung“ definiert. Als ”intensiv” wird hier eine häufige, starke Nutzung der Flächen durch u. a. Mahd,
Düngung, Beweidung bzw. die Nutzung als Acker bezeichnet. ”Extensiv” ist eine schwächere Nutzung des
Grünlandes durch u. a. Mahd, Düngung, Beweidung.
Die beiden Landnutzungsszenarien sind in Tabelle 1
detailliert.
Die Ergebnisse zeigen, dass das Zukunftsbild „Fortschreitende Intensivierung der landwirtschaftlichen
Nutzung“ tendenziell die Klimasensitivität der Region erhöhen würde, da sich die Oberflächenabflüsse
(geringfügig) erhöhen würden und damit die klimabedingt erhöhten zu pumpenden Wassermengen
weiter steigen würden. Zudem wären die dann dominierenden Biotoptypen Acker und Intensivgrünland
empfindlicher gegenüber sich verändernden Standortbedingungen.
Das Zukunftsbild „Extensivierung“ würde dagegen
tendenziell zu einer Reduzierung der Empfindlichkeit
gegenüber einer Klimaänderung führen, da sich der
Wasseranfall reduzieren würde und der Biotoptyp
mesophiles Grünland toleranter gegenüber sich ändernden Standortbedingungen wäre.
Klima und Küste
Landwirtschaft
Status quo
Fortschreitende
Intensivierung
Extensivierung
Grünlandnutzung,
Schwerpunkt Milchwirtschaft und Rindermast,
Z. T. Pachtland
Verstärkte Grünlandnutzung und Ackerbau
(Weizen, Silomais),
Schwerpunkt Milchwirtschaft und Rindermast
Abgeschwächte Grünlandnutzung auch mit
dem Ziel Kulturlandschaftspflege, Fremdenverkehr, Pferdepension
Anteil der Biotypen an der genutzten Fläche (konstant)
Acker (Winterweizen)
<1%
< 30 %
<1%
Intensivgrünland (Wiesen und Weiden)
< 50 %
< 70 %
<1%
Mesophiles Grünland
(Weiden)
< 50 %
<1%
< 70 %
Feuchtgrünland (Wiesen)
< 1%
<1%
< 30 %
Auswirkung auf Nutzungsarten, Bewirtschaftung und Wasserhaushalt
Grundnässestufe
3-5
2-4
4-5-6
Meliorationswasserstand Mittel: 1,15
[m uGok], abzuleiten aus Min.: 1,4
der Bodenfeuchte
Max.: 0,9
höher, max. 0,6
deutlich höher, max. 0,3
Düngung [N kg/ha/a]
ca. 250
400
keine
Mahd. Zeitpunkt
3 - 4 mal
3 - 4 - 5 mal
1 - 2 - 3 mal
Beweidung (Großvieheinheiten), Art
2,5 - 3
4 - 5 (Rotationsweide)
1,5 - 2
Umbruch
selten (Grünland);
häufig Acker
häufig - immer
selten - nie
Schleppen, Walzen, etc.
häufig
immer
selten
Biozide
regelmäßig
regelmäßig
nie
Grabenräumung
2 - 3jährig
1 - 2jährig
3 - 4 - 5jährig
Situation Vorland
Grünlandnutzung, vor
allem Milchwirtschaft
und Rindermast
Örtlich verstärkte Grünlandnutzung
Örtlich reduzierte Grünlandnutzung, Schwerpunkt Rindermast
Tab. 1: Definition der beiden Landnutzungsszenarien „fortschreitende Intensivierung“ und „Extensivierung“
(binnendeichs) (Schuchardt et al. [2005])
Zukunftsbilder Seeverkehr Unterweser
Die Nutzung der Unterweser als Schifffahrtsstraße,
die u. a. wesentlich von den nutzbaren Fahrwassertiefen abhängt, stellt eine wichtige Schnittstelle zwischen Naturraum und Gesellschaft in der Region
dar (Schuchardt und Schirmer [1999]). Die Fahrwassertiefen sind durch die wiederholte Anpassung der
Außen- und Unterweser an die zunehmende Größe
der Seeschiffe (des „Bemessungsschiffes“) deutlich
vergrößert worden. Damit wurde das Einlaufen der
Tidewelle und auch das Einlaufen von Sturmfluten erleichtert (Wetzel [1988]).
Die denkbaren langfristigen Entwicklungen der Nutzung der Unterweser als Schifffahrtsstraße haben
85
86
Klima und Küste
zwei Flanken: zum einen ist aufgrund der erwarteten
starken Zuwächse im See- und Küstenverkehr eine
Sicherung bzw. ein weiterer Ausbau vorstellbar (Szenario Vertiefung). Zum anderen ist (deutlich weniger
wahrscheinlich) eine verstärkte Fortsetzung des aktuellen Trends einer immer stärkeren Verlagerung
des Seeverkehrs von Bremen nach Bremerhaven
denkbar, bis hin zur Aufgabe der stadtbremischen
Häfen als Seehäfen (Bahrenberg [2001]). Dies könnte
dazu führen, dass die Fahrwassertiefen in der Unterweser wieder verringert werden, wie in BUND [1996]
vorgeschlagen (Szenario Verflachung).
Für den weiteren Ausbau des Weserästuars (Szenario Vertiefung) kam unseres Erachtens vor allem eine
weitere Vertiefung der Außenweser bis Bremerhaven
in Betracht, wie sie während der KLIMU-Berabeitungszeit bereits im politischen Raum gefordert wurde. Für die Unterweser erschien eine Vertiefung bis
Brake denkbar. Für das Szenario Verflachung wird
die Wassertiefe zwischen Bremen und Brake auf
SKN–4 m reduziert, da der Mittellandkanal derzeit für
Schubverbände und Großgütermotorschiffe (GMS)
auf 4 m Tiefe ausgebaut wird (die Mittelweser wird
derzeit auf 3,0 m für das teilabgeladene GMS ausgebaut). Diese beiden Zukunftsbilder sind als Szenarien in Tabelle 2 konkretisiert.
Status quo
Vertiefung
Verflachung
seewärts Bremerhaven
14,5
16,5
16,5
Brake - Bremerhaven
9
11
6
Bremen - Brake
9
9
4
Tab. 2: Definition der beiden Szenarien zur Sohllage der Unterund Außenweser: Verflachung und Vertiefung (Sohllagen
m unter SKN) (aus Schuchardt et al. [2005])
Numerische Simulationen mit entsprechend Tabelle 2 veränderter Topographie (vgl. Grabemann et al.
[2004]) zeigen, dass sich die mittleren Hoch- und
Niedrigwasser (Mittelwerte für 1991 und 1994) im
Zukunftsbild Vertiefung ohne Klimaveränderung um
wenige Zentimeter verändern: das Niedrigwasser
sinkt im Vergleich zum Status quo um 2 bis 5 cm (je
nach Position im Ästuar) ab, das Hochwasser steigt
um 1 bis 2 cm an. Das gilt auch für das Klimasze-
nario mit seiner angenommenen Erhöhung des Hochwassers um 0,7 m. Die angenommenen Vertiefungen
erhöhen also tendenziell die Klimasensitivität der Region; allerdings nur in einem, bezogen auf die hier
anzuwendende Tiefenschärfe, relativ geringem Maß.
Verbunden mit der Vertiefung wäre die Fortsetzung
der Veränderungen, die durch den sukzessiven Ausbau der Unter- und Außenweser zum Großschifffahrtsweg in den vergangenen 120 Jahren entstanden und
vielfach beschrieben worden sind.
Im Szenario Verflachung verändern sich die mittleren Hoch- und Niedrigwasser (Mittelwerte für 1991
und 1994) deutlich, wie numerische Simulationen
(vgl. Grabemann et al. [2005}) mit entsprechend veränderter Topographie zeigen. Am ausgeprägtesten
sind die Veränderungen im innersten Ästuar nahe
der Flutstromgrenze: bei Status quo-Randbedingungen steigt das mittlere Niedrigwasser in Bremen
(Große Weserbrücke) um ca. 1,60 m an; das mittlere Hochwasser sinkt um ca. 40 cm, so dass sich
der mittlere Tidehub in Bremen von ca. 4 m auf ca.
2 m halbiert. Die im Klimaszenario angenommene
Wasserstandsänderung am seeseitigen Rand (Anstieg des Hochwassers um 0,7 m und des Niedrigwassers um 0,4 m) setzen sich in der Unterweser
trotz der Verflachung relativ ungestört fort; in Bremen laufen das mittlere Hochwasser ca. 0,4 m und
das mittlere Niedrigwasser ca. 1,9 m höher auf als
im Status quo, wenn Verflachung und Klimaszenario gemeinsam wirken. Im Vergleich dazu steigt das
Hochwasser im Klimaszenario ohne angenommene
Verflachung in Bremen um ca. 0,7 m gegenüber
dem Status quo an (Grabemann et al. [2005]). Die
angenommene Verflachung würde die Klimasensitivität der Region bezüglich der Sturmflutgefährdung
also etwas senken, allerdings auch nur in einem relativ geringen Ausmaß. Verbunden mit einer Verflachung ist eine Trendumkehr bei vielen der für die
Vertiefungen beschriebenen Veränderungen, die
unter naturschutzfachlichen Gesichtspunkten positiv zu beurteilen wären, allerdings zu massiven Einschnitten in der stadtbremischen Wirtschaft und zu
einer deutlich erschwerten Entwässerung der Marschen führen würden.
Die Ergebnisse zeigen insgesamt, dass die definierten Zukunftsbilder die Sensitivität der Region gegenüber einem Klimawandel z. T. deutlich oder zumindest tendenziell verändern können. Dabei kann
diese Sensitivität sich je nach Zukunftsbild sowohl
reduzieren als auch erhöhen.
Klima und Küste
Unter dem Gesichtpunkt der langfristigen Vorsorge
müssen deshalb bei zukünftigen raumbedeutsamen
Planungen und bei der Formulierung von Förder- und
Entwicklungsprogrammen immer auch die Konsequenzen für die Klimasensitivität des Raumes bzw.
bestimmter Parameter analysiert werden.
5
Nationale Anpassungsstrategie
Trotz der Bemühungen der Klimaschutzpolitik um
eine Begrenzung und Reduzierung der Emission klimarelevanter Stoffe ist davon auszugehen, dass sich
auch Mitteleuropa auf eine Klimaveränderung einzustellen und vorzubereiten hat (BMBF [2003], Met. Office [2004]). Dabei zeigen die Ergebnisse der Klimawirkungsforschung, u. a. im Rahmen des Deutschen
Klimaforschungsprogramms DEKLIM des BMBF
(www.deklim.de), dass sich der Klimawandel in verschiedenen Regionen nicht nur in Europa sondern
auch in Deutschland unterschiedlich manifestieren
und auswirken wird, so dass auch spezifische Vorsorge- und Anpassungsmaßnahmen erforderlich
werden.
Die Ergebnisse von KLIMU haben insgesamt plausibel gemacht, dass die Folgen des betrachteten
Klimaszenarios für die Unterweserregion aufgrund
der hohen Adaptionskapazität insgesamt bewältigbar sein werden. Ein ähnliches Ergebnis liegt auch
für die Insel Sylt vor (Daschkeit und Schottes [2003]),
während z. B. für das Land Brandenburg besonders
bezüglich der Auswirkungen auf die Landwirtschaft
die Folgen des Klimawandels nur eingeschränkt bewältigbar erscheinen (Gerstengarbe et al. [2003]).
Vor diesem Hintergrund hat die gesellschaftliche Anpassung an den Klimawandel auch in Deutschland bereits begonnen, wie die folgenden Beispiele zeigen:
• der bisher weitgehend auf Vermeidung von Klimawandel fokussierte öffentliche Diskurs erweitert sich
derzeit um den Aspekt Anpassung,
• auch auf Länderebene werden Untersuchungen
zum Umgang mit den Folgen des Klimawandels
durchgeführt (z. B. Gerstengarbe et al. [2003]),
• der Bau des bisher größten Rettungskreuzers der
Deutschen Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger wird auch mit dem erwarteten Klimawandel
begründet,
• im Küstenschutz des Landes Schleswig-Holstein
wird eine Berücksichtigung des Klimawandels vorgesehen.
Allerdings erschweren die den Ergebnissen zum
möglichen Klimawandel impliziten Unsicherheiten
über Verlauf und Ausprägung des Klimawandels den
Akteuren des politisch-administrativen Systems Planung und Umsetzung von Anpassungsmaßnahmen.
Anschließend an die Ergebnisse der Klimaforschung
zur Regionalisierung des globalen Klimawandels
(z. B. von Storch [2005]) und die Ergebnisse der
Klimawirkungsforschung sowohl zur Sensitivität der
natürlichen und gesellschaftlichen Systeme gegenüber einer Klimaänderung als auch zu ihrer Adaptionskapazität erscheint es uns deshalb sinnvoll, den
langfristigen Prozess der erforderlichen Anpassung
im Rahmen einer Nationalen Anpassungsstrategie
frühzeitig zu strukturieren. Abhängig von den Annahmen über den Verlauf des Klimawandels und die regional unterschiedliche Vulnerabilität sind regionale
differenzierte Entscheidungen über Reaktionsmaßnahmen auf unterschiedlichen Zeitskalen erforderlich, die gut vorbereitet und abgestimmt sei sollten,
um effektiv sein zu können. Im Folgenden wollen wir
den Rahmen einer solchen nationalen Strategie skizzieren und zur Diskussion stellen:
Begründung: Die in IPCC [2002] zusammengestellten Ergebnisse der Klima- und der Klimawirkungsforschung machen einen globalen Klimawandel wahrscheinlich, der sich auch in Deutschland mit sehr
unterschiedlichen Auswirkungen manifestieren wird.
Die dabei entstehenden Risiken können durch Anpassungsmaßnahmen reduziert werden, die regional
und sektoral deutlich unterschiedlich sein müssen.
Eine solche Anpassung ist eine langfristige Aufgabe, die im Rahmen eines koordinierten und strukturierten Prozesses durchgeführt werden sollte, auch
um die erforderlichen Mittel möglichst effektiv einzusetzen. Entscheidungen über Anpassung insgesamt
und einzelne Anpassungsmaßnahmen im Speziellen
sind nicht trivial sondern erfordern ein abgestimmtes
Vorgehen. Dabei ist Anpassung eine Querschnittsaufgabe, in die Vertreter verschiedener Fachverwaltungen, Interessenverbände und Nichtregierungsorganisationen einbezogen werden müssen.
Ziel: Ziel einer nationalen Strategie sollte es sein, den
Prozess der Anpassung an den Klimawandel proaktiv zu strukturieren und koordinieren und die dazu
erforderlichen Entscheidungsgrundlagen bereitzustellen.
Ansatz: Die nationale Strategie sollte entsprechend
der Aufgabenstellung langfristig und querschnittso-
87
88
Klima und Küste
rientiert angelegt werden, vertikal integrierend sein,
also Bund, Länder und Kommunen einbinden, alle
relevanten Stakeholder beteiligen und Diskurs-orientiert sein, also nicht auf eine zentrale Steuerung
zielen.
Aufgaben: Aufgaben der Strategie sind:
• die regionale und sektorale Aufbereitung des vorhandenen Wissens über Klimawirkungen,
• die Identifikation von Wissensdefiziten und ggfs. die
Initiierung weiterer Forschung (v. a. regionale Vulnerabilitätsstudien),
• die Definition und ggfs. Aktualisierung von Regionalszenarien zum Klimawandel,
• die systematische Identifikation von Handlungsfeldern und –erfordernissen,
• die räumliche und zeitliche Prioritisierung von Handlunsgbedarf,
• die vertikale und horizontale Vernetzung zwischen
den Akteuren,
• die Prüfung, ob und ggfs. wie Anpassungsmaßnahmen in rechtliche Rahmen integriert werden
sollten (z. B. Bauvorschriften; Deichbemessung
etc.),
• die Einbindung in den internationalen Kontext.
Umsetzung: Die Umsetzung könnte im Rahmen einer
Bund/Länder-Arbeitsgemeinschaft unter Einbindung
anderer Akteure unterstützt durch ein zentrales Sekretariat und/oder regionale Büros erfolgen.
6
Fazit
Die Ergebnisse des Projektes KLIMU haben deutlich
gemacht, dass der Klimawandel in der Unterweserregion zu einem breiten Spektrum von Auswirkungen
sowohl auf das natürliche wie auch das gesellschaftliche System führen wird, dass die Auswirkungen der
betrachteten Klimaszenarios insgesamt als schwach
bis mäßig und, aufgrund der historisch entwickelten
Strukturen und Nutzungsformen, als beherrschbar
bewertet werden können. Der Meeresspiegelanstieg
ist als der für die Region zentrale Parameter des Klimawandels zu identifizieren und es entsteht Handlungsbedarf vor allem im Bereich Küstenschutz. Die
Ergebnisse machen weiter deutlich, dass ausreichend Zeit für die Planung und Umsetzung von Anpassungsmaßnahmen bleibt, sofern diese Auseinandersetzung um die Anpassung an den Klimawandel
zügig beginnt. Das gilt, dies zeigen Ergebnisse anderer Studien, nicht nur für die Küste, sondern auch
für viele andere Regionen in Deutschland. Vor diesem Hintergrund gilt es, in Deutschland:
• den bereits begonnenen gesellschaftlichen Diskurs
über den langfristigen Umgang mit den Folgen des
Klimawandels zu intensivieren;
• die Strategie der Vermeidung von Klimawandel
(Mitigation) um eine Strategie der Anpassung (Adaptation) an den nicht vermeidbaren Teil des Klimawandels zu erweitern;
• durch regionale Studien zur Anpassungskapazität
an den Klimawandel vorsorgend regional differenziertes Orientierungswissen zu erarbeiten;
• Planungen und Vorhaben ab jetzt auf ihre „Klimawandel-Anpassungsverträglichkeit“ zu prüfen;
• die Reaktions- und Anpassungsfähigkeit der regionalen Systeme zu erhalten bzw. zu fördern;
• den erforderlichen Anpassungsprozess im Rahmen
einer nationalen Anpassungsstrategie zu strukturieren und zu koordinieren.
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Klima und Küste
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Anschrift der Verfasser:
Dr. Bastian Schuchardt
BioConsult Schuchardt & Scholle GbR
Reeder Bischoff Str. 54
D-28757 Bremen
E-mail: [email protected]
Dr. Michael Schirmer
Universität Bremen FB 2
Postfach 330 440
D-28334 Bremen
E-mail: [email protected]
bericht des Verbundvorhabens, gefördert durch
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Klima und Küste
Neues aus der Sturmflutforschung *
New findings in storm surge research
SYLVIN MÜLLER-NAVARRA
Zusammenfassung
Durch die intensive Nutzung des sturmflutgefährdeten
Küstenraumes der deutschen Nordseeküste mit Industrieansiedlungen, Hafenanlagen und Wohnhäusern
kommt regelmäßig die Frage auf: Mit welchen maximalen Sturmflutwasserständen muss gerechnet werden?
Diese Frage bekommt durch den Klimawandel und den
damit verbundenen Meeresspiegelanstieg eine zusätzliche Bedeutung. Wegen des kurzen Beobachtungszeitraums ist das Kollektiv der bisher eingetretenen
schwersten Sturmfluten sehr klein, so dass statistische
Betrachtungen allein für Planungen im Küstenschutz
nicht ausreichen. Um der Beantwortung der Frage näher zu kommen, haben das Forschungsinstitut Wasser
und Umwelt (fwu) der Universität Siegen, der Deutsche
Wetterdienst (DWD) und das BSH das vom BMBF geförderte Projekt MUSE (Modelluntersuchungen zu Sturmfluten mit sehr geringen Eintrittswahrscheinlichkeiten)
initiiert.
Ziel des Projektes war, mit deterministischen Simulationstechniken noch nicht eingetretene extreme Sturmzyklonen und Sturmfluten zu generieren, die physikalisch
mögliche Zustände der Nordsee darstellen. Dieses gelang durch Nutzung aufwendiger Simulationstechniken
wie EPS (Ensemble Prediction System) in Verbindung
mit Wasserstandsmodellen des BSH, die bereits in der
operationellen Wetter- und Wasserstandsvorhersage
eingesetzt werden. Dabei wurde von zurückliegenden
Sturmflutwetterlagen die Anfangsverteilung leicht modifiziert, um so weitere, durchaus mögliche Entwicklungen
der Wetterlage zu generieren. So entstanden z. B. vom
„Hamburg-Orkan“ (1962) und von den Orkantiefs „Capella“ (1976) und „Anatol“ (1999) gefährlichere Varianten, die, was den zeitlichen Verlauf und die Zugbahn
angeht, physikalisch sinnvoll sind.
*
Die auf diese Weise berechneten Extremwasserstände sind realistisch, haben aber eine sehr geringe Eintrittswahrscheinlichkeit. Die simulierten Wasserstandsmaxima liegen im Bereich der Deutschen Bucht bei
1 bis 1,5 m über den bisher höchsten beobachteten
Wasserständen der Sturmflut des Jahres 1976 (Abb. 1).
Aus diesen Ergebnissen kann kein dringender Bedarf
für zusätzliche Küstenschutzmaßnahmen abgeleitet
werden, die Methodik und die Berechnungen erlauben aber eine lokal differenziertere Betrachtung der
Belastung von Küstenschutzsystemen durch Sturmflutwasserstände.
Auch der Sturmflutwarndienst des BSH wird von den
Modellergebnissen profitieren (Abb. 2). Im Falle sehr
schwerer Sturmfluten können die Ergebnisse aus dem
MUSE-Projekt als Orientierung dienen, sie stellen einen
virtuellen, zusätzlichen Erfahrungsschatz dar.
Summary
In view of the high concentration of industrial areas,
port facilities, and residential areas along the German
North Sea coast, which is threatened by storm surges,
there is one question that recurs regularly: what are the
maximum storm surge levels that have to be expected?
This question is particularly relevant against the background of climate change and, in connection therewith,
sea level rise. Because of the shortness of the observation period, the total number of heavy storm surges
is very small, so that statistics alone are not sufficient
as a basis for coastal defence planning. To be able to
answer this question, the MUSE project (modelling of
storm surges with very low probabilities of occurrence)
supported by the Federal Ministry of Education and
Ausführliche Darstellung im Abschlussbericht des Projektes MUSE
download: www.bsh.de/de/Meeresdaten/Beobachtungen/Projekte/MUSE/index.jsp
der Abschlussbericht wird in gedruckter Form in der Zeitschrift Küste erscheinen
91
92
Klima und Küste
Research has been initiated by Siegen University’s research institute for water and the environment (fwu), the
German Weather Service (DWD), and Bundesamt für
Seeschifffahrt und Hydrographie (BSH).
The project was aimed at modelling extreme storm
cyclones and storm surges that have not occurred
so far but which are physically possible in the North
Sea, using deterministic simulation methods. This has
been done successfully by applying sophisticated
simulation methods such as EPS (ensemble prediction system) in connection with the BSH’s water level
models, which are in operational use for weather and
water level predictions. The initial distribution of past
storm surge weather situations was modified slightly
in order to generate possible variations of the weather
development. For example, more dangerous variations of the „Hamburg storm“ (1962) and the cyclones
“Capella” (1976) and „Anatol“ (1999) were generated
which were physically possible regarding their temporal development and tracks.
The extreme water levels computed in this way are realistic but have a very low probability of occurrence. The
maximum water levels simulated for the German Bight
are 1 to 1.5 m above the highest levels ever observed,
which was during the 1976 storm surge (Fig. 1). From
these findings, an urgent need for additional coastal
defence measures cannot be derived. However, the
methods and computations used allow a locally more
differentiated assessment of the impact of storm surge
water levels on existing coastal protection systems.
Also the BSH’s storm surge warning service will benefit
from the model data (Fig. 2). In the event of very severe
storm surges, the data from the MUSE project may be
used for orientation, as an additional stock of virtual experience.
b)
Abb. 1: Scheitelwasserstände für die modifizierte Sturmflutwetterlage EPS45 1976 (Küstenmodell)
a) in der östlichen Deutschen Bucht
b) in der westlichen Deutschen Bucht
a)
100
150
200
250
300
350
HW-Höhen in cm
Bezug: HW Cuxhaven
976.01.03, 23:55 UTC
400
450
500
550
600
650
700
Klima und Küste
MUSE - Zusammenfassung der Ergebnisse
•
Mit dem Ensemble Prediction System (EPS) konnten nur in zeitlicher Nähe tatsächlich eingetre- tener Sturmflutwetterlagen extremere Varianten gefunden werden.
•
Für die Küste zwischen Wilhelmshaven und Husum wurden extreme Wasserstände um 6,5 m über NN simuliert.
•
Damit werden bisher beobachtete Höchstwasserstände lokal um etwa 1,5 m überschritten.
•
Ein dringender Handlungsbedarf für zusätzliche Küstenschutzmaßnahmen lässt sich hieraus nicht ableiten. Eine regelmäßige, z. Zt. 10jährige Überprüfung der Bemessung der Deiche reicht aus.
•
Die gefundenen extremen Sturmfluten sind physikalisch mögliche Varianten des heutigen Klimas. Der beobachtete (und extrapolierte) Anstieg des Meeresspiegels stellt im Vergleich dazu für die nächsten Jahrzehnte keine akute Bedrohung der deutschen Küste dar.
•
Eine entsprechende Untersuchung für die deutsche Ostseeküste beginnt 2005.
•
Welche Auswirkungen der Klimawandel im Hinblick auf extremere Wetterlagen hat, ist noch ungeklärt.
Anschrift des Verfassers:
Dr. S. Müller-Navarra
Bundesamt für Seeschifffahrt und Hydrographie
Bernhard-Nocht-Straße 78
20359 Hamburg
93
Klima und Küste
Meeresspiegelanstieg und Sedimentumlagerung
Sea level rise and sediment redeposition
BURGHARD FLEMMING
Zusammenfassung
Summary
Bei dem gegenwärtigen Meeresspiegelanstieg untergliedert sich die Wattenmeerküste der südlichen Nordsee, je nach örtlichem Sedimenthaushalt, in progradierende, aggradierende und transgredierende Abschnitte.
Progradierende Abschnitte dehnen sich aufgrund eines
Sedimentüberschusses seewärts aus (Dänische Inseln). Aggradierende Abschnitte haben einen ausgeglichenen Sedimenthaushalt und wachsen daher in die
Höhe (Dithmarscher Bucht), während transgredierende
Küsten ein Sedimentdefizit aufweisen und sich daher
landwärts verlagern (Ostfriesische Inseln und die Insel
Sylt). Dies zeichnet sich in der örtlichen Stratigraphie
ab. Ein beschleunigt ansteigender Meeresspiegel erzeugt ein höheres Sedimentdefizit, was sich in zunehmender Küstenerosion äußern wird.
Under the current rate of sea level rise, and depending
on the local sediment budget, the Wadden Sea coast
along the southern North Sea is divided into prograding, aggrading and transgressing sections. Prograding
sections have a positive sediment budget and hence
expand seawards (Danish barrier island coast). Along
coastal sections with a balanced sediment budget, the
coast simply aggrades vertically (Dithmarscher Bight),
whereas a negative budget results in transgressive
coastal retreat (East Frisian Islands and island of Sylt).
Whichever the case, the coastal response reveals itself
in a particular diagnostic stratigraphy. An acceleration
in sea level rise will produce a higher sediment deficit
which will cause increasing coastal erosion.
Die deutsche Nordseeküste ist seit dem Höhepunkt
der „Kleinen Eiszeit“ vor ca. 300 Jahren (Maunder Minimum) einem stetigen Anstieg des mittleren Meeresspiegels von 18-20 cm/Jahrhundert ausgesetzt. Dies
ist etwa doppelt so hoch wie der mittlere globale Anstieg, was darauf hindeutet, dass sich die deutsche
Nordseeküste aufgrund isostatischer Ausgleichsbewegungen absenkt (Abb. 1). Jeder Meeresspiegelanstieg greift in örtliche Sedimenthaushalte ein, indem
küstennahe Sedimentdefizite erzeugt werden. Dies
wiederum führt zu einem generell höheren Energieeintrag durch Seegang und Gezeitenstrom, der sich in
morphodynamischen Anpassungsprozessen äußert.
Flache Sandküsten wie das Watt werden dabei besonders stark in Mitleidenschaft gezogen. Leider wurden solche natürlichen Anpassungen durch gewaltige
Sedimentumverteilungen���������������������������
überlagert, die durch Eingriffe des Menschen in Form von Landgewinnung und
Deichbau ausgelöst worden sind und die vermutlich
bis heute in unbekanntem Umfang fortwirken (Abb. 2).
Hinzu kommt die örtlich verheerende Wirkung episodisch auftretender Orkanfluten, die in kürzester Zeit
großräumige morphologische Veränderungen der Küstenlandschaft erzeugt haben. Neben anthropogenen
Faktoren wird die Morphodynamik somit im Wesentlichen durch das Wechselspiel zwischen der Rate des
Meeresspiegelanstiegs und der Rate des Sedimentimportes aus externen Quellen gesteuert. Verändert sich
einer oder beide dieser Parameter, so verändert sich
der Sedimenthaushalt und folglich auch der morphodynamische Anpassungsprozess, es sei denn, der Effekt des einen hebt zufällig den des anderen auf.
95
96
Klima und Küste
Sedimenthaushalt eingreift, bewirkt dies auch eine
Veränderung im morphologischen Anpassungsprozess, wobei Progradation in Aggradation bzw. Aggradation in Transgression umschlagen kann.
Im Falle der Wattenmeerküste lassen sich mehrere
Zonen mit unterschiedlichem Sedimenthaushalt unterscheiden (Abb. 2). So ist der gesamte Küstenabschnitt von Den Helder in den Niederlanden bis zur
Elbmündung durch ein Sedimentdefizit gekennzeichnet, was in einer landwärtigen, also transgressiven
Verlagerung der Inselsysteme zum Ausdruck kommt,
wobei sich diese Tendenz in östlicher Richtung zu
verstärken scheint (das Defizit also zunimmt). Wie
schon erwähnt, wird dieser Prozess durch massive
Eingriffe des Menschen überlagert und z. T. sogar
völlig maskiert. Dennoch kann die heutige Strandlinie vielerorts nur durch regelmäßige Strandaufspülungen gehalten werden.
Abb. 1: Landsenkung an der deutschen Nordseeküste
(ca. 10 cm/Jahrhundert)
(nach Hupfer et al. [2003])
Da sich dieser Prozess auch in der Stratigraphie der
Küstenablagerungen abbildet, kann diese als qualitatives, dabei aber unverkennbares Merkmal des Sedimenthaushaltes herangezogen werden. Wenn eine
Küste beispielsweise trotz steigendem Meeresspiegel
einen Sedimentüberschuss aufweist (der Import also
größer ist als das Defizit, das durch den Anstieg verursacht wird), dann äußert sich dies morphologisch
in vertikalem Aufwuchs (Aggradation) bei gleichzeitiger seewärtiger Strandverlagerung (Progradation).
Besteht ein Gleichgewicht zwischen Defizit und Import, dann wächst die Küste ohne Strandverschiebung in die Höhe. Kann der Import von Sediment das
Defizit aber nicht ausgleichen, dann verlagert sich
die Strandlinie landwärts, um auf diese Weise das
fehlende Material aus ihrem eigenen Reservoir in der
Vorstrandzone freizusetzen und in die ����������������
Defizitzonen����
zu
transportieren (Transgression). Je größer das Defizit,
desto schneller die Strandverlagerung. Jede dieser
Situationen erzeugt eine charakteristische und unverwechselbare Sedimentabfolge (Abb. 3). Da eine Beschleunigung des Meeresspiegelanstiegs in diesen
Von der Elbmündung nordwärts bis St. Peter Ording
ist das Küstensystem aggradierend und teilweise sogar progradierend. Hier herrscht offensichtlich noch
ein Sedimentüberschuss. Auch von St. Peter Ording
bis zur Insel Sylt aggradiert bzw. progradiert das
Watt. Allerdings muss hervorgehoben werden, dass
dieser Küstenabschnitt kein gewachsenes Watt darstellt, sondern durch schwere Orkanfluten im späten
Mittelalter ausgeschachtet worden ist. Die Insel Sylt
selbst ist transgressiv, d.h. sie unterliegt starker Erosion. Sie ist keine Barriere-Insel, sondern das Relikt
eines Saale-eiszeitlichen Gletschers, der an dieser
Stelle einen tertiären Sedimentblock abgesetzt hat.
Das sich nördlich anschließende Dänische Watt ist
wieder durch einen hohen Sedimentüberschuss gekennzeichnet, was sich in einer aggradierend/progradierenden Morphodynamik äußert.
Angesichts der prognostizierten Beschleunigung
des Meeresspiegelanstiegs im Verlauf des nächsten
Jahrhunderts infolge des globalen Klimawandels,
werden sich die bereits heute sichtbaren morphodynamischen Anpassungsprozesse an der Wattenmeerküste ebenfalls beschleunigen. Der örtliche
Sedimenthaushalt wird sich dabei zwangsläufig
entlang der gesamten Küste ändern (Flemming and
Bartholomä [1997, 2003]. An erodierenden Küstenabschnitten wird sich die Erosion verstärken. Aggradierende Abschnitte werden transgressiv und
progradierende in aggradierende umgewandelt.
Von diesem Prozess werden zuerst die Inseln betroffen sein, da das zunehmend fehlende Sediment
Klima und Küste
im Vorstrandbereich nicht aus externen Quellen ersetzt werden kann. Eine durchaus nicht abwegige
Lösung wäre das „Mitwandern“ der Orte in Richtung
der Inselverlagerung. Darüber hinaus wird die Er-
richtung von Sturmflutschleusen, wie sie bereits im
Rheindelta und in der Ems verwirklicht sind, auch
in den Unterläufen der Weser und Elbe langfristig
unumgänglich sein.
Abb. 2: Maximale holozäne Transgression der Nordsee (verändert nach Ehlers [1988])
97
98
Klima und Küste
a) Progradation: Import >> Defizit
Vorstrandzone
b) Aggradation: Import = Defizit
Geestinsel
Geestinsel
Tidebecken
Salzmarsch
c) Transgression: Import < Defizit
Vorstrandzone
Tidebecken
Salzmarsch
d) Transgression: Import << Defizit
Geestinsel
Geestinsel
Tidebecken
Salzmarsch
Vorstrandzone
Tidebecken
Vorstrandzone
Abb. 3: Einfluss des Sedimenthaushaltes auf die Stratigraphie des Wattenmeeres
(verändert nach Flemming [2002])
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Anschrift des Verfassers:
Prof. Dr. Burghard Flemming
Senckenberg Institut
Südstrand 40
26382 Wilhelmshaven
[email protected]
Salzmarsch
Klima und Küste
Wasserkreislauf, Klimaveränderung und
Süßwassereintrag
Water cycle, climate change, and freshwater input
BEATE GEYER
Zusammenfassung
Summary
Die Klimaforschung hat es sich zum Ziel gesetzt, zuverlässige Aussagen über die Änderung des Klimas
in den verschiedenen Regionen der Erde zu machen.
Die Informationen der bisher verwendeten, gering auflösenden Globalmodelle werden mittels dynamischen
downscalings durch Regionale Atmosphären-Modelle
konkretisiert.
The goal of climate research is to make reliable predictions of climate change for different parts of the world.
Data from the low-resolution global models used so far
are concretised by regional atmospheric models via dynamic downscaling.
Innerhalb des internationalen Projekts PRUDENCE
(Prediction of Regional scenarios and Uncertainties for
Defining EuropeaN Climate change risks and Effects)
wurden regionale Modellstudien für Europa durchgeführt. Es wurden verschiedene Regional-Modelle mit
verschiedenen Entwicklungsszenarien und verschiedenen Globalmodellen als Antrieb verwendet, um
hochaufgelöste Daten der Klimaprognose und Aussagen über deren Genauigkeit zu gewinnen.
Es werden die Ergebnisse der Klimaänderungsstudien
dieses Projektes mit speziellem Fokus auf den Wasserkreislauf von Nord- und Ostsee vorgestellt. Innerhalb
von PRUDENCE wurde die Periode von 2071-2100
nach dem so genannten „A2-Szenario“ des IPCC (Intergovernmental Panel on Climate Change, Special
Report on Emissions Scenarios, 2001) simuliert. Der
Einfluss des CO2-Anstiegs auf die Komponenten des
Wasserkreislaufes mit Fokus auf Nord- und Ostsee des
zukünftigen Klimas wird vorgestellt.
Within the framework of the international project PRUDENCE (Prediction of Regional scenarios and Uncertainties for Defining EuropeaN Climate change risks
and Effects��������������������������������������������
), regional simulation studies were carried
out for Europe. Different regional models, forced by different global model simulations with different emission
scenarios, were used in order to obtain high-resolution
data for climate predictions as well as information about
their accuracy.
The results of climate change studies conducted within
this project are presented, focusing on the water cycle
of the North and Baltic Seas. Within the framework of
PRUDENCE, the period of 2071-2100 was simulated on
the basis of the so-called „A2 scenario“ of IPCC (Intergovernmental Panel on Climate Change, Special
Report on Emissions Scenarios�����������������������
, 2001). The impact of
the CO2 increase on the components of the water cycle
is discussed, especially with a view to the North and
Baltic Seas.
99
100
Klima und Küste
Im Auftrag des IPCC (Intergovernmental Panel on
Climate Change [2001]) wurde der ‚Special Report
on Emissions Scenarios’ erarbeitet, in dem aus bisher bestehenden Szenarien 40 neue Szenarien zur
Entwicklung der Menschheit in 4 Klassen (A1, A2,
B1 und B2) erstellt wurden. Das „A2-Szenario“ stand
im Mittelpunkt der Simulationen innerhalb des PRUDENCE-Projektes: es wird eine auch in Zukunft heterogene Welt und eine ständig steigende Weltbevölkerung vorausgesetzt. Das Szenario zeichnet sich
im Hinblick auf für die Klimamodellierung relevante
Parameter insbesondere durch einen Anstieg der
CO2-Emission bis zu 30 GtC/a im Jahre 2100 aus
(Abbildung 1).
Abb. 1: Entwicklung der CO2-Emissionen bis zum Jahr 2100
nach den Szenarien des IPCC (IPCC [2001])
Abb. 2: Simulierte globale mittlere
Temperaturentwicklungen
und die Ranges der Temperaturprognosen verschiedener Globalmodelle bis zum
Jahre 2100 (IPCC [2001])
Die Anwendung verschiedener Globalmodelle zur Simulation des zukünftigen Klimas führt zu einem weiten
Range möglicher Entwicklungen für jedes Szenario.
In Abb. 2 sind die Temperaturzunahmen im globalen
Mittel für die verschiedenen Entwicklungsszenarien
und die durch die Anwendung der verschiedenen
Modelle entstehenden Ranges dargestellt.
Da es sich bei den dargestellten Werten um die globalen Mittelwerte handelt, sind separate Aussagen
über die unterschiedlich starken Änderungen in den
verschiedenen Regionen der Erde nötig.
In Abb. 3 wird die grobe Repräsentation der Küstenlinie des Global-Modells HadCM3 durch die Abbildung
einer beispielhaften Temperaturverteilung über Land
verdeutlicht.
Abb. 3: Schematische Darstellung der Land-See-Maske des
HadCM3 anhand einer beispielhaften Temperaturverteilung
Klima und Küste
Für die Erfassung regionaler Phänomene sind höhere räumliche Auflösungen nötig, insbesondere
die Simulation von meteorologischen Größen wie
dem Niederschlag benötigt eine realistischere Abbildung der tatsächlichen Orographie und Küstenlinie. Deshalb werden für Aussagen über regionale
Klimaänderungen höher aufgelöste Simulationen mit
Regional-Modellen für ausgesuchte Gebiete durchgeführt. Um die Informationen der gut aufgelösten
Skalen und die durch die Globalmodelle vorgegebene großräumige Zirkulation zu erhalten, wird die
speziell entwickelte Technik des „Spectral Nudging“
angewandt (von Storch et al. [2000]). In Abbildung 4
ist der Zugewinn an Information durch die Regionale
Modellierung mit „Spectral Nudging“ schematisch
dargestellt.
Die Simulationen des A2-Szenarios aller Regionalmodelle im PRUDENCE-Projekt für den Zeitraum 2071-2100
zeichnen sich durch steigende Mitteltemperaturen über
Europa im Vergleich zur Kontroll-Periode 1961-1990 um
etwa 3 K aus. In der Änderung der Niederschlagssummen zeigt sich ein differenzierteres räumliches Bild. Es
werden im Folgenden die Ergebnisse der Simulationen
mit dem CLM (der Klimaversion des Lokal-Modells des
DWD) vorgesellt. Im Nordwesten Europas nehmen die
jährlichen Niederschläge deutlich zu, während sie in
Südeuropa abnehmen (Abbildung 5).
Dp [%]
45
Varianz
Global Modell
Gut aufgelöst
45
Ungenügend
aufgelöst
Räumliche Skalen,
Auflösung
Abb. 5: Änderung der jährlichen Niederschlagssumme
(A2-Szenario – Control) in %
Varianz
Regional Modell
Ungenügend
aufgelöst
Gut aufgelöst
Räumliche Skalen,
Auflösung
Nutzen
Abb. 4: Schematische Darstellung der Leistung von Global(blaue Linie) und Regionalmodellen (rote Linie)
(Müller [2004])
Im Einzugsgebiet der Ostsee beträgt die Zunahme 10 %
und über der Nordsee steigen die Niederschlagsmengen ebenfalls um 10 %. Über der Ostsee selbst werden
stärkere Zunahmen simuliert, im Mittel um 30 %, was
allerdings auf die hohen Oberflächentemperaturen in
den Antriebsdaten des HadCM3 zurückzuführen ist.
Ergänzt man die regionalen Atmosphärenmodelle um
Module regionaler Ozeanmodellierung, fallen die Änderungen geringer aus und entsprechen den Änderungen über Land. Den Hauptanteil an der Änderung
der jährlichen Niederschlagsmenge über der Ostsee
tragen die Sommermonate bei (siehe Abbildung 6,
3. Bild): dort zeigen sich starke Zunahmen, während
der Niederschlag in Mittel- und Südeuropa stark abnimmt. Während der Winter durch Niederschlagszunahmen über weite Teile Europa gekennzeichnet ist,
zeigen sich für Frühling und Herbst heterogene Tendenzen der Änderung.
101
102
Klima und Küste
Abb. 6: Saisonale Niederschlagsänderung der Szenariosimulation gegenüber der Kontroll-Simulation
Betrachtet man das Einzugsgebiet der Ostsee, die
Ostsee und die Nordsee, ergeben sich in der Summe die in Abbildung 7 dargestellten Änderungen in
den Komponenten des Wasserkreislaufes. Da es
keine grundlegenden Änderungen der Zirkulation
gibt, ändert sich die Konvergenz, d. h. der Wassereintrag in die Gebiete, nicht. Die angegeben
Größen spiegeln die Intensivierung des Wasser-
kreislaufes wider: jährlicher Niederschlag und Verdunstung nehmen in beiden Gebieten zu, während
jedoch der Anteil des Schnees am Niederschlag
drastisch sinkt.
Die Dauer der Schneebedeckung ändert sich von
120 Tagen im Jahr auf 70 Tage, was eine Reduktion
um über 40 % darstellt.
Konvergenz
290
290
Konvergenz
230
230
Niederschlag
Niederschlag
1961 - 1990
2071 - 2100
*
*
1961 - 1990
2071 - 2100
*
*
*
620 [120]
790 [50]
*
Verdunstung
480
790
Niederschlag
380
400
*
*
*
640 [220]
700 [150]
Runoff 290
310
Abb. 7a: Schematisierter Wasserkreislauf [mm/a] für die Ostsee
und deren Einzugsgebiet (Daten der Kontroll-Periode
(1961-1990) in blau, des Szenarios A2 (2071-2100) rot,
[ ] - Schneeanteil am Niederschlag)
*
Verdunstung
630
730
*
*
910 [20]
1010 [0]
Runoff
Abb. 7b:Schematisierter Wasserkreislauf [mm/a] für die Nordsee
(Daten der Kontroll-Periode (1961-1990) in blau, des
Szenarios A2 (2071-2100) rot, [ ] - Schneeanteil am Niederschlag)
Klima und Küste
Im Ostseeeinzugsgebiet ist in allen Monaten von einer Zunahme der Verdunstung auszugehen, wobei die
Zunahme in den Monaten Juni bis September bei prozentualer Betrachtung gering ist. In Abbildung 8 sind
die mittleren Jahresgänge von Niederschlag und Verdunstung über dem Ostseeeinzugsgebiet für das Szenario und den Kontroll-Zeitraum, sowie die mittleren
Differenzen zwischen den Simulationen dargestellt.
80
4,0E+04
50
3,0E+04
40
30
2,0E+04
Menge [m3/s]
Menge [mm/Monat]
60
20
1,0E+04
Mengenänderung [%]
5,0E+04
70
10
0
1
2
3
4
5
6
7
Monat
8
9
10
11
0,0E+00
12
Monat
Abb. 8: Simulierte Änderung des Jahresganges von Niederschlag und Verdunstung im Ostsee-Einzugsgebiet: Szenario-A2-Simulation
im Vergleich zur Kontroll-Simulation
Der Niederschlag nimmt prozentual in den Wintermonaten am stärksten zu; in den Monaten April
und September nimmt er nicht zu bzw. nimmt ab.
Betrachtet man die Anzahl der Niederschlagstage,
zeigen sich im nördlichen Einzugsgebiet äußerst ge-
ringe Änderungen, im südlichen Bereich leichte Abnahmen. In Südeuropa treten hingegen große Änderungen zutage (Abbildung 9). Besonders drastisch
ist die Reduktion der Anzahl der Niederschlagstage
um Werte von über 50 % in Südeuropa.
Abb. 9: Simulierte Anderung der Anzahl der Niederschlagstage der Szenario-A2-Simulation gegenüber der Kontroll-Periode
103
104
Klima und Küste
Zusätzlich zur Niederschlagsmenge und der Anzahl
der Niederschlagstage wurde die Veränderung der
Niederschlagsintensität untersucht: im Winter zeigt
sich eine generelle Zunahme der Starkniederschläge über Europa (Abb.10). Im Sommer weisen jedoch
a)
10oW
0o
10oE
20oE
Gebiete Mitteleuropas, deren Niederschlagssumme
insgesamt abnimmt (Abb. 6), eine Zunahme der Regenintensitäten bei Starkniederschlagsereignissen
aus. Dies ist insbesondere für die Untersuchung der
Hochwasserhäufigkeit von gesteigertem Interesse.
b)
30oE
10oW
0o
10oE
20oE
30oE
70oN
70oN
70oN
70oN
60oN
60oN
60oN
60oN
50oN
50oN
50oN
50oN
40oN
40oN
40oN
40oN
10oW
0o
10oE
20oE
10oW
30oE
0o
10oE
20oE
30oE
[mm/d]
3 0
2 4
1 6
8
0
8
16
24
32
Abb.10: Änderung der Stärke der Starkniederschlagsereignisse (99 %-Perzentile) a) für Winter und b) für Sommer
(Rockel, pers. Komm.)
Abb. 11: Simulierte Süßwassereinträge in die Ostsee nach dem A2-Szenario im Vergleich zum heutigen Eintrag (grau): 7 Regionalmodelle mit gleicher Auflösung (rot), 2 Regionalmodelle mit höherer Auflösung (grün) und 2 Regionalmodelle mit den Daten eines
anderen Globalmodells als Antrieb (blau) nach Graham et al. [2004]
Klima und Küste
Aus den geänderten Temperatur- und Niederschlagsverhältnissen resultieren insgesamt veränderte Abflussganglinien der Flüsse, die zeitliche Variation des
Süßwassereintrages ändert sich. In Abbildung 11
(Graham [2004]) sind die Süßwassereinträge in fünf
Teileinzugsgebiete der Ostsee und der Gesamteintrag in die Ostsee dargestellt.
Wesentliche Merkmale der Abflussganglinien für
alle Einzugsgebiete und Modelle der A2-Szenario-Simulationen sind die höheren Abflüsse in den
Wintermonaten und die durch früher einsetzende
Schneeschmelze bedingten früheren, jedoch geringer ausfallenden Maxima.
Es wurde ausgeführt, dass nach derzeitigem Stand
des Wissens die prognostizierten, maßgeblich auf
den CO2-Anstieg zurückzuführenden Temperaturanstiege für den Zeitraum 2071-2100 zu starken Änderungen im Wasserkreislauf führen.
Mit Hilfe der regionalen Modellierungen werden
detailreiche Analysen möglich und es werden Antriebsdaten für weitere Modelle, wie z. B. Sedimentationsmodelle, geschaffen. Durch die Auswahl der
Szenarien und die Auswahl der Globalmodelle für
den Antrieb der Regionalmodelle wird eine große
Bandbreite der Klimaprognosen geschaffen.
Die Unsicherheiten der Prognose konnten durch Ensemble-Simulationen reduziert werden.
Anschrift der Verfasserin:
Dr. Beate Geyer
GKSS Forschungszentrum Geesthacht
Max-Planck-Straße
21502 Geesthacht
Literatur
Christensen, J. H. (ed.), 2004: Prediction of Regional scenarios and Uncertainties for Defining EuropeaN Climate change risks and Effects. Final
Report., http://prudence.dmi.dk/public/publications/.
Graham, L. P., S. Hagemann, S. Jaun and M. Beniston,
2004: On Interpreting hydrological change from
regional climate models. Submitted to Climatic
Change.
IPCC, 2001: Special Report on Emissions Scenarios
(SRES). Special Report of the Intergovernmental
Panel on Climate Change, Nebojsa Nakicenovic
and Rob Swart (Eds.), Cambridge 2000.
IPCC, 2001: http://www.ipcc.ch/present/graphics.
htm.
Müller, Beate, 2004: Eine regionale Klimasimulation
für Europa zur Zeit des späten Maunder-Minimums 1675-1705. GKSS Report No. 2004/02.
Storch, H. von, H. Langenberg, and F. Feser, 2000:
A spectral nudging technique for dynamical
downscaling purposes. Monthly Weather Review,
128, 3664-3673.
105
Klima und Küste
Der Ozean im Zeitalter des Anthropozäns – eine
Betrachtung aus biogeochemischer Perspektive
The oceans during the Anthropocene Epoch – a study under biogeochemical aspects
ARNE KÖRTZINGER
Zusammenfassung
Summary
Das Wissen um die Existenz des globalen Wandels gehört inzwischen zum Allgemeingut, das uns über die
Medien vielkanalig vermittelt wird. In der Tat ist die gegenwärtige Epoche wohl mit Recht als „Anthropozän“
– das vom Menschen geprägte Erdzeitalter – bezeichnet worden, mehren sich doch fast täglich Belege für
Trends in den Klimadaten. Auch wenn der Nachweis
eines kausalen Zusammenhangs mit menschlichen Aktivitäten im Einzelfall schwer zu führen ist, steht er heute
nicht mehr ernsthaft in Frage. Völlig außer Frage steht
jedoch, dass die vielfältigen vom globalen Wandel getriebenen Änderungen physikalischer, chemischer und
ökologischer Rahmenbedingungen einen qualitativen
und quantitativen Einfluss auf das biogeochemische
System und die Organismen des Ozeans haben werden. Diesen hinsichtlich seines Rückkopplungspotentials und damit seiner Klimarelevanz zu verstehen und
vorhersagen zu können, wird eine der Schlüsselaufgaben der marinen Biogeochemie sein.
Global warming has become part of general knowledge
and is a widely discussed topic in all media. The present
epoch has been aptly named the „Anthropocene“, i.e.
the epoch marked by human activities, which is supported by the fact that new data on climate trends is
published almost on a daily basis. Although it is difficult
to establish a causal relationship with human activities
in the individual case, the fact itself is no longer disputed seriously. But one fact is generally undisputed: the
multiple changes of physical, chemical, and ecological
parameters caused by global change will have a qualitative and quantitative impact on the biogeochemical
system and on ocean life. It will be one of the principal
future tasks of marine biogeochemistry to understand
and predict this impact including its feedback potential
and, consequently, its relevance to climate developments.
Die Konsequenzen des globalen Wandels für das marine System sind nicht weniger komplex als dieses System
selbst. Die Reduktion auf eine einfache Kausalitätskette
ist aufgrund der vielfältigen Wechselwirkungen und gegenläufigen Effekte daher selten angebracht. Dennoch
lassen sich einige typische Konsequenzen des biogeochemischen Systems sowie Reaktionen der marinen
Biosphäre aufgrund von Experimentalbefunden, Beobachtungen oder Modellrechnungen identifizieren und
zumindest in ihrer Richtung abschätzen.
Im Rahmen des Vortrages sollen ausgewählte Aspekte
des Themas dargestellt werden.
The impact that global change will have on the marine system is not less complex than the system itself.
Because of the many complex interactions and counter-acting effects, the establishment of simple causal
chains is rarely possible. Nevertheless, some typical
consequences and reactions in biogeochemical systems and the marine biosphere have been identified
on the basis of experiments and observations as well
as model results, and it is possible to point out at least
certain trends.
Some aspects of this subject will be discussed during
the presentation.
107
108
Klima und Küste
Abb. 1: CO2 und Temperatur - ein Pärchen mit steigender Tendenz
Abb. 2: Globaler Kohlenstoffkreislauf und anthropogene Störung
Quelle: Field, C.B. and M.R. Raupach (Edt.), 2004: The global Carbon Cycle, SCOPE 62, Washington: Island Press
Klima und Küste
Abb. 3: Biogeochemische Feedbacks: Der saure Ozean
Quelle: Körtzinger, A., 2004: Marine Ökosysteme im Zeitalter des globalen Wandels. In: J.L. Lozán et al. (Hrsg.): Warnsignale
aus den Polarregionen. Hamburg, 110-114
Anschrift des Verfassers:
Prof. Dr. Arne Körtzinger
Leibniz-Institut für Meereswissenschaften
Dienstgebäude Westufer
Düsternbrooker Weg 20
24105 Kiel
109
Meeresnaturschutz
Meeresnaturschutz
Auswirkungen von Offshore-Windkraftanlagen auf die
marine Fauna und den Vogelzug - Erkenntnisse aus
nationaler und internationaler Begleitforschung
Impacts of offshore wind farms on marine fauna and bird migration – findings of
national and international accompanying research
CATHERINE ZUccO
Zusammenfassung
Summary
Durch umfangreiche nationale und internationale, vor
allem an den dänischen und schwedischen Projekten
durchgeführte Begleitforschung konnten bereits erste
Erkenntnisse und Hinweise über die Auswirkungen der
Bau- und Betriebsphase von großräumigen OffshoreWindkraftprojekten auf die marine Fauna sowie den Vogelzug gewonnen werden.
Extensive national and international research in the area
of offshore wind farms, mainly in Denmark and Sweden,
has produced first results and indications of the impact
of the construction and operational phases of such
projects on marine fauna and bird migration.
Für Schweinswale (Phocoena phocoena) ist insbesondere die schallintensive Bauphase mit nachteiligen Auswirkungen verbunden. So ließ sich bei Horns Rev in Dänemark in der gesamten Bauzeit eine reduzierte Dichte
im Gebiet feststellen. Während der Rammarbeiten kam
es zu einer drastischen Abnahme der akustischen Aktivität von Schweinswalen sowie signifikanten Verhaltensveränderungen. Einige der untersuchten Rastvogelarten zeigen eine hohe Störempfindlichkeit gegenüber
den Bauaktivitäten sowie den Offshore-Windkraftanlagen im Betrieb, die eine großflächige Verdrängung von
Individuen aus dem Windpark und dessen Umgebung
und letztlich den Verlust von Lebensraum zur Folge hat.
Für Zugvögel ist nachts ein höheres Kollisionsrisiko
anzunehmen, da Ausweichreaktionen von Zugvögeln
deutlich später auftreten als am Tage. Allerdings fehlen nach wie vor Erkenntnisse, mit denen sich das Kollisionsrisiko an Offshore-Windkraftanlagen ausreichend
quantifizieren lässt.
Bisherige Untersuchungen der benthischen Lebensgemeinschaften haben ergeben, dass das eingebrachte
Hartsubstrat schnell besiedelt wird und dass damit ein
starker Anstieg der Biomasse im Windkraftgebiet verbunden sein kann. Zusätzlich konnten durch Unterwasservideoaufnahmen im Nahbereich einzelner Anlagen
Attraktionswirkungen auf einige Fischarten verzeichnet
werden, die auf einen „Riffeffekt“ schließen lassen.
Harbour porpoises (Phoecoena phoecoena) were affected particularly by the noise during the construction
phase. At Horns Rev, Denmark, a reduced population
density was observed in the area throughout the construction phase (during piling operations). Dramatically
reduced acoustic activity of harbour porpoises as well
as significant behavioural changes occurred. Some of
the observed resting-bird species were highly sensitive
to disturbance from construction activities and operating offshore wind turbines, which led to large-scale
displacement of individuals from the wind farm and its
surroundings and, subsequently, habitat loss. Migratory
birds probably have a higher collision risk at night because their evasive reactions are slower than during the
day. However, results which allow an adequate quantification of the collision risk from offshore wind turbines
are not yet available.
Studies of benthic communities have shown that the
hard substrate introduced to such sites is quickly colonised, which can lead to a strong increase of biomass
in the wind farm area. Underwater video recordings in
the vicinity of individual turbines showed that some fish
species were attracted to them, which may be attributable to a „reef effect“.
113
114
Meeresnaturschutz
Aus Gründen des Klimaschutzes soll in vielen EU-Mitgliedsstaaten – so auch Deutschland – der Anteil der
erneuerbaren Energien am Gesamtstromverbrauch
deutlich erhöht werden. Einen wesentlichen Beitrag
soll hierzu die Nutzung der Offshore-Windenergie liefern. In der deutschen Ausschließlichen Wirtschaftszone (AWZ) sind bisher mehr als 500 Windräder genehmigt worden. Da zur marinen Natur und Umwelt
sowie zu den ökologischen Auswirkungen von Windkraftanlagen im Meer noch immer erhebliche Wissensdefizite bestehen, sind die Ergebnisse der Erforschung der ökologischen Effekte an bestehenden
Offshore-Windkraftanlagen von großer Bedeutung,
um mögliche Auswirkungen weiterer Planungen und
Projekte besser prognostizieren zu können.
Durch umfangreiche nationale und internationale, vor allem an den dänischen und schwedischen
Projekten durchgeführte Begleitforschung konnten
bereits erste Erkenntnisse und Hinweise über die
Auswirkungen der Bau- und Betriebsphase von großräumigen Offshore-Windkraftprojekten auf die marine
Fauna sowie den Vogelzug gewonnen werden. Insoweit können inzwischen auch Empfindlichkeiten und
Reaktionen einzelner Schutzgüter gegenüber den
Wirkmechanismen von Offshore-Windkraftanlagen
besser spezifiziert werden.
Für Schweinswale (Phocoena phocoena) ist insbesondere die schallintensive Bauphase mit nachteiligen Auswirkungen verbunden. So ließ sich bei
Horns Rev in Dänemark in der gesamten Bauzeit
eine reduzierte Dichte im Gebiet feststellen. Während der Rammarbeiten kam es zu einer drastischer
Abnahme der akustischen Aktivität von Schweinswalen sowie signifikanten Verhaltensveränderungen.
vor Erkenntnisse, mit denen sich das Kollisionsrisiko
an Offshore-Windkraftanlagen ausreichend quantifizieren lässt.
Bisherige Untersuchungen der benthischen Lebensgemeinschaften haben ergeben, dass das eingebrachte Hartsubstrat schnell besiedelt wird und
dass damit auch ein starker Anstieg der Biomasse
im Windkraftgebiet verbunden sein kann. Über die
Auswirkungen dieser Veränderungen auf die natürlich vorkommenden Benthosgemeinschaften lassen
sich allerdings noch keine Aussagen treffen.
Zusätzlich konnten durch Unterwasservideoaufnahmen im Nahbereich einzelner Anlagen Attraktionswirkungen auf einige Fischarten verzeichnet werden,
die auf einen „Riffeffekt“ schließen lassen. Bislang
gibt es jedoch keine belastbaren Ergebnisse über
Effekte der Stromkabel sowie der betriebsbedingten
Schallemissionen auf die Fischfauna.
Die laufenden Projekte, die im Rahmen „Ökologischer
Begleitforschung Offshore-Windkraft“ vom Umweltministerium geförderten werden, sowie das umfangreiche Begleitmonitoring, welches vom BSH den
deutschen Antragstellern mit der Genehmigung auferlegt wird, lassen in näherer Zukunft einen stetigen
Erkenntniszuwachs über die Effekte auf die marine
Fauna erwarten. Gleiches gilt für die Forschungen an
den Offshore-Projekten anderer Länder, die insbesondere auch Aussagen zu langfristigen Auswirkungen
bei mehrjährigem Betrieb durch entsprechende Begleituntersuchungen ermöglichen werden.
Einige der untersuchten Rastvogelarten zeigen eine
hohe Störempfindlichkeit gegenüber den Bauaktivitäten sowie den Offshore-Windkraftanlagen im Betrieb, die eine großflächige Verdrängung von Individuen aus dem Windpark und dessen Umgebung
und letztlich den Verlust von Lebensraum zur Folge
hat.
Für Zugvögel verdeutlichen die Ergebnisse, dass
Barrierewirkungen und Verlagerungen der Zugrouten
aufgrund der Anlagen auftreten. Dabei unterscheiden
sich die Reaktionen art- und individuenspezifisch.
Nachts ist ein höheres Kollisionsrisiko anzunehmen,
da Ausweichreaktionen von Zugvögeln deutlich später auftreten als am Tage. Allerdings fehlen nach wie
Anschrift der Verfasserin:
Catherine Zucco
Bundesamt für Naturschutz
AS Insel Vilm
18581 Putbus
Meeresnaturschutz
Meeresschutzgebiete – (k)ein Instrument des
Fischereimanagements?
Marine Protected Areas – a suitable instrument of fisheries management?
CHRISTIAN VON DORRIEN
Zusammenfassung
Summary
Bedingt durch den Niedergang zahlreicher Fischbestände sowie den negativen Einfluss der Fischerei auf
viele Lebensräume und Arten besteht derzeit ein hohes
öffentliches Interesse an der Einrichtung von Meeresschutzgebieten. Meeresschutzgebiete, in denen aus
Gründen des Fischereimanagements eine bestimmte
oder jede Fischerei untersagt ist, werden häufig als
„Geschlossene Gebiete“ (GG) bezeichnet. Diese werden zunehmend als ein – wenn nicht DAS – Mittel propagiert, um überfischte Bestände wieder aufzubauen
und ihre nachhaltige Nutzung zu gewährleisten. Auch
wenn belegt werden kann, dass innerhalb eines GG
die Bestände zunehmen, steht dieses für die Fischerei nicht mehr zur Verfügung. Die Fischerei kann daher
erst dann von einer möglichen Zunahme der Bestände
profitieren, wenn diese auch außerhalb des GG zunehmen. Dabei muss die Zunahme aber den Verlust des
Fanggebietes mindestens kompensieren oder übersteigen, damit das GG einen direkten ökonomischen
Nutzen für die Fischerei hat. Die wenigen bisher in gemäßigten Breiten durchgeführten Untersuchungen GG
zeigen, dass die Schließung von Fanggebieten bisher
nur in einigen Fällen, unter bestimmten Bedingungen
und gemeinsam mit anderen Maßnahmen erfolgreich
für den Wiederaufbau und den Schutz von Fischbeständen war. Die erfolgreiche Anwendung von GG als
ein Instrument im Fischereimanagement erfordert eine
sehr gute wissenschaftliche Grundlage über die Ökologie und Fischereibiologie der betroffenen Gebiete und
Bestände. GG sind kein Allheilmittel für alle Probleme
in der Fischerei. Sie sind auch kein Ersatz für alle anderen Maßnahmen des Fischereimanagement, sondern
brauchen diese sogar, um wirksam sein zu können. Das
Fazit lautet daher, dass die Einrichtung Geschlossener
Gebiete ein sinnvolles Instrument unter mehreren im Fischereimanagement sein kann.
Because of the decline of many fish stocks and the impact of fisheries on habitats and species, there exists
a high public interest in the establishment of marine
protected areas. Marine protected areas where certain or all types of fisheries are prohibited as a means
of fisheries management are often called „Closed Areas“ (CA). They are increasingly propagated as the
one and only measure to rebuild depleted stocks and
ensure their sustainable use. Even CAs where stocks
have definitely increased are no longer accessible to
fisheries. Therefore, fisheries presently benefit only from
stock increases outside the CAs. However, in order to
be commercially viable to fisheries, such increases
must at least compensate for lost fishing areas. The few
investigations carried out so far in temperate seas have
shown that fish stocks have been successfully rebuilt
and protected by closing particular fishing areas under
specific conditions, accompanied by other measures.
Successful use of CAs as a tool of fisheries management requires a sound scientific knowledge base on the
ecology and fisheries biology of the areas and stocks
affected. CAs are not a „cure-all“ for all problems affecting fisheries. Neither are they a replacement for all
other measures of fisheries management, but they need
these measures in order to be effective. The conclusion
is that CAs could be one useful fisheries management
tool among others.
115
116
Meeresnaturschutz
Einleitung
In den letzten Jahren sind der Niedergang vieler
Fischbestände sowie der negative Einfluss, den die
Fischerei auf die marinen Lebensräume und Arten
ausüben kann (z. B. durch Beifänge), zunehmend in
das öffentliche Interesse gerückt. Meeresschutzgebiete werden dabei als ein effizienter und preiswerter
Weg propagiert, um sowohl Arten und Lebensräume im Meer zu schützen als auch die Fischerei zu
erhalten und zu managen (Halpern [2003]). Selbst
Kritiker erkennen meist den grundsätzlichen Nutzen
von Meeresschutzgebieten an (Browman and Stergiou [2004]). Als Folge dieser Entwicklung gab es
zahlreiche internationale Beschlüsse, regional und
weltweit Meeresschutzgebiete einzurichten. Im Jahr
2002 einigten sich auf dem Gipfeltreffen zur Nachhaltigen Entwicklung in Johannesburg (World Summit on Sustainable Development, WSSD) die Staatsund Regierungschefs, bis 2012 ein repräsentatives
Netzwerk von Meeresschutzgebieten einzurichten
(WSSD [2002]).
Die für den Meeresschutz im Nordostatlantik zuständige OSLO-PARIS-Kommission (OSPAR) empfiehlt in
einem Beschluss von 2003, bis 2010 ein ökologisch
kohärentes Netzwerk von gut verwalteten Meeresschutzgebieten einzurichten (OSPAR [2003]).
In einer Kommunikation über die EU-Meeresstrategie der EU-Kommission heißt es, dass die EU-Direktiven zur Einrichtung von Natura-2000-Gebieten zum
Schutz von Vögeln und Lebensräumen auch in den
Ausschließlichen Wirtschaftszonen (AWZ) der EUStaaten angewendet werden sollten. Diese Interpretation wird auch vom EU-Fischereirat unterstützt (COM
[2002]). Die AWZ bezeichnet jenes Meeresgebiet, in
dem die einzelnen Staaten zwar keine Hoheitsrechte
mehr besitzen, wohl aber das exklusive Recht auf
die Nutzung der nachwachsenden Ressourcen. Die
AWZ umfassen dabei meist den Streifen zwischen 12
und 200 Seemeilen vor den jeweiligen Küsten.
Die deutsche Bundesregierung hat 2004 die ersten
Natura-2000-Gebiete in der deutschen AWZ offiziell
an die EU-Kommission nach Brüssel gemeldet.
Allerdings stellt das Sekretariat der BiodiversitätsKonvention auch fest, dass Meeresschutzgebiete
kein kostenloses Instrument sind, sondern ihre Einrichtung und ihr Management erhebliche Investitionen erfordern und die meisten dieser Gebiete
zudem einen Einfluss auf die vorhandenen Nutzer
dieser Gebiete haben. Diese Kosten müssen durch
den Nutzen, den Meeresschutzgebiete aufweisen,
ausgeglichen werden (Secretariat of the Convention
on Biological
���������������������
Diversity [2004]).
��������
Definition
Für Meeresschutzgebiete gibt es je nach Zielrichtung,
Schutzgrad und Sprache viele verschiedene Ausdrücke. Auch durch die Übersetzung aus anderen
Sprachen ergeben sich unterschiedliche Begriffe und
Bedeutungen. Im englischsprachigen Raum wird am
häufigsten der Begriff „Marine Protected Area“ (kurz:
MPA) verwendet. Das Akronym MPA wird dabei auch
im deutschen Sprachgebrauch häufig für die Bezeichnung von Meeresschutzgebieten verwendet. Für den
vorliegenden Artikel wurde die folgende Definition, die
von OSPAR [2003] 2003 verwendet wurde, zugrunde
gelegt:
„’Marine Protected Area’ means an area within the
maritime area for which protective, conservation, restorative or precautionary measures, consistent with
international law have been instituted for the purpose of protecting and conserving species, habitats,
ecosystems or ecological processes of the marine
environment.“
Da die für OSPAR und HELCOM (die mit dem Schutz
der Ostsee befasste Helsinki-Kommission) zuständigen Minister auf ihrer gemeinsamen Sitzung 2003
in Bremen gemeinsame Ziele für die Einrichtung von
Meeresschutzgebieten beschlossen haben, kann
diese Definition auch für die Ostsee angewendet
werden.
Aus dieser Definition geht nicht hervor, dass in einem
Meeresschutzgebiet per se alle Nutzungen generell
untersagt werden müssen. Es ist lediglich die Bezeichnung für ein Meeresgebiet, in dem bestimmte
Schutzmaßnahmen gelten. Im Umkehrschluss bedeutet dies, dass in einem Meeresschutzgebiet jene
Nutzungen erlaubt sein können, die nicht die Schutzziele gefährden. Meeresschutzgebiete können Lebensräume und Arten wie z. B. Tiefseekorallenriffe vor
möglichen negativen Folgen einer Fischerei schützen,
wenn sie wissenschaftlich fundiert und gut verwaltet
sind. Auf Meeresschutzgebiete, die allein dem Naturschutz dienen sollen, wird in diesem Artikel nicht weiter eingegangen.
Meeresnaturschutz
Meeresschutzgebiete, in denen vorwiegend aus
Gründen des Fischereimanagements eine bestimmte
oder auch jede Fischerei untersagt ist, werden häufig
als „Geschlossene Gebiete“, englisch ‚Closed Areas’ bezeichnet. Diese Art von Meeresschutzgebieten bilden den Schwerpunkt dieses Artikels. Dabei
wird im Wesentlichen auf einen Aspekt der Einrichtung Geschlossener Gebiete eingegangen: Welche
Bedeutung – positiv und negativ – haben Geschlossene Gebiete für die kommerzielle Fischerei und insbesondere für das Fischereimanagement?
Geschlossene Gebiete als ein Instrument
im Fischereimanagement
Schwerpunkt des Artikels ist die Einrichtung Geschlossener Gebiete als ein Instrument in der Verwaltung einer Fischerei. Es soll die Frage erörtert
werden, ob es unmittelbare positive Effekte für die Fischerei hat, wenn Gebiete für die gesamte Fischerei
oder bestimmte Fanggeräte geschlossen werden.
Die Einrichtung von Geschlossenen Gebieten kann
mit einem oder auch mehreren der folgenden fischereilich relevanten Ziele im Fischereimanagement erfolgen:
• Wiederaufbau überfischter Bestände
Geschlossene Gebiete werden häufig als ein – wenn
nicht DAS – Mittel propagiert, um überfischte Bestände wieder aufzubauen und vor einer nicht nachhaltigen Nutzung zu schützen. Auf diesen Aspekt
wird detailliert in den folgenden Abschnitten eingegangen.
• Schutz wichtiger Lebensräume (z. B. Laichgebiete) und Lebensstadien (z. B. Jungfische)
Wenn bestimmte Bereiche, wie zum Beispiel Riffgebiete für die Fortpflanzung eines genutzten Bestandes wichtig sind und diese durch eine Fischerei gefährdet würden, ist eine Schließung sinnvoll.
Gleiches gilt für Gebiete, in denen sich die Elterntiere zum Laichen konzentrieren und damit
einem erhöhten Fischereidruck ausgesetzt sein
können. Ein Beispiel dafür ist die Schließung des
Bornholmbeckens für die Dorschfischerei in der
Ostsee. In anderen Gebieten können Jungfische
in hohen Konzentrationen auftreten, was bei einer
dort stattfindenden Fischerei zu hohen Beifängen
führen und dadurch den Nachwuchs in den genutzten Bestand gefährden könnte.
• Grundsätzliche Erhaltung der Struktur des Ökosystems und der genutzten Bestände
Ein Beispiel hierfür wäre das Verbot einer Grundschleppnetzfischerei in Seegraswiesen, die für
den langfristigen Erhalt dieser Lebensräume und
der genutzten Bestände notwendig sind.
• Eine Art „Versicherung“ gegen Umweltveränderungen und Managementfehler
Wenn in den befischten Gebieten - z. B. durch
falsche Entscheidungen in der Verwaltung der Fischerei - genutzte Bestände zusammenbrechen,
sollen die unbefischten Gebiete dazu dienen, den
Wiederaufbau zu ermöglichen oder zu beschleunigen.
• Nutzung als Referenzgebiet im Vergleich zu befischten Gebieten
Bestimmte Auswirkungen der Fischerei lassen sich
nur dann am besten erforschen, wenn Gebiete mit
und ohne Fischereieinfluss miteinander verglichen
werden können. Dazu muss es Gebiete mit vergleichbaren Bedingungen und Habitaten geben,
in denen keine Fischerei stattfindet.
Wirkungsweise von Geschlossenen Gebieten
Die grundsätzliche Vorstellung ist, dass innerhalb
eines Gebietes, dass vollständig für die Fischerei
geschlossen wird, die Anzahl (Abundanz) und/oder
Größe und Gewicht der einzelnen Individuen zunehmen und dadurch die Biomasse insgesamt ansteigt
(Abb. 1). Dies konnte für viele Gebiete und Arten,
vor allem ortsfeste und –treue Arten (z. B. Muscheln)
nachgewiesen werden. Damit wäre also ein Schutzziel innerhalb des Gebietes erreicht. Das Management einer Fischerei hat aber das Ziel, den Ertrag
dauerhaft auf einem möglichst hohen Niveau zu sichern – also eine für den genutzten Bestand nachhaltige Fischerei auf möglichst hohem Niveau zu etablieren. Durch die Einrichtung eines Geschlossenen
Gebietes verliert die Fischerei aber zuerst einmal
mögliche Fanggründe, das betroffene Gebiet steht
der Fischerei nicht mehr zur Verfügung. Ökonomisch
betrachtet entstehen also durch die Einrichtung eines
Geschlossenen Gebietes für die Fischerei Kosten
durch Verlust von Fanggebieten. Diese Kosten können auch sehr direkt z. B. dadurch entstehen, dass
die Fischereifahrzeuge in weiter entfernt liegende
Fanggebiete ausweichen müssen.
117
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Meeresnaturschutz
Die Fischerei kann erst dann von einer möglichen
Zunahme von Abundanz und Biomasse in dem Geschlossenen Gebiet direkt profitieren, wenn auch
außerhalb des Gebietes die genutzten Bestände
zunehmen. Diese Zunahme muss dabei den Verlust
des Fanggebietes ausgleichen oder übersteigen,
damit das Geschlossene Gebiet einen direkten ökonomischen Nutzen für die Fischerei hat.
damit auch größere Mengen an Nachwuchs produziert. Durch vorhandene Meeresströmungen werden
dann die Eier und Larven in verstärktem Maße aus
dem Geschlossenen Gebiet heraus transportiert.
Das wiederum führt dann zu einer Zunahme des Bestandes auch in den umliegenden für die Fischerei
zugänglichen Gebieten (Abb. 2).
Damit die Vorteile eines Geschlossenen Gebietes
auch in den für die Fischerei zugänglichen Bereichen verfügbar werden, muss mindestens einer
von zwei Prozessen stattfinden, die als „Export“ und
„Spillover-Effekt“�������������������������������
bezeichnet werden. Die beiden
Prozesse können auch gemeinsam auftreten.
Abb. 2: Schematische Darstellung des ‚Export’-Prozesses. Mehr
und größere Elterntiere produzieren mehr Eier und Larven, die aus dem Geschlossenen Gebiet heraustreiben
und damit zu einer Vergrößerung des Bestandes in den
umliegenden Gebieten führen
Spillover-Effekt
Abb. 1: Schematische Darstellung der Wirkungsweise eines Geschlossenen Gebietes. Innerhalb des Gebietes ist die
Fischerei nicht mehr erlaubt, Abundanz und Biomasse
des Bestandes nehmen zu
Export
Der ‚Export’-Prozess ist vor allem für ortsfeste oder
–treue Organismen wie z. B. Muscheln oder Krebse
notwendig, die als erwachsene Tiere gar nicht oder
nur geringe Entfernungen wandern. Er beruht vor
allem auf der Annahme, dass durch den Wegfall der
Fischerei innerhalb eines Geschlossenen Gebietes
die genutzten Organismen älter und damit größer
werden. Bei vielen Arten nimmt die Fruchtbarkeit der
Weibchen – im Wesentlichen die Anzahl der Eier – mit
zunehmender Größe überproportional zu. Nimmt infolge des fehlenden Fischereidruckes die Anzahl der
Elterntiere, vor allem größerer Individuen, zu, werden
Beim „Spillover-Effekt“ geht man davon aus, dass sich
die Bestände innerhalb eines Geschlossenen Gebietes - begünstigt durch den fehlenden Fischereidruck - so stark entwickeln, dass die Abundanz der
erwachsenen Tiere (Adulte) immer weiter anwächst.
Aufgrund der hohen Dichte beginnen dann die
Adulten aus dem Geschlossenen Gebiet heraus in
die umliegenden für die Fischerei zugänglichen Bereiche zu wandern. Dort nehmen dann sowohl Abundanz und Biomasse der Bestände als auch dadurch
bedingt die Fänge der Fischerei zu (Abb. 3).
Meeresnaturschutz
kungen der Bestandsdichten oder Veränderungen
in den Befischungsmustern die als Folge der Geschlossenen Gebiete stattfindenden Veränderungen
der Bestände überlagern.
Welche Belege gibt es?
Abb. 3: Schematische Darstellung des „Spillover-Effektes“. Die
Dichte der erwachsenen Tiere hat innerhalb des Geschlossenen Gebietes stark zugenommen, sie wandern in
die umliegenden Bereiche ab
Wie lassen sich diese Vorteile nachweisen?
Wie bei jeder Maßnahme, sollte auch die Wirksamkeit von Geschlossenen Gebieten belegt werden
können. Theoretisch erscheint dies zunächst einmal
einfach: Es müssen die Unterschiede in der Abundanz, Biomasse und anderen Populationsparametern (Alter, Fruchtbarkeit) gemessen und verglichen
werden. Einerseits zwischen den Geschlossenen
und den offenen Gebieten sowie andererseits im
gleichen Gebiet vor und nach dessen Schließung.
Die praktische Umsetzung weist allerdings eine
Vielzahl von Schwierigkeiten auf. Voraussetzung
sind sorgfältig geplante umfangreiche Untersuchungen der Organismen, meist in Bereichen der
Hohen See. Die dazu notwendigen Finanzen, Personal- und Schiffskapazitäten sind nicht immer gegeben. Sollen Geschlossene und offene Gebiete
verglichen werden, müssen diese Gebiete in ihren
wesentlichen Parametern (z. B. Bodenbeschaffenheit, Meeresströmungen, etc.) vergleichbar sein. Da
alle Untersuchungen und insbesondere jene, die einen Vergleich Vorher/Nachher anstellen sollen, über
mehrere Jahre erfolgen müssen, dürfen sich die
Bedingungen nicht stark ändern oder aber die Veränderungen müssen genau bekannt sein. Es kann
sogar sein, dass der Nachweis der Wirksamkeit in
unseren gemäßigten Breiten gar nicht oder nur nach
sehr langer Zeit gelingen kann, da während des
Untersuchungszeitraumes die natürlichen Schwan-
Es gibt vor allem Belege für sessile und ortstreue Arten (z. B. Muscheln oder Krebse) sowie Arten aus
tropischen Bereichen, z. B. Korallenriffen (z. B. Gell
and Roberts [2003]). Der Grund liegt zum einen darin, dass gerade in den Tropen bereits zahlreiche
Geschlossene Gebiete eingerichtet wurden. Zum anderen sind auch die dort genutzten Fischarten häufig
ortstreuer (z. B. über Riffen), so dass Nachweise der
Wirksamkeit für diese Arten leichter gelingen.
In den gemäßigten Bereichen und für mobilere Arten,
zu denen die meisten der hier genutzten Fischarten
zählen, sind viel weniger entsprechende Untersuchungen vorhanden (ICES [2004], Murawski et al.
[2000]).
Die ‚ICES Working Group’ on Ecosystem Effects of
Fishing Activities (WGECO) hat im Jahr 2004 einen
Bericht vorgelegt, der folgende Aufgaben hatte
(ICES, 2004):
Die Analyse von Daten über die Reaktionen von Ökosystemen auf die räumliche Reduzierung von Fischereiaktivitäten in gemäßigten Meeresgebieten sowie
die Beschreibung von Ähnlichkeiten und Unterschieden in der biologischen Entwicklung dieser Gebiete.
Einige der Ergebnisse aus dieser Studie werden im
Folgenden wiedergegeben:
Verbot von Schleppnetzen im Öresund
In dem ca. 1700 km2 großen Gebiet, das den schmalen Sund zwischen Schweden und Dänemark umfasst
und 8 bis 40 Meter tief ist, wurde die Verwendung aller
geschleppten Fanggeräte bereits im Jahr 1932 verboten. Der Grund war die allgemeine Gefährdung des
Schiffsverkehrs in diesem stark befahrenen Gebiet.
Passive Fanggeräte wie z. B. Stellnetze waren allerdings weiterhin erlaubt, der Fischereiaufwand nahm
seit 1932 im Laufe der Zeit stark zu. Insgesamt ist
der Fischereiaufwand in diesem Gebiet aber deutlich
geringer als in den angrenzenden Gebieten. In dem
Gebiet befinden sich Laichgebiete des Dorsches
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Meeresnaturschutz
(Gadus morhua) sowie einiger anderer Fischpopulationen. Die Tatsache, dass Dorsch dort laicht und
höchstwahrscheinlich sogar eine lokale Dorschpopulation existiert, hat vermutlich den positiven Effekt
des Geschlossenen Gebietes auf die Dorschpopulation verstärkt. In dem Gebiet findet neben der
Stellnetzfischerei immer noch Schleppnetzfischerei
in geringem Umfang statt, sowohl durch Boote, die
das Gebiet durchfahren, als auch durch dänische
Trawler im nördlichen Teil. Es gibt zwar Kontrollen,
aber die Strafen sind gering im Vergleich zu den
möglichen hohen Profiten. Außerdem kooperieren
die Fischer, indem sie gemeinsam Ausguck halten
und einen gemeinsamen „Bußgeld-Fond“ finanzieren, der für beschlagnahmtes Fanggerät aufkommt.
Trotzdem sind die Unterschiede zwischen dem Geschlossenen Gebiet des Öresund und dem angrenzenden Kattegat vor allem bei größeren Individuen
enorm (Tabelle 1). Sie beruhen auf dem Mittel von
Einheitsfängen (Catch per Unit Effort, CPUE) die zwischen 2001 und 2002 im Öresund und dem angrenzenden Kattegat durchgeführt wurden.
Art
Längenbereich
(cm)
Unterschied
(%)
Dorsch
> 50
10.700
Dorsch
30 >< 50
2.300
Dorsch
< 30
48
Schellfisch
> 30
52.500
Schellfisch
< 30
107
Wittling
> 30
512
Wittling
< 30
22
Scholle
> 30
1.260
Scholle
< 30
16
Rotzunge
> 30
2.330
Rotzunge
< 30
840
Tab. 1: Vergleich von Einheitsfängen aus dem für die Schleppnetzfischerei geschlossenen Öresund mit dem angrenzenden Kattegat, in dem diese Fischerei erlaubt ist. Angegeben sind Fischart, Größenbereich und Unterschied
in Prozent des Fanges im Öresund im Vergleich zum
Kattegat. (Daten nach ICES [2004])
Obwohl das Gebiet nicht aus fischereilichen Gründen
geschlossen wurde, ist es für die lokalen Fischpopulationen und für die in dem Gebiet erlaubte Fischerei
ein Erfolg. Das liegt vermutlich auch daran, dass die
dort dominierende Stellnetzfischerei nicht so große
Individuen fängt wie eine Schleppnetzfischerei und
auch nicht so effizient ist.
Schollenbox in der Nordsee
Die so genannte Schollenbox ist ein teilweise Geschlossenes Gebiet entlang der Nordsee-Küsten von
Dänemark bis zu den Niederlanden, in dem der Fang
mit Schiffen verboten ist, deren Maschinen stärker
als 300 PS sind. Die Schollenbox wurde 1989 zuerst
nur für das zweite und dritte Quartal eingerichtet, ab
1995 ganzjährig. Das Ziel war, Beifang und Rückwürfe untermaßiger Schollen (Pleuronectes platessa) in
diesem Haupt-Aufwuchsgebiet zu verringern und
dadurch den Nachwuchs für den befischten Bestand
zu vergrößern.
Obwohl die Effizienz der Schließung nahezu 100 %
beträgt, erfüllt die Schollenbox dennoch nicht das
gesetzte Ziel, insgesamt den Beifang untermaßiger
Schollen zu verringern. Die Nachwuchszahlen stiegen nicht an, sondern nahmen sogar weiter ab,
nachdem das Gebiet geschlossen wurde.
Zwar wurde der Fischereiaufwand in dem Gebiet verringert (um 60 % bei der halbjährigen und um 94 %
ab der ganzjährigen Schließung). Aber zum einen
verlagerte sich die Fischerei der größeren Trawler
in das direkt an die Schollenbox angrenzende Gebiet. Außerdem sind die kleineren Kutter mit weniger
als 300 PS Motorleistung weiterhin in dem Gebiet
erlaubt. Hinzu kam, dass die jungen Schollen sich
seit der Schließung zunehmend in tieferen Wasserschichten und damit außerhalb der Schollenbox aufhalten – und somit von der Fischerei erfasst werden.
Die Ursache hierfür sind vermutlich durch den Klimawandel bedingte steigende Wassertemperaturen.
Insgesamt wurden zwei Jahre benötigt, bis das
Gebiet eingerichtet wurde; die wissenschaftliche
Begründung lag bereits 1987 vor. Ein ähnlicher Vorschlag des ICES wurde sogar schon 1921 gemacht.
Meeresnaturschutz
Kabeljaubox in der Nordsee 2001
In einem Gebiet, das große Bereiche der zentralen und
nördlichen Nordsee umfasste, wurde vom 15.2. bis
30.4.2001 der Einsatz aller Fanggeräte verboten, mit
denen Kabeljau (Gadus morhua) gefangen werden
konnte. Damit sollte die in diesem Gebiet laichende
und damit in höheren Dichten auftretende Kabeljaupopulation geschützt werden. Dank der Überwachung
der Fahrzeuge mit Satellitentechnik (VMS, Vessel Monitoring System) war die Einhaltung sehr gut, der Fischereiaufwand wurde um vermutlich 100 % gesenkt.
Allerdings verlagerten sich die Fangaktivitäten direkt
in die Gebiete außerhalb der Grenzen sowie in andere
Fanggebiete außerhalb der Nordsee. Für die Kabeljaupopulation hatte diese Maßnahme keinen positiven
Effekt. Zwar waren die Fänge nach der Öffnung kurzzeitig höher, erreichten aber nach 2 bis 3 Wochen wieder ein normales Niveau. Insgesamt war die Dauer der
Schließung sehr kurz, um einen positiven Effekt auf den
Kabeljaubestand haben zu können. Der Hauptgrund
für diesen Misserfolg war aber, dass sowohl die Lage
als auch der Zeitraum für das Geschlossene Gebiet
schlecht gewählt waren. Das Geschlossene Gebiet
überlappte nur teilweise mit den bekannten Laichgebieten. Auf den südlichen Fanggründen lag die Hauptlaichzeit in den Kalenderwochen 4 bis 7, auf den nördlichen etwas später. Die Schließung erfolgte aber in
den Kalenderwochen 8 bis17, so dass vermutlich nur
der zweite Abschnitt der Laichsaison geschützt wurde. Wahrscheinlich hatte die Gebietsschließung sogar
negative Folgen auf die Beifangraten von anderen
demersalen (bodennah lebenden) Fischarten, da die
Schleppnetzaktivitäten in Gebieten zunahm, die normalerweise nicht befischt wurden.
Georges Bank
Auf die Ergebnisse aus den Gebieten vor Neufundland, wo nach dem Zusammenbruch der Kabeljauund anderer Grundfischbestände große Gebiete seit
mehr als zehn Jahren geschlossen sind, soll etwas
ausführlicher eingegangen werden. Vor allem, da der
Anteil der Geschlossenen Gebiete mit ca. 40 % des
gesamten Gebietes sehr groß ist und die lange Zeit
der Einrichtung – immerhin über 10 Jahre – in einem
Gebiet der gemäßigten Breiten eine gute Grundlage
bietet, Beispiele für Erfolg und Nicht-Erfolg zu liefern.
Grundlage für die Darstellung sind vor allem die folgenden Publikationen: Murawski et al. [2000]), Murawski et al. [2004, 2005] und ICES [2004].
Nach dem Zusammenbruch vieler Grundfischbestände vor den Küsten Kanadas und der nördlichen
USA wurden dort mehrere Geschlossene Gebiete
eingerichtet, um wichtige Grundfischbestände,
darunter Kabeljau, Schellfisch (Melanogrammus
aeglefinus) und Gelbschwanz-Flunder (Limanda
ferrugineus), im Rahmen des Nordost-Mehrarten-Fischereimanagementplanes zu schützen. Vor allem
diese Bestände waren durch starke Überfischung
beeinträchtigt und teilweise zusammengebrochen.
Erschwerend kam hinzu, dass die Jungtiere vor dem
ersten Laichen gefangen wurden und die Lebensräume der Bestände durch die Bodenfischerei zerstört
wurden. In den Geschlossenen Gebieten ist der Einsatz aller Fanggeräte untersagt, die Grundfischarten
fangen können. Dazu zählen Grundschleppnetze,
Muscheldredgen, Stellnetze und Langleinen. Andere
Methoden sind nur erlaubt, wenn keine Beifänge der
betroffenen Arten auftreten.
Zu den Gebieten gehören die permanent Geschlossenen Gebiete Georges Bank Closed Area I und II
(CA I und II) sowie Nantucket Lightship (NLS). Diese
Gebiete weisen geeignete Laichgebiete für Grundfischbestände auf.
Insgesamt sind die Geschlossenen Gebiete für viele,
aber nicht die Mehrheit der Bestände, als Erfolg zu
werten. In allen Gebieten wurde die fischereiliche
Sterblichkeit verringert. Besonders die Bestände der
Kammmuschel (Placopecten magellanicus) nahmen
so stark zu, dass eine stark begrenzte und regulierte
Fischerei auf sie wieder innerhalb der Gebiete zugelassen wurde. In den Gebieten CA I und II stiegen die Laicherbestände von Kabeljau, Schellfisch
und Gelbschwanzflunder an. Die mittlere Dichte des
Schellfisch nahm vor allem im Gebiet CA I erheblich zu, so dass Murawski et al. [2005] dieses Gebiet
bezeichnen als „eine besonders beeindruckende
Demonstration einer Gebietseinrichtung (CA I), das
in Übereinstimmung ist mit der Lebensgeschichte
sowie den Habitat-Präferenzen und Wanderungsmustern von einer wichtigen Ressourcenart, deren
Erhaltung das Schutzgebiet unterstützen sollte“.
Welche Ergebnisse gab es nun außerhalb der Geschlossenen Gebiete? Wurde dort auch die Situation der Fischerei verbessert? Einen eindrucksvollen
Beleg dafür liefert die Fischerei vor allem auf Schellfisch, die sich zu einem großen Teil auf die Grenzen
der Schutzgebiete konzentriert, was im Englischen
als „fishing the edge“ bezeichnet wird. Ein Merkmal
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Meeresnaturschutz
für den so genannten „Spillover-Effekt“ ist eine negative Dichte-Distanz-Beziehung. Damit ist gemeint,
dass bei standardisierten Fängen außerhalb der Geschlossenen Gebiete die höchsten Abundanzen und
Biomassen direkt an den Grenzen der Geschlossenen Gebiete auftreten. Je größer die Entfernung
von der Grenze ist, desto geringer sind Abundanz
und Biomasse des jeweiligen Bestandes. Dieses
konnte vor allem für Schellfisch, aber auch für die
Gelbschwanzflunder nachgewiesen werden. Auch
die Tatsache, dass die Einheitsfänge der Fischerei
in einem wenige Kilometer umfassenden Bereich
außerhalb der Schutzgebietsgrenzen am höchsten
waren, belegt dieses. Allerdings war es den Autoren
um S. Murawski nicht möglich, dieses erhöhte Auftreten allein auf den „Spillover-Effekt“ zurückzuführen,
da die Ergebnisse durch saisonale Wanderungen
sowie Bevorzugung besser geeigneter Lebensräume (wie z. B. größere Meerestiefen), welche außerhalb der Geschlossenen Gebiete liegen, beeinflusst
wurden (Murawski et al. [2004 and 2005]).
Die Bestände von Kabeljau und auch Seelachs
(Pollachius virens) zeigten außerhalb der Geschlossenen Gebiete jedoch bisher keine Anzeichen einer
Erholung, da sie in Folge ihrer Wanderungsbewegungen immer noch zu stark befischt werden. Für
Kabeljau sollten daher Geschlossene Gebiete zukünftig möglicherweise Wanderungskorridore umfassen (S. Murawski, pers. Mitteilung).
Die Erfolge beruhen aber nicht nur auf der Einrichtung Geschlossener Gebiete, auch wenn diese einen
wichtigen Beitrag leisten. Sie wurden erst ermöglicht
durch ein ganzes Bündel zusätzlicher weit gefasster
Managementmaßnahmen, wie:
• reduzierter Fischereiaufwand, für einige Bestände
um immerhin 50 %
• Begrenzung der Fangreisen,
• vergrößerte Maschenweiten und
• Reduzierung der erlaubten Fangmengen (Total Allowable Catch, TAC) in Kanada.
Hinzu kommt, dass zu dem Netzwerk von 17.000 km2
ganzjährig Geschlossener Gebiete weitere 50.000 km2
Gebiete eingerichtet wurden, die als sogenannte „rolling closures“ nur während ganz bestimmter Zeiträume im Jahr geschlossen sind.
Haben Geschlossene Gebiete positive
Effekte für die Fischerei?
Die bisherigen wissenschaftlichen Ergebnisse für
Geschlossene Gebiete zeigen, dass in gemäßigten
Breiten die Schließung von Fanggebieten bisher nur
in einigen Fällen, unter bestimmten Bedingungen und
zusammen mit anderen Maßnahmen, erfolgreich für
den Wiederaufbau und den Schutz von Fischbeständen war. Das Beispiel der Schollenbox gibt Hinweise
darauf, dass äußere Entwicklungen – wie in diesem
Fall Veränderungen der Wassertemperaturen - den
möglichen Erfolg eines Geschlossenen Gebietes
zunichte machen können. Und die Kabeljaubox in
der Nordsee demonstriert, wie durch unzureichende
politische Entscheidungen ein Erfolg von vornherein
verhindert wird und welche negativen Folgen durch
die Verlagerung des Fischereiaufwandes in andere
Gebiete entstehen können.
Geschlossene Gebiete allein können nicht die Folgen
einer erheblichen Überkapazität der Fischereiflotte
kompensieren (Murawski et al. [2005]).
Anforderungen an die
schlossener Gebiete
Anwendung
Ge-
Die erfolgreiche Anwendung von Geschlossenen
Gebieten als ein Instrument im Fischereimanagement
erfordert eine sehr gute wissenschaftliche Grundlage über die Ökologie und Fischereibiologie der betroffenen Gebiete und Bestände. Diese Kenntnisse
müssen die Grundlage für die Wahl von Lage, Größe
und Anzahl bilden. Außerdem müssen Informationen
über die derzeitige Fischerei sowie Abschätzungen
über die möglichen Folgen einer Verlagerung der
vorhandenen Fischereiaktivitäten mit einbezogen
werden. Die Ziele, die mit der Einrichtung eines Geschlossenen Gebietes erreicht werden sollen, müssen klar definiert sein. Von diesen Zielen hängt es
ab, wie groß das Gebiet sein muss und wie lange es
dauern wird, bis diese Ziele erreicht sind.
Über die Fragen der Skalierung von Größe und Zeit
im Zusammenhang mit Geschlossenen Gebieten
besteht zurzeit noch keine Klarheit, hier ist weitere
intensive Forschung notwendig. Außerdem sind für
den Nachweis der Wirksamkeit von eingerichteten
Geschlossenen Gebieten sorgfältige wissenschaftliche Untersuchungen (Monitoring) sowohl vor und
nach der Einrichtung, als auch innerhalb und außer-
Meeresnaturschutz
halb der GG notwendig. Die gewonnenen Ergebnisse sollten dann die Basis bilden für eine regelmäßige Überprüfung der Ziele und wie weit sie erreicht
worden sind. Sollten sich die Ziele als unrealistisch
erweisen, müssen die beschlossenen Managementmaßnahmen für das Geschlossene Gebiet gegebenenfalls angepasst werden. Es ist auch denkbar,
Geschlossene Gebiete von vornherein mit einem
„Verfallsdatum“ zu versehen, nach dem sie wieder
aufgelöst werden, wenn es keine Anzeichen für positive Effekte geben sollte.
Bereits vor der Einrichtung eines Geschlossenen
Gebietes und soweit sinnvoll auch während dessen
dauerhaften Managements, sollten alle Interessensgruppen, darunter vor allem die Fischerei, in einem
offenen und transparenten Prozess mit einbezogen
werden. Dies ist eine wichtige Voraussetzung, um
mögliche Probleme in der Durchsetzung des Gebietes und der Befolgung der beschlossenen Maßnahmen zu verringern.
Fazit
Geschlossene Gebiete sind kein Allheilmittel für alle
Probleme in der Fischerei. Sie sind auch kein Ersatz
für alle anderen Maßnahmen des Fischereimanagement (wie z. B. Beschränkungen von Fangkapazität
und -aufwand), sondern brauchen diese sogar, um
wirksam sein zu können. Das Fazit lautet daher, dass
die Einrichtung Geschlossener Gebiete ein sinnvolles
Instrument unter mehreren im Fischereimanagement
sein kann.
Halpern, B. S., 2003: The impact of marine reserves:
do reserves work and does size matter? Ecological Applications, 13, 117-137.
ICES, 2004: Report of the Working Group on Ecosystem Effects of Fishing Activities. ICES CM 2004/
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Murawski, S. A., R. Brown, H.-L. Lai, P. Rago, L. Hendrickson, 2000: Large-scale closed areas as a
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Browman, H. I. and K. I. Stergiou, 2004: Introduction.
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Anschrift des Verfassers:
Dr. Christian von Dorrien
Bundesforschungsanstalt für Fischerei
Institut für Ostseefischerei
Alter Hafen Süd 2
18069 Rostock
123
Meeresnaturschutz
Schutzgebiete – der große Coup im Meeresschutz?!
*)
Marine Protected Areas – a big coup for marine environmental protection?
IRiS MENN
Zusammenfassung
Summary
Die Erde der blaue Planet: rund 70 % ihrer Oberfläche ist
von Ozeanen bedeckt. Von der Wasseroberfläche bis in
zehntausend Meter Tiefe, vom Schelf bis zu Hohen See
findet sich eine unzählige Vielfalt an Lebensräumen und
Meeresorganismen. Nahezu endlos ist jedoch auch die
Liste schonungsloser Ausbeutung und Zerstörung der
Meere: Fischerei, Öl- und Gasförderung, Sand- und
Kiesabbau, Einleitung von Giften und radioaktiven
Stoffen etc.. All dies führt dazu, dass Tier- und Pflanzenarten unwiederbringlich verschwinden und einzigartige
Lebensräume zerstört werden. Ein Netzwerk von großflächigen Schutzgebieten bietet eine Chance für den
Schutz der Meere. Zahlreiche wissenschaftliche Studien z.B. von Gebieten in den USA und den Philippinen
belegen ihren positiven Effekt für die Natur. Zum einen
können Arten und Lebensräume geschützt werden. Zum
anderen können sie die Erholung der Fischbestände
ermöglichen. Greenpeace hat konkrete Vorschläge für
die Nord- und Ostsee erarbeitet. Für deren Umsetzung
ist ein starkes politisches Gremium auf europäischer
Ebene nötig, dass die notwendigen Kompetenzen für
einen ganzheitlichen Meeresschutz besitzt. Schutzgebiete sind Teil eines Gesamtkonzeptes im Meeresnaturschutz. Weitere Maßnahmen in der Fischerei, bei der
Schifffahrt, dem Walschutz etc. sind genauso unerlässlich, um eine ökologisch nachhaltige und sozial verantwortliche Nutzung der Meere zu erreichen.
Earth, the Blue Planet: some 70 % of its surface is covered by the oceans. From the sea surface to a depth of
ten thousand metres and from the continental shelf to the
high seas, they harbour countless habitats and marine
organisms. However, there are also innumerable cases
of ruthless exploitation and destruction of the oceans:
fisheries, oil and gas production, sand and gravel extraction, toxic and radioactive discharges, among others. This leads to the disappearance of animal and
plant species and the destruction of unique habitats.
A network of large protected areas offers a chance to
protect the oceans. Their positive effect on nature has
been confirmed in numerous scientific studies of marine
areas, e.g. in the U.S.A. and the Philippines. Besides
providing effective protection for species and habitats,
they also allow fish stocks to recover. Greenpeace has
developed concrete measures for the North and Baltic Sea. Their implementation requires strong political
support at the European level by a body that has the
competences needed to ensure holistic marine environmental protection. Marine Protected Areas form part of
a global marine environmental protection concept. Additional measures in fisheries, shipping, and whale protection, among others, will be indispensable to ensure
an ecologically sustainable and responsible use of the
oceans.
*)
Ausführliche Artikel zu dieser Thematik wurden von Greenpeace veröffentlicht (siehe Literatur)
125
126
Meeresnaturschutz
Abb. 1: Schutzgebiete Nordsee
1)
12-Seemeilen-Zone/ 12 Nautical Mile Zone
2)
Ausschließliche Wirtschaftszone/ Exclusive Economic Zone
3)
keine echten Nutzungsbeschränkungen/ no strict management regulations
4)
ebenfalls in englischer Sprache erhältlich/ this source is also in English available (see references)
Meeresnaturschutz
Abb. 2: Schutzgebiete Ostsee
1)
12-Seemeilen-Zone/ 12 Nautical Mile Zone
2)
Ausschließliche Wirtschaftszone/ Exclusive Economic Zone
3)
keine echten Nutzungsbeschränkungen/ no strict management regulations
4)
ebenfalls in englischer Sprache erhältlich/ this source is also in English available (see references)
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Meeresnaturschutz
Literatur
Greenpeace, 2004: Mehr Meer - Ein Vorschlag für
Meeresschutzgebiete in Nord- und Ostsee (enthält Kartensammlung). Greenpeace e.V. (Hrsg.),
August 2004.
Greenpeace, 2004: Marine Reserves for the ������
North
and Baltic Seas (Set of Greenpeace maps).
Greenpeace e.V. (Edt.), August 2004.
Anschrift der Verfasserin:
Dr. Iris Menn
Biologist
Greenpeace Oceans Campaign
Greenpeace e. V.
Große Elbstr. 39
22767 Hamburg
Meeresnaturschutz
Aktivitäten zum Schutz der Kleinwale in Nord- und
Ostsee unter dem ASCOBANS-Abkommen
Activities to protect small cetaceans in the North and Baltic Seas
under the ASCOBANS convention
STEFAN BRÄGER
Zusammenfassung
Summary
Wale, Delphine und Schweinswale gelten in den meisten Ländern Euopas als besonders schützenswerte
Tiere. Dazu wurden unter der Bonner Konvention zum
Schutze wandernder Tierarten (CMS) zwei Regionalabkommen geschaffen, u. a. ASCOBANS für NordwestEuropa, welches auch alle deutschen Meeresgebiete
einschließt. Seit 1994 versuchen in diesem Abkommen
inzwischen zehn Staaten, den Kleinwalschutz gemeinsam voranzubringen. Genaue Bestandsgrößen der Delphine und Schweinswale sind sehr schwer zu erfassen.
Eine erste konzertierte Erfassung 1994/95 zeigte, dass
zumindest der Ostseebestand des Schweinswals akut
bedroht ist. Daraufhin erließ ASCOBANS den Jastarnia-Rettungsplan für den genetisch einzigartigen Ostsee-Schweinswal. Hauptziele sind die Reduktion der
Beifangverluste in Fischernetzen und die Schaffung von
Meeresschutzgebieten. Mit Letzterem hat Deutschland
auch eine Vorgabe der EU umgesetzt, wie die Karte der
jüngst gemeldeten Meeresschutzgebiete zeigt. Ostseeweit lassen die Aktivitäten zur Reduktion der Beifangrate
in der Stellnetzfischerei allerdings noch zu wünschen
übrig, denn eine EU-Verordnung für den Einsatz von
Pingern und Beobachtern wirkt hier kaum. Es besteht
eindeutiger Nachbesserungsbedarf, wenn der OstseeSchweinswal erfolgreich geschützt werden soll.
In most European countries, whales, dolphins, and harbour porpoises are considered to deserve special protection. For that purpose, two regional conventions have
been concluded within the framework of the Bonn Convention on the Protection of Migratory Species (CMS),
e. g. ASCOBANS for Northwest Europe, which also
includes the German marine waters. Since 1994, ten
states parties to the Convention have been jointly trying
to further the protection of small cetaceans. Stock sizes
of dolphins and harbour porpoises are very difficult to
ascertain. The first joint survey, carried out in 1994/95,
showed that at least the Baltic harbour porpoise stocks
are acutely threatened. ASCOBANS reacted by establishing the Jastarnia Plan to save the genetically unique
Baltic harbour porpoise. Its principal targets are a reduction of bycatch in fishing nets and the creation of
marine protected areas. By establishing the latter, Germany implemented an EU directive, as can be seen in a
chart showing recently notified marine protected areas.
However, considering the entire Baltic region, activities
to reduce bycatch in fixed-net fisheries have not been
very effective because an EU ordinance on the use of
pingers and observers hardly takes effect here. Measures will have to be improved considerably if protection
of the Baltic harbour porpoise is to be successful.
Wale, Delphine und Schweinswale stehen in Deutschland unter besonderem Schutz, der auch in verschiedenen internationalen Abkommen festgelegt wurde.
Unter der Schirmherrschaft der Bonner Konvention
über den Schutz wandernder Tierarten (UNEP/CMS)
wurden in Europa zwei regionale Abkommen zum
Schutz von Cetacea (Waltiere) im Mittelmeer und
Schwarzem Meer (ACCOBAMS) und in Nord- und
Ostsee (ASCOBANS) geschlossen.
Das „Abkommen zur Erhaltung der Kleinwale in
Nord- und Ostsee“ (ASCOBANS) trat am 29. März
1994 in Kraft. Es hat zehn Vertragsstaaten: Belgien,
Dänemark, Deutschland, Finnland, Frankreich, Littauen, Niederlande, Polen, Schweden und das Vereinigte Königreich (s. Abb. 1). Delegationen der
Vertragsstaaten treffen sich jährlich im beratenden
Ausschuss und alle drei Jahre zur Vertragsstaatenkonferenz. Das Abkommen hat ein ständiges Sekre-
129
130
Meeresnaturschutz
Abb. 1: ASCOBANS-Vertrags- und Arealstaaten (Stand: November 2005)
Quelle: www.ascobans.org
tariat mit Sitz in Bonn. Erklärtes Ziel des Abkommens
ist die Gewährleistung und Aufrechterhaltung eines
günstigen Erhaltungszustandes der Kleinwale in den
Gewässern der Vertragsstaaten (inkl. ihrer Ausschließlichen Wirtschaftszonen) und in angrenzenden Meeresgebieten (z. T. auch Hohe See).
Die europäischen Meere beherbergen eine Vielzahl
von Wal-, Delphin- und Schweinswalarten (Cetacea). In den deutschen Meeresgebieten lebt und
reproduziert sich allerdings nur der Schweinswal
regelmäßig, verschiedene weitere Arten können jedoch (oftmals durch Strandungen) nachgewiesen
werden, z. B. Großer Tümmler, Weißschnauzendelphin und Pottwal. Die Erfassung ihrer Bestände ist
notorisch schwierig und bedarf eines hohen personellen, zeitlichen und finanziellen Aufwandes.
Im Juli 1994 gelang ein internationaler Survey der
Nordsee mit Skagerrak und Kattegat (einschl. Belt-
see und Kieler Bucht) sowie kleiner Bereiche des direkt angrenzenden Atlantiks. Im Folgejahr konnte ein
Teil der zentralen und westlichen Ostsee abgeflogen
und mit Hilfe der Transekt-Zählungen der Schweinswal-Bestand hochgerechnet werden. In der Deutschen Bucht wurde damals der Bestand auf etwa
5912 Schweinswale geschätzt, in der Kieler Bucht
auf 588 und zwischen Fehmarn und Öland auf 599
Individuen.
Der Schweinswal-Bestand der zentralen Ostsee
(etwa östlich der Darßer Schwelle) gilt inzwischen
als genetisch und morphologisch verschieden vom
nächstgelegenen Bestand des Kattegats und der
Beltsee. Die Größe dieser Population ist wegen ihrer extrem geringen Dichte nur schwer zu schätzen,
doch dürfte sie heute zwischen 100 und 1000 Individuen liegen und gilt somit als hochgradig im Fortbestand gefährdet. Als Bedrohungsfaktoren gelten (wie
auch für viele Cetaceenbestände in anderen Gewäs-
Abb. 2: NATURA 2000 Schutzgebietsmeldungen nach FFH-Richtlinie und EU-Vogelschutzrichtlinie in der Deutschen Ausschließlichen Wirtschaftszone (AWZ) sowie Bundesländermeldungen innerhalb des Deutschen Hoheitsbereichs in der Ostsee.
Erstellt durch: Bundesamt für Naturschutz (BfN), Fachgebiet Meeres- und Küstenschutz, Stand: 28.04.2004
(Quelle: BfN, www.HabitatMareNatura2000.de)
Meeresnaturschutz
131
132
Meeresnaturschutz
sern) der unbeabsichtigte Beifang in Fischereigeschirr (z. B. Stell- und Treibnetzen) sowie Verschmutzung (Schwermetalle und organischer Industriemüll),
Lärm (durch Schiffsverkehr, geophysikalische Erkundungen, Bauvorhaben und Marine-SONAR) und
Habitatverluste (durch Industrieanlagen, Sand- und
Kiesabbau etc.).
Um das Schutzziel von ASCOBANS zu erreichen, bedient sich das Abkommen verschiedener Mittel wie
z. B. der Erstellung sogenannter Erhaltungspläne.
Beispielhaft soll im Folgenden kurz der „Recovery
Plan“ für den Ostsee-Schweinswal, der sogenannte
„Jastarnia-Plan“, vorgestellt werden. Der JastarniaPlan wurde 2002 erarbeitet und von der Vertragsstaatenkonferenz 2003 unterstützt. Er fordert die
Vertragsstaaten auf, umgehend einen Maßnahmenkatalog zur Rettung der stark dezimierten Population
umzusetzen. Dieser unterteilt sich in fünf Felder:
• Reduktion der Beifangverluste
• Forschung und Bestandsüberwachung
•· Schaffung von Meeresschutzgebieten
•· Öffentlichkeits- und Bildungsarbeit
•· Zusammenarbeit mit anderen internationalen Organisationen
Der Vermeidung des Beifangs in der Fischerei wird
die höchste Priorität zugewiesen, wobei eine Reduktion des Fischereiaufwandes bestimmter Fischereien,
ein Wechsel zu weniger destruktiven Fischereipraktiken, eine standardisierte Erfassung des Fischereiaufwandes und die kurzzeitige Verwendung von
akustischen Unterwasser-Vergrämern (sogenannten
Pingern) beschlossen wurden.
Bei der Umsetzung des Jastarnia-Planes hat Deutschland bisher eine Vorreiterrolle eingenommen. Es
wurden fünf potenzielle FFH-Meeresschutzgebiete
in der deutschen Ausschließlichen Wirtschaftszone
der Ostsee identifiziert und an die EU gemeldet, von
denen vier zwischen Kadetrinne und Pommerscher
Bucht liegen (Abb.2, siehe www.HabitatMareNatura2000.de). Der Schweinswal ist auch in der FaunaFlora-Habitat-Richtlinie der EU als „prioritäre“ und
somit besonders schützenswerte Art berücksichtigt.
Zur weiteren Implementierung des Jastarnia-Planes
wurde Mitte 2004 ein F&E-Vorhaben vom Bundesamt
für Naturschutz an das Deutsche Meeresmuseum in
Stralsund vergeben, welches bis Ende 2007 helfen
soll, zwei der drei Forschungsempfehlungen aus
dem Jastarnia-Plan in der deutschen Ostsee umzusetzen:
• Erkundung der Verwandtschaftsbeziehungen zwischen der Ostsee-Population und der Kattegat-Beltsee-Population
•· Entwicklung akustischer Erfassungsmethoden für
die Bestandsentwicklung.
Für Letzteres verwendet das Deutsche Meeresmuseum sogenannte Klickdetektoren, die unter Wasser
verankert werden, um die Lautäußerungen vorbeischwimmender Schweinswale zu erfassen und die
Daten zu speichern. Außerdem werden zusammen
mit der Universität Potsdam und dem FTZ der Universität Kiel in Büsum tote Tiere bekannter Herkunft
genetisch und pathologisch untersucht u.a. auch auf
Alter, Reproduktionsstatus, Giftbelastung und Krankheiten. Darüber hinaus wird im Rahmen des Projektes
eine Internet-gestützte Datenbank erstellt, in der alle
bekannten Sichtungen etc. aus der eigentlichen Ostsee zusammengetragen und einfach zugänglich gemacht werden (www.balticseaporpoise.org).
Leider ist die Umsetzung der akzeptierten Verpflichtungen in den anderen Ostsee-Anrainerstaaten noch
etwas schleppend. Auch Deutschland hat bisher
nicht die als am wichtigsten erkannten Empfehlungen
zur Vermeidung des Beifangs durch die Fischerei in
Angriff genommen. Die von der EU für die nächsten
Jahre vorgeschriebenen Maßnahmen (Pinger auf
Schiffen über 12 m Rumpflänge und Beobachter auf
etwa 5 % der Schiffe über 15 m Rumpflänge) werden leider in der deutschen Küstenfischerei nicht
greifen. Doch mathematische Populationsmodelle
zeigen, dass jedes einzelne beigefangene Tier beim
derzeitigen Zustand der Population einen nicht zu
ertragenden Verlust bedeutet.
Anschrift des Verfassers:
Dr. Stefan Bräger
Deutsches Meeresmuseum
Katharinenberg 14 - 20
18439 Stralsund
Meeresnaturschutz
Die südasiatische Tsunami-Katastrophe – ökologische
Aspekte des Desasters und der Folgenbewältigung
The Tsunami Catastrophe in South Asia – Ecological Aspects of the Disaster and
Management of its Consequences
UWE KRuMME
Zusammenfassung
Summary
Bereits vor der Tsunami-Katastrophe im Dezember
2004 befanden sich tropische Mangroven-, Korallenriff- und Seegraswiesenökosysteme in Südasien in
einem teilweise kritischen Zustand, hauptsächlich verursacht durch die Nutzung der Küstenzone durch den
Menschen. Der Grad der Schädigung bei Korallenriffen durch das Seebeben und den Tsunami reicht von
totaler Zerstörung bis hin zu keinen äußerlich erkennbaren Schäden. Mangroven wurden, je nach Standort
und Ausdehnung, komplett entwurzelt, nur an der Seeseite beschädigt oder blieben vollständig verschont.
Seegraswiesen sollen nur schwach (<10%) betroffen
sein. Intakte und gesunde Korallenriffe und Mangroven schützten dahinterliegende Küstenabschnitte und
führten zu geringeren Schäden an Land. Die Schutzwirkung von Mangroven ist offenbar eng an Waldbestände aus echten Mangrovenbaumarten geknüpft,
deren Struktur nicht durch mangroven-assoziierte Festlandvegetation verändert worden ist. In der Region kostet die Wiederaufforstung von Mangroven zwischen
100 und 300 US$ pro ha und ist damit eine preiswerte
Option für den Schutz der Küsten. Tropische Salzwiesen, Sanddünen, Kokosnuss- und Ölpalmplantagen
können ebenfalls zum Schutz vor Flutwellen beitragen.
Das Hauptproblem bleibt weiterhin die anthropogene
Vorschädigung der Küstenökosysteme, die die Rehabilitationsfähigkeit von Mangroven und Korallenriffen
gegenüber natürlichen Störungen drastisch herabsetzt.
Zukünftige Managementbemühungen sollten sich den
Erhalt intakter und die Wiederherstellung degradierter
Küstenökosysteme zum Ziel setzen.
Prior to the December 2004 tsunami in South Asia,
tropical mangrove, coral reef and seagrass meadow
ecosystems were in a critical condition, mainly due to
anthropogenic use of the coastal zone. The amount of
damage to the coral reefs caused by the seaquake and
tsunami varied from total destruction to complete absence of damage. Damage to mangroves ranged from
complete uprooting in some seaward locations to complete absence of damage in nearshore areas. Damage
to seagrass beds was observed to be low (<10%). Intact and healthy coral reefs and mangroves provided
shoreline protection and led to lower damage on land.
In the case of mangroves, this includes stands consisting of true mangrove species (e.g. non-invasive terrestrial vegetation). In South Asia, the cost of mangrove
reforestation ranges between 100 and 300 US$ per ha,
providing a low-cost option for rehabilitation. Tropical
salt marshes, sand dunes, and dense coconut and oil
palm tree corridors can also contribute to coastal protection against ocean-related disasters. The main problem still is the anthropogenic degradation of coastal
ecosystems, which dramatically reduces the resilience
of mangroves and coral reefs to natural disturbances.
Future management efforts should focus on the conservation of intact and rehabilitation of degraded coastal
ecosystems.
133
134
Meeresnaturschutz
Weltweit sind allein in den letzten 20 Jahren rund
30 % der Mangroven abgeholzt worden. Mehr als
50 % der weltweiten Verluste an Mangrovenfläche
gehen einzig und allein auf die Umwandlung der
Gezeitenwälder in Garnelen- und Fischzuchtteiche
zurück (Valiela et al. [2001]). Andere Ursachen für
den dramatischen Rückgang an Mangrovenfläche
sind z. B. die Rodung für Land- und Forstwirtschaft,
Salzgewinnung, Erdölförderung oder Urbanisierung
(Bau von Hafen- und Industrieanlagen, Strassenund Siedlungsbau).
Einleitung
Am 26. Dezember 2004 führte ein Seebeben der
Stärke 9,0 auf der Richterskala im Nordwesten Sumatras zu einem Tsunami, dem an den Küsten Südasiens fast 300.000 Menschen zum Opfer fielen.
Über die Auswirkungen des Tsunamis auf die tropischen Mangroven-, Korallenriff- und Seegraswiesenökosysteme an den Küsten Südasiens war
anfangs nur wenig bekannt. Die bis Ende August
2005 vorliegende Information - basierend auf Internet-Recherchen sowie Kontakten und Aktivitäten von
ZMT-Mitarbeitern in der Region - sind nachfolgend
aufgearbeitet. Insbesondere geht es um Mangroven
und Korallenriffe, ihre ökologische Situation vor und
nach dem Seebeben und dem Tsunami, sowie ihre
Rolle im Schutz vor Naturkatastrophen.
Die Analyse von Satellitendaten zeigt, dass bereits
zu Beginn der 90er Jahre in Südasien Mangroven
großflächig gerodet worden waren (Tabelle 1). In
Thailand und Indien war der Verlust an Mangrovenfläche besonders hoch.
Es muss davon ausgegangen werden, dass die Verluste an Mangrovenfläche insbesondere nach der
Finanzkrise 1997/98 in Südostasien weiter zugenommen haben. Um Devisen ins Land zu holen, wurde
die Anlage von Garnelenzuchtteichen, und damit die
Rodung von Mangroven, staatlich gefördert. Ein großer Teil der in den Tropen produzierten Garnelen wird
nicht in den Ländern selbst verzehrt, sondern nach
Europa oder in die USA exportiert. Somit war das
wahre Ausmaß der Abholzung von Gezeitenwäldern
in Südasien vor dem Tsunami sehr wahrscheinlich
deutlich größer als es die Tabelle 1 zeigt.
Status tropischer Küstenökosysteme in
Südasien vor dem Tsunami
Mangroven
Mangroven sind salztolerante Gehölzformationen
tropischer und subtropischer Küsten. Das Erscheinungsbild von Mangroven reicht, je nach Küstenstandort, von wenige Meter hohem Strauchbewuchs
bis hin zu Wäldern mit 25 m hohen Bäumen.
Land
Verlust an Mangrovenfläche
Jahr der frühesten und letzten
Flächenschätzung
Thailand
- 55 %
1961 - 1993
Indien
- 48 %
1963 - 1992
Myanmar
- 27 %
1965 – 1994
Bangladesch
- 10 %
1980 - 1997
/
/
- 67 %
1982 - 1993
Sri Lanka
Provinz Aceh Sumatra (Indonesien)*
Tab. 1: Verlust an Mangrovenfläche nach Ländern in Südasien.
Aus: Valiela et al. [2001] und *Tomascik et al. [1997]
Meeresnaturschutz
Korallenriffe
Korallenriffe zählen mit einer mittleren jährlichen Verlustrate von 1 % nach Mangroven mit 2,1 % zu den
am stärksten gefährdeten Ökosystemen unseres Planeten. Dies spiegelt sich auch im Zustand der Korallenriffe Südasiens wieder, die teilweise stark vorgeschädigt waren (Tabelle 2). Mehr als ¾ der Riffe
in Indonesien und Thailand werden in die Kategorie
„mittlere bis hohe Gefährdung“ eingestuft (Burke et
al. [2001]).
Land
Anteil der Korallenriffe mit mittlerer bis hoher
Gefährdung
Indonesien
86 %
Thailand
77 %
Myanmar
56 %
Andamanen/Nikobaren (Indien)
55 %
Sri Lanka
45 %
Indien (Festland)
25 %
Malediven
25 %
Tab. 2. Anteil der Korallenriffe mit mittlerer bis hoher Gefährdung
(%) nach Ländern in Südasien. Aus: Burke et al. [2001]
Die Hauptursache für die Gefährdung der Korallenriffe ist die zerstörerische Nutzung der Küstenzone
durch den Menschen. Überfischung, Verschmutzung der Küstengewässer, Dynamitfischerei, Bioerosion, Krankheiten bei wichtigen Herbivoren wie
Diadema-Seeigeln und der Klimawandel setzen
den Riffen weltweit stark zu. Der Resilienz-Verlust
der ����
Riffökosysteme����������������������������������
ist durch die weltweite Korallenbleiche im El Niño–Jahr 1998 unterstrichen worden.
Viele Riffsysteme haben sich bis heute nicht vollständig von dem „Coral bleaching“ erholt.
Seegraswiesen
Zu Seegraswiesen gibt es bisher keine vergleichbaren Analysen. Wie aber bei Mangroven und Korallenriffen auch, bemerkt man weltweit einen teils
dramatischen und beschleunigten Rückgang in der
Verbreitung von Seegraswiesen (Green and Short
[2003]). Neben direkter Zerstörung spielen erhöhte
Wassertrübung durch verstärkte Nährstoff- und Sedimenteinträge in Küstengewässer sowie Klimaänderungen eine Rolle. Anders als bei Mangroven, wo
die Hauptursache für den Flächenverlust die Abholzung (hauptsächlich zur Anlage von Garnelenzuchtteichen) ist, führt bei Seegraswiesen und auch bei
Korallenriffen meist das Zusammenspiel mehrerer
Faktoren gleichzeitig zu einer schleichenden Veränderung und Degradation der Ökosysteme.
Zusammenfassend gilt: Küstenökosysteme wie
Mangroven und Korallenriffe befanden sich bereits
vor dem Tsunami in Südasien in einem teilweise kritischen Zustand, hauptsächlich verursacht durch die
verstärkte Nutzung der Küstenzone durch den Menschen.
Situation der Küstenökosysteme nach dem
Seebeben und der Tsunami-Katastrophe
Bei jedem Erdbeben bzw. Seebeben können die
Schwingungen und Vibrationen zur Verflüssigung
wassergesättigter Böden führen (Bodenverflüssigung). Die Fähigkeit des Bodens, Vegetation oder
Gebäude zu stützen, ist dann reduziert. In einem
unveröffentlichen Berichtentwurf des Indonesischen
BPPT (Agency for the Assessment and Application
of Technology) wird gezeigt, dass die Schwingungen
des Seebebens an einigen Küstenstreifen Sumatras
(z. B. im Ästuar des Kr. Meureubo) zur Verflüssigung
schlammiger Böden führte. Dieser Verlust an Festigkeit und Steifheit des Bodens tritt unabhängig davon
auf, ob es in der Folge des Seebebens zu einem
Tsunami kommt, oder nicht. Küstenabschnitte, deren Böden sich verflüssigen, können von den nachfolgenden Flutwellen stark deformiert werden. Dies
war z. B. am Tanjung Sudhen Kap in der Nähe von
Lamno (Nordwest-Sumatra) der Fall, wo eine Halbinsel vom Festland abgetrennt wurde und sich so eine
neue Insel bildete (Quelle: BPPT).
Sumatra ist mit Abstand am schwersten von der Flutwelle getroffen worden. Die Flutwellen des Tsunamis
überschwemmten weite Küstenstreifen. Salzwasser- und Sedimenteintrag reichten in Sumatra und
Sri Lanka im Mittel 1 bis 2 km weit ins Landesinnere
hinein. An einigen Stellen, wie Banda Aceh, das im
Mündungsbereich des Krueng Aceh Flusses liegt,
floss die Welle sogar 4 km weit ins Landesinnere hinein. Die Zerstörung an Land war von ungekanntem
Ausmaß. Landverbindungen wurden gekappt, die
Küstenlinien, insbesondere in Sumatra, wurden groß-
135
136
Meeresnaturschutz
flächig verändert. An Land wurden Siedlungen, Fabriken, landwirtschaftliche Flächen (vor allem Reisflächen), Garnelen- und Fischzuchtteiche zerstört.
Zahllose Boote und die Arbeitsgerätschaften der
Fischer wurden durch die Flutwelle zerstört.
Mangroven
Mangroven wachsen nur dort, wo die Küsten flach
und schlammig sind. Aber gerade hier können Tsunamis potentiell die größten Schäden anrichten.
Es gibt noch keine endgültigen Angaben zu den
Schäden, die der Tsunami an den Mangrovenwäldern Südasiens verursacht hat. Allein in Sumatra sollen 40000 ha Mangroven zerstört worden sein (Quelle: AFP, 18. April 2005). Mangroven wurden, je nach
Standort und Ausdehnung, komplett entwurzelt, nur
an der Seeseite beschädigt oder blieben vollständig
verschont.
Basierend auf Interviews und semi-quantitativen Vegetationsaufnahmen nach dem Tsunami zeigen Dahdouh-Guebas et al. [2005] für Sri Lanka, dass Mangroven die Gemeinden, an deren Küsten sie vorkamen,
vor den Flutwellen schützten. Dabei hatten natürliche
Mangrovenwälder die beste Schutzfunktion. Laut ihrer
Umfragen und Analysen der Waldstruktur gibt es drei
Faktoren, die die Fähigkeit der Mangroven, Küstengemeinden zu schützen, beeinträchtigen:
1)vollständige Rodung,
2) unvollständiges Nachwachsen nach einer Abholzung,
3)degradierte Mangrovenbestände als Folge anthropogener Nutzung, d. h. veränderte Vegetationsstruktur aufgrund der Dominanz mangroven-assoziierter
Festlandvegetation (z. B. salzwassertolerante Farne)
an Standorten, an denen früher echte Mangrovenvegetation (Baumbestände z. B. aus der Familie der
Rhizophoraceae) vorherrschte.
Dahdouh-Guebas et al. [2005] unterstreichen die Tatsache, dass Mangroven eine bedeutende Rolle im
Küstenschutz spielen, jedoch mit Betonung darauf,
dass die Schutzwirkung offenbar eng an die Artenzusammensetzung eines Mangrovenwaldes und
den Grad der Degradation geknüpft ist. Die anthropogene Degradation der Mangroven verschlimmerte
die Schäden, die der Tsunami an den Küsten angerichtet hat. Dahdouh-Guebas et al. [2005] erwähnen
ebenfalls, dass auch Salzwiesen und Sanddünen
zum Schutz vor Flutwellen beitragen.
Es ist wichtig darauf hinzuweisen, dass es bisher
sehr wenige wissenschaftliche Erkenntnisse zur Küstenschutzfunktion von Mangroven oder Korallenriffen gibt (Danielsen et al. [2005]). Die Informationen,
die wir zur Zeit haben, basieren fast ausschließlich
auf sozio-ökonomischen und ethno-botanischen
Umfragen; sie sind das Ergebnis von Interviews, in
denen traditionelle, ökologische Kenntnisse der Küstenbewohner analysiert wurden, wie z. B. in DahdouhGuebas et al. [2005] oder Badola and Hussain [2005].
Von den Naturwissenschaften gibt es bisher nur
sehr wenig Daten, um die Nullhypothese testen zu
können, dass Mangroven und Korallenriffe die gleiche Schutzfunktion gegen Naturkatastrophen haben wie andere Küstenökosysteme (Salzmarschen,
Wattflächen, Sanddünen). Mazda et al. [1997] quantifizierten die Schutzfunktion eines wiederaufgeforsteten Mangrovenwaldes in Nordvietnam. Dabei
reduzierte der Mangrovenwald die Höhe einer Welle alle 100 m um 20 cm, d. h. um 20 %. Aufgrund
der hohen Dichte der Mangrovenvegetation in der
gesamten Wassersäule war der Bremseffekt des
Waldes auch bei zunehmender Überflutungshöhe
unverändert hoch.
Die Bedeutung von Mangroven im Schutz vor Flutwellen geht vor allem auf zwei Eigenschaften zurück:
1)Die Mangrovenbäume und ihr einzigartiges, oberirdisches Wurzelsystem aus Stelz- und Atemwurzeln
können einen beträchtlichen Teil der Energie einer
Welle absorbieren. Beim Zurückweichen des Wassers können die Bäume verhindern, dass Menschen
und Trümmer ins Meer hinausgezogen werden.
2)Typischerweise haben größere Mangrovengebiete
ein weit verzweigtes Netz aus Gezeitenprielen, deren schlammige Ufer von den Mangrovenwurzeln
stabilisiert werden. Das Wasser einer Flutwelle wird,
sobald es in solche großen Mangrovengebiete einläuft, in das weit verzweigte Kanalsystem geleitet.
Dadurch wird die Energie einer Welle weiträumig
verteilt.
Wenn die Mangrovenbestände allerdings nur sehr
klein sind (natürlicherweise oder durch Abholzung),
können die Bäume auch komplett entwurzelt werden,
mit fatalen Folgen für die dahinterliegenden Küstenbereiche.
Es gibt eine ganze Reihe von Anekdoten und Beobachtungen aus Thailand, Sri Lanka und Sumatra,
die die in Dahdouh-Guebas et al. [2005] beschriebene
Meeresnaturschutz
Küstenschutzwirkung von Mangroven für die betroffenen Küstenabschnitte und angrenzenden Siedlungen bestätigen.
Badola and Hussain [2005] quantifizieren die Sturmschutzfunktion in drei Siedlungen in Orissa, Indien:
eine durch Mangroven geschützte Siedlung, eine un-
geschützte Siedlung und eine Siedlung ohne Mangroven, aber mit einem seeseitig gelegenen Damm.
Die geringsten wirtschaftlichen Schäden nach Zyklonen traten in der Siedlung mit Mangroven auf.
Interviews zeigten klar, dass die Bevölkerung sich
des Schutzes von Besitz und Menschenleben durch
Mangroven sehr bewusst ist.
Abb. 1: Seeseite eines Mangrovenwaldes bei Niedrigwasser: intakte Mangroven schützten Küsten vor Flutwellen
Foto: Dr. Tim Jennerjahn (ZMT)
137
138
Meeresnaturschutz
Kokosnuss- und Ölpalmplantagen
An sandigen Küsten in Sumatra haben dichte Kokosnuss- und Ölpalmplantagen die Energie der Welle
abgepuffert und dahinterliegende Siedlungen geschützt (Quelle: BPPT). Die Plantagen selbst waren
nur seeseitig beschädigt (freigespültes Wurzelwerk).
Die Bremswirkung von Küstenvegetation hängt ab
von der Energie der Welle, die auf die Küste trifft und
der Breite und Dichte bzw. der Struktur der Vegetation. Den besten Schutz bietet allem Anschein nach
natürliche Vegetation, wie die Mangroven an flachen,
schlammigen Küsten. Weniger gut als Küstenschutz
geeignet sind Reinkulturen wie Ölpalm- oder Kokosnussplantagen. Sie eignen sich aber immer noch
besser als annuelle Kulturen aus Reis oder Gemüse
oder als Garnelenzuchtteiche.
Korallenriffe
Zu Korallenriffen liegen bisher die meisten Beobachtungen und Informationen vor. Vorläufige Ergebnisse
der Analysen an Korallenriffen nach dem Tsunami
sind in Tun et al. [2005] zusammengestellt. Bisher
lassen sich folgende Verallgemeinerungen ableiten:
• Der Grad der Schädigung der Korallenriffe durch
das Seebeben und den Tsunami reicht von totaler
Zerstörung (z. B. herausgehobene Korallen vor Simeulue/Sumatra, 40 km vom Epizentrum entfernt)
bis hin zu keinen äußerlich sichtbaren Schäden.
• Das Seebeben einerseits und der Tsunami andererseits wirkten sich unterschiedlich auf Korallenriffe
aus. Das Seebeben führte zu direkter, physikalischer
Schädigung der Riffe (Bsp. Simeulue). Offenbar verursachte die Ablagerung von Schutt und Sediment
durch das Rückströmen der Welle grössere Schäden an Korallenriffen als der Tsunami selbst.
• Schädigungsgrad an den Korallenriffen und den
dahinterliegenden Küstenabschnitten entsprachen
sich häufig nicht. Z. B. war die Schädigung an den
Riffen vor Patong, Phuket, gering, während die Schäden an Land stark waren.
• Moderate bis starke Schäden an Korallenriffen waren eng geknüpft an intensive menschliche Nutzung
der benachbarten Küstenabschnitte. So wurden
z. B. die Korallenriffe vor Phi Phi Island, einem Touristenzentrum in Thailand, stark durch den Eintrag
von Strandschirmen, Möbeln, Fahrzeugen und terrestrischer Vegetation in Mitleidenschaft gezogen.
• Die Fischfauna der Korallenriffe (verglichen wurden Diversität und Häufigkeit einzelner Rifffischarten) blieb trotz Tsunami unverändert.
• An einigen Riffen, die schon vor dem Tsunami keine substanzielle Bedeckung mit lebenden Korallen hatten, wurden überproportional starke Schäden registriert.
• Das Vorhandensein von intakten und gesunden
Korallenriffen (zusammen mit benachbarten Mangroven und Seegraswiesen) schützte dahinterliegende Küstenabschnitte und führte zu geringeren
Schäden an Land.
Ein Rapid-Assessment nach dem Tsunami in Thailand fand einen deutlichen Nord-Süd-Gradienten mit
abnehmenden Schäden gen Süden (Tabelle 3). Alle
inspizierten Riffe in Thailand sind vom Tsunami betroffen, aber der Norden Thailands am stärksten. Der
Bereich südlich von Phuket blieb relativ verschont,
weil der Küstenabschnitt bereits in der Abdeckung
durch Nordsumatra liegt.
Provinz bzw. Ort
(von Norden
nach Süden)
Betroffene
Riffe
Davon mit hohen Schäden
Ranong
100 %
100 %
Phang Nga
71 %
18 %
Surin Island
100 %
19 %
Similan Island
71 %
18 %
Phuket
43 %
0%
Krabi
60 %
7%
Phi Phi Island
67 %
7%
Trang
75 %
0%
Satun
29 %
3%
Tab. 3. Schäden durch den Tsunami vom 26. Dezember 2004
an Korallenriffen in Thailand. Daten von Phuket Marine
Biological Centre (PMBC)
Wenn Riffe im Schutz von Inseln liegen, können die
Schäden durch eine Flutwelle gering sein. Comley et
al. [2005] von der Coral Cay Conservation gehen davon aus, dass in den Surin Islands (Andamanensee)
weniger als 10 % der Korallen geschädigt wurden.
Eine Reef Check-Expedition im Februar 2005 nach
Myanmar konnte keine tsunamibedingten Schädigungen an den untersuchten Riffen feststellten. Auf
dem flachen Küstenschelf war die Energie der Welle
offenbar durch die Andamanen und Nikobaren schon
stark abgepuffert worden.
Als Beispiel für vorgeschädigte Riffe findet man vor
Phuket, Thailand, bis in 13 m bzw. 18 m Wassertiefe
Meeresnaturschutz
umgekippte und zerstörte Korallen. Meterbreite Korallenblöcke sind durch die Energie der Welle aus
dem Riff gesprengt worden. Dabei sind exponierte
und geschwächte Korallen am stärksten betroffen.
Interessant ist, dass es eine kleinräumige Heterogenität in den Schäden gibt. Man kann intakte neben
zerschmetterten Korallen finden. Wenn die Energie
der Welle beim Auftreffen auf das Riff frei wird, geschieht dies offenbar sehr heterogen, mit starker
Variation in der Energieverteilung. In energiearmen
Bereichen oder im Aufprallschatten bleibt das Riff
unbeschädigt.
Die Schutzfunktion von Korallenriffen begründet sich
auf ihrer Eigenschaft als Unterwasser-Bollwerke, die
beträchtliche Wellenenergie absorbieren können.
Korallenriffe sind lebende Schutzwälle aus Kalk. An
der Südwestküste Sri Lankas führte der illegale Abbau von Korallen (für den Häuserbau oder Souvenirbedarf) zu Lücken in den Riffen. Durch solche Korridore konnte der Tsunami an einer Stelle 1,5 km weit
landeinwärts strömen, traf einen Passagierzug und
tötete 1700 Menschen, während wenige Kilometer
entfernt nur 50 m Küstenstreifen überschwemmt wurden und keine Menschen zu Schaden kamen (Marris
[2005]). Sheppard et al. [2005] zeigten am Beispiel
der Seychellen, dass Korallenriffe generell Küsten
vor Erosion durch Wellen schützten.
Wenn Korallenriffe gesund und in gutem Zustand
sind, können sie sich relativ schnell auch von starken
Störungen erholen. Wirbelstürme sind in der Südsee
häufig, trotzdem gibt es dort die am besten erhaltenen Riffe der Welt. Sind die Nachschubwege für
Larven der Korallen gesichert, kann die Wiederbesiedlung zerstörter Bereiche relativ schnell erfolgen.
Einige Beobachter berichteten, dass die Rekrutierung mit juvenilen Stadien in geschädigten Riff-Bereichen nach dem Tsunami in Südasien bereits eingesetzt hatte. Bei stark vorgeschädigten Riffen, wie
sie in der Krisenregion häufig sind, ist das Regenerationspotential jedoch wahrscheinlich herabgesetzt,
bzw. die Regeneration erfolgt langsamer.
Die bisher an Riffen durchgeführten Untersuchungen
beschreiben erst einmal nur den Zustand direkt nach
dem Tsunami. Ein wichtiger Aspekt, der bisher noch
nicht diskutiert wurde, sind die Spätfolgen, die erst
nach einigen Monaten auftreten können. Welche Auswirkungen hat es für ein Riff, wenn die Energie einer
Tsunamiwelle metergrosse Korallenblöcke heraussprengen kann? Bei einem Assessment direkt nach
einem Wirbelsturm wurden in der Karibik nur geringe
Schäden an den Riffen festgestellt. Einige Monate
später zeigten dann grosse Teile der Riffe Schäden Spätfolgen des Wirbelsturmes, die erst zeitverzögert
sichtbar wurden. Die ökologischen Spätfolgen von
Extremereignissen wie Wirbelstürmen oder Flutwellen sind für Korallenriffe oder Mangroven noch wenig
verstanden, insbesondere wenn Naturkatastrophen
stark vorgeschädigte Küstenökosysteme treffen. Um
diese Spätfolgen verstehen zu können, ist die regelmäßige Beobachtung des Erholungsprozesses notwendig, unterstützt durch Forschung.
Seegraswiesen
Zur Situation bei Seegraswiesen nach der TsunamiKatastrophe ist leider nur wenig Information verfügbar. Aus Thailand und Sri Lanka wird berichtet, dass
5 bzw. 7 % durch den Tsunami stark geschädigt sein
sollen. Ob diese Werte aber stimmen, ist unklar, da
bisher nur wenige Seegraswiesenbestände untersucht wurden.
Eine direkte Schutzfunktion gegenüber Flutwellen
haben Seegraswiesen nicht. Sie spielen jedoch eine
wichtige Rolle im Küstenschutz, denn Seegraswiesen
festigen das Substrat, reduzieren die Strömungsgeschwindigkeit und fördern die Sedimentation.
Ökologische Herausforderungen
dem Tsunami
nach
Durch die Nachfrage im Bausektor steigt der Holzbedarf, der aus dem Hinterland gedeckt wird. Es ist
davon auszugehen, dass sich dort der Druck auf die
natürlichen Ressourcen weiter erhöht. Versalzung,
Sedimentation und Verschmutzung sind meist großflächig eingetreten, mit entsprechend fatalen Konsequenzen für die küstennahe Landwirtschaft. Die
Wiederherstellung der Anbauflächen geschieht oft in
Eigeninitative und wird voraussichtlich einige Jahre
dauern.
Die Fischerei hat eine radikale Kapazitätsreduktion
erfahren. Das dürfte den Druck auf die Fischereiressourcen, die stark überfischt sind, erst einmal
reduzieren. Fischergemeinschaften sind traditionell an die Küste gebunden. Viele werden in die
Fischerei zurückkehren wollen. Aber insbesondere
jungen Fischern müssen Jobalternativen angebo-
139
140
Meeresnaturschutz
ten werden, um längerfristig eine erneute Überfischung zu vermeiden (Pauly [2005]). Wenn erneute
Wiederaufrüstung der Fischerei wirklich unterstützt
werden soll, dann durch Geld für den Bau lokaler
Boote vor Ort.
Lindenmayer und Tambiah [2005] weisen darauf hin,
dass Tsunamis und generell Naturkatastrophen wie
Feuer, Überflutungen oder Wirbelstürme auch positive Effekte für Ökosysteme haben. So haben die
enormen Mengen an Sand, die der Tsunami umgelagert hat, sicherlich zu einer Verbesserung der
Umweltbedingungen für einige Meeresbewohner
geführt, z. B. für bedrohte Schildkrötenarten, die
an Stränden neue Nistmöglichkeiten finden können.
Hilfsorganisationen betonen die Notwendigkeit,
Schutt und Trümmer zu entfernen. Bei den Aufräumarbeiten sollte jedoch darauf geachtet werden, dass
die positiven Effekte der Naturkatastrophe nicht zunichte gemacht werden.
Der Anlage von Deichen ist in Südasien angesichts
der notwendigen Kosten für Bau und Wartung unrealistisch. Umso bedeutender ist die Rolle, die natürliche Schutzwälle wie Korallenriffe und Mangroven
spielen (UNEP-WCMC [2006]). Sie haben gegenüber
technischen Lösungen wie Deichen zwei unschlagbare Vorteile:
1) Im Schadensfall wachsen sie einfach wieder nach,
ohne Kosten zu verursachen.
2) Sie versorgen die Küstenbevölkerung in der gesamten Zeit zwischen Schadensfällen mit Ressourcen (z. B. Fisch und anderen Meeresfrüchten sowie Mangrovenholz) und ökologischen Leistungen
(wie Arbeitsplätzen, Einkommen aus Tourismus
oder der Funktion als Kinderstube für Jungfische
und Garnelen). Zusätzlich verhalten sich Mangroven bei Stürmen und Flutwellen elastisch, nicht
statisch, wie z. B. Deiche.
Die Küstenschutzfunktion von Korallenriffen und Mangroven ist nicht nur relevant bei so seltenen Ereignissen wie Tsunamis, sondern vielmehr noch bei den
regelmässig auftretenden tropischen Wirbelstürmen.
Emanuel [2005] zeigte, dass die Zerstörungskraft
(gemessen an der Stärke und Lebensdauer) dieser
tropischen Wirbelstürme in den letzten 30 Jahren signifikant zugenommen hat. Folglich sollten sich Länder der Tropen und Subtropen, die regelmässig von
Wirbelstürmen heimgesucht werden, verstärkt für die
natürliche Schutzwirkung ihrer Küstenökosysteme
(Mangroven, Korallenriffe) einsetzen.
Im Wesentlichen sind sich marine Ökosysteme wie
Korallenriffe und Seegraswiesen nach dem Tsunami
selbst überlassen worden. In der Provinz Aceh wurde
die Bedeutung von Mangroven für den Küstenschutz
offenbar jedoch erkannt. Der indonesische Forstminister hat versprochen, innerhalb von 4 Jahren
15000 ha staatlich wieder aufzuforsten. Erfahrung zu
Wiederaufforstung von Mangroven ist in der Region
reichlich vorhanden (Saenger [2002]). Wichtig ist es,
die lokale Bevölkerung von Anfang an mit einzubeziehen, z. B. wenn es um die Auswahl der Baumarten
geht. Bestimmte Arten haben bessere Eigenschaften
als Bauholz, Brennholz oder für die Holzkohlegewinnung als andere. Nicht alle Arten wachsen unter allen
biogeochemischen Bedingungen. Wie bei Festlandwäldern ist auch die Wiederaufforstung von Mangroven eine langangelegte Investition. Es dauert 20 bis
30 Jahre, bis sich aus einer Pflanzung ein richtiger
Wald entwickelt hat. Die Kosten einer Wiederaufforstung in Indien, Malaysia oder Thailand liegen zwischen 100 und 300 US $ pro Hektar wiederaufgeforstete Mangrove (Tabelle 4) und und sind damit eine
preiswerte Option für den Schutz der Küsten.
Land
Indien
Preis (US$ pro ha)
70 - 122
Thailand
140
Malaysia
314
Florida (USA)
20.000*
Tabelle 4. Kosten für die Wiederaufforstung von Mangroven in verschiedenen Ländern
*: Höhere Kosten aufgrund des höheren Lohnniveaus.
Aus: Saenger [2002]
Das Hauptproblem bleibt jedoch weiterhin die anthropogene Vorschädigung der Küstenökosysteme,
die die Rehabilitationsfähigkeit von Mangroven und
Korallenriffen gegenüber natürlichen Störungen drastisch herabsetzt. In diesem Fall hat der Tsunami
auf die grossflächige Abholzung und Degeneration von Mangrovenwäldern aufmerksam gemacht,
1998 lenkte das weltweite Ausbleichen der Korallen
den Blick der Weltöffentlichkeit auf die zunehmende
Schädigung und Schwächung dieses anderen, wichtigen tropischen Ökosystems.
Der Schwerpunkt ökologischer Massnahmen
muss die Erhaltung und Wiederherstellung intakter
Küstenökosysteme������������������������������
sein. Viele Küstenökosysteme
befinden sich am Rand der Belastbarkeit. Die Ein-
Meeresnaturschutz
richtung großer Meeresschutzgebiete (Marine Protected Areas oder MPAs) kann hier helfen (siehe
Symposiumsbeitrag von C. v. Dorrien). Kontrolle und
Zusammenarbeit mit den Fischern und Küstenbewohnern ist notwendig, damit Schutzgebiete nicht
nur auf dem Papier bestehen („paperparks“).
Einen klarer Hinweis zur Größe von MPAs kommt
vom Great Barrier Reef in Australien. Das Great Barrier Reef gilt als der Vorzeige-Meerespark schlechthin. Sein Management kann auf jahrzehntelange Forschungserfahrung zurückblicken. Waren bis 2004
weniger als 5 % der Parkfläche als fischereifreie
Bereiche (No-Take-Zones) ausgewiesen, so sind seit
2005 33 % der Gesamtfläche zu fischereifreien Gebieten erklärt worden.
Dabei müssen kleinskalige Erfolge in der Ausweisung von Schutz- oder fischereifreien Gebieten
Hand in Hand gehen mit überregionalen Schutzbemühungen. Was Korallenriffe betrifft, geht es hier
z. B. um den Bau von Kläranlagen oder einem RiffFischereimanagement, dass sich an dem Schutz
funktionaler Fischgruppen wie herbivoren Fischarten
orientiert (Bellwood et al. [2004]).
Angesichts globaler Klimaveränderungen, zunehmendem Druckes auf die natürlichen Ressourcen
tropischer Küsten und unseres geringen wissenschaftlichen Kenntnisstandes zur Schutzfunktion tropischer Küstenökosysteme besteht dringender Forschungsbedarf in diesen Bereichen. Abschließend
seien drei Bereiche genannt, in denen ökologische
Forschung einen wichtigen Beitrag zu den weltweiten Bemühungen zum Schutz tropischer Küsten leisten kann:
• Die Kartierung der Verteilung und Untersuchung
der Artengemeinschaften und des ökologischen Zustandes tropischer Küstenökosysteme ist dringend
erforderlich. Dabei geht es um die detaillierte Untersuchung der Bathymetrie und der Bio-Geomorphologie im Flachwasserbereich vor der Küste, um aus
dieser für den Aufbau einer Flutwelle so wichtigen
Zone Informationen für die Modelle der TsunamiFrühwarnsysteme zu gewinnen. Daran geknüpft
kann ein regelmässiges Monitoring der Küstenökosysteme Basisinformationen für Vergleiche (räumlich und zeitlich) zur Verfügung stellen.
•· In einem zweiten Schritt kann diese Information genutzt werden, um Beziehungen zwischen Küstencharakteristika und der Schutzfunktion einzelner Küstenökosysteme aufzustellen. Aktuelle Fragen sind:
Wie breit muss ein Mangrovengürtel sein, um eine
Schutzfunktion ausüben zu können? Welche Muster
an Diversität (Baumarten) und Baumdichte ergeben
die beste Bremswirkung gegen Wellen?
•· Es dauert mehr als 20 Jahre, bis sich ein wiederaufgeforsteter Mangrovenbestand zu einem Wald
entwickelt hat. Ökologische Modellierung, auf Feldforschung basierend, kann hier helfen, Simulationsmodelle zu Waldwachstum und zur Vorhersage der
Walddynamik bei verschieden starker Vorschädigung zu entwickeln. So können modellhaft Szenarien entworfen werden, die die Entwicklung von Managementstrategien unterstützen können.
Danksagung
Mein Dank für Kommentare und Diskussionen geht
an Dr. Susanne Eickhoff, Dr. Eberhard Krain, Dr. Georg Heiss und Dr. Claudio Richter.
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