MeeresumweltSymposium 2005 15. Symposium 7. bis 8. Juni 2005 CCH - Congress Center Hamburg Am Dammtor 20355 Hamburg Bundesamt für Seeschifffahrt und Hydrographie in Zusammenarbeit mit dem Umweltbundesamt und dem Bundesamt für Naturschutz im Auftrag des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit © Bundesamt für Seeschifffahrt und Hydrographie (BSH) Hamburg und Rostock 2006 www.bsh.de Alle Rechte vorbehalten. Kein Teil dieses Werkes darf ohne ausdrückliche schriftliche Genehmigung des BSH reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden. Inhalt Vorwort .................................................................................................................................................................. 5 EHLeRS, PeTeR Neue Entwicklungen im Meeresumweltschutz . .................................................................................................... 7 Europäische Meerespolitik HOLZWARTH, FRITZ Meeresschutz - eine gemeinsame Aufgabe: Global, EU-weit, regional und national........................................... 13 SCHeReR, BeRND Meeresschutzstrategie aus Sicht eines Küstenlandes ....................................................................................... 17 TRebeSCH, HILDe Position der Bundesregierung zur Meerespolitik.................................................................................................. 21 Neue Nutzungsformen des Meeres und ihre Risiken LAUTeRJUNG, JÖRN Deutsche Initiative zum Tsunami-Warnsystem im Indischen Ozean . ................................................................. 33 PONTeS, TeReSA Ocean Energy ..................................................................................................................................................... 35 RICHeRT, FRANK Wasserstoff-Herstellung auf dem Meer ............................................................................................................... 37 LINDeQUIST, ULRIKe Arzneimittel aus dem Meer ................................................................................................................................. 43 Das Wattenmeer ESSINK, KAReL Trilateral Monitoring and Assessment Supporting Conservation and Management of the Wadden Sea ........... 53 JANNING, JÖRG Das Wattenmeer - Zustandseinschätzung für das Jahr 2005 nach der Wasserrahmenrichtlinie (WRRL) . ........ 57 STOCK, MARTIN Salzwiesenmonitoring im schleswig-holsteinischen Wattenmeer - Ergebnisse und Perspektiven für das Monitoring im Rahmen von FFH und WRRL ........................................................................................... 61 Klima und Küste SCHUCHARDT, BASTIAN UND MICHAeL SCHIRmeR Klimawandel und Küste: Zeit zur Anpassung?! .................................................................................................. 79 MÜLLeR-NAVARRA, SYLVIN Neues aus der Sturmflutforschung ..................................................................................................................... 91 FLemmING, BURGHARD Meeresspiegelanstieg und Sedimentumlagerung .............................................................................................. 95 GeYeR, BeATe Wasserkreislauf, Klimaveränderung und Süßwassereintrag ............................................................................... 99 KÖRTZINGeR, ARNe Der Ozean im Zeitalter des Anthropozäns - eine Betrachtung aus biogeochemischer Perspektive . .............. 107 Meeresnaturschutz ZUCCO, CATHeRINe Auswirkungen von Offshore-Windkraftanlagen auf die marine Fauna und den Vogelzug - Erkenntnisse aus nationaler und internationaler Begleitforschung ........................................................................................ 113 VON DORRIeN, CHRISTIAN Meeresschutzgebiete - (k)ein Instrument des Fischereimanagements? .......................................................... 115 MeNN, IRIS Schutzgebiete - der große Coup im Meeresschutz?! ....................................................................................... 125 BRÄGeR, STefAN Aktivitäten zum Schutz der Kleinwale in Nord- und Ostsee unter dem ASCOBANS-Abkommen .................... 129 KRUmme, UWe Die südasiatische Tsunami-Katastrophe - ökologische Aspekte des Desasters und der Folgenbewältigung .............................................................................................................................. 133 Vorwort Das 15. Symposium „Aktuelle Probleme der Meeresumwelt“ fand vom 7. bis 8. Juni 2005 in Hamburg statt. Das Symposium wird veranstaltet vom Bundesamt für Seeschifffahrt und Hydrographie in Zusammenarbeit mit dem Umweltbundesamt, dem Bundesamt für Naturschutz und im Auftrag des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit. Wie bereits in den vergangenen Jahren kommt das BSH dem Wunsch nach Veröffentlichung der Vorträge mit diesem speziellen Symposiumsband nach. Damit ist beabsichtigt, die Vielzahl der vorgetragenen Informationen zu dokumentieren, einem größeren Kreis von Interessenten zugänglich zu machen und die Diskussion um die weiterhin aktuellen Probleme zu beleben. Die Beiträge wurden ohne Reviewverfahren in unveränderter Form übernommen und abgedruckt. 7 Neue Entwicklungen im Meeresumweltschutz Begrüßungsansprache zum 15. Meeresumweltsymposium PETER EHLERS Zum 15. Mal findet jetzt das Meeresumweltsymposium statt. Begonnen hat alles 1991. Geht man um weitere 15 Jahre zurück, so landet man mitten in den 70er Jahren des vergangenen Jahrhunderts. Das war die Zeit, als es mit dem Meeresumweltschutz begann. Die Übereinkommen von Helsinki, London, Oslo und Paris, die alle die Reduzierung der Meeresverschmutzung zum Ziel hatten, wurden in dieser Zeit verabschiedet. Jedoch dauerte es noch eine ganze Weile, bis sie in Kraft traten und die internationale Zusammenarbeit für den Meeresumweltschutz wirklich Fahrt aufnahm. 30 Jahre – das ist eine Generation. Ist das für den Meeresumweltschutz nun eine lange oder eine kurze Zeit? Darüber kann man gewiss streiten. Genauso wird man darüber streiten können, ob in diesen 30 Jahren der Schutz der Meere weit genug vorangekommen ist. Vergleicht man die Diskussionen von damals mit den heutigen Themen, so ist zumindest eines klar: die Thematik hat sich ganz wesentlich gewandelt. Während es anfangs vor allem um die Meeresverschmutzung ging, sind wir uns inzwischen einig, dass der Schutz der Meere weit darüber hinaus gehen muss. Noch das Seerechtsübereinkommen, das nach wie vor die entscheidende internationale Rechtsgrundlage für den Meeresumweltschutz ist, konzentriert sich auf die Verschmutzung, so dass Rufe nach einer Weiterentwicklung des Seerechts immer wieder zu hören sind. Heute geht es nicht mehr nur darum, dass die Meere nicht als Müllschlucker für all die Abfälle und Rückstände missbraucht werden dürfen, derer wir Menschen uns entledigen wollen. Es geht um die Bewahrung der Ökosysteme, die Erhaltung der Biodiversität, den Naturschutz, aber auch um die Auswirkungen von Klimaveränderungen. Umweltschutz mit einem ökosystemaren Ansatz ist längst Teil unserer Bemühungen um eine nachhaltige Entwicklung geworden, mit dem Ziel, die natürlichen Ressourcen so zu behandeln und zu nutzen, dass wir auch nachfolgenden Generationen eine lebenswerte Umwelt bewahren. Das verlangt auch eine sachgerechte Interessenabwägung zwischen den unterschiedlichen Nutzungen und dem Schutz der Meere. Führt man sich diese Entwicklung des Meeresumweltschutzes vor Augen, so erscheint es mehr als folgerichtig, dass inzwischen auf europäischer, aber auch auf nationaler Ebene an umfassenden Meeresschutzstrategien gearbeitet wird, die dann ihrerseits integraler Teil einer noch umfassenderen Meerespolitik werden müssen. Diese Entwicklung spiegelt sich in den Meeresumweltsymposien wider. Auch deren Themen haben sich im Laufe der Jahre gewandelt. So sind die Symposien nicht nur ein inzwischen fest installiertes Forum für alle, die sich dem Meeresumweltschutz verbunden fühlen. Sie dienen als eine Art Seismograph, mit dem aktuelle Entwicklungen möglichst frühzeitig aufgespürt werden. In dieser Tradition steht auch das diesjährige Symposium, zu dem ich Sie alle sehr herzlich begrüße. Erneut ist ein großer Teilnehmerkreis aus Wissenschaft, Verbänden und Verwaltung zusammengekommen. Knapp 400 Teilnehmer haben sich angemeldet. Das sind noch einige mehr als in den letzten Jahren. Nun glauben Sie aber bitte nicht, dass wir 8 dieses Mal im CCH tagen, weil wir damit signalisieren wollen, dass wir allmählich die größten Veranstaltungsräume in Hamburg benötigen. Der Grund dafür ist viel prosaischer: die Räume, in denen wir in den vergangenen Jahren getagt haben, standen nicht zur Verfügung. Besonders willkommen heiße ich die Referenten, wissen wir doch genau, dass von Ihren Beiträgen der Erfolg der Veranstaltung ganz entscheidend abhängt, Ein sehr herzlicher Gruß gilt den ausländischen Teilnehmern. Wir schwanken immer wieder, ob wir das Symposium gezielt zu einem internationalen Forum ausweiten sollen. Bisher haben wir davon abgesehen, weil sich dann der Charakter dieser Veranstaltung vermutlich grundlegend ändern würde. Umso mehr freuen wir uns aber, dass immer wieder einige Kollegen aus dem Ausland dabei sind, die dafür sorgen, dass wir über allzu enge nationale Grenzen hinausblicken, was gerade im maritimen Bereich unerlässlich ist. Thematisch sind wir natürlich längst international geworden, denn die Meere und ihre Probleme sind grenzenlos. Gern hätte ich an dieser Stelle, wie geplant, Herrn Bundesminister Trittin begrüßt, der aber leider kurzfristig absagen musste. So bleibt es weiterhin Klaus Töpfer vorbehalten, als einziger zweimal die Auftaktrede bei einem unserer Symposien gehalten zu haben. Den Auftakt zu diesem Symposium bildet das alles umfassende Thema „Meerespolitik“. Dazu gehört zum einen die Meeresschutzstrategie, deren Entwicklung wir in den vergangenen Jahren aufmerksam verfolgt haben. Da nun die Arbeiten auf europäischer Ebene allmählich zu einem Abschluss kommen sollen und dazu ergänzend auch eine nationale Strategie entwickelt wird, sind wir natürlich sehr daran interessiert, mehr über den aktuellen Sachstand zu erfahren. Von besonderem Interesse ist dabei, wie die strategischen Überlegungen zum Meeresschutz in eine übergreifende europäische Meerespolitik eingebettet werden. Das leitet dann über zu dem nächsten Abschnitt, in dem es um neue Nutzungsformen des Meeres und ihre Risiken geht. Die Stichworte Wellenenergie, Wasserstoffherstellung, Gewinnung von Arzneimitteln aus dem Meer lassen die Aktualität deutlich werden. Von noch viel größerer Aktualität sind die Folgerungen, die aus der Tsunami-Katastrophe in Südostasien zu ziehen sind. Dabei hat die deutsche Initiative zum Aufbau eines Frühwarnsystems besonderes Gewicht. Unser Augenmerk gilt dann dem Wattenmeer. Neben aktuellen Einschätzungen geht es um Monitoringaktivitäten, die Voraussetzung sind, um Aussagen zum Qualitätszustand überhaupt treffen zu können. Bei der Diskussion um Klimaveränderungen gewinnt die Frage nach möglichen Auswirkungen auf die Küstenzone zunehmend an Bedeutung. Dem tragen wir durch den Themenbereich „Klima und Küste“ Rechnung. Hier wollen wir über biologische und geochemische������������������������������ ������������������������������������������ Auswirkungen, aber auch über Veränderungen des Wasserstandes und des Wasserkreislaufes diskutieren. Im Rahmen eines umfassenden Meeresschutzes spielt der Naturschutz eine herausgehobene Rolle. Die zu erörternden Themen betreffen die Ausweisung von Schutzgebieten, die Auswirkungen von Offshore-Windanlagen und den Schutz der Kleinwale in Nord- und Ostsee. Weit darüber hinausgehend sollen aber auch die ökologischen Auswirkungen der Tsunami-Katastrophe beleuchtet werden. Die große thematische Breite, die auch dieses Symposium kennzeichnet, bringt die Gefahr mit sich, dass zwar vieles angerissen wird, dabei aber die häufig notwendige oder zumindest wünschenswerte Vertiefung zu kurz kommt. Dessen sind wir uns wohl bewusst. Richtschnur ist für uns auch nicht jenes Motto aus Goethes Faust, wo es im Vorspiel auf dem Theater heißt: „Wer vieles bringt, wird manchem etwas bringen. Und jeder geht zufrieden aus dem Haus.“ Wir meinen aber, dass wir die Erörterung der Meeresumweltprobleme nicht auf einige wenige Themen reduzieren dürfen, wenn wir dem Anspruch des Symposiums als einem aktuellen Informationsund Diskussionsforum gerecht werden wollen. Wenn wir auch bei weitem nicht alle Problembereiche des Meeresschutzes im Programm untergebracht haben, so hoffe ich, dass die gleichwohl bestehende thematische Vielfalt uns nicht daran hindern wird, zu möglichst konkreten Ergebnissen, Feststellungen und vielleicht auch Handlungsvorschlägen zu gelangen. Das wiederum setzt eine aktive Beteiligung von Ihnen allen voraus. Noch mehr als in der Ver- 9 gangenheit soll deshalb genügend Zeit für Diskussionen sein. Wir haben uns bemüht, das bei der Programmgestaltung angemessen zu berücksichtigen. Denn das Gespräch miteinander ist eines der wesentlichen Elemente dieser Veranstaltung. Dem dient dann auch wieder das abendliche Beisammensein im BSH, zu dem ich Sie alle herzlich einlade. Ermöglicht wird der Abendempfang genauso wie das Symposium insgesamt durch das Bundesum- Anschrift des Verfassers: Prof. Dr. Peter Ehlers Präsident und Professor des Bundesamtes für Seeschifffahrt und Hydrographie Bernhard-Nocht-Straße 78 20359 Hamburg Neptunallee 5 18057 Rostock weltministerium, dem ich dafür sehr herzlich danke. In den Dank schließe ich all die Kolleginnen und Kollegen ein, die das Symposium vorbereitet haben und durchführen. Nur dank ihres besonderen Engagements kann Jahr für Jahr diese für uns so wichtige Veranstaltung stattfinden. Ich freue mich auf ein informatives, diskussionsfreudiges und sicher erfolgreiches Symposium, das ich hiermit eröffne. Europäische Meerespolitik Europäische Meerespolitik Meeresschutz - eine gemeinsame Aufgabe: Global, EU-weit, regional und national FRITZ HOLZWARTh Sehr geehrte Frau Trebesch, sehr geehrter Herr Dr. Ehlers, sehr geehrte Damen und Herren, in der Politik ist bekanntermaßen das Beständigste der Wechsel, und das gilt auch für Gelegenheiten wie diese. Der Minister hat kurzfristig eine andere Verpflichtung und mich deshalb gebeten, dieses Eingangsreferat heute hier zu halten. Nichtsdestoweniger darf ich Ihnen, Herr Ehlers, dem BSH, aber auch dem Auditorium die Wünsche des Ministers überbringen. Er wünscht der Veranstaltung einen guten Verlauf. Dieses Stichwort „Rolle des Symposiums“ greife ich gerne auf. Wir befinden uns in einem Diskussionsprozess, in dem wir Ihren Sachverstand, Ihre Unterstützung und auch Ihre Diskussionsbeiträge notwendig brauchen. Seit 15 Jahren ist der Titel für dieses Symposium „Aktuelle Probleme der Meeresumwelt“. Diese Überschrift könnte uns dem Verdacht aussetzen, dass wir über das Problematisieren nicht hinauskommen. Der Inhalt der Symposien geht jedoch nach allen bisher gemachten Erfahrungen über dieses Problematisieren deutlich hinaus. Im Englischen ist es manchmal einfacher, solche Dinge auszudrücken. Da würde man sagen: „From vision to action“. Ich brauche diesem Kreis nicht vorzutragen, welche Bedeutung die Meere als Grundlage unseres Lebens haben. Was mir wichtig zu sein scheint ist, dass wir beim Thema Meeresschutz einen Vierklang brauchen. Wir brauchen zum einen die globale Ebene. Dazu gehören das Seerechtsübereinkommen und die Diskussionen über dessen Revision, die gerade beginnen. Dann gibt es die europäische Ebene, die sich anschickt, im Meeresschutz etwas breiter an die Thematik heranzugehen. In diesem Zusammenhang bin ich auch ausgesprochen dankbar, dass Frau Kollegin Trebesch aus dem BMVBW etwas zum Grünbuchprozess sagt. Zudem haben wir die nationale Ebene, für die wir eine nationale Strategie entwickeln, die deutlich macht, dass dies ein wichtiges Politikfeld darstellt. Und wir haben in der Bundesrepublik die Küstenländer, die im Vollzug eine große Aufgabe und Verantwortung für den Meeres- und den Küstenschutz haben. Im Grunde genommen können wir die Problemlage, nämlich die vielfältigen Nutzungsansprüche und die daraus resultierenden „pressures“ für die Nordsee ganz gut auf der Webseite des BSH abrufen. Dort finden Sie u. a. das Informationssystem CONTIS, mit dem Sie beispielsweise alle Nutzungen, die auf der Nordsee lasten, nacheinander aufrufen können. Wenn Sie diese übereinander legen, wird Ihnen mit einem Blick deutlich, dass wir die vier Ebenen der Herausforderungen in der Meerespolitik dringend brauchen. Mit ihnen müssen wir auch unterschiedliche Einflussfaktoren miteinander in Verbindung bringen und durchaus auch gegensätzliche Interessen ausgleichen. Die Diagnose ist im Grunde genommen ziemlich klar. Die haben wir auch mehrfach in diesem Kreise diskutiert und thematisiert. Nutzungen dürfen nicht länger isoliert oder sektoral betrachtet werden, ansonsten könnte eines Tages der Satz über einem Vortrag stehen: „Die zuverlässigste Diagnose kommt allemal noch vom Pathologen.“ Das ist meiner Meinung nach eine Situation, die man sich immer vor Augen halten muss. Wenn Sie diese Nutzungsdrücke sehen und wenn Sie sehen, was wir an Forderungen haben und wie diese vier Ebenen zusammenspielen müssen, dann ist Meeresschutzpolitik und auch Meerespolitik insgesamt das, was Max Weber als das „Bohren dicker Bretter“ bezeichnet hat. Dieses ist dicker als manches andere Brett, das wir im politischen Bereich zu bohren haben. Vielleicht nicht so attraktiv und nicht so schlagzeilenträchtig. Es sei denn, es gibt Tankerhavarien oder Seehundseuchen oder irgendwelche vergleichbaren öffentlichkeitswirksamen Ereignisse respektive Katastrophen. Trotz dieser nur sporadischen Wahrnehmung handelt es 13 14 Europäische Meerespolitik sich um ein hochkomplexes Politikgebiet. Dieses müssen wir in seiner Zusammenschau betrachten und sollten es nicht in einzelne konkurrierende Aspekte von Schutz und Nutzungen unterteilen. Integration ist angesagt und die Herstellung einer Balance beider Elemente. Über die Europäische Meeresschutzstrategie wurde bereits in einem früheren Symposium berichtet. Sie ist auf dem Weg, finalisiert zu werden. Es sieht so aus, dass das in Brüssel geschnürte Paket eine Strategie enthält, die die aktuelle Situation beschreibt und die meeresschutzpolitische Richtung in Europa vorzeichnet, in die es zukünftig weitergehen sollte. Darüber hinaus werden wir - die einen sagen „hoffentlich“, die anderen sagen „hoffentlich nicht“ - den Entwurf einer Rahmenrichtlinie zum Meeresschutz bekommen. Sie wird die konsequente Ergänzung der für die Flüsse und Seen vor fünf Jahren in Kraft getretenen Wasserrahmenrichtlinie darstellen. Ich weiß, dass dies nicht viele hören wollen. Aber ich glaube, dass die Rahmenrichtlinie Meeresschutz eine wichtige Perspektive für die Umsetzung der Ziele darstellt, mit denen wir uns hier befassen. Bei aller Notwendigkeit für die Beachtung regionaler Spezifika einerseits, müssen wir auf der anderen Seite auch europäisch einheitlich vorgehen. Wir benötigen ein Instrument, das in Ergänzung zu den regionalen Aktivitäten eine rechtliche Verbindlichkeit vorsieht. Die Erfolge der Regionalkooperationen an Nordostatlantik und Ostsee sind unbestritten und wir verdanken diesen Kooperationen große Fortschritte beim Schutz und der Sanierung unserer Meere. Fest steht jedoch auch, dass die recht unterschiedlichen Umsetzungsaktivitäten der jeweiligen Vertragsstaaten, sei es aus Gründen finanzieller Unzulänglichkeiten oder aus Gründen politisch anderer nationaler Prioritätensetzung zu einer Art „Wettbewerbsverzerrung“ zwischen den europäischen Nachbarn geführt hat. Diese gilt es abzubauen und zum Wohle eines balancierten Meeresschutzes und letztlich zum Wohle unserer Meere mit rechtlicher Verbindlichkeit auszustatten. Ich habe an dieser Stelle auch schon mehrfach selbstkritisch gesagt: “Das Implementierungsdefizit, das wir in den regionalen Konventionen haben, gilt es zu reduzieren“. Es ist völlig klar, dass unsere britischen Kollegen jenseits des Kanals sich an dieser Stelle nicht in Freudensprüngen bewegen. Hier ist eher die Schrittfolge der Echternacher Spring prozession angesagt: Drei Schritte vor, einer zurück. Im Augenblick wird der Versuch unternommen, diese Meeresrahmenrichtlinie im Keim zu ersticken, bevor sie in Brüssel das Licht der Welt erblickt hat. Es wird nämlich deutlich, dass eine solche Rahmenrichtlinie nicht in der Themsemündung oder in anderen Flussmündungen auf der Insel enden kann. Hier liegt die wichtigste Schnittstelle zur WRRL, denn alles endet in dieser. Danach hätten wir zukünftig nicht nur die Einträge, sondern auch die Einflüsse von Strömungsverhältnissen mit zu berücksichtigen, wenn wir eine gute Qualität in den Küstengewässern erreichen wollen. Daraus folgt zwingend – und das Gleiche gilt auch für die Niederländer - dass wir selbst dann, wenn wir alles in unserer Macht Stehende tun, noch immer Frachten in unseren Küstengewässern vorfinden, die nicht durch unsere Maßnahmen reduziert werden können. Das gilt für alle, die so miteinander verbunden sind. Meeresverschmutzungen kennen eben (auch) keine Grenzen. In jedem Fall halte ich dies für eine wichtige Entwicklung auf europäischer Ebene, die aber auch eine deutsche Antwort erfordert. Welche Antwort hat Deutschland auf diese Fragen?. Der Sachverständigenrat für Umweltfragen hat vor 14 Monaten sein Meeresgutachten vorgelegt. Eine wesentliche Empfehlung des Rates lautet, eine nationale Meeresstrategie zu erarbeiten. Ich bin dankbar, dass wir diese Idee bereits aufgreifen konnten. Wichtig ist dabei, dass dies nicht nur eine einsame Entscheidung des BMU ist. Es besteht vielmehr Einigkeit unter den betroffenen Bundesressorts, das ehrgeizige Ziel zu realisieren, die Meeresstrategie als Strategie der Bundesregierung zu entwickeln. Da werden wir noch einige Anstrengungen investieren müssen. Aber ich denke, die integrierte Betrachtungsweise, die wir in den Mittelpunkt unserer Überlegungen stellen, ist eine konsequente Antwort auf den Befund in unseren Meeren. Hinsichtlich der nationalen Meeresstrategie haben wir uns zunächst einmal des Sachverstandes der Kollegen im Bereich des BSH, des Umweltbundesamtes, des Bundesamtes für Naturschutz und anderer Einrichtungen bedient. Wir haben auch Zulieferungen aus den betroffenen Bundesressorts bekommen. Alles in allem liegen etwa 180 Seiten auf dem Tisch, die noch nicht schlüssig sind, aber viele Ideen enthalten. Und natürlich offenbart die Lektüre der Beiträge noch das eine oder andere Konfliktfeld. Einigkeit besteht jedoch besonders im Hinblick darauf, dass wir im In- Europäische Meerespolitik teresse einer erfolgreichen Meeresschutzpolitik die Themen Umwelt und Naturschutz nicht als alleinigen Maßstab nehmen können. Wir müssen uns vielmehr mit dem Thema Nutzungen auseinandersetzen und eine Balance zwischen Schutz und Nutzung herstellen. Andernfalls können wir sicher ein lyrisch wunderbar aufgearbeitetes Papier zum „Schutz“’ auf den Tisch legen. Ob dieses Papier aber mehr ist als ein Steinbruch für politische Sonntagsreden, wage ich zu bezweifeln. Was aber sind die Leitlinien, die wir uns gegeben haben, um diese Nationale Strategie zu entwickeln? Basis muss zunächst einmal sein, dass es in erster Linie um den Erhalt der Funktionsfähigkeit des Ökosystems gehen muss. Dies ist eine wichtige Leitlinie. Sie besagt, dass politisch gewollte Nutzungen dieses Ökosystems akzeptiert werden müssen und man sie zugleich auch in Einklang mit dem Schutzgedanken bringen muss. Das bedeutet - und nun komme ich zum ersten konkreten Beispiel - dass wir unseren Einfluss geltend machen müssen, wenn es um die Weiterentwicklung und die Formulierung der Gemeinsamen Europäischen Fischereipolitik geht. Auch wissenschaftlich ist man sich da im Grunde genommen einig. Einer der größten, wenn nicht sogar der gewichtigste Faktor, wenn es um das Ökosystem Meer hinsichtlich der Nutzung und der negativen Auswirkungen geht, ist der Bereich der Fischerei. Da ist einiges in den letzten Jahren passiert. Aber ich sage es noch einmal ausdrücklich: „Es ist noch nicht genug geschehen!“ Ich habe es dieser Tage in einer Diskussion wie folgt formuliert: „Wenn alles das, was heute in der reformierten Fischereipolitik auf EU-Ebene auf dem Papier steht, wirklich umgesetzt werden würde, dann wären wir auf dem Weg zu einer Verbesserung des Ökosystems Meer einen maßgeblichen Schritt weiter.“ Hier wird es darum gehen, diese Vorstellung weiter in der Diskussion zu halten und damit unseren Beitrag zu einer schrittweisen Verbesserung zu leisten. Es ist bekanntermaßen keineswegs selbstverständlich, dass zwischen Umwelt-, Fischerei- und Landwirtschaftsministerium Konfliktfreiheit herrscht. Es gibt naturgemäß unterschiedliche Interessen. Daher muss es unser Ziel sein, an dieser Stelle eine Haltung der Bundesregierung zu formulieren, die wir weiter nach Brüssel transportieren können. Das wichtigste in dem Bereich ist, dass wir von den ad hoc-Festlegungen von Fangquoten wegkommen. Wir müssen vielmehr im Rahmen der Weiterentwicklung der Fischereipolitik dazu kommen – so wie wir das beispielsweise beim Heringsbestand seit wenigen Jahren haben – dass Vier-, Fünf- oder sogar Sechsjahrespläne beschlossen werden. Auf keinen Fall darf mehr, wie beim letzten Fischereirat im Dezember, alljährlich das berühmte Dezemberfieber ausbrechen. Dann werden Fangquoten verteilt, bei denen mehr politische denn wissenschaftliche Argumente eine Rolle spielen. Wir müssen uns bei der Debatte als Deutsche aber auch darüber im Klaren sein, dass es Landstriche in der EU gibt, die ökonomisch und sozial von der Fischerei abhängig sind. Ich würde jedem raten, der hier besonders radikale Forderungen bereit hält, sich mal auf den Weg an die galizische Küste zu machen. Dort kann man sich vor Ort ansehen, welche ökonomische und soziale Bedeutung die Fischerei für die Region hat. Für uns bedeutet dies, dass wir wie bei der Einbringung national abgestimmter Positionen in diesen Prozess auch akzeptieren, dass ein Strukturwandel dieser Dimension nicht von heute auf morgen zu bewerkstelligen ist. Zudem könnte der Verdacht aufkommen, dass wir das Thema Fischerei auf der EU-Ebene ‚in Ordnung bringen’ wollten, obwohl wir faktisch davon nicht besonders stark betroffen sind. Das reicht aber nicht aus. Zunehmend kommt auch die globale Ebene hinzu. Es kann nicht sein, dass wir dann die Verminderung von Fangquoten in Europa in der Konsequenz exportieren und damit den Fangdruck an den Küsten der Entwicklungsländer so erhöhen, dass die Fischer dort nicht einmal mehr ihre Subsistenzfischerei betreiben können, weil sie in Küstennähe keine oder nur geringe Bestände vorfinden. Dies ist meiner Meinung nach ein Punkt, den wir u.a. über nationale Ansätze in der Fischereipolitik hinaus weiterentwickeln müssen. Ein anderes aus Sicht des Meeresschutzes relevantes Thema ist die Schifffahrt. Dort lautet noch heute oft die Devise: Weder national noch auf EU-Ebene kann oder soll hier etwas geschehen. Dies gehört in die fachliche Zuständigkeit der einschlägigen UN-Behörde, der Internationalen Seeschifffahrtsorganisation, IMO. Mit dieser Vorstellung mussten wir uns lange Zeit auseinandersetzen. Spätestens seit den beiden schweren Schiffsunglücken vor der französischen und vor der spanischen Küste ist jedoch klar, dass auch die EU wirksame Handlungsmöglichkeiten hat. Diese werden genutzt, um das Thema Schiffsicherheit und die Auswirkungen der Schifffahrt auf die Umwelt stärker zu gestalten als bisher. Das kann - wie in der Vergangenheit auch bereits geschehen – auch durch gemeinsame Einbringung von EU-Initiativen in die IMO erfolgen. 15 16 Europäische Meerespolitik Beim Thema Ökosystem gibt es natürlich noch einen Punkt. Bei dem wird zwar ebenfalls in Brüssel Politik gemacht und Anreize werden gesetzt, allerdings können wir natürlich auch national einiges tun. Es geht um die Landwirtschaft. Die Punktquellen sind mit wenigen Ausnahmen in der Bundesrepublik kein großes Thema mehr wie in den 80er und 90er Jahren. Zu einem Punkt gibt es einen Vortrag im ersten Block zu dem Thema „Neue Nutzungsformen/Arzneimittel aus dem Meer“. Dies ist ein Thema, das wir mit der klassischen Kläranlage nicht bewältigen können. Darüber muss verstärkt nachgedacht werden, weil es keine schnellen und einfachen Lösungen gibt. Entscheidend ist, dass nach wie vor die Haupteinträge diffuser Art aus der Landwirtschaft und an zweiter Stelle über den Luftpfad erfolgen. An dieser Stelle müssen wir darüber nachdenken, welche nationalen Instrumente wir einsetzen können, um darauf Einfluss zu nehmen. Wenn natürlich in der Novelle der Düngeverordnung, die momentan auf dem Tisch liegt, für Grünland 230 kg Stickstoff pro Jahr und Hektar als akzeptabel angesehen werden, anstatt 170 kg, dann bekommen wir mit diesem Ansatz das Thema Eutrophierung nicht in den Griff. Wir sind hier zwar in guter europäischer Gesellschaft, doch das ist ein schwacher Trost. Auch bei diesem Thema müssen wir daher weiter am Ball bleiben. Diese drei Themen machen einzeln und erst recht bei einer Gesamtschau deutlich, dass wir nur weiterkommen, wenn wir uns über die Sektoren hinweg abstimmen. Das bedeutet gleichzeitig, dass nicht die Umweltseite allein in jedem Fall immer die Maßstäbe setzen kann, die andere umsetzen müssen. Das gilt es auf der Umweltseite einfach auch zu akzeptieren. Wir müssen uns die fachlichen Erfahrungen, die es in den einzelnen Sektoren gibt, zu Nutze machen. Lassen Sie mich einen letzten Punkt ansprechen. Es gibt einen Konflikt, den wir nicht nur im Meeresschutz beobachten. Dieser existiert auch in vielen anderen Bereichen des Umweltschutzes und schwebt wie eine Art Fata Morgana über allem. Es gilt, den Konflikt zwischen Vorsorgeprinzip und letztem Beweis aufzulösen. Das bedeutet, dass wir uns nicht darauf ausruhen können, noch nicht alle wissenschaftlichen Erkenntnisse gewonnen zu haben, die wir gerne hätten und politische Entscheidungen deshalb nicht zu treffen. Es bedeutet vielmehr, dass wir mit dem Vorsorgeprinzip, also mit der auf dem Tisch liegenden wissenschaftlichen Erkenntnis, unsere Politik begründen und formulieren müssen. Lücken in der wissenschaftlichen Erkenntnis dürfen nicht zum Prinzip des Nichtstuns im Meeresbereich führen. Mir ist bewusst, dass das Thema Vorsorgeprinzip und letzter wissenschaftlicher Beweis eine Art Tanz auf der Rasierklinge ist. Das kann und möchte ich nicht wegdiskutieren. Wenn wir das Vorsorgeprinzip weiter als tragendes Element von Politikgestaltung in allen Bereichen der Umweltpolitik, also auch im Meeresbereich haben wollen, müssen wir einen Weg finden, damit in der Praxis wirklich umzugehen, ohne jedoch ausschließlich Sonntagsreden zu formulieren. Ein Meeresschutz auf dieser Grundlage ist das Ziel der nationalen und auch der europäischen Strategie. Meeresschutz ist nicht die Frage saisonaler Aktivitäten bei Auftauchen von Problemen, wie z. B. vorgestern, als wir wieder über (die) Tickermeldungen des Themas „Algenblüte“ auf unsere Schreibtische gespült bekommen haben. Nicht selten bricht dann eine Art Betroffenheitstourismus aus - so nenne ich das einmal. Aber vier Wochen später, wenn es darum geht, die gewonnenen Erkenntnisse in tatsächliche Politik umzusetzen und dafür zu sorgen, dass wir die nationale Meeresstrategie als ein Kontinuum über die Jahreszeiten hinweg im Auge behalten können, dann wird es etwas schwierig. Ich weiß, wir haben einen ehrgeizigen Plan. Ich bin auch davon überzeugt, eine nationale Meeresstrategie kein Projekt ist, das sich in den Grenzen von Legislaturperioden erarbeiten lässt. Das ist vielmehr ein Projekt, das über Legislaturperioden hinweg wirken muss. Nur dann werden wir in langer Perspektive erfolgreich sein. Der Spruch von John Maynard Keynes, dem Ökonomen der 20er Jahre, kann uns nicht genug sein: “In the long run we are all dead.” Vielen Dank. Anschrift des Verfassers: Dr. Fritz Holzwarth Ministerialdirigent Unterabteilungsleiter Wasserwirtschaft im Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Robert-Schuman-Platz 3 53175 Bonn Europäische Meerespolitik Meeresschutzstrategie aus Sicht eines Küstenlandes BERND SCHERER Europa ist eine Halbinsel, die überwiegend von Meeren umschlossen ist. Ein Drittel der Menschen in der EU lebt an den Küsten. Die europäischen Meere stellen eine gewaltige natürliche Ressource dar, auch für die Wirtschaftskraft der EU. Gleichzeitig gilt: Die Meere sind einer Vielzahl von Nutzungen ausgesetzt, die zu einer fortschreitenden Belastung, teilweise sogar zu einer Zerstörung ihrer Ökosysteme geführt haben und weiterhin führen. Die EU- Kommission hat im Jahre 2002 eine Mitteilung „Hin zu einer Strategie zum Schutz und zur Erhaltung der Meeresumwelt“ (KOM(2002)539) vorgelegt, in der das Thema Meer erstmals mit einem umfassenden integrativen Politikansatz behandelt wird. Dieser Ansatz hat zwar einen Schwerpunkt im Bereich Umwelt, verweist aber an vielen Stellen auch auf Wirtschaft und Soziales. Das übergreifende Ziel der EU Meeresschutz-Strategie besteht in einer nachhaltigen Nutzung der Meere und dem Erhalt der Meeresökosysteme. Der ökosystemare Ansatz auf der Grundlage des Vorsorgeprinzips soll Politiken und Managementmaßnahmen ermöglichen, die darauf abzielen, die Folgen von Nutzungen und Eingriffen zu bewerten und zu bewältigen. Der Ansatz zielt auf alle menschlichen Aktivitäten, die Auswirkungen auf die Meere haben - auf See ebenso wie an Land. Die Kommission plant, die endgültige „Marine Strategy“ noch im Laufe des Jahres 2005 vorzulegen. An der Fertigstellung dieser EU-Strategie ist auch Schleswig-Holstein als Vertreter der 5 Küstenländer in den entsprechenden deutschen Delegationen vertreten. Noch völlig offen ist die entscheidende Frage, welche Qualität die „Marine Strategy“ am Ende bekommen wird. Da es bereits genug unverbindliches Papier in den Bücherregalen gibt, sollten die wesentlichen Inhalte aus Sicht des Meeresschutzes unbedingt rechtliche Bindungswirkung erhalten, etwa durch Realisierung einer EU-Richtlinie. Inzwischen ist der für die neue Generaldirektion „Fischerei und maritime Angelegenheiten“ berufene EU-Kommissar Joseph Borg für die übergreifende Koordinierung der gesamten maritimen Politik innerhalb der Europäischen Kommission verantwortlich. Zugleich hat er den Vorsitz einer ressortübergreifenden Kommissions-Arbeitsgruppe (Taskforce) übernommen, die ein Grünbuch zur maritimen Politik entwickeln soll. Das Grünbuch wird die Chancen und Herausforderungen herausarbeiten, mit denen Europa auf dem maritimen Sektor konfrontiert ist. Es muss sowohl Wege zu einer effektiven als auch zu einer umfassend nachhaltigen Nutzung der Ressource Meer aufzeigen: es gilt, die ökonomische und ökologische Zukunftsfähigkeit der Ressource Meer sicherzustellen, entsprechend den Zielsetzungen von Lissabon (Schwerpunkt Wirtschaftswachstum) und Göteborg (Schwerpunkt Nachhaltigkeit). Noch ist nicht vorherzusehen, mit welchem Gewicht die „Marine Strategy“ in das Grünbuch eingehen wird. Der Umgang mit dem Thema Meer wird insofern zu einem Prüfstein werden, wie die Europäische Union die Stärkung ihrer wirtschaftlichen Interessen mit ihrer Verantwortung für globale ökologische Entwicklungen verbindet. Dabei haben viele Entscheidungen im Bereich der Meerespolitik Auswirkungen auf die Küstenregionen. Auf Bundesebene wird derzeit an einer nationalen Meeresschutz-Strategie gearbeitet. Diese soll vermutlich noch in diesem Jahr auch mit den Küstenländern beraten werden. 17 18 Europäische Meerespolitik Vor diesem europäischen und nationalen Hintergrund wird als wichtiges politisches Ziel SchleswigHolsteins eine eigene Meerespolitik formuliert, um die eigene regionale Dimension in das Grünbuch zur maritimen Politik und damit in eine umfassende europäische Meerespolitik einzubringen. Vor diesem Hintergrund sind aus schleswig-holsteinischer Sicht folgende Bereiche von besonderer Bedeutung: Die Landesregierung Schleswig-Holstein hat deshalb vor einiger Zeit die Initiative „Zukunft Meer“ gestartet. Damit sollen Potenziale im Land freigesetzt und gefördert, und zugleich die auf EU-Ebene verfolgte Strategie komplementär begleitet und unterstützt werden. • Verringerung der Einträge von Schad- und Nährstoffen ins Meer, insbesondere durch Umsetzung der Wasserrahmenrichtlinie und durch Förderung extensiver und ökologischer Landbewirtschaftung, denn noch immer sind unsere Meere Problemgebiete der Eutrophierung und zu hoch mit Schadstoffen belastet. •· Klimaschutzaktivitäten zum Schutz mariner Ökosysteme und der Küste, denn Folgen des Klimawandels beeinflussen u. a. Fischerei und Küstenschutz. •· Entwicklung und Förderung von Aquakulturprojekten mit geschlossenen Kreisläufen, denn bei gleich bleibendem oder steigendem Bedarf an Nahrung aus dem Meer und anhaltender Überfischung können diese eine Entlastung (und Exportchance) bedeuten. In einem umfassenden regionalen Ansatz zur integrierten und fachbereichsübergreifenden Meerespolitik sollen die Stärken in den verschiedenen maritimen Sektoren identifiziert und zu einem Gesamtkonzept mit konkreten Projekten gebündelt werden. Schleswig-Holstein soll so zu einer europäischen Modellregion für maritime Kompetenzen gemacht werden. In diese Landesaktivitäten zur Meerespolitik insgesamt gliedern sich die auf den integrierten Meeresschutz bezogenen strategischen Ansätze des Ministeriums für Landwirtschaft, Umweltschutz und ländliche Räume ein. Sie gründen sich auf die Einsicht, dass zwar der Meeresschutz bezogen auf die gesamte Meerespolitik nicht alles ist, dass aber ohne ihn alles nichts ist! Dies gilt für Leben, Gesundheit und Genuss von uns und unseren Kindern – und damit für den entscheidenden weichen Standortfaktor von SchleswigHolstein. Das gilt gleichermaßen für Fischerei- und Ernährungswirtschaft, sowie für einen unserer ertragreichsten Wirtschaftszweige, den Tourismus. Es gilt aber auch für Seetransport, der nur in Verbindung mit dem Meeresschutz gesellschaftliche Akzeptanz hat, und in der Folge für Schiffbauindustrie und verwandte Bereiche. Selbst die „kulturelle Nutzung“ von Meer und Küste ist ohne eine intakte Meersumwelt schlechterdings nicht vorstellbar. Es ist deshalb entscheidend, dass wirksamer und umfassender Meeresschutz weder als sektorales Naturschutzhobby noch als wirtschaftsbehindernde Aktivität von Einzelnen verkannt wird, sondern als das gesehen wird, was er ist: Unabdingbare Voraussetzung für menschliches Leben und Wirtschaften. Aktivitäten an Land: Aktivitäten auf See: • Flächenhafter Natur- und Meeresschutz, u. a. durch die Entwicklung des Nationalparks Schleswig-Holsteinisches Wattenmeer und das Netz der marinen Natura 2000-Schutzgebiete, denn nur gezielter Erhalt der wertvollsten Lebensräume sichert Biodiversität und bewahrt die Grundlage für unsere (auch wirtschaftliche!) Zukunft. •· Wirksamer Schutz für Wale im schleswig-holsteinischen Walschutzgebiet, denn noch immer ertrinken tausende von Walen in der Nordsee in Stellnetzen. • Vorsorge gegen und die Bekämpfung von Meeresverschmutzungen, denn sowohl die tägliche „kleine“ Ölverschmutzung, als auch die großen Unfälle bedrohen unsere Küsten. •· Mitwirkung bei der Verbesserung der Schiffssicherheit und der Sicherheit im Seeverkehr, denn, obwohl schon viel erreicht ist, stehen wichtige Schritte noch aus. •· Entwicklung und Förderung einer nachhaltigen Fischerei, denn nach wie vor befinden sich viele Arten u.a. durch anhaltende Überfischung außerhalb biologisch sicherer Grenzen. Europäische Meerespolitik • Hinwirken auf eine Verringerung des Schadstoffausstoßes durch den Schiffsverkehr, denn wir wissen, dass (mindere) Qualität und Menge der als Schiffstreibstoff genutzten Bunker-Öle eine signifikante Belastung der Atmosphäre und der Meere darstellen. Mitwirkung bei der nationalen und internationalen Meeresschutzpolitik: • Mitarbeit in den regionalen Meeresschutzkonventionen HELCOM und OSPAR, denn nur auf der internationalen Ebene können die Meere wirksam geschützt werden – hier müssen die schleswig-holsteinischen Interessen eingebracht werden. • Mitarbeit bei der EU Marine Strategy, denn bei der Vielzahl von internationalen Arbeitsgremien ist eine Verschlankung und Vereinheitlichung auf der europäischen Ebene mit anschließender rechtlicher Bindungswirkung der Regeln dringend erforderlich. • Hinwirken auf die Erarbeitung einer Neukonzeption des deutschen Meeresmonitorings, denn das Bund/Länder-Messprogramm muss vor dem Hintergrund von Wasserrahmenrichtlinie, Natura 2000 und anderen internationalen Anforderungen grundsätzlich neu ausgerichtet werden. Alle diese Punkte sind der besonderen geographischen Lage Schleswig-Holsteins zwischen den europäischen Meeren Nord- und Ostsee geschuldet. Sie haben über den reinen Meeres- und Umweltschutz hinaus unmittelbare kurz- und vor allem langfristige Bedeutung auch für die schleswig-holsteinische Wirtschaft. Sie sind geeignet, wissenschaftliche und technologische Entwicklung im Land zu befördern. Sie unterstützen das positive Image Schleswig-Holsteins als Umwelt-, Technologie und Gesundheitsstandort. Sie erhalten und verbessern die weichen Standortfaktoren für die Ansiedlung von Menschen und Unternehmen. Und viele - dies ist für eine Küstenregion wie Schleswig-Holstein von besonderer Bedeutung - sind Voraussetzung und Bedingung für einen unserer bedeutendsten Wirtschaftszweige, den Tourismus. Initiative „Zukunft Meer“ Identifizierung von Stärken in maritimen Sektoren Unterstützung und Begleitung der EUMeerespolitiken/Strategien Schleswig-Holstein als Modellregion für Maritime Kompetenzen Abb. 1: Grundgedanken der Initiative „Zukunft Meer“, schematische Darstellung Freisetzung und Förderung wirtschaftlicher Potenziale 19 20 Europäische Meerespolitik Meeresschutz als Voraussetzung für die Sicherung der maritimen Wirtschaft Schutz der marinen Nahrungsgrundlagen Vermeidung der Schadund Nährstoffeinträge Stärkung Stärkung Tourismus: Fischerei-/ Ernährungswirtschaft Badegewässer-, Strandqualität Sight Seeing Schutz von Artenvielfalt/ Meeresumwelt gesellschaftliche Akzeptenz u. a. des Seetransportes Abb. 2: Meeresschutz als Voraussetzung für die Sicherung der maritimen Wirtschaft, schematische Darstellung Anschrift des Verfassers: Dr. Bernd Scherer Meeresschutz und Nationalpark Ministerium für Landwirtschaft, Umwelt und ländliche Räume des Landes Schleswig-Holstein Mercatorstr. 3 24106 Kiel Europäische Meerespolitik Position der Bundesregierung zur Meerespolitik HILDE TREBESCh* Gegenstand dieses Vortrages ist das Positionspapier der Bundesregierung zur Meerespolitik. Die Bundesregierung begrüßt die Entscheidung der EU-Kommission, ein Grünbuch zur EU-Meerespolitik zu erarbeiten, und will in diesen Prozess ihre Position einbringen. 1 Grundsätze Die Meere sind eine maßgebliche Grundlage des Lebens. Rund 70 % der Erdoberfläche sind vom Meer bedeckt. Es enthält 98 % des Wasservolumens des Planeten: Gesunde Meere sind eine vielfältige Quelle für Ernährung, Wohlstand und Beschäftigung der Menschen sowie ein wesentlicher Klimafaktor und wichtiger Lebensraum für Pflanzen und Tiere. Das Meer hat entscheidende Bedeutung für das wirtschaftliche, soziale und kulturelle Miteinander der Menschheit. Die zunehmende Globalisierung und Vernetzung erfordern es, das Meer ganzheitlich als einen dem Land gleichwertigen Natur- und Wirtschaftsraum zu erfassen. Nur eine abgestimmte Politik der Mitgliedstaaten kann wegweisend und beispielhaft über die Meere hinweg sein. Die Bundesregierung unterstützt die Absicht der Kommission, Aktivitäten im Bereich der Meerespolitik zusammenzuführen. Dieser integrative Politikansatz kann es ermöglichen, einen Ausgleich zwischen den sektoralen Politiken der EU zu finden. Betroffen sind Bereiche wie Verkehr, Umwelt, Fischerei und Landwirtschaft, Industrie, Energie, Rohstoffgewinnung, Forschung und Tourismus. Meeresbezogene Aufgaben und ihre Auswirkungen auf Drittländer, insbeson- * dere aber auch die Nachhaltigkeit bei der Nutzung der Meere und der Schutz der Meeresumwelt sowie die Erhaltung ihrer Funktionen sind bei den Gemeinschaftspolitiken systematisch zu berücksichtigen. Eine nachhaltige Meerespolitik steht im Spannungsfeld zwischen Regulierung und Wettbewerb. Sie hat sich einzufügen in die einschlägigen EU-Strategien wie die Lissabon-Strategie und die Nachhaltigkeitsstrategie einschließlich des Auftrags zu ökonomischer, sozialer und umweltpolitischer Erneuerung. Künstlich gezogene Grenzen, wie Hoheitsgewässer und Ausschließliche Wirtschaftszonen, haben nichts mit den Funktionen der Meere zu tun. Ein Grünbuch EU-Meerespolitik kann sich insofern nicht auf bestimmte Zonen beschränken, sondern muss alle Weltozeane in ihrer Gesamtheit miterfassen. Maßnahmen zugunsten des Meeresumweltschutzes und der Schiffssicherheit erfordern verbindliche Regelungen. Solche Regelungen reichen über die Grenzen der Hoheitsgewässer hinaus, da Vorschriften z. B. auch die Bedingungen für Schiffe regeln, die in Hoheitsgewässer einfahren. Ebenso gelten EUQualitätsanforderungen an Schiffe und Besatzungen der Mitgliedstaaten, wo immer sich diese Schiffe und Besatzungen auf den Weltmeeren befinden. Über die Internationale Seeschifffahrtsorganisation (International Maritime Organization – IMO) können die EU-Mitgliedstaaten EU-Regelungen weltweit Geltung verschaffen und den Ansatz des Grünbuchs zur Meerespolitik über die Grenzen hinaustragen. Auf der anderen Seite erfordert die „Freiheit der Meere“ freien Handel und Wettbewerb sowie freien Zugang zu den Häfen. Im Vortrag wurden Schwerpunkte des von der Bundesregierung erarbeiteten Positionspapieres zur Meerespolitik dargestellt, das hier in voller Länge wiedergegeben wird. 21 22 Europäische Meerespolitik Für eine nachhaltige Nutzung und den Schutz der Meere unverzichtbar sind die wissenschaftlich begründete Meeresforschung sowie die Entwicklungsaktivitäten der Schiffs- und Meerestechnik. Die Meerespolitik muss den dafür benötigten Freiraum schaffen. Eine gemeinsame Meerespolitik der EU-Mitgliedstaaten ändert per se nichts an bestehenden Zuständigkeiten, also auch nichts am Grundsatz der Subsidiarität. Sie kann jedoch dazu beitragen, dass übereinstimmende Ziele gemeinsam verfolgt werden. 2 Forschung/Wissen über die Meere 2.1 Herausforderungen Die Meeresforschung liefert die wissenschaftlichen Grundlagen einer zukunftsfähigen Entwicklung: Schutz der Umwelt und nachhaltige Nutzung der marinen Ressourcen. Es gilt, ein Gesamtverständnis zu erlangen über die Prozesse in der Erdkruste mit dem damit verbundenen Nutzungs- und Risikopotenzial, den Ozeanen, Randmeeren und ihren Ökosystemen, den Polkappen und der Atmosphäre. Nur so können die Wechselwirkungen von natürlichen Abläufen und antropogenen Einflüssen verstanden und globale Prozesse, wie die Klimaentwicklung aufgeklärt und berücksichtigt werden. Fach- und länderübergreifende Zusammenarbeit wird dabei zunehmend unverzichtbarer. Bei der Entwicklung der Messtechnik zeichnen sich verschiedene, einander ergänzende Systeme ab: am Meeresgrund fest verankerte Messplattformen einerseits und mobile Systeme andererseits. Ergänzt werden die Systeme durch flugzeug-, aber insbesondere durch satellitengestützte Messverfahren. Informationen von den Stationen zu den Auswertezentren müssen energiearm übertragen werden. Dies gilt auch für die Steuerung der Stationen durch Einsatzzentren. 3 Küstenschutz 3.1 Herausforderungen Küstenregionen sind Schnittstellen zwischen Meeresund Landnutzung und bedeutende Wirtschaftsräume. 70 % der Weltbevölkerung und 60 % der Europäer leben in Küstennähe. Küstenregionen sind sozial, wirtschaftlich und kulturell von der Meeresnutzung entscheidend geprägt und abhängig. Küstenzonen sind nicht nur die Küstengewässer und die Ausschließliche Wirtschaftszone, sondern auch ein breiter Streifen an Land, der jedenfalls die Flussmündungen, aber auch alle ins Meer führenden Flussläufe in Küstennähe umfasst. Die deutschen Küstenländer stellen gegenwärtig für die Küstenmeere und der Bund für die Ausschließliche Wirtschaftszone Raumordnungspläne auf. 3.2 2.2 Handlungsfelder Ein Monitoring der Meeresumwelt sollte im Rahmen der EU gefördert werden. Eine enge Abstimmung nationaler Programme im europäischen Raum findet in den „ERA-Nets„ der Europäischen Gemeinschaft statt; hier vor allem CRUE zu Hochwasserthemen, BONUS im Bereich der Ostseeforschung und MarinERA� ��������� im Bereich der Nordsee- und Atlantikforschung sowie im weltweit aktiven IODP. Für eine erfolgreiche europäische Forschung wird es darauf ankommen, in Zukunft die Forschungsaktivitäten noch stärker zu koordinieren und gemeinsame Infrastrukturen zu schaffen. Der Förderung des World Fish Centers in Malaysia kommt große Bedeutung hinsichtlich der anwendungsbezogenen entwicklungsorientierten Forschung im Bereich nachhaltiger Fischerei zu. Handlungsfelder Im Rahmen der Umsetzung des integrierten Managements der Küstengebiete in Europa (Integriertes Küstenzonenmanagement - IKZM) werden alle wirtschaftlichen, ökologischen und gesellschaftlichen Aspekte zu betrachten sein, die auf diese Zone einwirken. Die Nutzung der Küstenregionen ist so zu gestalten, dass der Verlust von Menschenleben und die Zerstörung von Infrastruktureinrichtungen bei Naturkatastrophen weitgehend vermieden wird. Die nachhaltige Entwicklung der Küstengebiete und Meere ist ein wichtiges Ziel der in Rio 1992 verabschiedeten Agenda 21. Auch die internationale und von Deutschland und der EU ratifizierte Biodiversitäts-Konvention räumt dem Küstenschutz einen besonderen Stellenwert ein. Europäische Meerespolitik 4 Nachhaltige Nutzung des Meeres 4.1 Fischerei 4.1.1 Herausforderungen Die Fischerei ist von großer wirtschafts-, ernährungsund beschäftigungspolitischer Bedeutung. In vielen Ländern der Erde ist Fisch die wichtigste Eiweißquelle für Hunderte Millionen Menschen. Jedoch sind die natürlichen Produktionsgrenzen erreicht. Die Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO) schätzt zwei Drittel aller Meere und Gewässer als voll genutzt bis überfischt ein. 4.1.2 Handlungsfelder Die Fischerei sollte grundsätzlich dem Prinzip der Nachhaltigkeit folgen, so wie es in der gemeinsamen Fischereipolitik der EU verabschiedet wurde. Ökosystemansatz und Vorsorgeprinzip sollten zentrale Bedeutung für die europäische Fischerei haben. Die Fischerei sollte negative Auswirkungen auf Lebewesen des Meeresbodens vermeiden und selektivere bzw. umweltfreundlichere Fangtechniken nutzen. Für die kommenden Jahre muss alles getan werden, um die notwendigen Erhaltungs- und Bewirtschaftungsmaßnahmen zu verbessern und konsequent anzuwenden, damit auf Dauer eine umweltverträgliche und nachhaltige Fischerei sichergestellt werden kann. Insbesondere kommt es darauf an, die illegale Fischerei sowie die hohen Rückwürfe unbeabsichtigt mitgefangener Fische und anderer Meeresorganismen zu unterbinden. Der Verhaltenskodex der FAO für eine verantwortungsvolle Fischerei muss konsequent umgesetzt werden. Für einen nachhaltigen Ausbau der marinen Aquakultur müssen die geeigneten Fischarten für die Aquakultur und ihre Haltungsbedingungen identifiziert, die Aufzucht von wichtigen Fischarten im großen Maßstab gemeistert und die Ernährung der in Aquakultur gehaltenen Tiere umweltverträglich gestaltet sowie die Abwässer geklärt werden. Europäische Fischereiflotten sind heute vielfach in den Hoheitsgewässern vieler Entwicklungs- und Schwellenländer Afrikas und Asiens tätig. Derzeit werden nahezu 60 % des europäischen Verbrauchs mariner Nahrungsressourcen aus Drittländern eingeführt, stammen also aus Meeren außerhalb Europas. Die gleichen Prinzipien, die für die Fangaktivitäten in EU-Gewässern gelten, sollten auch für Fischereiabkommen mit Drittstaaten gelten. Gelder, die Drittstaaten aus diesem Abkommen zufließen, sollten vor Ort zur Verbesserung des Fischereimanagements führen. 4.2 Energie- und Rohstoffgewinnung 4.1.1 Herausforderungen Ziel der Nachhaltigkeitsstrategie der Bundesregierung im Energiebereich ist es, die Abhängigkeit von Energieimporten zu verringern und die Umweltverträglichkeit – vor allem unter Klimaschutzgesichtspunkten – zu erhöhen. Zu einer langfristig gesicherten Energieversorgung soll vor dem Hintergrund des Kernenergieausstiegs und der CO2-Minderungsverpflichtungen im Sinne der Nachhaltigkeitsstrategie der Bundesregierung auch der Ausbau der Offshore-Windenergie beitragen. Der Ausbau der Windenergie auf dem Meer bietet große Möglichkeiten für einen effizienten Klimaschutz. Die Nutzung mariner Rohstoffe kann ein wichtiger Baustein für den wirtschaftlichen Fortschritt der Entwicklungs- und Transformationsländer sein. Zahlreiche Länder, insbesondere in Afrika, verfügen derzeit allerdings noch nicht über institutionelle Kapazitäten (z. B. effektive hydrographische Dienste), um die Ausdehnung von Souveränitätsrechten über die 200-Meilen-Zone hinaus bis zu maximal 350 Meilen nach dem Internationalen Seerechtsübereinkommen der Vereinten Nationen (SRÜ) in der vorgegebenen Frist bis 2009 zu beantragen. Hier kann die EU Hilfestellung geben. Durch die dabei erlangten eindeutigen, international gültigen Regelungen können einseitige Festlegungen maritimer Grenzen vermieden werden, die sich als Ausgangspunkt für Krisen und Konflikte negativ auf die Nutzung der Meere durch die EU auswirken könnten. Im Sinne nachhaltiger Nutzungsstrategien ist das Rohstoffpotenzial unerforschter Meeresregionen von hoher Bedeutung sowie die Erforschung unkonventioneller Energierohstoffe und die Entwicklung innovativer Explorationskonzepte. 23 24 Europäische Meerespolitik 4.2.2 Handlungsfelder Die Bundesregierung hat sich im Erneuerbare-Energien-Gesetz zum Ziel gesetzt, bis 2010 den Anteil der erneuerbaren Energien auf mindestens 12,5 % an der Stromversorgung und bis 2020 auf mindestens 20 % zu erhöhen. Der Ausbau der Offshore-Windenergie muss unter Berücksichtigung der Belange des Umwelt- und Naturschutzes, der Sicherheit und Leichtigkeit der Schifffahrt, der Wirtschaft und militärischer Nutzungen erfolgen. Die Eckpunkte des Ausbaus der OffshoreWindenergie����������������������������������� nutzung in Deutschland sind in der „Strategie der Bundesregierung zur Windenergienutzung auf See“ (2002) festgelegt. Bis zum Jahr 2010 sollen zur Windenergienutzung auf See 2.000 bis 3.000 Megawatt und bis 2030 ca. 25.000 Megawatt installierter Leistung in Offshore-Windparks aufgebaut werden. Zur Umsetzung der Strategie werden parallel zu den laufenden Genehmigungsverfahren Eignungsgebiete für Offshore-Windenergie bis Ende 2005 identifiziert. Gleichfalls sind die aus dem Bereich Meerestechnologie für die Erdöl und Gasexplorationstechnik entwickelten und bekannten Technologien für den Aufbau von Windenergieanlangen in küstenfernen Tiefwasserstandorten (Gründungstechniken) interessant. Die erneuerbaren Energiegewinnungstechniken der Gezeiten- und Strömungskraftwerke bzw. die Nutzung von Wärmeunterschieden in Gewässern können gegenwärtig nur an definierten Standorten mit optimalen Umweltbedingungen, wie zum Beispiel hohem Tidenhub, hohen Strömungsgeschwindigkeiten, hohen Temperaturgradienten, eingesetzt werden. Es handelt sich hier aber um ein energiepolitisches Zukunftsthema, das aufgrund der geografischen Gegebenheiten für die Mitgliedstaaten von sehr unterschiedlichem Gewicht ist. Schon heute werden weltweit mehr als ein Drittel der Öl- und Gasförderung vom Meeresboden aus gewonnen. Damit die heute üblichen Offshore-Plattformen schrittweise durch umweltschonende Förderund Transporttechnologien für den Unterwassereinsatz (z. B. Mehrphasen-Pumptechnik, Pipelines) ersetzt werden können, müssen durch Forschung und Entwicklung die technischen Voraussetzungen geschaffen werden. 4.3 Seeverkehr 4.3.1 Herausforderungen Volkswirtschaften sind auf den reibungslosen und günstigen Warenaustausch mit anderen Wirtschaftseinheiten in der Welt existenziell angewiesen. Daher ist die Nutzung des Meeres als Transportweg zwischen Wirtschaftsräumen zentrales Element einer globalisierten Wirtschaft. Über 90 % des europäischen Handels mit überseeischen Märkten werden über das Meer als Verkehrsträger abgewickelt. 35 % des innereuropäischen Warenverkehrs finden auf See statt. 25 % des deutschen Warenaußenhandels wurden über deutsche Seehäfen verschifft, der Großteil über Hamburg, Bremen und Wilhelmshaven. Im Internationalen Seerechtübereinkommen (SRÜ) wird dem Seeverkehr Vorrang vor anderen Nutzungen eingeräumt und der rechtliche Rahmen zur Nutzung und zum Schutz des Meeres gesetzt. Häfen sind entscheidende Glieder in der Logistikkette, Träger von Innovationen und Jobmotoren in der Region. Die maritime Wirtschaft ist ein High-Tech-orientierter Wirtschaftszweig mit großer Innovationskraft und zukunftsfähigen Beschäftigungsfeldern. Die maritime Wirtschaft in Deutschland beschäftigt rund 300.000 Menschen und ist ein bedeutender Sektor der Volkswirtschaft. Die Logistikbranche und der Seeverkehr sind ökonomische Anwendungsfelder für innovative Schlüsseltechnologien (Telematiksysteme, AIS, Galileo, Flottenmanagementsysteme), die den europäischen Vorsprung gegenüber anderen Regionen und Nationen sichern können. Durch die Einführung eines verbindlichen Internationalen Sicherheitsmanagement-Systems für die Betreiber von Seeschiffen (ISM-Code) ist der Schiffsbetrieb zuverlässiger und sicherer geworden. Dabei ist die Angemessenheit der jeweiligen Sicherheits-Management-Systeme zu prüfen und das Kosten-Nutzen-Verhältnis im Auge zu behalten. International abgestimmte Bau- und Ausrüstungsvorschriften (z. B. Doppelhüllen für Tankschiffe, sicherer Transport von Bunkeröl) müssen weltweit gelten, damit es nicht Regionen unterschiedlicher Sicherheit gibt. Europäische Meerespolitik 4.3.2 Handlungsfelder Die zunehmende Nutzung der Meere als Transportweg, Rohstofflieferant und Nahrungsquelle erfordert neuartige technische Lösungen zum Schutz des Meeres und der Küsten bei wirtschaftlich vertretbaren Kosten. Auf dem Gebiet von Unfallvorsorge und Bekämpfung ist zwar schon viel erreicht worden, durch Entwicklung leistungsfähiger Früherkennungsund Unfall-Management-Systeme können jedoch weitere Möglichkeiten zum Schutz der Meeresökologie erschlossen werden. Zur Beseitigung von Meeresverschmutzungen nach Öltankerhavarien müssen Techniken entwickelt werden, die auch bei hohem Seegang und in Flachwassergebieten schnell und wirksam einsetzbar sind. Illegale Öleinleitungen von Schiffen werden durch Kontrollflüge, Kontrollen auf See, Hafenstaatkontrollen und zunehmend auch durch Auswertungen von Satellitendaten aufgespürt und strafrechtlich verfolgt. Der weitaus größte Teil des Schadstoffeintrags in die Meere wird von Aktivitäten an Land verursacht und nur zu einem geringen Prozentsatz von der Schifffahrt oder der Rohstoffförderung. IMO-Vorschriften garantieren eine höhere Umweltfreundlichkeit der Schiffe. Dazu gehören die Reduktion von Emissionen aus Schiffsmotoren ebenso wie Maßnahmen zur Verhinderung der Einbringung von Öl, Abfällen und Abwasser ins Meer. Darüber hinaus ergibt sich aus der Weiterentwicklung besonders energieeffizienter Antriebssysteme ein erhebliches Potenzial zur Senkung der Schadstoffbelastung. Hierzu gehören Brennstoffzellen, Gasturbinen sowie Antriebe, die auf der Hochtemperatur-Supraleittechnik basieren oder die Windkraft nutzen. Durch Regelungen für den Austausch oder die Behandlung des Ballastwassers auf Schiffen soll dem Einschleppen von Schädlingen in Häfen oder sensible Seegebiete entgegengewirkt werden. Schiffsanstriche, die Bewuchs am Schiffsrumpf verhindern sollen, müssen unschädlich für Flora und Fauna im Meer sein. Baldmöglichst sollen weltweit kostengünstige und leistungsfähige Hafenauffangeinrichtungen angeboten werden. Zur Senkung der CO2-Emissionen der Schiffe erarbeitet die IMO ein Indexingsystem. Die Mitgliedstaaten der EU sollten im Rahmen der IMO auch die politische Umsetzbarkeit von CO2-Reduktionen in der Seeschifffahrt proaktiv thematisieren. Freiwillige Initiativen wie Umweltzertifikate und wirtschaftliche Anreize für besonders umweltfreundliche Schiffe, Kampagnen der Ölindustrie, freiwillige Maßnahmen von Reedereien (Greenshipping, Blaue-Engel-Zertifikate) und Werbung mit emissionsarmen Transporten verbessern den Meeresschutz. Bei stark befahrenen und gefährlichen Gebieten sind klare Verkehrsregeln unter Einschluss von Verkehrstrennungsgebieten vorzugeben und entsprechende Routen instand zu halten. In Deutschland wurde ein umfangreiches Sicherheitskonzept entwickelt, das Vorschriften und Maßnahmen zur Verkehrsunterstützung und zur Verhütung von Unfällen ebenso enthält, wie Konzepte für den Umgang mit Notfällen. Der Bund arbeitet dabei eng mit den Küstenländern zusammen. Mit den Nachbarstaaten Dänemark, Niederlande, Schweden und Polen bestehen Kooperationsvereinbarungen zur Unfallbekämpfung; auch mit der Russischen Föderation wurde eine Vereinbarung zur gegenseitigen Unterstützung bei Unfällen geschlossen. Zur Schadensbegrenzung bei Seeunfällen ist eine effektive Notfallvorsorge und ein umfassendes Unfallmanagement einschließlich der Zuweisung eines Notliegeplatzes von zentraler Bedeutung. Dies ist durch eine Zusammenarbeit über die Staatsgrenzen hinweg sicherzustellen. Vorschriften zu Umweltmaßnahmen, für Bau und Ausrüstung der Schiffe, für Haftung und Schadenersatz ebenso wie zur Besetzung der Schiffe und Ausbildung der Besatzungen müssen für alle Flaggenstaaten gleichermaßen gelten, um Wettbewerbsverzerrungen und Ausflaggung zu vermeiden. Zur Erhöhung der Sicherheit auf See ist international auf die Weiterentwicklung sowohl terrestrischer als auch satellitengestützter Manövrier-, Navigationsund Kommunikationssysteme für Schiffe sowie landgestützter Systeme zur Fernüberwachung (Tele-Monitoring) des Seeverkehrs zu drängen. Die in der IMO beschlossenen Systeme mit dem Merkmalen verschuldensunabhängige Gefährdungshaftung des Schiffseigners, Versicherungspflicht mit einheitlichem Nachweis und effektiver Kontrolle sowie einem Direktanspruch des Geschädigten gegenüber dem Versicherer, ergänzt durch zusätzliche Entschädigungsfonds, sind insbeson- 25 26 Europäische Meerespolitik dere hinsichtlich der Haftungshöchstsummen der Risikoentwicklung anzupassen. International noch nicht in Kraft getretene Übereinkommen sind zügig zu implementieren. • Ausweisung von PSSA’s mit assoziierten Schutzmaßnahmen, • bauliche Anforderungen, • hinreichende Hafenstaatkontrollen. EU-Mitgliedstaaten müssen ihr gewachsenes politisches Gewicht in der Seeschifffahrt nutzen und neue Regelungen koordiniert im Rahmen der IMO vorantreiben. Grundsätzlich ist zwar davon auszugehen, dass Regelungen auf EU-Ebene schneller zu realisieren sind als Regelungen der IMO. Beide Ebenen können sich aber insoweit ergänzen, als striktere und schnellere Regelungen, die auch die Vorreiterrolle spielen können, zunächst von der EU angegangen werden. Allerdings darf dabei die industrie- und umweltpolitische Problematik einer solchen Vorreiterrolle – sprich: mögliche Wettbewerbsnachteile für europäische Unternehmen – nicht aus den Augen verloren werden. Deutschland hat die Einrichtung der Europäischen Schiffssicherheitsagentur EMSA unterstützt, deren Aufgabe es sein wird, die Qualität der Kontrollen zur Einhaltung von Vorschriften zu überwachen. Ziel ist es, in allen europäischen Häfen ein hohes Niveau der Kontrollen zu gewährleisten. Europa ist der bedeutendste Schifffahrtsstandort der Welt. Von hier aus wird der Großteil des Schiffsvolumens weltweit dirigiert, auch wenn nicht alle Schiffe unter europäischen Flaggen fahren. Im Rahmen des Grünbuchs sollten strategische Maßnahmen (ähnlich dem Maritimen Bündnis in Deutschland) entwickelt werden, die zu einer Rückflaggung in die Gemeinschaft führen könnten. Nach der Nationalität der Eigner belegt Deutschland Platz 4 unter den Handelsflotten und im Containerbereich sogar Platz 1. Eine immer komplexere Technik an Bord der Schiffe, die hoch verdichteten Arbeitsprozesse und die Vielzahl der Vorschriften an Bord setzen hoch qualifizierte Besatzungen voraus, die langfristig ausgebildet werden müssen. Arbeits- und Lebensbedingungen der Seeleute sind international zu regeln, um zu weltweit vergleichbaren Sozialstandards aller Seeleute zu kommen. Dadurch werden gleiche Wettbewerbsbedingungen gewährleistet. Die Schifffahrtsstraßen der EU gehören bereits heute zu den weltweit am stärksten befahrenen. Wollen die europäischen Staaten das Lissabon-Ziel verwirklichen, müssen die Kapazitäten auf den zu erwartenden Zuwachs ausgerichtet werden, wobei besonderes Augenmerk auf die Ausgewogenheit zwischen Ausbau der Wasserwege und Naturschutz zu richten ist. Maßnahmen bezüglich der Schiffssicherheit auf EU-Ebene müssen vor allem folgende Bereiche umfassen: • moderne Überwachungs- und Informationssysteme, • angemessene Ausbildung der Schiffsbesatzungen, Um die Erreichbarkeit über die Meere und damit die Wettbewerbsfähigkeit des europäischen Wirtschaftsraumes zu gewährleisten, muss eine leistungsfähige und anforderungsgerechte Infrastruktur der europäischen Seehafenstandorte im Einklang mit europäischen Nachhaltigkeitszielen sichergestellt werden. Daneben müssen die Bemühungen auf europäischer Ebene um faire und transparente Wettbewerbsbedingungen für die Seehäfen fortgesetzt und weiterentwickelt werden. Um Wettbewerbsverzerrungen zu vermeiden und die eigenen Anstrengungen der Seehäfen um die Erhöhung ihrer Wirtschaftlichkeit zu forcieren, sind staatliche Beihilfen weiter abzubauen. Für die Vollendung des Binnenmarktes sind Routen auch im Seeverkehr sowie im Kurzstreckenseeverkehr unter Einbeziehung der Binnenschifffahrt von hoher Bedeutung. Maßnahmen zur Stärkung des intermodalen Verkehrs, wie zum Beispiel durch das Programm Marco Polo 2007 – 2013, sollten unterstützt und weiterentwickelt werden. Mit dem Konzept „LeaderSHIP 2015“ wird im Schiffbau der industriepolitische Ansatz der Kommission, horizontale Maßnahmen zur Erreichung einer wettbewerbsfähigeren europäischen Wirtschaft durch ein ganzes Spektrum spezieller sektorbezogener Maßnahmen zu ergänzen, in beispielhafter Weise umgesetzt. Die Bundesregierung unterstützt die Kommission mit Nachdruck darin, sich auch künftig entschlossen um die Probleme der europäischen Schiffbauindustrie zu kümmern und dabei mit den jetzigen und künftigen Mitgliedstaaten und der Industrie eng zusammenarbeiten zu wollen. Wettbewerbsverzerrungen müssen beseitigt, kompensiert und künftig unmöglich gemacht werden. Im Hinblick auf eine nachhaltige und rentable Verkehrswirtschaft muss der Preis von Schiffen wieder ein realistisches Niveau erreichen. Die Bundesregierung arbeitet auf der Grundlage des industriepolitischen Ansatzes Europäische Meerespolitik der Kommission und in Zusammenarbeit mit der maritimen Wirtschaft an der Entwicklung und Umsetzung von aufeinander abgestimmten Maßnahmen zur Sicherung der Zukunft der deutschen und europäischen Schiffbau- und Schiffsreparaturindustrie durch mehr Wettbewerbsfähigkeit. 4.4 Tourismus 4.4.1 Herausforderungen Der Tourismus ist in den Küstenregionen ein bedeutender Wirtschaftsfaktor. Einige Regionen leben fast ausschließlich vom Tourismusaufkommen. Die touristische Nutzung umfasst den Schiffstourismus, insbesondere Kreuzfahrttourismus und Sportboottourismus, sowie Badetourismus. Darüber hinaus werden die Küstenregionen für Natururlaube genutzt. Wie kaum ein anderer Wirtschaftszweig ist der Tourismus auf eine intakte Natur und Umwelt angewiesen. Natur- und Landschaftserlebnis gehören zu den wichtigsten Urlaubsmotiven. 4.4.2 Handlungsfelder Die Politik der Bundesregierung zielt auf die Erhaltung einer intakten Natur und Umwelt als Grundlage des Tourismus sowie auf die Förderung einer umweltverträglichen Gestaltung des Tourismus. Die Bundesregierung unterstützt gegenwärtig auch die Erarbeitung einer „Agenda 21“ für einen nachhaltigen Tourismus in Europa. Erste Eckpunkte hierzu hat der Rat mit den Schlussfolgerungen zum nachhaltigen Tourismus vom 18.04.2005 festgelegt. 5 Schutz der Meere 5.1 Herausforderungen Vor dem Hintergrund immer knapper werdender Ressourcen werden die Meere zunehmend für wirtschaftliche Aktivitäten genutzt. Zu den klassischen Nutzungen für Schifffahrt, Fischerei und als „Senke“ für Abfälle und Schadstoffe kommen die immer intensiver werdenden Nutzungen der Meere als Standort für Offshore-Aktivitäten (Erforschung und Gewinnung von Öl-/Gas-/Sand-/Kies-Ressourcen, Errichtung von Windkraftanlagen), für Tourismus (Sportschifffahrt/ Erlebnistourismus) und für Energieleitungen (Pipelines/Seekabel) hinzu. In einzelnen Bereichen ist es bereits zu einer Überforderung des Ökosystems Meer gekommen. Stellenweise ist ein besorgniserregender Verlust an biologischer Vielfalt der Meere zu beobachten. 5.2 Handlungsfelder Der Zustand des Ökosystems „Meer“ wird von den unterschiedlichen Nutzungsformen des Meeres, insbesondere Transport, Landwirtschaft, Fischerei und Energieerzeugung beeinflusst. Es gilt, eine Balance zwischen diesen Nutzungen und einem effektiven Schutz der Meeresumwelt zu erreichen, da nur so eine nachhaltige Nutzung der Meere möglich ist. Voraussetzung dafür ist, in Abkehr von dem in der Vergangenheit praktizierten sektorspezifischen Ansatz, die Umsetzung des integrativen Politikansatzes, d. h. die Berücksichtigung des Schutzes der Meeresumwelt in allen einschlägigen Politikbereichen. Deutschland engagiert sich in regionalen Meeresschutzorganisationen wie der Kommission zum Schutz der Meeresumwelt des Nordostatlantiks (OSPAR-Kommission) und der Helsinki-Kommission zum Schutz der Meeresumwelt des Ostseegebiets (HELCOM) oder den Internationalen Nordseeschutzkonferenzen sowie ihrem Nachfolgeprozess, der sich mit den Umweltauswirklungen von Schifffahrt und Fischerei befasst. Dort können Regelungen erarbeitet werden, die den natürlichen Vorgaben sowie den speziellen Erfordernissen des jeweiligen Meeresgebietes, im Falle der Ostsee z. B. geringer Wasseraustausch mit den Ozeanen, Rechnung tragen. Deutschland beteiligt sich am Aufbau eines globalen satellitengestützten Umweltüberwachungssystems Global Monitoring for Environment and Security (GMES), einer gemeinsamen Initiative der EU-Kommission und der ESA für globale Umwelt- und Sicherheitsüberwachung. Die EU und ihre Mitgliedstaaten sollten ihrer Verpflichtung von der 7. Vertragsstaatenkonferenz des Übereinkommens über die biologische Vielfalt (CBD) und des World Summit on Sustainable Development (WSSD) in Johannesburg nachkommen und ein ko- 27 28 Europäische Meerespolitik härentes Netzwerk von Meeresschutzgebieten einrichten. Des Weiteren sollte eine EU-Meerespolitik dem erklärten EU-Ziel dienen, den Verlust an Biodiversität zu stoppen. Deutschland begrüßt und unterstützt daher die Erarbeitung einer Europäischen Meeresschutzstrategie, wie sie vom 6. Europäischen Umweltaktionsprogramm gefordert wird. Diese Strategie, deren Präsentation durch die KOM für Juli 2005 angekündigt ist, baut auf den genannten Aspekten „Integrationsprinzip“ und „Regionale Kooperation“ auf. Sie muss in die EU-Meerespolitik integriert werden. Vor diesem Hintergrund tritt Deutschland dafür ein, die Meeresschutzstrategie zu einem integrativen Bestandteil der zukünftigen Meerespolitik zu machen. Damit kann eine angemessene Berücksichtigung der Meeresschutz-Aspekte sichergestellt werden, wie dies auch in Art. 6 des EG-Vertrages gefordert wird. 6 Ausblick 6.1 Von fundamentaler Bedeutung einer nachhaltigen Meerespolitik ist die rasche Erarbeitung in-tegraler Qualitätsziele (ökologischer und ökonomischer Zielgrößen), die bei der Formulierung einer EU-Meerespolitik berücksichtigt werden sollten. Die Entwicklung einer europäischen Meerespolitik sollte Europas Rolle in der globalen Politik zum Schutz und zur nachhaltigen Nutzung der Meere befördern. Die EU und ihre Mitgliedstaaten sollten dabei eine enge Kooperation mit Drittstaaten anstreben, um eine nachhaltige Meerespolitik auch im globalen Maßstab, insbesondere auch auf hoher See, zu erreichen. Zur Erreichung dieses Ziels sollten die EU und ihre Mitgliedstaaten • die Arbeit einschlägiger internationaler Organisationen unterstützen und aktiv mitgestalten, • regionale Managementansätze stärken, • Entwicklungsländer und sogenannte „small island states“ bei der Einrichtung von Managementfähigkeiten unterstützen und • die partnerschaftliche Zusammenarbeit mit wissenschaftlichen Einrichtungen und Nicht-Regierungsorganisationen stärken. Problematisch für ein einheitliches Vorgehen ist, dass die Zielhierarchie in den europäischen Staaten unterschiedlich ist. Staaten mit Hauptinteresse an Fischerei und Tourismus legen besonderen Wert auf den Schutz ihrer Küsten- und Meeresgebiete sowie der langfristigen Bewirtschaftung außereuropäischer Gewässer über Drittlandsabkommen. Staaten mit starker Hafenwirtschaft oder großen Handelsflotten wollen vorrangig eine leistungsfähige attraktive Seeverkehrswirtschaft fördern. Vor diesem Hintergrund wird es darauf ankommen, die gegenläufigen Interessen abzuwägen und eine Meerespolitik zu entwickeln, die den Zielen nachhaltigen Wirtschaftswachstums, zukunftsfähiger Arbeitsplätze und dem Schutz von Natur und Umwelt entspricht und gleichzeitig die durch Drittlandabkommen betroffenen Entwicklungsländer bei einer nachhaltigen Bewirtschaftung ihrer Gewässer unterstützt. Deutschland ist sowohl Flaggenstaat als auch Hafen- und Küstenstaat und kann insofern innerhalb der EU eine wichtige Funktion beim Zusammenführen dieser Interessen spielen. In Europa besteht zudem Koordinierungs- und Klärungsbedarf im Vorfeld der Beratungen in internationalen Gremien. Eine europäische Meerespolitik kann als Orientierung für diese Beratungsaufgaben dienen. Ein koordiniertes Auftreten der Einzelstaaten in der IMO ist nicht durch eine Vertretung der europäischen Staaten durch die EU-Kommission ersetzbar. Die europäische Meerespolitik sollte nicht als Konkurrenz zu den Aufgaben in der IMO angelegt werden. Europäische Regeln dürfen nicht als regionale Sonderlasten ausgelegt werden und zu Wettbewerbsnachteilen für den Standort Europa führen. Vielmehr sollte die Überwachung und Einhaltung von internationalen Verabredungen in der EU harmonisiert werden. Ziel der Zusammenarbeit in der EU ist, relevante IMO-Beschlüsse für alle EU-Mitgliedstaaten einheitlich umzusetzen und Kontrollverfahren in Europa (z. B. Hafenstaatkontrolle) zu harmonisieren, zum Beispiel hinsichtlich der Anforderungen an Schiffe, die europäische Häfen anlaufen, hinsichtlich der Meldepflichten, Hafenstaatkontrolle oder Entsorgung von Schiffsabfällen und Ladungsrückständen. Europäische Meerespolitik 6.2 6.4 Eine zukunftsorientierte europäische Meerespolitik, die eine nachhaltige Nutzung des Meeres als Transportweg, Rohstofflieferant und Nahrungsquelle anstrebt und sich für den Erhalt der Vielfalt maritimer Lebensumwelten einsetzt, muss der freien wissenschaftlichen Forschung, der Entwicklung und Innovation hohe Priorität einräumen. Zur Lösung der durch die Nutzungsvielfalt des Meeresraumes mit ihren jeweiligen Ansprüchen hervorgerufenen Nutzungskonflikte ist die Raumordnung ein geeignetes Instrument. Mit der Raumordnung erfolgt eine abwägende und vorausschauende Planung und Lenkung der verschiedenen Nutzungsinteressen mit dem Ziel, Konflikte frühzeitig zu erkennen und sie koordiniert einer nachhaltigen Lösung zuzuführen. Auf Grundlage der deutschen Raumordnungsgesetze werden Raumordnungspläne aufgestellt, in denen die Nutzungs- und Schutzansprüche an den Meeres- und Küstenraum mittels Festlegung von Zielen und Grundsätzen der Raumordnung einschließlich Gebietsfestlegungen für einzelne Nutzungen gesteuert werden. Diese raumplanerischen Festlegungen entfalten gesetzliche Bindungswirkungen für nachfolgende, einzelne Nutzungs- und Schutzprojekte und bieten so potentiellen Investoren Planungssicherheit. Im Falle grenzüberschreitender Auswirkungen der raumplanerischen Festlegungen haben Nachbarstaaten die Raumordnungspläne für die AWZ untereinander abzustimmen. Insofern kommt auch Raumordnungsplänen, für die keine EU-Zuständigkeit gegeben ist, grenzüberschreitende Bedeutung zu. 6.3 Eine europäische Meerespolitik hat auf der bisher geleisteten Arbeit bestehender Kooperationen aufzubauen. Dies gilt insbesondere für die Regionalen Meeresschutzkooperationen. Vor dem Hintergrund der Notwendigkeit regionalspezifischer Problemlösungen weist ihnen die zu erwartende Meeresschutzstrategie eine wesentliche Rolle bei der Umsetzung zu. Dies wird mittelfristig zu einer Stärkung der Rolle der Regionalkooperationen führen. Auf der anderen Seite wird sich ihre Arbeit an der EU-Meerespolitik zu orientieren haben. Anschrift der Vortragenden: Frau MDgtin Hilde Trebesch Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung Invalidenstr. 44 11030 Berlin 29 Neue Nutzungsformen des Meeres und ihre Risiken Neue Nutzungsformen Deutsche Initiative zum Tsunami-Warnsystem im Indischen Ozean German initiative for a tsunami warning system in the Indian Ocean JÖRN LAUTERjUNG Zusammenfassung Summary Ziel ist die Implementierung eines wirksamen TsunamiFrühwarnsystems für den Indischen Ozean, das später auf den Mittelmeerraum und den Atlantik ausgedehnt werden kann. Das Tsunami-Frühwarnsystem ist Teil eines Early-Warning-Systems, das auch andere Naturkatastrophen wie z. B. Erdbeben und Vulkanausbrüche erfassen soll. Das System integriert terrestrische Beobachtungsnetze der Seismologie und Geodäsie mit marinen Messverfahren und Satellitenbeobachtungen. Die dazu erforderlichen FuE-Arbeiten sollen im Rahmen eines Stufenplans realisiert werden, der einerseits schnell, d. h. innerhalb von 1 bis 3 Jahren, wirksamen Schutz garantiert und andererseits zulässt, auch spätere technologische Entwicklungen, für die jetzt noch Forschungsbedarf besteht, problemlos einzubinden. Die Initiative wird koordiniert von der Helmholtz-Gemeinschaft Deutscher Forschungszentren (HGF), vertreten durch das GeoForschungsZentrum Potsdam (GFZ). An effective tsunami early warning system will be implemented in the Indian Ocean, which is planned to be extended to the Mediterranean Sea and Atlantic Ocean at a later date. The tsunami early warning system is part of a general early warning system intended to include also other natural disasters like, e.g. earthquakes and volcanic eruptions. The system integrates terrestrian seismic and geodesic monitoring networks with marine measuring methods and satellite imagery. The required research and development activities will be carried out within the framework of a graduated scheme which, on the one hand, will provide effective protection after a short period of only 1 – 3 years and, on the other hand, will allow an easy integration of technological developments which are still in the research stage presently. The initiative is co-ordinated by Helmholtz-Gemeinschaft Deutscher Forschungszentren (HGF), represented by GeoForschungsZentrum Potsdam (GFZ). Aufgrund der geologischen Situation muss davon ausgegangen werden, dass vor allem Indonesien wegen der unmittelbaren Nachbarschaft des seismisch aktiven Sundabogens auch in Zukunft am häufigsten und am stärksten von katastrophalen Tsunami-Ereignissen betroffen sein wird. Because of the geological situation, it has to be expected that Indonesia, which lies in immediate proximity to the seismically active Sunda Arc, will be affected most frequently and most severely by catastrophic tsunami events also in the future. Komponenten des Systems sungs- und Aktionskette. Parallel zur Messung der Erdbeben mit einem Netz von Breitbandseismometern soll ein Monitoring des Deformationszustands der Erdkruste mit Hilfe eines hochauflösenden GPSNetzes erfolgen, um möglichst umfangreiche Informationen zum Herdmechanismus des Bebens zu erhalten. 2)Detektion und Quantifizierung eines möglichen Tsunamis mit ozeanographischen Methoden. Nicht jedes Seebeben löst einen Tsunami aus. Um Fehlalarme, Das vorgesehene Frühwarnsystem für den Indischen Ozean besteht aus mehreren Komponenten, aus deren Daten und Messungen eine Warnung generiert werden kann. Die Komponenten sind im Einzelnen: 1)Erdbebenmonitoring zur schnellen Lokalisierung eines Seebebens und Feststellung der Stärke. Die Warnung dieses Systems triggert die weitere Erfas- 33 34 Neue Nutzungsformen die bei bloßer Berücksichtigung der Erdbeben unvermeidlich sind, weitgehend auszuschließen, muss die Welle ozeanographisch gemessen werden. Dies wird durch Ozeanboden-Druckpegel und speziell ausgerüstete GPS-Bojen erreicht, die an strategisch wichtigen Lokationen ausgebracht werden müssen. Unterstützt werden diese Messungen durch Beobachtungen von Küstenpegeln, die speziell im Falle Indonesiens auf den Sumatra und Java vorgelagerten Inseln installiert werden sollen. Die Küstenpegel liefern darüber hinaus permanent Daten zur Verbesserung der Ozeanmodelle, die die Grundlage für den nächsten Schritt der Warnkette sind. 3)Wesentlicher Bestandteil der Frühwarnung ist die Modellierung / Simulation eines Tsunamis. Aus diesen Simulationen sollen detaillierte Informationen über das mögliche Schadenspotential des Tsunamis und örtliche Unterschiede in der Wirkung abgeleitet werden, um entsprechende Warnungen in die WarnKette einspeisen zu können. Voraussetzung für eine erfolgreiche Simulation ist die genaue Kenntnis der Ozeanbodentopographie vom Tiefseebereich über Anschrift des Verfassers: Dr. Jörn Lauterjung GeoForschungsZentrum Potsdam (GFZ) Telegrafenberg 14473 Potsdam den Schelfbereich bis zur Küstenlinie. Im Bereich des Indischen Ozeans weisen insbesondere die Küste vor Indonesien und der angrenzenden Länder noch erhebliche Lücken auf, insbesondere um die vorgelagerten Inselgruppen herum. Daher müssen bathymetrische Verdichtungsmessungen in allen Tiefenbereichen längs der indonesischen Küste vorgenommen werden, um die Simulationen auf eine gesicherte Datenbasis zu stellen. 4)Alle Daten sollen in nationalen bzw. lokalen Datenzentren zusammenlaufen, in denen die Auswertung, Bewertung und Simulation vorgenommen wird. Dies muss in nationaler Selbstverantwortung geschehen. Auf der Basis der einlaufenden Daten und Simulationsergebnisse ist das Datenzentrum gleichzeitig auch die die Warnung auslösende Stelle. Der Vortrag beleuchtet die Entstehung des Tsunamis vom 26. Dezember 2004, stellt die geplante technische Realisierung des Frühwarnsystems vor, zeigt erste Modellierungsszenarien und gibt einen Ausblick über die vorgesehene Umsetzung eines Frühwarnsystems im Indischen Ozean. Neue Nutzungsformen Ocean Energy Energie aus dem Meer TERESA PONtES Summary The oceans contain huge energy resources of different origins. Conversion technologies are using tidal energy resulting from the gravitational fields of the moon and sun, thermal energy (Ocean Thermal Energy Conversion or OTEC) resulting directly from solar radiation, marine currents caused by thermal differences and tidal effects, and wind-generated ocean waves. The latter two technologies have been developed intensively during the past fifteen years because they have better prospects of becoming competitive in the short- to medium-term. It has been found that about 200 TWh/y of electrical energy may be produced from these two renewable sources. The technologies using wave energy and marine currents are at a pre-commercial stage, and the diversity of systems being developed, especially wave energy harnessing systems, indicates that there still is no winning technology. Wave Energy The global wave power potential is 1-2 TW, which corresponds to the worldwide consumption of electrical energy. Europe has a particularly high energy consumption. Intensive research began after the 1973 oil crisis. The first 8 prototypes were shoreline (first generation) and nearshore (second generation) projects rated between 20 and 500 kW. Offshore systems (third generation) are better suitable for extensive exploitation of wave energy resources. A considerable variety of offshore devices have been developed using different extraction principles and power-take-off systems, most of which are floating devices. But also bottom-mounted systems have been proposed and prototype-tested. While first and second PTO (power take-off systems) generations are using air and water turbines, hydraulic, air and water turbines and linear generators have been developed for the third generation. Marine Currents In Europe, this resource is of special interest to the UK, Ireland, Greece, France and Italy. The predictability of marine currents and the high load factor (20-60%) are important positive factors for its utilisation. According to a preliminary estimate, 48 TWy could be produced for the European electricity grid. The favoured technique resembles that used to tap wind energy. The greatest technical problems will probably arise from the need to ensure adequate operational life and low maintenance cost of machinery operating in a severe environment, although the offshore industry has solved similar problems. Environmental Impacts Wave energy and marine current energy generation are generally considered environmentally benign although such systems may be visually intrusive and produce considerable noise. Nearshore and offshore wave energy plants and marine current plants conflict with coastal shipping, defence, fishing, and other uses. Most of these burdens can be minimised and, in some cases, eliminated. Challenges The European Commission supports the development of European leadership in these technologies. National support is re-starting, namely in the UK. Intensive further research and development will be needed to transform these technologies from pre-commercial to full maturity. 35 36 Neue Nutzungsformen Zusammenfassung Meeresströmungen Die Ozeane bieten gewaltige Energieressourcen aus unterschiedlichen Quellen. Es existieren diverse Umwandlungstechniken für Gezeitenenergie, die durch die Gravitationsfelder von Mond und Sonne entsteht, thermische Energie aufgrund der Sonneneinstrahlung, Energie aus Meeresströmungen mit ihren Temperaturunterschieden und Gezeiten sowie Wellenenergie. Die letzten beiden Technologien sind in den vergangen 15 Jahren intensiv weiterentwickelt worden, weil sie kurz- und mittelfristig bessere Aussichten auf Wettbewerbsfähigkeit haben. Ca. 200 TWh elektrische Energie kann pro Jahr aus diesen beiden Energiequellen gewonnen werden. In Europa ist diese Technik vor allem für Großbritannien, Irland, Griechenland, Frankreich und Italien von Interesse. Die Vorhersagbarkeit von Strömungen und der hohe Wirkungsgrad (20-60 %) sprechen für diese Technik, die nach vorläufigen Schätzungen 48 TWy für das europäische Stromnetz liefern könnte. Die bevorzugte Technik ähnelt der bei Windkraftanlagen verwendeten. Technisch wird es wahrscheinlich am schwierigsten sein, eine angemessene Betriebsdauer und niedrige Wartungskosten für die Anlagen zu erzielen, die einer hohen Beanspruchung unterliegen. Im Offshoreindustriebereich konnten vergleichbare Probleme schon gelöst werden. Für die Energiegewinnung aus Wellen und Meeresströmungen existiert noch keine ausgereifte Technik, und die Vielfalt unterschiedlicher Systeme deutet darauf hin, dass sich bisher noch keine bestimmte Technik durchgesetzt hat. Wellenenergie Das Potential der Energiegewinnung aus Wellen beträgt 1-2 TW, was dem weltweiten Jahresverbrauch an elektrischer Energie entspricht. Der Energieverbrauch in Europa ist besonders hoch. Die Forschung wurde nach der Ölkrise 1973 intensiviert. Die ersten 8 Prototypen im Uferund unmittelbaren Küstenbereich (1. und 2. Generation) lieferten 20 – 500 kW. Offshore-Anlagen (3. Generation) eignen sich besser für die Nutzung von Wellenenergie im großen Maßstab. Für die Energiegewinnung im Offshorebereich werden vorwiegend schwimmende Anlagen eingesetzt, es wurden aber auch schon Prototypen am Boden installierter Anlagen getestet. Address of author: Dr. Teresa Pontes National Institute for Engineering and Industrial Technology Dept. of Renewable Energies Estrada do Paco do Lumiar 1649 - 038 Lisbon Portugal Umweltauswirkungen Die Energiegewinnung aus Wellen und Meeresströmungen gilt im allgemeinen als umweltfreundlich, obwohl solche Anlagen optisch und akustisch sehr störend wirken können. Es kann bei solchen Anlagen z.B. zu Konflikten mit der Küstenschifffahrt, dem Küstenschutz und Fischereiinteressen kommen. Die meisten Umweltauswirkungen lassen sich allerdings reduzieren oder sogar ganz vermeiden. Ausblick Die Europäische Kommission unterstützt eine führende Rolle Europas bei diesen Techniken. Auch auf nationaler Ebene existiert eine Förderung, vor allem in Großbritannien. Bis zur vollen Marktreife dieser Techniken ist noch intensive Forschungs- und Entwicklungsarbeit nötig. Neue Nutzungsformen Wasserstoff-Herstellung auf dem Meer Hydrogen production at sea FRANK RICHERT Zusammenfassung Summary Eine von der Gesellschaft für Energie und Oekologie GmbH (GEO) initiierte Studie zum Thema Wasserstoffproduktion in Offshore-Windparks ist zu dem Ergebnis gekommen, dass keine konzeptionellen und technischen Kriterien existieren, die eine Durchführung eines solchen Vorhabens unmöglich erscheinen lassen. A study of hydrogen production in offshore wind farms initiated by Gesellschaft für Energie und Oekologie GmbH (GEO) arrived at the conclusion that such a project does not appear impossible in principle and under engineering aspects. Offene Fragestellungen gibt es vor allem bei der Größenordnung der notwendigen Komponenten. Eine Kostenkalkulation hat ergeben, dass die Produktion von gasförmigem Wasserstoff und der anschließende Pipelinetransport zum Festland die geringsten Gestehungskosten erzielt. Die Offshore-Verflüssigung von Wasserstoff, die einen universellen Vertrieb direkt auch in ferne Märkte ermöglicht, liegt bei etwa den doppelten Erzeugungskosten. Die Weiterverteilung des Wasserstoffs kann an Land über bestehende Transportmedien, wie LKW, Eisenbahn oder zukünftig in bestehenden Erdgasleitungen erfolgen. Inwieweit die Erdgasleitungen ohne zusätzliche Veränderungen für den Wasserstofftransport geeignet sind, oder ob es einen Bau neuer Leitungen bedarf, stellt einen weiteren Untersuchungsbedarf dar. Ein wesentliches Ziel der Bundesrepublik ist die Reduktion von Treibhausgasen. Hierfür notwendige Maßnahmen beeinflussen hauptsächlich zwei Sektoren: • Den Energiesektor • und den Fahrzeugsektor. Für beide Bereiche werden zunehmend die Möglichkeiten von Wasserstoff als Energieträger diskutiert. Wie Strom in der Leitung oder Heißwasser im Heizungssystem transportiert Wasserstoff, der erst durch den Einsatz von Primärenergie hergestellt werden muss, lediglich die Energie. Da bei den Erzeu- There are open questions, especially due to the size of the required components. A cost calculation showed that the production of gaseous hydrogen and subsequent pipeline transport to the mainland would involve the lowest production costs. Existing land-based transportation systems such as trucks, railways or, in future, natural gas pipelines could be used for onshore distribution of hydrogen. To what extent natural gas pipelines are suitable for hydrogen transport without any technical alterations, or whether new pipelines are required, will have to be investigated. gungs- und Verteilungsprozessen von Wasserstoff, wie auch beim Strom, Verluste entstehen, stellt sich angesichts der existierenden Stromwirtschaft die Frage, ob Wasserstoff parallel als „Strom“ in gasförmiger oder flüssiger Form überhaupt sinnvoll ist. „Wasserstoff (und auch Strom) ist so sauber wie die Energie, mit der er erzeugt wird.“ Das führt letztlich zu der Notwendigkeit, die Energieträger aus erneuerbaren Energien herzustellen. Neben Biomasse und Photovoltaik kann in Deutschland insbesondere die Nutzung der Windenergie einen wesentlichen Beitrag hierzu leisten. 37 38 Neue Nutzungsformen In einem Strategiepapier der Bundesregierung (BMU, BMWi, BMVBW, BMVEL, BMVg [2002]) wird als Ziel bis 2025-30 der Aufbau einer genutzten Windenergieleistung von 20 bis 25 GW im Offshore-Bereich (Kernbereich Nordsee, westlich von Sylt, nordwestlich von Borkum) definiert. Dem in 25 Jahren zu entwickelnden Potential von 25 GW stehen bereits Anträge für die Errichtung von Offshore-Windparks mit mehr als 60 GW gegenüber. Obwohl aufgrund der Windbedingungen im OffshoreBereich der Strom deutlich kontinuierlicher als an Land erzeugt werden kann, müssen für die Integration des Wind-Stromes ggf. die Stromnetze verstärkt werden und Regelreserven bereitgehalten werden. Die derzeitige Diskussion über die Anbindung der ersten Offshore-Pilotwindparks an die bestehenden Stromnetze zeigt aber bereits die Schwierigkeiten, zu einvernehmlichen Lösungen zu kommen. Eine allein auf die Einspeisung in die Stromnetze an Land ausgerichtete Entwicklung der Offshore-Windenergie birgt daher aufgrund der vielfältigen Rahmenparameter die Gefahr, dass die oben genannten Ziele nicht erreicht werden können. Vor diesem Hintergrund müssen weitere Möglichkeiten geschaffen werden, die eine nachhaltige Nutzung der Ressource Windenergie erlauben. Die Erzeugung von Wasserstoff durch OffshoreWindparks bietet die Möglichkeit, Spitzenleistungen auszugleichen und Schwachwindperioden zu über- brücken, aber auch einen Kraftstoff für den Fahrzeugsektor zu liefern. Fast alle großen Autohersteller entwickeln zur Zeit Fahrzeuge, die mit Wasserstoff betrieben werden können und gehen von einer mittelfristigen Markteinführung der Wasserstofffahrzeuge aus. Von der Verkehrswirtschaftlichen Energiestrategie (VES), einem Zusammenschluss mehrer Automobilkonzerne, Mineralölunternehmen und der deutschen Regierung, wird Wasserstoff langfristig als der wichtigste Energieträger der Zukunft für den Transportsektor gesehen. In einer von GEO beauftragten Studie (Altmann, N. et al. [2001]) wurde als Planungsgrundlage untersucht, ob Kriterien existieren, die eine Wasserstoffproduktion offshore unmöglich erscheinen lassen. Dazu wurde eine Grobauslegung und eine erste Kostenkalkulation durchgeführt, um konzeptionelle, technische und wirtschaftliche Aspekte des Konzeptes mit in die Untersuchung einzubeziehen. Durchgeführt wurde die Untersuchung modellhaft an einem 60 km von der Küste entfernt liegenden Offshore-Windpark mit einer Leistung von 400 MWel. Von diesem OffshoreWindpark ausgehend, wurden auf Basis der Elektrolyse die Produktion von flüssigem (Jahresproduktion ca. 23.000 t) oder gasförmigem Wasserstoff (ca. 27.000 t Jahresproduktion) auf einer Plattform und unterschiedliche Transportmöglichkeiten untersucht. In Abbildung 1 ist die prinzipielle Unterteilung der untersuchten Varianten dargestellt. Abb. 1: Untersuchte Varianten der Offshore-Wasserstofferzeugung (Altmann, M. et al. [2001]) Neue Nutzungsformen Die Elektrolyseanlage wird auf einer Offshore-Plattform eingerichtet und ist modular aus den zur Zeit größten verfügbaren Elektrolyseuren aufgebaut. Die Wasserversorgung der Elektrolyseure erfolgt über eine Meerwasserentsalzungsanlage. Vor dem Hintergrund der elektrischen Leistung des Windparks, der zusätzlichen elektrischen Verbraucher und der verfügbaren Elektrolyseurgröße ergibt sich ein Bedarf von ca. 100 Elektrolyseeinheiten. Für den Transport des Wasserstoffs in den „Pipeline-Varianten“ wird eine Wasserstoffpipeline mit einem Durchmesser von ca. 20 cm benötigt. Der gasförmige Wasserstoff wird für den Transport in der Pipeline auf den erforderlichen Transportdruck durch einen Kompressor gebracht. Für die zusätzliche Verflüssigung des Wasserstoffs unter Offshore-Bedingungen muss berücksichtigt werden, dass die Verflüssigungsanlagen einen hohen Raumbedarf sowie einen hohen Bedarf an elektrischer Energie haben, die ebenfalls durch den Offshore-Windpark zur Verfügung gestellt wird und dann aber verglichen mit den GH2- (Gaseous Hydrogen) Varianten bei der Wasserstoffproduktion fehlt. Es werden Verflüssigungsanlagen benötigt, die eine Kapazität von ca. 156 t/d haben. Da die Möglichkeit besteht, den flüssigen Wasserstoff über unterschiedliche Transportmittel an Land zu transportieren, erfolgte eine Unterteilung der „Offshore-Flüssigwasserstoff-Variante“ in drei weitere Varianten. Untersucht wurden in diesem Zusammenhang der Transport des flüssigen Wasserstoffs in Containern auf Containerschiffen, der Transport mit Spezialschiffen, sogenannten Barges wie sie für das Euro-Quebec Projekt entwickelt wurden und der Transport des flüssigen Wasserstoffs mit Tankschiffen. Ein Vorteil der „Container-Variante“ ist, dass die Container an Land auf bestehende Transportmedien verladen und z. B. per Bahn oder LKW weiter verteilt werden können. Im Gegensatz dazu müsste der Wasserstoff bei den anderen beiden „Schiffs-Varianten“ erneut umgefüllt werden, um den Weitertransport des Wasserstoffs zu ermöglichen. Dafür wäre eine neue Infrastruktur an Land notwendig und würde zudem noch weitere Umfüllverluste nach sich ziehen. Aufgrund der Anforderungen der Komponenten in den betrachteten Varianten kommt es je nach Variante zu einer unterschiedlichen Ausgestaltung der Offshore-Plattform, womit auch die Kosten für die Plattform unterschiedlich ausfallen können, da im Wesentlichen Fläche und zu tragendes Gewicht für die Investitionskosten einer Plattform entscheidend sind. Beispielhaft ist in der folgenden Abbildung die Anordnung der Komponenten für die Pipeline-Variante dargestellt. Abb. 2: Offshore-Plattform für die Pipeline-Variante (Altmann, M. et al. [2001]) 39 40 Neue Nutzungsformen Die Berechnung der Wasserstoffgestehungskosten aus den oben erläuterten Varianten ergibt, dass die Variante mit Druckgaspipeline die geringsten Gestehungskosten erzielt. Die Pipeline-Variante bleibt sogar mit anschließender Onshore-Verflüssigung unter den Gestehungskosten der beiden Offshore-Verflüssigungs-Varianten. Mehr als das Doppelte gemessen an den Gestehungskosten der Pipeline-Variante betragen die Gestehungskosten der Container-Variante. Die günstigere der beiden Offshore-VerflüssigungsVarianten ist die Variante, die Barges zum Transport des erzeugten Wasserstoffs einsetzt. Nicht mit ein- geschlossen in die Berechnung der Gestehungskosten ist die Variante mit einem Tankerschiff, da diese durch die hohen Investitionen für die Schiffe und die Infrastruktur sowie durch die für diese Transportart geringe Menge an Transportaufkommen in den Gestehungskosten über den anderen Alternativen liegen. Bei diesem Vergleich muss erwähnt werden, dass die vier in Abbildung 3 dargestellten Varianten nicht direkt miteinander verglichen werden können, weil die Varianten die Anlandung von Wasserstoff in unterschiedlicher Form und an unterschiedlichen Orten berücksichtigen. Abb. 3: Relative Wasserstoffgestehungskosten der untersuchten Varianten (Altmann, M. et al. [2001]) Auch der Vergleich mit konventionellen Treibstoffen wie Diesel oder Benzin kann nicht ohne Einschränkung gemacht werden, da berücksichtigt werden muss, dass die Kosten für den Wasserstoff keine Steuern und Kosten für den Transport bis zur Tank- stelle enthalten. Ferner gilt es, in diesen Vergleich den bezogen auf einen Ottomotor besseren Wirkungsgrad einer Brennstoffzelle, aber auch die zur Zeit höheren Anschaffungskosten eines mit Wasserstoff betriebenen Autos einzubeziehen. Neue Nutzungsformen Mit Blick auf die konzeptionelle und technische Durchführbarkeit ist die Studie bei keiner der untersuchten Varianten auf Ausschlusskriterien gestoßen, die eine praktische Umsetzung der Offshore-Wasserstoffversorgung von etwa 175.000 bis 200.000 Fahrzeugen im Jahr unmöglich machen würden. Offene Fragen bestehen allerdings weiterhin insbesondere bei: 1.den gesetzlichen Regelwerken hinsichtlich Transport und Wasserstofferzeugung offshore, 2.der Kapazität von Verflüssigern und Elektrolyseuren und 3.der Offshore-Verladung von Barges und Containern. Es existieren keine Verflüssiger mit der hier erforderlichen Größe. Die weltweit größte Verflüssigungsanlage stand in Sacramento und hatte eine Kapazität von 54 t/d LH2 (Liquid Hydrogen). Das Fehlen größerer Anlagen ist nicht auf technische Probleme zurückzuführen, sondern in der geringen Nachfrage an flüssigem Wasserstoff begründet. Zur Zeit werden in Japan im Rahmen eines Forschungsprojektes Verflüssiger mit einer Kapaziät von 300 t LH2/d untersucht. Elektrolyseanlagen existieren ebenfalls nicht in der benötigten Größenordnung. Die zur Zeit größte Anlage hat eine Leistungsaufnahme von 156 MW. Aufgrund der modularen Aufbauweise dieser Technologie kann durch Hinzufügen weiterer Elektrolyseeinheiten die erforderliche Größe erreicht werden. Im Bereich des Transports von Gasen und auch von Wasserstoff in Pipelines gibt es weltweit Erfahrungen, allerdings ist noch keine Wasserstoffpipeline offshore verlegt worden. Aufgrund des großen Erfahrungsschatzes mit dem Gastransport, z. B. Erdgas unter Onshore- und Offshore-Bedingungen, wird der Transport von Wasserstoff in einer OffshoreWasserstoffpipeline als technisch möglich angesehen. Problematischer gestaltet sich hingegen der Transport von flüssigem Wasserstoff mit Schiffen. Neben der Errichtung einer Anlege- und Verladestelle an der Plattform muss auf der Plattform ein Zwischenlager für den erzeugten Wasserstoff installiert werden, da in Fällen von starkem Seegang und schlechtem Wetter gerade in Zeiten einer hohen elektrischen Energiegewinnung und somit einer gleichzeitig hohen Wasserstoffproduktion zeitweise kein Schiff anlegen kann, um den erzeugten Wasserstoff aufzunehmen und in den nächsten Hafen zu transportieren. Eine weitere Möglichkeit für die Zukunft wäre, den Wasserstoff in bestehenden Erdgaspipelines sowohl on- als auch offshore weiter zu befördern. Ob der Wasserstoff generell in bestehenden Erdgaspipelines transportiert werden kann, eine Anpassung dieser Leitungen notwendig ist oder ob der Zubau neuer Leitungen zur flächendeckenden Versorgung erforderlich ist, stellt eine weitere offene Fragestellung dar. Für die Zukunft gilt es, auf Basis der Ergebnisse dieser Studie detailliertere Untersuchungen anzufertigen, die offenen Fragestellungen zu bearbeiten und die Entwicklung der Wasserstofftechnologien gemeinsam mit öffentlichen und wissenschaftlichen Institutionen voranzutreiben, da die grundsätzliche Machbarkeit dieses Vorhabens gegeben ist. Die GEO mbH hat dazu eine Wasserstoffstrategie entwickelt. Beginnend mit der Anfertigung weiterer Studien, die Planung kleinerer Wind-Wasserstoffvorhaben an Land über die H2-Notstromversorgung eines Offshore-Windparks werden praktische Erfahrungen gesammelt und Wissen hinzu gewonnen. Dieser Wissens- und Erfahrungszuwachs ist notwendig und sinnvoll, um Planungsfehler bei weiter entfernten Offshore-Wind-Wasserstoffprojekten, wie z. B. das Projekt H2-20, das die Wasserstoffproduktion und den Wasserstofftransport in bereits bestehenden Pipelines vorsieht, zu vermeiden. Insbesondere vor dem Hintergrund der langen Entwicklungszeiträume für solche Wasserstoffprojekte sollten Szenarien für eine Offshore-Wasserstoffwirtschaft in einem Leitbild für die nachhaltige Entwicklung der (Nord-)See als Energieressource für Deutschland mit berücksichtigt werden. 41 42 Neue Nutzungsformen Abb. 4: Strategie der Firma GEO für Wasserstoffprojekte Literatur Anschrift des Verfassers: Altmann, M., Gaus, S., Landinger, H., Stiller, C. und R. Wurster, 2001: Wasserstofferzeugung in Offshore-Windparks – Killer-Kriterien, grobe Auslegung und Kostenabschätzung. Studie im Auftrag der Gesellschaft für Energie und Oekologie GmbH (GEO), Juli 2001. BMU, BMWi, BMVBW, BMVEL, BMVg, 2002: Strategie der Bundesregierung zur Windenergienutzung auf See im Rahmen der Nachhaltigkeitsstrategie der Bundesregierung, Januar 2002. Dipl.-Ing. Frank Richert Gesellschaft für Energie und Oekologie mbH Enger Str. 13 25917 Enge-Sande Neue Nutzungsformen Arzneimittel aus dem Meer Medical drugs from the ocean ULRIKE LINDEQuIST Zusammenfassung Summary Die hohe Diversität der im Meer lebenden Organismen sowie ihre im Vergleich zu terrestrischen Lebewesen besonderen Lebensbedingungen (Wasser, Druck-, Licht- und Temperaturverhältnisse, Nährstoffangebot, enge Lebensgemeinschaften, oft benthische Lebensweise) führen dazu, dass marine Lebewesen als Quelle für ungewöhnliche Sekundärmetabolite immer mehr Interesse finden. Sie können zum Beispiel Ausgangspunkt für die Arzneimittelentwicklung sein. The marine environment probably is one of the richest biospheres on earth. Living conditions in the oceans differ fundamentally from those on earth in several parameters (water, pressure, light, temperature, nutrients, close associations of organisms, benthic growth). This necessitates the production of specific secondary metabolites which ensure the survival of their producers. These substances may be the basis for the development of new drugs. Die größten Fortschritte wurden bis jetzt bei potentiellen neuen Antitumormitteln erzielt. Beispiele sind Ecteinascidin 743 (ET 743), ein Alkaloid, das von Ecteinascidia turbinata (Tunicata) produziert und bei Weichteilsarkom eingesetzt wird, oder Bryostatin, ein Makrolid aus dem Moostierchen Bugula neritina bzw. symbiontisch lebenden Mikroorganismen. Hervorhebenswert sind auch Ziconotid, ein starkes Schmerzmittel, das ausgehend von Peptiden der giftigen Kegelschnecken (Conus sp.) entwickelt wurde, und entzündungshemmende Stoffe wie die Pseudopterosine aus Korallen (Pseudopterogorgia elisabethae). Most progress has been achieved in the field of potential cancer treatments. Examples are ecteinascidin 743 (ET 743), an alkaloid from the tunicate Ecteinascidia turbinata, and bryostatin, a makrolide from the bryozoan Bugula neritina or symbiotic microorganisms. Ziconotide, a strong analgetic drug, was developed on the basis of toxic peptides from poisonous Conus species (molluscs). Further examples are anti-inflammatory compounds like the pseudopterosins from corals (Pseudopterogorgia elisabethae). Kritischer Punkt bei der Weiterentwicklung neu aufgefundener mariner Wirkstoffe zu potentiellen Arzneimitteln ist ihre kontinuierliche Bereitstellung in ausreichender Menge ohne Gefährdung der natürlichen Umwelt. Zur Lösung dieses Problems bieten sich die Kultivierung der produzierenden Organismen in Aquakultur oder Fermentern, die Synthese und Derivatisierung der Wirkstoffe (Leitstrukturen!) oder die Expression des entsprechenden genetischen Materials in leichter kultivierbaren Wirtszellen an. Einige Beispiele aus der eigenen Arbeit werden vorgestellt. A critical point in the process of drug development from marine organisms is the permanent availability of sufficient amounts of organisms and compounds without harming the marine environment. Possible solutions to this problem are the cultivation of producing organisms in aquaculture or fermenters (marine biotechnology), synthesis and derivatisation of bioactive compounds (lead structures) or expression of genetic information in common industrial microbes. Some examples of own work will be demonstrated. 43 44 Neue Nutzungsformen Trotz intensiver Bemühungen der pharmazeutischen Industrie und zahlreicher Wissenschaftler weltweit sind noch immer nur etwa 1/3 aller Erkrankungen ursächlich behandelbar; ein weiteres Drittel kann symptomatisch behandelt werden. Für das restliche Drittel fehlen geeignete medikamentöse Behandlungsmöglichkeiten. Die Problematik wird durch das Auftreten neuer Erkrankungen (siehe Beispiel Vogelgrippe!) und die Ausbreitung von Resistenzen gegen herkömmliche Arzneistoffe, z. B. Antibiotika oder Zytostatika, weiter verschärft. Auch in den Bereichen Veterinärmedizin, Ernährung oder Kosmetik bzw. für technische Zwecke werden neue Wirk- und Wertstoffe benötigt. Die fortgesetzte gezielte Suche nach neuen Arzneistoffen ist daher unerlässlich. Bei dieser Suche bietet der lange vernachlässigte marine Lebensraum enorme Chancen. Gründe dafür sind unter anderem die riesige Ausdehnung dieses Lebensraumes (etwa 70 % unserer Erdoberfläche sind von Wasser bedeckt), die große Artenvielfalt und die speziellen Lebensbedingungen, die sich von denen auf der Erde deutlich unterscheiden. Die Artenanzahl wird auf bis zu 500 Millionen geschätzt. Unter den ca. 40000 bekannten Pflanzenarten im marinen Milieu überwiegen die Rot- (3900), Braun- (1500) und Grünalgen (900 Arten). Die Anzahl der Blütenpflanzen ist dagegen mit etwa 45 gering. Von den 34 bekannten Tier Phyla sind 33 auch im Meer vertreten, 15 kommen ausschließlich im marinen Milieu vor. Hinsichtlich der Stoffproduktion sind Schwämme, Stachelhäuter und Cnidarien besonders gut untersucht. Unter den marinen Mikroorganismen werden ständig neue Arten entdeckt. Ihre Anzahl ist noch nicht abschätzbar. Bis jetzt sind nur etwa 5 % der marinen Organismen identifiziert, noch geringer ist der Anteil der kultivierbaren. Neben der Besonderheit Wasser sind die besonderen und sich über einen breiten Bereich erstreckenden Temperatur- (-1,5 bis + 350 oC), Druck(1 bis > 1000 atm) und Lichtverhältnisse, das sehr unterschiedliche Nahrungsangebot sowie die häufig engen Lebensgemeinschaften, die eine gute Kommunikation erfordern, hervorzuheben. Viele marine Organismen sind an ihrer Unterlage festgewachsen und können sich nicht durch Flucht ihren Angreifern entziehen. Das alles zusammen genommen bedeutet, dass marine Organismen andere Adaptationsmechanismen an ihre Umgebung benötigen als terrestrische Lebe- wesen. Wichtige Bestandteile solcher Adaptationsmechanismen sind spezielle Stoffwechselprodukte, sogenannte Sekundärmetabolite. Sekundärmetabolite mit toxischer, zytostatischer oder antimikrobieller Aktivität dienen beispielsweise der Abwehr von konkurrierenden oder angreifenden Organismen. Stoffe mit UV-Schutzwirkung oder Reparaturkapazität für die DNA ermöglichen das Überleben an der Wasseroberfläche unter hoher UV-Einstrahlung. Sogenannte kompatible Solute schützen Zellen gegen Druck und hohe Salzkonzentrationen. Adhäsive Proteine von Muscheln vermitteln die intensive Anheftung der Tiere an ihrer Unterlage. Spezielle Enzyme gestatten das Überleben unter extremen Umweltbedingungen, z. B. bei sehr niedrigen Temperaturen. Viele dieser Eigenschaften sind auch für den Menschen nutzbar. Trotz des großen Potentials mariner Organismen zur Produktion von Wirk- und Wertstoffen, dessen Erforschung seit den siebziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts verstärkt betrieben wird, ist der Anteil der vom Menschen genutzten marinen Organismen oder ihrer Produkte bisher relativ gering. Von den mehr 120 000 bekannten Naturstoffen stammen bis jetzt nur etwa 10 % aus marinen Lebewesen (Burja et al. [2001], Lindequist und Schweder [2001]). Pharmazeutisch bedeutsame Meeresprodukte wurden lange Zeit vorwiegend wegen ihrer physiko-chemischen Eigenschaften (z. B. Agar und Carrageenan aus Rotalgen) oder ihres Gehaltes an basischen Polypeptiden (Protamine aus Fischen) genutzt. Weitere haben ernährungsphysiologischen Wert und werden aufgrund ihres Gehaltes an Vitaminen (z. B. Vitamine A und D in Fischlebertranen), mehrfach ungesättigten Fettsäuren (z. B. Eicosapentaensäure und Docosahexaensäure in Kaltwasserfischen und Fischölen) oder Carotinoiden (z. B. Farbstoffe des Hummer) verwendet. Die Erforschung von Sekundärmetaboliten mit origineller chemischer Struktur und hoher pharmakologischer Aktivität wird in steigendem Maße und mit zunehmendem Erfolg erst seit etwa 30 Jahren intensiv betrieben. Schritte auf dem Weg bis hin zu einem potentiellen neuen Wirkstoff sind die Sammlung und Identifizierung von Organismen, die Herstellung von Extrakten, die biologische Testung der Extrakte in verschiedenen in vitro-Testsystemen, die Selektion wirksamer Extrakte, die Isolierung der für die biologische Aktivität verantwortlichen Verbindungen und Neue Nutzungsformen schließlich deren Strukturaufklärung. Die Techniken der funktionellen Genomanalyse eröffnen neue Möglichkeiten z. B. beim Screening nach neuen Wirkstoffen (Schweder et al. 2005). Die auf diese Art und Weise gewonnenen Substanzen liegen meistens nur in sehr geringer Menge vor. Um ausreichende Mengen für weitergehende Untersuchungen und eine eventuelle spätere Verwendung zu erhalten, können verschiedene Wege beschritten werden. Neben der Isolierung aus dem gesammelten oder kultivierten natürlichen Material kommen auch die chemische Synthese der Substanzen oder ihrer Derivate oder eine gentechnologische Gewinnung mit Hilfe leichter kultivierbarer Zellen in Betracht. Auch die Verwendung von Extrakten oder der gesamten Biomasse ist denkbar. Nach Vorliegen positiver Testdaten und geeigneter Gewinnungsverfahren müssen mit den Entwicklungskandidaten umfangreiche vorgeschriebene präklinische und klinische Untersuchungen durchgeführt werden, um dann im besten Fall eine Arzneimittelzulassung zu erreichen. Der Weg von einem biologisch aktiven Extrakt bis zu einem einsetzbaren neuen Arzneistoff, und das betrifft nicht nur marine Organismen, ist extrem lang, teuer und risikoreich. Aus diesem Grund ist es bis jetzt auch nur wenigen marinen Wirkstoffen gelungen, die Zulassung als Arzneimittel zu erhalten. Es ist jedoch zu erwarten, dass ausgehend von der mittlerweile großen Palette an neu aufgefundenen Verbindungen die Anzahl zugelassener mariner Wirkstoffe steigen wird. Firma Pharmamar die Zulassung als Zytostatikum zur Behandlung von Melanomen sowie verschiedenen hämatologischen und soliden Tumoren. Abb. 1 Ein bei marinen Wirkstoffen häufig zu beobachtendes Phänomen, die Produktion der Verbindungen durch symbiontisch lebende Mikroorganismen (Proksch et al. [2002]), wird u. a. bei den zytostatisch wirksamen Bryostatinen deutlich. Sie wurden zuerst aus dem Moostierchen Bugula neritina isoliert, die eigentlichen Produzenten sind mit den Moostierchen symbiontisch lebende Bakterien. Die zu den Polyketiden gehörenden Bryostatine (Abb. 2) waren in klinischen Prüfungen erfolgreich gegen verschiedene Tumorarten, z. B. Speiseröhrenkrebs (Faulkner [2000]). Im Folgenden sollen sowohl einige bereits zugelassene Wirkstoffe als auch Entwicklungskandidaten vorgestellt werden. Entsprechend dem therapeutischen Bedarf, der eingeschlagenen Teststrategie und vermutlich auch der ökologischen Funktion ist der Anteil zytostatisch wirksamer Verbindungen unter den marinen Wirkstoffen auffallend hoch. Ecteinascidin 743 (Yondelis), ein von dem Manteltier Ecteinascidia turbinata, produziertes Tetrahydroisochinolinalkaloid (Abb. 1), wird von der Firma Pharmamar produziert und ist als orphan drug zur Behandlung von Weichteilsarkom, einer besonders aggressiven Tumorart, zugelassen. Es hemmt durch kovalente Bindung an die DNA die Zellteilung (Rinehart et al. [1990], Takebayashi et al. [1999]). Aplidin (Dehydrodidemnin B) wird von dem Manteltier Aplidium albicans gewonnen und gehört zu den cyclischen Peptiden (Sakai et al. [1996]). Aufgrund erfolgreicher klinischer Prüfungen betreibt die Abb. 2 45 46 Neue Nutzungsformen Viele Meerestiere produzieren zur Abwehr von Angreifern akut toxische Verbindungen mit hoher pharmakologischer Aktivität. Ein bekanntes Beispiel sind die in subtropischen und tropischen Meeren vorkommenden Kegelschnecken (Conus-Arten). Sie graben sich meistens so in den Sand ein, dass nur noch ihr hellrot gefärbter Rüssel sichtbar ist, der sich wie ein Wurm auf dem Sand windet. Dadurch angelockte Fische werden mit dem Giftpfeil des Rüssels gestochen und sind in Sekundenschnelle gelähmt. Ihre Giftdrüsen enthalten ein komplexes Gemisch aus Enzymen, niedermolekularen Substanzen und Peptiden, den sogenannten Conotoxinen. ω-Conotoxin MVIIA (SNX-III) ist ein lineares Peptid aus 25 Aminosäuren aus der auch für den Menschen giftigen Kegelschnecke Conus magus, das synthetisch herstellbar ist. Es blockiert spannungs-abhängige Calciumkanäle und besitzt eine starke schmerzstillende Wirkung. In einigen Tiermodellen wirkt es stärker analgetisch als das bekannte Schmerzmittel Morphin. Die Verbindung ist unter dem Namen Ziconotid (PRIALT®) zur Bekämpfung schwerer Schmerzzustände, die z. B. in Verbindung mit Tumorerkrankungen oder als neuropathische Schmerzen auftreten, in den USA zugelassen. Die Zulassung in anderen Ländern ist in Vorbereitung (www.elan.com/products/Prialt [2005]). Als weiteres Beispiel für erfolgreich auf dem Markt eingeführte marine Wirkstoffe seien die Pseudopterosine (Abb. 3, Roussis et al. [1990])) genannt. Sie werden von der Hornkoralle Pseudopterogorgia elisabethae produziert und wirken über eine Hemmung der Phospholipase A2 entzündungshemmend. Partiell gereinigte Extrakte dieser in der Karibik vorkommenden Koralle werden in hochwertigen Kosmetika eingesetzt. Da die Korallen sehr schnell wachsen, ist der Nachschub aus natürlichen Quellen in diesem Fall kein Problem. iertes bicyclisches λ-Lactam-ß-lacton-Ringsystem. Es hemmt das 20S Proteasom, einen intrazellulären Enzymkomplex, der bei der Regulation fundamentaler zellulärer Prozesse eine große Rolle spielt. Spezifische Proteasom-Hemmstoffe sind als potentielle Zytostatika von großem Interesse. Berücksichtigt man das bereits genutzte riesige Potential terrestrischer Actinomyceten als Produzenten von Antibiotika usw., so lässt sich annehmen, dass auch die marinen Actinomyceten noch manche Überraschung bereithalten werden. Abb. 3: Quelle: Roussis et al. [1990] Photolyase ist ein Enzym aus Cyanobakterien, das die Reparatur bzw. unschädliche Entfernung von durch UV-Strahlung geschädigter DNA erlaubt. Zusätzlich zu herkömmlichen chemischen und physikalischen Filtern ist dieses Enzym Bestandteil hochwertiger Sonnenschutzmittel. Ein interessanter Entwicklungskandidat ist die Verbindung Salinosporamid A (Abb. 4, Feling et al. [2003]), die aus einer neu entdeckten marinen Actinomyceten-Gattung stammt und schon in sehr geringen Konzentrationen Tumorzellen in der Teilung hemmt. Salinosporamid A besitzt ein interessantes substitu- Abb. 4: Quelle: Feling et al. [2003] Neue Nutzungsformen In Greifswald hat sich während der letzten Jahre ein Netzwerk mariner Biotechnologie entwickelt, in dessen Zentrum neben der Universität das Institut für marine Biotechnologie e. V. steht. Schwerpunkte der Arbeit sind Genom- und Proteomanalysen mariner Mikroorganismen, bioaktive Verbindungen aus marinen Lebewesen, Enzyme aus psychrophilen (kälteliebenden) marinen Mikroorganismen, die Derivatisierung mariner Wirkstoffe sowie die galenische Verarbeitung mariner Biomassen und Wirkstoffe zu Mikro- und Nanopartikeln. Als Quellen neuer Wirkstoffe werden bevorzugt marine Mikroorganismen (Cyanobakterien, marine Pilze) und Makroalgen, aber auch ausgewählte Invertebraten bearbeitet. Dafür stehen Stammsammlungen zur Verfügung, die kontinuierlich erweitert werden. Zum umfangreichen Methodenspektrum gehören die Fermentation in unterschiedlichem Maßstab, verschiedene molekularbiologische Methoden, Extraktionsund chromatographische Verfahren zur Stofftrennung und –isolierung, spektroskopische Verfahren zur Strukturaufklärung, Synthese und Derivatisierung auch mittels spezieller Enzyme sowie Technologien zur Herstellung von Mikro- und Nanopartikeln. Zur Prüfung auf biologische Aktivität werden mikrobielle, zelluläre und biochemische Assays eingesetzt. Es werden z. B. Prüfungen auf antibakterielle, antifungale, antivirale, antioxidative, zytotoxische, cancerostatische und wundheilungsfördernde Wirkungen durchgeführt. Außerdem ist es möglich, den Einfluß von Extrakten und Verbindungen auf menschliche Haut- und Knochenzellen zu testen sowie UV-protektive und potentielle „Anti-aging“-Eigenschaften zu erfassen. Cyanobakterien, auch als Blaualgen bekannt oder als Mikroalgen bezeichnet, sind vor allem durch ihre Fähigkeit zur Bildung von Wasserblüten, die für Menschen und Tiere toxisch sein können, bekannt. Sie sind aber auch vielversprechende Produzenten potentieller therapeutischer Wirkstoffe. Mehr als 4000 Stämme waren bis 2001 dahingehend untersucht worden (Burja et al. [2001]). Am besten untersucht sind die toxischen Inhaltsstoffe, vorzugsweise Peptide, von Microcystis-Arten und Lyngbya majuscula. Einige Wirkstoffe, z. B. die bereits erwähnte Photolyase, besitzen für den Menschen sehr nützliche Eigenschaften. Andere Mikroalgen, z. B. Spirulina-Arten, werden als Nahrungsergänzungsmittel und zur Produktion von Carotinoiden und anderen Pigmenten genutzt (Puls et al. [2001]). In der Greifswalder Arbeitsgruppe wurden z. B. ungewöhnliche Fettsäuren mit antibakterieller Aktivität aus Kulturen des Cyanobakteriums Oscillatoria redekei isoliert (Mundt et al. [2003]). Die spezielle Verarbeitung der Biomassen von ausgewählten Cyanobakterien zu Mikro- und Nanopartikeln führt zu einer Verstärkung von deren positiven Eigenschaften. Auf diese Art und Weise ist es zum Beispiel gelungen, kosmetische Präparate zu entwickeln, die die Haut nicht nur pflegen, sondern auch die Kontamination mit den Erregern nosokomialer Infektionen (im Krankenhaus erworbener Infektionen) verhindern (Lukowski et al. [2003]). Makroalgen besitzen ausgeprägte Fähigkeiten zur Bildung antimikrobieller Metabolite. Im Rahmen eines EU-Projektes zur integrierten Aquakultur wurden umfangreiche Screeninguntersuchungen von gesammelten und kultivierten Algen auf Wirkung gegen fischpathogene Bakterien, die in Aquakulturanlagen große Verluste hervorrufen können, durchgeführt. Die am stärksten aktiven Algen wurden phytochemisch untersucht. Bei den für die Aktivität von Laurencia chondrioides verantwortlichen Verbindungen handelt es sich um halogenierte Sesquiterpene (Abb. 5, Bansemir et al. [2004]). Abb. 5: 1 Elatol 2 10,15-Dibromochamarga-3(15),4,7(14)-trien-9-ol Quelle: Bansemir et al. [2004] 47 48 Neue Nutzungsformen Marine Pilze werden in immer stärkerem Maße als Wirkstoffproduzenten entdeckt (Biabani und Laatsch [1998]). Die erste und bis jetzt einzige Verbindung, die therapeutisches Interesse erlangt hat, ist Cephalosporin C, das als Ausgangsstoff für die Partialsynthese anderer Cephalosporine, die als Antibiotika große Bedeutung haben, dient. Es wurde aus dem aus Seewasserproben vor der Küste Sardiniens isolierten Pilz Acremonium chrysogenum gewonnen (Lindequist et al. [1999]). Eigene Untersuchungen führten z. B. zur Identifizierung der antimikrobiell wirkenden Verbindungen Corollosporin aus Corollospora maritima (Liberra et al. [1999]) oder Ascochitin und Ascochital aus Kirschsteiniothelia maritima (Abb. 6a, Kusnick et al. [2002]) und gemeinsam mit Ascosalipyron und Hyalopyron aus Chaetodiplodia caulina (Abb. 6b, Rosemann [2005]). Ascochitin Ascochital Ascosalipyron Hyalopyron Abb. 6a: Quelle: Kusnick et al. [2002] Abb. 6b: Quelle: Rosemann [2005] Die Chancen zur Auffindung neuer Arzneistoffe in marinen Organismen sind um so größer, je besser die Kenntnisse über Physiologie, Biochemie und Ökologie der Lebewesen und Lebensgemeinschaften entwickelt sind. Das bedeutet, dass nicht nur der angewandten, sondern auch der Grundlagenforschung große Beachtung geschenkt werden muss. Die Weiterentwicklung hin zu einem Arzneimittel erfordert das interdisziplinäre Zusammenwirken von Vertretern zahlreicher Fachrichtungen wie z. B. Pharmazeuten, Biologen, Chemikern, Biotechnologen, Verfahrenstechnikern und Medizinern, und kann nur in Zusammenarbeit mit der Industrie erfolgreich sein. Die bisherigen Erfahrungen zeigen, dass der Weg von der Entdeckung eines neuen Wirkstoffs, unabhängig von seiner Quelle, bis hin zu einem zulassungsfähigen Arzneimittel extrem lang, teuer und risikoreich ist. Um so wichtiger ist es, das aussichtsreiche Potential, das gerade marine Organismen bieten, in sinnvoller Weise zu erschließen. Dazu gehört es auch, rechtzeitig geeignete Gewinnungsmöglichkeiten, die die natürlichen Ressourcen schonen, zu entwickeln. Das können z. B. Aquakultur, bio- oder gentechnologische Verfahren oder die chemische Synthese sein. Unter Beachtung dessen sind der Schutz der Meeresumwelt und die Nutzung des Meeres und seiner Organismen zur Arzneistoffgewinnung gut miteinander vereinbar. Neue Nutzungsformen Literatur Bansemir A., Just N., Michalik M., Lalk M., and U. Lindequist, 2004: Sesquiterpene derivatives from the red alga Laurencia chondrioides with antibacterial activity against fish and human pathogenic bacteria. Chem. Biodiv., 1, 463-467. Biabani, M.A.F. and H. Laatsch,1998: Advances in chemical studies on low-molecular weight metabolites of marine fungi. J. Prakt. Chem., 340, 589607. Burja, A.M., Banaigs, B., Abou-Mansour, E., Burgess, J.G., and P.C. 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Takebayashi, Y., Pourquier, P., Yoshida, A., Kohlhagen, G., Pommier, Y., 1999: Poisoning of human DNA topoisomerase I by ecteinascidin 743, an anticancer drug that selectively alkylates DNA in the minor groove. Proc. Nat. Acad. Sci., USA, 96, 71967201. Anschrift der Verfasserin: Prof. Dr. Ulrike Lindequist Institut für Pharmazie Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald 17487 Greifswald und Institut für Marine Biotechnologie e.V. am Biotechnikum Greifswald 49 Das Wattenmeer Das Wattenmeer Trilateral Monitoring and Assessment Supporting Conservation and Management of the Wadden Sea* Schutz des Wattenmeers durch trilaterales Monitoringprogramm (TMAP) KAREL ESSINk Summary Zusammenfassung For the Trilateral Monitoring and Assessment Program (TMAP) as well as any other monitoring program, the questions Why? What? Where? and How? are essential. It should be clear why monitoring is needed, or what purpose(s) it has. The purpose of the TMAP is to periodically evaluate the agreed trilateral targets laid down in the Wadden Sea Plan of 1997. Wie bei jedem anderen Monitoringprogramm lauten auch bei dem Trilateral Monitoring and Assessment Program (TMAP) die wesentlichen Fragen: Warum? Was? Wo? und Wie? Es muss klar sein, warum die Überwachung erforderlich ist bzw. welchen Zweck sie hat. Der Zweck des TMAP-Programms besteht darin, die im Wadden Sea Plan von 1997 vereinbarten trilateralen Ziele regelmäßig zu überprüfen. In order to be able to evaluate these targets, Denmark, Germany and the Netherlands agreed on the TMAP Common Package of parameters, which were considered suitable to provide the required information. The questions Where? and How? pertain to the sampling strategy and the analytical and statistical methods. In the case of TMAP, with different institutes and specialist groups operating in different areas of the Wadden Sea, quality assurance and harmonisation are other essential issues. An operational data exchange system completes the TMAP. Periodic evaluation may, or should, result in new or intensified management measures aimed at complying with the targets set. If necessary, targets may have to be amended in response to new findings or changed policy priorities. Monitoring and assessment play an essential role in the so-called policy cycle. In this contribution, elements of the TMAP and examples of evaluation results from the Wadden Sea Quality Status Report 2004 will be presented against the background of this policy cycle. * Was zwecks Überprüfung der Ziele überwacht werden sollte, wurde von Dänemark, Deutschland und den Niederlanden in Form der gemeinsamen TMAP-Parameter festgelegt. Die Fragen „Wo?“ und „Wie?“ beziehen sich auf die Probenahmestrategie sowie die verwendeten Statistik- und Analysemethoden. Bei TMAP mit seinen diversen, in verschiedenen Teilen des Wattenmeers tätigen Instituten und Fachgruppen, sind die Qualitätssicherung und Harmonisierung weitere Schwerpunkte. Das TMAP wird durch ein operationelles Datenaustauschsystem ergänzt. Regelmäßige Bewertungen können, oder sollten, zu neuen oder intensiveren Maßnahmen führen, damit die Ziele erreicht werden. Falls erforderlich, müssen Ziele aufgrund neuer Erkenntnisse oder geänderter Prioritäten neu definiert werden. Die Überwachung und Auswertung spielt daher eine wichtige Rolle im sogenannten „Policy Cycle“. In diesem Beitrag werden wesentliche Elemente von TMAP und Beispiele für Bewertungen des Wadden Sea Quality Status Report 2004 vor dem Hintergrund des „Policy Cycle“ dargestellt. The full paper will be published in: Proceedings of the 11th International Scientific Wadden Sea Symposium. Monitoring and assessment in the Wadden Sea. Foundations and perspectives. Ministry of the Environment, National Environmental Research Institute, Roskilde/ Silkeborg/ KalØ, Denmark. NERI Technical Report No. 573. 53 54 Das Wattenmeer Policy cycle Targets Issues of concern 1. Problem 2. Policy formulation Identification & acceptance 5. Evaluation Monitoring & Assessment Research 3. Policy implementation QSR 4. Management & maintenance Ministerial Declaration National implementation Trilateral Wadden Sea Plan Targets: • Landscape and Culture • Water and Sediment • Salt Marshes • Tidal Area (tidal flats and subtidal gullies) • Beaches and Dunes • Estuaries • Offshore Zone • Birds • Marine Mammals Regulations on : • Agriculture • Fishery • Hunting • Dredging and dumping • Sand and clay extraction • Tourism • Shipping • Energy (wind, gas, oil) • Others Das Wattenmeer Monitoring (TMAP) Trilateral Monitoring and Assessment Program Common Package of TMAP Parameters Chemical Parameters Biological Parameters • • • • • • • • • • • • Nutrients Metals in sediment TBT in sediment Contaminants in blue mussels, flounders and bird eggs Habitat Parameters • • • Blue mussel beds Salt marshes Beaches and Dunes Phytoplankton Macroalgae Eelgrass Macrozoobenthos Breeding birds Migratory birds Beached Bird Surveys Common seals General Parameters • • • • Geomorphology Flooding Land use Weather conditions References Common Wadden Sea Secretariat, 1997: Wadden Sea Plan, 1997. In: Ministerial Declaration of the Eighth Trilateral Governmental Conference on the Protection of the Wadden Sea. Stade, October 1997, Annex 1. Common Wadden Sea Secretariat, Wilhelmshaven, Germany. Address of author: Dr. Karel Essink National Institute for Coastal and Marine Management (RIKZ) PO Box 207 9750 AE Haren The Netherlands Present address: Hooiweg 119 9765 EE Paterswolde The Netherlands E-mail: [email protected] Essink, K., Dettmann, C., Farke, H., Laursen, K., Lüerßen, G., Marencic, H. and W. Wiersinga (Eds.)��, 2005: Wadden Sea Quality Status Report 2004. Wadden Sea Ecosystem No. 19. Common Wadden Sea Secretariat, Trilateral Monitoring and Assessment Group, Wilhelmshaven, Germany. 55 Das Wattenmeer Das Wattenmeer - Zustandseinschätzung für das Jahr 2005 nach der Wasserrahmenrichtlinie (WRRL) JÖRG JANNING Die Ausweisung regionaler Gebietseinheiten und das Bilanzieren von Belastungen und deren Auswirkungen in diesen Gebietseinheiten und die daraus sich ergebende Zustandsbeschreibung und deren Einordnung in ein Klassifizierungssystem zur Vergleichbarkeit der Verhältnisse EU-weit - das ist die grundlegende Sichtweise der neuen europäischen Wasserpolitik und insoweit eine neue Ausrichtung für die behördliche Wasserbewirtschaftung. Die regionalen Gebietseinheiten sind die Managementeinheiten für Bewirtschaftung und Maßnahmen zum Verbessern, zum Schützen und zum Sanieren der Oberflächengewässer. Innerhalb eines Flusseinzugsgebietes wirken diese Einheiten zumeist von Abb. 1: Wasserkörper Küstengewässer Oberlieger auf Unterlieger bis hinein in die Bilanzsenke der Küstengewässer. Regionale Managementeinheiten - in der EG-Wasserrahmenrichtlinie Wasserkörper genannt - sollen einheitliche und bedeutende Abschnitte eines Oberflächengewässers sein. Einheitlichkeit ergibt sich über eine Typengleichheit und diese diente zunächst der Bestimmung von Wasserkörpern. Diese Wasserkörper sind in den Berichten 2005 gemäß Art. 5 WRRL angezeigt. Ob jeder dieser diskreten Wasserkörper auch für die eigentliche Aufgabenstellung, das Management, bedeutend sein wird, wird sich im Zuge der Bewirtschaftungsplanung bis 2009 herausstellen. 57 58 Das Wattenmeer an der deutschen Nordseeküste die Typisierung vor allem anhand der Salinität und der Exposition. Eine Besonderheit sind die Küsten von Helgoland und Helgoland Düne. Hier wurden zusätzlich die besonderen Substratverhältnisse des Inselbereichs (Fels) herangezogen. Die geographische Lage und der Tidenhub wurden nur zur ergänzenden Charakterisierung der Gewässertypen genutzt. Belastungen der Oberflächenwasserkörper (Anh. II 1.4 WRRL) Abb. 2: Flussgebietseinheiten in der Bundesrepublik Deutschland Typen von Oberflächenwasserkörpern in den deutschen Küstengewässern Die Typisierung erfolgt gemäß Anhang II 1.1 und 1.2 WRRL entweder nach dem „System A“ - bei den Küstengewässern über drei obligatorische Faktoren (Ökoregion, Salzgehalt, Wassertiefe) - oder nach dem „System B“, bei dem zum System A ergänzende physikalische und chemische Faktoren einbezogen werden. Diese so genannten optionalen Faktoren beziehen die spezifischen Eigenschaften der jeweiligen Küstenregion und deren hydromorphologische Struktur ein. Unter Verwendung des „Systems B“ wurden nach einheitlichen Kriterien abgestimmt fünf Typen für die Nordsee festgelegt. Nach Beurteilung der verschiedenen Faktoren und ihrer räumlichen und zeitlichen Variabilität erfolgte Die Oberflächenwasserkörper in einer Flussgebietseinheit, also einschließlich der zugehörenden Küstengewässer unterliegen anthropogenen Belastungen, deren Art und Ausmaß gemäß Anhang II 1.4 WRRL festzustellen ist. Zu den Hauptbelastungsarten zählen im Allgemeinen Punkt- und diffuse Quellen sowie morphologische Veränderungen zum Schutz vor dem Wasser und zum Nutzen des Wassers. Im Küstengewässer sind dies insbesondere gebietsspezifische anthropogene Eingriffe durch den Küstenund Inselschutz, die Schifffahrt mit Fahrrinnen und Unterhaltungsbaggerung und der Baggergutverbringung, die Fischerei und den Tourismus, die ermittelt und hinsichtlich ihrer Signifikanz eingeschätzt wurden. Auf Grundlage der erhobenen Daten und Informationen ist anschließend beurteilt worden, ob die Zielerreichung für die Oberflächengewässer bezogen auf die ausgewiesenen Wasserkörper als gefährdet einzuschätzen ist (Anhang II 1.5 WRRL). Für die Küs-tengewässer sind die erfassten Belastungen als nicht signifikant beurteilt worden. Der Begriff „signifikant“ ist allerdings in der WRRL nicht näher definiert, so dass es im Einzelfall zu unterschiedlichen Auffassungen hinsichtlich der Einschätzung der Signifikanz bzw. der zugrunde liegenden Kriterien gekommen ist. In Anlehnung an CIS-Guidance 2.1 (IMPRESS-Leitfaden) wurde „signifikant“ so interpretiert, dass eine Belastung sich so auswirkt, das dies zu einem Nicht-Erreichen eines Umweltziels führen kann. Küstengewässer sind dynamische Systeme, die infolge der vielen verschiedenen Einflüsse starke Variationen aufweisen. Ein wesentliches Charakteristikum hierbei ist die gezeitenbedingte periodische horizontale Verlagerung der Wasserkörper, die durch keine geomorphologisch signifikanten Grenzen begrenzt sind. Die Gezeitenströme bestimmen den horizontalen und den vertikalen Austausch und damit die großräumige Vermischung. Hierdurch besitzen Das Wattenmeer Anzahl der Nennungen 10 8 6 4 2 0 Gewässerstruktur (einschließlich Durchgängigkeit) Nährstoffe Physikal./chemische Stoffe (Anhang VIII WRRL) Prioritäre Stoffe (Anhang IX und X WRRL) Abb. 3: In den zehn Flussgebietsberichten am häufigsten genannte Ursachen für die Zielverfehlung von Oberflächengewässern Quelle: Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (BMU) verändert nach Borchardt [1998] Abb. 4: Veränderung der Belastung von Fließgewässern Quelle: Universität Kassel, Gewässerökologie/Gewässerentwicklung. Workshop Fließgewässerbewertung, Witzenhausen 25./26. Juni 2003 59 60 Das Wattenmeer anthropogene Belastungen (punktuell oder diffus) einen größeren nicht genau abgrenzbaren Wirkbereich. Hinsichtlich ihrer Belastungssituation stellen sie somit ein gemeinsames, sich gegenseitig beeinflussendes System dar. Auf Grund der naturräumlichen Gegebenheiten ist es daher für die meisten Belastungsarten nicht sinnvoll, unterschiedliche Bewertung der einzelnen Wasserkörper innerhalb des Gebietes der Küstengewässer vorzunehmen. Nur bei einer ausreichenden Datenlage, die eine hinreichende Unterscheidung ermöglicht, können differenzierte Bewertungen vorgenommen werden. Künstliche und erheblich veränderte Wasserkörper gem. Art 4(3) In den Berichten 2005 ist die vorläufige Ausweisung künstlicher und „erheblich veränderter“ Wasserkörper gefordert. Es war festzustellen, dass die durch Menschen vorgenommenen physikalischen Ein- 2009 Bewirtschaftungsplan Klassifizierung griffe - zumeist im Küsten- und Inselschutz und in der Schifffahrt - die Küstengewässer nicht in ihrem natürlichen Wesen erheblich verändert haben, was bei der Größe der ausgewiesenen Wasserkörper in den Küstengewässern auch nicht zu erwarten war. In den Ästuaren, also in den Bereichen der Übergangsgewässer wurde die Veränderung dagegen als erheblich angesehen und sie wurden entsprechend ausgewiesen. Hafenbereiche im Wattenmeerbereich sind im Bericht 2005 nicht gesondert ausgewiesen, werden aber als künstlich oder erheblich verändert einzustufen sein. Diese vorläufige Ausweisung wird in der weiteren Bewirtschaftungsplanung bis 2009 einer Überprüfung zu unterziehen sein. Die endgültige Ausweisung ist bedeutsam, weil sie festlegt, dass Umweltziele unter Beachtung der vorgegebenen und unverzichtbaren hydromorphologischen Festlegungen anzustreben sind und diese Festlegungen nicht in Frage zu stellen haben. 2004 Ausweisung 2005 Art. 5 Bericht Bestandsaufnahme Bewertung Zielerreichung vorläufig AWB / HMWB 2003 Belastungs- und Bewertungsmatrices nach LAWA Kriterien Ökologischer Zustand sehr gut Zielerreichung gut wahrscheinlich „not at risk“ mäßig unklar „at risk“ unbefriedigend unwahrscheinlich schlecht Abb. 5 Anschrift des Verfassers: Jörg Janning Referatsleiter Gewässerschutz Niedersächsisches Umweltministerium Archivstr. 2 30169 Hannover > 70 % WK-Strecke erfüllt 30 - 70 % WK Strecke erfüllt > 70 % WK-Strecke Strukturklasse > 5 und Nutzungen < 30 % WK-Strecke erfüllt Das Wattenmeer Salzwiesenmonitoring im schleswig-holsteinischen Wattenmeer - Ergebnisse und Perspektiven für das Monitoring im Rahmen von FFH und WRRL Salt marsh monitoring in the Schleswig-Holstein Wadden Sea – results and implications for monitoring under FFH and WFD MARTIN STOCK Zusammenfassung Summary Salzwiesen stehen in der Diskussion um den Nationalpark im besonderen öffentlichen Interesse. Sie sind Bestandteil eines Kultur- und Naturraumes, dessen Schutz in den letzten Jahrzehnten einen gesellschaftlichen Wandel erlebt hat. Salt marshes are of special interest to the public in the discussion concerning the National Park area. They are part of a cultural and natural area whose protection has experienced a change of public attitude during the past decades. Die Ansprüche an das Land vor den Deichen sind vielfältig. Naturschutz, Küstenschutz, Landwirtschaft und Tourismus haben jeweils eigene Erwartungen an diesen Lebensraum. Unter Naturschutzgesichtspunkten erfüllen die Salzwiesen eine wichtige Funktion im NATURA 2000 Netzwerk und mit ihrer Filterfunktion zusätzlich im Rahmen der Wasserrahmenrichtlinie der EU. Numerous different interests focus on the area outside the dikes. Protection of nature, coastal defence, agriculture, and tourism have their own expectations regarding this habitat. Under nature conservation aspects, the salt marshes have an important function within the NATURA 2000 network, and because of their filtering function they are also relevant under the EU Water Framework Directive. Um die unterschiedlichen Interessen aus Küsten- und Naturschutz in den Salzwiesen zu einem Ausgleich zu bringen, hat das Land Schleswig-Holstein ein Vorlandmanagementkonzept geschaffen, dessen Planungen und Umsetzungen vorbildlich für die deutsche Nordseeküste sind. Ein wesentlicher Bestandteil ist ein Monitoringprogramm für die Salzwiesen, das zugleich Bestandteil des Trilateralen Monitoring und Assessment Programmes TMAP ist. In order to co-ordinate the different environmental protection interests in the salt marshes, the state of Schleswig-Holstein developed a management concept for the area which is exemplary in its planning and implementation in the German North Sea area. An important component of the concept is the salt marsh monitoring programme, which forms part of the Trilateral Monitoring and Assessment Programme (TMAP). Im Rahmen dieser Programme werden regelmäßig flächendeckende Erhebungen zur Salzwiesenentwicklung durchgeführt. Erstmalig sind nun alle Erfassungen synoptisch ausgewertet und in Form von Karten dargestellt worden. In dem Vortrag werden exemplarisch wichtige Ergebnisse vorgestellt und deren Bedeutung für die Zustands- und Qualitätsbeurteilung des Habitattyps vor dem Hintergrund der EU-Richtlinien dargestellt. Within the framework of these programmes, the complete area of the salt marshes has been monitored regularly to record its development. A synopsis of monitoring results is now available for the first time in the form of charts. The presentation deals with some important results and discusses their relevance to the assessment of the habitat type’s status and quality under the EU regulations. 61 62 Das Wattenmeer Einleitung Küstenzonen sind ökologisch sehr wertvolle Landschaften. An der schleswig-holsteinischen Westküste stehen insbesondere die Salzwiesen im besonderen öffentlichen Interesse. Sie sind Bestandteil eines Kultur- und Naturraumes, dessen Schutz in den letzten Jahrzehnten einen gesellschaftlichen Wandel erlebt hat. Die Ansprüche an das Land vor den Deichen sind vielfältiger geworden. Naturschutz, Küstenschutz, Landwirtschaft und Tourismus haben jeweils eigene Erwartungen an diesen Lebensraum. Unter Naturschutzgesichtspunkten erfüllen die Salzwiesen eine wichtige Funktion im NATURA 2000-Netzwerk und im Rahmen der Wasserrahmenrichtlinie. In großen Teilen sind sie heute Bestandteil des Nationalparks Schleswig-Holsteinisches Wattenmeer. Unter Küstenschutzgesichtspunkten haben Salzwiesen unter anderem eine wichtige Aufgabe als Wellendämpfer. Sie minimieren bei einer Sturmflut die Belastung unserer Landesschutzdeiche. Um Grassoden für die Reparatur der Deiche zu gewinnen, müssen sie in Teilen beweidet werden. Die Schafhaltung auf Deichen und Salzwiesen hat eine regional-wirtschaftliche Bedeutung. Für den Tourismus ist die zurückkehrende Natur in den wieder erblühten Salzwiesen ein Werbepfund. Um den unterschiedlichen Ansprüchen an den Lebensraum Salzwiese gerecht zu werden, entwickelte eine Arbeitsgruppe „Vorland“ aus Vertretern und Vertreterinnen der Küstenschutz- und Naturschutzverwaltungen sowie des Marschenverbandes im Jahre 1995 erstmalig gemeinsame Grundsätze für das künftige Management der Vorländer, die die rechtlichen Vorgaben (Landesnaturschutzgesetz, Landeswassergesetz, Nationalparkgesetz ) berücksichtigen (Hofstede und Schirmacher [1996]). Unter der Maßgabe, dass der Schutz der Menschen höchste Priorität hat, formuliert das Vorlandmanagement folgende Grundsätze: • Es ist gemeinsames Ziel, vorhandenes Vorland zu erhalten und vor Schardeichen neu zu entwickeln. • Die Maßnahmen sind abhängig von den örtlichen Verhältnissen; sie sind möglichst naturverträglich auszuführen. • Die Maßnahmen sind anhand eines Monitoringprogrammes auf Effektivität und auf ihre Naturverträglichkeit zu überprüfen und weiterzuentwickeln. • Es werden Gebiete als Vorrangflächen für eine natürliche Entwicklung unter Verzicht auf Küstenschutzmaßnahmen ausgewiesen. • Diese Gebiete werden beobachtet und überwacht. Im Falle bedenklicher Entwicklungen werden die zu ergreifenden Maßnahmen miteinander abgestimmt. Das Monitoringprogramm wird vom Nationalparkamt und vom Amt für ländliche Räume Husum gemeinsam getragen und finanziert. Die Ämter bedienen sich dabei eines gemeinsamen Küstenschutz-Informations-Systems, das die Topographie der Westküste, die Morphologie und biologische Parameter mit modernen Methoden dokumentiert. Eine erste großflächige Erfassung der Salzwiesen Im Nationalpark Schleswig-Holsteinisches Wattenmeer wurde schon 1988 durchgeführt. 1996 erfolgte die erste Wiederholungskartierung, die seitdem im Rhythmus von fünf Jahren im Rahmen des Vorlandmanagementkonzeptes aktualisiert wird. 2001 konnte aufgrund einer beispielhaften Zusammenarbeit mehrerer Behörden erstmalig eine flächendeckende Erfassung aller Salzwiesen an der Westküste von Schleswig-Holstein durchgeführt werden. Zur Zeit wird die Kartierung 2006/2007 durchgeführt, bei der erstmalig mit digitalen Luftbildern gearbeitet wird. Parallel zu der regelmäßigen Erfassung wurde in den letzten Jahren auch eine Standardisierung der Darstellungsmethodik erarbeitet (Bakker et al. [2005]). Methode Ausdehnung und Vegetationsbedeckung der Salzwiesenvegetation wird auf der Grundlage von ColorInfrarot-Luftbildern im Maßstab 1:5.000 ermittelt, die im Turnus von 5 Jahren aufgenommen werden. Im Folgejahre der Befliegung wird eine Kartierung der Vegetation durchgeführt. Als Grundlage für die Kartierung der Salzwiesen dienen Color-Infrarot (CIR) Luftbilder. CIR-Luftbilder sind besonders für Vegetationsuntersuchungen geeignet, da die stärker differenzierte Remission des Blattgrüns im nahen Infrarot sichtbar wird. Die Auswertung der CIR-Luftbilder erfolgt am Leuchttisch. Als Kartengrundlage dienten die Deutsche Das Wattenmeer Grundkarte im Maßstab 1 : 5.000 (DGK5), Ausdrucke des Geografischen Informationssystems des Nationalparkamtes (GIS) sowie die Ergebnisse der vorherigen Vegetationskartierung. Für die Auswertung der Luftbilder der nachfolgenden Kartierungen lag eine digitale Topografie auf der Grundlage von digitalen Orthofotos vor. Am Leuchttisch wird bei der Luftbildinterpretation die Information des CIR-Bildes von untereinander abgrenzbaren Flächen unterscheidbarer Vegetation nach Farbe, Textur und Struktur der Oberfläche und Verteilung der Objekte im Raum in einen transparenten Plot der Topografie übertragen. Die Kartierung der Salzwiesenvegetation erfolgte als pflanzensoziologische Ansprache. Nach Vorinterpretation der Flächenumrisse im Luftbild werden die Pflanzenbestände im Gelände bereits beschriebenen Pflanzengesellschaften zugeordnet. Die Ansprache der Vegetationsgesellschaften erfolgt nach dem von Braun-Blanquet [1964] begründeten Kennartenprinzip. Die Flächenbilanzierung richtet sich nach der Untergliederung der Salzmarschen von Hälterlein et al. [1991], um einen Flächenbezug zu Brut- und Rastvogeldaten zu gewährleisten. Die erhobenen Vegetationsdaten werden digitalisiert und in einem Geographischen Informationssystem (ARC-INFO) verarbeitet. Die digitale Erfassung erhöht zudem den Vergleich und die gemeinsame Auswertung mit anderen Daten des GIS im Nationalpark (z. B. Brut- und Rastvogeldaten) sowie mit Daten des Küstenschutz-Informations-Systems (KIS) des ALR im Rahmen des Vorlandmanagements an der Westküste von Schleswig-Holstein. Voraussetzung für eine wattenmeerweite Betrachtung der Vegetationsausbildung ist eine einheitliche Typisierung der Vegetation. Aus diesem Grund wurde eine wattenmeerweite Typologie erarbeitet. Sie besteht aus 32 verschiedenen Vegetationstypen, von denen jeder durch kennzeichnende und / oder dominante Pflanzenarten charakterisiert ist. Diese Vegetationstypen können zu 7 Vegetationszonen zusammengefasst werden. Diese Typologie wird auf die digitalen Daten angewendet und kann mit einer einheitlichen Kartenlegende versehen werden. Eine ausführliche Methodenbeschreibung ist bei Stock et al. [2005] zu finden. Ergebnisse Entsprechend der Datengrundlage von 2001 konnte erstmalig eine Gesamtbilanz der Salzwiesenfläche an der Westküste von Schleswig-Holstein vorgenommen werden. Die ermittelte Fläche von 11.625 ha beinhaltet auch die Quellervegetation und einen geringen Anteil von Dünenvegetation, z. B. vor St. Peter-Ording, wo die eigentliche Salzwiese eng mit Dünenkomplexen verzahnt ist. Entsprechend der ersten Gesamterfassung sind im Jahre 2001 an der Festlandsküste 8.340 ha, auf den Inseln 1.240 ha und auf den Halligen mit den dazugehörigen Vorländern 2.045 ha Salzwiesenfläche ermittelt worden (Tab. 1). Gebiet ha Festland 8.340 Inseln 1.240 Halligen und Vorländer* 2.045 Gesamt 11.625 Tab. 1: Gesamtfläche der Salzwiesen an der Westküste von Schleswig-Holstein im Jahr 2001 * inkl. einer nicht kartierten Halligfläche (26,2 ha) Auf der Hallig Langeneß sind 935 ha, auf Hallig Hooge 485 ha, auf der Hallig Nordstrandischmoor 195 ha, auf Hallig Gröde 184 ha, auf Hallig Oland 135 ha, auf Hallig Süderoog 58 ha, auf Hallig Südfall 37 ha, auf Hallig Norderoog 10 ha und auf der Hallig Habel 6 ha Salzwiesenvegetation kartiert worden. Mit dieser Bilanz wird erstmalig eine Flächenermittlung vorgelegt, die auf einer aktuellen Topographie (1995 - 2003) aufbaut und bei der die gesamte Fläche nach einheitlicher Methode kartiert wurde, wobei schwarz-weiße Luftbilder aus den Jahren 2001 bzw. 2003 als Kartenhintergrund Verwendung fanden. Flächenentwicklung der Salzwiesen der Festlandsküste Anhand der drei aufeinanderfolgenden Kartierungen wird die Flächenentwicklung für die Vorland-Salzwiesen ab 1988 aufgezeigt (Abbildung 1). Da 1988 keine Quellerfluren kartiert wurden, zeigt die Grafik die Flächenentwicklung für den Vergleich der drei Kartierungsdurchgänge ohne Quellerfluren und für den Vergleich der beiden letzten Kartierungen mit Quellerfluren. 63 64 Das Wattenmeer Flächenentwicklung pro Gebiet 9000 ha Für die Festlands-Salzwiesen wird die Flächenentwicklung der letzten 13 Jahre für die einzelnen Vorlandbereiche getrennt betrachtet. In Anlehnung an die erste Bilanz (Stock et al. [2001]) wurden für diese Auswertung der Flächenveränderungen jeweils mehrerer kleiner Gebietsabschnitte zu 32 größeren Gebieten zusammengefasst. In dieser Analyse sind aus Gründen der Vergleichbarkeit zu den Ausgangsdaten die Wattqueller-Fluren nicht mit berücksichtigt. 8000 ha 7000 ha 6000 ha 1985 1990 1995 = ohne Queller 2000 2005 = mit Queller Abb. 1: Flächenentwicklung der Salzwiesen an der Festlandsküste. 1988 wurde keine Quellervegetation kartiert Ohne Berücksichtigung der Quellerfluren ergibt sich für die Festlandsküste ein Anstieg der Salzwiesenfläche von ca. 6.650 ha im Jahr 1988 über ca. 7.100 ha im Jahr 1996 auf ca. 7.760 ha im Kartierungsjahr 2001. Das entspricht einer Zunahme der Salzwiesenfläche vor den Deichen der Westküste von rund 16 % über einen Zeitraum von 13 Jahren. Der mittlere jährliche Zuwachs betrug somit 85 ha pro Jahr. Während der Zuwachs von der ersten zur zweiten Kartierung knapp 7 % betrug, so ist er von der zweiten zur dritten Kartierung auf ca. 9 % angestiegen. Der größere Anteil der Festlandssalzwiesen befindet sich vor den Deichen der nordfriesischen Küste mit der Halbinsel Eiderstedt. Die Zuwächse betrugen zwischen zwei aufeinanderfolgenden Kartierungen jeweils 6 % bzw. 9,7 %. Dithmarschen weist aufgrund seiner geringeren Küstenlänge einen geringeren Salzwiesenanteil auf ������������������������������������ als Nordfriesland. Die Zuwächse liegen jedoch mit 8 % bzw. 8,5 % in einer ähnlichen Größenordnung wie in Nordfriesland. Auch in dieser Darstellung blieben die Quellerfluren unberücksichtigt, um bei der Bilanzierung die Vergleichbarkeit zur ersten Kartierung zu gewährleisten. Bei dieser Flächenbilanz handelt es sich um eine Brutto-Flächenveränderung, da lokale Verluste z. B. durch Deichverstärkungen und andere Baumaßnahmen, wie z. B. vor Neufeld, in der Bilanz enthalten sind. Abbildung 2 (rechts) zeigt die Flächenveränderung der Festlands-Salzwiesen von 1996 bis 2001 für die einzelnen Teilgebiete. In den einzelnen Vorlandbereichen wird eine unterschiedliche Entwicklung deutlich. 30 Gebiete zeigen eine positive Flächenbilanz. In den beiden Gebieten mit negativer Bilanz liegen die Werte in der Größenordnung von unter 1 ha und befinden sich damit im Fehlerbereich der Analysemethode. Im nordfriesischen Teil des Wattenmeeres betrug der Zuwachs der mit Salzwiesenvegetation bestandenen Fläche zwischen 2 - 81 ha (Abb. 2, rechts). Die größten Zuwächse von 40 ha und mehr waren vor dem Rickelsbüller Koog, dem Friedrich-WilhelmLübke-Koog, im Bereich der Hamburger Hallig und auf Nordstrand im Südwesten von Süderhafen zu verzeichnen. In allen anderen nordfriesischen Gebieten betrug der Zuwachs in den letzten 5 Jahren zwischen 10 und 20 ha. Zuwächse unter 10 ha waren vor dem Neugalmsbüller Koog, dem Osewoldter Koog, dem Nordstrander Damm, vor Schobüll, vor dem Simonsberger und dem Jordflether Koog, dem Norderheverkoog, vor Westerhever, in der Tümlauer Bucht und vor Ehstensiel/Grothusenkoog zu verzeichnen. Vor der Dithmarscher Küste wurde mit Ausnahme von Helmsand in allen Vorlandabschnitten ein Zuwachs bilanziert (Abb. 2, rechts). Der Wert für Helmsand liegt jedoch im Fehlerbereich der Analysemethode. Der flächenmäßig größte Zuwachs trat im Friedrichskooger Vorland und vor dem Dieksander Koog auf und betrug 33 – 84 ha. Besonders im Dieksander Koog ist ein ausgedehntes Salzwiesenwachstum mit natürlichen Strukturen in den extrem tiefen Vorlandbereichen zu verzeichnen. Vor dem Wesselburener Koog, dem Hedwigenkoog und dem Kaiser-Wilhelm-Koog lagen die Zuwächse unter 10 ha. Das Wattenmeer -20 0 -20 20 40 60 80 100 120 140 ha 0 20 40 60 80 100 120 140 ha Rickelsbüller Koog F-W-Lübke-Koog Nord F-W-Lübke-Koog Süd Marienkoog Neugalmsbüller Koog Osewoldter Koog Ockholmer Koog Hamburger Hallig Süderhafen Südwest Süderhafen Nordost Nordstrander Damm Schobüller Vorland Porrenkoog/Dockkoog Husum Süd Simonsberg Ülvesbüller Vorland Jordfletherkoog Vorland Norderheverkoog Ost Norderheverkoog West Westerhever Tümlauer Bucht St. Peter-Ording Nord St. Peter-Ording Süd Ehstensiel/Grothusenkoog Wesselburener Koog Hedwigenkoog Helmsand Friedrichskoog-Vorland Dieksanderkoog-Nord Dieksanderkoog-Süd Kaiser-Wilhelm Koog Neufelderkoog/Neufeld 1988 - 2001 1996 - 2001 Abb. 2: Entwicklung der Salzwiesenvegetation an der Festlandküste in unterschiedlichen Vorlandbereichen. Wattquellerfluren sind nicht enthalten. Dunkel unterlegte Bereiche kennzeichnen Vorlandbereiche, in denen in Teilgebieten zumindest in den letzten 10 Jahren keine Küstenschutzmaßnahmen stattfanden Analysiert man den gesamten Untersuchungszeitraum von 1988 bis 2001, so zeigt sich die in Abbildung 2 (links) dargestellte Situation hinsichtlich der Flächenveränderung. Von den 32 Gebieten weisen 28 eine positive Bilanz auf. In vier Gebieten ist die Bilanz über den 13-jährigen Zeitraum negativ. Die Zuwächse betrugen je nach Gebiet bis zu 135 ha auf. In zwölf Gebieten war eine Ausdehnung der Salzwiesenfläche������������������������������� von über 40 ha und in zehn Gebieten von über 10 ha zu verzeichnen. Neun Gebiete wiesen über den gesamten Untersuchungszeitraum nur geringe Zuwächse von unter 10 ha auf. Bei den vier Gebieten mit Flächenverlusten handelt es sich in allen Fällen um Gebiete, die bereits in der ersten Bilanzierung (Stock et al. [2001]) eine negative Bilanz aufwiesen. Dies sind die Vorländer vor dem Marienkoog, dem Osewoldter Koog, dem ����������� Porrenkoog�/ Dockkoog und vor dem westlichen Norderheverkoog. In drei der Gebiete traten innerhalb der letzten fünf Jahre (1996 bis 2001) Zuwächse auf, die allerdings die Verluste des vorhergehenden Zeitraumes noch nicht ausgleichen konnten. Die Salzwiese vor dem Porrenkoog/Dockkoog ist das einzige Gebiet, in dem auch in dem jüngsten Erfassungszeitraum keine Ausdehnung der Fläche zu verzeichnen war. Bei den Gebieten mit geringen Zuwächsen in den letzten 13 Jahren sowie bei den Gebieten mit Flächenverlusten kann davon ausgegangen werden, dass entweder die Sedimentbilanz in den vorgelagerten Wattbereichen unzureichend ist oder erosive Kräfte und starke Strömungen in den Watten vorherrschen, die ein Anwachsen der Salzwiesenvegetation 65 66 Das Wattenmeer verhindern. Selbst durch Lahnungsbau kann in solchen Situationen die Erosion zwar gemindert, aber keine positive Sedimentationsrate erzielt werden. Name des Vegetationstyps, sondern die deutsche Bezeichnung der Pflanzengesellschaft verwendet worden. Flächenentwicklungen in den Vorranggebieten für den Naturschutz Abbildung 3 zeigt die Anteile der einzelnen Vegetationstypen in den jeweiligen Kartierungsjahren und ihre Entwicklung über die Zeit. Die grau unterlegten Vorlandabschnitte in Abb. 2 weisen auf Vorlandbereiche hin, in denen in Teilbereichen kein Lahnungsbau mehr betrieben wird. Es handelt sich um „Vorranggebiete für den Naturschutz“ entsprechend dem Vorlandmanagementkonzept (Hofstede und Schirmacher [1996]). In keinem dieser Bereiche war in der Bilanz für den Zeitraum 1996 bis 2001 ein Rückgang der Salzwiesenvegetation zu verzeichnen. Betrachtet man den gesamten Untersuchungszeitraum von 1988 bis 2001, so weist die Salzwiese vor dem Osewoldter Koog als einziges Vorranggebiet eine negative Flächenbilanz auf. Diese Flächenveränderung ist auf einen Flächenverlust in Höhe von 60 ha infolge einer Vordeichung aus dem Jahr 1989 zurückzuführen. Der Verlust fand daher außerhalb des Vorranggebietes statt. Die Bilanz über den gesamten Zeitraum ist negativ, da die erste Kartierung (1988) die Salzwiesen vor dem eingedeichten Koog noch mit erfasst hat. Die leichten Zuwächse in dem Zeitraum nach der Vordeichung konnten die aus der Vordeichung resultierenden Verluste noch nicht wett machen. Veränderungen in der Vegetationszusammensetzung der Festlandssalzwiesen Fünf Jahre nach Nationalparkgründung, im Jahr 1990, wurden erstmals in größerem Umfang in den Festlandssalzwiesen die Beweidung und die flächige Entwässerung eingestellt. In den betreffenden Bereichen kann sich seitdem die Salzwiesenvegetation wieder entsprechend der Standortbedingungen ausprägen. Parallel dazu ist die Salzwiese in vielen Bereichen weiter in die Wattflächen vorgedrungen und hat eine geschlossene Vegetationsdecke ausgebildet. Diese Flächenveränderungen spiegeln sich auch in der Vegetationszusammensetzung wider. Die nachfolgenden Betrachtungen berücksichtigen bei den beiden letzten Kartierungen auch die Wattqueller-Fluren, da kein Vergleich von absoluten Flächengrößen vorgenommen wird. Im Nachfolgenden ist aus sprachlichen Gründen nicht der lateinische 100 % 80 % 60 % 40 % 20 % 0% 1988 1996 2001 Abb. 3: Veränderung der Anteile der einzelnen Vegetationstypen in den Salzwiesen der Festlandsküste von 1988 bis 2001 (Legende siehe Abb. 5) Vor der Extensivierung der Festlandssalzwiesen (1990 - 91) bedeckten Andelrasen den größten Anteil der unteren Salzwiese. Die obere Salzwiesenzone bestand zu ca. 60 % aus Rotschwingel-Rasen. Ein knappes Viertel wurde von Bottenbinsen-Rasen, der Rest zu geringen Flächenanteilen von Strandquecken- und Straussgras-Fluren eingenommen. Die Verteilung der einzelnen Vegetationstypen änderte sich in den folgenden Jahren. Der Anteil des Andelrasens nahm von 50 % auf 20 %, der des Rotschwingel-Rasens von 17 % auf 15 % und der des Bottenbinsen-Rasens von 7 % auf 4 % der Gesamtfläche des jeweiligen Jahres ab. Salzmelden-Fluren in der unteren Salzwiese haben von 0,6 % auf 4 % und Strandquecken-Fluren in der oberen Salzwiese von 2 % auf 7 % der Gesamtfläche des jeweiligen Jahres zugenommen. Der Anteil der reinen Schlickgras-Fluren in der Pionierzone hat von 15 % auf 18 % der jeweiligen Gesamtfläche zugenommen. Die aktuelle Kartierung weist erneut einen Anstieg unspezifischer Vegetationstypen in der Pionierzone, in der unteren und in der oberen Salzwiese auf. Diese Kategorie beinhaltet Vegetationskomplexe, die häufig auf eine bislang nicht abgeschlossene Sukzession Das Wattenmeer hindeuten. Insgesamt ist es aufgrund der Extensivierungsmaßnahmen zu einer Zunahme sowie einer ausgeglicheneren Verteilung der Vegetationstypen gekommen, die mehr den standörtlichen Gegebenheiten entspricht und weniger durch Beweidungsund Entwässerungsmaßnahmen bedingt ist. Die Ergebnisse der aktuellen Kartierung zeigen, dass eine großflächige Dominanz einzelner Vegetationstypen bislang nicht aufgetreten ist. Vegetationsentwicklung am Beispiel der Hamburger Hallig mit unterschiedlichen Standortbedingungen und unterschiedlichem Management Die Salzwiesen der Hamburger Hallig stellen zusammen mit den angrenzenden Salzwiesen vor dem nördlichen und südlichen Sönke-Nissen-Koog den größten zusammenhängenden Vorlandkomplex im nordfriesischen Teil des Wattenmeeres dar. Sie sind seit vielen Jahren gut untersucht und auch weiterhin Gegenstand detaillierter Dauerbeobachtungen mit mehreren Parametern. Die Entstehungsgeschichte und die Entwicklung der Salzwiesen sowie ihrer Avifauna sind ausführlich bei Stock und Kiehl [2000] beschrieben. Die jüngste Auswertung zur Vegetationsentwicklung, ermittelt anhand von Dauerflächenuntersuchungen, haben Schröder et al. [2002] vorgelegt. Die Salzwiesenfläche der Hamburger Hallig ist kontinuierlich angewachsen, obwohl im südlichen Bereich auf einer Länge von ca. 180 m ein aktive Abbruchkante vorzufinden ist. Die Verluste an dieser Kante werden jedoch durch die Zuwächse andernorts ausgeglichen. Zuwächse sind vor allen Dingen in den Lahnungsfeldern um die Hallig herum sowie vor dem nördlichen Sönke-Nissen-Koog anzutreffen. Die heutige Ausdehnung beträgt einschließlich der QuellerFluren ca. 1.047 ha. Südlich der Hamburger Hallig befindet sich ein Vorranggebiet für den Naturschutz, in dem seit 1996 keine Küstenschutzaktivitäten in der Fläche mehr stattfinden (Hofstede und Schirmacher [1996]). Mit Ausnahme einer kleinen, langjährig unbeweideten Versuchsfläche waren die Salzwiesen der Hamburger Hallig bis 1991 ganzflächig intensiv mit Schafen beweidet. Damals ist ein großflächiges Beweidungsmosaik eingeführt worden, welches bis heute – mit Ausnahme der extensiv beweideten Flächen – in seiner Nutzungsintensität nicht geändert wurde. Auf den extensiv beweideten Flächen im zentralen Bereich des Vorlandes ist 1994 die Beweidungsintensität nochmals reduziert worden. Heute sind ca. 38 % unbeweidet, ca. 20 % werden extensiv beweidet und ca. 42 % werden nach wie vor intensiv genutzt. Die Vegetation in diesem Vorlandbereich spiegelte während der ersten Kartierung die Situation zum Zeitpunkt intensiver Landnutzung wider (Abb. 4). 100 % 80 % 60 % 40 % 20 % 0% 1988 1996 2001 Abb. 4: Veränderung der Anteile der einzelnen Vegetationstypen in den Salzwiesen der Hamburger Hallig von 1988-2001 (Legende siehe Abb. 5) Die Vegetation war auf 69 % der Fläche von Andelrasen dominiert. Rotschwingel-Rasen nahmen mit 16 % den zweitgrößten Anteil ein. Schlickgras-Fluren machten 8 % und Salzmelden-Fluren 5 % der Fläche aus. Mit fortschreitender Sukzession aufgrund der Beweidungsrücknahme differenzierte sich die Vegetation mehr und mehr entsprechend der Standortgegebenheiten aus. Die mit Schlickgras-Fluren bedeckten Flächen haben leicht zugenommen und nahmen in der jüngsten Kartierung 14 % der Vegetationsdecke ein. Hinzu gekommen sind die Quellerund Strandsoden-Fluren, deren Anteil sich seitdem nicht verändert hat. Die Andelrasen sind flächenmäßig zurückgegangen und nahmen 2001 noch 22 % der Fläche ein. Mit zunehmender Sukzessionsdauer ist der Anteil der Komplexe zwischen Einheiten der Pioniervegetation und der unteren Salzwiese gestiegen. Innerhalb des Bereiches der unteren Salzwiese haben sich die Bestände der beweidungsempfindlichen Salzmelden-Gesellschaft zunehmend ausbrei- 67 68 Das Wattenmeer ten können. Salzmelden-Fluren der unteren Salzwiese nahmen einen Anteil von 11 % der Gesamtfläche ein. Hinzu kommen weitere 3 %, die SalzmeldenFluren in der oberen Salzwiese einnehmen. Die Rotschwingel-Rasen zeigen, wie in allen anderen Gebieten auch, in den ersten Jahren nach Beweidungsauflassung eine Ausdehnung. Ihr Anteil stieg von 16 % im Jahr 1988 auf 19 % im Jahr 1996 und sank dann bis 2001 auf 11 %. Diese Entwicklung ist charakteristisch: Andelvegetation wird durch Beweidung auch an solchen Standorten gefördert, die von den abiotischen Standortfaktoren her der oberen Salzwiese zuzurechnen wären. Mit Beweidungsauflassung breiten sich zunächst Rotschwingel-Rasen aus, die zu schneller Ausbreitung mittels Ausläufern in der Lage sind. Sie werden jedoch im Verlauf der weiteren Sukzession von Beständen anderer Gesellschaften der oberen Salzwiese abgelöst. Folglich hat sich die Vegetation im Bereich der oberen Salzwiese bis 2001 weiter ausdifferenziert und wird heute von Bottenbinsen-Rasen, Salzmelden- und StrandbeifußFluren sowie von Strandquecken-Fluren bewachsen. Der Anteil der Strandquecken-Fluren hat sich seit 1988 von weniger als 1 % auf 7 % der Fläche in der jüngsten Kartierung ausgedehnt. Im gleichen Zeitraum stieg die Anzahl der Vegetationstypen in den Salzwiesen der Hamburger Hallig von 11 auf 17. Strandbeifußes mit über 20 % Deckung auch in den intensiv beweideten Flächen an der nordfriesischen Festlandsküste, unter anderem auch in den Salzwiesen der Hamburger Hallig, keine Seltenheit mehr, obwohl der Strandwermut als Jungpflanze selektiv von Schafen verbissen wird (Kiehl [1997]). Offenbar ist das Diasporenangebot infolge der Ausbreitung beweidungsempfindlicher Pflanzenarten in den Brachen so stark angestiegen, dass im Zusammenhang mit den günstigen Keimungsbedingungen in der IntensivWeide (Bakker et al. [1985]) mittlerweile auch Strandastern, Keilmelden und Strandwermut die Chance haben, sich in beweideten Salzwiesen zu etablieren. Die Vegetationskarten der Hamburger Hallig aus den Jahren 1988, 1996 und 2001 zeigen die Vegetationsentwicklung exemplarisch für einen großen Salzwiesenbereich mit unterschiedlichem Management (Abb. 5 bis 7). In den Flächen mit extensiver Beweidung im Vorland der Hamburger Hallig wurde 1996 von Gettner et al. [1997] festgestellt, dass die Entwicklung von unterer zu oberer Salzwiese nach der 1991 erfolgten Umstellung auf extensive Beweidung zwar schneller vonstatten ging als in intensiv beweideten Vergleichsflächen, aber langsamer als in den ebenfalls 1991 aufgelassenen Brachen. Mittlerweile haben die Andelrasen auch in den extensiv beweideten Flächen deutlich abgenommen, sind aber immer noch häufiger als in den Brachen. Profitiert haben einerseits Salzmelden-Fluren und andererseits Einheiten der oberen Salzwiese. Von den mittlerweile zehn Jahren extensiver Beweidung haben in den Salzwiesen der Hamburger Hallig vor allem die Strandbeifuß-Fluren eindeutig profitiert. Bottenbinsen-Rasen scheinen sich in diesem Gebiet unter extensiver Beweidung deutlich besser zu halten als in Brachen. Zehn Jahre nach Beginn großflächiger Flächenstillegungen sind Initialstadien der Salzmelden-Fluren in Andelrasen sowie von Strandwermut-Fluren in Rotschwingel-Rasen und sogar Reinbestände des Legende für die Abbildungen 3 - 7 Das Wattenmeer ° Abb. 5: Salzwiesenvegetation auf der Hamburger Hallig im Jahr 1988. Die gesamte Hallig war intensiv beweidet. 69 70 Das Wattenmeer ° Abb. 6: Salzwiesenvegetation auf der Hamburger Hallig im Jahr 1996. Auf 2/3 der Fläche wurde die Beweidung eingestellt bzw. extensiviert (Legende siehe Abb. 5). Das Wattenmeer ° Abb. 7: Salzwiesenvegetation auf der Hamburger Hallig im Jahr 2001. Bei gleichbleibendem Management hat sich die Vegetation weiter ausdifferenziert (Legende siehe Abb. 5). 71 72 Das Wattenmeer Salzwiesenmonitoring im Rahmen von Wasserrahmen- und FFH-Richtlinie Die europäische Wasserrahmenrichtlinie (WRRL) gibt keine eindeutige Definition hinsichtlich der landseitigen Grenze der Übergangs- und Küstengewässer. Da die Struktur der Gezeitenzone jedoch eine hydromorphologische Qualitätskomponente im Rahmen der Wasserrahmenrichtlinie ist, ist die Gezeitenzone zum Übergangs- und Küstengewässer dazugehörig zu zählen. In den Guidelines zur Umsetzung der WRRL (CISCOAST) wird folglich empfohlen, in den Übergangsund Küstengewässern das Tidegebiet (= Gezeitenzone) im Bereich von der höchsten bis zur niedrigsten astronomischen Tide mit einzubeziehen. Im CIS-Wetlands wird ergänzend ausgeführt, dass in einigen Wasserkörpern u.a. die Gezeitenzone wichtig ist, um den guten Qualitätszustand für biologische Qualitätselemente zu erreichen. Auch dort ist die Gezeitenzone wie obenstehend definiert. Im CIS-HGIWB 3.6 wird ferner ausgeführt, dass solche Feuchtgebiete mit einem Wasserkörper verbunden werden müssen, die direkt den Status des dazugehörigen Wasserkörpers beeinflussen. Die Grenzen solcher Feuchtgebiete müssen nach pragmatischen Kriterien benannt werden. Aufgrund des ökosystemaren Ansatzes der Wasserrahmenrichtlinie und der Ausführungen in den oben genannten Guidelines ist zu folgern, dass die als Feuchtgebiete von internationaler Bedeutung nach dem RAMSAR-Abkommen ausgewiesenen Salzwiesen des Wattenmeeres unmittelbar zum entsprechenden Wasserköper zu zählen sind. Sie haben eine wichtige Funktion als Sedimentationsraum und damit als Nährstoffsenke des Wattenmeeres. Der Definition des Gezeitenbereiches entsprechend der CIS-Guidelines folgend, liegt der überwiegende Teil der Salzwiesen des Wattenmeeres im Einflussbereich der astronomischen Tidalamplitude. Dies trifft insbesondere dann zu, wenn die hydrologische Wirkung des Wasserkörpers auf den Feuchtgebietslebensraum Salzwiese mit heran gezogen wird, da der Wasserfluss im Kapillarraum des Bodens während jeder Tide wirksam ist und auch den Bereich erfasst, der nicht mehr von der höchsten astronomischen Tide überspült wird. . Da weiterhin eine Begrenzung nach pragmatischen Gesichtspunkten erfolgen soll, ist die seeseitige Kan- te der Deiche die geeignete Grenzlinie. Aus fachlicher Sicht sind folglich die Salzwiesen des Wattenmeeres mit pragmatisch ausgerichteter landseitiger Begrenzung als Bestandteil des entsprechenden Wasserkörpers im Übergangs- und Küstengewässer anzusehen. Für die Salzwiesen als Bestandteil der Qualitätskomponente Gewässerflora (Angiospermen) sind somit Umweltziele zu definieren und eine Überblicksüberwachung durchzuführen. Aus den bisherigen Erfahrungen der Salzwiesenkartierungen und dem dabei methodisch erprobten und pragmatischen Ansatz sollte der im trilateralen Wattenmeer erarbeitete Erfassungsstandard wie bisher im Rhythmus von 5 bis 6 Jahren durchgeführt werden. Die Salzwiesenerfassung im Rahmen der oben geschilderten Überblicksüberwachung soll als flächenhafte Erfassung auf der Ebene von Vegetationstypen erfolgen. Für das gesamte Wattenmeer ist im Rahmen des aktuellen Qualitäts-Zustandsberichts eine wattenmeerweite Standardisierung der Erfassungs- und Darstellungsmethodik erarbeitet worden. Diese unterscheidet 31 Vegetationstypen, die zu 6 Vegetationszonen zusammengefasst werden können (Bakker et al. [2005]). FFH-Typ 1330 FFH-Typ 1320 FFH-Typ 1310 2001 Var. A Var. B Var. C Abb. 8: Beurteilung der FFH-Habitattypen anhand der TMAPTypologie. Die linke Säule zeigt die Verteilung der drei Habitattypen aus der Kartierung 2001. Die Habitattypen 1310 und 1320 beinhalten nur eine Pflanzengesellschaft. Der Typ 1330 hingegen kann eine unterschiedlich große Anzahl Vegetationstypen beinhalten (Var. A – C). Eine differenzierte Beschreibung und Qualitätsbeurteilung dieses Habitattyps ist nur bei differenzierter Analyse anhand der TMAP-Typologie möglich Das Wattenmeer Diese Klassifizierung ist in idealer Weise zur Erfüllung der FFH-Richtlinie geeignet, da eine rein beschreibende Erfassung der drei FFH-Habitattypen in der Salzwiese (Quellerfluren, No. 1310; Schlickgrasfluren, No. 1320; Atlantische Salzwiesenvegetation, No. 1330) allein für eine Beurteilung des guten Erhaltungszustandes nicht ausreicht. Dies wird schon dadurch deutlich, dass die beiden Habitattypen 1310 und 1320 jeweils nur einen geringen Flächenanteil aufweisen und jeweils nur aus einer Pflanzengesellschaft bestehen. Der Habitattyp 1330 hingegen nimmt den größten Flächenanteil ein. Er kann im Wattenmeer entsprechend der TMAP-Typologie aus bis zu 30 verschiedenen Vegetationstypen bestehen. suchungen auf den gleichen Dauerflächen zu den Auswirkungen der eintretenden Veränderungen auf andere Arten, z. B. der EU-Vogelschutzrichtlinie. Diese Untersuchungen sind das Ergebnis abgestimmter Expertenempfehlungen im Rahmen des trilateralen Monitoring- und Bewertungsprogrammes TMAP (TMAG [1997]). Abbildung 8 verdeutlicht, dass eine Differenzierung des Habitattypus „Atlantische Salzwiese“ erforderlich ist, um eine Qualitätsbeschreibung entsprechend der FFH-Richtlinie zu ermöglichen. Erst die differenzierte Beschreibung der Verteilung der Anteile der unterschiedlichen Vegetationstypen innerhalb des FFH-Typs 1330 ermöglicht es, eine Qualitätsbewertung vorzunehmen. Nutzung der Salzwiesen Neben der flächenhaften Erfassung der Salzwiesenvegetation alle 5 bis 6 Jahre ist eine jährliche Erfassung der Vegetation und von Begleitparametern im kleinflächigeren Maßstab auf der Ebene von Dauerflächen zur Beurteilung des guten Erhaltungszustandes erforderlich. Gleiches gilt für Unter- intensiv 45 % Ein Monitoring der Salzwiesen mit trilateralem Standard entspricht nicht nur der Erfüllung der zitierten EU-Richtlinien (WRRL, FFH) sondern ist auch Bestandteil des gemeinsamen Vorlandmanagementkonzeptes von Natur- und Küstenschutz. Bei der flächendeckenden Salzwiesenkartierung 2001 wurde systematisch die reale Nutzung der Salzwiesen ermittelt. Das Ergebnis für die Gesamtfläche ist in Abbildung 9 (oben) dargestellt. Insgesamt waren demnach in den Jahren 2001 bis 2002 36 % aller Salzwiesen ungenutzt, 19 % wurden extensiv und 45 % intensiv beweidet. Betrachtet man die Situation der im Nationalpark gelegenen Salzwiesen, so zeigt sich folgendes Bild (Abb. 9 unten). An der Festlandsküste waren 2001 39 % intensiv sowie 15 % extensiv beweidet, 46 % waren ungenutzt. unbeweidet 36 % t sam e üst stk We ge ins a tion Na teil an rk lpa extensiv 19 % unbeweidet 46 % intensiv 39 % extensiv 15 % Abb. 9: Nutzung der Salzwiesen an der Westküste von Schleswig-Holstein. Eine Beweidung findet überwiegend mit Schafen statt. Auf den Halligen gibt es auch Rinder- und Pferdeweiden 73 74 Das Wattenmeer Diskussion und Schlussfolgerung Die Salzwiesenkartierungen haben gezeigt, dass in den elf Jahren nach Managementänderung in den aufgelassenen Flächen beweidungsempfindliche Arten wie Strandaster, Strandwermut, Salzmelde und auch Strandflieder stabile und teils ausgedehnte Bestände gebildet haben. Dies ist als eindeutiger Erfolg des Naturschutzes zu werten. Da sich damit die Gefährdungssituation entsprechend der Roten Liste der Pflanzengesellschaften für Schleswig-Holstein (Dierssen [1983]) für die Salzmelden-, die Strandbeifuss- und Strandquecken-Fluren, ebenso wie für artenreiche Andelrasen und die Salzmelde als Art verbessert hat, kommt Gettner [2003] zu dem Schluss, dass bei einer Überarbeitung der Roten Liste voraussichtlich die Gefährdungssituation für Schleswig-Holstein als günstiger eingestuft werden könnte. Gettner [2003] folgert weiterhin, dass es wichtige Gründe für weitere Stilllegungen gibt, da sich mit der Einstellung der landwirtschaftlichen Nutzung und der Begrüppung in den heute unbeweideten Flächen die Naturnähe der Vegetation weiter erhöht hat. Dies entspricht dem Nationalpark-Leitbild einer möglichst ungestörten Entwicklung und beinhaltet einen Verzicht auf Vorgaben bestimmter Zielgesellschaften oder bestimmter Artenzahlen pro Fläche (Stock [2003]). Eine weitere Extensivierung von Salzwiesen im Nationalpark ist in einem gewissen Umfang möglich (Stock [2000]). Das Management von Salzwiesenflächen zugunsten von „Zielgesellschaften“ (z. B. Bakker et al. [1997]) steht den Zielen des Nationalparks entgegen. Die aktuelle Entwicklung in den Salzmarschen an der Westküste Schleswig-Holsteins zeigt zudem, dass auch in den Flächen ohne Beweidung sich Standorte wie abflusslose Senken, Salzpfannen und zugeschlickte Grüppen in der Fläche ausbilden, die aufgrund der dort stattfindenden Vernässung Standorte für Vegetation der Pionierzone und der unteren Salzwiesenzone darstellen. Zudem wird es auch zukünftig Bereiche mit unterschiedlich starken Sedimentationsraten geben. In den Salzwiesen der Hamburger Hallig konnte beispielsweise gezeigt werden, dass Flächen mit geringen Sedimentationsraten auch nach langjähriger Auflassung eine vielfältig zusammengesetzte Vegetation aufweisen (Kiehl et al. [2003]). Sofern diese Flächen dem Anstieg des Meeresspiegels standhalten, wird auch auf Dauer eine vielfältige, den Standorten entsprechende Vegetation anzutreffen sein. Der Wiedervernässung und der Reduzierung der großflächigen Entwässerung durch das bestehende Grüppensystem durch dessen Auflassung in der Fläche kommt daher eine große Bedeutung für die zukünftige Entwicklung der Vegetation zu. Künstlich entwässerte Salzwiesen bieten aufgrund des hohen Anteils gut entwässerter Standorte für bestimmte Arten, z. B. die Strandquecke, mehr potenzielle Besiedlungsmöglichkeiten als dies in natürlichen Salzmarschen der Fall wäre. Reents et al. [1999] konnten zeigen, dass in natürlichen Salzwiesen der Anteil des Entwässerungssystems um die Hälfte geringer ist, als in Vorlandsalzwiesen. Möglicherweise könnte ein teilweiser Rückbau des Entwässerungssystems dazu beitragen, dass sich die morphologische Vielfalt der Entwässerung und die Standortvielfalt in den kulturbeeinflussten Vorlandsalzwiesen wieder erhöhen würden. In den Niederlanden werden solche Maßnahmen bei der Revitalisierung von ausgedeichten Sommerpoldern praktiziert (Bakker et al. [2002]). Auch in Niedersachsen sind in der Leybucht gezielt derartige Maßnahmen durchgeführt worden (Remmers [2003]). Bewertet man die Kartierungsergebnisse vor dem Hintergrund der Nationalparkziele, so sind neben den oben getroffenen Aussagen zur Entwicklung der Salzwiesen����������������������������������� ��������������������������������������������� wichtige Aussagen im Hinblick auf die weitere Ausgestaltung des Vorlandmanagementkonzepts von Bedeutung. Um die Zielsetzung einer möglichst natürlichen Entwicklung der Salzwiesen auch weiterhin zu fördern – unter Berücksichtigung der Belange und Sicherheitsanforderungen des Küstenschutzes – wäre es ein großer Schritt in diese Richtung, wenn in den Lahnungsfeldern an der Festlandsküste die flächige Entwässerung zur Stimulation der Salzwiesenbildung weiterhin reduziert, und wo möglich ganz eingestellt werden könnte. Letzteres würde es im Rahmen des klassischen Küstenschutzes ermöglichen, naturnahe Salzwiesenentwicklung in den Lahnungsfeldern ohne einen Verlust der Sicherheit der Küstenbevölkerung zuzulassen. Mit Hinblick auf die Monitoringverpflichtungen aus der Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie und der Wasserrahmen-Richtlinie kann gefolgert werden, dass die im Rahmen des Vorlandmanagementkonzeptes praktizierten Erhebungen die Anforderungen erfüllen können, um einen „guten Erhaltungszustand“ des Lebensraumes Salzwiese und dessen Veränderungen und Auswirkungen auf andere Komponenten des Ökosystems zu beschreiben. Das Wattenmeer Literatur Bakker, J. P., M. Dijkstra and P.T . Russchen, 1985: Dispersal, germination and early establishment of halophytes and glycophytes on a grazed and abandoned salt-marsh gradient. New Phytol. 101, 291-308. Bakker, J. P., P. Esselink, C. F. R. van der Wal and K. S. Dijkema, 1997: Options for restoration and management of coastal salt marshes in Europe. In: Urbanska, K., P. J. Edwards and A. D. Bradshaw (eds.), 1997: Restoration Ecology. Cambridge Univ. Press, 286-322. Bakker, J. P., P. Esselink, K. S. Dijkema, W. E. van Duin and D. 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Trotz aller Unsicherheiten über Art und Ausmaß dieser Veränderungen müssen die möglichen Wirkungen erforscht werden, um vorsorgendes (Anpassungs-) Handeln zu ermöglichen. Dabei erfordert die Analyse der Vulnerabilität einer Region die Analyse des Zusammenwirkens aller Klimaparameter sowohl auf das natürliche als auch auf das gesellschaftliche System sowie deren Adaptationskapazität. Global climate change will manifest itself on the German North Sea coast not only in an accelerated rise of sea level but also in rising temperatures, an altered distribution of precipitation and wind as well as higher CO2 levels. In spite of uncertainties regarding the type and scope of such changes, possible impacts have to be investigated in order to enable preventive (adaptive) action to be taken. To analyse the vulnerability of a region, it is necessary to analyse the interactions of all climate parameters with both natural and social systems as well as the adaptation capacity of the latter. Anhand von Ergebnissen aus dem Verbundvorhaben KLIMU wird für die Unterweserregion deutlich, dass der Klimawandel zu einem breiten Spektrum von Auswirkungen sowohl auf das natürliche wie das gesellschaftliche System führen wird, dass die Auswirkungen des betrachteten Klimaszenarios insgesamt als schwach bis mäßig und, aufgrund der historisch entwickelten Strukturen und Nutzungsformen, als beherrschbar bewertet werden können. Der Meeresspiegelanstieg ist als der für die Region zentrale Parameter des Klimawandels zu identifizieren und es entsteht Handlungsbedarf vor allem im Bereich Küstenschutz. Die Ergebnisse machen deutlich, dass zwar ausreichend Zeit für die Planung und Umsetzung von Anpassungsmaßnahmen bleibt, dass es aber jetzt Zeit ist, diesen langfristigen Prozess der Anpassung an den nicht vermeidbaren Teil des Klimawandels zu strukturieren. Es wird unter anderem empfohlen, diesen Prozess im Rahmen einer nationalen Anpassungsstrategie nicht nur für die Küste sondern in Deutschland insgesamt zu koordinieren. It is evident from the results of the KLIMU network project that climate change will lead to a broad spectrum of impacts on natural and social systems in the Lower Weser region and that the overall impacts of the climate scenario examined may be regarded as weak to moderate and as controllable by virtue of historically developed structures and forms of use. Sea level rise has to be considered the key parameter of climate change in this region and there is a need for action, particularly in the area of coastal defence. The results clearly indicate that although sufficient time remains for planning and implementing adaptation measures, the time has come to structure this long-term process of adaptation to the unavoidable elements of climate change. Among other things, it is recommended that this process be coordinated within the framework of a national adaptation strategy involving not only the coasts but Germany as a whole. 79 80 Klima und Küste 1 Einleitung 1.1 Hintergrund Ein auch anthropogen beschleunigter globaler Klimawandel wird nicht nur für die Zukunft für wahrscheinlich gehalten, sondern manifestiert sich auch bereits derzeit in verschiedenen Veränderungen klimatischer Parameter und entsprechenden ökologischen (und sozioökonomischen) Auswirkungen (IPCC 2002; www.ipcc.ch). Auf der Grundlage der Ergebnisse der verschiedenen globalen Klima-Modelle erscheint danach global ein Anstieg des Meeresspiegels („SLR“) bis 2100 um bis zu 90 cm möglich. An der deutschen Nordseeküste würden durch die geologisch-isostatische Landsenkung etwa 20 cm hinzu kommen, so dass mit insgesamt 110 cm ein etwa viermal schnellerer Meeresspiegelanstieg möglich erscheint, als die bisher registrierten und bewältigten säkularen 25 cm. Infolge größerer Wassertiefe ist darüber hinaus mit einer Zunahme des Tidehubs an der Küste zu rechnen (Schirmer [2005]). Aber bereits heute lassen sich beschleunigte Veränderungen klimatischer Parameter aufzeigen. So machen neuere Statistiken für die Weltmitteltemperatur (Grieser et al. [2000], IPCC [2002]), Gezeitenstatistiken (Jensen [2000], Jensen und Mudersbach [2004]) und Sturmflutstatistiken (Gönnert [1999], Jensen et al. [2004]) plausibel, dass sich der Klimawandel bereits in statistischen Daten manifestiert, obwohl diese Analysen auch kontrovers diskutiert werden (von Storch [2005]). Gestützt werden diese Erkenntnisse zum Klimawandel durch die Ergebnisse biogeographischer Analysen, die sowohl global als auch für West- und Mitteleuropa umfangreiche Arealverschiebungen von Tier- und Pflanzenarten belegen (IPCC [2002], Parmesan and Yohe [2003], CBD 2003). Nach wie vor sind allerdings alle Prognosen zur globalen Klimaentwicklung mit erheblichen Unsicherheiten behaftet (IPCC [2002]), auch bezogen auf die nähere Zukunft, in der heute zu treffende Entscheidungen wirksam werden (z. B. 30 Jahre für die Anpassung von Küstenschutzbauwerken; Standortentscheidungen für küstenorientierte Industrie). Diese Unsicherheiten gelten in besonderem Maße für die küstenrelevanten Folgen des verstärkten Treibhauseffekts, also den Anstieg des Meeresspiegels und die Veränderung der Intensität und Häufigkeit von sturmfluterzeugenden Stürmen (Sterr et al. [2000]; von Storch [2005]). Allerdings besteht weitgehende Übereinstimmung, dass ein beschleunigter Anstieg des Meeresspiegels und auch eine Zunahme der Sturmintensität zu erwarten ist; das Ausmaß ist jedoch Gegenstand der wissenschaftlichen Diskussion und vor allem von der nicht prognostizierbaren, sondern nur in Szenarien zu formulierenden möglichen Entwicklung der globalen Emission treibhausrelevanter Gase abhängig (IPCC [2002]). Trotz der Bemühungen der Klimaschutzpolitik um eine Begrenzung und Reduzierung der Emission klimarelevanter Stoffe ist insgesamt davon auszugehen, dass sich auch Mitteleuropa auf eine Klimaveränderung einzustellen und vorzubereiten hat (BMBF [2003], Met. Office [2004]). Durch einen beschleunigten Meeresspiegelanstieg und erhöhte Sturmintensitäten, aber auch durch die Veränderung weiterer Klimaparameter wie Niederschlag und Temperatur wird sich dabei besonders die Belastung des Naturund Lebensraumes Küste in Zukunft verändern und natürliche Anpassungsprozesse auslösen und gesellschaftliche Anpassungsmaßnahmen erfordern. Zusätzlich zur eigentlichen Klimaforschung gewinnen deshalb Untersuchungen an Relevanz, die die möglichen Auswirkungen des Klimawandels vorsorgend analysieren und die möglicherweise erforderlichen Vorsorgemaßnahmen ableiten. Dies ist z. B. Ziel des Bereichs Klimawirkungsforschung innerhalb von DEKLIM, dem Deutschen Klimaforschungsprogramm des BMBF, in dem Auswirkungen von Klimaänderungen auf ausgewählte natürliche und sozioökonomische Systeme und ihre Wechselbeziehungen untersucht werden (www.deklim.de). Dabei geht es nicht nur darum, die Sensitivität dieser Systeme gegenüber einer Klimaänderung zu bestimmen, sondern ganz wesentlich auch darum, ihre Adaptationskapazität zu betrachten, um so frühzeitig Wissen über erforderliche Reaktionsmaßnahmen bereitzustellen und die Grenzen zu bestimmen, oberhalb derer diese Kapazität erschöpft ist. Dabei wird deutlich, dass der Klimawandel Auswirkungen nicht nur auf den Naturraum sondern auch auf die sozioökonomische Situation haben wird und dass entsprechende gesellschaftliche Anpassungsmaßnahmen erforderlich sein werden. Die Auswirkungen werden dabei aus mehreren Gründen regional deutlich unterschiedlich sein: erstens aufgrund der unterschiedlichen regionalen Ausprägung des Klimawandels, zweitens aufgrund der regional unterschiedlichen Sensitivitäten des Naturraumes den Klima und Küste veränderten Klimaparametern gegenüber (vergl. Fallstudien zu Brandenburg (Gerstengrabe et al. [2003]) und zur Unterweserregion (Schuchardt und Schirmer [2005])) und drittens aufgrund der unterschiedlichen Handlungsmöglichkeiten der betroffenen Gesellschaften. Dieser dritte Bereich, der eine Vielzahl von einzelnen Aspekten enthält, rückt unter dem Begriff Anpassungskapazität (adaptation capacity) in jüngster Zeit vermehrt in den Mittelpunkt des wissenschaftlichen und politischen Interesses. 1.2 Anpassungskapazität Der Begriff der Anpassungskapazität bezeichnet nach einer Definition des IPCC [2001] die Fähigkeit eines Systems (eines natürlichen oder eines gesellschaftlichen) sich so an den Klimawandel anzupassen, dass mögliche Schäden reduziert, mögliche entstehende Vorteile genutzt und nicht vermeidbare Konsequenzen bewältigt werden können. Die natürliche Anpassungskapazität, also die der ökologischen Systeme an den Klimawandel ist je nach betroffenem Ökosystemtyp und Art und Ausmaß (vor allem auch Geschwindigkeit) des Klimawandels sehr unterschiedlich und kann zwischen niedrig und hoch variieren (IPCC [2001]). Das gilt grundsätzlich auch für die gesellschaftliche Anpassungskapazität, ein wesentlicher Unterschied ist jedoch die grundsätzliche Steuerbarkeit dieses Prozesses. Dies ist ein komplexer Vorgang, der von einer Vielzahl von (steuerbaren und nicht-steuerbaren) Faktoren beeinflusst wird. Als Wesentlichste lassen sich identifizieren: Eine Anpassung an ein sich wandelndes Klima haben nicht nur die natürlichen, sondern auch die gesellschaftlichen Systeme bereits immer vollzogen. So ist die Küstengesellschaft der deutschen Nordseeküste geprägt worden durch ihre stete Anpassung an einen steigenden Meeresspiegel. Neu sind allerdings derzeit sowohl Art und Geschwindigkeit der zu erwartenden Klimaänderungen als auch ihre (begrenzte) Prognostizierbarkeit. Dies macht eine vorsorgende Auseinandersetzung mit diesem Thema möglich und erforderlich. Dies erscheint besonders dringend vor dem Hintergrund der Befürchtungen zur Bewältigbarkeit der Folgen des Klimawandels in Deutschland, den eine repräsentative Befragung zu den Umwelteinstellungen der Deutschen 2002 hat deutlich werden lassen. Dabei zeigte sich, dass die Befürchtungen bezüglich der Folgewirkungen des Klimawandels in der Bevölkerung relativ hoch sind: immerhin 60 % der Befragten waren wenig bis überhaupt nicht von der der Bewältigbarkeit der Folgewirkungen überzeugt (Kuckartz und Grunenberg [2002]). Die Ergebnisse der kürzlich abgeschlossenen Forschungsvorhaben KLIMU („Fallstudie Weserästuar/ Klimaänderung und Unterweserregion)“; Schuchardt und Schirmer [2005]), „Fallstudie Sylt“ (Daschkeit und Schottes [2002]) und „Salzwiesen und Küstendünen“ (Vagts et al. [2000]), die Ergebnisse einer trilateralen Arbeitsgruppe (CPSL [2001]) sowie auch die Sensitivitätsanalyse von Ebenhöh et al. [1997] belegen die Relevanz des Klimawandels und seiner Folgen für den Natur- und Kulturraum Nordseeküste und machen die Erfordernis von Anpassungsmaßnahmen deutlich. 2 • Art, Umfang und Geschwindigkeit des Klimawandels, • Natürliche Anpassungskapazität, • frühzeitige Ermittelbarkeit der Gefährdungen, • Risikowahrnehmung und -akzeptanz, • technische Möglichkeiten für Anpassungsmaßnahmen, • ökonomische Möglichkeiten für Anpassungsmaßnahmen, • Akzeptanz von Anpassungsmaßnahmen, • Erfahrungen in der Bewältigung von Naturgefahren • Umgang mit Unsicherheit, • gesellschaftliche Organisation und Entscheidungsstrukturen, • Werthaltungen und Politikentwicklung. Das Verbundvorhaben KLIMU Neben den Inseln gelten besonders auch die Ästuarien von Eider, Elbe, Weser und Ems als sensibel gegenüber einem Klimawandel, zumal sie die Gewalten des Meeres über hundert Kilometer bis in die großen Städte Hamburg und Bremen hineintragen und große Teile der Flussmarschen schon heute unter oder nur minimal über dem mittleren Tidehochwasser liegen. Aufgabe des vom BMBF und dem Land Bremen geförderten Vorhabens KLIMU (Klimaänderung und Unterweserregion) war deshalb die Analyse der Sensitivität des natürlichen und des sozioökonomischen Systems einer Küstenregion gegenüber einer Klimaänderung. Besondere Beachtung fand die Ana- 81 82 Klima und Küste lyse der Wechselwirkungen zwischen den beiden Systemen und die Entwicklung möglicher Anpassungsmaßnahmen einschließlich der Betrachtung der Konsequenzen dieser Maßnahmen. Das Projekt war als Fallstudie für eine repräsentative Küstenregion konzipiert; die komplexe Aufgabenstellung erforderte ein interdisziplinäres Verbundprojekt, in dem die Schnittstelle Natur - Gesellschaft von besonderer Bedeutung war. Durch die Formulierung von Szenarien (Klimaszenario; Reaktionsvarianten des Küstenschutzes; Zukunftsbilder zu denkbaren Entwicklungen der Region) wurden Aspekte der der Klimafolgenforschung impliziten Unsicherheit operationalisiert; gleichzeitig stellten diese Vorgaben wesentliche Aspekte der Integration der verschiedenen beteiligten Wissenschaftsdisziplinen dar. Die integrative Analyse von Subsystemen (Relationsgeflechten, die sowohl quantitative wie qualitative Aussagen zu den verschiedenen Systemkompartimenten einschlossen) zielte dabei auf eine ganzheitliche Betrachtung (s. ausführlich Schuchardt und Schirmer [2005]). und Fleeten, über die das Niederschlagswasser und das aus der angrenzenden Geest ablaufende Grundwasser über eine größere Zahl von Sielen, die heute überwiegend mit Pumpwerken ausgestattet sind, in die großen Vorfluter, also vor allem die Unterweser, abgeführt werden kann. Die Landschaft wird über dieses historisch gewachsene System hauptsächlich entwässert; im Sommer kann jedoch, und das ist unter dem Gesichtspunkt Klimafolgen ebenfalls von großer Bedeutung, auch mit Süßwasser zugewässert werden. Die Entwässerung erfolgt z. T. im freien Sielzug, z. T. wird, wenn die Wasserstände im Vorfluter dies nicht zulassen, gepumpt. Die Wasserstände in dem Grabensystem sind vor allem an den Erfordernissen der Landwirtschaft orientiert (die dieses System historisch auch installiert hat); Konflikte treten heute vor allem mit dem Naturschutz und z. T. zwischen Grünlandwirtschaft und Ackerbau auf. Wasserwirtschaft Aufgrund des Ansteigens des Meeres-/Weserwasserspiegels, der vermehrten Niederschläge und des vermehrten Wasserandrangs aus der Geest erhöhen sich unter Klimawandelbedingungen die Wassermengen, die aus der Marsch über das Grabensystem abzuführen sind. Die grundwasserbürtigen Abflüsse übersteigen dabei deutlich die aus dem oberirdischen Einzugsgebiet anfallenden Wassermengen. Insgesamt sind in den verschiedenen betrachteten Bilanzierungsräumen und unterschiedlich für verschiedene Randbedingungen ca. 20 bis 65 % mehr Wasser abzuführen (Maniak et al. [2002]). Aus den oben genannten Gründen haben wir für die Betrachtung der Klimawirkungen definiert, dass das Wasserstandsmanagement weiterhin so betrieben wird, dass die derzeitigen Meliorationswasserstände weitgehend eingehalten werden (s. o.). Die Analyse zeigt, dass dies trotz der erhöhten grundwasser- und niederschlagsbürtigen Abflüsse in allen mit Mündungsschöpfwerken ausgerüsteten Sieleinzugsgebieten durch verlängerte Betriebszeiten auch mit den derzeit vorhandenen Pumpenleistungen möglich ist. Es ist jedoch eine deutliche Erhöhung der Pumpmenge erforderlich: sie wird sich im Mittel über alle Siele sowohl für feuchte als auch für trockene Jahre in etwa verdoppeln. Die bereits mit Errichtung einer ersten geschlossenen Deichlinie vor ca. 1000 Jahren eingedeichte Wesermarsch ist nur durch das historisch gewachsene Wassermanagementsystem bewirtschaftbar. Dieses besteht aus einem dichten Netz von unterschiedlich großen, überwiegend künstlich angelegten Gräben Im Sommer ist durch den Klimawandel (steigende Temperaturen; weniger Sommerniederschläge) mit deutlich trockneren Bedingungen zu rechnen. Durch die Nutzung der vorhandenen Zuwässerungseinrichtungen können Trockenschäden für die Landwirtschaft jedoch voraussichtlich weitgehend vermieden 3 Anpassung an den Klimawandel Anhand der Ergebnisse der Fallstudie KLIMU zu den Konsequenzen des Klimawandels für die Unterweserregion (s. Schuchardt und Schirmer [2005]) sollen im Folgenden die Aspekte Anpassung und Anpassungskapazität für die Unterweserregion umrissen werden. Die Ergebnisse, die hier nicht im Detail dargestellt werden können zeigen, dass die Wirkungen des Klimaszenarios in der Gesamtbetrachtung als insgesamt relativ schwach und beherrschbar bewertet werden können. Wesentliche Ursache ist die hohe Anpassungskapazität der in der Unterweser-Region vorhandenen, z. T. historisch gewachsenen Strukturen an die sich durch den Klimawandel voraussichtlich��������������������������������� verändernden Umweltbedingungen. Dies soll im Folgenden für verschiedene Beispiele illustriert werden. Klima und Küste werden und sind nur für höher liegende Bereiche zu erwarten. Die Bewältigung dieser Konsequenzen des Klimaszenarios ist also unter entsprechender Nutzung des vorhandenen, historisch entwickelten Wassermanagementsystems möglich; die Anpassungskapazität ist hoch. Landwirtschaft Die Landwirtschaft in der Wesermarsch ist durch die flächenhaft dominierende standortangepasste Grünlandnutzung und eine entsprechende Nutzung des vorhandenen Wassermanagementsystems (s. o.) voraussichtlich in der Lage, sich durch übliche betriebliche Maßnahmen an den Klimawandel anzupassen (Bahrenberg et al. [2005], Kraft et al. [2005]). Deutlichere Wirkungen als im Binnenland ergeben sich, vor allem als Folge des Meeresspiegelanstiegs, im nicht durch Sommerdeiche geschützten Vorland, wo vermutlich die Aufgabe landwirtschaftlicher Flächen erforderlich wird. Eine Anpassung wäre durch den Neubau von Sommerdeichen möglich; Zielkonflikte mit dem Naturschutz wären zu erwarten. Insgesamt machen die KLIMU-Ergebnisse deutlich, dass die Landwirtschaft in der Unterweserregion deutlich stärker durch die EU-Politik als durch den Klimawandel beeinflusst werden wird. Kühlwassernutzung Die verschiedenen an der Unterweser derzeit in Betrieb befindlichen Kraftwerke nutzen das Wasser der Weser als Kühlwasser. Bei dem erwarteten Anstieg der Wassertemperaturen als ein Aspekt des Klimawandels wird die Einhaltung der derzeit beauflagten Aufwärmspannen bei der Einleitung von Kühlwasser nicht ohne weiteres möglich sein (Grabemann et al. [2005]). Mögliche Anpassungen wären die Errichtung von Kühltürmen, Betriebseinschränkungen während bestimmter Wetterlagen, Schließung von Kraftwerken/ Nutzung regenerativer Energie oder die Erhöhung der derzeit beauflagten Grenzwerte. Das Beispiel macht deutlich, dass das Spektrum möglicher Anpassungsvarianten breit ist und die einzelnen Möglichkeiten jeweils ganz unterschiedliche Voraussetzungen und Konsequenzen haben. Vor einer Entscheidung ist also ein breiter gesellschaftlicher Diskurs erforderlich, der aufgrund lang- fristiger Planungszeiträume für Erneuerungsinvestitionen im Kraftwerkssektor frühzeitig begonnen werden sollte. Küstenschutz Wesentlicher Handlungsbedarf unter Klimaänderungsbedingungen wurde in KLIMU für den Küstenschutz identifiziert. Es wurden deshalb, anschließend an in der öffentlichen Diskussion befindliche Möglichkeiten, drei Reaktionsvarianten des Küstenschutzes konzipiert: 1) die Verstärkung der Deichlinien, 2) die Rückverlegung eines Deichabschnittes und die Anlage von Sturmflutentlastungspoldern am rechten Weserufer und 3) der Bau eines Sturmflutsperrwerkes. Die drei Varianten wurden in ihren Auswirkungen auf die Unterweserregion untersucht. Aus den Ergebnissen der probabilistischen Untersuchung von Überlaufereignissen wurden für die Reaktionsvariante 1 (Verstärkung der Deichlinien) resultierende neue Deichhöhen und die erforderlichen finanziellen Aufwendungen ermittelt. Zur Abschätzung der Realisierbarkeit der Reaktionsvarianten 2 (Ausdeichung und Anlage von Sturmflutenlastungspoldern) und 3 (Errichtung eines Mündungssperrwerkes) wurden u. a. die erforderlichen finanziellen Aufwendungen für Polderdeiche und ein Sperrwerk auf der Basis von Literaturstudien und Expertengesprächen geschätzt sowie deren Wirksamkeit modelliert (Zimmermann et al. [2005] von Lieberman et al. [2005]). Die Ergebnisse zeigen, dass für die Variante 1 Deicherhöhungen um 0,2 bis 2,3 m erforderlich wären und dabei Kosten von ca. 46 Mio. Euro bei Sicherung des derzeitigen Wiederkehrintervalls entstehen würden. Probleme entstehen durch Standsicherheit (örtlich), Bauzeit, Platz- und Kleibedarf und örtlich die ökologischen Auswirkungen. Für die Variante 2, die die Anlage von 3 Entlastungspoldern mit zusammen ca. 5.570 ha und die Ausdeichung der Luneplate (ca. 1.000 ha) umfasst, zeigte die Modellierung, dass das Maßnahmenbündel den Scheitelwasserstand der Bemessungssturmflut (mit Klimaszenario) bei UW-km 40 um 0,35 und bei UW-km 20 (Stadtgrenze Bremen) um 0,70 cm absenkt. Die Kosten, nur für den Bau der erforderlichen Polderdeiche, würden sich auf ca. 350 Mio. Euro belaufen. Probleme entstehen vor allem bei Kettentiden, durch den Flächen- 83 84 Klima und Küste bedarf und den Umfang der Baumaßnahmen, die erforderlichen Eingriffe in Eigentumsrechte und die ökologischen Auswirkungen. Bei Realisierung der Variante 3, der Errichtung eines Sturmflutsperrwerks bei Bremerhaven, entstehen Kosten von 300 bis 400 Mio. Euro. Probleme entstehen durch den Flächenbedarf, die Konsequenzen für die Hydrodynamik, die Nutzungsdauer, die Unterhaltungskosten und die ökologischen Auswirkungen. Zu zwei Aspekten haben wir solche Zukunftsbilder formuliert: • zu Veränderungen der landwirtschaftlichen Nutzung (Extensivierung und Intensivierung) und • zu Veränderungen der Ausbautiefe der Schifffahrtsstraße Unter-/Außenweser (Vertiefung und Verflachung). Zukunftsbilder landwirtschaftliche Nutzung Die Kosten sind je nach Variante zwar erheblich, bedeuten bei Beibehaltung der derzeitigen Finanzierungsform jedoch nur einen relativ kleinen Impuls für das regionale ökonomische System. Auch bezüglich der erforderlichen Anpassungsmaßnahmen des Küstenschutzes ist die Anpassungskapazität also als hoch zu bezeichnen, auch deshalb, weil es für den Küstenschutz eine historisch gewachsene und etablierte Organisationsstruktur gibt und die Akzeptanz, wenn auch unterschiedlich für die verschiedenen hier skizzierten Varianten, in der Bevölkerung aufgrund der historischen Erfahrungen („Trutz blanke Hans“) hoch ist. 4 Gesellschaftlicher Wandel und Anpassungskapazität Auch ohne Klimawandel hat sich die Gesellschaft in der Vergangenheit und wird sich auch in Zukunft stetig verändern. Der zukünftige Klimawandel wird also auf eine Gesellschaft treffen, die gegenüber der heutigen in einem nicht prognostizierbaren Ausmaß verändert sein wird. Um diesen Zusammenhang zumindest beispielhaft zu bearbeiten, haben wir in KLIMU aus der unendlichen Vielzahl möglicher zukünftiger Veränderungen in der Region Unterweser, die unabhängig von einer Klimaänderung eintreten könnten, einige uns im Projekt-Zusammenhang besonders wesentlich erscheinende Aspekte ausgewählt, die schlaglichtartig mögliche Veränderungen der Klimasensitivität der Region beurteilen helfen sollten. Diese von uns als Zukunftsbilder bezeichneten Szenarien (s. Schuchardt et al. [2005]) fokussieren auf ausgewählte Schnittstellen zwischen den Systemen Gesellschaft und Naturraum und versuchen jeweils die Flanken (Spannweite) möglicher Entwicklungen zu bezeichnen. Im Vordergrund stand dabei nicht die Frage, wie wahrscheinlich ihr Eintreten, sondern ob solche Entwicklungen die Sensitivität des Gesamtsystems gegenüber einer Klimaänderung bzw. die Adaptationskapazität verändern würden. Die Landwirtschaft stellt die flächenmäßig deutlich dominierende Art der Flächennutzung im Untersuchungsgebiet dar und ist damit nicht nur sozioökonomisch und ökologisch von Bedeutung, sondern auch für den Landschaftscharakter. Sie ist aufgrund ihrer Abhängigkeit von der klimatischen Situation per se als empfindlich gegenüber Klimaveränderungen zu bezeichnen. Denkbar und auch in der gesellschaftlichen Diskussion sind als Reaktion auf sich ändernde ökonomische Randbedingungen sowohl eine weitere Intensivierung als auch eine Extensivierung, wie sie auch von Seiten des Natur- und Umweltschutzes bzw. des Verbraucherschutzes gefordert wird. Deshalb wurden die beiden Landnutzungsszenarien „Intensivierung der Nutzung“ und „Extensivierung der Nutzung“ definiert. Als ”intensiv” wird hier eine häufige, starke Nutzung der Flächen durch u. a. Mahd, Düngung, Beweidung bzw. die Nutzung als Acker bezeichnet. ”Extensiv” ist eine schwächere Nutzung des Grünlandes durch u. a. Mahd, Düngung, Beweidung. Die beiden Landnutzungsszenarien sind in Tabelle 1 detailliert. Die Ergebnisse zeigen, dass das Zukunftsbild „Fortschreitende Intensivierung der landwirtschaftlichen Nutzung“ tendenziell die Klimasensitivität der Region erhöhen würde, da sich die Oberflächenabflüsse (geringfügig) erhöhen würden und damit die klimabedingt erhöhten zu pumpenden Wassermengen weiter steigen würden. Zudem wären die dann dominierenden Biotoptypen Acker und Intensivgrünland empfindlicher gegenüber sich verändernden Standortbedingungen. Das Zukunftsbild „Extensivierung“ würde dagegen tendenziell zu einer Reduzierung der Empfindlichkeit gegenüber einer Klimaänderung führen, da sich der Wasseranfall reduzieren würde und der Biotoptyp mesophiles Grünland toleranter gegenüber sich ändernden Standortbedingungen wäre. Klima und Küste Landwirtschaft Status quo Fortschreitende Intensivierung Extensivierung Grünlandnutzung, Schwerpunkt Milchwirtschaft und Rindermast, Z. T. Pachtland Verstärkte Grünlandnutzung und Ackerbau (Weizen, Silomais), Schwerpunkt Milchwirtschaft und Rindermast Abgeschwächte Grünlandnutzung auch mit dem Ziel Kulturlandschaftspflege, Fremdenverkehr, Pferdepension Anteil der Biotypen an der genutzten Fläche (konstant) Acker (Winterweizen) <1% < 30 % <1% Intensivgrünland (Wiesen und Weiden) < 50 % < 70 % <1% Mesophiles Grünland (Weiden) < 50 % <1% < 70 % Feuchtgrünland (Wiesen) < 1% <1% < 30 % Auswirkung auf Nutzungsarten, Bewirtschaftung und Wasserhaushalt Grundnässestufe 3-5 2-4 4-5-6 Meliorationswasserstand Mittel: 1,15 [m uGok], abzuleiten aus Min.: 1,4 der Bodenfeuchte Max.: 0,9 höher, max. 0,6 deutlich höher, max. 0,3 Düngung [N kg/ha/a] ca. 250 400 keine Mahd. Zeitpunkt 3 - 4 mal 3 - 4 - 5 mal 1 - 2 - 3 mal Beweidung (Großvieheinheiten), Art 2,5 - 3 4 - 5 (Rotationsweide) 1,5 - 2 Umbruch selten (Grünland); häufig Acker häufig - immer selten - nie Schleppen, Walzen, etc. häufig immer selten Biozide regelmäßig regelmäßig nie Grabenräumung 2 - 3jährig 1 - 2jährig 3 - 4 - 5jährig Situation Vorland Grünlandnutzung, vor allem Milchwirtschaft und Rindermast Örtlich verstärkte Grünlandnutzung Örtlich reduzierte Grünlandnutzung, Schwerpunkt Rindermast Tab. 1: Definition der beiden Landnutzungsszenarien „fortschreitende Intensivierung“ und „Extensivierung“ (binnendeichs) (Schuchardt et al. [2005]) Zukunftsbilder Seeverkehr Unterweser Die Nutzung der Unterweser als Schifffahrtsstraße, die u. a. wesentlich von den nutzbaren Fahrwassertiefen abhängt, stellt eine wichtige Schnittstelle zwischen Naturraum und Gesellschaft in der Region dar (Schuchardt und Schirmer [1999]). Die Fahrwassertiefen sind durch die wiederholte Anpassung der Außen- und Unterweser an die zunehmende Größe der Seeschiffe (des „Bemessungsschiffes“) deutlich vergrößert worden. Damit wurde das Einlaufen der Tidewelle und auch das Einlaufen von Sturmfluten erleichtert (Wetzel [1988]). Die denkbaren langfristigen Entwicklungen der Nutzung der Unterweser als Schifffahrtsstraße haben 85 86 Klima und Küste zwei Flanken: zum einen ist aufgrund der erwarteten starken Zuwächse im See- und Küstenverkehr eine Sicherung bzw. ein weiterer Ausbau vorstellbar (Szenario Vertiefung). Zum anderen ist (deutlich weniger wahrscheinlich) eine verstärkte Fortsetzung des aktuellen Trends einer immer stärkeren Verlagerung des Seeverkehrs von Bremen nach Bremerhaven denkbar, bis hin zur Aufgabe der stadtbremischen Häfen als Seehäfen (Bahrenberg [2001]). Dies könnte dazu führen, dass die Fahrwassertiefen in der Unterweser wieder verringert werden, wie in BUND [1996] vorgeschlagen (Szenario Verflachung). Für den weiteren Ausbau des Weserästuars (Szenario Vertiefung) kam unseres Erachtens vor allem eine weitere Vertiefung der Außenweser bis Bremerhaven in Betracht, wie sie während der KLIMU-Berabeitungszeit bereits im politischen Raum gefordert wurde. Für die Unterweser erschien eine Vertiefung bis Brake denkbar. Für das Szenario Verflachung wird die Wassertiefe zwischen Bremen und Brake auf SKN–4 m reduziert, da der Mittellandkanal derzeit für Schubverbände und Großgütermotorschiffe (GMS) auf 4 m Tiefe ausgebaut wird (die Mittelweser wird derzeit auf 3,0 m für das teilabgeladene GMS ausgebaut). Diese beiden Zukunftsbilder sind als Szenarien in Tabelle 2 konkretisiert. Status quo Vertiefung Verflachung seewärts Bremerhaven 14,5 16,5 16,5 Brake - Bremerhaven 9 11 6 Bremen - Brake 9 9 4 Tab. 2: Definition der beiden Szenarien zur Sohllage der Unterund Außenweser: Verflachung und Vertiefung (Sohllagen m unter SKN) (aus Schuchardt et al. [2005]) Numerische Simulationen mit entsprechend Tabelle 2 veränderter Topographie (vgl. Grabemann et al. [2004]) zeigen, dass sich die mittleren Hoch- und Niedrigwasser (Mittelwerte für 1991 und 1994) im Zukunftsbild Vertiefung ohne Klimaveränderung um wenige Zentimeter verändern: das Niedrigwasser sinkt im Vergleich zum Status quo um 2 bis 5 cm (je nach Position im Ästuar) ab, das Hochwasser steigt um 1 bis 2 cm an. Das gilt auch für das Klimasze- nario mit seiner angenommenen Erhöhung des Hochwassers um 0,7 m. Die angenommenen Vertiefungen erhöhen also tendenziell die Klimasensitivität der Region; allerdings nur in einem, bezogen auf die hier anzuwendende Tiefenschärfe, relativ geringem Maß. Verbunden mit der Vertiefung wäre die Fortsetzung der Veränderungen, die durch den sukzessiven Ausbau der Unter- und Außenweser zum Großschifffahrtsweg in den vergangenen 120 Jahren entstanden und vielfach beschrieben worden sind. Im Szenario Verflachung verändern sich die mittleren Hoch- und Niedrigwasser (Mittelwerte für 1991 und 1994) deutlich, wie numerische Simulationen (vgl. Grabemann et al. [2005}) mit entsprechend veränderter Topographie zeigen. Am ausgeprägtesten sind die Veränderungen im innersten Ästuar nahe der Flutstromgrenze: bei Status quo-Randbedingungen steigt das mittlere Niedrigwasser in Bremen (Große Weserbrücke) um ca. 1,60 m an; das mittlere Hochwasser sinkt um ca. 40 cm, so dass sich der mittlere Tidehub in Bremen von ca. 4 m auf ca. 2 m halbiert. Die im Klimaszenario angenommene Wasserstandsänderung am seeseitigen Rand (Anstieg des Hochwassers um 0,7 m und des Niedrigwassers um 0,4 m) setzen sich in der Unterweser trotz der Verflachung relativ ungestört fort; in Bremen laufen das mittlere Hochwasser ca. 0,4 m und das mittlere Niedrigwasser ca. 1,9 m höher auf als im Status quo, wenn Verflachung und Klimaszenario gemeinsam wirken. Im Vergleich dazu steigt das Hochwasser im Klimaszenario ohne angenommene Verflachung in Bremen um ca. 0,7 m gegenüber dem Status quo an (Grabemann et al. [2005]). Die angenommene Verflachung würde die Klimasensitivität der Region bezüglich der Sturmflutgefährdung also etwas senken, allerdings auch nur in einem relativ geringen Ausmaß. Verbunden mit einer Verflachung ist eine Trendumkehr bei vielen der für die Vertiefungen beschriebenen Veränderungen, die unter naturschutzfachlichen Gesichtspunkten positiv zu beurteilen wären, allerdings zu massiven Einschnitten in der stadtbremischen Wirtschaft und zu einer deutlich erschwerten Entwässerung der Marschen führen würden. Die Ergebnisse zeigen insgesamt, dass die definierten Zukunftsbilder die Sensitivität der Region gegenüber einem Klimawandel z. T. deutlich oder zumindest tendenziell verändern können. Dabei kann diese Sensitivität sich je nach Zukunftsbild sowohl reduzieren als auch erhöhen. Klima und Küste Unter dem Gesichtpunkt der langfristigen Vorsorge müssen deshalb bei zukünftigen raumbedeutsamen Planungen und bei der Formulierung von Förder- und Entwicklungsprogrammen immer auch die Konsequenzen für die Klimasensitivität des Raumes bzw. bestimmter Parameter analysiert werden. 5 Nationale Anpassungsstrategie Trotz der Bemühungen der Klimaschutzpolitik um eine Begrenzung und Reduzierung der Emission klimarelevanter Stoffe ist davon auszugehen, dass sich auch Mitteleuropa auf eine Klimaveränderung einzustellen und vorzubereiten hat (BMBF [2003], Met. Office [2004]). Dabei zeigen die Ergebnisse der Klimawirkungsforschung, u. a. im Rahmen des Deutschen Klimaforschungsprogramms DEKLIM des BMBF (www.deklim.de), dass sich der Klimawandel in verschiedenen Regionen nicht nur in Europa sondern auch in Deutschland unterschiedlich manifestieren und auswirken wird, so dass auch spezifische Vorsorge- und Anpassungsmaßnahmen erforderlich werden. Die Ergebnisse von KLIMU haben insgesamt plausibel gemacht, dass die Folgen des betrachteten Klimaszenarios für die Unterweserregion aufgrund der hohen Adaptionskapazität insgesamt bewältigbar sein werden. Ein ähnliches Ergebnis liegt auch für die Insel Sylt vor (Daschkeit und Schottes [2003]), während z. B. für das Land Brandenburg besonders bezüglich der Auswirkungen auf die Landwirtschaft die Folgen des Klimawandels nur eingeschränkt bewältigbar erscheinen (Gerstengarbe et al. [2003]). Vor diesem Hintergrund hat die gesellschaftliche Anpassung an den Klimawandel auch in Deutschland bereits begonnen, wie die folgenden Beispiele zeigen: • der bisher weitgehend auf Vermeidung von Klimawandel fokussierte öffentliche Diskurs erweitert sich derzeit um den Aspekt Anpassung, • auch auf Länderebene werden Untersuchungen zum Umgang mit den Folgen des Klimawandels durchgeführt (z. B. Gerstengarbe et al. [2003]), • der Bau des bisher größten Rettungskreuzers der Deutschen Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger wird auch mit dem erwarteten Klimawandel begründet, • im Küstenschutz des Landes Schleswig-Holstein wird eine Berücksichtigung des Klimawandels vorgesehen. Allerdings erschweren die den Ergebnissen zum möglichen Klimawandel impliziten Unsicherheiten über Verlauf und Ausprägung des Klimawandels den Akteuren des politisch-administrativen Systems Planung und Umsetzung von Anpassungsmaßnahmen. Anschließend an die Ergebnisse der Klimaforschung zur Regionalisierung des globalen Klimawandels (z. B. von Storch [2005]) und die Ergebnisse der Klimawirkungsforschung sowohl zur Sensitivität der natürlichen und gesellschaftlichen Systeme gegenüber einer Klimaänderung als auch zu ihrer Adaptionskapazität erscheint es uns deshalb sinnvoll, den langfristigen Prozess der erforderlichen Anpassung im Rahmen einer Nationalen Anpassungsstrategie frühzeitig zu strukturieren. Abhängig von den Annahmen über den Verlauf des Klimawandels und die regional unterschiedliche Vulnerabilität sind regionale differenzierte Entscheidungen über Reaktionsmaßnahmen auf unterschiedlichen Zeitskalen erforderlich, die gut vorbereitet und abgestimmt sei sollten, um effektiv sein zu können. Im Folgenden wollen wir den Rahmen einer solchen nationalen Strategie skizzieren und zur Diskussion stellen: Begründung: Die in IPCC [2002] zusammengestellten Ergebnisse der Klima- und der Klimawirkungsforschung machen einen globalen Klimawandel wahrscheinlich, der sich auch in Deutschland mit sehr unterschiedlichen Auswirkungen manifestieren wird. Die dabei entstehenden Risiken können durch Anpassungsmaßnahmen reduziert werden, die regional und sektoral deutlich unterschiedlich sein müssen. Eine solche Anpassung ist eine langfristige Aufgabe, die im Rahmen eines koordinierten und strukturierten Prozesses durchgeführt werden sollte, auch um die erforderlichen Mittel möglichst effektiv einzusetzen. Entscheidungen über Anpassung insgesamt und einzelne Anpassungsmaßnahmen im Speziellen sind nicht trivial sondern erfordern ein abgestimmtes Vorgehen. Dabei ist Anpassung eine Querschnittsaufgabe, in die Vertreter verschiedener Fachverwaltungen, Interessenverbände und Nichtregierungsorganisationen einbezogen werden müssen. Ziel: Ziel einer nationalen Strategie sollte es sein, den Prozess der Anpassung an den Klimawandel proaktiv zu strukturieren und koordinieren und die dazu erforderlichen Entscheidungsgrundlagen bereitzustellen. Ansatz: Die nationale Strategie sollte entsprechend der Aufgabenstellung langfristig und querschnittso- 87 88 Klima und Küste rientiert angelegt werden, vertikal integrierend sein, also Bund, Länder und Kommunen einbinden, alle relevanten Stakeholder beteiligen und Diskurs-orientiert sein, also nicht auf eine zentrale Steuerung zielen. Aufgaben: Aufgaben der Strategie sind: • die regionale und sektorale Aufbereitung des vorhandenen Wissens über Klimawirkungen, • die Identifikation von Wissensdefiziten und ggfs. die Initiierung weiterer Forschung (v. a. regionale Vulnerabilitätsstudien), • die Definition und ggfs. Aktualisierung von Regionalszenarien zum Klimawandel, • die systematische Identifikation von Handlungsfeldern und –erfordernissen, • die räumliche und zeitliche Prioritisierung von Handlunsgbedarf, • die vertikale und horizontale Vernetzung zwischen den Akteuren, • die Prüfung, ob und ggfs. wie Anpassungsmaßnahmen in rechtliche Rahmen integriert werden sollten (z. B. Bauvorschriften; Deichbemessung etc.), • die Einbindung in den internationalen Kontext. Umsetzung: Die Umsetzung könnte im Rahmen einer Bund/Länder-Arbeitsgemeinschaft unter Einbindung anderer Akteure unterstützt durch ein zentrales Sekretariat und/oder regionale Büros erfolgen. 6 Fazit Die Ergebnisse des Projektes KLIMU haben deutlich gemacht, dass der Klimawandel in der Unterweserregion zu einem breiten Spektrum von Auswirkungen sowohl auf das natürliche wie auch das gesellschaftliche System führen wird, dass die Auswirkungen der betrachteten Klimaszenarios insgesamt als schwach bis mäßig und, aufgrund der historisch entwickelten Strukturen und Nutzungsformen, als beherrschbar bewertet werden können. Der Meeresspiegelanstieg ist als der für die Region zentrale Parameter des Klimawandels zu identifizieren und es entsteht Handlungsbedarf vor allem im Bereich Küstenschutz. Die Ergebnisse machen weiter deutlich, dass ausreichend Zeit für die Planung und Umsetzung von Anpassungsmaßnahmen bleibt, sofern diese Auseinandersetzung um die Anpassung an den Klimawandel zügig beginnt. Das gilt, dies zeigen Ergebnisse anderer Studien, nicht nur für die Küste, sondern auch für viele andere Regionen in Deutschland. Vor diesem Hintergrund gilt es, in Deutschland: • den bereits begonnenen gesellschaftlichen Diskurs über den langfristigen Umgang mit den Folgen des Klimawandels zu intensivieren; • die Strategie der Vermeidung von Klimawandel (Mitigation) um eine Strategie der Anpassung (Adaptation) an den nicht vermeidbaren Teil des Klimawandels zu erweitern; • durch regionale Studien zur Anpassungskapazität an den Klimawandel vorsorgend regional differenziertes Orientierungswissen zu erarbeiten; • Planungen und Vorhaben ab jetzt auf ihre „Klimawandel-Anpassungsverträglichkeit“ zu prüfen; • die Reaktions- und Anpassungsfähigkeit der regionalen Systeme zu erhalten bzw. zu fördern; • den erforderlichen Anpassungsprozess im Rahmen einer nationalen Anpassungsstrategie zu strukturieren und zu koordinieren. Literatur Bahrenberg, G. und G. König, 2005: Sozialräumliche Wirkungen eines Klimawandels im Unterwesergebiet - eine qualitative Analyse.- In: B. Schuchardt; M. Schirmer (Hrsg.) 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Klima und Küste Neues aus der Sturmflutforschung * New findings in storm surge research SYLVIN MÜLLER-NAVARRA Zusammenfassung Durch die intensive Nutzung des sturmflutgefährdeten Küstenraumes der deutschen Nordseeküste mit Industrieansiedlungen, Hafenanlagen und Wohnhäusern kommt regelmäßig die Frage auf: Mit welchen maximalen Sturmflutwasserständen muss gerechnet werden? Diese Frage bekommt durch den Klimawandel und den damit verbundenen Meeresspiegelanstieg eine zusätzliche Bedeutung. Wegen des kurzen Beobachtungszeitraums ist das Kollektiv der bisher eingetretenen schwersten Sturmfluten sehr klein, so dass statistische Betrachtungen allein für Planungen im Küstenschutz nicht ausreichen. Um der Beantwortung der Frage näher zu kommen, haben das Forschungsinstitut Wasser und Umwelt (fwu) der Universität Siegen, der Deutsche Wetterdienst (DWD) und das BSH das vom BMBF geförderte Projekt MUSE (Modelluntersuchungen zu Sturmfluten mit sehr geringen Eintrittswahrscheinlichkeiten) initiiert. Ziel des Projektes war, mit deterministischen Simulationstechniken noch nicht eingetretene extreme Sturmzyklonen und Sturmfluten zu generieren, die physikalisch mögliche Zustände der Nordsee darstellen. Dieses gelang durch Nutzung aufwendiger Simulationstechniken wie EPS (Ensemble Prediction System) in Verbindung mit Wasserstandsmodellen des BSH, die bereits in der operationellen Wetter- und Wasserstandsvorhersage eingesetzt werden. Dabei wurde von zurückliegenden Sturmflutwetterlagen die Anfangsverteilung leicht modifiziert, um so weitere, durchaus mögliche Entwicklungen der Wetterlage zu generieren. So entstanden z. B. vom „Hamburg-Orkan“ (1962) und von den Orkantiefs „Capella“ (1976) und „Anatol“ (1999) gefährlichere Varianten, die, was den zeitlichen Verlauf und die Zugbahn angeht, physikalisch sinnvoll sind. * Die auf diese Weise berechneten Extremwasserstände sind realistisch, haben aber eine sehr geringe Eintrittswahrscheinlichkeit. Die simulierten Wasserstandsmaxima liegen im Bereich der Deutschen Bucht bei 1 bis 1,5 m über den bisher höchsten beobachteten Wasserständen der Sturmflut des Jahres 1976 (Abb. 1). Aus diesen Ergebnissen kann kein dringender Bedarf für zusätzliche Küstenschutzmaßnahmen abgeleitet werden, die Methodik und die Berechnungen erlauben aber eine lokal differenziertere Betrachtung der Belastung von Küstenschutzsystemen durch Sturmflutwasserstände. Auch der Sturmflutwarndienst des BSH wird von den Modellergebnissen profitieren (Abb. 2). Im Falle sehr schwerer Sturmfluten können die Ergebnisse aus dem MUSE-Projekt als Orientierung dienen, sie stellen einen virtuellen, zusätzlichen Erfahrungsschatz dar. Summary In view of the high concentration of industrial areas, port facilities, and residential areas along the German North Sea coast, which is threatened by storm surges, there is one question that recurs regularly: what are the maximum storm surge levels that have to be expected? This question is particularly relevant against the background of climate change and, in connection therewith, sea level rise. Because of the shortness of the observation period, the total number of heavy storm surges is very small, so that statistics alone are not sufficient as a basis for coastal defence planning. To be able to answer this question, the MUSE project (modelling of storm surges with very low probabilities of occurrence) supported by the Federal Ministry of Education and Ausführliche Darstellung im Abschlussbericht des Projektes MUSE download: www.bsh.de/de/Meeresdaten/Beobachtungen/Projekte/MUSE/index.jsp der Abschlussbericht wird in gedruckter Form in der Zeitschrift Küste erscheinen 91 92 Klima und Küste Research has been initiated by Siegen University’s research institute for water and the environment (fwu), the German Weather Service (DWD), and Bundesamt für Seeschifffahrt und Hydrographie (BSH). The project was aimed at modelling extreme storm cyclones and storm surges that have not occurred so far but which are physically possible in the North Sea, using deterministic simulation methods. This has been done successfully by applying sophisticated simulation methods such as EPS (ensemble prediction system) in connection with the BSH’s water level models, which are in operational use for weather and water level predictions. The initial distribution of past storm surge weather situations was modified slightly in order to generate possible variations of the weather development. For example, more dangerous variations of the „Hamburg storm“ (1962) and the cyclones “Capella” (1976) and „Anatol“ (1999) were generated which were physically possible regarding their temporal development and tracks. The extreme water levels computed in this way are realistic but have a very low probability of occurrence. The maximum water levels simulated for the German Bight are 1 to 1.5 m above the highest levels ever observed, which was during the 1976 storm surge (Fig. 1). From these findings, an urgent need for additional coastal defence measures cannot be derived. However, the methods and computations used allow a locally more differentiated assessment of the impact of storm surge water levels on existing coastal protection systems. Also the BSH’s storm surge warning service will benefit from the model data (Fig. 2). In the event of very severe storm surges, the data from the MUSE project may be used for orientation, as an additional stock of virtual experience. b) Abb. 1: Scheitelwasserstände für die modifizierte Sturmflutwetterlage EPS45 1976 (Küstenmodell) a) in der östlichen Deutschen Bucht b) in der westlichen Deutschen Bucht a) 100 150 200 250 300 350 HW-Höhen in cm Bezug: HW Cuxhaven 976.01.03, 23:55 UTC 400 450 500 550 600 650 700 Klima und Küste MUSE - Zusammenfassung der Ergebnisse • Mit dem Ensemble Prediction System (EPS) konnten nur in zeitlicher Nähe tatsächlich eingetre- tener Sturmflutwetterlagen extremere Varianten gefunden werden. • Für die Küste zwischen Wilhelmshaven und Husum wurden extreme Wasserstände um 6,5 m über NN simuliert. • Damit werden bisher beobachtete Höchstwasserstände lokal um etwa 1,5 m überschritten. • Ein dringender Handlungsbedarf für zusätzliche Küstenschutzmaßnahmen lässt sich hieraus nicht ableiten. Eine regelmäßige, z. Zt. 10jährige Überprüfung der Bemessung der Deiche reicht aus. • Die gefundenen extremen Sturmfluten sind physikalisch mögliche Varianten des heutigen Klimas. Der beobachtete (und extrapolierte) Anstieg des Meeresspiegels stellt im Vergleich dazu für die nächsten Jahrzehnte keine akute Bedrohung der deutschen Küste dar. • Eine entsprechende Untersuchung für die deutsche Ostseeküste beginnt 2005. • Welche Auswirkungen der Klimawandel im Hinblick auf extremere Wetterlagen hat, ist noch ungeklärt. Anschrift des Verfassers: Dr. S. Müller-Navarra Bundesamt für Seeschifffahrt und Hydrographie Bernhard-Nocht-Straße 78 20359 Hamburg 93 Klima und Küste Meeresspiegelanstieg und Sedimentumlagerung Sea level rise and sediment redeposition BURGHARD FLEMMING Zusammenfassung Summary Bei dem gegenwärtigen Meeresspiegelanstieg untergliedert sich die Wattenmeerküste der südlichen Nordsee, je nach örtlichem Sedimenthaushalt, in progradierende, aggradierende und transgredierende Abschnitte. Progradierende Abschnitte dehnen sich aufgrund eines Sedimentüberschusses seewärts aus (Dänische Inseln). Aggradierende Abschnitte haben einen ausgeglichenen Sedimenthaushalt und wachsen daher in die Höhe (Dithmarscher Bucht), während transgredierende Küsten ein Sedimentdefizit aufweisen und sich daher landwärts verlagern (Ostfriesische Inseln und die Insel Sylt). Dies zeichnet sich in der örtlichen Stratigraphie ab. Ein beschleunigt ansteigender Meeresspiegel erzeugt ein höheres Sedimentdefizit, was sich in zunehmender Küstenerosion äußern wird. Under the current rate of sea level rise, and depending on the local sediment budget, the Wadden Sea coast along the southern North Sea is divided into prograding, aggrading and transgressing sections. Prograding sections have a positive sediment budget and hence expand seawards (Danish barrier island coast). Along coastal sections with a balanced sediment budget, the coast simply aggrades vertically (Dithmarscher Bight), whereas a negative budget results in transgressive coastal retreat (East Frisian Islands and island of Sylt). Whichever the case, the coastal response reveals itself in a particular diagnostic stratigraphy. An acceleration in sea level rise will produce a higher sediment deficit which will cause increasing coastal erosion. Die deutsche Nordseeküste ist seit dem Höhepunkt der „Kleinen Eiszeit“ vor ca. 300 Jahren (Maunder Minimum) einem stetigen Anstieg des mittleren Meeresspiegels von 18-20 cm/Jahrhundert ausgesetzt. Dies ist etwa doppelt so hoch wie der mittlere globale Anstieg, was darauf hindeutet, dass sich die deutsche Nordseeküste aufgrund isostatischer Ausgleichsbewegungen absenkt (Abb. 1). Jeder Meeresspiegelanstieg greift in örtliche Sedimenthaushalte ein, indem küstennahe Sedimentdefizite erzeugt werden. Dies wiederum führt zu einem generell höheren Energieeintrag durch Seegang und Gezeitenstrom, der sich in morphodynamischen Anpassungsprozessen äußert. Flache Sandküsten wie das Watt werden dabei besonders stark in Mitleidenschaft gezogen. Leider wurden solche natürlichen Anpassungen durch gewaltige Sedimentumverteilungen��������������������������� überlagert, die durch Eingriffe des Menschen in Form von Landgewinnung und Deichbau ausgelöst worden sind und die vermutlich bis heute in unbekanntem Umfang fortwirken (Abb. 2). Hinzu kommt die örtlich verheerende Wirkung episodisch auftretender Orkanfluten, die in kürzester Zeit großräumige morphologische Veränderungen der Küstenlandschaft erzeugt haben. Neben anthropogenen Faktoren wird die Morphodynamik somit im Wesentlichen durch das Wechselspiel zwischen der Rate des Meeresspiegelanstiegs und der Rate des Sedimentimportes aus externen Quellen gesteuert. Verändert sich einer oder beide dieser Parameter, so verändert sich der Sedimenthaushalt und folglich auch der morphodynamische Anpassungsprozess, es sei denn, der Effekt des einen hebt zufällig den des anderen auf. 95 96 Klima und Küste Sedimenthaushalt eingreift, bewirkt dies auch eine Veränderung im morphologischen Anpassungsprozess, wobei Progradation in Aggradation bzw. Aggradation in Transgression umschlagen kann. Im Falle der Wattenmeerküste lassen sich mehrere Zonen mit unterschiedlichem Sedimenthaushalt unterscheiden (Abb. 2). So ist der gesamte Küstenabschnitt von Den Helder in den Niederlanden bis zur Elbmündung durch ein Sedimentdefizit gekennzeichnet, was in einer landwärtigen, also transgressiven Verlagerung der Inselsysteme zum Ausdruck kommt, wobei sich diese Tendenz in östlicher Richtung zu verstärken scheint (das Defizit also zunimmt). Wie schon erwähnt, wird dieser Prozess durch massive Eingriffe des Menschen überlagert und z. T. sogar völlig maskiert. Dennoch kann die heutige Strandlinie vielerorts nur durch regelmäßige Strandaufspülungen gehalten werden. Abb. 1: Landsenkung an der deutschen Nordseeküste (ca. 10 cm/Jahrhundert) (nach Hupfer et al. [2003]) Da sich dieser Prozess auch in der Stratigraphie der Küstenablagerungen abbildet, kann diese als qualitatives, dabei aber unverkennbares Merkmal des Sedimenthaushaltes herangezogen werden. Wenn eine Küste beispielsweise trotz steigendem Meeresspiegel einen Sedimentüberschuss aufweist (der Import also größer ist als das Defizit, das durch den Anstieg verursacht wird), dann äußert sich dies morphologisch in vertikalem Aufwuchs (Aggradation) bei gleichzeitiger seewärtiger Strandverlagerung (Progradation). Besteht ein Gleichgewicht zwischen Defizit und Import, dann wächst die Küste ohne Strandverschiebung in die Höhe. Kann der Import von Sediment das Defizit aber nicht ausgleichen, dann verlagert sich die Strandlinie landwärts, um auf diese Weise das fehlende Material aus ihrem eigenen Reservoir in der Vorstrandzone freizusetzen und in die ���������������� Defizitzonen���� zu transportieren (Transgression). Je größer das Defizit, desto schneller die Strandverlagerung. Jede dieser Situationen erzeugt eine charakteristische und unverwechselbare Sedimentabfolge (Abb. 3). Da eine Beschleunigung des Meeresspiegelanstiegs in diesen Von der Elbmündung nordwärts bis St. Peter Ording ist das Küstensystem aggradierend und teilweise sogar progradierend. Hier herrscht offensichtlich noch ein Sedimentüberschuss. Auch von St. Peter Ording bis zur Insel Sylt aggradiert bzw. progradiert das Watt. Allerdings muss hervorgehoben werden, dass dieser Küstenabschnitt kein gewachsenes Watt darstellt, sondern durch schwere Orkanfluten im späten Mittelalter ausgeschachtet worden ist. Die Insel Sylt selbst ist transgressiv, d.h. sie unterliegt starker Erosion. Sie ist keine Barriere-Insel, sondern das Relikt eines Saale-eiszeitlichen Gletschers, der an dieser Stelle einen tertiären Sedimentblock abgesetzt hat. Das sich nördlich anschließende Dänische Watt ist wieder durch einen hohen Sedimentüberschuss gekennzeichnet, was sich in einer aggradierend/progradierenden Morphodynamik äußert. Angesichts der prognostizierten Beschleunigung des Meeresspiegelanstiegs im Verlauf des nächsten Jahrhunderts infolge des globalen Klimawandels, werden sich die bereits heute sichtbaren morphodynamischen Anpassungsprozesse an der Wattenmeerküste ebenfalls beschleunigen. Der örtliche Sedimenthaushalt wird sich dabei zwangsläufig entlang der gesamten Küste ändern (Flemming and Bartholomä [1997, 2003]. An erodierenden Küstenabschnitten wird sich die Erosion verstärken. Aggradierende Abschnitte werden transgressiv und progradierende in aggradierende umgewandelt. Von diesem Prozess werden zuerst die Inseln betroffen sein, da das zunehmend fehlende Sediment Klima und Küste im Vorstrandbereich nicht aus externen Quellen ersetzt werden kann. Eine durchaus nicht abwegige Lösung wäre das „Mitwandern“ der Orte in Richtung der Inselverlagerung. Darüber hinaus wird die Er- richtung von Sturmflutschleusen, wie sie bereits im Rheindelta und in der Ems verwirklicht sind, auch in den Unterläufen der Weser und Elbe langfristig unumgänglich sein. Abb. 2: Maximale holozäne Transgression der Nordsee (verändert nach Ehlers [1988]) 97 98 Klima und Küste a) Progradation: Import >> Defizit Vorstrandzone b) Aggradation: Import = Defizit Geestinsel Geestinsel Tidebecken Salzmarsch c) Transgression: Import < Defizit Vorstrandzone Tidebecken Salzmarsch d) Transgression: Import << Defizit Geestinsel Geestinsel Tidebecken Salzmarsch Vorstrandzone Tidebecken Vorstrandzone Abb. 3: Einfluss des Sedimenthaushaltes auf die Stratigraphie des Wattenmeeres (verändert nach Flemming [2002]) Literatur Ehlers, J., 1988: The morphodynamics of the ���� Wadden Sea����������������������������� . Rotterdam: Balkema, 397 pp. Flemming, B. W., 2002: Effects of climate and human interventions on the evolution of the Wadden Sea depositional system (Southern North Sea). In: Wefer, G. et al. (Edt.): Climate Development and History of the North Atlantic Realm. Berlin: Springer, p. 399-413. Flemming, B. W. and A. Bartholomä, 1997: Response of the Wadden Sea to a rising sea level: a predictive empirical model. Dt. hydrogr. Z., 49 (2/3), 343-353. Flemming, B. W. und A. Bartholomä, 2003: Sedimentation und Erosion an der Nordseeküste. In: Lozán, G. et al. (Hrsg.): Warnsignale aus der Nordsee und dem Wattenmeer - eine aktuelle Umweltbilanz. Wissenschaftliche Auswertungen, Hamburg, 57 - 60. Hupfer, P., Harff, G. Sterr, H. und H.-J. Stigge, 2003: Die Wasserstände an der Ostseeküste. Die Küste, 66, Sonderheft, 331 S. Anschrift des Verfassers: Prof. Dr. Burghard Flemming Senckenberg Institut Südstrand 40 26382 Wilhelmshaven [email protected] Salzmarsch Klima und Küste Wasserkreislauf, Klimaveränderung und Süßwassereintrag Water cycle, climate change, and freshwater input BEATE GEYER Zusammenfassung Summary Die Klimaforschung hat es sich zum Ziel gesetzt, zuverlässige Aussagen über die Änderung des Klimas in den verschiedenen Regionen der Erde zu machen. Die Informationen der bisher verwendeten, gering auflösenden Globalmodelle werden mittels dynamischen downscalings durch Regionale Atmosphären-Modelle konkretisiert. The goal of climate research is to make reliable predictions of climate change for different parts of the world. Data from the low-resolution global models used so far are concretised by regional atmospheric models via dynamic downscaling. Innerhalb des internationalen Projekts PRUDENCE (Prediction of Regional scenarios and Uncertainties for Defining EuropeaN Climate change risks and Effects) wurden regionale Modellstudien für Europa durchgeführt. Es wurden verschiedene Regional-Modelle mit verschiedenen Entwicklungsszenarien und verschiedenen Globalmodellen als Antrieb verwendet, um hochaufgelöste Daten der Klimaprognose und Aussagen über deren Genauigkeit zu gewinnen. Es werden die Ergebnisse der Klimaänderungsstudien dieses Projektes mit speziellem Fokus auf den Wasserkreislauf von Nord- und Ostsee vorgestellt. Innerhalb von PRUDENCE wurde die Periode von 2071-2100 nach dem so genannten „A2-Szenario“ des IPCC (Intergovernmental Panel on Climate Change, Special Report on Emissions Scenarios, 2001) simuliert. Der Einfluss des CO2-Anstiegs auf die Komponenten des Wasserkreislaufes mit Fokus auf Nord- und Ostsee des zukünftigen Klimas wird vorgestellt. Within the framework of the international project PRUDENCE (Prediction of Regional scenarios and Uncertainties for Defining EuropeaN Climate change risks and Effects�������������������������������������������� ), regional simulation studies were carried out for Europe. Different regional models, forced by different global model simulations with different emission scenarios, were used in order to obtain high-resolution data for climate predictions as well as information about their accuracy. The results of climate change studies conducted within this project are presented, focusing on the water cycle of the North and Baltic Seas. Within the framework of PRUDENCE, the period of 2071-2100 was simulated on the basis of the so-called „A2 scenario“ of IPCC (Intergovernmental Panel on Climate Change, Special Report on Emissions Scenarios����������������������� , 2001). The impact of the CO2 increase on the components of the water cycle is discussed, especially with a view to the North and Baltic Seas. 99 100 Klima und Küste Im Auftrag des IPCC (Intergovernmental Panel on Climate Change [2001]) wurde der ‚Special Report on Emissions Scenarios’ erarbeitet, in dem aus bisher bestehenden Szenarien 40 neue Szenarien zur Entwicklung der Menschheit in 4 Klassen (A1, A2, B1 und B2) erstellt wurden. Das „A2-Szenario“ stand im Mittelpunkt der Simulationen innerhalb des PRUDENCE-Projektes: es wird eine auch in Zukunft heterogene Welt und eine ständig steigende Weltbevölkerung vorausgesetzt. Das Szenario zeichnet sich im Hinblick auf für die Klimamodellierung relevante Parameter insbesondere durch einen Anstieg der CO2-Emission bis zu 30 GtC/a im Jahre 2100 aus (Abbildung 1). Abb. 1: Entwicklung der CO2-Emissionen bis zum Jahr 2100 nach den Szenarien des IPCC (IPCC [2001]) Abb. 2: Simulierte globale mittlere Temperaturentwicklungen und die Ranges der Temperaturprognosen verschiedener Globalmodelle bis zum Jahre 2100 (IPCC [2001]) Die Anwendung verschiedener Globalmodelle zur Simulation des zukünftigen Klimas führt zu einem weiten Range möglicher Entwicklungen für jedes Szenario. In Abb. 2 sind die Temperaturzunahmen im globalen Mittel für die verschiedenen Entwicklungsszenarien und die durch die Anwendung der verschiedenen Modelle entstehenden Ranges dargestellt. Da es sich bei den dargestellten Werten um die globalen Mittelwerte handelt, sind separate Aussagen über die unterschiedlich starken Änderungen in den verschiedenen Regionen der Erde nötig. In Abb. 3 wird die grobe Repräsentation der Küstenlinie des Global-Modells HadCM3 durch die Abbildung einer beispielhaften Temperaturverteilung über Land verdeutlicht. Abb. 3: Schematische Darstellung der Land-See-Maske des HadCM3 anhand einer beispielhaften Temperaturverteilung Klima und Küste Für die Erfassung regionaler Phänomene sind höhere räumliche Auflösungen nötig, insbesondere die Simulation von meteorologischen Größen wie dem Niederschlag benötigt eine realistischere Abbildung der tatsächlichen Orographie und Küstenlinie. Deshalb werden für Aussagen über regionale Klimaänderungen höher aufgelöste Simulationen mit Regional-Modellen für ausgesuchte Gebiete durchgeführt. Um die Informationen der gut aufgelösten Skalen und die durch die Globalmodelle vorgegebene großräumige Zirkulation zu erhalten, wird die speziell entwickelte Technik des „Spectral Nudging“ angewandt (von Storch et al. [2000]). In Abbildung 4 ist der Zugewinn an Information durch die Regionale Modellierung mit „Spectral Nudging“ schematisch dargestellt. Die Simulationen des A2-Szenarios aller Regionalmodelle im PRUDENCE-Projekt für den Zeitraum 2071-2100 zeichnen sich durch steigende Mitteltemperaturen über Europa im Vergleich zur Kontroll-Periode 1961-1990 um etwa 3 K aus. In der Änderung der Niederschlagssummen zeigt sich ein differenzierteres räumliches Bild. Es werden im Folgenden die Ergebnisse der Simulationen mit dem CLM (der Klimaversion des Lokal-Modells des DWD) vorgesellt. Im Nordwesten Europas nehmen die jährlichen Niederschläge deutlich zu, während sie in Südeuropa abnehmen (Abbildung 5). Dp [%] 45 Varianz Global Modell Gut aufgelöst 45 Ungenügend aufgelöst Räumliche Skalen, Auflösung Abb. 5: Änderung der jährlichen Niederschlagssumme (A2-Szenario – Control) in % Varianz Regional Modell Ungenügend aufgelöst Gut aufgelöst Räumliche Skalen, Auflösung Nutzen Abb. 4: Schematische Darstellung der Leistung von Global(blaue Linie) und Regionalmodellen (rote Linie) (Müller [2004]) Im Einzugsgebiet der Ostsee beträgt die Zunahme 10 % und über der Nordsee steigen die Niederschlagsmengen ebenfalls um 10 %. Über der Ostsee selbst werden stärkere Zunahmen simuliert, im Mittel um 30 %, was allerdings auf die hohen Oberflächentemperaturen in den Antriebsdaten des HadCM3 zurückzuführen ist. Ergänzt man die regionalen Atmosphärenmodelle um Module regionaler Ozeanmodellierung, fallen die Änderungen geringer aus und entsprechen den Änderungen über Land. Den Hauptanteil an der Änderung der jährlichen Niederschlagsmenge über der Ostsee tragen die Sommermonate bei (siehe Abbildung 6, 3. Bild): dort zeigen sich starke Zunahmen, während der Niederschlag in Mittel- und Südeuropa stark abnimmt. Während der Winter durch Niederschlagszunahmen über weite Teile Europa gekennzeichnet ist, zeigen sich für Frühling und Herbst heterogene Tendenzen der Änderung. 101 102 Klima und Küste Abb. 6: Saisonale Niederschlagsänderung der Szenariosimulation gegenüber der Kontroll-Simulation Betrachtet man das Einzugsgebiet der Ostsee, die Ostsee und die Nordsee, ergeben sich in der Summe die in Abbildung 7 dargestellten Änderungen in den Komponenten des Wasserkreislaufes. Da es keine grundlegenden Änderungen der Zirkulation gibt, ändert sich die Konvergenz, d. h. der Wassereintrag in die Gebiete, nicht. Die angegeben Größen spiegeln die Intensivierung des Wasser- kreislaufes wider: jährlicher Niederschlag und Verdunstung nehmen in beiden Gebieten zu, während jedoch der Anteil des Schnees am Niederschlag drastisch sinkt. Die Dauer der Schneebedeckung ändert sich von 120 Tagen im Jahr auf 70 Tage, was eine Reduktion um über 40 % darstellt. Konvergenz 290 290 Konvergenz 230 230 Niederschlag Niederschlag 1961 - 1990 2071 - 2100 * * 1961 - 1990 2071 - 2100 * * * 620 [120] 790 [50] * Verdunstung 480 790 Niederschlag 380 400 * * * 640 [220] 700 [150] Runoff 290 310 Abb. 7a: Schematisierter Wasserkreislauf [mm/a] für die Ostsee und deren Einzugsgebiet (Daten der Kontroll-Periode (1961-1990) in blau, des Szenarios A2 (2071-2100) rot, [ ] - Schneeanteil am Niederschlag) * Verdunstung 630 730 * * 910 [20] 1010 [0] Runoff Abb. 7b:Schematisierter Wasserkreislauf [mm/a] für die Nordsee (Daten der Kontroll-Periode (1961-1990) in blau, des Szenarios A2 (2071-2100) rot, [ ] - Schneeanteil am Niederschlag) Klima und Küste Im Ostseeeinzugsgebiet ist in allen Monaten von einer Zunahme der Verdunstung auszugehen, wobei die Zunahme in den Monaten Juni bis September bei prozentualer Betrachtung gering ist. In Abbildung 8 sind die mittleren Jahresgänge von Niederschlag und Verdunstung über dem Ostseeeinzugsgebiet für das Szenario und den Kontroll-Zeitraum, sowie die mittleren Differenzen zwischen den Simulationen dargestellt. 80 4,0E+04 50 3,0E+04 40 30 2,0E+04 Menge [m3/s] Menge [mm/Monat] 60 20 1,0E+04 Mengenänderung [%] 5,0E+04 70 10 0 1 2 3 4 5 6 7 Monat 8 9 10 11 0,0E+00 12 Monat Abb. 8: Simulierte Änderung des Jahresganges von Niederschlag und Verdunstung im Ostsee-Einzugsgebiet: Szenario-A2-Simulation im Vergleich zur Kontroll-Simulation Der Niederschlag nimmt prozentual in den Wintermonaten am stärksten zu; in den Monaten April und September nimmt er nicht zu bzw. nimmt ab. Betrachtet man die Anzahl der Niederschlagstage, zeigen sich im nördlichen Einzugsgebiet äußerst ge- ringe Änderungen, im südlichen Bereich leichte Abnahmen. In Südeuropa treten hingegen große Änderungen zutage (Abbildung 9). Besonders drastisch ist die Reduktion der Anzahl der Niederschlagstage um Werte von über 50 % in Südeuropa. Abb. 9: Simulierte Anderung der Anzahl der Niederschlagstage der Szenario-A2-Simulation gegenüber der Kontroll-Periode 103 104 Klima und Küste Zusätzlich zur Niederschlagsmenge und der Anzahl der Niederschlagstage wurde die Veränderung der Niederschlagsintensität untersucht: im Winter zeigt sich eine generelle Zunahme der Starkniederschläge über Europa (Abb.10). Im Sommer weisen jedoch a) 10oW 0o 10oE 20oE Gebiete Mitteleuropas, deren Niederschlagssumme insgesamt abnimmt (Abb. 6), eine Zunahme der Regenintensitäten bei Starkniederschlagsereignissen aus. Dies ist insbesondere für die Untersuchung der Hochwasserhäufigkeit von gesteigertem Interesse. b) 30oE 10oW 0o 10oE 20oE 30oE 70oN 70oN 70oN 70oN 60oN 60oN 60oN 60oN 50oN 50oN 50oN 50oN 40oN 40oN 40oN 40oN 10oW 0o 10oE 20oE 10oW 30oE 0o 10oE 20oE 30oE [mm/d] 3 0 2 4 1 6 8 0 8 16 24 32 Abb.10: Änderung der Stärke der Starkniederschlagsereignisse (99 %-Perzentile) a) für Winter und b) für Sommer (Rockel, pers. Komm.) Abb. 11: Simulierte Süßwassereinträge in die Ostsee nach dem A2-Szenario im Vergleich zum heutigen Eintrag (grau): 7 Regionalmodelle mit gleicher Auflösung (rot), 2 Regionalmodelle mit höherer Auflösung (grün) und 2 Regionalmodelle mit den Daten eines anderen Globalmodells als Antrieb (blau) nach Graham et al. [2004] Klima und Küste Aus den geänderten Temperatur- und Niederschlagsverhältnissen resultieren insgesamt veränderte Abflussganglinien der Flüsse, die zeitliche Variation des Süßwassereintrages ändert sich. In Abbildung 11 (Graham [2004]) sind die Süßwassereinträge in fünf Teileinzugsgebiete der Ostsee und der Gesamteintrag in die Ostsee dargestellt. Wesentliche Merkmale der Abflussganglinien für alle Einzugsgebiete und Modelle der A2-Szenario-Simulationen sind die höheren Abflüsse in den Wintermonaten und die durch früher einsetzende Schneeschmelze bedingten früheren, jedoch geringer ausfallenden Maxima. Es wurde ausgeführt, dass nach derzeitigem Stand des Wissens die prognostizierten, maßgeblich auf den CO2-Anstieg zurückzuführenden Temperaturanstiege für den Zeitraum 2071-2100 zu starken Änderungen im Wasserkreislauf führen. Mit Hilfe der regionalen Modellierungen werden detailreiche Analysen möglich und es werden Antriebsdaten für weitere Modelle, wie z. B. Sedimentationsmodelle, geschaffen. Durch die Auswahl der Szenarien und die Auswahl der Globalmodelle für den Antrieb der Regionalmodelle wird eine große Bandbreite der Klimaprognosen geschaffen. Die Unsicherheiten der Prognose konnten durch Ensemble-Simulationen reduziert werden. Anschrift der Verfasserin: Dr. Beate Geyer GKSS Forschungszentrum Geesthacht Max-Planck-Straße 21502 Geesthacht Literatur Christensen, J. H. (ed.), 2004: Prediction of Regional scenarios and Uncertainties for Defining EuropeaN Climate change risks and Effects. Final Report., http://prudence.dmi.dk/public/publications/. Graham, L. P., S. Hagemann, S. Jaun and M. Beniston, 2004: On Interpreting hydrological change from regional climate models. Submitted to Climatic Change. IPCC, 2001: Special Report on Emissions Scenarios (SRES). Special Report of the Intergovernmental Panel on Climate Change, Nebojsa Nakicenovic and Rob Swart (Eds.), Cambridge 2000. IPCC, 2001: http://www.ipcc.ch/present/graphics. htm. Müller, Beate, 2004: Eine regionale Klimasimulation für Europa zur Zeit des späten Maunder-Minimums 1675-1705. GKSS Report No. 2004/02. Storch, H. von, H. Langenberg, and F. Feser, 2000: A spectral nudging technique for dynamical downscaling purposes. Monthly Weather Review, 128, 3664-3673. 105 Klima und Küste Der Ozean im Zeitalter des Anthropozäns – eine Betrachtung aus biogeochemischer Perspektive The oceans during the Anthropocene Epoch – a study under biogeochemical aspects ARNE KÖRTZINGER Zusammenfassung Summary Das Wissen um die Existenz des globalen Wandels gehört inzwischen zum Allgemeingut, das uns über die Medien vielkanalig vermittelt wird. In der Tat ist die gegenwärtige Epoche wohl mit Recht als „Anthropozän“ – das vom Menschen geprägte Erdzeitalter – bezeichnet worden, mehren sich doch fast täglich Belege für Trends in den Klimadaten. Auch wenn der Nachweis eines kausalen Zusammenhangs mit menschlichen Aktivitäten im Einzelfall schwer zu führen ist, steht er heute nicht mehr ernsthaft in Frage. Völlig außer Frage steht jedoch, dass die vielfältigen vom globalen Wandel getriebenen Änderungen physikalischer, chemischer und ökologischer Rahmenbedingungen einen qualitativen und quantitativen Einfluss auf das biogeochemische System und die Organismen des Ozeans haben werden. Diesen hinsichtlich seines Rückkopplungspotentials und damit seiner Klimarelevanz zu verstehen und vorhersagen zu können, wird eine der Schlüsselaufgaben der marinen Biogeochemie sein. Global warming has become part of general knowledge and is a widely discussed topic in all media. The present epoch has been aptly named the „Anthropocene“, i.e. the epoch marked by human activities, which is supported by the fact that new data on climate trends is published almost on a daily basis. Although it is difficult to establish a causal relationship with human activities in the individual case, the fact itself is no longer disputed seriously. But one fact is generally undisputed: the multiple changes of physical, chemical, and ecological parameters caused by global change will have a qualitative and quantitative impact on the biogeochemical system and on ocean life. It will be one of the principal future tasks of marine biogeochemistry to understand and predict this impact including its feedback potential and, consequently, its relevance to climate developments. Die Konsequenzen des globalen Wandels für das marine System sind nicht weniger komplex als dieses System selbst. Die Reduktion auf eine einfache Kausalitätskette ist aufgrund der vielfältigen Wechselwirkungen und gegenläufigen Effekte daher selten angebracht. Dennoch lassen sich einige typische Konsequenzen des biogeochemischen Systems sowie Reaktionen der marinen Biosphäre aufgrund von Experimentalbefunden, Beobachtungen oder Modellrechnungen identifizieren und zumindest in ihrer Richtung abschätzen. Im Rahmen des Vortrages sollen ausgewählte Aspekte des Themas dargestellt werden. The impact that global change will have on the marine system is not less complex than the system itself. Because of the many complex interactions and counter-acting effects, the establishment of simple causal chains is rarely possible. Nevertheless, some typical consequences and reactions in biogeochemical systems and the marine biosphere have been identified on the basis of experiments and observations as well as model results, and it is possible to point out at least certain trends. Some aspects of this subject will be discussed during the presentation. 107 108 Klima und Küste Abb. 1: CO2 und Temperatur - ein Pärchen mit steigender Tendenz Abb. 2: Globaler Kohlenstoffkreislauf und anthropogene Störung Quelle: Field, C.B. and M.R. Raupach (Edt.), 2004: The global Carbon Cycle, SCOPE 62, Washington: Island Press Klima und Küste Abb. 3: Biogeochemische Feedbacks: Der saure Ozean Quelle: Körtzinger, A., 2004: Marine Ökosysteme im Zeitalter des globalen Wandels. In: J.L. Lozán et al. (Hrsg.): Warnsignale aus den Polarregionen. Hamburg, 110-114 Anschrift des Verfassers: Prof. Dr. Arne Körtzinger Leibniz-Institut für Meereswissenschaften Dienstgebäude Westufer Düsternbrooker Weg 20 24105 Kiel 109 Meeresnaturschutz Meeresnaturschutz Auswirkungen von Offshore-Windkraftanlagen auf die marine Fauna und den Vogelzug - Erkenntnisse aus nationaler und internationaler Begleitforschung Impacts of offshore wind farms on marine fauna and bird migration – findings of national and international accompanying research CATHERINE ZUccO Zusammenfassung Summary Durch umfangreiche nationale und internationale, vor allem an den dänischen und schwedischen Projekten durchgeführte Begleitforschung konnten bereits erste Erkenntnisse und Hinweise über die Auswirkungen der Bau- und Betriebsphase von großräumigen OffshoreWindkraftprojekten auf die marine Fauna sowie den Vogelzug gewonnen werden. Extensive national and international research in the area of offshore wind farms, mainly in Denmark and Sweden, has produced first results and indications of the impact of the construction and operational phases of such projects on marine fauna and bird migration. Für Schweinswale (Phocoena phocoena) ist insbesondere die schallintensive Bauphase mit nachteiligen Auswirkungen verbunden. So ließ sich bei Horns Rev in Dänemark in der gesamten Bauzeit eine reduzierte Dichte im Gebiet feststellen. Während der Rammarbeiten kam es zu einer drastischen Abnahme der akustischen Aktivität von Schweinswalen sowie signifikanten Verhaltensveränderungen. Einige der untersuchten Rastvogelarten zeigen eine hohe Störempfindlichkeit gegenüber den Bauaktivitäten sowie den Offshore-Windkraftanlagen im Betrieb, die eine großflächige Verdrängung von Individuen aus dem Windpark und dessen Umgebung und letztlich den Verlust von Lebensraum zur Folge hat. Für Zugvögel ist nachts ein höheres Kollisionsrisiko anzunehmen, da Ausweichreaktionen von Zugvögeln deutlich später auftreten als am Tage. Allerdings fehlen nach wie vor Erkenntnisse, mit denen sich das Kollisionsrisiko an Offshore-Windkraftanlagen ausreichend quantifizieren lässt. Bisherige Untersuchungen der benthischen Lebensgemeinschaften haben ergeben, dass das eingebrachte Hartsubstrat schnell besiedelt wird und dass damit ein starker Anstieg der Biomasse im Windkraftgebiet verbunden sein kann. Zusätzlich konnten durch Unterwasservideoaufnahmen im Nahbereich einzelner Anlagen Attraktionswirkungen auf einige Fischarten verzeichnet werden, die auf einen „Riffeffekt“ schließen lassen. Harbour porpoises (Phoecoena phoecoena) were affected particularly by the noise during the construction phase. At Horns Rev, Denmark, a reduced population density was observed in the area throughout the construction phase (during piling operations). Dramatically reduced acoustic activity of harbour porpoises as well as significant behavioural changes occurred. Some of the observed resting-bird species were highly sensitive to disturbance from construction activities and operating offshore wind turbines, which led to large-scale displacement of individuals from the wind farm and its surroundings and, subsequently, habitat loss. Migratory birds probably have a higher collision risk at night because their evasive reactions are slower than during the day. However, results which allow an adequate quantification of the collision risk from offshore wind turbines are not yet available. Studies of benthic communities have shown that the hard substrate introduced to such sites is quickly colonised, which can lead to a strong increase of biomass in the wind farm area. Underwater video recordings in the vicinity of individual turbines showed that some fish species were attracted to them, which may be attributable to a „reef effect“. 113 114 Meeresnaturschutz Aus Gründen des Klimaschutzes soll in vielen EU-Mitgliedsstaaten – so auch Deutschland – der Anteil der erneuerbaren Energien am Gesamtstromverbrauch deutlich erhöht werden. Einen wesentlichen Beitrag soll hierzu die Nutzung der Offshore-Windenergie liefern. In der deutschen Ausschließlichen Wirtschaftszone (AWZ) sind bisher mehr als 500 Windräder genehmigt worden. Da zur marinen Natur und Umwelt sowie zu den ökologischen Auswirkungen von Windkraftanlagen im Meer noch immer erhebliche Wissensdefizite bestehen, sind die Ergebnisse der Erforschung der ökologischen Effekte an bestehenden Offshore-Windkraftanlagen von großer Bedeutung, um mögliche Auswirkungen weiterer Planungen und Projekte besser prognostizieren zu können. Durch umfangreiche nationale und internationale, vor allem an den dänischen und schwedischen Projekten durchgeführte Begleitforschung konnten bereits erste Erkenntnisse und Hinweise über die Auswirkungen der Bau- und Betriebsphase von großräumigen Offshore-Windkraftprojekten auf die marine Fauna sowie den Vogelzug gewonnen werden. Insoweit können inzwischen auch Empfindlichkeiten und Reaktionen einzelner Schutzgüter gegenüber den Wirkmechanismen von Offshore-Windkraftanlagen besser spezifiziert werden. Für Schweinswale (Phocoena phocoena) ist insbesondere die schallintensive Bauphase mit nachteiligen Auswirkungen verbunden. So ließ sich bei Horns Rev in Dänemark in der gesamten Bauzeit eine reduzierte Dichte im Gebiet feststellen. Während der Rammarbeiten kam es zu einer drastischer Abnahme der akustischen Aktivität von Schweinswalen sowie signifikanten Verhaltensveränderungen. vor Erkenntnisse, mit denen sich das Kollisionsrisiko an Offshore-Windkraftanlagen ausreichend quantifizieren lässt. Bisherige Untersuchungen der benthischen Lebensgemeinschaften haben ergeben, dass das eingebrachte Hartsubstrat schnell besiedelt wird und dass damit auch ein starker Anstieg der Biomasse im Windkraftgebiet verbunden sein kann. Über die Auswirkungen dieser Veränderungen auf die natürlich vorkommenden Benthosgemeinschaften lassen sich allerdings noch keine Aussagen treffen. Zusätzlich konnten durch Unterwasservideoaufnahmen im Nahbereich einzelner Anlagen Attraktionswirkungen auf einige Fischarten verzeichnet werden, die auf einen „Riffeffekt“ schließen lassen. Bislang gibt es jedoch keine belastbaren Ergebnisse über Effekte der Stromkabel sowie der betriebsbedingten Schallemissionen auf die Fischfauna. Die laufenden Projekte, die im Rahmen „Ökologischer Begleitforschung Offshore-Windkraft“ vom Umweltministerium geförderten werden, sowie das umfangreiche Begleitmonitoring, welches vom BSH den deutschen Antragstellern mit der Genehmigung auferlegt wird, lassen in näherer Zukunft einen stetigen Erkenntniszuwachs über die Effekte auf die marine Fauna erwarten. Gleiches gilt für die Forschungen an den Offshore-Projekten anderer Länder, die insbesondere auch Aussagen zu langfristigen Auswirkungen bei mehrjährigem Betrieb durch entsprechende Begleituntersuchungen ermöglichen werden. Einige der untersuchten Rastvogelarten zeigen eine hohe Störempfindlichkeit gegenüber den Bauaktivitäten sowie den Offshore-Windkraftanlagen im Betrieb, die eine großflächige Verdrängung von Individuen aus dem Windpark und dessen Umgebung und letztlich den Verlust von Lebensraum zur Folge hat. Für Zugvögel verdeutlichen die Ergebnisse, dass Barrierewirkungen und Verlagerungen der Zugrouten aufgrund der Anlagen auftreten. Dabei unterscheiden sich die Reaktionen art- und individuenspezifisch. Nachts ist ein höheres Kollisionsrisiko anzunehmen, da Ausweichreaktionen von Zugvögeln deutlich später auftreten als am Tage. Allerdings fehlen nach wie Anschrift der Verfasserin: Catherine Zucco Bundesamt für Naturschutz AS Insel Vilm 18581 Putbus Meeresnaturschutz Meeresschutzgebiete – (k)ein Instrument des Fischereimanagements? Marine Protected Areas – a suitable instrument of fisheries management? CHRISTIAN VON DORRIEN Zusammenfassung Summary Bedingt durch den Niedergang zahlreicher Fischbestände sowie den negativen Einfluss der Fischerei auf viele Lebensräume und Arten besteht derzeit ein hohes öffentliches Interesse an der Einrichtung von Meeresschutzgebieten. Meeresschutzgebiete, in denen aus Gründen des Fischereimanagements eine bestimmte oder jede Fischerei untersagt ist, werden häufig als „Geschlossene Gebiete“ (GG) bezeichnet. Diese werden zunehmend als ein – wenn nicht DAS – Mittel propagiert, um überfischte Bestände wieder aufzubauen und ihre nachhaltige Nutzung zu gewährleisten. Auch wenn belegt werden kann, dass innerhalb eines GG die Bestände zunehmen, steht dieses für die Fischerei nicht mehr zur Verfügung. Die Fischerei kann daher erst dann von einer möglichen Zunahme der Bestände profitieren, wenn diese auch außerhalb des GG zunehmen. Dabei muss die Zunahme aber den Verlust des Fanggebietes mindestens kompensieren oder übersteigen, damit das GG einen direkten ökonomischen Nutzen für die Fischerei hat. Die wenigen bisher in gemäßigten Breiten durchgeführten Untersuchungen GG zeigen, dass die Schließung von Fanggebieten bisher nur in einigen Fällen, unter bestimmten Bedingungen und gemeinsam mit anderen Maßnahmen erfolgreich für den Wiederaufbau und den Schutz von Fischbeständen war. Die erfolgreiche Anwendung von GG als ein Instrument im Fischereimanagement erfordert eine sehr gute wissenschaftliche Grundlage über die Ökologie und Fischereibiologie der betroffenen Gebiete und Bestände. GG sind kein Allheilmittel für alle Probleme in der Fischerei. Sie sind auch kein Ersatz für alle anderen Maßnahmen des Fischereimanagement, sondern brauchen diese sogar, um wirksam sein zu können. Das Fazit lautet daher, dass die Einrichtung Geschlossener Gebiete ein sinnvolles Instrument unter mehreren im Fischereimanagement sein kann. Because of the decline of many fish stocks and the impact of fisheries on habitats and species, there exists a high public interest in the establishment of marine protected areas. Marine protected areas where certain or all types of fisheries are prohibited as a means of fisheries management are often called „Closed Areas“ (CA). They are increasingly propagated as the one and only measure to rebuild depleted stocks and ensure their sustainable use. Even CAs where stocks have definitely increased are no longer accessible to fisheries. Therefore, fisheries presently benefit only from stock increases outside the CAs. However, in order to be commercially viable to fisheries, such increases must at least compensate for lost fishing areas. The few investigations carried out so far in temperate seas have shown that fish stocks have been successfully rebuilt and protected by closing particular fishing areas under specific conditions, accompanied by other measures. Successful use of CAs as a tool of fisheries management requires a sound scientific knowledge base on the ecology and fisheries biology of the areas and stocks affected. CAs are not a „cure-all“ for all problems affecting fisheries. Neither are they a replacement for all other measures of fisheries management, but they need these measures in order to be effective. The conclusion is that CAs could be one useful fisheries management tool among others. 115 116 Meeresnaturschutz Einleitung In den letzten Jahren sind der Niedergang vieler Fischbestände sowie der negative Einfluss, den die Fischerei auf die marinen Lebensräume und Arten ausüben kann (z. B. durch Beifänge), zunehmend in das öffentliche Interesse gerückt. Meeresschutzgebiete werden dabei als ein effizienter und preiswerter Weg propagiert, um sowohl Arten und Lebensräume im Meer zu schützen als auch die Fischerei zu erhalten und zu managen (Halpern [2003]). Selbst Kritiker erkennen meist den grundsätzlichen Nutzen von Meeresschutzgebieten an (Browman and Stergiou [2004]). Als Folge dieser Entwicklung gab es zahlreiche internationale Beschlüsse, regional und weltweit Meeresschutzgebiete einzurichten. Im Jahr 2002 einigten sich auf dem Gipfeltreffen zur Nachhaltigen Entwicklung in Johannesburg (World Summit on Sustainable Development, WSSD) die Staatsund Regierungschefs, bis 2012 ein repräsentatives Netzwerk von Meeresschutzgebieten einzurichten (WSSD [2002]). Die für den Meeresschutz im Nordostatlantik zuständige OSLO-PARIS-Kommission (OSPAR) empfiehlt in einem Beschluss von 2003, bis 2010 ein ökologisch kohärentes Netzwerk von gut verwalteten Meeresschutzgebieten einzurichten (OSPAR [2003]). In einer Kommunikation über die EU-Meeresstrategie der EU-Kommission heißt es, dass die EU-Direktiven zur Einrichtung von Natura-2000-Gebieten zum Schutz von Vögeln und Lebensräumen auch in den Ausschließlichen Wirtschaftszonen (AWZ) der EUStaaten angewendet werden sollten. Diese Interpretation wird auch vom EU-Fischereirat unterstützt (COM [2002]). Die AWZ bezeichnet jenes Meeresgebiet, in dem die einzelnen Staaten zwar keine Hoheitsrechte mehr besitzen, wohl aber das exklusive Recht auf die Nutzung der nachwachsenden Ressourcen. Die AWZ umfassen dabei meist den Streifen zwischen 12 und 200 Seemeilen vor den jeweiligen Küsten. Die deutsche Bundesregierung hat 2004 die ersten Natura-2000-Gebiete in der deutschen AWZ offiziell an die EU-Kommission nach Brüssel gemeldet. Allerdings stellt das Sekretariat der BiodiversitätsKonvention auch fest, dass Meeresschutzgebiete kein kostenloses Instrument sind, sondern ihre Einrichtung und ihr Management erhebliche Investitionen erfordern und die meisten dieser Gebiete zudem einen Einfluss auf die vorhandenen Nutzer dieser Gebiete haben. Diese Kosten müssen durch den Nutzen, den Meeresschutzgebiete aufweisen, ausgeglichen werden (Secretariat of the Convention on Biological ��������������������� Diversity [2004]). �������� Definition Für Meeresschutzgebiete gibt es je nach Zielrichtung, Schutzgrad und Sprache viele verschiedene Ausdrücke. Auch durch die Übersetzung aus anderen Sprachen ergeben sich unterschiedliche Begriffe und Bedeutungen. Im englischsprachigen Raum wird am häufigsten der Begriff „Marine Protected Area“ (kurz: MPA) verwendet. Das Akronym MPA wird dabei auch im deutschen Sprachgebrauch häufig für die Bezeichnung von Meeresschutzgebieten verwendet. Für den vorliegenden Artikel wurde die folgende Definition, die von OSPAR [2003] 2003 verwendet wurde, zugrunde gelegt: „’Marine Protected Area’ means an area within the maritime area for which protective, conservation, restorative or precautionary measures, consistent with international law have been instituted for the purpose of protecting and conserving species, habitats, ecosystems or ecological processes of the marine environment.“ Da die für OSPAR und HELCOM (die mit dem Schutz der Ostsee befasste Helsinki-Kommission) zuständigen Minister auf ihrer gemeinsamen Sitzung 2003 in Bremen gemeinsame Ziele für die Einrichtung von Meeresschutzgebieten beschlossen haben, kann diese Definition auch für die Ostsee angewendet werden. Aus dieser Definition geht nicht hervor, dass in einem Meeresschutzgebiet per se alle Nutzungen generell untersagt werden müssen. Es ist lediglich die Bezeichnung für ein Meeresgebiet, in dem bestimmte Schutzmaßnahmen gelten. Im Umkehrschluss bedeutet dies, dass in einem Meeresschutzgebiet jene Nutzungen erlaubt sein können, die nicht die Schutzziele gefährden. Meeresschutzgebiete können Lebensräume und Arten wie z. B. Tiefseekorallenriffe vor möglichen negativen Folgen einer Fischerei schützen, wenn sie wissenschaftlich fundiert und gut verwaltet sind. Auf Meeresschutzgebiete, die allein dem Naturschutz dienen sollen, wird in diesem Artikel nicht weiter eingegangen. Meeresnaturschutz Meeresschutzgebiete, in denen vorwiegend aus Gründen des Fischereimanagements eine bestimmte oder auch jede Fischerei untersagt ist, werden häufig als „Geschlossene Gebiete“, englisch ‚Closed Areas’ bezeichnet. Diese Art von Meeresschutzgebieten bilden den Schwerpunkt dieses Artikels. Dabei wird im Wesentlichen auf einen Aspekt der Einrichtung Geschlossener Gebiete eingegangen: Welche Bedeutung – positiv und negativ – haben Geschlossene Gebiete für die kommerzielle Fischerei und insbesondere für das Fischereimanagement? Geschlossene Gebiete als ein Instrument im Fischereimanagement Schwerpunkt des Artikels ist die Einrichtung Geschlossener Gebiete als ein Instrument in der Verwaltung einer Fischerei. Es soll die Frage erörtert werden, ob es unmittelbare positive Effekte für die Fischerei hat, wenn Gebiete für die gesamte Fischerei oder bestimmte Fanggeräte geschlossen werden. Die Einrichtung von Geschlossenen Gebieten kann mit einem oder auch mehreren der folgenden fischereilich relevanten Ziele im Fischereimanagement erfolgen: • Wiederaufbau überfischter Bestände Geschlossene Gebiete werden häufig als ein – wenn nicht DAS – Mittel propagiert, um überfischte Bestände wieder aufzubauen und vor einer nicht nachhaltigen Nutzung zu schützen. Auf diesen Aspekt wird detailliert in den folgenden Abschnitten eingegangen. • Schutz wichtiger Lebensräume (z. B. Laichgebiete) und Lebensstadien (z. B. Jungfische) Wenn bestimmte Bereiche, wie zum Beispiel Riffgebiete für die Fortpflanzung eines genutzten Bestandes wichtig sind und diese durch eine Fischerei gefährdet würden, ist eine Schließung sinnvoll. Gleiches gilt für Gebiete, in denen sich die Elterntiere zum Laichen konzentrieren und damit einem erhöhten Fischereidruck ausgesetzt sein können. Ein Beispiel dafür ist die Schließung des Bornholmbeckens für die Dorschfischerei in der Ostsee. In anderen Gebieten können Jungfische in hohen Konzentrationen auftreten, was bei einer dort stattfindenden Fischerei zu hohen Beifängen führen und dadurch den Nachwuchs in den genutzten Bestand gefährden könnte. • Grundsätzliche Erhaltung der Struktur des Ökosystems und der genutzten Bestände Ein Beispiel hierfür wäre das Verbot einer Grundschleppnetzfischerei in Seegraswiesen, die für den langfristigen Erhalt dieser Lebensräume und der genutzten Bestände notwendig sind. • Eine Art „Versicherung“ gegen Umweltveränderungen und Managementfehler Wenn in den befischten Gebieten - z. B. durch falsche Entscheidungen in der Verwaltung der Fischerei - genutzte Bestände zusammenbrechen, sollen die unbefischten Gebiete dazu dienen, den Wiederaufbau zu ermöglichen oder zu beschleunigen. • Nutzung als Referenzgebiet im Vergleich zu befischten Gebieten Bestimmte Auswirkungen der Fischerei lassen sich nur dann am besten erforschen, wenn Gebiete mit und ohne Fischereieinfluss miteinander verglichen werden können. Dazu muss es Gebiete mit vergleichbaren Bedingungen und Habitaten geben, in denen keine Fischerei stattfindet. Wirkungsweise von Geschlossenen Gebieten Die grundsätzliche Vorstellung ist, dass innerhalb eines Gebietes, dass vollständig für die Fischerei geschlossen wird, die Anzahl (Abundanz) und/oder Größe und Gewicht der einzelnen Individuen zunehmen und dadurch die Biomasse insgesamt ansteigt (Abb. 1). Dies konnte für viele Gebiete und Arten, vor allem ortsfeste und –treue Arten (z. B. Muscheln) nachgewiesen werden. Damit wäre also ein Schutzziel innerhalb des Gebietes erreicht. Das Management einer Fischerei hat aber das Ziel, den Ertrag dauerhaft auf einem möglichst hohen Niveau zu sichern – also eine für den genutzten Bestand nachhaltige Fischerei auf möglichst hohem Niveau zu etablieren. Durch die Einrichtung eines Geschlossenen Gebietes verliert die Fischerei aber zuerst einmal mögliche Fanggründe, das betroffene Gebiet steht der Fischerei nicht mehr zur Verfügung. Ökonomisch betrachtet entstehen also durch die Einrichtung eines Geschlossenen Gebietes für die Fischerei Kosten durch Verlust von Fanggebieten. Diese Kosten können auch sehr direkt z. B. dadurch entstehen, dass die Fischereifahrzeuge in weiter entfernt liegende Fanggebiete ausweichen müssen. 117 118 Meeresnaturschutz Die Fischerei kann erst dann von einer möglichen Zunahme von Abundanz und Biomasse in dem Geschlossenen Gebiet direkt profitieren, wenn auch außerhalb des Gebietes die genutzten Bestände zunehmen. Diese Zunahme muss dabei den Verlust des Fanggebietes ausgleichen oder übersteigen, damit das Geschlossene Gebiet einen direkten ökonomischen Nutzen für die Fischerei hat. damit auch größere Mengen an Nachwuchs produziert. Durch vorhandene Meeresströmungen werden dann die Eier und Larven in verstärktem Maße aus dem Geschlossenen Gebiet heraus transportiert. Das wiederum führt dann zu einer Zunahme des Bestandes auch in den umliegenden für die Fischerei zugänglichen Gebieten (Abb. 2). Damit die Vorteile eines Geschlossenen Gebietes auch in den für die Fischerei zugänglichen Bereichen verfügbar werden, muss mindestens einer von zwei Prozessen stattfinden, die als „Export“ und „Spillover-Effekt“������������������������������� bezeichnet werden. Die beiden Prozesse können auch gemeinsam auftreten. Abb. 2: Schematische Darstellung des ‚Export’-Prozesses. Mehr und größere Elterntiere produzieren mehr Eier und Larven, die aus dem Geschlossenen Gebiet heraustreiben und damit zu einer Vergrößerung des Bestandes in den umliegenden Gebieten führen Spillover-Effekt Abb. 1: Schematische Darstellung der Wirkungsweise eines Geschlossenen Gebietes. Innerhalb des Gebietes ist die Fischerei nicht mehr erlaubt, Abundanz und Biomasse des Bestandes nehmen zu Export Der ‚Export’-Prozess ist vor allem für ortsfeste oder –treue Organismen wie z. B. Muscheln oder Krebse notwendig, die als erwachsene Tiere gar nicht oder nur geringe Entfernungen wandern. Er beruht vor allem auf der Annahme, dass durch den Wegfall der Fischerei innerhalb eines Geschlossenen Gebietes die genutzten Organismen älter und damit größer werden. Bei vielen Arten nimmt die Fruchtbarkeit der Weibchen – im Wesentlichen die Anzahl der Eier – mit zunehmender Größe überproportional zu. Nimmt infolge des fehlenden Fischereidruckes die Anzahl der Elterntiere, vor allem größerer Individuen, zu, werden Beim „Spillover-Effekt“ geht man davon aus, dass sich die Bestände innerhalb eines Geschlossenen Gebietes - begünstigt durch den fehlenden Fischereidruck - so stark entwickeln, dass die Abundanz der erwachsenen Tiere (Adulte) immer weiter anwächst. Aufgrund der hohen Dichte beginnen dann die Adulten aus dem Geschlossenen Gebiet heraus in die umliegenden für die Fischerei zugänglichen Bereiche zu wandern. Dort nehmen dann sowohl Abundanz und Biomasse der Bestände als auch dadurch bedingt die Fänge der Fischerei zu (Abb. 3). Meeresnaturschutz kungen der Bestandsdichten oder Veränderungen in den Befischungsmustern die als Folge der Geschlossenen Gebiete stattfindenden Veränderungen der Bestände überlagern. Welche Belege gibt es? Abb. 3: Schematische Darstellung des „Spillover-Effektes“. Die Dichte der erwachsenen Tiere hat innerhalb des Geschlossenen Gebietes stark zugenommen, sie wandern in die umliegenden Bereiche ab Wie lassen sich diese Vorteile nachweisen? Wie bei jeder Maßnahme, sollte auch die Wirksamkeit von Geschlossenen Gebieten belegt werden können. Theoretisch erscheint dies zunächst einmal einfach: Es müssen die Unterschiede in der Abundanz, Biomasse und anderen Populationsparametern (Alter, Fruchtbarkeit) gemessen und verglichen werden. Einerseits zwischen den Geschlossenen und den offenen Gebieten sowie andererseits im gleichen Gebiet vor und nach dessen Schließung. Die praktische Umsetzung weist allerdings eine Vielzahl von Schwierigkeiten auf. Voraussetzung sind sorgfältig geplante umfangreiche Untersuchungen der Organismen, meist in Bereichen der Hohen See. Die dazu notwendigen Finanzen, Personal- und Schiffskapazitäten sind nicht immer gegeben. Sollen Geschlossene und offene Gebiete verglichen werden, müssen diese Gebiete in ihren wesentlichen Parametern (z. B. Bodenbeschaffenheit, Meeresströmungen, etc.) vergleichbar sein. Da alle Untersuchungen und insbesondere jene, die einen Vergleich Vorher/Nachher anstellen sollen, über mehrere Jahre erfolgen müssen, dürfen sich die Bedingungen nicht stark ändern oder aber die Veränderungen müssen genau bekannt sein. Es kann sogar sein, dass der Nachweis der Wirksamkeit in unseren gemäßigten Breiten gar nicht oder nur nach sehr langer Zeit gelingen kann, da während des Untersuchungszeitraumes die natürlichen Schwan- Es gibt vor allem Belege für sessile und ortstreue Arten (z. B. Muscheln oder Krebse) sowie Arten aus tropischen Bereichen, z. B. Korallenriffen (z. B. Gell and Roberts [2003]). Der Grund liegt zum einen darin, dass gerade in den Tropen bereits zahlreiche Geschlossene Gebiete eingerichtet wurden. Zum anderen sind auch die dort genutzten Fischarten häufig ortstreuer (z. B. über Riffen), so dass Nachweise der Wirksamkeit für diese Arten leichter gelingen. In den gemäßigten Bereichen und für mobilere Arten, zu denen die meisten der hier genutzten Fischarten zählen, sind viel weniger entsprechende Untersuchungen vorhanden (ICES [2004], Murawski et al. [2000]). Die ‚ICES Working Group’ on Ecosystem Effects of Fishing Activities (WGECO) hat im Jahr 2004 einen Bericht vorgelegt, der folgende Aufgaben hatte (ICES, 2004): Die Analyse von Daten über die Reaktionen von Ökosystemen auf die räumliche Reduzierung von Fischereiaktivitäten in gemäßigten Meeresgebieten sowie die Beschreibung von Ähnlichkeiten und Unterschieden in der biologischen Entwicklung dieser Gebiete. Einige der Ergebnisse aus dieser Studie werden im Folgenden wiedergegeben: Verbot von Schleppnetzen im Öresund In dem ca. 1700 km2 großen Gebiet, das den schmalen Sund zwischen Schweden und Dänemark umfasst und 8 bis 40 Meter tief ist, wurde die Verwendung aller geschleppten Fanggeräte bereits im Jahr 1932 verboten. Der Grund war die allgemeine Gefährdung des Schiffsverkehrs in diesem stark befahrenen Gebiet. Passive Fanggeräte wie z. B. Stellnetze waren allerdings weiterhin erlaubt, der Fischereiaufwand nahm seit 1932 im Laufe der Zeit stark zu. Insgesamt ist der Fischereiaufwand in diesem Gebiet aber deutlich geringer als in den angrenzenden Gebieten. In dem Gebiet befinden sich Laichgebiete des Dorsches 119 120 Meeresnaturschutz (Gadus morhua) sowie einiger anderer Fischpopulationen. Die Tatsache, dass Dorsch dort laicht und höchstwahrscheinlich sogar eine lokale Dorschpopulation existiert, hat vermutlich den positiven Effekt des Geschlossenen Gebietes auf die Dorschpopulation verstärkt. In dem Gebiet findet neben der Stellnetzfischerei immer noch Schleppnetzfischerei in geringem Umfang statt, sowohl durch Boote, die das Gebiet durchfahren, als auch durch dänische Trawler im nördlichen Teil. Es gibt zwar Kontrollen, aber die Strafen sind gering im Vergleich zu den möglichen hohen Profiten. Außerdem kooperieren die Fischer, indem sie gemeinsam Ausguck halten und einen gemeinsamen „Bußgeld-Fond“ finanzieren, der für beschlagnahmtes Fanggerät aufkommt. Trotzdem sind die Unterschiede zwischen dem Geschlossenen Gebiet des Öresund und dem angrenzenden Kattegat vor allem bei größeren Individuen enorm (Tabelle 1). Sie beruhen auf dem Mittel von Einheitsfängen (Catch per Unit Effort, CPUE) die zwischen 2001 und 2002 im Öresund und dem angrenzenden Kattegat durchgeführt wurden. Art Längenbereich (cm) Unterschied (%) Dorsch > 50 10.700 Dorsch 30 >< 50 2.300 Dorsch < 30 48 Schellfisch > 30 52.500 Schellfisch < 30 107 Wittling > 30 512 Wittling < 30 22 Scholle > 30 1.260 Scholle < 30 16 Rotzunge > 30 2.330 Rotzunge < 30 840 Tab. 1: Vergleich von Einheitsfängen aus dem für die Schleppnetzfischerei geschlossenen Öresund mit dem angrenzenden Kattegat, in dem diese Fischerei erlaubt ist. Angegeben sind Fischart, Größenbereich und Unterschied in Prozent des Fanges im Öresund im Vergleich zum Kattegat. (Daten nach ICES [2004]) Obwohl das Gebiet nicht aus fischereilichen Gründen geschlossen wurde, ist es für die lokalen Fischpopulationen und für die in dem Gebiet erlaubte Fischerei ein Erfolg. Das liegt vermutlich auch daran, dass die dort dominierende Stellnetzfischerei nicht so große Individuen fängt wie eine Schleppnetzfischerei und auch nicht so effizient ist. Schollenbox in der Nordsee Die so genannte Schollenbox ist ein teilweise Geschlossenes Gebiet entlang der Nordsee-Küsten von Dänemark bis zu den Niederlanden, in dem der Fang mit Schiffen verboten ist, deren Maschinen stärker als 300 PS sind. Die Schollenbox wurde 1989 zuerst nur für das zweite und dritte Quartal eingerichtet, ab 1995 ganzjährig. Das Ziel war, Beifang und Rückwürfe untermaßiger Schollen (Pleuronectes platessa) in diesem Haupt-Aufwuchsgebiet zu verringern und dadurch den Nachwuchs für den befischten Bestand zu vergrößern. Obwohl die Effizienz der Schließung nahezu 100 % beträgt, erfüllt die Schollenbox dennoch nicht das gesetzte Ziel, insgesamt den Beifang untermaßiger Schollen zu verringern. Die Nachwuchszahlen stiegen nicht an, sondern nahmen sogar weiter ab, nachdem das Gebiet geschlossen wurde. Zwar wurde der Fischereiaufwand in dem Gebiet verringert (um 60 % bei der halbjährigen und um 94 % ab der ganzjährigen Schließung). Aber zum einen verlagerte sich die Fischerei der größeren Trawler in das direkt an die Schollenbox angrenzende Gebiet. Außerdem sind die kleineren Kutter mit weniger als 300 PS Motorleistung weiterhin in dem Gebiet erlaubt. Hinzu kam, dass die jungen Schollen sich seit der Schließung zunehmend in tieferen Wasserschichten und damit außerhalb der Schollenbox aufhalten – und somit von der Fischerei erfasst werden. Die Ursache hierfür sind vermutlich durch den Klimawandel bedingte steigende Wassertemperaturen. Insgesamt wurden zwei Jahre benötigt, bis das Gebiet eingerichtet wurde; die wissenschaftliche Begründung lag bereits 1987 vor. Ein ähnlicher Vorschlag des ICES wurde sogar schon 1921 gemacht. Meeresnaturschutz Kabeljaubox in der Nordsee 2001 In einem Gebiet, das große Bereiche der zentralen und nördlichen Nordsee umfasste, wurde vom 15.2. bis 30.4.2001 der Einsatz aller Fanggeräte verboten, mit denen Kabeljau (Gadus morhua) gefangen werden konnte. Damit sollte die in diesem Gebiet laichende und damit in höheren Dichten auftretende Kabeljaupopulation geschützt werden. Dank der Überwachung der Fahrzeuge mit Satellitentechnik (VMS, Vessel Monitoring System) war die Einhaltung sehr gut, der Fischereiaufwand wurde um vermutlich 100 % gesenkt. Allerdings verlagerten sich die Fangaktivitäten direkt in die Gebiete außerhalb der Grenzen sowie in andere Fanggebiete außerhalb der Nordsee. Für die Kabeljaupopulation hatte diese Maßnahme keinen positiven Effekt. Zwar waren die Fänge nach der Öffnung kurzzeitig höher, erreichten aber nach 2 bis 3 Wochen wieder ein normales Niveau. Insgesamt war die Dauer der Schließung sehr kurz, um einen positiven Effekt auf den Kabeljaubestand haben zu können. Der Hauptgrund für diesen Misserfolg war aber, dass sowohl die Lage als auch der Zeitraum für das Geschlossene Gebiet schlecht gewählt waren. Das Geschlossene Gebiet überlappte nur teilweise mit den bekannten Laichgebieten. Auf den südlichen Fanggründen lag die Hauptlaichzeit in den Kalenderwochen 4 bis 7, auf den nördlichen etwas später. Die Schließung erfolgte aber in den Kalenderwochen 8 bis17, so dass vermutlich nur der zweite Abschnitt der Laichsaison geschützt wurde. Wahrscheinlich hatte die Gebietsschließung sogar negative Folgen auf die Beifangraten von anderen demersalen (bodennah lebenden) Fischarten, da die Schleppnetzaktivitäten in Gebieten zunahm, die normalerweise nicht befischt wurden. Georges Bank Auf die Ergebnisse aus den Gebieten vor Neufundland, wo nach dem Zusammenbruch der Kabeljauund anderer Grundfischbestände große Gebiete seit mehr als zehn Jahren geschlossen sind, soll etwas ausführlicher eingegangen werden. Vor allem, da der Anteil der Geschlossenen Gebiete mit ca. 40 % des gesamten Gebietes sehr groß ist und die lange Zeit der Einrichtung – immerhin über 10 Jahre – in einem Gebiet der gemäßigten Breiten eine gute Grundlage bietet, Beispiele für Erfolg und Nicht-Erfolg zu liefern. Grundlage für die Darstellung sind vor allem die folgenden Publikationen: Murawski et al. [2000]), Murawski et al. [2004, 2005] und ICES [2004]. Nach dem Zusammenbruch vieler Grundfischbestände vor den Küsten Kanadas und der nördlichen USA wurden dort mehrere Geschlossene Gebiete eingerichtet, um wichtige Grundfischbestände, darunter Kabeljau, Schellfisch (Melanogrammus aeglefinus) und Gelbschwanz-Flunder (Limanda ferrugineus), im Rahmen des Nordost-Mehrarten-Fischereimanagementplanes zu schützen. Vor allem diese Bestände waren durch starke Überfischung beeinträchtigt und teilweise zusammengebrochen. Erschwerend kam hinzu, dass die Jungtiere vor dem ersten Laichen gefangen wurden und die Lebensräume der Bestände durch die Bodenfischerei zerstört wurden. In den Geschlossenen Gebieten ist der Einsatz aller Fanggeräte untersagt, die Grundfischarten fangen können. Dazu zählen Grundschleppnetze, Muscheldredgen, Stellnetze und Langleinen. Andere Methoden sind nur erlaubt, wenn keine Beifänge der betroffenen Arten auftreten. Zu den Gebieten gehören die permanent Geschlossenen Gebiete Georges Bank Closed Area I und II (CA I und II) sowie Nantucket Lightship (NLS). Diese Gebiete weisen geeignete Laichgebiete für Grundfischbestände auf. Insgesamt sind die Geschlossenen Gebiete für viele, aber nicht die Mehrheit der Bestände, als Erfolg zu werten. In allen Gebieten wurde die fischereiliche Sterblichkeit verringert. Besonders die Bestände der Kammmuschel (Placopecten magellanicus) nahmen so stark zu, dass eine stark begrenzte und regulierte Fischerei auf sie wieder innerhalb der Gebiete zugelassen wurde. In den Gebieten CA I und II stiegen die Laicherbestände von Kabeljau, Schellfisch und Gelbschwanzflunder an. Die mittlere Dichte des Schellfisch nahm vor allem im Gebiet CA I erheblich zu, so dass Murawski et al. [2005] dieses Gebiet bezeichnen als „eine besonders beeindruckende Demonstration einer Gebietseinrichtung (CA I), das in Übereinstimmung ist mit der Lebensgeschichte sowie den Habitat-Präferenzen und Wanderungsmustern von einer wichtigen Ressourcenart, deren Erhaltung das Schutzgebiet unterstützen sollte“. Welche Ergebnisse gab es nun außerhalb der Geschlossenen Gebiete? Wurde dort auch die Situation der Fischerei verbessert? Einen eindrucksvollen Beleg dafür liefert die Fischerei vor allem auf Schellfisch, die sich zu einem großen Teil auf die Grenzen der Schutzgebiete konzentriert, was im Englischen als „fishing the edge“ bezeichnet wird. Ein Merkmal 121 122 Meeresnaturschutz für den so genannten „Spillover-Effekt“ ist eine negative Dichte-Distanz-Beziehung. Damit ist gemeint, dass bei standardisierten Fängen außerhalb der Geschlossenen Gebiete die höchsten Abundanzen und Biomassen direkt an den Grenzen der Geschlossenen Gebiete auftreten. Je größer die Entfernung von der Grenze ist, desto geringer sind Abundanz und Biomasse des jeweiligen Bestandes. Dieses konnte vor allem für Schellfisch, aber auch für die Gelbschwanzflunder nachgewiesen werden. Auch die Tatsache, dass die Einheitsfänge der Fischerei in einem wenige Kilometer umfassenden Bereich außerhalb der Schutzgebietsgrenzen am höchsten waren, belegt dieses. Allerdings war es den Autoren um S. Murawski nicht möglich, dieses erhöhte Auftreten allein auf den „Spillover-Effekt“ zurückzuführen, da die Ergebnisse durch saisonale Wanderungen sowie Bevorzugung besser geeigneter Lebensräume (wie z. B. größere Meerestiefen), welche außerhalb der Geschlossenen Gebiete liegen, beeinflusst wurden (Murawski et al. [2004 and 2005]). Die Bestände von Kabeljau und auch Seelachs (Pollachius virens) zeigten außerhalb der Geschlossenen Gebiete jedoch bisher keine Anzeichen einer Erholung, da sie in Folge ihrer Wanderungsbewegungen immer noch zu stark befischt werden. Für Kabeljau sollten daher Geschlossene Gebiete zukünftig möglicherweise Wanderungskorridore umfassen (S. Murawski, pers. Mitteilung). Die Erfolge beruhen aber nicht nur auf der Einrichtung Geschlossener Gebiete, auch wenn diese einen wichtigen Beitrag leisten. Sie wurden erst ermöglicht durch ein ganzes Bündel zusätzlicher weit gefasster Managementmaßnahmen, wie: • reduzierter Fischereiaufwand, für einige Bestände um immerhin 50 % • Begrenzung der Fangreisen, • vergrößerte Maschenweiten und • Reduzierung der erlaubten Fangmengen (Total Allowable Catch, TAC) in Kanada. Hinzu kommt, dass zu dem Netzwerk von 17.000 km2 ganzjährig Geschlossener Gebiete weitere 50.000 km2 Gebiete eingerichtet wurden, die als sogenannte „rolling closures“ nur während ganz bestimmter Zeiträume im Jahr geschlossen sind. Haben Geschlossene Gebiete positive Effekte für die Fischerei? Die bisherigen wissenschaftlichen Ergebnisse für Geschlossene Gebiete zeigen, dass in gemäßigten Breiten die Schließung von Fanggebieten bisher nur in einigen Fällen, unter bestimmten Bedingungen und zusammen mit anderen Maßnahmen, erfolgreich für den Wiederaufbau und den Schutz von Fischbeständen war. Das Beispiel der Schollenbox gibt Hinweise darauf, dass äußere Entwicklungen – wie in diesem Fall Veränderungen der Wassertemperaturen - den möglichen Erfolg eines Geschlossenen Gebietes zunichte machen können. Und die Kabeljaubox in der Nordsee demonstriert, wie durch unzureichende politische Entscheidungen ein Erfolg von vornherein verhindert wird und welche negativen Folgen durch die Verlagerung des Fischereiaufwandes in andere Gebiete entstehen können. Geschlossene Gebiete allein können nicht die Folgen einer erheblichen Überkapazität der Fischereiflotte kompensieren (Murawski et al. [2005]). Anforderungen an die schlossener Gebiete Anwendung Ge- Die erfolgreiche Anwendung von Geschlossenen Gebieten als ein Instrument im Fischereimanagement erfordert eine sehr gute wissenschaftliche Grundlage über die Ökologie und Fischereibiologie der betroffenen Gebiete und Bestände. Diese Kenntnisse müssen die Grundlage für die Wahl von Lage, Größe und Anzahl bilden. Außerdem müssen Informationen über die derzeitige Fischerei sowie Abschätzungen über die möglichen Folgen einer Verlagerung der vorhandenen Fischereiaktivitäten mit einbezogen werden. Die Ziele, die mit der Einrichtung eines Geschlossenen Gebietes erreicht werden sollen, müssen klar definiert sein. Von diesen Zielen hängt es ab, wie groß das Gebiet sein muss und wie lange es dauern wird, bis diese Ziele erreicht sind. Über die Fragen der Skalierung von Größe und Zeit im Zusammenhang mit Geschlossenen Gebieten besteht zurzeit noch keine Klarheit, hier ist weitere intensive Forschung notwendig. Außerdem sind für den Nachweis der Wirksamkeit von eingerichteten Geschlossenen Gebieten sorgfältige wissenschaftliche Untersuchungen (Monitoring) sowohl vor und nach der Einrichtung, als auch innerhalb und außer- Meeresnaturschutz halb der GG notwendig. Die gewonnenen Ergebnisse sollten dann die Basis bilden für eine regelmäßige Überprüfung der Ziele und wie weit sie erreicht worden sind. Sollten sich die Ziele als unrealistisch erweisen, müssen die beschlossenen Managementmaßnahmen für das Geschlossene Gebiet gegebenenfalls angepasst werden. Es ist auch denkbar, Geschlossene Gebiete von vornherein mit einem „Verfallsdatum“ zu versehen, nach dem sie wieder aufgelöst werden, wenn es keine Anzeichen für positive Effekte geben sollte. Bereits vor der Einrichtung eines Geschlossenen Gebietes und soweit sinnvoll auch während dessen dauerhaften Managements, sollten alle Interessensgruppen, darunter vor allem die Fischerei, in einem offenen und transparenten Prozess mit einbezogen werden. Dies ist eine wichtige Voraussetzung, um mögliche Probleme in der Durchsetzung des Gebietes und der Befolgung der beschlossenen Maßnahmen zu verringern. Fazit Geschlossene Gebiete sind kein Allheilmittel für alle Probleme in der Fischerei. Sie sind auch kein Ersatz für alle anderen Maßnahmen des Fischereimanagement (wie z. B. Beschränkungen von Fangkapazität und -aufwand), sondern brauchen diese sogar, um wirksam sein zu können. Das Fazit lautet daher, dass die Einrichtung Geschlossener Gebiete ein sinnvolles Instrument unter mehreren im Fischereimanagement sein kann. Halpern, B. S., 2003: The impact of marine reserves: do reserves work and does size matter? Ecological Applications, 13, 117-137. ICES, 2004: Report of the Working Group on Ecosystem Effects of Fishing Activities. ICES CM 2004/ ACE:03 Ref. D, E, G. Murawski, S. A., R. Brown, H.-L. Lai, P. Rago, L. Hendrickson, 2000: Large-scale closed areas as a fishery management tool in temperate marine systems: the Georges Bank experience. Bulletin of Marine Science, 66 (3), 775-798. Murawski, S., P. Rago, M. Fogarty, 2004: Spillover effects from temperate marine protected areas. American Fisheries Society Symposium, 42, 167184. Murawski, S., S. Wigley, M. Fogarty, P. Rago, D. Mountain, 2005: Effort distribution and catch patterns adjacent to temperate MPAs. ICES Journal of Marine Science, 62, 1150-1167. OSPAR, 2003: OSPAR Recommendation 2003/3 on a Network of Marine Protected Areas. OSPAR Convention for the Protection of the Marine Environment of the North-East Atlantic. Meeting of the OSPAR Commission (OSPAR), Bremen: 23 - 27 June 2003. Secretariat of the Convention on Biological Diversity, 2004: Technical Advice on the Establishment and Management of a National System of Marine and Coastal Protected Areas. SCBD, 40 pages, (CBD Technical Series no.13). WSSD – World Summit on Sustainable Development, 2002: The Johannesburg Plan of Implementation. http://www.johannesburgsummit.org/html/documents/summit_docs/2309_planfinal.htm. Literatur Commission of the European Communities, 2002: Communication from the commission to the Council and the European Parliament. Towards a strategy to protect and conserve the marine environment. COM [2002] 539 final. Browman, H. I. and K. I. Stergiou, 2004: Introduction. In: Browman, H. I., Stergiou, K. I. (Idea and coordination): Perspectives on ecosystem-based approaches to the management of marine resources. Mar. Ecol. Prog. Ser. Vol. 274, 269–303. Gell, F. R. and C. M. Roberts, 2003: The fishery effects of marine reserves and fishery closures. WWF-US, Washington, DC. 89 pp. http://www. worldwildlife.org/oceans/pdfs/fishery_effects.pdf. Anschrift des Verfassers: Dr. Christian von Dorrien Bundesforschungsanstalt für Fischerei Institut für Ostseefischerei Alter Hafen Süd 2 18069 Rostock 123 Meeresnaturschutz Schutzgebiete – der große Coup im Meeresschutz?! *) Marine Protected Areas – a big coup for marine environmental protection? IRiS MENN Zusammenfassung Summary Die Erde der blaue Planet: rund 70 % ihrer Oberfläche ist von Ozeanen bedeckt. Von der Wasseroberfläche bis in zehntausend Meter Tiefe, vom Schelf bis zu Hohen See findet sich eine unzählige Vielfalt an Lebensräumen und Meeresorganismen. Nahezu endlos ist jedoch auch die Liste schonungsloser Ausbeutung und Zerstörung der Meere: Fischerei, Öl- und Gasförderung, Sand- und Kiesabbau, Einleitung von Giften und radioaktiven Stoffen etc.. All dies führt dazu, dass Tier- und Pflanzenarten unwiederbringlich verschwinden und einzigartige Lebensräume zerstört werden. Ein Netzwerk von großflächigen Schutzgebieten bietet eine Chance für den Schutz der Meere. Zahlreiche wissenschaftliche Studien z.B. von Gebieten in den USA und den Philippinen belegen ihren positiven Effekt für die Natur. Zum einen können Arten und Lebensräume geschützt werden. Zum anderen können sie die Erholung der Fischbestände ermöglichen. Greenpeace hat konkrete Vorschläge für die Nord- und Ostsee erarbeitet. Für deren Umsetzung ist ein starkes politisches Gremium auf europäischer Ebene nötig, dass die notwendigen Kompetenzen für einen ganzheitlichen Meeresschutz besitzt. Schutzgebiete sind Teil eines Gesamtkonzeptes im Meeresnaturschutz. Weitere Maßnahmen in der Fischerei, bei der Schifffahrt, dem Walschutz etc. sind genauso unerlässlich, um eine ökologisch nachhaltige und sozial verantwortliche Nutzung der Meere zu erreichen. Earth, the Blue Planet: some 70 % of its surface is covered by the oceans. From the sea surface to a depth of ten thousand metres and from the continental shelf to the high seas, they harbour countless habitats and marine organisms. However, there are also innumerable cases of ruthless exploitation and destruction of the oceans: fisheries, oil and gas production, sand and gravel extraction, toxic and radioactive discharges, among others. This leads to the disappearance of animal and plant species and the destruction of unique habitats. A network of large protected areas offers a chance to protect the oceans. Their positive effect on nature has been confirmed in numerous scientific studies of marine areas, e.g. in the U.S.A. and the Philippines. Besides providing effective protection for species and habitats, they also allow fish stocks to recover. Greenpeace has developed concrete measures for the North and Baltic Sea. Their implementation requires strong political support at the European level by a body that has the competences needed to ensure holistic marine environmental protection. Marine Protected Areas form part of a global marine environmental protection concept. Additional measures in fisheries, shipping, and whale protection, among others, will be indispensable to ensure an ecologically sustainable and responsible use of the oceans. *) Ausführliche Artikel zu dieser Thematik wurden von Greenpeace veröffentlicht (siehe Literatur) 125 126 Meeresnaturschutz Abb. 1: Schutzgebiete Nordsee 1) 12-Seemeilen-Zone/ 12 Nautical Mile Zone 2) Ausschließliche Wirtschaftszone/ Exclusive Economic Zone 3) keine echten Nutzungsbeschränkungen/ no strict management regulations 4) ebenfalls in englischer Sprache erhältlich/ this source is also in English available (see references) Meeresnaturschutz Abb. 2: Schutzgebiete Ostsee 1) 12-Seemeilen-Zone/ 12 Nautical Mile Zone 2) Ausschließliche Wirtschaftszone/ Exclusive Economic Zone 3) keine echten Nutzungsbeschränkungen/ no strict management regulations 4) ebenfalls in englischer Sprache erhältlich/ this source is also in English available (see references) 127 128 Meeresnaturschutz Literatur Greenpeace, 2004: Mehr Meer - Ein Vorschlag für Meeresschutzgebiete in Nord- und Ostsee (enthält Kartensammlung). Greenpeace e.V. (Hrsg.), August 2004. Greenpeace, 2004: Marine Reserves for the ������ North and Baltic Seas (Set of Greenpeace maps). Greenpeace e.V. (Edt.), August 2004. Anschrift der Verfasserin: Dr. Iris Menn Biologist Greenpeace Oceans Campaign Greenpeace e. V. Große Elbstr. 39 22767 Hamburg Meeresnaturschutz Aktivitäten zum Schutz der Kleinwale in Nord- und Ostsee unter dem ASCOBANS-Abkommen Activities to protect small cetaceans in the North and Baltic Seas under the ASCOBANS convention STEFAN BRÄGER Zusammenfassung Summary Wale, Delphine und Schweinswale gelten in den meisten Ländern Euopas als besonders schützenswerte Tiere. Dazu wurden unter der Bonner Konvention zum Schutze wandernder Tierarten (CMS) zwei Regionalabkommen geschaffen, u. a. ASCOBANS für NordwestEuropa, welches auch alle deutschen Meeresgebiete einschließt. Seit 1994 versuchen in diesem Abkommen inzwischen zehn Staaten, den Kleinwalschutz gemeinsam voranzubringen. Genaue Bestandsgrößen der Delphine und Schweinswale sind sehr schwer zu erfassen. Eine erste konzertierte Erfassung 1994/95 zeigte, dass zumindest der Ostseebestand des Schweinswals akut bedroht ist. Daraufhin erließ ASCOBANS den Jastarnia-Rettungsplan für den genetisch einzigartigen Ostsee-Schweinswal. Hauptziele sind die Reduktion der Beifangverluste in Fischernetzen und die Schaffung von Meeresschutzgebieten. Mit Letzterem hat Deutschland auch eine Vorgabe der EU umgesetzt, wie die Karte der jüngst gemeldeten Meeresschutzgebiete zeigt. Ostseeweit lassen die Aktivitäten zur Reduktion der Beifangrate in der Stellnetzfischerei allerdings noch zu wünschen übrig, denn eine EU-Verordnung für den Einsatz von Pingern und Beobachtern wirkt hier kaum. Es besteht eindeutiger Nachbesserungsbedarf, wenn der OstseeSchweinswal erfolgreich geschützt werden soll. In most European countries, whales, dolphins, and harbour porpoises are considered to deserve special protection. For that purpose, two regional conventions have been concluded within the framework of the Bonn Convention on the Protection of Migratory Species (CMS), e. g. ASCOBANS for Northwest Europe, which also includes the German marine waters. Since 1994, ten states parties to the Convention have been jointly trying to further the protection of small cetaceans. Stock sizes of dolphins and harbour porpoises are very difficult to ascertain. The first joint survey, carried out in 1994/95, showed that at least the Baltic harbour porpoise stocks are acutely threatened. ASCOBANS reacted by establishing the Jastarnia Plan to save the genetically unique Baltic harbour porpoise. Its principal targets are a reduction of bycatch in fishing nets and the creation of marine protected areas. By establishing the latter, Germany implemented an EU directive, as can be seen in a chart showing recently notified marine protected areas. However, considering the entire Baltic region, activities to reduce bycatch in fixed-net fisheries have not been very effective because an EU ordinance on the use of pingers and observers hardly takes effect here. Measures will have to be improved considerably if protection of the Baltic harbour porpoise is to be successful. Wale, Delphine und Schweinswale stehen in Deutschland unter besonderem Schutz, der auch in verschiedenen internationalen Abkommen festgelegt wurde. Unter der Schirmherrschaft der Bonner Konvention über den Schutz wandernder Tierarten (UNEP/CMS) wurden in Europa zwei regionale Abkommen zum Schutz von Cetacea (Waltiere) im Mittelmeer und Schwarzem Meer (ACCOBAMS) und in Nord- und Ostsee (ASCOBANS) geschlossen. Das „Abkommen zur Erhaltung der Kleinwale in Nord- und Ostsee“ (ASCOBANS) trat am 29. März 1994 in Kraft. Es hat zehn Vertragsstaaten: Belgien, Dänemark, Deutschland, Finnland, Frankreich, Littauen, Niederlande, Polen, Schweden und das Vereinigte Königreich (s. Abb. 1). Delegationen der Vertragsstaaten treffen sich jährlich im beratenden Ausschuss und alle drei Jahre zur Vertragsstaatenkonferenz. Das Abkommen hat ein ständiges Sekre- 129 130 Meeresnaturschutz Abb. 1: ASCOBANS-Vertrags- und Arealstaaten (Stand: November 2005) Quelle: www.ascobans.org tariat mit Sitz in Bonn. Erklärtes Ziel des Abkommens ist die Gewährleistung und Aufrechterhaltung eines günstigen Erhaltungszustandes der Kleinwale in den Gewässern der Vertragsstaaten (inkl. ihrer Ausschließlichen Wirtschaftszonen) und in angrenzenden Meeresgebieten (z. T. auch Hohe See). Die europäischen Meere beherbergen eine Vielzahl von Wal-, Delphin- und Schweinswalarten (Cetacea). In den deutschen Meeresgebieten lebt und reproduziert sich allerdings nur der Schweinswal regelmäßig, verschiedene weitere Arten können jedoch (oftmals durch Strandungen) nachgewiesen werden, z. B. Großer Tümmler, Weißschnauzendelphin und Pottwal. Die Erfassung ihrer Bestände ist notorisch schwierig und bedarf eines hohen personellen, zeitlichen und finanziellen Aufwandes. Im Juli 1994 gelang ein internationaler Survey der Nordsee mit Skagerrak und Kattegat (einschl. Belt- see und Kieler Bucht) sowie kleiner Bereiche des direkt angrenzenden Atlantiks. Im Folgejahr konnte ein Teil der zentralen und westlichen Ostsee abgeflogen und mit Hilfe der Transekt-Zählungen der Schweinswal-Bestand hochgerechnet werden. In der Deutschen Bucht wurde damals der Bestand auf etwa 5912 Schweinswale geschätzt, in der Kieler Bucht auf 588 und zwischen Fehmarn und Öland auf 599 Individuen. Der Schweinswal-Bestand der zentralen Ostsee (etwa östlich der Darßer Schwelle) gilt inzwischen als genetisch und morphologisch verschieden vom nächstgelegenen Bestand des Kattegats und der Beltsee. Die Größe dieser Population ist wegen ihrer extrem geringen Dichte nur schwer zu schätzen, doch dürfte sie heute zwischen 100 und 1000 Individuen liegen und gilt somit als hochgradig im Fortbestand gefährdet. Als Bedrohungsfaktoren gelten (wie auch für viele Cetaceenbestände in anderen Gewäs- Abb. 2: NATURA 2000 Schutzgebietsmeldungen nach FFH-Richtlinie und EU-Vogelschutzrichtlinie in der Deutschen Ausschließlichen Wirtschaftszone (AWZ) sowie Bundesländermeldungen innerhalb des Deutschen Hoheitsbereichs in der Ostsee. Erstellt durch: Bundesamt für Naturschutz (BfN), Fachgebiet Meeres- und Küstenschutz, Stand: 28.04.2004 (Quelle: BfN, www.HabitatMareNatura2000.de) Meeresnaturschutz 131 132 Meeresnaturschutz sern) der unbeabsichtigte Beifang in Fischereigeschirr (z. B. Stell- und Treibnetzen) sowie Verschmutzung (Schwermetalle und organischer Industriemüll), Lärm (durch Schiffsverkehr, geophysikalische Erkundungen, Bauvorhaben und Marine-SONAR) und Habitatverluste (durch Industrieanlagen, Sand- und Kiesabbau etc.). Um das Schutzziel von ASCOBANS zu erreichen, bedient sich das Abkommen verschiedener Mittel wie z. B. der Erstellung sogenannter Erhaltungspläne. Beispielhaft soll im Folgenden kurz der „Recovery Plan“ für den Ostsee-Schweinswal, der sogenannte „Jastarnia-Plan“, vorgestellt werden. Der JastarniaPlan wurde 2002 erarbeitet und von der Vertragsstaatenkonferenz 2003 unterstützt. Er fordert die Vertragsstaaten auf, umgehend einen Maßnahmenkatalog zur Rettung der stark dezimierten Population umzusetzen. Dieser unterteilt sich in fünf Felder: • Reduktion der Beifangverluste • Forschung und Bestandsüberwachung •· Schaffung von Meeresschutzgebieten •· Öffentlichkeits- und Bildungsarbeit •· Zusammenarbeit mit anderen internationalen Organisationen Der Vermeidung des Beifangs in der Fischerei wird die höchste Priorität zugewiesen, wobei eine Reduktion des Fischereiaufwandes bestimmter Fischereien, ein Wechsel zu weniger destruktiven Fischereipraktiken, eine standardisierte Erfassung des Fischereiaufwandes und die kurzzeitige Verwendung von akustischen Unterwasser-Vergrämern (sogenannten Pingern) beschlossen wurden. Bei der Umsetzung des Jastarnia-Planes hat Deutschland bisher eine Vorreiterrolle eingenommen. Es wurden fünf potenzielle FFH-Meeresschutzgebiete in der deutschen Ausschließlichen Wirtschaftszone der Ostsee identifiziert und an die EU gemeldet, von denen vier zwischen Kadetrinne und Pommerscher Bucht liegen (Abb.2, siehe www.HabitatMareNatura2000.de). Der Schweinswal ist auch in der FaunaFlora-Habitat-Richtlinie der EU als „prioritäre“ und somit besonders schützenswerte Art berücksichtigt. Zur weiteren Implementierung des Jastarnia-Planes wurde Mitte 2004 ein F&E-Vorhaben vom Bundesamt für Naturschutz an das Deutsche Meeresmuseum in Stralsund vergeben, welches bis Ende 2007 helfen soll, zwei der drei Forschungsempfehlungen aus dem Jastarnia-Plan in der deutschen Ostsee umzusetzen: • Erkundung der Verwandtschaftsbeziehungen zwischen der Ostsee-Population und der Kattegat-Beltsee-Population •· Entwicklung akustischer Erfassungsmethoden für die Bestandsentwicklung. Für Letzteres verwendet das Deutsche Meeresmuseum sogenannte Klickdetektoren, die unter Wasser verankert werden, um die Lautäußerungen vorbeischwimmender Schweinswale zu erfassen und die Daten zu speichern. Außerdem werden zusammen mit der Universität Potsdam und dem FTZ der Universität Kiel in Büsum tote Tiere bekannter Herkunft genetisch und pathologisch untersucht u.a. auch auf Alter, Reproduktionsstatus, Giftbelastung und Krankheiten. Darüber hinaus wird im Rahmen des Projektes eine Internet-gestützte Datenbank erstellt, in der alle bekannten Sichtungen etc. aus der eigentlichen Ostsee zusammengetragen und einfach zugänglich gemacht werden (www.balticseaporpoise.org). Leider ist die Umsetzung der akzeptierten Verpflichtungen in den anderen Ostsee-Anrainerstaaten noch etwas schleppend. Auch Deutschland hat bisher nicht die als am wichtigsten erkannten Empfehlungen zur Vermeidung des Beifangs durch die Fischerei in Angriff genommen. Die von der EU für die nächsten Jahre vorgeschriebenen Maßnahmen (Pinger auf Schiffen über 12 m Rumpflänge und Beobachter auf etwa 5 % der Schiffe über 15 m Rumpflänge) werden leider in der deutschen Küstenfischerei nicht greifen. Doch mathematische Populationsmodelle zeigen, dass jedes einzelne beigefangene Tier beim derzeitigen Zustand der Population einen nicht zu ertragenden Verlust bedeutet. Anschrift des Verfassers: Dr. Stefan Bräger Deutsches Meeresmuseum Katharinenberg 14 - 20 18439 Stralsund Meeresnaturschutz Die südasiatische Tsunami-Katastrophe – ökologische Aspekte des Desasters und der Folgenbewältigung The Tsunami Catastrophe in South Asia – Ecological Aspects of the Disaster and Management of its Consequences UWE KRuMME Zusammenfassung Summary Bereits vor der Tsunami-Katastrophe im Dezember 2004 befanden sich tropische Mangroven-, Korallenriff- und Seegraswiesenökosysteme in Südasien in einem teilweise kritischen Zustand, hauptsächlich verursacht durch die Nutzung der Küstenzone durch den Menschen. Der Grad der Schädigung bei Korallenriffen durch das Seebeben und den Tsunami reicht von totaler Zerstörung bis hin zu keinen äußerlich erkennbaren Schäden. Mangroven wurden, je nach Standort und Ausdehnung, komplett entwurzelt, nur an der Seeseite beschädigt oder blieben vollständig verschont. Seegraswiesen sollen nur schwach (<10%) betroffen sein. Intakte und gesunde Korallenriffe und Mangroven schützten dahinterliegende Küstenabschnitte und führten zu geringeren Schäden an Land. Die Schutzwirkung von Mangroven ist offenbar eng an Waldbestände aus echten Mangrovenbaumarten geknüpft, deren Struktur nicht durch mangroven-assoziierte Festlandvegetation verändert worden ist. In der Region kostet die Wiederaufforstung von Mangroven zwischen 100 und 300 US$ pro ha und ist damit eine preiswerte Option für den Schutz der Küsten. Tropische Salzwiesen, Sanddünen, Kokosnuss- und Ölpalmplantagen können ebenfalls zum Schutz vor Flutwellen beitragen. Das Hauptproblem bleibt weiterhin die anthropogene Vorschädigung der Küstenökosysteme, die die Rehabilitationsfähigkeit von Mangroven und Korallenriffen gegenüber natürlichen Störungen drastisch herabsetzt. Zukünftige Managementbemühungen sollten sich den Erhalt intakter und die Wiederherstellung degradierter Küstenökosysteme zum Ziel setzen. Prior to the December 2004 tsunami in South Asia, tropical mangrove, coral reef and seagrass meadow ecosystems were in a critical condition, mainly due to anthropogenic use of the coastal zone. The amount of damage to the coral reefs caused by the seaquake and tsunami varied from total destruction to complete absence of damage. Damage to mangroves ranged from complete uprooting in some seaward locations to complete absence of damage in nearshore areas. Damage to seagrass beds was observed to be low (<10%). Intact and healthy coral reefs and mangroves provided shoreline protection and led to lower damage on land. In the case of mangroves, this includes stands consisting of true mangrove species (e.g. non-invasive terrestrial vegetation). In South Asia, the cost of mangrove reforestation ranges between 100 and 300 US$ per ha, providing a low-cost option for rehabilitation. Tropical salt marshes, sand dunes, and dense coconut and oil palm tree corridors can also contribute to coastal protection against ocean-related disasters. The main problem still is the anthropogenic degradation of coastal ecosystems, which dramatically reduces the resilience of mangroves and coral reefs to natural disturbances. Future management efforts should focus on the conservation of intact and rehabilitation of degraded coastal ecosystems. 133 134 Meeresnaturschutz Weltweit sind allein in den letzten 20 Jahren rund 30 % der Mangroven abgeholzt worden. Mehr als 50 % der weltweiten Verluste an Mangrovenfläche gehen einzig und allein auf die Umwandlung der Gezeitenwälder in Garnelen- und Fischzuchtteiche zurück (Valiela et al. [2001]). Andere Ursachen für den dramatischen Rückgang an Mangrovenfläche sind z. B. die Rodung für Land- und Forstwirtschaft, Salzgewinnung, Erdölförderung oder Urbanisierung (Bau von Hafen- und Industrieanlagen, Strassenund Siedlungsbau). Einleitung Am 26. Dezember 2004 führte ein Seebeben der Stärke 9,0 auf der Richterskala im Nordwesten Sumatras zu einem Tsunami, dem an den Küsten Südasiens fast 300.000 Menschen zum Opfer fielen. Über die Auswirkungen des Tsunamis auf die tropischen Mangroven-, Korallenriff- und Seegraswiesenökosysteme an den Küsten Südasiens war anfangs nur wenig bekannt. Die bis Ende August 2005 vorliegende Information - basierend auf Internet-Recherchen sowie Kontakten und Aktivitäten von ZMT-Mitarbeitern in der Region - sind nachfolgend aufgearbeitet. Insbesondere geht es um Mangroven und Korallenriffe, ihre ökologische Situation vor und nach dem Seebeben und dem Tsunami, sowie ihre Rolle im Schutz vor Naturkatastrophen. Die Analyse von Satellitendaten zeigt, dass bereits zu Beginn der 90er Jahre in Südasien Mangroven großflächig gerodet worden waren (Tabelle 1). In Thailand und Indien war der Verlust an Mangrovenfläche besonders hoch. Es muss davon ausgegangen werden, dass die Verluste an Mangrovenfläche insbesondere nach der Finanzkrise 1997/98 in Südostasien weiter zugenommen haben. Um Devisen ins Land zu holen, wurde die Anlage von Garnelenzuchtteichen, und damit die Rodung von Mangroven, staatlich gefördert. Ein großer Teil der in den Tropen produzierten Garnelen wird nicht in den Ländern selbst verzehrt, sondern nach Europa oder in die USA exportiert. Somit war das wahre Ausmaß der Abholzung von Gezeitenwäldern in Südasien vor dem Tsunami sehr wahrscheinlich deutlich größer als es die Tabelle 1 zeigt. Status tropischer Küstenökosysteme in Südasien vor dem Tsunami Mangroven Mangroven sind salztolerante Gehölzformationen tropischer und subtropischer Küsten. Das Erscheinungsbild von Mangroven reicht, je nach Küstenstandort, von wenige Meter hohem Strauchbewuchs bis hin zu Wäldern mit 25 m hohen Bäumen. Land Verlust an Mangrovenfläche Jahr der frühesten und letzten Flächenschätzung Thailand - 55 % 1961 - 1993 Indien - 48 % 1963 - 1992 Myanmar - 27 % 1965 – 1994 Bangladesch - 10 % 1980 - 1997 / / - 67 % 1982 - 1993 Sri Lanka Provinz Aceh Sumatra (Indonesien)* Tab. 1: Verlust an Mangrovenfläche nach Ländern in Südasien. Aus: Valiela et al. [2001] und *Tomascik et al. [1997] Meeresnaturschutz Korallenriffe Korallenriffe zählen mit einer mittleren jährlichen Verlustrate von 1 % nach Mangroven mit 2,1 % zu den am stärksten gefährdeten Ökosystemen unseres Planeten. Dies spiegelt sich auch im Zustand der Korallenriffe Südasiens wieder, die teilweise stark vorgeschädigt waren (Tabelle 2). Mehr als ¾ der Riffe in Indonesien und Thailand werden in die Kategorie „mittlere bis hohe Gefährdung“ eingestuft (Burke et al. [2001]). Land Anteil der Korallenriffe mit mittlerer bis hoher Gefährdung Indonesien 86 % Thailand 77 % Myanmar 56 % Andamanen/Nikobaren (Indien) 55 % Sri Lanka 45 % Indien (Festland) 25 % Malediven 25 % Tab. 2. Anteil der Korallenriffe mit mittlerer bis hoher Gefährdung (%) nach Ländern in Südasien. Aus: Burke et al. [2001] Die Hauptursache für die Gefährdung der Korallenriffe ist die zerstörerische Nutzung der Küstenzone durch den Menschen. Überfischung, Verschmutzung der Küstengewässer, Dynamitfischerei, Bioerosion, Krankheiten bei wichtigen Herbivoren wie Diadema-Seeigeln und der Klimawandel setzen den Riffen weltweit stark zu. Der Resilienz-Verlust der ���� Riffökosysteme���������������������������������� ist durch die weltweite Korallenbleiche im El Niño–Jahr 1998 unterstrichen worden. Viele Riffsysteme haben sich bis heute nicht vollständig von dem „Coral bleaching“ erholt. Seegraswiesen Zu Seegraswiesen gibt es bisher keine vergleichbaren Analysen. Wie aber bei Mangroven und Korallenriffen auch, bemerkt man weltweit einen teils dramatischen und beschleunigten Rückgang in der Verbreitung von Seegraswiesen (Green and Short [2003]). Neben direkter Zerstörung spielen erhöhte Wassertrübung durch verstärkte Nährstoff- und Sedimenteinträge in Küstengewässer sowie Klimaänderungen eine Rolle. Anders als bei Mangroven, wo die Hauptursache für den Flächenverlust die Abholzung (hauptsächlich zur Anlage von Garnelenzuchtteichen) ist, führt bei Seegraswiesen und auch bei Korallenriffen meist das Zusammenspiel mehrerer Faktoren gleichzeitig zu einer schleichenden Veränderung und Degradation der Ökosysteme. Zusammenfassend gilt: Küstenökosysteme wie Mangroven und Korallenriffe befanden sich bereits vor dem Tsunami in Südasien in einem teilweise kritischen Zustand, hauptsächlich verursacht durch die verstärkte Nutzung der Küstenzone durch den Menschen. Situation der Küstenökosysteme nach dem Seebeben und der Tsunami-Katastrophe Bei jedem Erdbeben bzw. Seebeben können die Schwingungen und Vibrationen zur Verflüssigung wassergesättigter Böden führen (Bodenverflüssigung). Die Fähigkeit des Bodens, Vegetation oder Gebäude zu stützen, ist dann reduziert. In einem unveröffentlichen Berichtentwurf des Indonesischen BPPT (Agency for the Assessment and Application of Technology) wird gezeigt, dass die Schwingungen des Seebebens an einigen Küstenstreifen Sumatras (z. B. im Ästuar des Kr. Meureubo) zur Verflüssigung schlammiger Böden führte. Dieser Verlust an Festigkeit und Steifheit des Bodens tritt unabhängig davon auf, ob es in der Folge des Seebebens zu einem Tsunami kommt, oder nicht. Küstenabschnitte, deren Böden sich verflüssigen, können von den nachfolgenden Flutwellen stark deformiert werden. Dies war z. B. am Tanjung Sudhen Kap in der Nähe von Lamno (Nordwest-Sumatra) der Fall, wo eine Halbinsel vom Festland abgetrennt wurde und sich so eine neue Insel bildete (Quelle: BPPT). Sumatra ist mit Abstand am schwersten von der Flutwelle getroffen worden. Die Flutwellen des Tsunamis überschwemmten weite Küstenstreifen. Salzwasser- und Sedimenteintrag reichten in Sumatra und Sri Lanka im Mittel 1 bis 2 km weit ins Landesinnere hinein. An einigen Stellen, wie Banda Aceh, das im Mündungsbereich des Krueng Aceh Flusses liegt, floss die Welle sogar 4 km weit ins Landesinnere hinein. Die Zerstörung an Land war von ungekanntem Ausmaß. Landverbindungen wurden gekappt, die Küstenlinien, insbesondere in Sumatra, wurden groß- 135 136 Meeresnaturschutz flächig verändert. An Land wurden Siedlungen, Fabriken, landwirtschaftliche Flächen (vor allem Reisflächen), Garnelen- und Fischzuchtteiche zerstört. Zahllose Boote und die Arbeitsgerätschaften der Fischer wurden durch die Flutwelle zerstört. Mangroven Mangroven wachsen nur dort, wo die Küsten flach und schlammig sind. Aber gerade hier können Tsunamis potentiell die größten Schäden anrichten. Es gibt noch keine endgültigen Angaben zu den Schäden, die der Tsunami an den Mangrovenwäldern Südasiens verursacht hat. Allein in Sumatra sollen 40000 ha Mangroven zerstört worden sein (Quelle: AFP, 18. April 2005). Mangroven wurden, je nach Standort und Ausdehnung, komplett entwurzelt, nur an der Seeseite beschädigt oder blieben vollständig verschont. Basierend auf Interviews und semi-quantitativen Vegetationsaufnahmen nach dem Tsunami zeigen Dahdouh-Guebas et al. [2005] für Sri Lanka, dass Mangroven die Gemeinden, an deren Küsten sie vorkamen, vor den Flutwellen schützten. Dabei hatten natürliche Mangrovenwälder die beste Schutzfunktion. Laut ihrer Umfragen und Analysen der Waldstruktur gibt es drei Faktoren, die die Fähigkeit der Mangroven, Küstengemeinden zu schützen, beeinträchtigen: 1)vollständige Rodung, 2) unvollständiges Nachwachsen nach einer Abholzung, 3)degradierte Mangrovenbestände als Folge anthropogener Nutzung, d. h. veränderte Vegetationsstruktur aufgrund der Dominanz mangroven-assoziierter Festlandvegetation (z. B. salzwassertolerante Farne) an Standorten, an denen früher echte Mangrovenvegetation (Baumbestände z. B. aus der Familie der Rhizophoraceae) vorherrschte. Dahdouh-Guebas et al. [2005] unterstreichen die Tatsache, dass Mangroven eine bedeutende Rolle im Küstenschutz spielen, jedoch mit Betonung darauf, dass die Schutzwirkung offenbar eng an die Artenzusammensetzung eines Mangrovenwaldes und den Grad der Degradation geknüpft ist. Die anthropogene Degradation der Mangroven verschlimmerte die Schäden, die der Tsunami an den Küsten angerichtet hat. Dahdouh-Guebas et al. [2005] erwähnen ebenfalls, dass auch Salzwiesen und Sanddünen zum Schutz vor Flutwellen beitragen. Es ist wichtig darauf hinzuweisen, dass es bisher sehr wenige wissenschaftliche Erkenntnisse zur Küstenschutzfunktion von Mangroven oder Korallenriffen gibt (Danielsen et al. [2005]). Die Informationen, die wir zur Zeit haben, basieren fast ausschließlich auf sozio-ökonomischen und ethno-botanischen Umfragen; sie sind das Ergebnis von Interviews, in denen traditionelle, ökologische Kenntnisse der Küstenbewohner analysiert wurden, wie z. B. in DahdouhGuebas et al. [2005] oder Badola and Hussain [2005]. Von den Naturwissenschaften gibt es bisher nur sehr wenig Daten, um die Nullhypothese testen zu können, dass Mangroven und Korallenriffe die gleiche Schutzfunktion gegen Naturkatastrophen haben wie andere Küstenökosysteme (Salzmarschen, Wattflächen, Sanddünen). Mazda et al. [1997] quantifizierten die Schutzfunktion eines wiederaufgeforsteten Mangrovenwaldes in Nordvietnam. Dabei reduzierte der Mangrovenwald die Höhe einer Welle alle 100 m um 20 cm, d. h. um 20 %. Aufgrund der hohen Dichte der Mangrovenvegetation in der gesamten Wassersäule war der Bremseffekt des Waldes auch bei zunehmender Überflutungshöhe unverändert hoch. Die Bedeutung von Mangroven im Schutz vor Flutwellen geht vor allem auf zwei Eigenschaften zurück: 1)Die Mangrovenbäume und ihr einzigartiges, oberirdisches Wurzelsystem aus Stelz- und Atemwurzeln können einen beträchtlichen Teil der Energie einer Welle absorbieren. Beim Zurückweichen des Wassers können die Bäume verhindern, dass Menschen und Trümmer ins Meer hinausgezogen werden. 2)Typischerweise haben größere Mangrovengebiete ein weit verzweigtes Netz aus Gezeitenprielen, deren schlammige Ufer von den Mangrovenwurzeln stabilisiert werden. Das Wasser einer Flutwelle wird, sobald es in solche großen Mangrovengebiete einläuft, in das weit verzweigte Kanalsystem geleitet. Dadurch wird die Energie einer Welle weiträumig verteilt. Wenn die Mangrovenbestände allerdings nur sehr klein sind (natürlicherweise oder durch Abholzung), können die Bäume auch komplett entwurzelt werden, mit fatalen Folgen für die dahinterliegenden Küstenbereiche. Es gibt eine ganze Reihe von Anekdoten und Beobachtungen aus Thailand, Sri Lanka und Sumatra, die die in Dahdouh-Guebas et al. [2005] beschriebene Meeresnaturschutz Küstenschutzwirkung von Mangroven für die betroffenen Küstenabschnitte und angrenzenden Siedlungen bestätigen. Badola and Hussain [2005] quantifizieren die Sturmschutzfunktion in drei Siedlungen in Orissa, Indien: eine durch Mangroven geschützte Siedlung, eine un- geschützte Siedlung und eine Siedlung ohne Mangroven, aber mit einem seeseitig gelegenen Damm. Die geringsten wirtschaftlichen Schäden nach Zyklonen traten in der Siedlung mit Mangroven auf. Interviews zeigten klar, dass die Bevölkerung sich des Schutzes von Besitz und Menschenleben durch Mangroven sehr bewusst ist. Abb. 1: Seeseite eines Mangrovenwaldes bei Niedrigwasser: intakte Mangroven schützten Küsten vor Flutwellen Foto: Dr. Tim Jennerjahn (ZMT) 137 138 Meeresnaturschutz Kokosnuss- und Ölpalmplantagen An sandigen Küsten in Sumatra haben dichte Kokosnuss- und Ölpalmplantagen die Energie der Welle abgepuffert und dahinterliegende Siedlungen geschützt (Quelle: BPPT). Die Plantagen selbst waren nur seeseitig beschädigt (freigespültes Wurzelwerk). Die Bremswirkung von Küstenvegetation hängt ab von der Energie der Welle, die auf die Küste trifft und der Breite und Dichte bzw. der Struktur der Vegetation. Den besten Schutz bietet allem Anschein nach natürliche Vegetation, wie die Mangroven an flachen, schlammigen Küsten. Weniger gut als Küstenschutz geeignet sind Reinkulturen wie Ölpalm- oder Kokosnussplantagen. Sie eignen sich aber immer noch besser als annuelle Kulturen aus Reis oder Gemüse oder als Garnelenzuchtteiche. Korallenriffe Zu Korallenriffen liegen bisher die meisten Beobachtungen und Informationen vor. Vorläufige Ergebnisse der Analysen an Korallenriffen nach dem Tsunami sind in Tun et al. [2005] zusammengestellt. Bisher lassen sich folgende Verallgemeinerungen ableiten: • Der Grad der Schädigung der Korallenriffe durch das Seebeben und den Tsunami reicht von totaler Zerstörung (z. B. herausgehobene Korallen vor Simeulue/Sumatra, 40 km vom Epizentrum entfernt) bis hin zu keinen äußerlich sichtbaren Schäden. • Das Seebeben einerseits und der Tsunami andererseits wirkten sich unterschiedlich auf Korallenriffe aus. Das Seebeben führte zu direkter, physikalischer Schädigung der Riffe (Bsp. Simeulue). Offenbar verursachte die Ablagerung von Schutt und Sediment durch das Rückströmen der Welle grössere Schäden an Korallenriffen als der Tsunami selbst. • Schädigungsgrad an den Korallenriffen und den dahinterliegenden Küstenabschnitten entsprachen sich häufig nicht. Z. B. war die Schädigung an den Riffen vor Patong, Phuket, gering, während die Schäden an Land stark waren. • Moderate bis starke Schäden an Korallenriffen waren eng geknüpft an intensive menschliche Nutzung der benachbarten Küstenabschnitte. So wurden z. B. die Korallenriffe vor Phi Phi Island, einem Touristenzentrum in Thailand, stark durch den Eintrag von Strandschirmen, Möbeln, Fahrzeugen und terrestrischer Vegetation in Mitleidenschaft gezogen. • Die Fischfauna der Korallenriffe (verglichen wurden Diversität und Häufigkeit einzelner Rifffischarten) blieb trotz Tsunami unverändert. • An einigen Riffen, die schon vor dem Tsunami keine substanzielle Bedeckung mit lebenden Korallen hatten, wurden überproportional starke Schäden registriert. • Das Vorhandensein von intakten und gesunden Korallenriffen (zusammen mit benachbarten Mangroven und Seegraswiesen) schützte dahinterliegende Küstenabschnitte und führte zu geringeren Schäden an Land. Ein Rapid-Assessment nach dem Tsunami in Thailand fand einen deutlichen Nord-Süd-Gradienten mit abnehmenden Schäden gen Süden (Tabelle 3). Alle inspizierten Riffe in Thailand sind vom Tsunami betroffen, aber der Norden Thailands am stärksten. Der Bereich südlich von Phuket blieb relativ verschont, weil der Küstenabschnitt bereits in der Abdeckung durch Nordsumatra liegt. Provinz bzw. Ort (von Norden nach Süden) Betroffene Riffe Davon mit hohen Schäden Ranong 100 % 100 % Phang Nga 71 % 18 % Surin Island 100 % 19 % Similan Island 71 % 18 % Phuket 43 % 0% Krabi 60 % 7% Phi Phi Island 67 % 7% Trang 75 % 0% Satun 29 % 3% Tab. 3. Schäden durch den Tsunami vom 26. Dezember 2004 an Korallenriffen in Thailand. Daten von Phuket Marine Biological Centre (PMBC) Wenn Riffe im Schutz von Inseln liegen, können die Schäden durch eine Flutwelle gering sein. Comley et al. [2005] von der Coral Cay Conservation gehen davon aus, dass in den Surin Islands (Andamanensee) weniger als 10 % der Korallen geschädigt wurden. Eine Reef Check-Expedition im Februar 2005 nach Myanmar konnte keine tsunamibedingten Schädigungen an den untersuchten Riffen feststellten. Auf dem flachen Küstenschelf war die Energie der Welle offenbar durch die Andamanen und Nikobaren schon stark abgepuffert worden. Als Beispiel für vorgeschädigte Riffe findet man vor Phuket, Thailand, bis in 13 m bzw. 18 m Wassertiefe Meeresnaturschutz umgekippte und zerstörte Korallen. Meterbreite Korallenblöcke sind durch die Energie der Welle aus dem Riff gesprengt worden. Dabei sind exponierte und geschwächte Korallen am stärksten betroffen. Interessant ist, dass es eine kleinräumige Heterogenität in den Schäden gibt. Man kann intakte neben zerschmetterten Korallen finden. Wenn die Energie der Welle beim Auftreffen auf das Riff frei wird, geschieht dies offenbar sehr heterogen, mit starker Variation in der Energieverteilung. In energiearmen Bereichen oder im Aufprallschatten bleibt das Riff unbeschädigt. Die Schutzfunktion von Korallenriffen begründet sich auf ihrer Eigenschaft als Unterwasser-Bollwerke, die beträchtliche Wellenenergie absorbieren können. Korallenriffe sind lebende Schutzwälle aus Kalk. An der Südwestküste Sri Lankas führte der illegale Abbau von Korallen (für den Häuserbau oder Souvenirbedarf) zu Lücken in den Riffen. Durch solche Korridore konnte der Tsunami an einer Stelle 1,5 km weit landeinwärts strömen, traf einen Passagierzug und tötete 1700 Menschen, während wenige Kilometer entfernt nur 50 m Küstenstreifen überschwemmt wurden und keine Menschen zu Schaden kamen (Marris [2005]). Sheppard et al. [2005] zeigten am Beispiel der Seychellen, dass Korallenriffe generell Küsten vor Erosion durch Wellen schützten. Wenn Korallenriffe gesund und in gutem Zustand sind, können sie sich relativ schnell auch von starken Störungen erholen. Wirbelstürme sind in der Südsee häufig, trotzdem gibt es dort die am besten erhaltenen Riffe der Welt. Sind die Nachschubwege für Larven der Korallen gesichert, kann die Wiederbesiedlung zerstörter Bereiche relativ schnell erfolgen. Einige Beobachter berichteten, dass die Rekrutierung mit juvenilen Stadien in geschädigten Riff-Bereichen nach dem Tsunami in Südasien bereits eingesetzt hatte. Bei stark vorgeschädigten Riffen, wie sie in der Krisenregion häufig sind, ist das Regenerationspotential jedoch wahrscheinlich herabgesetzt, bzw. die Regeneration erfolgt langsamer. Die bisher an Riffen durchgeführten Untersuchungen beschreiben erst einmal nur den Zustand direkt nach dem Tsunami. Ein wichtiger Aspekt, der bisher noch nicht diskutiert wurde, sind die Spätfolgen, die erst nach einigen Monaten auftreten können. Welche Auswirkungen hat es für ein Riff, wenn die Energie einer Tsunamiwelle metergrosse Korallenblöcke heraussprengen kann? Bei einem Assessment direkt nach einem Wirbelsturm wurden in der Karibik nur geringe Schäden an den Riffen festgestellt. Einige Monate später zeigten dann grosse Teile der Riffe Schäden Spätfolgen des Wirbelsturmes, die erst zeitverzögert sichtbar wurden. Die ökologischen Spätfolgen von Extremereignissen wie Wirbelstürmen oder Flutwellen sind für Korallenriffe oder Mangroven noch wenig verstanden, insbesondere wenn Naturkatastrophen stark vorgeschädigte Küstenökosysteme treffen. Um diese Spätfolgen verstehen zu können, ist die regelmäßige Beobachtung des Erholungsprozesses notwendig, unterstützt durch Forschung. Seegraswiesen Zur Situation bei Seegraswiesen nach der TsunamiKatastrophe ist leider nur wenig Information verfügbar. Aus Thailand und Sri Lanka wird berichtet, dass 5 bzw. 7 % durch den Tsunami stark geschädigt sein sollen. Ob diese Werte aber stimmen, ist unklar, da bisher nur wenige Seegraswiesenbestände untersucht wurden. Eine direkte Schutzfunktion gegenüber Flutwellen haben Seegraswiesen nicht. Sie spielen jedoch eine wichtige Rolle im Küstenschutz, denn Seegraswiesen festigen das Substrat, reduzieren die Strömungsgeschwindigkeit und fördern die Sedimentation. Ökologische Herausforderungen dem Tsunami nach Durch die Nachfrage im Bausektor steigt der Holzbedarf, der aus dem Hinterland gedeckt wird. Es ist davon auszugehen, dass sich dort der Druck auf die natürlichen Ressourcen weiter erhöht. Versalzung, Sedimentation und Verschmutzung sind meist großflächig eingetreten, mit entsprechend fatalen Konsequenzen für die küstennahe Landwirtschaft. Die Wiederherstellung der Anbauflächen geschieht oft in Eigeninitative und wird voraussichtlich einige Jahre dauern. Die Fischerei hat eine radikale Kapazitätsreduktion erfahren. Das dürfte den Druck auf die Fischereiressourcen, die stark überfischt sind, erst einmal reduzieren. Fischergemeinschaften sind traditionell an die Küste gebunden. Viele werden in die Fischerei zurückkehren wollen. Aber insbesondere jungen Fischern müssen Jobalternativen angebo- 139 140 Meeresnaturschutz ten werden, um längerfristig eine erneute Überfischung zu vermeiden (Pauly [2005]). Wenn erneute Wiederaufrüstung der Fischerei wirklich unterstützt werden soll, dann durch Geld für den Bau lokaler Boote vor Ort. Lindenmayer und Tambiah [2005] weisen darauf hin, dass Tsunamis und generell Naturkatastrophen wie Feuer, Überflutungen oder Wirbelstürme auch positive Effekte für Ökosysteme haben. So haben die enormen Mengen an Sand, die der Tsunami umgelagert hat, sicherlich zu einer Verbesserung der Umweltbedingungen für einige Meeresbewohner geführt, z. B. für bedrohte Schildkrötenarten, die an Stränden neue Nistmöglichkeiten finden können. Hilfsorganisationen betonen die Notwendigkeit, Schutt und Trümmer zu entfernen. Bei den Aufräumarbeiten sollte jedoch darauf geachtet werden, dass die positiven Effekte der Naturkatastrophe nicht zunichte gemacht werden. Der Anlage von Deichen ist in Südasien angesichts der notwendigen Kosten für Bau und Wartung unrealistisch. Umso bedeutender ist die Rolle, die natürliche Schutzwälle wie Korallenriffe und Mangroven spielen (UNEP-WCMC [2006]). Sie haben gegenüber technischen Lösungen wie Deichen zwei unschlagbare Vorteile: 1) Im Schadensfall wachsen sie einfach wieder nach, ohne Kosten zu verursachen. 2) Sie versorgen die Küstenbevölkerung in der gesamten Zeit zwischen Schadensfällen mit Ressourcen (z. B. Fisch und anderen Meeresfrüchten sowie Mangrovenholz) und ökologischen Leistungen (wie Arbeitsplätzen, Einkommen aus Tourismus oder der Funktion als Kinderstube für Jungfische und Garnelen). Zusätzlich verhalten sich Mangroven bei Stürmen und Flutwellen elastisch, nicht statisch, wie z. B. Deiche. Die Küstenschutzfunktion von Korallenriffen und Mangroven ist nicht nur relevant bei so seltenen Ereignissen wie Tsunamis, sondern vielmehr noch bei den regelmässig auftretenden tropischen Wirbelstürmen. Emanuel [2005] zeigte, dass die Zerstörungskraft (gemessen an der Stärke und Lebensdauer) dieser tropischen Wirbelstürme in den letzten 30 Jahren signifikant zugenommen hat. Folglich sollten sich Länder der Tropen und Subtropen, die regelmässig von Wirbelstürmen heimgesucht werden, verstärkt für die natürliche Schutzwirkung ihrer Küstenökosysteme (Mangroven, Korallenriffe) einsetzen. Im Wesentlichen sind sich marine Ökosysteme wie Korallenriffe und Seegraswiesen nach dem Tsunami selbst überlassen worden. In der Provinz Aceh wurde die Bedeutung von Mangroven für den Küstenschutz offenbar jedoch erkannt. Der indonesische Forstminister hat versprochen, innerhalb von 4 Jahren 15000 ha staatlich wieder aufzuforsten. Erfahrung zu Wiederaufforstung von Mangroven ist in der Region reichlich vorhanden (Saenger [2002]). Wichtig ist es, die lokale Bevölkerung von Anfang an mit einzubeziehen, z. B. wenn es um die Auswahl der Baumarten geht. Bestimmte Arten haben bessere Eigenschaften als Bauholz, Brennholz oder für die Holzkohlegewinnung als andere. Nicht alle Arten wachsen unter allen biogeochemischen Bedingungen. Wie bei Festlandwäldern ist auch die Wiederaufforstung von Mangroven eine langangelegte Investition. Es dauert 20 bis 30 Jahre, bis sich aus einer Pflanzung ein richtiger Wald entwickelt hat. Die Kosten einer Wiederaufforstung in Indien, Malaysia oder Thailand liegen zwischen 100 und 300 US $ pro Hektar wiederaufgeforstete Mangrove (Tabelle 4) und und sind damit eine preiswerte Option für den Schutz der Küsten. Land Indien Preis (US$ pro ha) 70 - 122 Thailand 140 Malaysia 314 Florida (USA) 20.000* Tabelle 4. Kosten für die Wiederaufforstung von Mangroven in verschiedenen Ländern *: Höhere Kosten aufgrund des höheren Lohnniveaus. Aus: Saenger [2002] Das Hauptproblem bleibt jedoch weiterhin die anthropogene Vorschädigung der Küstenökosysteme, die die Rehabilitationsfähigkeit von Mangroven und Korallenriffen gegenüber natürlichen Störungen drastisch herabsetzt. In diesem Fall hat der Tsunami auf die grossflächige Abholzung und Degeneration von Mangrovenwäldern aufmerksam gemacht, 1998 lenkte das weltweite Ausbleichen der Korallen den Blick der Weltöffentlichkeit auf die zunehmende Schädigung und Schwächung dieses anderen, wichtigen tropischen Ökosystems. Der Schwerpunkt ökologischer Massnahmen muss die Erhaltung und Wiederherstellung intakter Küstenökosysteme������������������������������ sein. Viele Küstenökosysteme befinden sich am Rand der Belastbarkeit. Die Ein- Meeresnaturschutz richtung großer Meeresschutzgebiete (Marine Protected Areas oder MPAs) kann hier helfen (siehe Symposiumsbeitrag von C. v. Dorrien). Kontrolle und Zusammenarbeit mit den Fischern und Küstenbewohnern ist notwendig, damit Schutzgebiete nicht nur auf dem Papier bestehen („paperparks“). Einen klarer Hinweis zur Größe von MPAs kommt vom Great Barrier Reef in Australien. Das Great Barrier Reef gilt als der Vorzeige-Meerespark schlechthin. Sein Management kann auf jahrzehntelange Forschungserfahrung zurückblicken. Waren bis 2004 weniger als 5 % der Parkfläche als fischereifreie Bereiche (No-Take-Zones) ausgewiesen, so sind seit 2005 33 % der Gesamtfläche zu fischereifreien Gebieten erklärt worden. Dabei müssen kleinskalige Erfolge in der Ausweisung von Schutz- oder fischereifreien Gebieten Hand in Hand gehen mit überregionalen Schutzbemühungen. Was Korallenriffe betrifft, geht es hier z. B. um den Bau von Kläranlagen oder einem RiffFischereimanagement, dass sich an dem Schutz funktionaler Fischgruppen wie herbivoren Fischarten orientiert (Bellwood et al. [2004]). Angesichts globaler Klimaveränderungen, zunehmendem Druckes auf die natürlichen Ressourcen tropischer Küsten und unseres geringen wissenschaftlichen Kenntnisstandes zur Schutzfunktion tropischer Küstenökosysteme besteht dringender Forschungsbedarf in diesen Bereichen. Abschließend seien drei Bereiche genannt, in denen ökologische Forschung einen wichtigen Beitrag zu den weltweiten Bemühungen zum Schutz tropischer Küsten leisten kann: • Die Kartierung der Verteilung und Untersuchung der Artengemeinschaften und des ökologischen Zustandes tropischer Küstenökosysteme ist dringend erforderlich. Dabei geht es um die detaillierte Untersuchung der Bathymetrie und der Bio-Geomorphologie im Flachwasserbereich vor der Küste, um aus dieser für den Aufbau einer Flutwelle so wichtigen Zone Informationen für die Modelle der TsunamiFrühwarnsysteme zu gewinnen. Daran geknüpft kann ein regelmässiges Monitoring der Küstenökosysteme Basisinformationen für Vergleiche (räumlich und zeitlich) zur Verfügung stellen. •· In einem zweiten Schritt kann diese Information genutzt werden, um Beziehungen zwischen Küstencharakteristika und der Schutzfunktion einzelner Küstenökosysteme aufzustellen. Aktuelle Fragen sind: Wie breit muss ein Mangrovengürtel sein, um eine Schutzfunktion ausüben zu können? Welche Muster an Diversität (Baumarten) und Baumdichte ergeben die beste Bremswirkung gegen Wellen? •· Es dauert mehr als 20 Jahre, bis sich ein wiederaufgeforsteter Mangrovenbestand zu einem Wald entwickelt hat. Ökologische Modellierung, auf Feldforschung basierend, kann hier helfen, Simulationsmodelle zu Waldwachstum und zur Vorhersage der Walddynamik bei verschieden starker Vorschädigung zu entwickeln. So können modellhaft Szenarien entworfen werden, die die Entwicklung von Managementstrategien unterstützen können. Danksagung Mein Dank für Kommentare und Diskussionen geht an Dr. Susanne Eickhoff, Dr. Eberhard Krain, Dr. Georg Heiss und Dr. Claudio Richter. Literatur Badola, R. and S. A. Hussain, 2005: Valuing ecosystem functions: an empirical study on the storm protection function of Bhitarkanika mangrove ecosystem, India. Environmental Conservation, 32(1), 85-92. Bellwood, D. R., Hughes T. P., Folke C., and M. Nyström, 2004: Confronting the coral reef crisis. Nature, 429, 827-833, doi:10.1038/nature 02691. Comley, J., et al., 2005: The impact of the December 2004 Indian Ocean tsunami on the coral reef resources of Mu Ko Surin Marine National Park, Thailand. Coral Cay Conservation. Nature, 12. April 2005, doi:10.1038/news 050411-3. Dahdouh-Guebas F., Jayatissa, L. P., Di Nitto, D., Bosire, J.O., Lo Seen, D., and N. Koedam, 2005: How effective were mangroves as a defense against the recent tsunami? Current Biology,15 (12), 443447. Danielsen, F., Sørensen, M. K., Olwig, M. 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