PDF - Kölner Philharmonie

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Jean-Guihen Queyras
Sonntag
21. Dezember 2014
18:00
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Ricola-Kräuterbonbons bereit und händigen Ihnen Stofftaschentücher des Hauses
Franz Sauer aus.
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dass wir Sie nicht sofort einlassen können. Wir bemühen uns, Ihnen so schnell wie
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ist eine schöne und respektvolle Geste gegenüber den Künstlern und den anderen
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Bonuskonzert: Quartetto
Jean-Guihen Queyras Violoncello
Sonntag
21. Dezember 2014
18:00
Pause gegen 18:50 und 20:10
Ende gegen 21:30
PROGRAMM
Ivan Fedele *1953
Arc-en-ciel (2004)
Präludium für die Suite Nr. 1 G-Dur BWV 1007
für Violoncello solo von Johann Sebastian Bach
Johann Sebastian Bach 1685 – 1750
Suite für Violoncello solo Nr. 1 G-Dur BWV 1007 (um 1720)
Prélude
Allemande
Courante
Sarabande
Menuet I & II
Gigue
Gilbert Amy *1936
Ein … Es Praeludium (2006)
Präludium für die Suite Nr. 4 Es-Dur BWV 1010
für Violoncello solo von Johann Sebastian Bach
Johann Sebastian Bach
Suite für Violoncello solo Nr. 4 Es-Dur BWV 1010 (um 1720)
Prélude
Allemande
Courante
Sarabande
Bourrée I
Bourrée II
Gigue
Pause
2
György Kurtág *1926
Az hit … (Der Glaube …) (1998)
Pilinszky Janos: Gérard de Nerval (1986)
Árnyak (Schatten) – Perényi Miklósnak (1999)
aus: Jelek, játékok és üzenetek
(Zeichen, Spiele und Botschaften) (1984–, work in progress)
für Streicher in verschiedenen Kombinationen
Johann Sebastian Bach
Suite für Violoncello solo Nr. 3 C-Dur BWV 1009 (um 1720)
Prélude
Allemande
Courante
Sarabande
Bourée I
Bourée II
Gigue
Misato Mochizuki *1969
Pré-écho (2006)
Präludium für die Suite Nr. 5 c-Moll BWV 1011
für Violoncello solo von Johann Sebastian Bach
Johann Sebastian Bach
Suite für Violoncello solo Nr. 5 c-Moll BWV 1011 (um 1720)
Prélude
Allemande
Courante
Sarabande
Gavotte I
Gavotte II
Gigue
Pause
3
Jonathan Harvey 1939 – 2012
Pre-echo for Jean-Guihen (2003)
Präludium für die Suite Nr. 2 d-Moll BWV 1008
für Violoncello solo von Johann Sebastian Bach
Johann Sebastian Bach
Suite für Violoncello solo Nr. 2 d-Moll BWV 1008 (um 1720)
Präludium
Allemande
Courante
Sarabande
Menuett I
Menuett II
Gigue
Ichiro Nodaïra *1953
Enigme (2006)
Präludium für die Suite Nr. 6 D-Dur BWV 1012
für Violoncello solo von Johann Sebastian Bach
Johann Sebastian Bach
Suite für Violoncello solo Nr. 6 D-Dur BWV 1012 (um 1720)
Prélude
Allemande
Courante
Sarabande
Gavotte I
Gavotte II
Gigue
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ZU DEN WERKEN
Echowirkungen über die Jahrhunderte –
Sechs Cello-Suiten Bachs und ihre
modernen Einleitungen
Wie kaum ein anderer Komponist hat Johann Sebastian Bach
den Wechsel der Zeiten überdauert: Er fasste die musikalischen
Errungenschaften der Vergangenheit zusammen und wirkte
selbst weit in die Zukunft hinein. Manche Zeitgenossen hielten
ihn wegen seiner Vorliebe für komplexe kontrapunktische Strukturen für hoffnungslos altmodisch, doch Mozart und Beethoven,
Schumann, Brahms und viele Künstler und Komponisten des
20. Jahrhunderts ließen sich von ihm inspirieren. Die eigens für
Jean-Guihen Queyras komponierten »Vor-Echos« zeigen sogar,
dass Bach selbst Musiker unserer Tage noch zu Innovationen
anregt. Die Stücke dienen nun als moderne Präludien zu den
Cello-Suiten des Barockmeisters, die ja ihrerseits bereits Pionierwerke waren: Kompositionen für unbegleitete Melodieinstrumente hatten im Barock Seltenheitswert. Es gab einige für
Gambe, schon viel weniger für Violine, doch ein anspruchsvolles Werk für Violoncello solo hatte vor Bach in Deutschland wohl
noch niemand geschrieben.
Wann und für wen –
Rätsel um die Cello-Suiten
Mit den Suiten verbindet sich eine ganze Reihe von Rätseln. So
weiß man zum Beispiel nicht, in welchem Jahr Bach sie komponierte. Einen Bezugspunkt bieten immerhin die Schwesterwerke für Violine solo, die im Autograph auf 1720 datiert sind.
Das Titelblatt enthält außerdem den Vermerk »libro primo«
(erstes Buch); einige Musikforscher vermuten deshalb, dass
die Cello-Suiten als zweites Buch einer geplanten Reihe nach
den Violinwerken entstanden. Andere Autoren halten dagegen aus stilistischen Gründen die Cello-Suiten für die früheren
Werke; schließlich sind sie formal etwas konventioneller gestaltet als die Violinkompositionen. In jedem Fall dürfte Bach die
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Suiten während seiner Zeit als Kapellmeister am Hof in Köthen
(1717 – 1723) komponiert haben. Sein Dienstherr, Fürst Leopold
von Anhalt-Köthen (1694 – 1728), hatte schon als Kind großes
musikalisches Talent gezeigt und als junger Mann auf der obligatorischen »Kavalierstour« in England, Frankreich und Italien
die europäischen Musikstile aus erster Hand kennen gelernt.
Zurück in Köthen, widmete er sich dem Gamben-, Violin- und
Cembalospiel und stellte hervorragende Virtuosen ein, viele von
ihnen ehemalige Mitglieder der Berliner Hofkapelle, die durch
die Sparwut des »Soldatenkönigs« Friedrich Wilhelm I. arbeitslos geworden waren. Kein Wunder, dass Bach sich in der kleinen Residenzstadt so wohl fühlte, dass er hier »seine Lebzeit
auch beschließen zu können vermeinete«. Seine Aufgabe war
es, neue Werke für die abendlichen Konzerte und für festliche
Anlässe zu schreiben, sie mit den Musikern einzustudieren und
die Aufführungen zu leiten.
Ungeklärt ist außerdem die Frage, für welchen Musiker die
ungewöhnlich schwierigen Cello-Suiten bestimmt waren. Die
meisten Musikwissenschaftler tippen hier auf den Gambisten
Christian Ferdinand Abel, der auch das Cello beherrschte. Bach
war mit ihm offenbar freundschaftlich verbunden, denn er
wurde 1720 Taufpate von Abels drittem Kind Sophie Charlotte.
Doch in welchem Rahmen mag Abel die Suiten wohl gespielt
haben? Eigneten sie sich als Vortragsstücke für die fürstliche
Kammer? Oder waren sie für diesen Zweck klanglich zu spröde
und intellektuell zu anspruchsvoll? Dann wären sie vielleicht als
Studienwerke anzusehen – eine hohe Schule des Cellospiels,
die systematische Erschließung des Instruments. Dafür spricht,
dass sich der Schwierigkeitsgrad der Suiten von Nr. 1 bis Nr. 4
kontinuierlich erhöht, während die beiden letzten Sonderfälle
behandeln: Skordatur, also »Verstimmung« einer Saite, wird in
der fünften Suite verlangt, das Spiel auf einem fünfsaitigen Instrument in der sechsten. Dieses Instrument (mit einer zusätzlichen hohen E-Saite über der A-Saite) war möglicherweise die
in Armhaltung gespielte Viola pomposa, vielleicht aber auch
ein fünfsaitiges Cello. Bevor nämlich das viersaitige Instrument
zur Norm wurde, waren fünf-, sechs- und sogar siebensaitige
Celli durchaus gebräuchlich. Heute können sehr versierte Musiker die sechste Suite auch auf vier Saiten bewältigen, weil die
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im 19. Jahrhundert perfektionierte Technik des Daumenaufsatzes das sichere Spiel auch in den höheren Griffbrett-Regionen
ermöglicht.
Ein- und doch mehrstimmig
Eine pädagogische Bestimmung würde wohl auch die merkwürdige Besetzung der Suiten erklären. Wie außergewöhnlich
sie zu Bachs Zeit war, das drückt schon der Titel aus, der explizit »Violoncello solo senza basso« (ohne Bass) verlangt. Dabei
meint »basso« weniger ein bestimmtes Instrument als ein Prinzip. Die Epoche des Barocks wird in der Musik ja auch als das
»Generalbasszeitalter« bezeichnet, weil sich üblicherweise jeder
Melodieton auf ein harmonisches Fundament aus Basston und
Akkord bezog. Allerdings verzichtet Bach in seinen Solosuiten
nicht wirklich auf den Generalbass: Zum einen nutzt er die Möglichkeit von Doppelgriffen, wenn auch in den Cello-Suiten nicht
im gleichen Maß wie in den Violin-Sonaten und -Partiten. Zum
anderen arbeitet er den Generalbass in die reale Einstimmigkeit
ein: »Durch besondere Wendungen der Melodie hat Bach die zur
Vollständigkeit der Modulation erforderlichen Töne so in einer
einzigen Stimme vereinigt, dass eine zweyte weder nöthig noch
möglich ist«, schrieb 1802 Bachs erste Biograph Johann Nikolaus
Forkel. Moderne Musikforscher bezeichnen diese Technik als
»linearen Kontrapunkt«. Der Begriff erscheint fast wie ein Widerspruch in sich, und tatsächlich beruht die Wirkung auf einer
»akustischen Täuschung«: Durch schnellen Wechsel der Tonlage
entsteht nämlich beim Hörer der Eindruck mehrerer gleichzeitig
erklingender Linien in den einzelnen Registern des Instruments;
das Ohr verbindet klanglich benachbarte Töne zur »Melodie«,
auch wenn sie zeitlich nicht unmittelbar aufeinander folgen, sondern durch tiefere Töne getrennt sind. Diese tieferen Töne wiederum empfindet man als harmonische Grundierung, auch wenn
sie nicht gleichzeitig mit den hohen erklingen.
Ein besonderes Problem für jeden Cellisten, der sich mit den
Bachschen Suiten befasst, ist ihre Artikulation (also die Art,
wie ein Ton vom nächsten getrennt oder mit ihm verbunden wird, etwa »staccato« und »legato«) und Phrasierung (das
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Zusammenfassen von Tönen zu musikalischen Einheiten). Diese
Gestaltungsmöglichkeiten sind in einstimmiger Musik besonders
wichtig, denn je nachdem, wie man verfährt, kann der »lineare
Kontrapunkt« einen ganz unterschiedlichen Sinn erhalten. Und
welcher Sinn vom Komponisten beabsichtigt war, ist oft schwer
zu erschließen. Im 18. Jahrhundert notierte man Artikulation und
Phrasierung ohnehin weit weniger genau, als es im Verlauf des
19. Jahrhunderts üblich wurde. Zudem ist kein Manuskript der
Suiten in Bachs eigener Handschrift erhalten, und die Abschriften von fremder Hand weichen bezüglich Staccatopunkten, Bindebögen, Ornamenten etc. stark voneinander ab. Vier Abschriften gelten als »authentisch«: Die erste von 1726 stammt von dem
thüringischen Organisten und Kantor Johann Peter Kellner, der
persönlich mit Bach bekannt war, die zweite von Bachs Ehefrau
Anna Magdalena (entstanden zwischen 1727 und 1731), zwei weitere von unbekannten Schreibern aus dem späteren 18. Jahrhundert. Wie man mit diesen Quellen verfahren soll, ist umstritten,
und so muss sich im Grunde jeder verantwortungsbewusste
Interpret seine eigene »Edition« und Deutung erarbeiten. Bachs
Cello-Suiten sind also nicht nur eine spieltechnische, sondern in
höchstem Maße auch eine geistige Herausforderung.
Pflicht und Kür
Bei so vielen Fragen und Problemen beruhigt es, dass wenigstens die Form der Stücke klar und eindeutig ist. Allen sechs Suiten liegt die gleiche Satzanordnung zugrunde: Auf ein quasiimprovisatorisches Präludium folgen die vier traditionellen
Kernsätze der Suite, allesamt zweiteilig mit Wiederholungen
(nach dem Muster AABB). Den Anfang macht die Allemande, ein
mäßig schneller Tanz im Vierertakt, melodisch oft stark ausgeziert. Dann folgt die lebhafte Courante, mit viel Laufwerk (wie
schon der Name sagt) und im Dreiermetrum. An dritter Stelle
steht die langsame, feierliche Sarabande, im Dreiertakt mit
melodischen Schwerpunkten auf der zweiten Zählzeit. Und den
Abschluss bildet die Gigue, ein schneller, springender Tanz im
3/ -, 6/ - oder 12/ -Takt. Bach befolgte dieses »Pflichtprogramm«
8
8
8
der Suite genau und erlaubte sich nur bei den sogenannten
8
»Galanteriestücken«, die er zwischen Sarabande und Gigue einschob, gewisse Freiheiten. Für die erste und zweite Suite wählte
er Menuette, für die dritte und vierte Bourrées und für die fünfte
und sechste Gavotten. In jedem Fall handelt es sich um Modetänze, die – anders als die älteren Stammsätze der Suite – nur
wenig stilisiert sind, also noch deutlichen Tanzcharakter zeigen.
Die Galanteriestücke treten paarweise auf, wobei jeweils das
zweite Stück als Trio-Mittelteil fungiert. Danach folgt noch einmal das erste, jedoch ohne Wiederholungen der Satzteile.
Vielfalt in der Einheit
Diese Merkmale haben alle Cello-Suiten gemeinsam – erstaunlich, dass Bach dennoch sechs Werke von unverwechselbarer
Eigenart schreiben konnte. Ganz unterschiedlich sind zum Beispiel die Präludien gestaltet: Das der Suite Nr. 1 G-Dur bringt
vor allem Akkordbrechungen in gleichmäßigen Sechzehnteln.
Dagegen arbeitet das dramatischere Präludium der Suite Nr. 2
d-Moll mit unterschiedlichen Notenwerten: Gleich zu Beginn hört
man einen rhythmisch profilierten Themenkopf. Er kehrt auf verschiedenen Tonstufen wieder und gliedert so das Stück. Das Präludium endet mit fünf Akkorden, die mit einer Dauer von jeweils
einem ganzen Takt notiert sind. Möglicherweise sind sie nicht
»trocken«, sondern in frei improvisierten Akkordbrechungen auszuführen – doch das muss jeder Interpret selbst entscheiden. Das
Präludium der Suite Nr. 3 C-Dur bewegt sich erneut fast durchgehend in gleichmäßigen Sechzehnteln, beginnt aber mit aufund abströmenden Tonskalen. Etwa ab der Mitte des Stücks hört
man 16 Takte lang wechselnde gebrochene Akkorde über einem
immer gleichen Basston – ein eindrucksvoller »Orgelpunkt«, wie
ihn Bach gerne zur Intensivierung des Ausdrucks gebrauchte.
Die Sechzehntelbewegung dauert allerdings auch hier an und
wird erst gegen Ende durch kadenzierende Akkorde mit nachfolgenden Pausen unterbrochen.
Gebrochene Akkorde in gleichmäßiger Achtelbewegung bestimmen die erste Hälfte des Präludiums der Suite Nr. 4 Es-Dur. Erst
in der zweiten Hälfte wird diese Bewegung mehrfach durch
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virtuose Einschübe unterschiedlicher Art – Sechzehntelläufe,
rhythmisch prägnante Figuren, drei- bis vierstimmige Akkorde
– gegliedert. Das Präludium der Suite Nr. 5 c-Moll ist aufgebaut
wie eine französische Ouvertüre: Auf den pathetischen Einleitungsteil in punktiertem Rhythmus folgt ein Mittelabschnitt nach
Art einer Fuge. Mit großer Kunstfertigkeit erzielt Bach hier trotz
realer Einstimmigkeit eine polyphone Wirkung. Ein besonders
ausgedehntes Präludium besitzt die Suite Nr. 6 D-Dur. Es steht
im 12/8-Takt und beginnt mit zwei »Spezialeffekten«: Zum einen
Echowirkungen – die gleiche Figur erklingt erst laut, dann leise.
Zum anderen die »Bariolage«-Technik, die ansatzweise bereits
im G-Dur-Präludium zum Einsatz kam: Der gleiche Ton wird in
schnellem Wechsel auf unterschiedlichen Saiten gespielt. Durch
die mehrfach wiederkehrenden Bariolage-Passagen erscheint
der Satz deutlich unterteilt, obwohl er fast durchgehend in Achteln verläuft. Ihre Bewegung löst sich erst gegen Ende in virtuosen Sechzehntelläufen und -arpeggien auf.
So phantasievoll er die Präludien gestaltet, variiert Bach auch
die Grundcharaktere der Tänze. Die der Allemanden zum Beispiel: Graziös und rhythmusbetont gibt sich das C-Dur-Stück,
gleichmäßig fließend dagegen das in Es-Dur. Ganz ungewöhnlich erscheint die D-Dur-Allemande: ein besinnlicher, introvertierter Satz mit feinen rhythmischen Verästelungen bis zu
1/ - und 1/
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128-Notenwerten. Es wäre völlig undenkbar, zu dieser
Musik zu tanzen. Bei den übrigen Sätze reicht das Spektrum
von eher abstrakten Konstruktionen (wie der Es-Dur-Courante
mit ihren gigue-artigen Triolen-Einschüben) bis zu ländlichen
Dudelsack-Imitationen (C-Dur-Gigue, zweite D-Dur-Gavotte)
und Jagdsignalen (D-Dur-Gigue), von dissonanten Reibungen (C-Dur-Sarabande) bis zu wohlklingenden Sextparallelen
(D-Dur-Sarabande), von düsterem Ernst (d-Moll-Sarabande) bis
zu überschäumender Freude (C-Dur-Gigue). Mit seinen SoloSuiten für Violoncello hat Bach einen Zyklus geschaffen, der
einzigartige Geschlossenheit mit farbigster Vielfalt verbindet.
Im enggesteckten Rahmen der althergebrachten Suitenform
erschließt sich ein ganzes Universum expressiver, spiel- und
satztechnischer Möglichkeiten.
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Echo und Vorspiel zugleich –
zeitgenössische Komponisten
reagieren auf Bach
Nicht weniger abwechslungsreich als Bachs Suiten fallen die
»Vor-Echos« aus, die Jean-Guihen Queyras sich von zeitgenössischen Komponisten erbeten hat. Jedes von ihnen nimmt auf
eine bestimmte Suite Bezug und wird ihr – als Präludium vor
dem Präludium – vorangestellt. Der Italiener Ivan Fedele greift
mit seinen Arc-en-ciel (Regenbogen) die bogenförmige Aufund Abbewegung des Präludiums aus Bachs G-Dur-Suite auf.
Er nutzt dabei auch Flageolettklänge – »flötende« Obertöne, die
entstehen, wenn der Spieler mit den Fingern der linken Hand
bestimmte Punkte auf der Saite berührt, aber nicht niederdrückt.
Arc-en-ciel besteht aus zwei Teilen, deren zweiter der »Krebs«
des ersten ist, also die Spiegelung an einer vertikalen Achse: Ab
der Mitte des Stücks erklingen die in der ersten Hälfte gehörten Töne in umgekehrter Reihenfolge. Auch das zuvor forcierte
Tempo verlangsamt sich wieder, und die Lautstärke, die sich
vom Pianissimo bis zum Fortissimo steigerte, nimmt stetig ab.
Der Franzose Gilbert Amy, langjähriger Direktor des Konservatoriums Lyon, an dem Jean-Guihen Queyras sein Studium absolvierte, schrieb als Vor-Echo zur vierten Suite Ein … Es Praeludium.
Bereits die ersten Takte verweisen auf das Prinzip des Echos:
Halblaut vorgestellte Pizzicato-Motive hallen sofort leise nach.
Im Übrigen arbeitet das Stück mit Motivzellen aus dem Es-DurPräludium, deren Grundton im Mittelpunkt steht.
Da György Kurtág das von ihm erbetene Vor-Echo zur C-DurSuite nicht rechtzeitig zur geplanten Uraufführung im Jahr 2006
fertigstellen konnte, spielte Jean-Guihen Queyras stattdessen drei früher entstandene Cello-Miniaturen des ungarischen
Komponisten. Er blieb auch später bei dieser Auswahl. Az hit …
(Der Glaube …) war ursprünglich Teil des groß angelegten, zwischen 1963 und 1968 komponierten Liederzyklus Die Sprüche
des Péter Bornemisza für Sopran und Klavier. 1998 erstellte Kurtág die Transkription für Solocello und gliederte sie seiner offenen Werkreihe Jelek, játékok és üzenetek (Zeichen, Spiele und
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Botschaften) ein. Stücke aus den parallel entstandenen »Zeichen« für Klavier spielte Kurtág übrigens bei eigenen Konzerten oft im Wechsel mit Klavierarrangements von Werken Johann
Sebastian Bachs. Der Titel der zweiten Miniatur, Pilinszky János:
Gérard de Nerval, bezieht sich auf den katholischen ungarischen
Dichter János Pilinszky (1921 – 1981) und seine Auseinandersetzung mit dem unglücklichen französischen Romantiker Nerval
(1808 – 1855). Wie die beiden ersten Miniaturen ist auch das noch
kürzere Stück Árnyak (Schatten) Teil der Reihe »Zeichen, Spiele
und Botschaften«; Kurtág widmete es dem Cellisten Miklós
Perényi.
Die Japanerin Misato Mochizuki wählte als Ausgangspunkt ihres
Vor-Echos die Skordatur, also die ungewöhnliche Saitenstimmung, die in der Suite Nr. 5 c-Moll verlangt wird. Die oberste
Saite soll hier von a auf g heruntergestimmt werden, wodurch
man einen dunkleren Klang und neue Doppelgriff-Optionen
erhält. So wie Bach in seinem ouvertüren-artigen Präludium auf
einen langsamen, eher akkordischen Teil einen schnellen, von
Sechzehntelbewegung geprägten Abschnitt folgen lässt, entwickelt sich auch Mochizukis Komposition zwischen den Polen
Akkordik und Passagenwerk.
Das Präludium der Suite Nr. 2 d-Moll wollte Jonathan Harvey
nicht verarbeiten, sondern vorbereiten. Sein Pre-echo beginnt
und endet daher mit dem Ton cis, dem spannungsgeladenen
»Leitton« zu Bachs Grundton. In dem Stück des englischen Komponisten finden sich manche Anklänge an die Sprache der traditionelle Tonalität, wie beispielsweise die Vokabel des verminderten Septakkords.
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Wie in Harveys Stück spielt auch in Ichiro Nodaïras Vor-Echo mit
dem Titel Enigme (Rätsel) der Leitton cis eine besondere Rolle; er
führt in diesem Fall nach D-Dur, zu Bachs Suite Nr. 6. Da sie die
schwierigste von allen ist, überrascht es nicht, dass auch in der
Komposition des Japaners besonders virtuose, neuartige Cellotechniken zum Einsatz kommen. Nodaïra, der sein Studium in
Frankreich absolvierte, wurde im Übrigen nicht nur als Komponist, sondern auch als Konzertpianist und Arrangeur bekannt. Er
trat im Duo mit Queyras auf und schrieb Orchestertranskriptionen
von Werken Johann Sebastian Bachs – etwa der Goldberg-Variationen und der Kunst der Fuge.
Jürgen Ostmann
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BIOGRAPHIE
Jean-Guihen Queyras
Jean-Guihen Queyras ist gleichermaßen solistisch, kammermusikalisch
und mit renommierten internationalen
Orchestern und Dirigenten zu erleben.
Mit großer Intensität widmet er sich
auch der Alten Musik – wie bei seiner
Zusammenarbeit mit dem Freiburger
Barockorchester, der Akademie für Alte
Musik Berlin und Concerto Köln, mit
dem er 2004 in der Carnegie Hall New
York debütierte. Zudem bilden zeitgenössische Werke einen Schwerpunkt von Jean-Guihen Queyras’ Arbeit. So hat er u. a. Kompositionen von Ivan Fedele, Gilbert
Amy, Bruno Mantovani und Michael Jarrell zur Uraufführung
gebracht. Großen Einfluss auf sein Wirken hatte vor allem Pierre
Boulez, mit dem ihn eine lange künstlerische Zusammenarbeit
verbindet.
Konzerthäuser, Festivals und Orchester luden Jean-Guihen
Queyras als Artist in Residence ein, darunter das Concertgebouw
Amsterdam, das Festival d’Aix-en-Provence, Vredenburg Utrecht,
das Netherlands Philharmonic, das MC2 Grenoble und Arsenal
Metz. Mit dem Ensemble Resonanz tourte er als Leiter und Solist
in den Saisons 2010 bis 2013 durch Europa. 2014 erschien eine
gemeinsame CD mit Werken von Arnold Schönberg und Alban
Berg.
Mit großem Engagement setzt sich Jean-Guihen Queyras mit
weiteren herausragenden Musikerinnen und Musikern für Kammermusik ein. Er ist ein bis heute aktives Gründungsmitglied des
Arcanto Quartetts mit Antje Weithaas, Daniel Sepec und Tabea
Zimmermann; mit Isabelle Faust und Alexander Melnikov bildet
er ein festes Trio; Letzterer und Alexandre Tharaud sind seine festen Klavierbegleiter.
Jean-Guihen Queyras ist regelmäßiger Gast bei renommierten Orchestern wie dem Philharmonia Orchestra, dem NHK
Symphony Orchestra Tokyo, dem Orchestre de Paris sowie am
14
Leipziger Gewandhaus und an der Tonhalle Zürich. Er arbeitet
dabei mit Dirigenten wie Günther Herbig, Jiři Bělohlávek, Yannick Nezet-Séguin und Sir Roger Norrington.
Zu den Höhepunkten der Saison 2014/15 zählen seine Debüts
beim Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks und beim
Philadelphia Orchestra sowie die Aufnahme des Cellokonzerts
von Peter Eötvös unter der Leitung des Komponisten. Bei den
Bochumer Symphonikern ist er in dieser Saison Artist-in-Residence. Im Zusammenhang mit dem Erscheinen der Aufnahme
sämtlicher Beethoven-Sonaten, die er mit Alexander Melnikov
eingespielt hat, gibt er zahlreiche Duo-Konzerte in Europa.
Jean-Guihen Queyras’ Einspielungen der Bach-Suiten für SoloVioloncello wurden mit dem Diapason d’Or de l’Année und dem
CHOC du Monde de la Musique ausgezeichnet. Für die Aufnahme
mit Werken Debussys und Poulencs mit Alexandre Tharaud
erhielt er den Diapason d’Or de l’Année. Weitere CDs mit Cellokonzerten von Edward Elgar, Antonín Dvořák, Philippe Schoeller
und Gilbert Amy wurden ebenso begeistert von der Fachkritik
aufgenommen. 2008 wurde Jean-Guihen Queyras als Solist des
Jahres bei den Victoires de la Musique ausgezeichnet und 2009
als Künstler des Jahres von den Lesern des Diapason gewählt.
Jean-Guihen Queyras hat eine Professur an der Musikhochschule
Freiburg inne und ist künstlerischer Leiter des Festivals »Rencontres Musicales de Haute-Provence« in Forcalquier. Er spielt ein
Cello von Gioffredo Cappa von 1696, das ihm das Mécénat Musical Société Générale zur Verfügung stellt.
In der Kölner Philharmonie war er zuletzt im April dieses Jahres
zu Gast.
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KölnMusik-Vorschau
Dezember
Januar
MI
Do
24
01
15:00
Heiligabend
18:00
Neujahr
Blechbläser der Kölner Dommusik
Sergei Nakariakov Flügelhorn
Kölner Domchor
Eberhard Metternich Leitung
Die Deutsche Kammerphilharmonie Bremen
Duncan Ward Dirigent
Mädchenchor am Kölner Dom
Oliver Sperling Leitung
Christoph Biskupek Moderation
Joseph Haydn
Sinfonie A-Dur Hob. I:64
»Tempora mutantur«
Wir warten aufs Christkind
Jörg Widmann
ad absurdum
Konzertstück für Trompete
und kleines Orchester
sa
27
György Ligeti
Sechs Bagatellen
aus »Musica ricercata«
für Bläserquintett
21:00
Dhafer Youssef Quintet
Dhafer Youssef voc, oud
Eivind Aarset electric guitar
Kristjan Randalu p
Phil Donkin db
Ferenc Nemeth dr
Béla Bartók
Musik für Saiteninstrumente,
Schlagzeug und Celesta Sz 106
Birds Requiem
MO
So
05
Mo
20:00
28 29
20:00
Vida Mikneviciute Sopran
Mario Chang Tenor
Peter Edelmann Bariton
Peter Marsh Tenor
Kateryna Kasper Sopran
Franz Mayer Bariton
Margit Neubauer Mezzosopran
20:00
Chilly Gonzales p
Kaiser Quartett
Chor der Oper Frankfurt
Tilman Michael Einstudierung
Mi
31
Frankfurter Opern- und
Museumsorchester
Eun Sun Kim Dirigentin
18:00
Katrin Wundsam Mezzosopran
Kristóf Baráti Violine
Emmerich Kálmán
Die Csárdásfürstin
Operette in drei Akten. Libretto
von Leo Stein und Béla Jenbach
Konzertante Aufführung
WDR Sinfonieorchester Köln
Jukka-Pekka Saraste Dirigent
Silvesterkonzert
Operette und … 2
KölnMusik gemeinsam mit dem Westdeutschen Rundfunk
16
Donnerstag
25. Dezember 2014
18:00
1. Weihnachtstag
Foto: Uwe Arlt
Raffaella Milanesi Sopran
Alexei Lubimov Hammerklavier
Die Kölner Akademie
Michael Alexander Willens
Dirigent
Ouvertüre, Arien, Motetten, Klavierkonzert B-Dur KV 595 und
Sinfonie B-Dur KV 319 von Wolfgang Amadeus Mozart
»Wenn Engel für Gott spielen, so spielen sie Bach. Für einander
aber spielen sie Mozart«, so der englische Philosoph Sir Isaiah
Berlin. Einen himmlisch schönen Weihnachtsabend versprechen
die Sopranistin Raffaella Milanesi mit ausgewählten Arien, der vielseitige Pianist Alexei Lubimov mit Mozarts B-Dur-Klavierkonzert
auf dem Hammerklavier und Die Kölner Akademie, das werkgetreue Originalklangensemble.
Ihr nächstes
Abonnement-Konzert
SO
MI
11
21
20:00
Januar
20:00
Mahdieh Mohammadkhani voc
Tanja Tetzlaff Violoncello
Dastan Ensemble
Hamid Motebassem Tar, Setar,
Komposition
Hossein Behroozinia Barbat,
Komposition
Saeed Farajpoori Kamancheh
Pejman Hadadi Tombak, Dayereh
Behnam Samani Daf, Dayereh,
Damam
Arditti Quartet
Irvine Arditti Violine
Ashot Sarkissjan Violine
Ralf Ehlers Viola
Lucas Fels Violoncello
Jonathan Harvey
Streichquartett Nr. 2 (1989)
Harrison Birtwistle
The Tree of Strings (2007)
Streichquartett
MI
Akira Nishimura
Shesha (2013)
Streichquartett Nr. 5
14
20:00
Wolfgang Rihm
Epilog (2012 – 13)
für zwei Violinen, Viola und zwei
Violoncelli
Ronald Brautigam Hammerklavier
Ludwig van Beethoven
Sonate für Klavier Nr. 8 c-Moll op. 13
»Grande Sonate pathétique«
Quartetto 4
Sonate für Klavier Nr. 21 C-Dur op. 53
»Waldstein«
6 Bagatellen op. 126 für Klavier
Sonate für Klavier Nr. 32 c-Moll op. 111
19:00 Einführung in das Konzert
Piano 5
18
Freitag
26. Dezember 2014
20:00
Foto: Jason Alden
Kit Armstrong Klavier
Szymanowski Quartet
Agata Szymczewska Violine
Grzegorz Kotów Violine
Vladimir Myktka Viola
Marcin Sieniawski Violoncello
In den Weihnachtstagen des Jahres 1914 sollen an der Westfront
improvisierte Weihnachtsfeiern zwischen englischen und deutschen Truppen stattgefunden haben. An diese Momente menschlicher Nähe in den Zeiten des Krieges erinnert das Konzert. Johann
Sebastian Bachs und Johannes Brahms’ feierliche Choralvorspiele
zitieren Weihnachtslieder und kontrapunktieren in Kriegszeiten
entstandene Kompositionen wie Karol Szymanowskis 1. Streichquartett und Edward Elgars Klavierquintett aus den Jahren 1917 und
1919. Kit Armstrongs Arrangement von Dona nobis pacem aus William Byrds Messe für vier Stimmen aus dem Jahr 1593 wiederholt
die immer noch aktuelle Bitte um Frieden.
Philharmonie-Hotline 0221 280 280
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Louwrens Langevoort
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Redaktion: Sebastian Loelgen
Corporate Design: hauser lacour
kommunikationsgestaltung GmbH
Textnachweis: Der Text von Jürgen
Ostmann ist ein Original­­­beitrag für
dieses Heft.
Fotonachweise: Marco Borggreve S. 14
Gesamtherstellung:
adHOC ­Printproduktion GmbH
Donnerstag
1. Januar 2015
18:00
Neujahr
Foto: Deutsche Welle
Sergei Nakariakov Flügelhorn
Die Deutsche Kammerphilharmonie Bremen
Duncan Ward Dirigent
Werke von Joseph Haydn, Jörg Widmann,
Györgi Ligeti und Béla Bartók
koelner-philharmonie.de
0221 280 280
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