INTERVIEW Dlch brauche das Gefühl einer Mission<< Der Cellist JEAN-GUIHEN QUEYRAS liebt das Spielen ohne Grenzen und d¡e Lust am Neuen. Doch vor allem ist ihm wichtig, dass seine Musik auch wirklich gebraucht wird. Von Arnt Cobbers Y ean-Guihen Ouevras ist ein I Tausendsassà: Ér gilt gleiI chermaßen als Fachmann / fürNeuewiefürAlteMusik, bildet mit Antje Weithaas, Daniel Sepec und Tabea Zimmermann seit zooz das Arcanto Quartett, spielt regelmäßig mit Isabelle Faust und Alexander Melnikov Trio, unterrichtet in Freiburg als Vollzeit-Professor an der Hochschule für Musik und leitet ein Festival in Forcalquier in der Provence. Mit seiner Familie wohnt der 49-iährige Cellist mit französischer und kanadischer Staatsangehörigkeit in einer stadtplanerisch interessanten neuen Siedlung am Rande von Freiburg, wo er (neben Lyon und New York) studiert hat. Dass er von Offenheit, Neugierde und einem fröhlichen Enthu- siasmus angetrieben wird, merkt man im Gespräch mit ihm schnell. Herr Oueyras, es wirkt, als könnten Sie alles spielen, was man auf dem Cello nur spielen kann. Gibt es e¡nen Repertoirebereich, in dem Sie sich nicht so wohl fühlen? Ich bin ein extrem neu$ieriger Mensch. Ich brauche die Abwechslung. Wenn ich aus einer 4 Nlêdersachsen & B?êmen concert¡ 04.16 Quartettphase komme, habe ich neuen Antrieb fürs nächste ten wurde ich anfangs gefragt: Was willst du in zwei fahren Orchesterkonzert. Und wenn ich zwei Tage unterrichtet habe, spiele ich besser. Von meiner Lehrerin Reine Flachot habe ich eine goldene Regel gelernt: spielen? Ich sagte: Ich bin offen für alles, mal sehen, was kommt. Das verstand er nicht. Für mich ist es in der Musik wie im Leben: Man trifft Leu- Man muss nicht unbedingt Pausen einlegen. Aber man te, und daraus entsteht etwas. muss für Abwechslung sorgen. Dadurch ergeben sich immer neue Ideen und Verknüpfungen. Aber es gibt Grenzen. Ich höre gern lazz, aber ich weiß, ich werde nicht die Zeit haben, die ich bräuchte, um mich zu trauen, lazz zrt spielen. Und in der klassischen Musik? Vielleicht liegt es am Instrument. Wir haben als Cellisten Ein wunderbares Beispiel ist die Begegnung mit dem Hamburger Ensemble Resonanz, dessen Artist in Residence ich für drei Spielzeiten war: Ich hatte vorher nie daran ge- dacht, ein Kammerorchester zu führen und dessen Programme mitzugestalten. Warum sind Sie nach dem Studium ins Ensemble lntercontemporain gegangen?r Zum einen war ich schon imnicht so ein Riesen-Repertoire und dadurch die Möglichkeit, mer neugierig auf neue Musik, in die Breite zu gehen. Mir ist ich habe bereits mit r4 fahren klar, dass ich bestimmte Sa- das Dutilleux-Konzert gelernt chen weniger gut mache als - das war auf der Hochschule andere. Aber das soll das Pub- in Lyon allerdings ganz norlikum entscheiden. Ich schlie- mal. Zum anderen hatte ich, als ich mit z3 fertig war, kein ße nichts von vornherein aus. natürliches Solistenprofil. Die Repertoire-Liste auf lhrer Webseite ist beeindruckend. Da steht alles drauf, was ich gespielt habe. Manches kann ich aufAnhieb spielen, anderes braucht Vorbereitung. Von meinem holländischen Agen- Wenn ich damals dauernd das DvoÌák-Konzert hätte spielen müssen, wäre ich eingegangen. Die Möglichkeit, im Ensemble Intercontemporain zu spielen, war das ldeal: Teil einer Gruppe zu sein, in der - I ZUR PERSON Geboren 1967, wuchs Jean-Guihen Queyras in der Provence auf, begann als Neunjährìger mit dem Cellospiel - und ve¡ließ ob se¡nes Talents anderthalb Jahre später d¡e Schule, um sich ganz der Musik zu widmen. Mlt wurde er Student am Konservatorium in Lyon - heute unterr¡chtet und lebt der geblirtige Kanadler in Freiburg. ¿ ll jede Persönlichkeit anerkannt Konzerte, und irgendwann wird und wo jeder Impuls und iede Initiative willkommen sind, im Bereich der neuen Musik, in einem Dream Team mit Boulez, Pierre-Laurent musste ich mich entscheiden. Ich wollte einfach mehr Zeit für meine eigenen Projekte haben. starken Persönlichkeiten. Sie haben sich auch intensiv mit der Alten Musik beschäftigt. Fällt es lhnen leicht, hin und her zu Und dazu noch die tägliche wechseln? Zusammenarbeit Man muss tatsächlich anders Aimard, Florent Boffard, Peter Eötvös und all den anderen mit den Komponisten: Das war die beste Schule für mich. Ich glaube, ich habe diese zehn |ahre gebraucht, um mich auf Darmsaiten mit dem Concerto Köln gespielt und zwei Stunden später ein SchumannQuartett mit einem Steinway und Stahlsaiten und modernem Bogen: So etwas Verrücktes würde ich heute nicht mehr machen. Aber von einem Tag auf den anderen, das geht. spielen, man muss anders in- Sie spielen auch regelmäßig Streichquartett. Wie geht das tonieren, eine Darmsaite nebenbei auf solch einem spricht anders an. Es gibt Automatismen, die man aber trainieren muss. Und wenn ich Niveau? in diese andere Welt zu wech- Wir haben nicht den Anspruch, das anzubieten, was ein Vollzeitquartett anbietet. Wir sind vier Leute, die sich musikalisch und persönlich sehr gut verstehen und die sich immer wieder seln, das mache ich sehr gern. mit unglaublicher Begeisterung fällt mir allerdings nicht treffen, um mit Frische und mit ihnen mehr so leicht wie noch vor einigen Jahren. Bei der Folle aufgenommen. Es kamen im- fournée in Nantes habe ich mal mer mehr Anfragen für andere das Schumann-Cellokonzert Energie und Leidenschaft an Meisterwerke herangehen, die wir unbedingt spielen wollen. Diese Energie wäre auf Dauer auch im klassischen Repertoire wirklich frei zu fühlen. lange nicht mehr auf Darmsai- ten gespielt habe, mache ich Aber Sie haben parallel schon als Solist gearbeitet. Es ist ein Ensemble, in dem man immer auch solistisch exponiert ist. Ich habe schon früh das Ligeti-Konzert Fehler. Aber es ist wie ein Sport, Es concerti 04.16 N¡edersâchsen & Bremen 5 INTERVIEW schwierig zu halten. Wir streben keinen homogenen Klang an, sondern jeder macht, was er will. Das haben wir anfangs als Witz gesagt, aber es ist ei- so toll: Es gibt vieles, was man nicht unter Kontrolle hat. Der Moment des Konzerts ist ent- Sie haben 1986 beim ARD- scheidend. Karriere der Beweis, dass Juroren sich ¡rren können? Ichwar damals gerade r9 fahre alt, hatte von Bach sehr wenig Ahnung und noch viel zu ler- gentlich so: Wir wollen vier eigenstãndige Persönlichkeiten sein. Das ist für uns sehr Genießen Sie es auch, wenn Sie von einem Stück nicht wirklich überzeugt sind? erfüllend. Und wenn man auf der Bühne merkt, da passiert etwas, dann kommt es meist auchbeim Publikum so an. Ich Ich genieße meine Rolle als Interpret, als Bote zwischen der Welt des Komponisten könnte mir nicht vorstellen, und der Vorstellungskraft des Zuhörers. Dass ich die Verant- einfach an diesem Repertoire vorbeizugehen. 95 Prozent der Komponisten haben ihr Bestes in dieser Gattung geschrieben. wortungund die Chance habe, die Welt des Komponisten zum Leben zu bringen und dem Hörer zu vermitteln. Das tue ich mit voller Begeisterung, selbst wenn mich das Stück nicht so sehr anspricht. >Ich geniel3e tneine Rolle øls Bote zwíschen Woraus ziehen Sie lhre lnsp¡ration außerhalb der Musik? d,enWelten<< Nun heben Sie zu vie¡t wie als Solist immer wieder auch neue Werke aus der Taufe - ist solch eine Uraufführung ein besonderes Gefühl? Oh ja, schon die Schwangerschaft vor der Geburt ist wunderbar. Wenn man die Noten bekommt und sich zum ersten Mal herantastet, wenn man sieht, wie aus den Zeichen, die auf einem Blatt Papier stehen, eine musikalische Gestalt entsteht - und dann der Moment des Konzerts, da merkt man erst, was das Stück für ein Po- tenzial hat: Wie kommunika- Ich bin neugierig in alle Richtungen. So bin ich vor einigen |ahren in New York gewesen mit Alexandre Tharaud; Da sind wir am freien Tag in Mary Poppins gegangen, wie zwei Kinder - so ein Musical auf diesem hohen Niveau zu sehen, war einfach genial. Auch die japanische Kultur fasziniert mich sehr. Ich bin ja in Quebec geboren und mit acht fahren nach Frankreich ge- kommen; aber zwischendurch, vom fünften bis zum achten Lebensiahr, war ich in Algeri- haben, dass das, was ich mache, gebraucht wird. I KONZERT.TIPP BREI,IEN Mo. ll. & D¡. 12.4., 20:00 Uhr Glocke Jean-Guihen Queyras (Violoncello), Bremer Phi lharmoniker, l"larkus Poschner (Leitung). Beethoven: Leonoren-Ouvertúre Nr. 3 op. 72b, Haydn: Cellokonzert D-Dur Hob. Vllb 2, Strawinsky: Petruschka I ONLINE-TIPP Jean-Guihen Oueyrôs hat ,,Plenty o'iluttin"' haben, mit einer ganz anderen Kultur in Kontakt zu treten, war toll. Das hat mich, glaube wo ich in den Proben eher cherweise habe ich viele Erin- ich, geprägt - und erstaunli- gezweifelt habe, und im Kon- nerungen daran. Mit arabi- zert war es ein richtiges Erleb- schen und nordafrikanischen nis. Und manchmal erwartet man sehr viel in den Proben, und dann wird es doch nicht Musikern traue ich mich zu O4,16 ganz sicher nicht. Ich kann nicht gut spielen, wenn ich merke, ich bediene nur den Markt; Ich muss das Gefühl tet. Als Kind die Chance zu es den 6 Nledersachsen & Bremen concerti nen. Meine solistische Karriere hat mit Mitte 20 langsam angefangen - ich war ein Spätzünder. Ich bin froh, dass meine Karriere den Wettbewerben nichts schuldet, die hat sich durch die Begegnungen mit Musikern entwickelt. Ich brauche das Gefühl einer Mission, und das hat mir die neue Musik und haben mir die Komponisten immer gegeben. Dieses Gefühl von einer Mission, die man erfüllen muss, hatte ich mit z5 mit DvoÍák oder Lalo en, mein Vater hat da gearbei- Raum, sodass alle etwas Besonderes erleben? Es gab Stücke, tiv ist es, wie erfüllt Wettbewerb,,nur" den dritten Preis gewonnen. lst lhre improvisieren, das mache ich ab und zu. Das Video & Term¡ne: concerti.de/queyras I CD.TIPP ht Schumann: Cellokonzert & Klavlertr¡o Nr. I Jean-Guihen Oueyras (Cello), FBO u.a. Ersche¡nt am l5.4. be¡ harmon¡ô mund¡