Naturschutz Nachrichten 20(1)/21 (1)/22(2) 14—17 I Sa lzgitte r , 2001 Süßwasserschwämme —Tiere auf den zweiten Blick — Von Dipl.-Biol. Thomas Ols Eggers In unserer heimischen Tierwelt findet man immer wieder Tiere, die erst auf den zweiten Blick als solche erkannt werden. Ein Beispiel hierfür sind die Schwämme. Zu Beginn der biologischen Systematik wurden diese Tiere wegen ihres Aussehens und ihrer sesshaften Lebensweise für Pflanzen gehalten, erst im 19. Jahrhundert erkannte man, dass es sich um Tiere handelt. Neben den zahlreichen im Meer vorkommenden Schwämmen, die bekanntesten sind wohl die auch im Mittelmeer beheimateten Badeschwämme der Gattungen Spongia oder Hippospongia, gibt es auch wenige Arten, die im Süßwasser leben. Man findet sie z.B. hinter Wehrüberläufen an Steinen oder in der Uferzone von Gewässern an Schilfstängeln oder Holz, wo sie braune, grüne, graue oder gelbe, klumpige oder krustige Überzüge bilden. Auch einige Moostierchen besitzen ein ähnliches Aussehen, haben aber im Gegensatz zu den Schwämmen keinen so ausgeprägten jodig-modrigen Geruch. Die im Süßwasser vorkommenden Schwämme gehören fast alle zur Familie der Spongillidae. Das Größenspektmm dieser Tiere reicht von Individuen v o n n u r wenigen Millimetern Durchmesser bis hin zu Exemplaren mit einer Größe bis zum 1m aber 2 bisher nur von Spongilla lacustris gefunden. ist auch ihr Erschei. S Ebenso o l c hvielgestaltig e nungsbild, was sehr stark von den vorliegenden E x e m p Strömungsverhältnissen abhängt. In stark ströl a r Wasser e mendem werden meist nur flache Kruw u r sten gebildet, in ruhigem Wasser, z. B. in Seen, d e besonders n werden von Spongilla lacustris zapfen- oder stielartige Auswüchse (Abb. 1 u. 2) aus dem Schwammkörper gebildet. 14 N a t u r s c h Abb. I: Habitusbild eines Spongilliden, hier Spongilla ( n a c h ARNDT 1928). u t z Nachrichten 20(1)/21 (1)/22(2) (2001) Aus der Familie der Süßwasserschwämme, den Spongillidae GRAY, 1867, sind sechs Arten in Deutschland heimisch: der Klumpenschwamm Ephydatia fluviatilis (LINNAEus, 1759), der Blasenzellenschwamm Ephydatia mühen i (LIEBERKÜHN, 1856), der Bruchschwamm Eunapius fragilis (LEIDY, 1851), der Smaragdschwamm Hetemmeyenia baleyi (BOWERBANK, 1863), der Geweihschwamm Spongilla lacustris ( LINNAEUS, 1759) und der Krustenschwamm Trochospongilla horrida (WELTNER, 1893. Eine weitere Art, Eunapius carteri (BOWERBANK, 1863, konnte bisher lediglich im Kühlwasser- kreislauf des Kernkraftwerks Biblis am Rhein festgestellt werden (GuGEL 1995), wo die Wassertemperatur deutlich erhöht ist. Diese Art kommt in Europa nur auf dem Balkan vor (RuDESCU 1975). Die meisten der übrigen deutschen Arten besitzen eine kosmopolitische Verbreitung. Alle Arten lassen sich aufgrund ihrer Nadelmerkmale bestimmen (ARNDT 1928). Dennoch wird meist nur von Spongilliden, also dem dazugehörigen Familientaxon gesprochen, da eine eindeutige Artansprache fast immer eine mikroskopische Präparation verlangt. Abb 2: Spongilla lacustris, Stichkanal Salzgitter, SkS-km 2,5, 11.05.1998 Schwämme, und somit auch Spongilliden, sind vielzellige Tiere, denen im Gegensatz zu den meisten anderen Gruppen echte Gewebe fehlen. Die Organfunktionen werden im Schwammkörper von spezialisierten Zelltypen übernommen. Allen Schwämmen fehlt im erwachsenen Zustand die Möglichkeit zur Ortsbewegung, wenn auch durch Zellumlagemngen im Inneren eine gerichtete Fortbewegung vorkommen kann (KILIAN 1964). Eine gemeinsame Eigenschaft aller Schwämme ist der Besitz einer Strudelvorrichtung, bei der durch Kragengeißelzellen Strömungen induziert werden. Hierdurch wird der für den Nahrungserwerb notwendige WasserNaturschutz Nachrichten 20(1)/21(1/22(2) (2001) strom durch den Filtrationsapparat der Tiere erzeugt. Durch diese Filtrationsleistung, die bei einem ca. 20 cm' großen Schwamm bis zu 30 I am Tag betragen kann, nehmen die Schwämme auch eine wichtige Rolle im Nährstoffkreislauf der Gewässer und deren Reinhaltung ein. Spongilliden bewohnen ihnen zusagende Gewässer, in denen geeignete Aufwuchsflächen, sauerstoffreiches Wasser, ausreichende Ernährungsmöglichkeiten und Schutz vor Verschlammung gegeben sind. Dieses sind meist Uferbereiche von Seen, Flüssen oder Kanälen. Als natürliche Feinde der Süßwasserschwämme tre1 5 ten vorwiegend Larven von Köcherfliegen und Schwammfliegen sowie einige Schneckenarten in Erscheinung. Die aus der geschlechtlichen Fortpflanzung im Frühjahr und den ersten Sommermonaten hervorgehenden pelagischen Larven der Spongilliden setzen sich nach einer bis zu 2 Tage dauernden Schwärmphase auf festes Substrat und beginnen, sich zu einem Schwammkörper auszuwachsen (Abb. 3). Neben dieser geschlechtlichen Fortpflanzung und Ausbreitung besteht auch die Möglichkeit z u ungeschlechtlicher Fortpflanzung, bei der im Spätsommer Gemmulae gebildet werden. Diese runden, etwa 0,5 mm groß en gelben Knospen dienen der Überwinterung, da der eigentliche Schwammkörper zum Winter hin meist abstirbt. Die dotterreichen Gemmulae sind durch eine chitin-ähnliche Schutzhülle gut gegen Witterungseinflüsse geschützt. Neben der Überwinterung dienen sie aber auch der passiven Ausbreitung, indem sie z. B. von Vögeln in andere Gewässer verfrachtet werden können. Im Frühjahr keimen aus diesen Gemmulae dann die Schwämme wieder neu aus (ANNANDALE 1911). Die Gemmulae besitzen auch eine recht hohe Trockenresistenz, überstehen Einfrieren im Eis (SCHRÖDER 1930) und keimen in künstlich kühl gehaltenen Gewässern auch noch nach 5 Jahren wieder aus (KI LI AN 1964). Auch in Gewässern der Stadt Salzgitter sind Süßwasserschwämme z u finden. Besonders erfolgversprechend ist die Suche z. B. unterhalb von Wehniberläufen. Dorthin gelangt schwebstoffannes, aber planktonreiches Wasser aus dem Staubereich der Wehre. Dieses sind ideale Nahrungsgnmdlagen f ür Schwämme, d a ihr empfindliches Porensystem nicht verstopft werden kann, sie aber auch genügend Nährstoffe ausdem Wasser filtrieren können. Aber auch in anderen Gewässertypen wie Seen und Teichen, wo ähnliche Voraussetzungen gegeben sind, kann sich die Suche lohnen. In Fließgewässern kann man z. B. auf dickerem Totholz fündig werden. Auch im Stichkanal Salzgitter wird man bei der Suche nach Schwämmen Erfolg haben. Besonders in den Bereichen der Schleusen Wedtlenstedt und Üfingen, aber auch im Bereich des Hafen Beddingen sind auf der Unterseite der Uferbefestigungssteine neben Mollusken, Bryozoen und anderen Tieren (GRABow 1995) auch Süßwasserschwämme zu finden. Bisher konnten für diese Bereiche die Arten Ephydatia fluviatilis, Eunapius fragilis und Spongilla lacustris nachgewiesen werden (EGGERs 1999, 2001). Für einen Blick in den inneren Aufbau dieser Tiere reicht schon eine kleine Probe des Schwammgewebes oder ein paar mitgesammelte Gemmulae. Quetscht und zupft man diese Herbst W in t e r Frühling Sommer Gemmula Abb. 3: Lebenszyklus eines Süßwasserschwammes (WESTHEIDE & RIEGER 1996) 16 N a t u r s c h u t z Nachrichten 20(1)/21(1)/22(2) (2001) Probe auf einem Objektträger auseinander, so kann man unter dem Mikroskop die aus SiO, bestehenden Nadeln des Stützskelettes der Süßwasserschwämme erkennen. Hierbei kann man z. B. die länglichen Malcroskleren des eigentlichen Schwammkörpers erkennen oder die gamrollenförmigen Skleren der Gemmulahülle, die bei der Gattung Ephydatia auftreten. Um einen noch besseren Einblick in die Vielgestaltigkeit der Schwammnadeln zu erhalten, ist ein Auskochen in verdünnter Salzsäure erforderlich. Wer genaueres zu dieser Methode erfahren möchte, dem sei die Lektüre von ARNDT (1928) empfohlen. Über Zusendung kleiner Schwamm- und/oder Gemmulaeproben (wahrer aber auch vermeintlicher; in Alkohol oder getrocknet) mit Herkunftsangabe aus hiesigen Gewässern würde sich der Autor dieses Artikels (Anschrift s. u.) sehr freuen. Literatur: ANNANDALE, N. (1911): The Fauna of British India Freshwater Sponges, Hydroids & Polyzoa. London, Taylor & Francis: 1-251 GUGEL, J. (1995): Erstnachweis von Eunapius carteri (BOWERBANK 1863) (Porifera: Spongillidae) für Mitteleuropa. Lauterbomia 20: 103-109 ARNDT, W. (1928): Porifera, Schwämme, Spongien. - Die Tierwelt Deutschlands 4. Teil Jena,: G. Fischer, 1-94 E.F. (1964): Zur Biologie der einheimischen Spongilliden. Ergebnisse und Probleme. Zoologische Beiträge, 10 (1): 85-159 EGGERS, T. 0 . (1999): Vertikalzonierung und saisonale Dynamik sessiler Malcroinvertebraten in einem Schifffahrtskanal (Stichkanal Salzgitter). Diplomarbeit TU Braunschweig, Braunschweig: 1-112 RUDESCU, L. (1975): Porifem Potamospongiae. Fauna republicil socialiste Romänia - Bucuresti: Editura Academiei Republicii Socialiste Romänia, 2 (5): 1-115 EGGERS, T. 0. (2001): Verbreitung der Süßwasserschwämme (Porifera: Spongillidae) im Stichkanal Salzgitter (Mittellandkanal) bei Braunschweig. Braunschw. naturkdl. Schr. 6(2): 433-446 SCHRÖDER, K. (1930): Schwämme der Binnengewässer Deutschlands. Das Aquarium, 1930 (April): 55-57, (Mai): 73-75, (Juni): 86-91 WESTHEIDE, W., R. REGER (Hrsg.) (1996): Spezielle Zoologie. - Teil 1: Einzeller und Wirbellose. Jena: Gustav Fischer: 1— 909 GRABOW, K . (1995): Ein e Expedition z u Schwämmen, Garnelen und Napfschnecken. Naturschutz Nachrichten 2/1: 26—29 Anschrift des Verfassers: Dipl.-Biol. Thomas Ols ECTGERS Zoologisches Institut der TU Braunschweig Fasanenstr. 3 D-38092 Braunschweig [email protected] Naturschutz Nachrichten 20(1)/21(1)/22(2) (2001) 1 7