Süßwasserschwämme - Tiere auf den zweiten Blick

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Naturschutz Nachrichten
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Sa lzgitte r , 2001
Süßwasserschwämme
—Tiere auf den zweiten Blick —
Von
Dipl.-Biol. Thomas Ols Eggers
In unserer heimischen Tierwelt findet man
immer wieder Tiere, die erst auf den zweiten
Blick als solche erkannt werden. Ein Beispiel
hierfür sind die Schwämme. Zu Beginn der biologischen Systematik wurden diese Tiere wegen
ihres Aussehens und ihrer sesshaften Lebensweise für Pflanzen gehalten, erst im 19. Jahrhundert erkannte man, dass es sich um Tiere
handelt. Neben den zahlreichen im Meer vorkommenden Schwämmen, die bekanntesten
sind wohl die auch im Mittelmeer beheimateten
Badeschwämme der Gattungen Spongia oder
Hippospongia, gibt es auch wenige Arten, die
im Süßwasser leben. Man findet sie z.B. hinter
Wehrüberläufen an Steinen oder in der Uferzone von Gewässern an Schilfstängeln oder Holz,
wo sie braune, grüne, graue oder gelbe, klumpige oder krustige Überzüge bilden. Auch einige
Moostierchen besitzen ein ähnliches Aussehen,
haben aber im Gegensatz zu den Schwämmen
keinen so ausgeprägten jodig-modrigen Geruch.
Die im Süßwasser vorkommenden Schwämme
gehören fast alle zur Familie der Spongillidae.
Das Größenspektmm dieser Tiere reicht von
Individuen v o n n u r wenigen Millimetern
Durchmesser bis hin zu Exemplaren mit einer
Größe bis zum 1m
aber
2 bisher nur von Spongilla lacustris gefunden.
ist auch ihr Erschei. S Ebenso
o l c hvielgestaltig
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nungsbild,
was
sehr
stark
von
den vorliegenden
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Strömungsverhältnissen abhängt. In stark ströl a r Wasser
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mendem
werden meist nur flache Kruw
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sten gebildet, in ruhigem Wasser, z. B. in Seen,
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werden
von Spongilla lacustris zapfen- oder stielartige Auswüchse (Abb. 1 u. 2)
aus dem Schwammkörper gebildet.
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Abb. I: Habitusbild eines Spongilliden, hier Spongilla ( n a c h ARNDT 1928).
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Aus der Familie der Süßwasserschwämme, den
Spongillidae GRAY, 1867, sind sechs Arten in
Deutschland heimisch: der Klumpenschwamm
Ephydatia fluviatilis (LINNAEus, 1759), der
Blasenzellenschwamm Ephydatia mühen i (LIEBERKÜHN, 1856), der Bruchschwamm Eunapius
fragilis (LEIDY, 1851), der Smaragdschwamm
Hetemmeyenia baleyi (BOWERBANK, 1863), der
Geweihschwamm Spongilla lacustris ( LINNAEUS, 1759) und der Krustenschwamm Trochospongilla horrida (WELTNER, 1893. Eine
weitere Art, Eunapius carteri (BOWERBANK,
1863, konnte bisher lediglich im Kühlwasser-
kreislauf des Kernkraftwerks Biblis am Rhein
festgestellt werden (GuGEL 1995), wo die Wassertemperatur deutlich erhöht ist. Diese Art
kommt in Europa nur auf dem Balkan vor (RuDESCU 1975). Die meisten der übrigen deutschen Arten besitzen eine kosmopolitische Verbreitung. Alle Arten lassen sich aufgrund ihrer
Nadelmerkmale bestimmen (ARNDT 1928).
Dennoch wird meist nur von Spongilliden, also
dem dazugehörigen Familientaxon gesprochen,
da eine eindeutige Artansprache fast immer
eine mikroskopische Präparation verlangt.
Abb 2: Spongilla lacustris, Stichkanal Salzgitter, SkS-km 2,5, 11.05.1998
Schwämme, und somit auch Spongilliden, sind
vielzellige Tiere, denen im Gegensatz zu den
meisten anderen Gruppen echte Gewebe fehlen.
Die Organfunktionen werden im Schwammkörper von spezialisierten Zelltypen übernommen.
Allen Schwämmen fehlt im erwachsenen Zustand die Möglichkeit zur Ortsbewegung, wenn
auch durch Zellumlagemngen im Inneren eine
gerichtete Fortbewegung vorkommen kann
(KILIAN 1964). Eine gemeinsame Eigenschaft
aller Schwämme ist der Besitz einer Strudelvorrichtung, bei der durch Kragengeißelzellen Strömungen induziert werden. Hierdurch wird der
für den Nahrungserwerb notwendige WasserNaturschutz Nachrichten 20(1)/21(1/22(2) (2001)
strom durch den Filtrationsapparat der Tiere
erzeugt. Durch diese Filtrationsleistung, die bei
einem ca. 20 cm' großen Schwamm bis zu 30 I
am Tag betragen kann, nehmen die Schwämme
auch eine wichtige Rolle im Nährstoffkreislauf
der Gewässer und deren Reinhaltung ein.
Spongilliden bewohnen ihnen zusagende Gewässer, in denen geeignete Aufwuchsflächen,
sauerstoffreiches Wasser, ausreichende Ernährungsmöglichkeiten und Schutz vor Verschlammung gegeben sind. Dieses sind meist Uferbereiche von Seen, Flüssen oder Kanälen. Als
natürliche Feinde der Süßwasserschwämme tre1
5
ten vorwiegend Larven von Köcherfliegen und
Schwammfliegen sowie einige Schneckenarten
in Erscheinung.
Die aus der geschlechtlichen Fortpflanzung im
Frühjahr und den ersten Sommermonaten hervorgehenden pelagischen Larven der Spongilliden setzen sich nach einer bis zu 2 Tage dauernden Schwärmphase auf festes Substrat und
beginnen, sich zu einem Schwammkörper auszuwachsen (Abb. 3). Neben dieser geschlechtlichen Fortpflanzung und Ausbreitung besteht
auch die Möglichkeit z u ungeschlechtlicher
Fortpflanzung, bei der im Spätsommer Gemmulae gebildet werden. Diese runden, etwa 0,5
mm groß en gelben Knospen dienen der Überwinterung, da der eigentliche Schwammkörper
zum Winter hin meist abstirbt. Die dotterreichen Gemmulae sind durch eine chitin-ähnliche
Schutzhülle gut gegen Witterungseinflüsse geschützt. Neben der Überwinterung dienen sie
aber auch der passiven Ausbreitung, indem sie
z. B. von Vögeln in andere Gewässer verfrachtet werden können. Im Frühjahr keimen aus
diesen Gemmulae dann die Schwämme wieder
neu aus (ANNANDALE 1911). Die Gemmulae
besitzen auch eine recht hohe Trockenresistenz,
überstehen Einfrieren im Eis (SCHRÖDER 1930)
und keimen in künstlich kühl gehaltenen Gewässern auch noch nach 5 Jahren wieder aus
(KI LI AN 1964).
Auch in Gewässern der Stadt Salzgitter sind
Süßwasserschwämme z u finden. Besonders
erfolgversprechend ist die Suche z. B. unterhalb
von Wehniberläufen. Dorthin gelangt schwebstoffannes, aber planktonreiches Wasser aus
dem Staubereich der Wehre. Dieses sind ideale
Nahrungsgnmdlagen f ür Schwämme, d a ihr
empfindliches Porensystem nicht verstopft werden kann, sie aber auch genügend Nährstoffe
ausdem Wasser filtrieren können. Aber auch in
anderen Gewässertypen wie Seen und Teichen,
wo ähnliche Voraussetzungen gegeben sind,
kann sich die Suche lohnen. In Fließgewässern
kann man z. B. auf dickerem Totholz fündig
werden. Auch im Stichkanal Salzgitter wird
man bei der Suche nach Schwämmen Erfolg
haben. Besonders in den Bereichen der Schleusen Wedtlenstedt und Üfingen, aber auch im
Bereich des Hafen Beddingen sind auf der Unterseite der Uferbefestigungssteine neben Mollusken, Bryozoen und anderen Tieren (GRABow
1995) auch Süßwasserschwämme zu finden.
Bisher konnten für diese Bereiche die Arten
Ephydatia fluviatilis, Eunapius fragilis und
Spongilla lacustris nachgewiesen werden
(EGGERs 1999, 2001).
Für einen Blick in den inneren Aufbau dieser
Tiere reicht schon eine kleine Probe des
Schwammgewebes oder ein paar mitgesammelte Gemmulae. Quetscht und zupft man diese
Herbst W in t e r
Frühling Sommer
Gemmula
Abb. 3: Lebenszyklus eines Süßwasserschwammes (WESTHEIDE & RIEGER 1996)
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Probe auf einem Objektträger auseinander, so
kann man unter dem Mikroskop die aus SiO,
bestehenden Nadeln des Stützskelettes der Süßwasserschwämme erkennen. Hierbei kann man
z. B. die länglichen Malcroskleren des eigentlichen Schwammkörpers erkennen oder die gamrollenförmigen Skleren der Gemmulahülle, die
bei der Gattung Ephydatia auftreten. Um einen
noch besseren Einblick in die Vielgestaltigkeit
der Schwammnadeln zu erhalten, ist ein Auskochen in verdünnter Salzsäure erforderlich. Wer
genaueres zu dieser Methode erfahren möchte,
dem sei die Lektüre von ARNDT (1928) empfohlen.
Über Zusendung kleiner Schwamm- und/oder
Gemmulaeproben (wahrer aber auch vermeintlicher; in Alkohol oder getrocknet) mit Herkunftsangabe aus hiesigen Gewässern würde
sich der Autor dieses Artikels (Anschrift s. u.)
sehr freuen.
Literatur:
ANNANDALE, N. (1911): The Fauna of British
India Freshwater Sponges, Hydroids &
Polyzoa. London, Taylor & Francis: 1-251
GUGEL, J. (1995): Erstnachweis von Eunapius
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103-109
ARNDT, W. (1928): Porifera, Schwämme, Spongien. - Die Tierwelt Deutschlands 4. Teil
Jena,: G. Fischer, 1-94
E.F. (1964): Zur Biologie der einheimischen Spongilliden. Ergebnisse und Probleme. Zoologische Beiträge, 10 (1): 85-159
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RUDESCU, L. (1975): Porifem Potamospongiae.
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(April): 55-57, (Mai): 73-75, (Juni): 86-91
WESTHEIDE, W., R. REGER (Hrsg.) (1996):
Spezielle Zoologie. - Teil 1: Einzeller und
Wirbellose. Jena: Gustav Fischer: 1— 909
GRABOW, K . (1995): Ein e Expedition z u
Schwämmen, Garnelen und Napfschnecken.
Naturschutz Nachrichten 2/1: 26—29
Anschrift des Verfassers:
Dipl.-Biol. Thomas Ols ECTGERS
Zoologisches Institut der TU Braunschweig
Fasanenstr. 3
D-38092 Braunschweig
[email protected]
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