Musikfreunde | Magazin der Gesellschaft der Musikfreunde in Wien Mai/Juni 2017 Antike Quellen, mythische Kräfte Thomas Hampson singt Lieder von Schubert und Wolf „Etwas Wienerischeres als Schubert und Wolf kann man sich nicht vorstellen, und höhere Gipfel in der Gattung des Liedes als diese beiden Komponisten gibt es auch nicht“: Punktum. Doch wenn Thomas Hampson mit seinem langjährigen Klavierpartner Wolfram Rieger einen Liederabend im Musikverein zusammenstellt, dann kann man sicher sein, dass noch mehr an künstlerischer Absicht und spezieller Begeisterung dahintersteckt, als bloß zwei Götter des Genres mit bekannten, beliebten Werken abzuhandeln. Thomas Hampson hat Interpretationsgeschichte geschrieben – als Don Giovanni, als „Figaro“-Graf und Guglielmo in „Così“, in Giuseppe Verdis großen Baritonpartien, bei Massenet und Puccini, als Strauss’ Mandryka, als Wagners Wolfram und Amfortas, als Benjamin Brittens Billy Budd, in großartigen Raritäten wie Busonis „Doktor Faustus“, in Uraufführungen wie Friedrich Cerhas „Der Riese vom Steinfeld“ oder zuletzt etwa in Miroslav Srnkas „South Pole“, und er reüssiert auch mit neuen Herausforderungen im bekannten Repertoire, etwa als vierfacher Bösewicht im „Hoffmann“. Dass parallel zur Opernbühne ein ganz besonderer Platz in seinem Herzen dem Lied gehört, beweist er freilich nach wie vor und zur Freude seiner Fans. „Ich achte immer darauf, dass meine Opernauftritte nicht ausufern, weil ich so viele Liederabende und Konzerte geben möchte wie nur möglich“, betont er. Und so kehrt Hampson nun selbst im – scheinbar! – so sattsam bekannten Schaffen von Franz Schubert zu einem speziellen Genre zurück, das der Künstler besonders liebt: zu jenen Liedern nämlich, die antike Stoffe behandeln. Faszination Mythos „Auf Schuberts Beschäftigung mit der Antike bin ich schon sehr früh gestoßen“, erzählt Hampson, dessen Begeisterung zwei Gründe hat: die Musik und den Text. „Auch Menschen, die viel von Schubert kennen und lieben, wissen oft nicht, wie viele verschiedene Typen sein Liedschaffen umfasst. Es gibt nicht bloß eine Art von SchubertLied: ‚Heidenröslein‘ hat nichts mit den Liedern der ‚Winterreise‘ zu tun, ‚Erlkönig‘ ist meilenweit entfernt vom ‚Schwanengesang‘ und so weiter. Die Unterschiede sind so groß wie manchmal von Oper zu Oper!“ Die Antikenlieder bilden jedoch eine separate Gruppe: „Sie sind anders konstruiert, im Gesang großzügiger, erscheinen manchmal wie Arietten. Die Musik wirkt szenisch, ist unglaublich aufregend – und erzeugt in Verbindung mit dem Text eine enorme Bildhaftigkeit.“ Dass das gelingt, ist in Hampsons Auswahl neben Friedrich Schiller („Gruppe aus dem Tartarus“ und „Die Götter Griechenlands“) besonders Johann Mayrhofer zu danken, jenem engen Freund Schuberts, der in den Widersprüchen seiner Zeit gefangen war und das Auseinanderklaffen zwischen politischer Realität und menschlich-künstlerischem Träumen in seinen Dichtungen umgesetzt hat. „Er entwirft ein eigenes Bild einer mythischen Vergangenheit und versucht darin etwas zu finden, was ihm in seiner Gegenwart helfen könnte“, erklärt der amerikanische Bariton – und vernimmt darin selbst gar nicht so leise klingende Echos in unserer Gegenwart, der eine kräftige Infusion an humanistischer Bildung nicht schaden würde. Befreiung in der Kunst „Wir dürfen nicht vergessen, in welcher Gegenwart Schubert und Mayrhofer gelebt haben, die gesellschaftliche Enge und die Unterdrückung durch das Metternich-Regime in Wien.“ Dass Mayrhofer selbst auf das Einkommen aus einer Beamtentätigkeit in der Zensurbehörde angewiesen war, dürfte zu seinen Depressionen beigetragen haben, die ihn schließlich den Freitod wählen ließen. Für Hampson war er eine faszinierende Persönlichkeit: „Ich liebe Mayrhofers Gedichte und bin überzeugt, dass er einen enormen Einfluss auf den ganzen Schubert-Kreis ausgeübt hat. Er führte ein Leben mit skurrilen Elementen und traurigem Ende. Sein unendlicher Drang zu Wahrheit und Schönheit ließ ihn in die Vergangenheit flüchten – er war ein Erzwiener!“ Seine Lyrik aber steht auf der Höhe ihrer Zeit: „Die grundsätzliche Aussage des Liedkanons im 19. Jahrhundert ist doch die Befreiung des Individuums: das Recht auf Seite 1|3 Musikfreunde | Magazin der Gesellschaft der Musikfreunde in Wien Mai/Juni 2017 Innenschau, auf die Formulierung dessen, was es heißt, ein Mensch, man selbst zu sein! Dass Mayrhofer das mit der Symbolik und den Metaphern aus der Antike gelingt und Schubert das Ganze in diese packende, weiträumige Musiksprache übersetzt, finde ich ganz besonders aufregend.“ Schuberts Leidenschaft, Hampsons Passion Neun Schubert-Lieder bilden den ersten, der Antike gewidmeten Teil: „Wir beginnen mit einem Aufruf zur Antike, ‚An die Leier‘ von Franz von Bruchmann, und enden mit dem Schiller’schen Nachhall: ‚Schöne Welt, wo bist du? Kehre wieder/ Holdes Blütenalter der Natur!‘ Letzten Endes stellen wir die Frage: Wie baut jeder Mensch für sich seine eigene ‚schöne Welt‘, unabhängig von Vergangenheit und Gegenwart?“ Diese Zusammenstellung hat Hampson noch nie in dieser Ausführlichkeit in Wien gesungen und setzt sich mit ihr nun auch nach einer jahrelangen Pause erstmals wieder auseinander: eine mit Spannung erwartete (Wieder-)Begegnung. Bei der Vorbereitung darauf stützt er sich auch ganz bewusst auf neues Notenmaterial, um nicht bloß in die eigenen Fußstapfen zu treten, sondern um für andere Zugänge offen zu sein, und zieht auch aktuelle wissenschaftliche Literatur zu Rate. Doch wann immer er Schuberts Manuskripte gesehen hat, war daraus mehr zu erfahren als aus manchem modernem Notendruck: „Die Emotionalität seiner Handschrift, die Leidenschaft, die zum Beispiel aus den Crescendo- und Decrescendogabeln spricht, das geht alles verloren in nivellierender Computergraphik.“ Und überhaupt: „Es mag vielleicht banal klingen, aber je älter ich werde, desto klarer wird mir eines: Schumann mag als ‚Professor‘ des Liedes gezeigt und voll ausgeführt haben, was das Genre alles vermag – aber Schubert ist die unerlässliche Muse für das ganze Jahrhundert.“ Da spricht auch der passionierte Lehrer aus Thomas Hampson, der bei Meisterklassen und im Rahmen seiner Liederakademie in Heidelberg junge Künstler ausbildet sowie nicht zuletzt mit Nikolaus Harnoncourt viel über Schubert diskutiert hat: „Wenn man Schubert nicht ausreichend kennt, dann verliert auch die Interpretation von vielem nach ihm – und vielleicht sogar manches vor ihm, so gewaltig und so grundlegend ist Schubert. Ohne ihn gäbe es auch meinen geliebten Gustav Mahler nicht, keinen Bruckner, und so weiter.“ Hugo Wolf und Eduard Mörike Und wohl auch keinen Hugo Wolf. „Vor diesem Liedkomponisten muss man vor Bewunderung auf die Knie fallen – aber niemand braucht eine besondere Vorbildung, um ihn zu verstehen, davon bin ich überzeugt!“ Wolfs Werke hat Hampson noch bei Elisabeth Schwarzkopf studiert, die 1972 bis 1976 entstandene, sieben Stunden Lieder umfassende Wolf-Edition von Dietrich Fischer-Dieskau und Daniel Barenboim ist für ihn ein Meilenstein der Plattengeschichte – „und wenn ich nur an die Live-Aufnahme der Mörike-Lieder mit Swjatoslaw Richter und FischerDieskau denke, bekomme ich Gänsehaut! Ohne diesen Mitschnitt müssten wir in einer ärmeren Welt leben.“ Eine Auswahl aus diesen Mörike-Liedern – „mit zu Herzen gehenden Melodien!“, wie Hampson betont – bildet als zweiter Teil seines Liederabends das Pendant zu Schubert. Die musikalische Reise von der metaphorisch angereicherten Antike zu Innigkeit, Ironie und Schauerromantik bei Eduard Mörike forme auch von der dichterischen Sprache her einen schönen Bogen, findet er. „‚Im Frühling‘, ‚Auf einer Wanderung‘, das sind ganz besonders stimmungsvolle Lieder – da sehe ich Perchtoldsdorf vor mir und die Hügel von Baden. Und am Schluss der gewaltige ‚Feuerreiter‘: Diese Ballade besitzt eine dramatische Spannung, wie wir sie zum Beispiel von Schuberts ‚Erlkönig‘ her kennen.“ Paradoxerweise lasse sich Wolf nur schwer gemeinsam mit Strauss oder Mahler programmieren. Aber seine extrem bildhafte Musiksprache passe gut zu Schuberts Sicht auf die Antike. „Wir Liedersänger tragen die Verantwortung für Hugo Wolf, wir müssen uns mit seiner Musik weiter beschäftigen und sie den Menschen immer wieder aufs Neue näherbringen. Am schönsten wäre für mich, wenn ich mit dieser Auswahl eine neue Begeisterung für Wolf wecken könnte bei jenem Teil des Publikums, der ihn vielleicht nicht so gut oder noch gar nicht kennt.“ Seite 2|3 Musikfreunde | Magazin der Gesellschaft der Musikfreunde in Wien Mai/Juni 2017 Hand in Hand mit dem Klavier Das geht freilich nicht im Alleingang. Die Arbeit mit dem Pianisten Wolfram Rieger ist für Hampson „eine Säule in meinem Leben, denn er ist einer meiner besten Freunde. Wir bilden ein Team, sind zusammen einfach mehr als die Summe unserer Teile. Ich kann mich auf ihn als Musiker wie als Mensch völlig verlassen.“ Über eine bloße „Begleitung“ gehen also sowohl das persönliche als auch das musikalische Verhältnis der beiden Künstler weit hinaus. „Pianistisch hätte er mühelos auch eine Solistenkarriere einschlagen können, und er ist wirklich fähig, das Klavier zu einem starken Partner zu machen. Wir haben nach wie vor Freude daran, jedes Jahr etwas Neues zu entdecken und auch Bekanntes neu einzustudieren. Für ihn existieren keine Hindernisse, höchstens Herausforderungen: Es gibt kein schlechtes Klavier, keine schlechte Akustik – man muss nur verstehen, wie das Instrument oder der Saal klingen möchte. Das ist auch meine Einstellung, so gehen wir durch die Welt. Die Zusammenarbeit mit ihm war und ist für mich eine der wichtigsten, als Sänger wie als Mensch.“ Walter Weidringer Mag. Walter Weidringer lebt als Musikwissenschaftler, freier Musikpublizist und Kritiker (Die Presse) in Wien. Seite 3|3