Internationale Konferenz Aufklärung und Esoterik – Wege in die Moderne Interdisziplinäres Zentrum für die Erforschung der Europäischen Aufklärung (IZEA), Halle, 9. bis 12. März 2010 Bericht von: Markus Meumann und Renko Geffarth (IZEA Halle) Mit der Internationalen Konferenz Aufklärung und Esoterik – Wege in die Moderne zog die am IZEA beheimatete DFG-Forschergruppe 529: Die Aufklärung im Bezugsfeld neuzeitlicher Esoterik Bilanz ihrer sechsjährigen Arbeit und stellte zugleich zur Diskussion, inwieweit das vielschichtige Verhältnis von Aufklärung und Esoterik im 18. Jahrhundert als konstitutiv für die Moderne begriffen werden kann. Der Einfluss bzw. sogar das Fortwirken der Aufklärung in der Moderne wird meist als selbstverständlich vorausgesetzt; zugleich ist die – in der Regel als kontrastiv zur aufgeklärten Vernunft gedachte – Präsenz esoterischer Strömungen unübersehbar. Nach dem Anteil der wechselseitigen Beeinflussung von Aufklärung und Esoterik im 18. Jahrhundert an der Attraktivität und dem Potential, das Aufklärung und Esoterik für die Moderne gleichermaßen besitzen, wurde hingegen kaum je systematisch gefragt. I. Esoterik: Begriffsbestimmung und -geschichte Angesichts der weitgespannten Fragestellung hatte die Bestimmung des Gegenstandes bzw. der Leitbegriffe einen wichtigen Stellenwert im Rahmen des insgesamt 39 Vorträge umfassenden Programms, wobei der Begriff „Esoterik“ erwartungsgemäß weit stärker erklärungsbedürftig erschien als „Aufklärung“ oder „Moderne“. Im Einführungsvortrag zeigte die Sprecherin der Forschergruppe, Monika Neugebauer-Wölk, am Beispiel des Jenaer Professors Joachim Georg Darjes, dass Aufklärung und Esoterik in der Mitte des 18. Jahrhunderts keinesfalls zwangsläufig als Gegensätze gedacht wurden, sondern dass (freimaurerische) Esoterik als höhere Form der Erkenntnis durchaus als Weiterführung der Aufklärung verstanden wurde. Von dort aus schlug sie den Bogen in das 19. und 20. Jahrhundert, indem sie die Entstehung des vermeintlich modernen Substantivs „Esoterik“ im letzten Drittel des 18. Jahrhunderts verortete, womit sie den oftmals gehörten Einwänden gegen die Verwendung des Begriffs für die Zeit vor 1828 (dem bislang vermuteten frühesten Auftauchen des Substantivs im Französischen) den nominalistischen Wind aus den Segeln nahm, und dann dessen Begriffsgeschichte bis ins späte 20. Jahrhundert skizzierte. Dies machte deutlich, dass die Transformationen des semantischen Feldes „Esoterik“ mit dem Auftauchen des Substantivs keineswegs ihren Abschluss gefunden hatten und also auch für die Moderne zwischen einem historischen und einem forschungsleitenden Begriff von Esoterik unterschieden werden muss (siehe dazu in Kürze: Aries. Journal for the Study of Western Esotericism 10, 2010, H. 2, S. 217-231). Im Anschluss daran ging Wouter J. Hanegraaff (Amsterdam) der Geschichte des Begriffs „Occult Sciences“ von der Scholastik bis ins 19. Jahrhundert nach. Dessen irreführende und un1 historische Verwendung im 20. Jahrhundert als Oberbegriff für diverse esoterische Strömungen, insbesondere Astrologie, Alchemie und Magie, werde neuerdings von der Wissenschaftsgeschichte (Newman/Principe) kritisiert, da es sich dabei um äußerst differente Wissenschaften gehandelt habe, die nicht in einem Atemzug genannt werden könnten; so seien Alchemie und Astrologie in der Frühen Neuzeit weder spirituell noch pseudowissenschaftlich gewesen. Die seit dem Mittelalter zu beobachtende Ausgrenzung der dämonischen („schwarzen“) Magie als Aberglaube habe gerade dem Schutz dieser „alten Wissenschaften“ vor Marginalisierung gedient. Erst seit der Aufklärung seien die okkulten Wissenschaften insgesamt zunehmend aus dem wissenschaftlichen Diskurs ausgeschlossen worden, v.a. im Rahmen protestantischer antipaganer Polemiken. Im 19. Jahrhundert schließlich sei Wissenschaft grundsätzlich in Abgrenzung zum Okkulten definiert worden, wie dies die Entgegensetzung von experimenteller Chemie und Alchemie zeige, obwohl es eine solche Unterscheidung bis zum 17. Jahrhundert nicht gegeben habe. Von den Ausgrenzungsstrategien der Aufklärer im 18. Jahrhundert war auch die Kabbala betroffen, wie Andreas B. Kilcher (Zürich) im dritten Plenarvortrag der Eröffnungssektion darlegte. Dennoch beschränkten sich die diskursiven Auseinandersetzungen mit der jüdischen Geheimlehre keineswegs auf Ausschlüsse und Diffamierungen, sondern beinhalteten ebenso deren Rationalisierung, Historisierung und sogar Re-Esoterisierung. Damit war das vielfältige Verhältnis von Esoterik und Aufklärung in exemplarischer Weise angesprochen, das in den anschließenden Sektionsvorträgen vielfach wieder aufgenommen und zum Teil am Beispiel von Zentralfiguren der Aufklärungsphilosophie sichtbar gemacht wurde. II. Philosophie- und Religionsgeschichte So zeigte Markus Meumann (Halle) anhand einer eingehenden Text- und Kontextanalyse von Christian Thomasius‘ als aufgeklärtes Manifest gegen die Hexenprozesse gefeierter Schrift „De crimine magiae“ (1701), dass Thomasius nicht primär in humanitärer oder aufklärerischer Absicht zur Feder griff. Vielmehr war er durch die Verteidigung seiner neuplatonisch-naturphilosophischen Sympathien in der vorausgegangenen Debatte um Balthasar Bekkers „Betoverde Weereld“ (dt. 1693) in eine Lage geraten, die ihn gleichsam dazu nötigte, im Herbst 1701 klar gegen den Hexereivorwurf und dessen Verfolgung durch die weltliche Obrigkeit Stellung zu beziehen, um sich von den ebenfalls gegen Bekker polemisierenden Befürwortern der Hexerei hinreichend abzusetzen. Martin Mulsow (Erfurt/Gotha) rückte ausgehend von einem Quellenfund im Nachlass Gottscheds die bislang ungeklärte Beziehung Christian Wolffs zu seinem „pythagoreischen“ Schüler Sigmund Ferdinand Weißmüller in ein neues Licht. In diesen Schriftstücken, einer Wolff gewidmeten Briefdissertation Weißmüllers und einem Schreiben Weißmüllers an die Philosophische Fakultät der Leipziger Universität, die sich beide auf ein Treffen mit Wolff beziehen, betont der zuvor von den Wolffianern weitgehend ignorierte Weißmüller ausdrücklich 2 seine Akzeptanz durch Wolff, woraus Mulsow die These ableitete, dass es einen „esoterischen Woffianismus“ nicht nur gegeben, sondern Wolff selbst auch Kontrolle darüber ausgeübt habe. Zudem sei mit einer Kontinuität der pythagoreischen Tradition in die Moderne zu rechnen, in die auch Weißmüller einzubeziehen wäre und die vor allem im Idealismus nachgewirkt habe. Dass auch Kants „Träume eines Geistersehers“ (1766) sich nicht allein auf eine rationale Zurückweisung der Schriften Emanuel Swedenborgs beschränken lassen, sondern Kant bestimmte Denk- und Argumentationsfiguren Swedenborgs übernahm, diese These stand bereits 2006 im Zentrum eines Workshops der Forschergruppe; sie wurde nun von Gregory Johnson (Atlanta) dahingehend ergänzt, dass auch Rousseau einen nachweisbaren Einfluss auf die Geisterseherschrift gehabt bzw. das Muster für Kants Swedenborgrezeption bereitgestellt habe. Demgegenüber kann der Einfluss des Neuplatonismus auf die Philosophie Schellings, dem Matthias Perkams (Jena) anhand ausgewählter Texte aus Schellings mittlerer und später Phase nachging, als anerkannt gelten; Perkams zeigte darüber hinaus aber auch eine Rezeption der Schriften Jakob Böhmes bei Schelling auf. Glenn A. Magee (Long Island) warnte in seinem Vortrag über das Spekulative und das Mystische bei Hegel grundsätzlich davor, unser heutiges Rationalitätskonzept auf die Aufklärungszeit zu übertragen: es habe noch keinen allgemein anerkannten Vernunftbegriff gegeben. Alchemie, Astrologie und Geisterseherei seien erst nachhegelianisch in das Reich der Pseudowissenschaften verbannt worden; Skeptiker, Materialisten und Atheisten würden erst heute für „modern“ gehalten, wogegen Hegels Synthese aus Rationalem und Irrationalem, Wissenschaftlichem und Mystischem als eine Aufhebung von Mystizismus und Aufklärung als vermeintlichen Gegensätzen zu betrachten sei, und zwar als eine Aufhebung an einem Punkt jenseits der Gegensätze: im Absoluten. Mit der Verbindung von Rationalismus und esoterisch-theosophischen Konzepten seit dem 18. Jahrhundert beschäftigten sich die Vorträge von Martin Hense (Berlin) und Friedemann Stengel (Halle). Während Hense die Diskurse des 18. Jahrhunderts zu Seelenwanderung und Wiedergeburt einmal nicht – wie bislang üblich – als populäre Debatten der Aufklärung betrachtete, sondern als Entwicklung spezifischer Denkstrategien, die bei John Locke und Charles Bonnet zu einer erkenntniskritischen Esoterik geführt hätten, vertrat Stengel anhand des medizinisch-philosophischen Diskurses um Nervenflüssigkeiten und Geistleibvorstellungen die These, der philosophische Rationalismus von Descartes bis Wolff habe mit seinen Leib-Seele-Lehren eine weithin akzeptierte theoretische Basis generiert, die in den spiritistischen Astral- und Ätherleib-Konzepten des 19. Jahrhunderts, aber auch schon im späten 18. Jahrhundert wirkungsvoll rezipiert wurde. In ähnlicher Weise erhob Bernard Bolzano, Professor für katholische Religionslehre in Prag, in seiner erstmals 1827 erschienenen Athanasia den Anspruch, die Unendlichkeit der Menschenseele argumentativ nach dem Vorbild der Wolffschen Methode begründen zu können, wie Walter Sparn (Erlangen) darlegte. 3 Ein weiterer Weg aus der Aufklärung in die moderne Esoterik des 19. und 20. Jahrhunderts führte, so die Ausführungen Jürgen Kaufmanns (Heidelberg), vom animalischen Magnetismus, wie er von Gassner und Mesmer ausgebildet wurde, über die romantischen Diskurse um Wunder und Wahnsinn bis zum modernen psychologisch begründeten Spiritismus. Daran inhaltlich anschließend schlug Karl Baier (Wien) in seinem Referat über die Entwicklung von Meditationslehre und -bewegung den Bogen vom Mesmerismus und den medizinischtherapeutischen Reformbestrebungen des 18. Jahrhunderts hin zur modernen Theosophie, Yogabewegung, Tantra-Bewegung und zur Neugeistbewegung der 1920er und 1930er Jahre, in der, so Baier, der Mesmerismus als hermeneutische Matrix für die Rezeption fernöstlicher Weisheits- und Meditationslehren diente. Die übrigen Vorträge gruppierten sich im Wesentlichen um die vier Themenbereiche Rezeption, Ästhetik, Wissenschaftsgeschichte und das Verhältnis von Esoterik und gesellschaftlichen Praktiken. III. Rezeption Rezeptionsfragen und -prozesse standen im Vordergrund gleich mehrerer Vorträge: Theodor Harmsen (Amsterdam) gab einen Einblick in die Entstehungsgeschichte der im späten 18. Jahrhundert erstmals gedruckten und bis ins 20. Jahrhundert vielfach rezipierten „Geheimen Figuren der Rosenkreuzer“, einer Sammlung alchemistischer und kabbalistischer Allegorien und Tafeln, die mit einigen alchemistischen Texten des 17. und 18. Jahrhunderts 1785 in Hamburg gedruckt wurde und nach Harmsens jüngsten Forschungsergebnissen auf seit 1734, möglicherweise sogar seit 1695 kursierende Manuskripte zurückzuführen sei. Tatiana Artemyeva (St. Petersburg) betrachtete die Aufnahme der hermetischen Tradition im Russland des 18. Jahrhunderts. Diese wurde wesentlich über die Rezeption englischer Autoren wie Robert Fludd oder Roger Bacon vermittelt, deren Texte meist nur als Manuskripte in geringer Stückzahl kursierten und daher wenigen, meist adligen Freimaurern, vorbehalten waren. Dessen ungeachtet lassen sich Einflüsse dieser Rezeption, u.a. von Fludds „visual language“, bis in die Kunst des 20. Jahrhunderts verfolgen. Serhij Hleybman (Toronto) untersuchte Martins Bubers dialogischen Existenzialismus, den dieser 1923 in seinem philosophischen Hauptwerk Ich und Du entwickelt hatte, und legte dar, wie Buber die widersprüchlichen Denktraditionen der jüdischen Aufklärung, der Haskala, mit der jüdischen Mystik von Kabbala und Chassidismus auf eine für ihn bezeichnende und doch typische Weise miteinander verband. Bubers ethische und theologische Perspektiven stammten einerseits von chassidischen Denkern wie Israel Baal Shem Tov, andererseits aber auch von Aufklärungsphilosophen wie Mendelssohn und Kant. Mit dem Traditionsbegriff bei dem französischen Okkultisten Fabre d’Olivet beschäftigte sich darüber hinaus der Vortrag von Esteban Law (Berlin). 4 IV. Ästhetik Die über das 18. Jahrhundert fortdauernde Attraktivität esoterischer Traditionsbestände der Frühen Neuzeit zeigt sich besonders im Rahmen ästhetischer Verfahren in Literatur, Kunst und Musik, der eine Reihe von Vorträgen von der Spätaufklärung bis in die Moderne nachgingen. Kristine Hannak (Tübingen) untersuchte die Engführung von Weisheitslehre, Esoterik und Ästhetik in Karl Philipp Moritz‘ Roman „Andreas Hartknopf“, in dem ein vielschichtiges esoterisches Erbe eine tragende Rolle spiele. Eingesetzt werde insbesondere, allerdings in ironischer Brechung, die freimaurerische Symbolik, von der der Roman durchwoben sei. Auch Goethes „Faust“ sei, so Manfred Beetz (Halle), derart mit Bezügen auf Magie, Alchemie und Pansophie gespickt, dass wesentliche Inhalte des Dramas ohne Kenntnis esoterischer Traditionen nicht oder nur eingeschränkt zu verstehen seien. Es gehe Goethe darum, magische Praktiken im Zeitalter der Aufklärung mit der Tendenz zu einer „vernünftigen Hermetik“ zu psychologisieren und ironisch zu brechen. Er enthülle nicht nur magische Verfahren, sondern kritisiere sie durch ihre professionellen Vertreter Mephisto und Faust. Im 19. Jahrhundert dagegen wurde die esoterische Tradition der Frühen Neuzeit als Alternative zur Aufklärung interessant, wie Martin A. Völker (Berlin) am Beispiel des Dichters und Schriftstellers Woldemar Nürnberger (1817-1869) zeigte, der Paracelsus zur antiaufklärerischen Erlösungsgestalt stilisierte. Gerade die vernichtende Kritik des Aufklärers Johann Christoph Adelung an der esoterischen Tradition nahm Nürnberger zum Anlass, in Paracelsus die Verkörperung eines schrankenlos vitalen Prinzips zu sehen, das die oberflächlich aufgeklärte Moralität durch seine genialische Amoralität außer Kraft zu setzen vermochte. Dabei sei es Nürnberger um eine „Imitatio Paracelsi“ gegangen, um die Formung eines sich am Leitbild des Paracelsus orientierenden Übermenschen, für den symbolisch das Gold der Alchemisten stehe. Um 1900 schließlich wurde die Rezeption voraufklärerischer Esoterik zunehmend durch moderne okkultistische und theosophische Konzepte abgelöst, die im Umfeld Helena Blavatskys und der Theosophischen Gesellschaft entstanden waren. So orientierte sich, wie Wolf Dieter Ernst (München) zeigte, die zwischen 1905 und 1932 an der Reformbühne des Düsseldorfer Schauspielhauses unter Louise Dumont und Gustav Lindemann ausgebildete Aufführungspraxis des sog. „Worttonsprechens“ u.a. an einer organizistischen Theorie einer Ursprache, die von Ideen Blavatskys sowie von völkisch-nationalen Kreisen in Wien beeinflusst war. Auch auf Kunsttheorie und Wirkungsästhetik übte die Theosophie im 19. Jahrhundert starken Einfluss aus. Raphael Rosenberg (Wien) demonstrierte dies hinsichtlich der Bedeutung und Codierung von Farben etwa bei Charles Leadbeater, Mary Gartside oder Rudolf Steiner, ebenso wie in der „Gedankenfotografie“ Louis Dargets oder der sog. Astralleibfotografie von Albert de Rochas d‘Aiglun. Die Annahme eines pauschalen theosophischen bzw. esoterischen Ursprungs der modernen, d.h. abstrakten, Kunst wies Rosenberg freilich am Beispiel 5 Kandinskys zurück. Deutlich traten esoterische und theosophische Einflüsse dagegen in der Musik Alexander N. Skrjabins zu Tage, wie Jürgen Stolzenberg (Halle) in seinem mit zahlreichen Tonbeispielen unterlegten und von einer Aufführung des „Poème de l’exstase“, einer „in Musik transformierten Theorie des Schöpferischen“, gefolgten Abendvortrag im Händelhaus ausführte. Skrjabin experimentierte unter dem Eindruck theosophischer Konzepte mit Analogien von Tönen und Farben und arbeitete bis zu seinem Tod 1915 an einem von der Geheimlehre Blavatskys beeinflussten „Mysterium“, das alle Künste in sich vereinen und zugleich die Grenzen der Kunst übersteigen sollte. Demgegenüber verbindet sich in Alain Nadauds Roman „Le passage du col“ sowie in Peter Handkes Roman „Mein Jahr in der Niemandsbucht“ die Hinwendung zu einer transnationalen, spirituellen Erfahrung mit einer Reflexion auf das Verhältnis von Aufklärung und Esoterik, wie Linda Simonis (Bochum) darlegte. Handke bilde darüber hinaus den Gestus des mystischen Sprechens nach, wie man ihn auch bei Swedenborg, Novalis und William Blake finde, um den Moment des Sublimen zu erzeugen, der in die gewöhnliche Perzeption einbricht und Ausgangspunkt eines durchlässigen Wahrnehmens und Schreibens wird. Unter Verwendung eines differierenden Esoterikbegriffs identifizierte Christian Sinn (Konstanz) den esoterischen Sprachduktus als Modus, mittels dessen im 19. und frühen 20. Jahrhundert die innerhalb exoterischer Prosa enthaltene esoterische Selbstkritik geäußert worden sei. V. Wissenschaftsgeschichte Dass in unterschiedlichen historischen Situationen vom 18. bis zum 20. Jahrhundert neue Konstellationen von Aufklärung und Esoterik unter fortlaufender Neudefinition der Grenze zwischen beiden entwickelt wurden, zeigten besonders auch die der Wissenschaftsgeschichte gewidmeten Vorträge. Klaus Vondung (Siegen) führte aus, dass das apokalyptischesoterisch grundierte Streben nach einer Universalwissenschaft, das in einem dialektischen Verhältnis zum Differenzierungs- und Spezialisierungsprozess der Wissenschaften, zumal der Naturwissenschaften dieser Zeit stand und seine Impulse aus dem Kontext pansophischen Denkens empfangen habe, über das 17. Jahrhundert hinaus fortbestand und durch Schelling in die Moderne getragen worden sei, wo es bis in das 20. und 21. Jahrhundert einen Nachklang in der Existenz sog. Leitwissenschaften finde. In den Einzelwissenschaften wurde der Gegensatz von religiös grundierter Ganzheitlichkeit und empirischer Immanenz der Forschung konkret ausgetragen, wie Annette Graczyk (Halle) am Beispiel der Physiognomik Johann Caspar Lavaters ausführte. Lavater grenze sich zwar gegen Bestandteile der älteren, esoterisch geprägten Physiognomik wie Metoposcopie und Chiromantie ab, versuche aber die Stirnlesekunst und Handlesekunst empirisch im Individuum und seiner organischen Konstitution neu zu fundieren. Gleichzeitig fand er neue Begründungszusammenhänge in der Christologie, der Stufenleiter der Wesen, der Monadologie und den „höheren“ Intuitionen des Genies, die oftmals zum Konflikt mit seiner aus der 6 Aufklärung stammenden, empirischen Orientierung führten. Der Grundansatz der Physiognomik (die Sichtbarkeit des Charakters) sowie die Aporien der Physiognomik wurden bereits von Zeitgenossen wie Lichtenberg bekämpft. Der Vorwurf der Pseudowissenschaft traf auch holistische Kosmologien, die sich um 1900 ungeheurer Popularität erfreuten. Dies gilt für die sog. Welteislehre Hanns Hörbigers, die Robert M. Erdbeer (Münster) vorstellte und die ihren universalistischen Anspruch sowohl in einer „Glazialsästhetik“ als auch in einer „Eisigen Erlösung“ einzulösen suchte, ebenso wie für die „Weltformel“ Johann Heinrich Zieglers, die, wie Renko Geffarth (Halle) ausführte, trotz zahlreicher terminologischer Bezüge auf naturwissenschaftliche Theorien der Zeit ebenfalls eindeutig eine religiöse Dimension aufwies. Mit den Konzepten von „Wahrer Wissenschaft“ und „Wahrer Erkenntnis“ und dem Bezug auf das verlorene Wissen der „Alten“ sowie die Alchemie seien darüber hinaus Anknüpfungen an esoterische Konzepte des 18. Jahrhunderts und der Vormoderne unübersehbar. Mit der Rolle esoterischer Konzepte des 18. Jahrhunderts für die Entstehung der modernen Soziologie und Kriminalistik um 1900 beschäftigte sich Hanns-Peter Neumann (Halle) am Beispiel des französischen Soziologen Gabriel Tarde. Dieser bediente sich für seine Theorie der sozialen Interaktion der von der pythagoreisch-neuplatonischen Tradition geprägten Leibnizschen Monadologie, indem er diese transformierte, prädominante Faktoren wie Milieu und Herkunft zurückwies und das grundlegende Bedürfnis aller Individuen nach Gesellschaft sowie ihr „Begehren“ nach Macht als gesellschaftbildende Kräfte in den Mittelpunkt stellte. Mit der Stellung der Kritischen Theorie zur Esoterik beschäftigte sich schließlich Werner Nell (Halle). Für Horkheimer und Adorno seien esoterische Phänomene die Wiederkehr einer verdrängten „zweiten Natur“ in Gestalt von Gespenstern, Spuk und Wahn sowie magischen und okkulten Bemühungen. Die so entstehende Anfälligkeit des einzelnen Menschen und ganzer Gesellschaften für Magie, allgemein für das Irrationale, sei in der Massenwirksamkeit ideologischer Programme und in der Begeisterung für regressive Versprechen zu erkennen. Ein offensichtliches Beispiel hierfür bildet etwa der Glaube an ein vorchristliches Matriarchat als klassenloser, gewaltfreier Gesellschaftsform, der ungeachtet seiner mangelnden historischen Beweisbarkeit nicht nur in der modernen Esoterik, sondern im Rahmen des „kulturellen Evolutionismus“ bis etwa 1920 auch akademisch diskutiert wurde, wie der Vortrag von Meret Fehlmann (Zürich) deutlich machte. VI. Gesellschaftliche Praktiken Den in der Hexenforschung oft konfrontativ verwendeten Konzepten von Volksmagie versus Gelehrtenmagie widmete sich Katrin Moeller (Halle). Zwar sei ein einheitliches Magieverständnis weder für die historische Periodisierung der Hexenverfolgungen noch für die inhaltliche Ausformung der Magie denkbar, doch seien immer sowohl die sozialen Praktiken der Magie als auch die intellektuellen Debatten um die Magie gleichermaßen zu berücksichtigen. 7 Die Beobachtung, dass gegen Ende des 17. Jahrhunderts die Hexenverfolgung in vielen Territorien schlagartig aufhöre, werfe die Frage auf, was mit der Volksmagie und dem animistischen Denken letztlich geschehen sei. Andreas Önnerfors (Sheffield) beschäftigte sich mit freimaurerischen Ritualen anhand von Abbildungen und Dioramen und zeigte anhand der Unterschiede zwischen verschiedenen Logen, dass Aufklärung nicht homogen war, sondern hinsichtlich sozialer Praktiken ebenso wie hinsichtlich ihrer Epistemologie geradezu zwischen gegensätzlichen Polen oszillierte, zwischen „daring to know“ und „daring to know too much“ (Dan Edelstein). Frank Eisermann und Frank Hatje (Hamburg) konstatierten am Beispiel der von 1792 bis 1848 geführten Tagebücher Ferdinand Benekes, dass das Selbstverständnis des hanseatischen Bürgertums fest in der Vorstellungswelt der Spätaufklärung verankert war. Zu den prominentesten Strömungen gehörten hierbei neben dem aufgeklärten Rationalismus der Magnetismus, die Physikotheologie, der Pietismus und die Freimaurerei sowie Autoren wie Mesmer, Lavater und Swedenborg. Im Kontext der Befreiungskriege bildete Beneke mehrere, einander widersprechende religiöse Positionen aus, die zugleich als wechselnde oder sich überlappende religiöse Identitäten begriffen werden könnten und gemeinsam mit der religiösen Pluralisierung den Weg in die Moderne wiesen. Die erfolgreiche Neupositionierung der Philosophie in Preußen nach Vorstellungen Immanuel Kants im 19. Jahrhundert wurde von Ute Frietsch (Berlin) in Verbindung mit dem Tagungsthema gebracht, indem sie diese auf einen Zensurkonflikt mit dem von dem Gold- und Rosenkreuzer Wöllner geführten Unterrichtsministerium unter Friedrich Wilhelm II. zurückführte. VII. Esoterikforschung: Bilanz und Perspektiven Ein knappes Resümee der Esoterikforschung mit einem Ausblick in die akademische Zukunft zog Diethard Sawicki (Gütersloh), indem er die bisherigen Entwicklungen und Resultate der Esoterikforschung im Zusammenhang mit der Aufklärungsforschung seit 1990 bilanzierte und Desiderate weiterer Forschungen aufzeigte. Die Esoterikforschung sei inzwischen ein etabliertes Forschungsfeld auf breit diskutierter theoretischer Grundlage, das sich nunmehr insbesondere der Erforschung des 19. und 20. Jahrhunderts zuwenden müsse, etwa der Geschichte der Alchemie nach 1800, dem in Frankreich im späten 19. Jahrhundert erstarkenden Interesse am Magnetismus, der Sexualmagie als Wurzel von Theorien der Psychoanalyse oder auch der naturwissenschaftlich-technischen Esoterik im Science-Fiction-Roman des 20. Jahrhunderts. Die Frage nach der Definition der Esoterikforschung und ihres Gegenstandes war mindestens im Hintergrund auch in den Sektionen stets präsent und führte in der abschließenden Plenarsitzung zu lebhaften Diskussionen. Während Kocku von Stuckrad (Groningen) in seinem Sektionsvortrag über vitalistische Naturkonzepte in der deutschen Romantik dafür plädiert hatte, von esoterischem Diskurs statt von Esoterik, von vitalistischem Diskurs statt von Vita8 lismus zu sprechen, innerhalb dessen sich Philosophie, Naturwissenschaft und Literatur als offene Systeme verhielten, die – im Kontext des vitalistischen Diskurses als esoterische Diskursformen verstanden – sich in Kommunikationsstrategien manifestierten, wollte Helmut Zander (Berlin) seinen Vortrag über die Figur der Selbsterlösung explizit als Plädoyer für eine Beibehaltung eines inhaltlich bestimmten Esoterikbegriffs verstanden wissen. Selbsterlösung sei ein zentrales Motiv der Anthroposophie, zugleich aber auch ein verbreitetes Strukturelement von Esoterik allgemein, deren geistesgeschichtlicher Hintergrund vor allem in der neuplatonischen Identitätsphilosophie zu suchen sei, etwa in Plotins Enneaden. Zanders Vorschlag, auf der Grundlage einer „Denkform Selbsterlösung“ erneut eine inhaltliche Definition des Esoterikbegriffs im Anschluss an Antoine Faivre zu etablieren, wurde in der Diskussion allerdings von verschiedenen Seiten als Verengung kritisiert, nicht zuletzt aus diskurstheoretischer Sicht. Ein Berichtsband wird in der Reihe „Hallesche Beiträge zur Europäischen Aufklärung“ im Max Niemeyer-Verlag Tübingen erscheinen. 9