Aktuelle Aspekte der Kartoffelforschung

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Wissenschaft & Forschung | Begutachtetes Original
Peer-Review-Verfahren | Eingereicht: 16. 12. 2009
Akzeptiert: 22. 1. 2010
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In einem zweiteiligen Beitrag werden aktuelle Aspekte der Kartoffelforschung
vorgestellt. In Teil 1 im letzten Heft der Ernährungs Umschau wurde gezeigt, dass
die Kartoffel insbesondere wegen ihrer positiven Eigenschaften hinsichtlich Sattheit und Sättigung sowie Energie- und Nährstoffdichte ein zeitgemäßes Lebensmittel ist. Im vorliegenden zweiten Teil stehen unerwünschte Inhaltsstoffe und
Kontaminanten sowie buntfleischige Kartoffelsorten, die immer häufiger im
Handel angeboten werden, im Vordergrund.
Aktuelle Aspekte der Kartoffelforschung
Teil 2: Unerwünschte Inhaltsstoffe und Kontaminanten sowie farbfleischige Sorten
Unerwünschte Inhaltsstoffe
Dipl. oec. troph.
Karin Wegner1
E-Mail: karin.wegner
@med.unigoettingen.de
1
Institut für Ernährungspsychologie an der
Georg-August-Universität
Göttingen
2
Fakultät Agrarwissenschaften und Landschaftsarchitektur, Fachhochschule Osnabrück
3
Institut für Lebensmittelchemie, TU Braunschweig
4
Department für Nutzpflanzenwissenschaften,
Georg-August-Universität
Göttingen
Interessenkonflikt
Die Autoren erklären,
dass kein Interessenkonflikt im Sinne der
Richtlinien des International Commitee
of Medical Journal
Editors besteht.
232
Neben vielen gesundheitlich erwünschten Inhaltsstoffen enthalten Kartoffeln
und Kartoffelzubereitungen auch unerwünschte Inhaltsstoffe und Kontaminanten. Im Folgenden wird auf die
häufigsten oder derzeit am stärksten diskutierten unerwünschten Inhaltsstoffe
und Kontaminanten und Möglichkeiten
zu deren Vermeidung eingegangen. Kartoffeln können nur dann für die tägliche
Ernährung empfohlen werden, wenn
das Risiko durch unerwünschte bzw.
gesundheitsgefährdende Inhaltsstoffe
möglichst gering und beeinflussbar ist.
Allergene
Allergische Reaktionen auf Kartoffeln
sind sehr selten und werden meist nur
durch rohe Kartoffeln hervorgerufen.
Wenige Fälle mit Reaktionen auf gekochte Kartoffeln sind bekannt [1].
Nitrat
Kartoffeln enthalten etwa 5 bis 25 mg Nitrat pro 100 g Frischmasse (FM) und
zählen damit zu den Lebensmitteln mit
niedrigen Nitratgehalten. Der Nitratgehalt in den Knollen wird von der Sorte,
der Höhe und Art der Düngung (mineralisch oder organisch) insbesondere
von Stickstoff sowie von den Anbaubedingungen und dem Witterungsverlauf
Ernährungs Umschau | 5/10
während der Vegetation beeinflusst [2].
Bei standortgerechter Düngung ist nicht
mit einem erhöhten Nitratgehalt in Kartoffeln zu rechnen.
Glykoalkaloide
Weitere Autoren:
Prof. Maria-Elisabeth
Herrmann2
Dr. Silke Hillebrand3
Prof. Elke Pawelzik4
PD Dr. Thomas Ellrott1
Die Kartoffelknolle enthält eine Vielzahl
sekundärer Inhaltsstoffe, von denen die
Glykoalkaloide toxisch sind. Sie kommen in allen Teilen der Kartoffelpflanze
vor, wobei die höchsten Konzentrationen in den Blüten und Keimen zu finden sind (쏆 Tabelle 1). α-Solanin und αChaconin machen 95 % der Glykoalkaloide aus. Das Verhältnis von α-Chaconin
zu α-Solanin kann 25 : 75 bis 60 : 40 betragen, dabei ist α-Chaconin toxischer
als α-Solanin. Die pflanzenphysiologische Bedeutung der Glykoalkaloide besteht vor allem in der Abwehr gegenüber
tierischen und mikrobiellen Pathogenen
[3].
Die humantoxischen Wirkungen der
Glykoalkaloide beruhen auf der Zerstörung von Phospholipiden der Membrane des Magen-Darm-Traktes und der
Hemmung der Acetylcholinesterase, was
wiederum zur Depression des Zentralnervensystems und intoxikationstypischen neurologischen Effekten (u. a.
Halluzinationen, Krämpfe) führt [4].
Die letale Dosis wird zwischen 1,75 und
6,00 mg/kg Körpergewicht vermutet
[5]. Bisher gibt es keinen Grenzwert für
100
blaufleischige Sorten
rotfleischige Sorten
80
60
40
20
0
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Abb. 1,
(vergl. S. 235):
Anthocyangehalt
verschiedener
farbfleischiger
Sorten
mg Anthocyane/100 g frische Kartoffel
(ber. als Cy-3-glc)
120
eine unbedenkliche Aufnahme von
natürlich vorkommenden Glykoalkaloiden. Während in der Literatur ein
Maximalwert von 20 mg/100 g FM genannt wird (u. a. [6]), empfiehlt die
FAO/WHO einen Grenzwertbereich
von 2–10 mg/100 g FM [7]. Glykoalkaloide sind mit einem bitteren Geschmack assoziiert, wobei die Geschmackswahrnehmung bei 10–20
mg/100 g Kartoffeln einsetzt [3].
Knollen heutiger Sorten enthalten in
der Regel weniger als 10 mg Glycoalkaloide/100 g FM. Außerdem werden
Kartoffeln überwiegend als geschälte
Produkte verzehrt, die einen um
80 % geringeren Gehalt an Glykoalkaloiden aufweisen [3], so dass die
unter üblichen Verzehrsgewohnheiten aufgenommene Menge als unbedenklich angesehen werden kann
[3].
Der Gehalt an Glykoalkaloiden in
Kartoffeln wird von vielen Faktoren
beeinflusst. Dies sind neben den Sorteneigenschaften die klimatischen
Bedingungen während der Wachstumsperiode sowie Ernte- und Nacherntebedingungen. Kühle Temperaturen und hohe Niederschläge aber
auch trocken-heißes Wetter können
in der Pflanze physiologischen Stress
verursachen, was einen Anstieg der
Glykoalkaloidgehalte zur Folge haben kann [8]. Ungünstige Wachstumsbedingungen können auch zu
einem höheren Anteil kleiner Knollen führen. Diese weisen einen höheren Schalenanteil auf und damit potentiell einen höheren Alkaloidgehalt. Wirkt auf Kartoffeln Licht (z. B.
Tageslicht) ein, bilden sich in den
Knollen sowohl Chlorophyll (Ergrü-
nen der Knollen) als auch Glykoalkaloide. Auch wenn bisher keine Verknüpfung zwischen beiden Stoffwechselwegen nachweisbar ist, ist ein
enger Zusammenhang zwischen
Chlorophyll- und Glykoalkaloidgehalt
in den Schalen von ergrünten Knollen ermittelt worden, während im
Fleisch dieser Knollen der beschriebene Zusammenhang weniger eng
war [5]. Weitere Faktoren, die zum
Anstieg des Glykoalkaloidgehaltes in
den Knollen führen können, sind Lagerungsbedingungen und -dauer,
mögliche Knollenbeschädigungen
sowie Keimungsprozesse. Kartoffeln
sollten daher kühl und dunkel aufbewahrt werden.
Die Verarbeitung der Kartoffeln hat
ebenfalls Einfluss auf den Glykoalkaloidgehalt (쏆 Tabelle 2). Das Schälen
führt zu einer Verringerung um etwa
80 % [3], während nachfolgende Verarbeitungsschritte wie Blanchieren
und Kochen den Gehalte um weitere
8–10 % senken können [9].
Von Bedeutung ist auch die Art der
Verpackung bzw. die Lagerung der
Kartoffeln im Einzelhandel. Neben
dem bereits erwähnten Einfluss von
Tageslicht können energiereiche
blaue sowie rote Strahlung zu einem
Anstieg des Glykoalkaloidgehaltes
führen [10]. Daher sind lichtabweisende Verpackungen eine Möglichkeit, die Bildung von Glykoalkaoiden
während des Verkaufs im Einzelhandel zu minimieren.
Generell ist jedoch davon auszugehen, dass bei den in Deutschland üblichen Verzehrsmengen von etwas
mehr als 60 kg pro Kopf und Jahr
und unter Berücksichtigung der Bedingungen für die Glykoalkaloidbildung keine unmittelbare Gefährdung der Verbraucher besteht.
Acrylamid
Acrylamid entsteht während der Verarbeitung bei hohen Temperaturen
(Braten, Backen, Frittieren usw.) in
Teil der Pflanze
Glykoalkaloide
(mg/100g FM)
Blüten
215–500
Blätter
23–100
Stängel
2,3–3,3
Wurzeln
18–40
Knollen
Schale (10…12 % der Knolle)
Fleisch
1–15
15–107
1,2–10,0
Keime
200–730
Tab. 1: Glykoalkaloidgehalte in der Kartoffelpflanze [3]
Produkt
Glykoalkaloide
(mg/100g FM)
Gekochte geschälte Kartoffeln
Frische Chips
2,7–4,2
0,08–0,84
Schalen, gebacken
3,1–6,3
Pommes frites
2,4–18,4
Kartoffelkuchenmehl
4,5
Getrocknete Kartoffelflakes
1,5–2,3
Gefrorenes Püree
0,2–0,5
Geschälte Scheiben, gefroren
6,6–7,1
Tab . 2: Glykoalkaloidgehalte in Kartoffelprodukten [3]
Ernährungs Umschau | 5/10
233
쑺
Wissenschaft & Forschung | Begutachtetes Original
stärkereichen Lebensmitteln mit
niedrigem Wassergehalt. Es gilt als
neurotoxisch und potentiell kanzerogen [11].
Abb. 2: Kartoffelsorte „Blauer Schwede“
Abb. 3: Alte Kartoffelsorte „Highland Burgundy Red“
Kartoffeln enthalten im Vergleich zu
anderen stärkereichen Produkten
relativ hohe Gehalte an Glukose,
Fruktose und Asparagin, die während der Maillard-Reaktion zur Bildung von Acrylamid führen können
[12]. Da Asparagin mit durchschnittlich 600–900 mg/100 g Trockenmasse (TM) in weit höheren
Konzentrationen als Glukose und
Fruktose in der Knolle vorliegt, ist
der Gehalt an reduzierenden Zuckern unter den Reaktionspartnern
der limitierende Faktor für die Bildung von Acrylamid. Der Gehalt an
Zuckern und Asparagin ist zunächst
durch die Sorte bestimmt. Weitere
Faktoren sind die Versorgung der
Pflanzen mit Nährstoffen, das Wetter während der Vegetationsperiode,
die physiologische Reife der Knollen
zum Erntezeitpunkt und die Lagerbedingungen sowie die Lagerdauer.
Von besonderer Bedeutung ist die
Lagertemperatur, da die Bildung reduzierender Zucker unter 8 °C deutlich zunimmt. Während der Verarbeitung, sowohl im großtechnischen
Maßstab als auch im Haushalt, wird
die Bildung von Acrylamid neben
dem Gehalt an den o. g. Reaktionspartnern u. a. auch von den Prozessbedingungen (z. B. Frittierdauer
und -temperatur) bestimmt [13].
Eine Möglichkeit, den Gehalt an reduzierenden Zuckern im Verarbeitungsprozess zu senken, besteht im
Blanchieren von Kartoffelstreifen,
die anschließend zu Pommes frites
verarbeitet werden [13]. Dadurch
wird die Fruktose von der Oberfläche abgewaschen. Weiterhin sollten
in Abhängigkeit vom angewandten
Frittierverfahren (Öl, Luft) Temperaturen von 170 °C nicht überschritten werden.
Abb. 4: Alte Kartoffelsorte „Vitelotte“
234
Ernährungs Umschau | 5/10
der Forschung. Neben den weit verbreiteten gelbfleischigen Kartoffeln
gibt es auch orangefleischige sowie
rot-, violett- oder blaufleischige Sorten. Farbgebende Inhaltsstoffe sind
bei den orangefleischigen Sorten
Carotinoide, insbesondere Lutein,
Neoxanthin, Violaxanthin und Zeaxanthin. Bei den rot-, violett- oder
blaufleischigen Sorten sind Anthocyane für die Farbe verantwortlich.
Sowohl Carotinoide als auch Anthocyane fungieren als Antioxidantien
[14]. Anthocyanreiche und carotinoidreiche Sorten weisen im Vergleich zu den herkömmlichen weißbis leicht gelbfleischigen Sorten eine
bis zu 10fach erhöhte antioxidative
Aktivität auf [15, 16]. Antioxidantien können bei Aufnahme über natürliche Quellen wie Obst, Gemüse
und Vollkornprodukte möglicherweise Herz-Kreislauf-Erkrankungen
und Krebs vorbeugen [17]. Entsprechende Nachweise für farbfleischige
Kartoffeln stehen noch aus.
In carotinoidreichen Kartoffelsorten
kommt vor allem das Carotinoid Lutein vor. Dieses steht gemeinsam mit
dem Carotinoid Zeaxanthin im Forschungsinteresse, da beide Vertreter
selektiv in der Netzhaut anreichern
und dort die Zellen vor Schädigung
durch UV-Licht schützen [18]. Im
Forschungsverbund „Verbesserung
der gesundheitlichen Qualität von
Lebensmitteln durch Erhöhung und
Modifikation des Carotinoidgehaltes“ konnte bereits eine Kartoffel mit
besonders hohem Zeaxanthingehalt
entwickelt werden. In einer kleinen
Studie konnte die Bioverfügbarkeit
des Zeaxanthins aus dieser Kartoffel
nachgewiesen werden [18].
Im Folgenden werden anthocyanreiche Kartoffeln näher vorgestellt,
da diese Sorten in Deutschland derzeit besser erhältlich sind als carotinoidreiche Sorten.
Farbfleischige Kartoffeln
Anthocyanreiche Sorten
Seit einigen Jahren sind pigmentierte Kartoffeln aufgrund ihrer farbgebenden Inhaltsstoffe Gegenstand
Bei diesen Kartoffeln handelt es sich
um sehr alte und traditionsreiche
Sorten. In den mittel- und südame-
rikanischen Ursprungsregionen und
einigen europäischen Ländern wie
Frankreich und der Schweiz werden anthocyanreiche Kartoffelsorten
auch heute noch in größerem Umfang angebaut und auch zu veredelten Produkten wie bunten Chips verarbeitet. Heute nimmt im Zuge eines
wachsenden Ernährungsbewusstseins
des Verbrauchers das Interesse an solchen Sorten wieder zu. Spätestens
durch die Auszeichnung der Kartoffelsorte „Blauer Schwede“ zur Kartoffel des Jahres 2006 sind bunte Kartoffeln sprichwörtlich in aller Munde
(쏆 Abbildung 2).
Bei anthocyanreichen Knollen unterscheidet man zwischen rot- und blaufleischigen Kartoffeln. Verantwortlich
für die Farbgebung ist die jeweilige
Anthocyanzusammensetzung [19].
Während es in Deutschland unter
den rotfleischigen Kartoffelsorten
nur sehr wenige Vertreter gibt, zeichnet sich die Gruppe der blaufleischigen Sorten durch eine Vielzahl an Varietäten mit starken Unterschieden in
der Anthocyanzusammensetzung aus
[19].
Der Anthocyangehalt von 21 rot- oder
blaufleischigen Kartoffeln wurde im
Rahmen eines mehrjährigen Screenings vom Institut für Lebensmittelchemie der Universität Braunschweig
in Zusammenarbeit mit der Fakultät
für Agrarwissenschaften und Landschaftsarchitektur der Fachhochschule Osnabrück untersucht.
Es zeigte sich, dass der Gehalt an Pigmenten sortenspezifisch ist und mit
dem Grad der optischen Färbung
korreliert. Der Großteil der untersuchten Varietäten besitzt einen Anthocyangehalt zwischen 10 und 20 mg/
100 g FM (쏆 Abbildung 1, vgl. S. 233).
Sorten mit einem Anthocyangehalt
über 40 mg pro 100 g FM bilden eher
die Ausnahme und können als
anthocyanreich eingestuft werden.
Zur Gruppe der anthocyanreichen
Sorten zählen vor allem alte Sorten
wie die rotfleischige Varietät „Highland Burgundy Red“ und die blaufleischige Sorte „Vitelotte“ (쏆 Abbil-
Anthocyane1
(mg/100g FM)
Sorte
Blaue Elise
Vitelotte
41
464
113
1 095
82
636
Erika
1
TEAC
(μmol TE2/100g)
2
berechnet als Cyanidin-3-glucosid, berechnet als Trolox-Äquivalente
Tab. 3: Anthocyangehalt und antioxidative Aktivität von pigmentierten,
rohen Kartoffelsorten (inkl. Schale)
dungen 3 und 4). Diese werden aufgrund des hohen Gehaltes an Anthocyanen zur Züchtung von neuen farbfleischigen Sorten mit verbesserten
Sorteneigenschaften eingesetzt, da
viele alte Sorten sehr geringe Erträge,
eine hohe Krankheitsanfälligkeit
sowie eine geringe industrielle Verwertbarkeit z. B. aufgrund von
schlechten Form- und Schäleigenschaften aufweisen.
Vergleiche mit anderem Obst und
Gemüse belegen, dass der durchschnittliche Anthocyangehalt von
farbfleischigen Kartoffeln durchaus
mit dem anthocyanhaltiger Obst- und
Gemüsesorten wie Himbeeren, Erdbeeren oder Auberginen konkurrieren kann [20]. Allerdings ist der
durchschnittliche Kartoffelverzehr in
Deutschland (ca. 60 kg/Jahr [21])
wesentlich höher als der Verzehr dieser Obstsorten. Aus diesem Grund
ist über blaue Kartoffeln eine hohe
Anthocyanzufuhr möglich.
Pigmentierte Kartoffeln besitzen im
Vergleich zu den gelbfleischigen Sorten eine bis zu 10fach erhöhte antioxidative Aktivität. Die Höhe des
Anthocyangehaltes wirkt sich dabei
maßgeblich auf die Höhe der antioxidativen Kapazität aus, die in vitro
mittels TEAC-Test (Trolox Equivalent
Antioxidative Capacity) bestimmt
werden kann (쏆 Tabelle 3). Während
der Verarbeitung kann es zu Änderungen in der antioxidativen Kapazität kommen. Das Schälen von pigmentierten Kartoffeln führt zu hohen
Verlusten an antioxidativ wirksamen
Verbindungen. Hiervon sind in erster
Linie Anthocyane betroffen [15].
Verbraucherakzeptanz
von anthocyanreichen Kartoffeln
Im Rahmen von Untersuchungen zur
Verbraucherakzeptanz funktioneller
Lebensmittel am Institut für Ernährungspsychologie in Göttingen wurden u. a. blaue Kartoffeln mit Auslobung eines positiven Gesundheitsnutzens gegenüber hellen Kartoffelsorten auf Akzeptanz in einem nicht
repräsentativen Studienkollektiv untersucht. Die Auslobung eines Gesundheitsnutzens ist für blaue Kartoffeln nicht erlaubt, da entsprechende
Nachweise noch ausstehen.
Zur Feststellung der Akzeptanz mussten sich 155 Testeinkäufer im Mai
2009 in einem nachgebauten Studiensupermarkt entweder für blaue
oder helle Kartoffelsorten entscheiden. Für die blaufleischige Sorte
(„Blauer Schwede“) wurde die Aussage zum gesundheitlichen Mehrwert
(sog. Health Claim) systematisch dreifach variiert, ebenso der Preis. Die
helle Sorte („Cilena“) wurde stets
Glossar:
Trolox Equivalent Antioxidative Capacity-Test =
Test zur Messung der antioxidativen Kapazität.
Das Vitamin E-Derivat Trolox dient als Referenz,
weswegen das Ergebnis in Trolox-Äquivalenten
angegeben wird.
In einem Reaktionsgefäß wird ein oxidatives Milieu erzeugt und eine Antioxidans zugesetzt. Dadurch wird die Oxidationsreaktion verlangsamt.
Der zeitliche Verlauf wird mit Hilfe eines Hilfsstoffs (2,2’-Azinobis-3-ethylbenzthiazolin-6-sulfonsäure, ABTS) gemessen und mit der des Trolox
verglichen. In oxidativem Milieu bildet der ABTS
ein stabiles grün gefärbtes Radikalkation, das
photometrisch gemessen werden kann.
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쑺
Wissenschaft & Forschung | Begutachtetes Original
zum Normalproduktpreis und ohne
Health Claim angeboten. Die Testeinkäufer gingen davon aus, die Kartoffeln von ihrem eigenen Geld zu
bezahlen. Im Anschluss an den Testeinkauf wurde mit jedem der 155 Testeinkäufer ein standardisiertes Interview durchgeführt.
Im Vergleich zu den parallel untersuchten funktionellen Lebensmitteln
zeichnen sich blaue Kartoffeln durch
eine mittlere Akzeptanz aus. Das Interview zu Kauf- bzw. Nicht-KaufArgumenten brachte folgende Ergebnisse: Bei den Käufern war das
häufigste Argument Neugier bzw. der
Wunsch, etwas Neues auszuprobieren
(79 % der Käufer). Barrieren für den
Kauf waren vor allem Farbe (24 % der
Nicht-Käufer), Bevorzugung von Bekanntem (24 %), Unsicherheit hinsichtlich des zu erwartenden Geschmacks oder ein bereits bekannter
wenig positiver Geschmack (21 %),
Unsicherheit hinsichtlich der Verwendung (5,3 %), die (fälschliche)
Annahme, dass es sich um eine gentechnisch veränderte Sorte handelt
(2,1 %) sowie der Preis (23 %). Es
scheint gegen blaue Lebensmittel
wegen ihrer Seltenheit in der Natur
eine generelle Aversion zu geben
[24].
Es ist anzunehmen, dass sich mit
Hilfe von Abbildungen, Rezeptvorschlägen und Geschmacksbeschreibungen sowie der Betonung des natürlichen Ursprungs Kauf-Barrieren
vermindern und Verbraucherakzeptanz steigern lassen.
Ausblick
In Teil 1 des Beitrags konnten grundsätzlich positive Eigenschaften der
Kartoffel vor allem als gekochte oder
gebackene Zubereitung hinsichtlich
Sattheit, Sättigung sowie Energieund Nährstoffdichte gezeigt werden.
Die ernährungsphysiologischen Vorteile der Kartoffel sind aber erst dann
in einer Empfehlung zu formulieren,
wenn nicht von einer Gesundheitsgefahr durch andere Inhaltsstoffe oder
Kontaminanten auszugehen ist. Über
Sortenauswahl, geeignete Lagerung
236
Ernährungs Umschau | 5/10
und Weiterverarbeitung können Gehalte an Acrylamid und Glykoalkaloiden beeinflusst werden. Die Glykoalkaloidaufnahme liegt bei der aktuellen Verzehrmenge an Kartoffeln und
dem Gehalt heutiger Sorten in einem
eher unbedenklichen Bereich. Zur
Vermeidung der Acrylamidbildung ist
hinsichtlich der Verarbeitung vor
allem eine Frittiertemperatur von maximal 170 °C einzuhalten. Die Kartoffel zählt zu den nitratarmen Lebensmitteln und hat nur ein sehr geringes
allergenes Potential.
Buntfleischige Sorten finden sich
immer häufiger in Supermärkten
und auf Wochenmärkten. Sie verfügen über ein bis zu etwa 10-fach höheres antioxidatives Potential als
helle Kartoffeln. Um eine Auswaschung der Anthocyane zu verhindern, ist dem Garen mit Schale der
Vorrang zu geben. Zur Reduktion der
Glykoalkaloidaufnahme ist ein Schälen nach dem Kochen aber sinnvoll.
Werden diese Vorgaben umgesetzt,
sind Kartoffeln aus ernährungsphysiologischer Sicht ein zeitgemäßes
und wertvolles Lebensmittel, das
einen wichtigen Beitrag zu einer ausgewogenen und gesundheitsfördernden Kost der Bevölkerung leisten
kann. In der Kommunikation mit
dem Verbraucher ist dabei zu beachten, dass zwar die Motive Geschmack,
Convenience und Preis bei den meisten Kaufentscheidungen im Vordergrund stehen. Dennoch werden Gesundheitsaspekte für die Kaufentscheidungen zunehmend wichtiger
und gerade sie rechtfertigen ein
neues Image für die Kartoffel mit
dem Ziel eines Anstiegs des Verzehrs
frischer heller oder buntfleischiger
Kartoffeln.
Die Arbeiten an dem Beitrag wurden gefördert aus Forschungsmitteln des Landes Niedersachsen im
Rahmen des Forschungsverbundes Agrar- und Ernährungswissenschaften Niedersachsen, Verbundprojekt 1: Netzwerk Lebensmittel – Vom hochwertigen Rohstoff zur gesunden Ernährung
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Zusammenfassung
Aktuelle Aspekte der Kartoffelforschung
Teil 2: Unerwünschte Inhaltsstoffe und Kontaminanten sowie
farbfleischige Sorten
Karin Wegner, Maria-Elisabeth Herrmann, Silke Hillebrand,
Elke Pawelzik, Thomas Ellrott, Göttingen/ Braunschweig/ Osnabrück
Der Gehalt unerwünschter Inhaltsstoffe in Kartoffeln kann durch entsprechendes Vorgehen bei der industriellen und küchentechnischen
Lagerung sowie Zubereitung auf ein praktisch unbedenkliches Maß reduziert werden: Zur Vermeidung zu hoher Gehalte an Acrylamid und Glykoalkaloiden sollten Frittiertemperaturen von 170 °C nicht überschritten
werden, die Knollen dunkel und kühl, aber oberhalb von 8 °C gelagert und
vor dem Verzehr geschält werden. Heutige Sorten haben Glykoalkaloidgehalte, die dem von der der FAO/WHO empfohlenen sicheren Bereich entsprechen. Kartoffeln haben ein sehr geringes allergenes Potential und
sind bei standortangepasster Düngung nitratarm. Anthocyanreiche Kartoffelsorten, die sich zunehmender Beliebtheit erfreuen, haben ein etwa
10-fach höheres antioxidatives Potential als herkömmliche Sorten. Um die
Auswaschung der Anthocyane zu vermeiden, sollten sie in der Schale gegart werden. Gemeinsam mit den sortenübergreifenden positiven Eigenschaften der Kartoffel hinsichtlich Sattheit, Sättigung, Energie- und Nährstoffdichte sind Kartoffeln als zeitgemäßes Lebensmittel mit einem
berechtigten Platz in einer ausgewogenen Ernährung anzusehen.
Schlüsselwörter: Allergene, Nitrat, Glykoalkaloide, Acrylamid, Anthocyane
Summary
Current Research on Potatoes
Part 2: Undesirable substances and contaminants; flesh-coloured
potatoes
Karin Wegner, Maria-Elisabeth Herrmann, Silke Hillebrand,
Elke Pawelzik, Thomas Ellrott, Göttingen/Braunschweig/Osnabrück
Undesirable substances in potatoes can be reduced to harmless levels by
appropriate storage and preparation. High levels of acrylamide or glycoalkaloids can be avoided by not frying at temperatures above 170 °C, storage
in a cool dark place (at above 8 °C), and peeling before eating. Today’s varieties have levels of glycoalkaloid which are safe according to the recommendations of the FAO/WHO. The allergenic potential is low. Nitrate concentration can be kept at a low level if fertiliser treatment is adapted to
the location. Potatoes rich in anthocyans are becoming more and more
popular with consumers. A positive characteristic of these varieties is their
antioxidative potential, exceeding that of the usual varieties by a factor of
about 10. If the potatoes are cooked unpeeled, this prevents loss of anthocyans by leaching.
With these precautions, potatoes lack adverse effects and have positive
characteristics with respect to satiety, satiation, energy density and nutrient density. This is why potatoes can be seen as a modern food with a justified place in a balanced diet.
Keywords: Allergens, nitrate, glycoalkaloids, acrylamide, anthocyans
Ernährungs Umschau 57 (2010) S. 232–237
쎱
Ernährungs Umschau | 5/10
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