Über die Hügel wehen Verse – Hommage an Johannes Kühn Eine Anthologie der „Sprach-Spielerinnen“ zum 80. Geburtstag des großen Dichters Der Jubilar Johannes Kühn u. Verlegerin Martina MerksKrahforst u. links: die „Sprach-Spielerinnen“ Ellen Schwartz, Ursula Straß, Irmgard Emanuel, Juliane Rutz, Sonja Völker u. rechts: Mit dem Dichter am Tisch, v. links: Karin Schiesser, Irmgard Emanuel hier: Monika Müller, Ellen Schwartz Vorwort Auslöser der anhaltenden intensiven Beschäftigung mit Johannes Kühns Lyrik war für uns „Sprach-Spielerinnen“ zweifellos der „Wortsegel“Schreibwettbewerb für Schulen 2012 Zehn Zitate aus seinen Gedichten standen als Anregung für eigene Gedichte zur Wahl und reizten auch uns zum Schreiben. Der Wunsch nach mehr war schnell geweckt, und so lasen und schrieben wir weiter. Der nächste Schritt war unsere Schreib-Wanderung auf dem Johannes-Kühn-Weg in Hasborn. Wir hatten uns verschiedene Aufgaben gestellt, u.a. die Landschaft mit Johannes Kühns Dichter-Blick wahrzunehmen, uns mit den Gedichtauszügen auf den elf Tafeln entlang des Wegs und weiteren Gedichten auseinanderzusetzen sowie achtsam zu sein auch für die kleinen Dinge, Tiere und Pflanzen am Weg. Zudem hatte ich zwei Begriffe, „Waldeinsamkeit“, einer der Gedicht-Tafeln entnommen, und „Rucksack“ zum Überdenken während des Gehens ausgewählt. An verschiedenen Wegstellen las ich – für die Gestattung herzlichen Dank, lieber Herr Kühn – einige seiner Gedichte, so Nikolaus Warken, genannt Eckstein, Störenfried, Schaumberg, Auswanderer, Die Sonnenuhren, Der Baum, Hasborn, Sonntagmorgen am Dorfrand und, in der Nähe seines Hauses, Das Pflaster. Eine besondere Freude war das abschließende Treffen mit Johannes Kühn in seinem Stammlokal zum gemeinsamen Schreiben, wobei sowohl er als auch ich Stichwörter vorgaben. Eine „Sprach-Spielerin“, Ellen Schwartz, inspirierten Wanderung und Treffen auch zum Malen. Es lag nahe, eins ihrer Aquarelle als Titel-Illustration auszuwählen. Johannes Kühns Blick auf den Reichtum der Natur, auf die unterschiedlichsten Wetterlagen und –phänomene quer durch alle Jahreszeiten fasziniert und inspiriert uns, ebenso wie seine genaue Beobachtung der Arbeitswelt und der Menschen, immer wieder. Dieser Gedichtband ist unsere Hommage an einen großen Dichter und sehr liebenswürdigen Menschen. Lieber Herr Kühn, zu Ihrem 80. Geburtstag wünschen wir Ihnen von Herzen Gesundheit und viele weitere gute, schaffensreiche Jahre. Martina Merks-Krahforst und die „Sprach-Spielerinnen“ links: Juliane Rutz u. das Ehepaar Irmgard und Benno Rech Martina Merks-Krahforst Einkehr Mit rabenklarem Blick und heller Wolken Sanftheit durchwandert er den Hügelring im frühen Grün im späten Braun kehrt er ein in sich ins Wort das Freund ihm ist In: Annäherungen, Tholey, 2012 Das „Wortsegel“ Für seinen Heimatort hat Prof. Heinrich Popp die Stahlplastik „Wortsegel“ als „Denkmal für Poesie“ geschaffen. Weithin sichtbar ragt sie auf einem Hügel in Sotzweiler (Gemeinde Tholey) in den Himmel. Nach ihr ist der 2006 von der Gemeinde Tholey kreierte Schreibwettbewerb für Schulen benannt. Dieser Schreibwettbewerb ist in jedem Jahr einer Dichterin oder einem Dichter gewidmet. Eine Jury wählt Zitate aus, die den Schülerinnen und Schülern aller Schultypen im Saarland und den angrenzenden Regionen im Dreiländereck Anreiz zu eigenem Schreiben sein sollen. Monika Müller Bisherige Widmungen: 2006 – Heinrich Heine 2007 – Joseph von Eichendorff 2008 – Wilhelm Busch 2009 – Peter Rühmkorf 2010 – Erich Kästner 2011 – Mascha Kaléko 2012 – Johannes Kühn 2013 – Nora Gomringer 2014 – Christian Morgenstern Leben Kummerfalten kleben unterm Narrenhut zischen fauchen durchs Gemüt nur Mut! Kummerbrei ins Boot aufs Meer schwappt um im Wirbelsturm Sonja Völker Die Mondscheinkutsche mit Sonnenblumenrädern macht einen Luftsprung am Ziel der Lebensreise zum Sonnengott Helios nur Mut! Die Uhr misst kurz die Zeit für Narretei und Spielerei für Frühlingswind und Mondscheinkutschensonnenblumenräder Sonja Völker Eisig weht der Wind Schneeflocken umtanzen mich Mein Wintermantel – ein schwarzer Schatten im Schnee der heiseren Krähe gleich Ursula Straß Juliane Rutz Vor der Zeit Einen Winter lang Zeiger der Zeit zählen die Träume bekennen leise ganz leise die Sehnsucht tief in mir Der Winterpflug gräbt mir Furchen tief ins Gesicht aus dem kein Rabe mehr eine Träne pickt vom Brei der guten Laune habe ich lange nicht gegessen nicht getrunken vom Wein erwählter Freud Totenblumen trockneten in tickender Zeit so bleibt der Frühling aus und keine laue Brise kämmt mein Haar verweht die Sorgenfalten und ich ess‘ mein letztes Kummerbrot einen Winter lang blaue Stunde im Morgenwind erzähl ‘ mir neu von Vogelscharen von Frühlingslust färbe mir den Sommerhimmel unwiderstehlich Irmgard Emanuel Ein Sommertag Der erste Ausflug mit dir fernab des Dorfs dort oben am Hang Satte Wiesen Kräuterduft Hinein sinken ins weiche Bett des Sommers Hörst du das Klingen das Flüstern des Windes aufsteigend ins Blau Wispernde Gräser Rosmarin- und Lavendelblüten leuchtendes Gelb der Schlüsselblume Behutsam glitt es durch meine Hände – das glückliche Gras ein Geschenk von dir mit Liebe in den Garten gepflanzt Heute weiß ich Gräser vergehen nicht im Winter. Martina Merks-Krahforst Ursa Maior Auf Himmelsgräsern fährt ihr Sternenschlitten auf den glücklichen Gräsern der Nacht Die große Bärin auf ihrem siebensternigen Wagen weiß um die Freiheit der Grashalme Der Große Bär (lateinisch: Ursa Maior‚ größere Bärin‘), Sternbild des Nordhimmels. Die sieben hellsten Sterne dieses Sternbildes sind im deutschsprachigen Raum als „Großer Wagen“ bekannt. Ellen Schwartz Ende Mai Nicht zu fassen, dieses Fauchen, dieses Zischen des Wirbelsturms! Dieses Schlagen, dieses Prasseln der Hagelkörner, diese unablässigen Regenpeitschenhiebe – Ende Mai! Kennzeichnung: grünes Buch Startpunkt: Altes Rathaus Hasborn Länge 11,5 km Gehzeit: 4 Stunden Beschaffenheit: Ausgebaute Waldund Feldwirtschaftswege Charakteristik: Der Johannes-KühnWanderweg führt rund um Hasborn; am „Zeppelsborre“ vorbei‚ einer alten Hasborner Wasserversorgung‚ über den Bitschberg mit den Resten einer alten Römerstraße bis zum Kremersberg mit herrlichem Blick über Hasborn bis hin zum Schaumberg. Wegtafeln mit Zitaten aus Johannes Kühn-Gedichten laden ein, die Natur mit den Augen des Dichters wahrzunehmen. Juliane Rutz Boot in der Pfütze (http://www.tholey.de; (Stand: 16.06.2013) Martina Merks-Krahforst Mit meinen Kinderaugen sehe ich in jeder Pfütze das Meer trägt mein Boot zu fernen Inseln reise ich um Muscheln zu finden ist mein größtes Glück am Meer ist das Rauschen zu hören wie die Wellen sich brechen und das Ufer ist doch nur der Rand der Pfütze Am Nikolaus Warken Denkmal Altes Rathaus, Hasborn Der Dichter erweist ihm Ehre erinnert an den aufrechten Mann Wir sehen das Denkmal hören die Dichterworte denken zurück in der Zeit und haben noch heute zu danken Nikolaus Warken, dem „Eckstein“ der durchhielt und aushielt und kämpfte für seine Kameraden vor bald einhundertfünfzig Jahr’n Dem Dichter auf der Spur … Karin Schiesser Acht Frauen wandern durchs dunkle Grün; nass sind Jacken und Schuhwerk; matschig die Wege und glitschig das Gras. Am Wegrand die Steine mit Gedichten von ihm – Johannes Kühn. Irmgard Emanuel Der alte Brunnen spendet den Menschen sein Nass vertrautes Plätschern Symbol gemeißelt in Stein nie versiegt seine Quelle Ich höre sein Lied sein Nass kühlt des Wanderers Stirn auf stillem Weg Einem jeden schenkt er Kraft perlendes Wasser - Friede Ursula Straß Johannes Kühn-Stein Lichtwechsel – zweihundert Buchstaben eingraviert in harten Basalt Sonnenkreise umflimmern sanfte Glutworte Dichterworte kraftvoll eingehämmert wuchtigem Stein zu überdauern künftige Tage und Monde mein Mund formt seine Worte meine Hand tastet Lichtwechsel auf dunklem Stein Karin Schiesser Johannes-Kühn-Weg rund um den Schaumberg. Ich sehe deine Landschaft, Johannes, doch nicht mit deinen Augen. Ich sehe Weite, lieblich geschwungene Rücken, regennasses Grün und Gräser, die im Wind sich wiegen und fühle sie nicht, die Waldeinsamkeit, die wohl im Herzen wohnt. Irmgard Emanuel Wanderung Auf fremden Wegen wandere ich meinen Rucksack geschultert vorbei an blühenden Wiesen wispernde Gräser neigen sich. Schweifende Blicke hügeliges Schaumbergland Gerstenfelder im Wind wie Wellen und Meeresrauschen. Plötzlich wird mir so leicht durch alle Wetter gehe ich lasse los, was mich beschwert. Ein Blumenstrauß am Wegrand gepflückt in ihn gebunden die Klänge dieses Tages. Ich weiß wem dieser Strauß zur Freude gereicht. Irmgard Emanuel Der Holunderstrauch Weiße Waldfee, der Holunderstrauch ein Junimorgen Waldeinsamkeit voller Leben glitzernde Regentropfen, Blättertanz Blütenkelche öffnen sich wie Engelshaar schwebend zu den Hügeln hin Geheimnisvoll der Turm im Licht Momente der Stille – nichts kann sie zerstören Monika Müller Schaumberger Land über grüne Matten schweift der Blick: Sträucher Bäume Hügelwelt das Auge ruht in Grün Stille Ein Hochstand nur verrät die Existenz von Mensch und Tier Vogelzwitschern streift das Ohr aus weiter Ferne grüßt der Schaumberg-Turm Martina Merks-Krahforst Am Kremersberg Hier erkenn‘ ich dich, grüner Hügelring Hoch stehn schon die Felder und Wind stürmt sich heut‘ aus in gelbem Weizenwogen Dennoch liegt weich die Landschaft in mannigfachem Gelb und Grün Dorfdächer rotbraune Tupfen darüber spannt ein Wolkengraublau Weiter Kreis dem Auge in immer neuem Blick Ein Ballon schwebt leicht auf Hügelkuppen Ruhe steigt aus Tälermulden klare Luft legt sich ins Blut freier atmet es sich hier Ursula Straß Juliane Rutz Ein Weg Der alte Eichenkönig ein großer Dichter der Heimat treu geblieben Axt und Säge spielten Dir schon übel auf – oder waren es die Sturmwetter – vermooste Aststümpfe lassen alte Pracht erahnen dein Kompass zeigt nur noch eine Richtung von deiner Krone blieb nur ein spärlich Diadem doch Frau Holler huldigt Dir zu Füßen mit Nesselringen schützt sie deinen Burggraben bei jedem Wetter auf dem Weg am schützenden Hügelring am Wegesrand bezeugen Tafeln seine Worte Waldgeister lassen Wanderer staunen ein Wegekreuz gewidmet der Hl. Barbara daneben bekennendes Dichterwort in hohem Blau malt Waldeinsamkeit Geschöpfe jedem Baum und Strauch Grauer Wunschstein liegt magisch eingehüllt im Grün Mit dem Dichter am Tisch Gemeinsames Schreiben mit Johannes Kühn zu den Stichwörtern „Die Sonne fehlt“ und „Palaver“ stille Wegwarte blaue Sommerbegleiterin berührt auch mich auf dem Johannes Kühn-Weg folgend seinem Blick auf Heimaterde Karin Schiesser Die Sonne fehlt Die Sonne fehlt am Himmel über Hasborn. Schwere Wolken halten kaum das Nass. Das Gold im Weinglas lässt die Sonne ahnen. Und über den Wolken scheint sie für alle: für Nüchterne und Zecher Juliane Rutz Im Wald Feucht und schattig Duft nach Holunderblüten tropft schwer durch die Äste Ziegenbärte kitzeln die Brombeerzweige bei ihrem Aufstieg die Sonne fehlt hier nicht Irmgard Emanuel Das Palaver Was stört mich das laute Gerede das helle Lachen vom Nachbartisch die Freud Geburtstag wird gefeiert heut Was stört mich das Palaver Stimmengewirr von überall her hohe Töne schrille Laute Die Stille in mir, die kann mir niemand rauben Ellen Schwartz Palaver Hilflos, mitten im Palaver der Masse, Geschwätz, auf-und abebbend, Dazwischen Lachen, Rufen, Schreien! Palaver veranstalten wir oft auch, genießen es sogar. Aber das Palaver hier: kaum erträglich! Baldiger Rückzug unvermeidlich! Flucht! Der Dichter mittendrin war toleranter: „Palaver gehört dazu!“ Weitere von Johannes Kühns Lyrik inspirierte Gedichte … Martina Merks-Krahforst Gewitter über den Hügeln Über die Hügel streift mit schwerem Schritt der Regenriese weckt den Gewittergnom Grollend schlägt der Kugelblitze, Zackenschwerter Die Hagelhexe mischt sich ein wirft frostige Würfel übers Land Unmerklich zieht die Nebelfee heran fällt in die Wälder ein Das Auge blickt nur dumpfe Schatten Verschwunden bald das Tal im Nebelgrund Weiter zieht der wilde Tross klettert über grüne Kuppen Die Hügel dampfen weiß und aus dem Tal steigen Marionettenfäden Klar wie Glas die Luft die Sonne gelb und stark und barfuß spielt in einer Wasserlache ein Pfützenkapitän In: Hasborn:: „zwar tobt Wetter oft, Gewitter bringend“ Martina Merks-Krahforst Tannen Sie schenken meinen Füßen weichen Schritt auf braunen Nadelwegen und Schatten meiner Sommerhaut Ihr Flüstern mit dem hohen Wind ist mir Sagenklang untergegang’ner Zeit lässt Keltenfürsten auferstehen und römische Mädchen Krüge füllen im Vicus Wareswald Pferdeschnauben und Varus’ goldenen Wagen höre ich und den Teufel lachen Martina Merks-Krahforst Meer Nicht Berg und Tal brauch‘ ich nicht die Mär von Wölfen, Bären tief in dunklen Wäldern Den Wald brauch‘ ich der mich auf Pinienpfaden führt zum Meer Tret‘ ich aus waldigem Schatten auf den hellen Strand fällt Beschwernis ab von mir Wolken weben Rätsel Wellenworte tragen Muscheln mir ans Ohr In eine Zweisamkeit tauch‘ ich die nur das Meer mir schenkt Inspiration: Meer III; In: En el Destino del rey Edipo/An das Schicksal des König Ödipus, Mexiko, 2003 Ein Leben in Gedichten „LeseLandschaft“ - Literaturfest rund um den Schaumberg der Gemeinde Tholey, 2012 Jahr für Jahr der gleiche Farbenstrom aus Grün und Blau am Hügelring Mit seinem Gedicht Überblick, das mit den Worten „Sterne hab ich gezählt“ beginnt, eröffnete Johannes Kühn die Lesung am J.Kühn-Stein. Ursula Straß Zauberworte schrieb er der Winkelgast und noch immer singt der Fink vertraut Siegerinnen und Sieger des „Wortsegel“ Schreibwettbewerbs für Schulen lasen Gedichte zu ausgewählten Kühn-Zitaten; die „Sprach-Spielerinnen“ trugen ihre zu den Zitaten entstandenen Gedichte vor. Glockenklang Kyrie und Gloria besinnen mahnen wie gestern zum Sonntagskirchgang Abendlaune strömt Träumerei ins Blut Gedanken wandern durchs Auge beglückt gesättigt von weiten Fluren Beifall dem Abendstern er wacht über ein Leben in Gedichten Martina Merks-Krahforst Glück Blaugrüner Tag Es riecht nach frisch geschnittenem Gras Über den Hügeln wildweißer Wolkenzug wie die Dampflokomotiven meiner Kindheit Die Sonne verfängt sich darin und hüpft mir ins Herz