Liebe Lehrerinnen und Lehrer, die aktuelle Ausstellung im Museum Frieder Burda zeigt abstrakte Kunst in all ihren Facetten. Im Zentrum steht dabei das vierteilige Werk „Birkenau“, das Gerhard Richter 2014 schuf und damit ein Historienbild realisierte, das auf eindringlichste Weise die Schrecken des Holocausts thematisiert. Ein zweiter Erzählstrang der Ausstellung lässt sich unter dem Begriff „die Große Abstraktion“ subsumieren. Hier werden als Gegengewicht zu Gerhard Richter andere abstrakt arbeitende Künstler wie Blinky Palermo, Carl Andre oder Sigmar Polke gezeigt, um das Phänomen der abstrakten Kunst abzurunden. Die Schau zeigt auf, dass von der Abstraktion im Allgemeinen zu sprechen und damit auf einen einheitlichen Stil zu verweisen, kunsthistorisch schwierig ist. Richtiger wäre es, von Abstraktionen im Plural zu sprechen, um anzuzeigen, dass Abstraktion als Phänomen unterschiedliche historische, kulturelle und soziologische Ursachen hat, auf die die Künstler in verschiedenen Modi reagierten. Gemeinsam ist den künstlerischen Bemühungen allerdings eine Ablösung von der mimetischen Darstellungsweise durch die malerischen Mittel: Farbe und Form. Dabei ist die Referenz zum realen Abbild in abstrakten Kunstwerken jedoch immer – mal offensichtlicher, mal versteckter – präsent. So bietet das Phänomen der Abstraktion eine wunderbare Möglichkeit, die Realität in den Blick zu nehmen und gleichzeitig durch die Art der Darstellung sich von ihr zu lösen. Diese immanente Art des Sehens stellt auch für den Kunstunterricht ein schöpferisches Potential dar. Ihre Schülerinnen und Schüler werden es sicherlich spannend finden, die reale Dingwelt mit anderen Augen zu betrachten, um sie dadurch künstlerisch zu transformieren und schließlich auch schöpferisch zu hinterfragen. Wir wünschen Ihnen viel Spaß beim Ausprobieren der hier skizzierten Unterrichtsvorschläge und viel Kreativität und Freude beim Finden eigener, weiterer Ideen! Brigitte von Stebut & Sebastian Steinert Mitarbeitende im Team Kunstvermittlung 1 Themenvorschlag 1 – praktisch: Abstrakte Malerei und die eigene Biographie Als Ausgangspunkt für das monumentale Werk „Birkenau“ nahm Gerhard Richter Fotografien des Konzentrationslagers Birkenau, die Mitglieder eines jüdischen Sonderkommandos dort 1944 aufgenommen hatten und die aus dem Konzentrationslager hinausgeschmuggelt wurden. Diese Fotografien bilden in seiner Arbeit die Basis für einen mehrstufigen Übermalungsprozess: Mit der Rakel trug der Künstler Farbschicht um Farbschicht auf und abstrahierte das ursprünglich fotografische Abbild, bis es visuell kaum noch zu erkennen ist. Doch die Aura dieser Fotografien bleibt weiterhin im Werk auf eindringlichste Weise präsent. Welches Ereignis in dem eigenen Leben beschäftigt Ihre Schülerinnen und Schüler und hat eine nachhaltige Wirkung auf sie? Richters 4-teiliges Werk „Birkenau“ zum Anlass nehmend, sollen Ihre Schülerinnen und Schüler die eigene Biographie durch die Mittel abstrakter Malerei, namentlich Farbe und Form, erforschen. Dabei muss es sich nicht um so etwas unmenschlich Tragisches wie den Holocaust handeln, sondern es können kleinere, biographische Momente der Traurigkeit oder auch des Glücks sein. In Fotoalben zuhause sollen Ihre Schülerinnen und Schüler ein für sie persönlich wichtiges Ereignis aussuchen und als Fotografie in die Schule mitbringen. Diese Fotografie wird dann mit dem Fotokopierer auf ein DIN A3-Format in schwarz/weiß vergrößert und bildet die Basis für den anschließenden Übermalungsprozess: Farbige Ölpastellkreiden eignen sich dazu hervorragend, denn sie können ebenfalls in vielen Schichten übereinander aufgetragen werden. Zudem bietet die Grattage-Technik die Möglichkeit, durch Kratzen und Schaben tieferlegende Farbschichten wieder freizulegen und somit interessante Farbebenen zu gestalten, ganz ähnlich wie dies Gerhard Richter mit der Rakel tut. Gerhard Richter, „Birkenau“, 2014 © Gerhard Richter, 2016 2 Themenvorschlag 2 – praktisch: Schritte in die Abstraktion Der Weg in die Abstraktion war für viele Künstler kein radikaler ad hoc Umbruch, sondern viele tasteten sich ‚suchend‘ voran. Interessanterweise ist der Baum als Motiv dabei ein Quell der Inspiration gewesen: Man denke nur an Piet Mondrians berühmte Baumdarstellungen von 1911, bei der der Künstler schrittweise die Abstraktion vollzog, oder an Georg Baselitz‘ Werk „Eschenbusch II“ von 1969, welches das erste Kopfüberbild des Malers war und sein Oszillieren zwischen Abstraktion und Wirklichkeit zeigt. Auch Gerhard Richter hat mit dem Baum als Motiv experimentiert und ihn in der 4-teiligen Bildserie „Bühler Höhe“ von 1991 in verschiedenen Abstraktionsgraden festgehalten. Von Bild zu Bild reduzierte er zunehmend die Form, um am Ende nur noch das Wesen des Baumes durch ein abstraktes Cluster an Linien einzufangen. Anhand dieser künstlerischen Strategie lässt sich eindrucksvoll die Abstraktion als malerischer Prozess mit Ihren Schülerinnen und Schülern im Kunstunterricht thematisieren. Ziel ist es, die Schülerinnen und Schüler dafür zu sensibilisieren, was Abstraktion eigentlich bedeutet: die Suche nach dem eigentlichen Wesen der Dinge durch Farbe und Form. Dabei muss nicht zwangsläufig der Baum als Motiv gewählt werden, auch andere Objekte wie Blumen, Tiere oder Menschen bieten sich an. Der Kreativität sind keine Grenzen gesetzt. Gerhard Richter „Bühler Höhe“, 1991 © Gerhard Richter, 2016 3 Themenvorschlag 3 – praktisch: das Mosaik als Raster „Das Raster erklärt die Kunst zu einem Raum, der autonom ist und sich selbst zum Zweckt hat“, postuliert die Kunsthistorikerin Rosalind Kraus. Und in der Tat ist das Raster in den Arbeiten von Carl Andre nicht wegzudenken, sondern formbildendes Prinzip. Carl Andre ist einer der wichtigsten Vertreter der sogenannten Minimal Art – eine Kunstrichtung, die vor allem im Bereich der Skulptur mit sehr puristischen Lösungen daherkommt. So besteht die Bodenskulptur von Carl Andre aus quadratischen, gleichgroßen Metallplatten, die, auf dem Boden zusammengelegt, ein großes Rechteck ergeben. Mit einer ganzen Reihe von solchen Arbeiten hat er das traditionelle Verständnis von Skulptur herausgefordert: Indem er zum Beispiel ein industriell hergestelltes Material benutzte, blendete er seine eigene, persönliche Handschrift vollkommen aus. Gleichzeitig verzichtete er aufgrund der geometrischen Strenge der Komposition auf jeglichen Illusionismus, so dass das Diktum ‚Kunst um der Kunst willen‘ unverwechselbar zu Tage tritt. Dadurch dass Carl Andres Bodenskulptur nicht mehr auf ein reales Abbild verweist, sondern sich vielmehr von jeder Gegenständlichkeit befreit hat, ist sie ein gelungenes Beispiel für jene Art von Kunst, die man auch als ungegenständlich bezeichnet. Aufgabe Ihrer Schülerinnen und Schüler ist es, ein Farbmosaik in rasterartiger Anordnung der Einzelelemente anzufertigen. Dazu wird ein Grundton zum Beispiel Schwarz in verschiedenen Farbnuancen in Form von Farbstreifen variiert. Die Farbstreifen werden anschließend zu gleich großen Quadraten geschnitten und auf ein Papier geklebt. Dabei ist so vorzugehen, dass eine interessante Farbkomposition herauskommen soll, die zum Ziel hat, in letzter Konsequenz nur noch auf sich selbst zu verweisen. Aufgrund der Farbmischübung bietet sich dieser Themenvorschlag gerade für jüngere Schülerinnen und Schüler der Primarstufe oder der Jahrgangsstufe 5 an, bei denen das Thema Farbtheorie auf dem Lehrplan steht. Carl Andre, „Roaring Forties“, 1988, © VG Bild-Kunst Bonn, 2016 4 Themenvorschlag 4 – theoretisch: Abstraktion in der Kunst des 20. Jahrhunderts Der zweite Erzählstrang der Ausstellung im Museum Frieder Burda, „die Große Abstraktion“, verweist auf den russischen Künstler Wassily Kandinsky, der diesen Ausspruch ins Feld führte, um in Abgrenzung zur „Großen Realistik“ die beiden Polen moderner Malerei zu charakterisieren. Daher widmet sich dieser Unterrichtsvorschlag, der sich primär für das Neigungsfach Kunst in der Sekundarstufe II anbietet, auch näher Wassily Kandinskys Schaffen. Anhand von seinem Künstlertraktat „Über das Geistige in der Kunst“ von 1911, einem Schlüsseltext der Moderne, sollen die Anfänge der Abstraktion in der Kunst des 20. Jahrhunderts kunsttheoretisch erarbeitet werden. Wagen Sie daher mit Ihren Schülerinnen und Schülern die Lektüre von Wassily Kandinskys Klassiker, in dem vielfältige Bezüge hergestellt werden: über die Farb- & Formtheorie bis hin zu theosophischen und musiktheoretischen Bezügen reicht der Bogen, um die „innere Notwendigkeit“, wie Wassily Kandinsky selbst schreibt, von abstrakter Kunst herzuleiten. Eine wesentliche Inspirationsquelle für Wassily Kandinskys Suche war die intensive Freundschaft mit dem Komponisten Arnold Schönberg, der durch seine atonale Komposition in der Musik schon zuvor das erreichte, was auch Wassily Kandinsky in der Malerei bestrebt war zu erreichen: der Verweis der malerischen Mittel, Farbe und Form, auf sich selbst. Beide Männer inspirierten sich gegenseitig, was ein lebhafter Briefwechsel sowie Arnold Schönbergs Versuche auch auf dem Gebiet der Malerei bezeugen. Stellen Sie Wassily Kandinskys und Arnold Schönbergs Werke zum Beispiel in Ihrem Unterricht gegenüber. Dies stellt eine hervorragende Übung zum vergleichenden Sehen dar: Wo gibt es Ähnlichkeiten, was sind die Unterschiede? 5 Weiterführende Literatur und Filme (Auswahl): Ausstellungskatalog und Bücher: Helmut Friedel (Hrsg.), Gerhard Richter. Birkenau, Ausstellungskatalog Museum Frieder Burda, Verlag der Buchhandlung Walther König: Köln, 2016. Helmut Friedel (Hrsg.), Große Abstraktion, Ausstellungskatalog Museum Frieder Burda, Verlag der Buchhandlung Walther König: Köln, 2016. Mark Godfrey, Nicholas Serota, Dorothée Brill und Camille Marineau (Hrsg.), Gerhard Richter. Panorama, Ausstellungskatalog Neue Nationalgalerie zu Berlin, Prestel Verlag: München, 2012. Dietmar Elger, Gerhard Richter. Maler, Du-Mont Verlag: Köln, 2008. Wassily Kandinsky, Über das Geistige in der Kunst, Benteli Verlag: Bern, 2004. Jelena Hahl-Koch (Hrsg.), Wassily Kandinsky und Arnold Schönberg. Der Briefwechsel, Hatje Cantz Verlag: Stuttgart, 1999. DVD: Corinna Belz, Gerhard Richter. Painting, zero one film Produktion in Kooperation mit Terz Film, WDR & MDR, 2012. 6