Grundlagen der Physik I Mechanik Vorlesungsskript A. Stampa Universität GH Essen (Version 1999) 1 INHALT KAPITEL A: Einleitung Seite 1. Was ist Physik? 6 2. Messen, Einheiten 8 a) Größen und Zahlenwerte 8 b) Zugeschnittene Größengleichung 9 c) Grundeinheiten im SI - System 9 3. Bemerkungen zu Fehlern 10 KAPITEL B: Kinematik 12 1. Die geradlinige Bewegung 12 a) Geschwindigkeit als Ableitung 12 b) Differenziationsregeln 14 c) Beispiel: die harmonische Schwingung 15 d) Ermittlung des Weg - Zeit - Gesetzes durch Integration 17 e) Geradlinige Bewegung mit konstanter Beschleunigung 19 2. Die krummlinige Bewegung von Teilchen 21 a) Vektoren 21 b) Einige Operationen mit Vektoren 22 c) Realisierung von Vektoraddition: Überlagerung von Bewegungen 22 d) Die Geschwindigkeit bei krummliniger Bewegung 24 e) Produkte von Vektoren 26 f) Beispiele für krummlinige Bewegung 30 α) Der waagerechte Wurf 30 β) Die gleichförmige Kreisbewegung 31 γ) Die Winkelgeschwindigkeit als Vektor 34 δ) Der schiefe Wurf 35 g) Approximation von Kurven 38 KAPITEL C: Dynamik von Massenpunkten 42 1. Die Newtonschen Axiome 42 a) Newtons Formulierung der Axiome 42 b) Das Trägheitsprinzip 42 c) Das Aktionsprinzip 43 α) Definition einer Kraftskala 43 β) Zerlegung von Kräften 44 d) Das Reaktionsprinzip 46 e) Historische Randbemerkungen 47 2. Kräfte 48 a) Die Grundkräfte 48 b) Die Gravitation 49 c) Kraft zwischen ausgedehnten Körpern 52 α) Integration über Massenelemente 52 β) Feldstärke 53 γ) Der Fluß 53 δ) Das Gesetz von Gauß 55 2 d) andere Grundkräfte 57 e) Kräfte zwischen makroskopischen Körpern 59 α) Kraft durch elastische Verformung 59 β) Reibungskraft 60 3. Beispiele für einfache Bewegungen 62 a) In zäher Flüssigkeit fallende Kugel 62 b) Reibungsfreie Bewegung auf einer schiefen Ebene 64 c) Die Atwoodsche Fallmaschine 65 d) Die Rakete 66 e) Dynamik der Kreisbewegung 67 f) Geladenes Teilchen im Magnetfeld 68 g) Kurvenneigung 69 h) Das Geoid 69 4. Drehimpuls und Drehmoment 70 a) Der Drehimpuls 70 b) Das Drehmoment 71 c) Der Flächensatz 72 5. Arbeit, Leistung, Energie 74 a) Grundbegriffe 74 b) Berechnung des Integrals ∫ F • ds 75 c) Die potentielle Energie 77 α) Was ist potentielle Energie? 77 β) Äquipotentialflächen 79 γ) Das Vorzeichen 80 δ) Arbeit im Potentialfeld 80 ε) Das Potential 81 η) Potentialkurven 82 d) Die Kinetische Energie 84 e) Der Energiesatz der Mechanik 86 f) Verschiedene Energieformen 86 g) Anwendung des Energiesatzes 87 α) Der Looping 87 β) Der harmonische Oszillator 88 γ) Das Fadenpendel 90 δ) Anwendung des Energiesatzes bei Anwesenheit von Reibung 91 ε) Leistung in einer Strömung 92 ζ) Ausströmgeschwindigkeit 92 h) Kraft bei mehrdimensionalen Potentialen 93 6. Das Keplerproblem 94 a) Historisches 94 b) Einige Eigenschaften von Kegelschnitten 97 c) Herleitung der Bahngleichung 100 7. Scheinkräfte 104 a) Was sind Scheinkräfte 104 b) Scheinkräfte im rotierenden System 106 α) Formale Herleitung 106 β) Die Zentrifugalkraft 109 3 γ) Die Corioliskraft KAPITEL D: Dynamik von Massenpunktsystemen 1. Der Massenmittelpunkt a) Das Hebelgesetz b) Der Schwerpunkt beliebiger Massenpunktsysteme c) Schwerpunkt als Mittelwert d) Schwerpunkt kontinuierlicher Massenverteilungen α) Übergang von diskreten zu kontinuierlichen Massen β) Das Massenelement γ) Wie berechnet man Volumenintegrale? 2. Bewegung des Schwerpunktes a) Das Aktionsgesetz b) Das Zweikörperproblem, reduzierte Masse 3. Dynamische Hilfsbegriffe a) Der Impuls b) Der Drehimpuls c) Energie 4. Stoßgesetze a) Was ist ein Stoß? b) Grundbegriffe c) Elastischer zentraler Stoß d) Stoß mit seitlicher Impulsänderung e) Der inelastische Stoß KAPITEL E: Mechanik von Flüssigkeiten und Gasen 1.Vorbemerkungen über Gase, Flüssigkeiten und feste Körper 2. Druck in Gasen 3. Hydrostatik a) Das Eigengewicht ist vernachlässigbar b) Druck aufgrund des Eigengewichtes c) Auftrieb d) Die Barometrische Höhenformel e) Die Oberflächenspannung 4. Hydrodynamik a) Das Geschwindigkeitsfeld α) Grundbegriffe β) Der Fluß γ) Die Kontinuitätsgleichung δ) Anzahl der Stromlinien b) Die Bewegungsgleichung c) Der Satz von Bernoulli d) Innere Reibung von Flüssigkeiten α) Was ist Viskosität? β) Die Grenzschicht γ) Die stationäre Rohrströmung δ) Das Stokesche Gesetz ε) Die Reynoldszahl KAPITEL F: Mechanik starrer Körper 110 113 113 113 114 115 116 116 117 118 121 121 122 124 124 124 128 129 129 130 130 134 135 137 137 137 140 140 141 142 144 146 150 150 150 150 151 151 152 153 157 157 158 159 161 162 164 4 1. Das Modell des starren Körpers 164 2. Statik 164 3. Grundbegriffe zur Beschreibung einer Rotation 167 a) Das Trägheitsmoment 167 b) Der Drehimpulsvektor 168 c) Berechnung des Trägheitsmomentes 170 4. Beispiele zur Bewegung starrer Körper 176 a) Achse raum- und körperfest, äußeres Drehmoment konstant 176 b) Achse körperfest, wird bei der Bewegung parallel verschoben 177 c) Achse körperfest, kein äußeres Drehmoment 178 d) Achse körperfest, Drehmoment senkrecht zu L 179 e) Anwendungen der Kreiselgesetze 181 α) Wendeanzeiger 181 β) Der Kreiselkompaß 181 γ) Der Spielkreisel 181 δ) Dynamische Stabilisierung des Fahrrads 182 KAPITEL G: Schwingungen 183 1. Allgemeines 183 2. Die harmonische Schwingung 183 a) Darstellung 183 b) Die Kinematik der harmonischen Schwingung 184 c) Schwingung eines Massenpunktes 185 d) Die Schwingung eines ausgedehnten Körpers 188 3. Überlagerung von Schwingungen gleicher Frequenz 191 a) Anwendung der Additionstheoreme 191 b) Zeigerdiagramm 192 c) Beispiele 193 4. Schwingung als komplexe Zahl 194 a) Komplexe Zahl 194 b) Algebraische Operationen mit komplexen Zahlen 195 c) Satz von Moivre 196 d) Anwendung der komplexen Zahlen auf Schwingungsprobleme 197 5. Die gedämpfte Schwingung 199 a) Die freie gedämpfte Schwingung 199 b) Die erzwungene Schwingung 201 6. Überlagerung bei ungleicher Frequenz oder Richtung 205 a) Schwebungen 205 b) Überlagerung von Schwingungen und ihren Oberschwingungen207 c) Überlagerung bei verschiedenen Schwingungsrichtungen 209 KAPITEL H: Spezielle Relativitätstheorie 211 1. Einleitung 211 a) Womit befaßt sich die Relativitätstheorie? 211 b) Der Äther 212 c) Versuche zur Bewegung der Erde durch den Äther 212 2. Aufbau der Relativitätstheorie 215 a) Die Grundpostulate 215 b) Direkte Folgerungen der Grundpostulate 215 α) Die Gleichzeitigkeit ist relativ 215 5 β) Gleich gebaute Uhren gehen nicht gleich schnell γ) Längen werden unterschiedlich gemessen c) Lorentztransformation α) Herleitung der Transformationsformeln β) Diskussion d) Minkowski Diagramme α) Was sind Minkowski Diagramme? β) Zeitdilatation und Längenkontraktion im Minkowski Diagr. γ) Gegenwart, Vergangenheit, Zukunft δ) Der relativistische Dopplereffekt ε) Ein Zwillingsparadoxon e) Experimente mit Uhren f) Experimente mit Elementarteilchen g) Andere Evidenzen 216 217 218 218 220 227 228 229 229 231 231 233 234 235 6 KAPITEL A Einleitung 1. Was Ist Physik? Die Physik beschäftigt sich mit der unbelebten Natur, wobei im Gegensatz zur Chemie Änderungen der Stoffzusammensetzung weniger interessieren. Man erwartet von der Physik, daß sie erklärt, wobei eine "Erklärung" sehr subjektiv ist. Z.B. finden manche Menschen, einen Sachverhalt als gut erklärt, wenn er auf das typische Verhalten von Menschen zurückgeführt wird: Die rollende Kugel kommt zum Stillstand, weil sie erschöpft ist. Andere verlangen eine mechanische Erklärung, etwa die Gravitationskraft als hervorgerufen durch den Stoß vieler kleiner Teilchen. In der Physik soll eine Erklärung ein konsistentes Bild liefern und Ereignisse vorhersagen. Die Anzahl der nicht beweisbaren Annahmen soll möglichst klein sein, und das Gedankengebäude soll schön sein. Aristoteles erklärte den Fall eines Steines, indem er sagte, jeder Körper ist bestrebt, den ihm in der Welt zustehenden Platz einzunehmen. Damit wird der Fall erklärt und das Aufsteigen leichter Gase. Das Verhalten von Mondmaterie auf der Erde wäre wahrscheinlich falsch vorhergesagt worden. Ebenso wurde die Geschwindigkeit beim freien Fall und der waagerechte Wurf falsch vorhergesagt. Der Mangel an Erfolg in der der antiken griechischen Physik liegt wahrscheinlich daran, daß die Kraft des Denkens überschätzt wurde. Die Methode der Erkenntnisfindung in der Physik seit Galilei besteht aus zwei Elementen: Dem Aufbau eines gedanklichen Modells, und der Überprüfung an der Wirklichkeit. Dieses Wechselspiel von Hypothese und Experiment ist ein sehr universelles Verfahren, das alle Lebewesen zum Sammeln von Information über die Welt anwenden: In der Evolution geht man davon aus, daß die Information in der Erbsubstanz codiert ist. Durch Mutation der Erbsubstanz wird als "Hypothese" eine neue Variante der Art vorgeschlagen. Wenn sie sich nicht bewährt, stirbt sie aus. Das Experiment ist negativ ausgefallen. Wenn sie sich bewährt, wird sie sich durchsetzen. Sie enthält im allgemeinen eine bessere Information über die Umwelt. In diesem Fall entscheidet das Experiment über Leben und Tod. Beim Menschen gibt es im täglichen Leben diese "harte" Überprüfung einer Hypothese etwa beim Überholmanöver. In der Mehrheit der Fälle entscheidet die Überprüfung nicht unmittelbar über Leben und Tod, sondern nur über die Richtigkeit der zugrunde gelegten Gesetze und Annahmen. Ein negativer Ausgang eines wichtigen Experimentes läßt erwarten, daß das Weltbild geändert wird. 7 Häufig bleibt die ursprüngliche Version des Weltbildes als Näherung des neuen gültig. Ein Experiment, das anders als vorhergesagt verläuft, ist also keine Schande, sondern im allgemeinen ein Erfolg. Man erkennt in der Geschichte der Physik Phasen, in denen die Entwicklung der Physik stark behindert wurde, weil entweder das Experiment (die induktive Methode) oder die Theorie (die deduktive Methode) überbewertet wurde. Ende des 19. Jahrhunderts haben sich die Positivisten mit Ernst Mach als prominenten Vertreter aus der Physik dafür eingesetzt, sich nur mit Dingen zu beschäftigen, die beobachtbar sind. Dadurch ist die Entwicklung der Atomtheorie und Kernphysik in Deutschland behindert worden. Heute scheut man sich nicht, von Quarks als kleinsten Bausteinen der Materie zu sprechen und gleichzeitig zu fordern, daß sie niemals einzeln in Erscheinung treten. Oft wird von der Physik erwartet, daß sie eine Formel bereit hat, mit der es möglich ist, den Lauf der Welt genau zu beschreiben. Dies kann die Physik nicht, denn Man kennt diese Weltformel nicht. Man kennt nur eine näherungsweise Beschreibung der Welt. Nur die Grenze der Ignoranz verschiebt sich. Man kennt den augenblicklichen Zustand der Welt nicht. Im mechanischen Weltbild müßte man Ort und Geschwindigkeit aller Teilchen zu einem bestimmten Zeitpunkt kennen, um ihr Verhalten für alle Zeiten vorhersagen zu können. Weniger bekannt ist vielleicht, daß die qualitative Argumentation in der Physik eine wichtige Rolle spielt. Beispiel: Warum sind bei großen Vögeln die Flügel lang und schmal, bei kleinen kurz und breit? Argumentation: Die Auftriebskraft wird proportional der Fläche der Flügel sein, d.h (s. Abb.1) F A ∼ A ∼ LB 8 Abb. 1: Große Vögel haben im allgemeinen im Verhältnis zur Körperlänge lange Flügel Die Gewichtskraft wird proportional zum Volumen des Körpers sein und diese ist bei gleicher Gestalt proportional zu l3, wenn l die Länge des Körpers ist, also zu B3. FG ∼ V ∼ B3 Da der Auftrieb die Gewichtskraft kompensieren muß, gilt FA = FG, und damit LB ~ B3, also L ∼B B Qualitative Argumentationen sind Abschätzungen, die helfen, eine Situation besser zu verstehen. 2. Messen, Einheiten a) Größen und Zahlenwerte Die natürliche Wahrnehmung ist unvollkommen. Bei technisch-physikalisch nicht vorbelasteten Menschen löst die Vorstellung, daß es Dinge gibt, die unsere Sinne nicht wahrnehmen, häufig Angstgefühle aus. So ist ein Grund für die emotionale Ablehnung von Kerntechnik, daß man radioaktive Strahlen nicht sieht. In der Physik lernt man, daß tatsächlich nur ein verschwindender Bruchteil der Wirklichkeit durch unsere Sinne wahrgenommen wird: Dem Auge ist im Spektrum nur ein ein kleiner Bereich zugänglich. Optische Täuschungen verzerren die Wirklichkeit. Das Wärmeempfinden ist relativ. Zur Objektivierung von Aussagen werden physikalische Größen gemessen. Dabei ist eine Größe ein Produkt von Zahl und Einheit. Die Masse meines Körpers ist z.B mK = 85 kg. Die Einheit ist [mK] = kg. 85 ist die Maßzahl und sie ergibt sich aus Größe durch Einheit. 85 = mK / kg 9 Verschiedene Einheiten, die ein und dieselbe Eigenschaften messen, werden zu einer Dimension zusammengefaßt. So haben g, kg, Unze, Pfund die Dimension Masse, Meile, Zoll Meter Die Dimension Länge. Wir benutzen SI - Einheiten, die alle Einheiten auf kg, m, s, A, K, mol, cd zurückführen. Man benutzt dann Einheit und Dimension synonym. Stellt man in einer graphischen Darstellung Zahlenwerte von Größen dar, ist die Achsenbezeichnung Größe/Dimension. Zum Umrechnen von Einheiten ersetzt man die alten Einheiten durch die neuen, indem man die Umrechnungsbeziehungen in die Gleichung einsetzt, als handele es sich um algebraische Größen. Abb. 2: In Graphiken werden Zahlenwerte wiedergegeben. Daher wählt man für die Beschriftung der Achsen am besten Größe / Einheit. Beispiel: Umrechnen von 15 km/h in m/s: Umrechnungsbeziehungen: 1 km = 103m 1 h = 3,6 103 s also: 3 v = 15 km = 15 1km = 15 10 m 3 = 15 m h 1h 3, 6 ⋅ 10 s 3, 6 s b) Zugeschnittene Größengleichung In der Technik benutzt man häufig Gleichungen, bei denen man Zahlenwerte für bestimmte Einheiten rechts einsetzt und Zahlenwerte für andere Einheiten links erhält. Solche Gleichungen nennt man zugeschnittene Größengleichungen. Beispiel: v = 3, 6 ⋅ l , wenn [l] = m, [t] = s und [v] = km/h. t Koeffizienten wie hier die 3,6 sorgen dafür, daß die Gleichung trotz der unterschiedlichen Einheiten richtige Ergebnisse liefert. Einem Physiker sind derartige Koeffizienten, die als Zahlenwerte erscheinen suspekt. Er vermeidet sie daher nach Möglichkeit. c) Grundeinheiten im SI - System Das SI - System (Systeme International) führt alle Einheiten auf die 7 Grundeinheiten kg, m, s, A (Ampere, zur Messung der elektrischen Stromstärke), K (Kelvin, zur Messung der Temperatur), cd (Candela, zur Messung der Helligkeit) und mol (zur Messung der Stoffmenge) 10 zurück. Die Grundeinheiten werden durch Meßvorschriften festgelegt. Das Kilogramm und das Meter waren ursprünglich die Masse eines Probekörpers, des Urkilogramms, bzw der Abstand zweier Markierungen auf einem anderen Probekörper, dem Urmeter. Die Körper wurden so hergestellt, daß man darauf vertraute , daß sie ihre Eigenschaften beibehalten. Verbesserungen in der Meßtechnik führen dazu, daß Definitionen der Grundgrößen verändert werden. So legt man heute das Meter damit fest, daß man der Lichtgeschwindigkeit einen bestimmten Wert zuordnet (etwa 3 108 m/s ) und sagt, 1 m ist die Entfernung die das Licht im Vakuum in 1/3·10-8 s zurücklegt. 1 s kann sehr genau über die Schwingungszeit einer bestimmten Linie des Cäsiumisotops Cs133 bestimmt werden. Die Messung erfolgt praktisch in einer Atomuhr. Die zurückgelegte Strecke kann über die Resonanz in Hohlräumen sehr genau bestimmt werden. Generell kann man sagen, daß die Grundeinheiten verläßlicher werden, wenn es gelingt, sie an atomare Eigenschaften anzuknüpfen. So kann man sich vorstellen, daß 1 A dadurch definiert wird, daß bei einer Stromstärke von einem Ampere die Ladung 1Coulomb in einer Sekunde durch einen Leiterquerschnitt transportiert wird. 1 Coulomb wäre dann die Ladung die durch einen Überschuß von einer bestimmten Anzahl von Protonen oder elektrisch gleichwertigen Teilchen erzeugt wird. Heute wird 1A über die Kraftwirkung zwischen zwei stromführenden Leitern definiert. Bei unseren Betrachtungen benötigen wir die genauen Definitionen der Grundgrößen nicht. Die Definition der Temperatureinheit werden wir im Teil "Wärmelehre" kennenlernen. 1 mol können wir uns als die Stoffmenge vorstellen, die eine ganz bestimmte Anzahl von Teilchen enthält. Die Helligkeit von Licht werden wir an die Einheit der Leistung in der Mechanik anknüpfen, die mit den mechanischen Grundeinheiten kg, m, s definiert werden kann. Die Anforderungen an die Genauigkeit der Grundeinheiten sind im Laufe der Zeit kontinuierlich gestiegen. Während Heinrich I von England noch eine Elle über seine Armlänge festlegte, benötigt man heute für viele Zwecke eine Genauigkeit von 10 signifikanten Ziffern bei der Festlegung einer Längeneinheit. Oft wurden in der Physik Fortschritte dadurch erzeugt, daß Messungen für extreme Größen entwickelt wurden, die bis dahin einer Messung nicht zugänglich waren. Man sollte sich daher klar machen, wie solche extremen Werte gemessen werden, etwa Längen im astronomischen oder mikroskopischen Maßstab, Zeiten im Femtosekundenbereich oder in geologischen Zeiträumen. 3. Bemerkungen zu Fehlern 11 Es gibt keine Messung ohne Fehler. Man unterscheidet absolute Fehler ∆x einer Meßgröße x und relative Fehler ∆x/x. Ein absoluter Fehler ∆x = 2 mm kann eine sehr hohe Genauigkeit bedeuten, etwa bei der Bestimmung des Abstandes zwischen Erde und Mond oder eine sehr geringe Genauigkeit bei der Bestimmung der Größe einer Zelle. Selbst wenn der Stand der Technik eingehalten wurde und systematische Fehler vermieden wurden, bleiben zufällige Fehler. D.h. , wenn man eine Messung mehrmals hintereinander mit genügender Genauigkeit ausführt, ergibt jede Einzelmessung im allgemeinen einen etwas unterschiedlichen Wert xi. Trägt man die Anzahl der Messungen N(xi), die zu dem gleichen Wert xi führen gegen xi auf, ergibt sich bei zufälligen Fehlern eine Gaußverteilung oder Normalverteilung. N(x) = Ce −∆x Hierin ist 2 /2s 2 C eine Konstante, ∆x die Abweichung des Meßwertes vom Mittelwert x 1 + x 2 + ... + x n Σ i=1 x i = n der Mittelwert, n 1 (x i − x) 2 die Standardabweichung, s= n−1 Σ ∆s = s der Fehler des Mittelwertes. n s gibt die Breite der Verteilung an. Bei Verteilungen von Größen aus einer Gruppe unteri=n x= schiedlicher Objekte, etwa der Körpergröße einer Gruppe von Menschen, bleibt s unabhängig von der Anzahl der Messungen. Bei mehreren Messungen an einem Objekt gibt der Mittelwert das eigentliche Resultat an, und der Fehler des Mittelwertes ∆x wird um so kleiner, je mehr Messungen man durchführt. Die Gaußverteilung wird im Teil "Wärmelehre" abgeleitet. Die Behandlung von Fehlern wird in der Physik kultiviert. Geben Sie keinen Zahlenwert in Ziffern an, die nicht signifikant sind, da zu viele Ziffern eine zu hohe Genauigkeit vortäuschen und die Angabe falsch machen. Man schreibt daher in der Physik Zahlenangaben, besonders von sehr großen oder sehr kleinen Zahlen, als Zahl mit Komma hinter der ersten Ziffer und Zehnerpotenz. 12 KAPITEL B Kinematik Die Kinematik befaßt sich mit der Beschreibung einer Bewegung, die im allgemeinen Fall sehr kompliziert sein kann. Man beschreibt eine solche Bewegung durch Koordinaten oder Parameter in Abhängigkeit von der Zeit, etwa die Bewegung eines Punktes im dreidimensionalen Raum durch die kartesischen Koordinaten x(t), y(t), z(t), die Bewegung eines ausgedehnten starren Körpers durch die Lage des Schwerpunktes im Raum und durch Winkel, die seine Drehung angeben. Die Anzahl der unabhängigen Koordinaten, die zur Beschreibung einer Bewegung notwendig sind, nennt man die Zahl der Freiheitsgrade. Wir betrachten zunächst die Bewegung von Teilchen, d.h. alle Effekte, die mit der Ausdehnung eines Körpers zusammenhängen, werden auf später verschoben. Ein Teilchen hat maximal drei Freiheitsgrade. Zunächst interessiert uns der Zusammenhang von Weg - Zeit - Gesetz, Geschwindigkeit und Beschleunigung. 1. Die geradlinige Bewegung a) Geschwindigkeit als Ableitung Wenn das Teilchen sich nur auf einer Geraden bewegen kann, wird die Bewegung durch die Angabe der Position in Abhängigkeit von der Zeit, d.h. durch das Weg - Zeit - Gesetz x(t) beschrieben. x kann positive oder negative Werte annehmen. Bei konstanter Geschwindigkeit ist x(t) eine Gerade und v ist die Steigung der Geraden. Wenn man den Zeitnullpunkt so wählt, daß bei ihm x = 0 ist, sind Weg und Zeit sogar proportional und v= x(t) t Abb. 3: Das Weg - Zeit - Gesetz bei konstanter Geschwindigkeit Auch v kann positive und negative Werte annehmen. Bei einer beschleunigten Bewegung ist x(t) im allgemeinen eine gekrümmte Kurve. 13 v = x(t 2 ) − x(t 1 ) t2 − t1 Abb. 4: Das Weg - Zeit - Gesetz bei beschleunigter Bewegung nennt man die mittlere Geschwindigkeit zwischen den Zeiten t1 und t2. Beachte: Die mittlere Geschwindigkeit einer sinusförmigen Funktion bei Mittelung über ganze Perioden ist Null. Die Momentangeschwindigkeit, d.h. die Geschwindigkeit zu einem bestimmten Zeitpunkt, ist der Grenzwert, den man erhält, wenn man die mittlere Geschwindigkeit in der Umgebung des betrachteten Zeitpunktes ausrechnet und den Grenzwert für verschwindende Zeitintervalle bildet: • v(t) = lim ∆x = dx =x (t) dt ∆t→0 ∆t Abb. 5: Das Geschwindigkeits - Zeit - Gesetz bei beschleunigter Bewegung v(t) ist die Steigung der Kurve x(t) an der Stelle t. Im allgemeinen gilt nicht v = x/t. Wenn • x(t) numerisch gegeben ist, kann x (t) durch die mittlere Geschwindigkeit für kleine Zeitin• tervalle angenähert werden. v ≈ ∆x/∆t . In der Physik ist die Benutzung von ∆x/∆t statt x für kleine Zeitintervalle ∆t legitim, da der Grenzübergang ∆t →0 oft physikalisch nicht sinnvoll ist, wenn z. B. Abstände kleiner werden als atomare Abstände. Ist die Funktion x(t) ana• lytisch gegeben, liefert die Mathematik einen Ausdruck für x (t) . Beispiel: x = t2 • x(t 2 ) − x(t 1 ) x = dx = lim ∆x = lim dt ∆t→0 ∆t ∆t→0 t 2 − t 1 mit t 2 − t 1 = ∆t , also t 2 = t 1 + ∆t wird 14 2 2 2 2 2 ∆x = (t 1 + ∆t) − t 1 = t 1 + 2∆tt 1 + ∆t − t 1 = 2t + ∆t 1 ∆t ∆t ∆t daraus folgt lim ∆x = 2t 1 ∆t ∆t→0 dy statt y / (x) , denn dx α) Die unabhängige Variable, nach der abgeleitet wird, ist zu erkennen. Dies ist wichtig, In der Physik schreibt man gerne da man es in der Physik meist mit mehrere unabhängigen Variablen zu tun hat. β) Die Dimension der durch die Ableitung entstehenden Größe ist zu erkennen: dx x [x] = y = [y] dy dy ∆y γ)Die Schreibweise suggeriert einen Näherungsausdruck für y/ (x): ≈ dx ∆x b) Differenziationsregeln Ähnlich wie oben für die Funktion y = t2 kann man durch Grenzwertbildung für eine Reihe von Funktionen Ausdrücke für die Ableitung finden. Im folgenden werden die Ableitungen für einige elementare Funktionen angegeben. Ausgangsfunktion differenzierte Funktion sinx cosx (x im Bogenmaß: x/x° = 2π/360°) cosx -sinx x2 2x (1/2)ax2 ax xn nxn-1 const 0 ex (e = 2,718...) ex Durch einige Rechenregeln lassen sich Funktionen, die aus den elementaren Funktionen zusammengesetzt sind differezieren: Rechenregeln: 15 Linearität: wenn x = x 1 (t) + x 2 (t) Beispiel: x(t) = x 1 (t) + c folgt Produktregel: wenn x(t) = x 1 (t) • x 2 (t) Beispiel: x(t) = cx 1 (t) Kettenregel: • x (t) = x 1 (t) → folgt → dx = c dx 1 dt dt wenn x = x 1 (x 2 (t)) Beispiel: x(t) = sin ω t dx = dx 1 + dx 2 dt dt dt dx = dx 1 x + x dx 2 2 1 dt dt dt dx = dx 1 • dx 2 dt dx 2 dt • x (t) = ω cos ω t folgt → Die Linearität besagt physikalisch, daß sich bei der Überlagerung zweier Bewegungen die Geschwindigkeiten addieren, also, wenn ich in einem Fahrzeug sitze, das mit einer Geschwindigkeit von 80 km/h fährt, und mich jemand überholt, wobei seine Geschwindigkeit von meinem Fahrzeug aus gemessen 40 km/h beträgt, hat er eine Geschwindigkeit von 120 km/h. In der Relativitätstheorie gilt die lineare Überlagerung der Geschwindigkeiten nicht mehr. Beschleunigung Die mittlere Beschleunigung im Zeitintervall ∆t ist die Geschwindigkeitsänderung in dieser Zeit geteilt durch ∆t: − a = ∆v ∆t Die Momentanbeschleunigung ist 2 • a = dv = v = d 2x = d d x dt dt dt dt d ist ein Operator. Ein Operator gibt eine Rechenvorschrift an, die auf den dahinter stehendt den Ausdruck angewandt werden soll. Der Operator muß als Einheit betrachtet werden, in der z.B. die Größen über und unter dem Bruchstrich nicht gekürzt werden dürfen. c) Beispiel: die harmonische Schwingung Betrachte die Projektion s eines mit konstanter Drehzahl rotierenden Punktes. Nach Abb. 6 gilt 16 s = sin α. R Abb. 6: Die harmonische Schwingung kann als die Bewegung aufgefaßt werden, die die Projektion einer Kreisbewegung ausführt. Der Drehwinkel α (im Bogenmaß gemessen) soll proportional zur Zeit anwachsen α=ωt Das Weg - Zeit - Gesetz der Projektion lautet also s = R sin ω t Die Konstante ω nennt man die Winkelgeschwindigkeit. Den Zusammenhang von Winkelgeschwindigkeit und Umlaufperiode findet man, indem man in der Gleichung, mit der ω definiert wurde, die Werte für eine Umdrehung einsetzt: α = 2π, t=T T ist die Zeit für einen Umlauf, die Periode. Damit wird die Winkelgeschwindigkeit ω = 2π T s hat sein Maximum, wenn sinωt = 1 ist. Dann ist also s = |R|. s0 = | R| nennt man die Amplitude. Das Weg - Zeit - Gesetz hat also die Form s = s 0 sin ω t Die Geschwindigkeit ergibt sich dann durch Differenziation • v = s = ω s 0 cos ω t =v 0 cos ω t 17 In der obigen Formel wurde die Größe vor dem Kosinus, d.h. die Amplitude der Geschwindigkeit mit v0 = ωs0 abgekürzt. Die Beschleunigung ergibt sich durch nochmalige Differenziation Abb. 7: Der Ort (oben), die Geschwindigkeit (Mitte) und die Beschleunigung (unten) in Abhängigkeit von der Zeit bei der harmonischen Bewegung. • a = v = −ω 2 s 0 sin ω t = a 0 sin ω Die Amplitude der Beschleunigung ist also a0 = -ω2s0. Durch Vergleich des Beschleunigungs - Zeit - Gesetzes und des Weg - Zeit - Gesetzes erkennt man, daß s(t) und a(t) bis auf den konstanten Faktor -ω2s0 den gleichen Verlauf haben (s. Abb. 7): a = -ω2s. d) Die Ermittlung des Weg - Zeit - Gesetzes durch Integration Im vorigen Abschnitt wurde gezeigt, wie man aus einem bekannten Weg - Zeit - Gesetz x(t) die Geschwindigkeit und die Beschleunigung ermittelt. Im folgenden Abschnitt geht es um die umgekehrte Aufgabe: v(t) sei bekannt und x(t) soll ermittelt werden. Diese Umkehroperation muß bei einer der Grundaufgaben der Mechanik bewältigt werden: bei bekannten Kräften auf einen Körper, seine Bewegung auszurechnen. Da F = ma, ist primär a bekannt und aus a muß v(t) und schließlich x(t) bestimmt werden. Wenn v konstant ist, gilt x = v0t. x ist geometrisch die Fläche des durch v und t aufgespannten Rechtecks (Abb. 8 oben). Wenn v nicht konstant ist, teilt man die Gesamtzeit in Zeitintervalle ∆t ein, die so klein sind, daß sich innerhalb von ∆t v genügend wenig ändert. Für jedes Teilintervall gilt ∆xi = vi∆t. ∆xi entspricht dem schraffierten Flächenstück unter der v(t) - 18 Kurve (Abb. 8 unten). Der gesamte zurückgelegte Weg ist geometrisch durch die Fläche gegeben, die durch v(t), die t - Achse und durch die Parallelen zur v - Achse durch t1 und t2 begrenzt wird. Man schreibt Abb. 8: Bei konstanter Geschwindigkeit ist s = vt (oben). Daher ist bei variabler Geschwindigkeit s die Fläche unter der Kurve v(t). Σv i (t)∆t = ∫ t v(t)dt ∆t→0 t2 x = lim 1 Die Integration ist die Umkehrung der Differenziation. Man kann also die "Stammfunktion" x(t) aus der Tabelle der Differenziationsformeln ablesen. Dabei ist zu beachten, daß die • Stammfunktion nicht eindeutig bestimmbar ist. Wenn v = at ist v = a . Aber, wenn v = • at + c, ist ebenfalls v = a , da d c = 0. Die Integralfunktion ist also nur bis auf eine unbedt stimmte Konstante bekannt. Sie heißt deshalb unbestimmtes Integral. Die additive Konstante bestimmt man aus den Anfangsbedingungen. Das bestimmte Integral ist eine Zahl. Sie ergibt sich aus: t2 ∫ t v(t)dt = [x(t)] t t2 1 = x(t 2 ) − x(t 1 ) x(t) (wir schreiben im folgenden auch häufig s(t) ) ist die Stammfunktion von v(t). Analog gilt v = ∫ a(t)dt Die wichtigsten Formeln für die Kinematik der geradlinigen Bewegung lauten also: 19 2 v = ds , a = dv = d 2s dt dt s(t) = ∫v(t)dt, v(t) = ∫ a(t)dt e) Geradlinige Bewegung mit konstanter Beschleunigung Es soll vorausgesetzt werden: a = const und zur Zeit t = 0 sei v = v0 und s = s0. Dann ist v = ∫ adt = at + c 1 Durch Einsetzen der Anfangsbedingung für v ergibt sich v0 = a ⋅ 0 + c1, also v0 = c1 v = at+v 0 Durch nochmaliges Integrieren ergibt sich s = ∫vdt = ∫ (at + v 0 )dt = 1 at 2 +v 0 t + c 2 2 Durch Einsetzen der Anfangsbedingung für s erhält man die Konstante s2 s 0 = 1 a ⋅ 0 2 +v 0 ⋅ 0 + c 2 , 2 c2 = s0 Das Weg - Zeit - Gesetz lautet damit s = 1 at 2 +v 0 t + s 0 2 Sonderfälle α) Freier Fall Hier ist a = g. g ist die Erdbeschleunigung. v0 und s0 sollen zur Zeit t = 0 verschwinden. Dann ist der beim Fall zurückgelegte Weg s = 1 gt 2 2 20 und die Geschwindigkeit nach der Zeit t v = gt β) Bremsvorgang Hier wird für eine Abschätzung a ebenfallsals konstant angesehen. Der Zahlenwert ist negativ. Das hat allerdings auf die formelmäßige Ausrechnung keinerlei Auswirkung. Die Anfangsgeschwindigkeit ist jetzt ungleich Null v = v0. Der Bremsweg wird von dem Ort an gemessen, an dem sich das Fahrzeug zur Zeit t = 0 befand: s0 = 0. Das Weg - Zeit - Gesetz heißt also: s = 1 at 2 + v 0 t 2 Das Geschwindigkeits - Zeit - Gesetz v = at+v 0 t Die Bremszeit ergibt sich aus der Bedingung v(tB) = 0 v t B = − a0 und mit dieser Zeit der zurückgelegte Weg aus dem Weg - Zeit - Gesetz v 20 v 20 v0 1 1 s B = a 2 −v 0 a = − a 2 a 2 Als Anwendung wird die Bremsverzögerung ausgerechnet, die bei der Faustformel aus der Fahrschule vorausgesetzt wird: 2 2 3 2 sB v0 = v 0 ⋅ 3, 6 ⋅ 10 s =v 2 3, 6 s 2 = 0 m km/h ⋅ 10 10 3 m ⋅ 10 100 m 2 Vergleich mit der Formel für den Bremsweg ergibt −2a = 1002 m2 3, 6 s → a = −3, 86 m2 s 21 2. Die krummlinige Bewegung von Teilchen a) Vektoren α) Vektoren als Zahlentripel Zur Beschreibung der Bewegung eines Teilchens in drei Dimensionen gibt man seine drei Koordinaten, z.B. die Projektionen seines Aufenthaltsortes auf die drei kartesischen Achsen an: x(t), y(t), z(t) (s. Abb. 9). Zur Vereinfachung sagt man, die Position ist gegeben durch den Ortsvektor x. x(t) x(t) = y(t) z(t) Allgemein ist ax a = a y az ax, ay, az sind die Komponenten von a. a enthält die Information über den Abstand des Punktes vom Koordinatenursprung. Dies ist der Betrag des Vektors a = a = a 2x + a 2y + a 2z , und die Richtung der Verbindungslinie zwischen Koordinatenursprung und der Position des Punktes. Man kann daher einen Vektor geometrisch als Pfeil darstellen, dessen Schwanz im Koordinatenursprung ruht, während seine Spitze auf den betrachteten Punkt zeigt. Alle physikalischen Größen, für die die Angabe der Richtung wichtig ist, wie s, v, a, F, B werden durch Vektoren dargestellt. v x (t) v(t) = v y (t) v z (t) , Fx F = F y Fz Alle übrigen wie Masse, Energie, Zeit nennt man Skalare. 22 Abb. 9: Die Länge eines Vektors im dreidimensionalen Raum. b) Einige Operationen mit Vektoren Die Vektorschreibweise kürzt ab. Es bedeutet: a + b = c: ax + bx = cx ay +by = cy az +bz = cz b = αa: (α soll ein Skalar sein) bx = αax by = αay bz = αaz • v =x vx = x • vy = y • vz = z x(t) = ∫ v(t)dt x = ∫ v x (t)dt y = ∫ v y (t)dt z = ∫ v z (t)dt • Es gibt verschiedene Produkte zwischen Vektoren, die bestimmten Erfordernissen in der Physik angepaßt sind (s. Abschnitt e). c) Realisierung von Vektoraddition: Überlagerung von Bewegungen Bewegt sich ein Fahrzeug mit x0(t) auf einer Straße und beschreibt man die Bewegung eines Körpers auf dem Fahrzeug relativ zum Fahrzeug mit xrel(t), so ist die Gesamtbewegung des Körpers von der Straße aus gesehen (s. Abb. 10) 23 Abb. 10: Überlagerung von Bewegungen, erklärt am eindimensionalen Fall. xges(t) =x0(t) + xrel(t) Durch Differentiation erhält man vges(t) = v0(t) + vrel(t) ages(t) = a0(t) + arel(t) Geschwindigkeiten und Beschleunigungen addieren sich zur Gesamtgeschwindigkeit bzw. zur Gesamtbeschleunigung. Die Überlagerung von zweidimensionalen Bewegungen ist in Abb. 11 dargestellt. Danach gilt hier: Abb. 11: Addition von Bewegungen in der Ebene. xges(t) = x0(t) + xrel(t) yges(t) = y0(t) + yrel(t) usw. d.h. xges(t) = x0(t) + xrel(t) vges(t) = v0(t) + vrel(t) ages(t) = a0(t) + a rel(t) Geometrisch erhält man also die Vektoraddition, indem man durch Parallelverschiebung einen der Vektoren mit seinem Schwanz an den Kopf des anderen hängt. Der Summenvektor 24 ist dann der Pfeil zwischen Schwanz und Kopf des gesamten Gebildes (Abb. 12). Diese Konstruktion ist mit der Parallelogrammkonstruktion äquivalent. Der Differenzvektor ist der Pfeil zwischen den Spitzen der Ausgangsvektoren (Abb. 13). Abb. 12: Vektoraddition nach der Kopf - an Schwanz - Methode Abb. 13: Die Differenz zweier Vektoren d) Die Geschwindigkeit bei krummliniger Bewegung Die Definition der Geschwindigkeit, wie sie oben vorgenommen wurde, weicht von dem Geschwindigkeitsbegriff, wie er im täglichen Leben verwendet wird, ab. In der Physik benötigt man zur Charakterisierung der Geschwindigkeit eines Körpers im Raum drei Zahlen. Im täglichen Leben begnügt man sich mit einer Zahl, etwa der Anzeige des Tachometers im Auto. Von der physikalischen Definition her ist dies der Betrag des Geschwindigkeitsvektors. Man sagt auch die Bahngeschwindigkeit. Um uns den Zusammenhang zwischen dem Vektor der Geschwindigkeit und seinem Betrag zu veranschaulichen, stellen wir uns vor, wir wollten die Bahngeschwindigkeit eines Fisches, der in einem Aquarium auf einer gekrümmten Bahn schwimmt, messen. Dazu nehmen wir mit drei Videokameras, die senkrecht auf drei Außenflächen des Aquariums ausgerichtet sind, den Fisch in gleichen Zeitabständen ∆t auf. In dieser Zeit ändert sich die Position in den drei Koordinatenrichtungen um ∆x, ∆y und ∆z. Der Geschwindigkeitsvektor ist also v = ∆x ∆t ∆y ∆t ∆z ∆t Der Betrag der Geschwindigkeit ist durch den Betrag des zurückgelegten Weges ∆x = ∆x 2 + ∆y 2 + ∆z 2 25 geteilt durch ∆t näherungsweise gegeben. (Für den genauen Wert muß man den Grenzwert bilden). Daher ist die Bahngeschwindigkeit näherungsweise v ≈ ∆x = ∆t ∆x 2 + ∆y 2 + ∆z 2 = ∆t ∆x + ∆y + ∆z ∆t ∆t ∆t 2 2 2 und exakt nach dem Grenzübergang: v = 2 2 2 dx + dy + dz = v 2 + v 2 + v 2 = v x y z dt dt dt Die Bahngeschwindigkeit ist also identisch mit dem Betrag des Geschwindigkeitsvektors. Entsprechendes gilt für den Betrag der Beschleunigung. Beachte: Den Vektor der Beschleunigung erhält man aus der Differentiation des Vektors der Geschwindigkeit, aber den Betrag der Beschleunigung erhält man im allgemeinen Fall nicht aus Differentiation des Betrages der Geschwindigkeit. Dies wird in den unten durchgerechneten Beispielen von krummlinigen Bewegungen (der Kreisbewegung und dem waagerechten Wurf) deutlicher. Man kann es aber jetzt schon anschaulich einsehen. Bei einer Kreibewegung, die mit konstanter Bahngeschwindigkeit verläuft, ändert sich der Betrag der Geschwindigkeit definitionsgemäß nicht. Die Richtung der Geschwindigkeit ändert sich aber ununterbrochen. Der Geschwindigkeitsvektor ist also zeitabhängig und der Beschleunigungsvektor ungleich Null. Der Grund dafür, daß man in der Physik einen anderen Geschwindigkeits- und Beschleunigungsbegriff als im täglichen Leben benutzt, liegt daran, daß man damit die Dynamik einheitlicher formulieren kann. Mit der Vektorschreibweise können wir jetzt Geschwindigkeit und Beschleunigung allgemein definieren: v(t) = lim ∆x(t) dx(t) = ∆t dt a(t) = lim ∆v(t) dv(t) = ∆t dt ∆t→0 ∆t→0 Beispiel für die Überlagerung von Geschwindigkeiten: 26 Ein Windsurfer fahre mit der konstanten Geschwindigkeit v0. Der Wind habe die Geschwindigkeit vwind, von einem ruhenden Bezugssystem aus gemessen. Welche Richtung und welche Stärke hat der Wind, vom Surfer aus gesehen? Abb. 14: Windverhältnisse beim Segeln. Die Verhältnisse sind in Abb. 14 dargestellt. Durch Vergleich mit der Betrachtung in Abb. 11 identifizieren wir vwind mit vges, und die Windgeschwindigkeit vom Surfer aus gesehen mit vrel. Die quantitative Bestimmung würde über die Berechnung des Dreiecks der Geschwindigkeitsvektoren erfolgen, also z.B. nach dem Kosinussatz v 2rel = v 2wind + v 20 − 2v wind v 0 cos α e) Produkte von Vektoren α) Das Skalarprodukt Das Skalarprodukt ist definiert durch a • b = ab cos α wobei α der Winkel zwischen a und b ist. Bei der Verknüpfung der beiden Vektoren entsteht ein Skalar. Das Skalarprodukt läßt sich aus den Komponenten der Einzelvektoren ermitteln. Dazu stellen wir a und b in der kartesischen Basis ex, ey, ez dar (Abb. 15). Abb. 15: Die Basisvektoren eines kartesischen Koordinatensystems. 1 e x = 0 , 0 0 e y = 1 , 0 0 e z = 0 1 27 ax 1 0 0 a = a y = a x 0 + a y 1 + a z 0 = a x e x + a y e y + a z e z 0 0 1 az In dieser Darstellung werden a und b multipliziert. a • b = (a x e x + a y e y + a z e z ) • (b x e x + b y e y + b z e z ) Die Klammern werden wie gewohnt ausmultipliziert, wobei man beachtet, daß für i ≠ k , da es sich um eine kartesische Basis handeln soll, α = 90°, cosα = 0 und daher e i •e k = 0 , für i = k hingegen α = 0, cosα = 1, e i • e i = 1 gilt. Man erhält a • b = axbx + ayby + azbz Anwendungen des skalaren Produktes i. Ermittlung des Winkels zwischen zwei Vektoren, die durch ihre Komponenten gegeben sind. Da a • b = ab cos α erhält man cos α = axbx + ayby + azbz a 2x + a 2y + a 2z b 2x + b 2y + b 2z ii. Arbeit, wenn F und s nicht parallel sind (Abb. 16). Abb. 16: Das skalare Produkt erzeugt die Projektion eines Vektors auf eine vorgegebene Richtung. W = F s ⋅ s = Fs cos α = F • s iii. Kosinussatz (Abb. 17) Abb. 17: Der Kosinussatz ist mit dem Skalarprodukt leicht zu beweisen. c=a-b 28 c2 = (a - b)·(a - b) = a2 + b2 - 2a·b = a2 + b2 - 2 ab cosα β) Das Vektorprodukt Das Vektorprodukt ordnet zwei Ausgangsvektoren einem Produktvektor zu nach folgender Vorschrift: a × b = c. heißt c = ab sinα Abb. 18: Die Korkenzieherregel legt die Richtung des Produktvektors im Vektorprodukt fest. c steht senkrecht auf a und b a, b und c bilden eine Rechtsschraube. Die erste Bedingung legt den Betrag des Produktvektors fest, die zweite die Richtung, wobei das Vorzeichen noch offen bleibt, das dann durch die dritte Bedingung geregelt wird. Diese wird in Abb. 18 erläutert. Man legt den Griff eines Korkenziehers in Richtung des ersten Vektors, hier a, dreht diesen auf dem kürzesten Weg so, daß er parallel zum zweiten Vektor liegt. Der Korkenzieher schraubt sich dann - vorausgesetzt er ist nicht speziell als Sylvesterscherz mit Linksgewinde ausgestattet - in Richtung des Produktvektors. Um die Komponentendarstellung des Vektorproduktes zu erhalten, verfahren wir wie oben beim skalaren Produkt. Die Einzelvektoren werden in einer kartesischen Basis dargestellt unddas Vektorprodukt gebildet: a × b = (a x e x + a y e y + a z e z ) × (b x e x + b y e y + b z e z ) Berücksichtigt man jetzt, daß laut Definition des Vekterproduktes e i × e k = 0 für i = k und 29 ex × ey = ez ey × ez = ex ez × ex = ey sowie die Tatsache, daß aufgrund der Korkenzieherregel das Produkt das Vorzeichen umkehrt, wenn die Reihenfolge der Faktoren umgekehrt wird, so erhält man aybz − azby a × b = a z b x − a x b z axby − aybx x, y, z werden in jeder Zeile zyklisch vertauscht. Man kann die Komponentendarstellung formal gewinnen, indem man eine Determinante aus den drei Baisvektoren und den Ausgangsvektoren des Vektorproduktes bildet. ex ax bx a × b = ey ay by ez az bz Anwendungen des Vektorproduktes i. Flächeninhalt eines Parallelogrammes Abb. 19: Der Flächeninhalt eines Parallelogramms ist durch Grundlinie mal Höhe gegeben. Nach Abb. 19 ist die Fläche A gegeben durch A = a·h = absinα Nach der Definition des Vektorproduktes kann man also schreiben A= a×b Häufig ordnet man in der Physik einer Fläche einen Vektor A zu, dessen Betrag gleich dem Flächeninhalt der Fläche ist und der senkrecht auf der Fläche steht. Dann gilt für den Vektor der Fläche, die durch die Vetoren a und b aufgespannt wird 30 A=a×b ii. Anwendungen aus der Physik wir werden im Verlaufe dieses Grundkurses eine Reihe von weiteren Anwendungen des Vektorproduktes kennenlernen. Die wichtigsten sind das Drehmoment M=r×F der Drehimpuls L=r×p und die Lorentzkraft F = Qv × B f) Beispiele für krummlinige Bewegungen α) Der waagerechte Wurf Setzt man voraus, daß ein Fallversuch, den man in einem Wagen ausführt, der sich mit konstanter Geschwindigkeit geradlinig bewegt, gleich ausfällt, wie ein Fallversuch in einem ruhenden System - vernachlässigbarer Luftwiderstand sei vorausgesetzt - so sieht ein ruhender Beobachter den im Wagen durchgeführten Fallversuch als waagerechten Wurf. Der waagerechte Wurf kann also aufgefaßt werden als Überlagerung einer horizontalen Bewegung mit konstanter Geschwindigkeit - der Bewegung des Wagens - und eines freien Falles. Das Experiment zeigt, daß bei waagerechtem Wurf der Boden gleich schnell erreicht wird wie bei freiem Fall aus gleicher Höhe. Die beiden Bewegungen überlagern sich also ungestört. Bei einer solchen ungestörten Überlagerung sagt man auch, das Galileische Relativitätsprinzip gilt. Die horizontale Bewegung wird also dargestellt durch Abb. 20: Der waagerechte Wurf kann als Überlagerung einer geradlinigen, gleichförmigen waagerechten Bewegung mit dem freien Fall aufgefaßt werden. vx = v0 x = v0t 31 die vertikale durch vy = gt y = (1/2)gt2 Der Ortsvektor v0t x(t) = 1 2 2 gt ist die Bahnkurve in Parameterdarstellung, d.h., wenn man für t irgend welche positiven Zahlen einsetzt, erhält man für x Punkte der Bahnkurve. Die Bahn in kartesischen Koordinaten folgt hieraus durch Elimination von t. t = vx 0 also g y = 1 2 x2 2 v0 v v= 0 gt v = v 20 + (gt) 2 Die Wurfbahn ist eine Parabel. β) Die gleichförmige Kreisbewegung Ein Punkt bewege sich mit konstanter Bahngeschwindigkeit auf einem Kreis. Die geometrischen Verhältnisse sind in Abb. 21 dargestellt. Der Drehwinkel wächst proportional mit der Zeit. Abb. 21: Die geometrischen Verhältnisse bei der gleichförmigen Kreisbewegung. α=ωt 32 • ω ist konstant, daher gilt α = ω und ω gibt die Geschwindigkeit an, mit der α wächst. ω wird daher Winkelgeschwindigkeit genannt. Der Zusammenhang mit der Umlaufszeit T ist wie bei der Schwingung ω = 2π = 2πf T f ist die Anzahl der Umläufe pro Sekunde, d.h. die Umlauffrequenz oder Drehzahl. Die zurückgelegte Strecke s ist die Bogenlänge. Um diese auf den Drehwinkel α zurückzuführen, beachten wir, daß s proportional zu α ist: s = cα. Bei einer Umdrehung ist α = 2π und s = 2πR. Daher gilt s = αR • • s =α R • Mit α = ω erhält man v = ωR Da ω und R konstant sind, ist auch v konstant. Der Geschwindigkeitsvektor v ist nicht konstant, da er stetig seine Richtung ändert. ∆v und damit a ≈ ∆v zeigt, wie an Abb. 21 zu er∆t kennen ist - zumindest im Grenzübergang - zum Kreismittelpunkt. s Aus ∆v v = R , ∆v = a∆t und s =∆t folgt a∆t = v∆t v RT 2 a = v = ω2R R und damit Die Bewegung ist also beschleunigt, obwohl die Bahngeschwindigkeit v konstant ist. Die oben durch geometrische Betrachtungen gewonnenen Ausdrücke für die Geschwindigkeit und die Beschleunigung bei der Kreisbewegung lassen sich ganz formal durch Differentiation des vektoriellen Weg - Zeit - Gesetzes finden. Nach Abb. 22 ist x = R cos α 33 y = R sin α Mit α = ωt sind also die Komponenten des Ortsvektors des bewegten Punktes gegeben durch Abb. 22: Die Koordinaten des Ortsvektors r x = R cos ωt y = R sin ωt Der Ortsvektor schreibt sich R cos ωt r= R sin ωt 2 Sein Betrg ist r = R 2 cos 2 ωt + R 2 sin 2 ωt =R (cos 2 α + sin α = 1). Differentiation der Komponenten ergibt • v x = x = −Rω sin ωt • v y = y = Rω cos ωt Der Geschwindigkeitsvektor ist −sin ωt v = Rω cos ωt Sein Betrag v = v 2x + v 2y = Rω r • v = R 2 ω(−sin ωt cos ωt + cos ωt sin ωt) = 0 v steht also senkrecht auf r. Die Beschleunigung ergibt sich durch Ableitung der Komponenten des Geschwindigkeitsvektors. • a x = v x = −Rω 2 cos ωt • a y = v y = −Rω 2 sin ωt cos ωt a = −Rω 2 sin ωt 34 a = a 2 = Rω 2 Durch Vergleich der Formeln für r und a erhält man a = −ω 2 r Der Vektor der Beschleunigung ist also zu jeder Zeit entgegengesetzt zum Ortsvektor gerichtet. Er zeigt also auf den Mittelpunkt des Kreises. Abb. 23: Die Hintereinanderausführung zweier Drehungen ist nicht vertauschbar. γ) Ergänzung: Die Winkelgeschwindigkeit als Vektor. Zur Charakterisierung der Winkelgeschwindigkeit ist eine Richtung notwendig, nämlich die Richtung der Drehachse, und ein Betrag. Es liegt daher nahe, auch der Winkelgeschwindigkeit einen Vektor zuzuordnen. Versucht man zunächst die Drehung um einen endlichen Winkel als Vektor aufzufassen, wobei die Hintereinanderausführung zweier Drehungen analog zu der Hintereinanderausführung zweier Verschiebungen der Addition der Vektoren entspricht, so erleidet man Schiffbruch. Wie Abb. 23 zeigt, hängt das Ergebnis von der Reihenfolge der Operationen ab. Dahingegen sind infinitesimale Drehungen dα Vektoren (s. Abb. 24), da sie in einem Körper lineare Verschiebungen erzeugen, und diese sind durch Vektoren darstellbar. Abb. 24: Eine infinitesimale Drehung führt zu einer infinitesimalen Verschiebung sämtlicher Punkte im Körper. Diese haben Vektorcharakter. 35 dα Vektorcharakter. Man definiert ω so, daß der dt Vektor parallel zur Drehachse ausgerichtet ist und mit der Drehrichtung eine Rechtsschraube Da dα Vektorcharakter hat, hat auch ω = bildet (Abb. 25). Außerdem ist ω = ω. Mit Dieser Definition kann man jetzt den Zusammenhang zwischen v und r bei der Kreisbewegung auch vektoriell schreiben. Abb. 25: Die Winkelgeschwindigkeit als Vektor Betrachte Abb. 25. Aus v = Rω folgt mit R = r sinγ v = rω sinγ. Da v senkrecht zu r und ω, und ω, r, v eine Rechtsschraube bilden, kann man schreiben v=ω×r Der Ortsvektor r hat seinen Ursprung auf der Drehachse. Für die Beschleunigung erhält man, wenn ω konstant ist a = dv = ω × dr = ω × v = ω × (ω × r) dt dt Abb. 26: Die Vektoren r, v, a bei der gleichförmigen Kreisbewegung. δ) Der schiefe Wurf i. Die Bahn Auch der schiefe Wurf kann als Überlagerung einer waagerechten, gleichförmigen Bewegung und einer senkrechten Bewegung mit konstanter Beschleunigung aufgefaßt werden. Als Unterschied zum waagerechten Wurf gibt es eine senkrechte Anfangsgeschwindigkeit. 36 Abb. 27: Die Bahn beim schiefen Wurf. v x (0) =v 0x = v 0 cos α v y (0) =v 0y = v 0 sinα Die Geschwindigkeit ist jetzt also gegeben durch v x = v 0 cos α v y = v 0 sin α − gt und damit die Koordinaten des Wurfkörpers x = v 0 t cos α y = v 0 t sin α − 1 gt 2 2 Dabei wurden als Anfangsbedingungen vorausgesetzt, daß bei t = 0 auch x = 0 und y = 0 sein sollen. Die Bahnkurve in kartesischen Koordinaten ergibt sich dann durch Elimination von t. x t = v cos α eingesetzt 0 2 g sin α y = cos α x − 1 2 x 2 2 v cos α (1) Die Bahnkurve ist wie beim waagerechten Wurf eine Parabel, allerdings liegt jetzt der Scheitelpunkt der Parabel nicht im Abwurfpunkt. ii. Bestimmung der Wurfhöhe Die Wurfhöhe ist das Maximum der Wurfparabel. Man erhält es durch die Bedingung dy dy dx dy/dx = 0. Wegen der Kettenregel und der Bedingung dx ≠ 0 ist dies gleichbe= dt dx dt dt deutend mit vy = 0, wie anschaulich sofort zu verstehen ist. Aus vy(tmax) = 0 folgt v y = v 0 sin α − gt max = 0 → t max = v o sin α g 37 Einsetzen in y(t) ergibt h= v 20 sin 2 α 1 v 20 sin 2 α v 20 − = sin 2 α g g 2 2g iii. Bestimmung der Wurfweite xw Abwurfhöhe und Auftreffhöhe sollen gleich sein. Aus Gleichung (1) ergibt sich dann für y = 0. gx w sin α cos α x w − 2v 2 cos 2 α = 0 2 2 sin α cos α = gx w v2 Abb. 28: Eine bestimmte Wurfweite kann man mit zwei Abwurfwinkeln erreichen. v2 x w = g0 sin 2α Die maximale Wurfweite erhält man für sin2α = 1, d.h. αmax = 45°. v 20 x w max = g Vergleich mit h zeigt, daß sie doppelt so groß ist wie die maximal erreichbare Höhe. Wenn die Wurfweite vorgegeben ist, ergeben sich für α ≠ 45 zwei Winkel mit α2 = 90 - α1. Wenn x und y des Auftreffpunktes vorgegeben sind, läßt sich der Abwurfwinkel aus der Bahngleichung berechnen. cos 2 α = a ± a 2 − bc 2c mit a = 1 - y/2h, b = (x/2h)2, c = 1 + (y/x)2, 2h = v02/g 38 h ist die Wurfhöhe bei senkrechtem Wurf bei gleichem v0. g) Approximation von Kurven α) Die Taylorentwicklung Die Taylorentwicklung ermöglicht die Beschreibung des Verlaufs einer Kurve in der Umgebung eines Anfangspunktes, indem nur ihre Eigenschaften in diesem Anfangspunkt ausgenutzt werden. Betrachte z.B. die Preisentwicklung im Laufe der Zeit P(t) (Abb. 29). Abb. 29: Preisanstieg und Änderung der Preisanstiegsrate. Nullte Näherung Man nimmt an, die Preise bleiben konstant P = P(t0). Erste Näherung Die Preise erhöhen sich gemäß der augenblicklichen Preissteigerungsrate P = P(t 0 ) + dP (t − t 0 ) dt t P = P 0 + P / (t 0 )∆t Zweite Näherung Die Änderung der Preissteigerungsrate wird mit einem quadratischen Ansatz berücksichtigt: P = a 0 + a 1 ∆t + a 2 ∆t 2 Man bestimmt die Konstanten a0, a1 und a2 so, daß die ursprüngliche Funktion P(t) und das Polynom für ∆t = 0 in der nullten, ersten und zweiten Ableitung übereinstimmen. Nullte Ableitung: P(∆t) = a0 +a1∆t + a2∆t2. Aus ∆t = 0 folgt a0 = P(t0). Erste Ableitung: P/(t) = a1 + 2a2∆t. Aus ∆t = 0 folgt a1 = P/(t0). zweite Ableitung: P//(t) = 2a2. Aus ∆t = 0 folgt a2 = (1/2)P//(t0) 39 Die zweite Näherung lautet also: P = P 0 + P / (t 0 )∆t + 1 P // (t 0 )(∆t) 2 2 Im Prinzip kann man so fortfahren. Diese Entwicklung heißt Taylorentwicklung. Mit ihr läßt sich bei bekannten Ableitungen am Punkt t = t0 der weitere Verlauf einer analytischen Funktion beliebig genau vorhersagen. Die Approximation ist um so besser, je kleiner ∆t ist. In der Physik begnügt man sich in den allermeisten Fällen mit der Entwicklung bis zur ersten Ordnung. Die zweite Ordnung wird dann allenfalls zur Abschätzung des Fehlers verwendet. Abb. 30: Die Tangente der Kurve r(t) ist durch ihre Ableitung gegeben. β) Approximation von Raumkurven (Bogenlänge, Krümmung und Torsion) Eine Raumkurve sei durch eine Parameterdarstellung r(t) gegeben. Einige Formeln werden besonders übersichtlich, wenn man als Parameter die Bogenlänge s der Kurve vom Anfangspunkt aus wählt. Die Bogenlänge ergibt sich aus v = ds = v 2x + v 2y + v 2z dt •2 •2 •2 s = ∫ x +y +z dt i. Lineare Näherung In erster Näherung wird die Kurve r(t) durch die Tangente beschrieben. Die Richtung der • Tangente ist gegeben durch v = r . Der Tangenteneinheitsvektor ist daher e t = dr 1v . Mit dt ds dr dt dr ⋅ = v = erhält man e t = dt ds ds dt 40 e t = dr ds • Manchmal ist es bequemer mit e t = vr zu rechnen. ii. Quadratische Näherung Für die quadratische Näherung sucht man den Kreis, dessen erste und zweite Ableitung im Berührungspunkt mit den entsprechenden Ableitungen der Kurve gleich ist. Dieser Kreis heißt Schmiegungskreis. Sein Radius R ist der Krümmungsradius der Kurve, κ = 1/R ist die Krümmung. Jede Bewegung auf einer gekrümmten Bahn läßt sich in der Umgebung eines Punktes durch eine Kreisbewegung annähern. In einer ebenen Bewegung liegt der Krümmungskreis in der Bewegungsebene. Zur Angabe der Ausrichtung des Schmiegungskreises in einer allgemeinen Bewegung benötigt man den Normalen Einheitsvektor. Er steht senkrecht auf dem Tangentenvektor und in der Ebene des Schmiegungskreises. Um ihn aus der gegebenen Raumkurve zu berechnen, betrachten wir die Beschleunigung, wobei v(t) mit Hilfe des Tangenten Einheitsvektors dargestellt wird, der selbst zeitabhängig ist. v = v(t) ⋅ e t (t) dv = dv e +v de t = dv e + v 2 de t t t dt ds dt dt dt (2) a setzt sich zusammen aus der Tangentialbeschleunigung a t = dv e t dt und der Normalbeschleunigung a n =v 2 de t ds Die Bewegung verläuft also in der Ebene, die durch at und an aufgespannt wird. Dies ist definitionsgemäß die Schmiegungsebene. Bei der gleichförmigen Kreisbewegung ist at = 0 und de an = v2/R. Die obige allgemeine Formel ergibt für at = 0 a n = v 2 t . Durch Vergleich erhält ds man 41 d 2 r(s) de t = =1 2 R ds ds Die zweite Ableitung des Ortsvektors nach der Bogenlänge ergibt die Krümmung der Kurve. de t Der Vektor liegt also, da er proportinal zur Normalbeschleunigung ist, senkrecht zur ds Tangente der Kurve und außerdem in der Schmiegungsebene. Der Normaleneinheitsvektor ist damit en = R de t ds et, en, und e b = e t × e n bilden eine rechtwinklige Basis, die im Punkte r(t) an die Kurve geheftet ist. Bei Durchlaufen des Parameters t läuft die Basis an der Kurve entlang und ändert im allgemeinen die Richtung seiner Achsen. Diese Basis nennt man das begleitende Dreibein. eb 3 ist der Binormalenvektor. d r gibt ein Maß für die Torsion. Eine ebene Kurve hat die Torsi3 on Null. 42 KAPITEL C Dynamik von Massenpunkten 1. Die Newtonschen Axiome a) Newtons Formulierung der Axiome Die Dynamik soll die Bewegung eines Körpers aus den Kräften, die auf den Körper wirken "erklären", d.h. auf Axiome zurückführen. Ein Axiomensystem soll in sich widerspruchsfrei, vollständig und frei von überflüssigen Annahmen sein. Im Grunde beruht das Axiomensystem der klassischen (nichtrelativistischen) Mechanik auf den von Isaak Newton (1643 -1727) ausgesprochenen Prinzipien. In vereinfachter Form sind dies: Das Trägheitsprinzip Ein kräftefreier Körper bewegt sich gleichförmig, geradlinig. Das Aktionsprinzip Wirkt auf einen Körper eine Kraft F, so erhält er eine Beschleunigung a = F/m. Das Reaktionsprinzip Übt ein Körper A auf B eine Kraft F aus, so übt B auf A eine Kraft -F aus. b) Das Trägheitsprinzip Das Trägheitsprinzip widerspricht in vieler Hinsicht menschlicher Erfahrung: Ein nicht gezogener Wagen kommt zum Stillstand. Das Trägheitsprinzip wurde zuerst von Galileo Galilei (1564 - 1624) formuliert. Galileis Vorstellungen zur Mechanik entwickelten sich an den Bemühungen, die Widersprüche in der bis dahin geltenden Bewegungslehre des Aristoteles (384 - 322 v. Chr., Schüler Platons und Lehrer Alexander des Großen) und seiner Nachfolger (Scholastiker, Peripatetiker) zu vermeiden. Nach Aristoteles fallen z.B. schwere Körper schneller als leichte. Ein leichter Körper müßte also eigentlich einen schwereren bremsen. Andererseits müßte das Gesamtsystem aus leichtem und schwerem Körper schneller als die Einzelkörper fallen, da es ja insgesamt schwerer als jeder einzelne Teil ist. Galilei versuchte durch genaue Experimente seine Aussagen zu belegen. Um die Meßgenauigkeit zu erhöhen Zeiten wurden durch ausfließende Wassermengen gemessen - untersuchte Galilei später statt des freien Falls die Bewegung auf einer schiefen Ebene. Er fand als erster experimentell die Gesetze der gleichförmig beschleunigten Bewegung und formulierte sie mathematisch. Die Popularität verdankt Galilei seinen astronomischen Entdeckungen (Mondkrater, Jupitermonde) und dem Inquisitionsprozeß der katholischen Kirche gegen ihn. 43 Abb. 31: Eine Kugel rollt um so weiter, je weniger die rechte Ebene geneigt ist, im Grenzfall gegen unendlich, wenn Reibung vernachlässigt werden kann. Das Trägheitsgesetz begründete Galilei mit einem Gedankenexperiment (Abb. 31): Eine Kugel rolle eine schiefe Ebene herunter, und nachdem sie unten angekommen ist, an der anderen Seite mit ihrem Schwung eine schiefe Ebene hinauf. Ohne Reibung würde die Kugel bis zur Ausgangshöhe hinaufrollen. Gibt man nun der zweiten schiefen Ebene unterschiedliche Neigungen, so würde im Grenzfall der Neigung Null die Kugel bis ins Unendliche laufen. Ähnlich wie bei einer schiefen Ebene erreicht auch bei einem reibungsfreien Pendel die Kugel die Ausgangshöhe, auch wenn man das Pendel bei der Bewegung verkürzt wie beim Galileischen Pendel (Abb. 32). Abb. 32: Das Fadenpendel erreicht die ursprüngliche Höhe, auch wenn ein Hindernis in den Weg des Fadens geschoben wird. c) Das Aktionsprinzip α) Definition einer Kraftskala Das Aktionsprinzip wurde von Newton formuliert. Es führt gegenüber der Kinematik zwei neue Größen ein: die Masse und die Kraft. Newton stellt sich die Masse als eine dem Volumen proportionale Stoffeigenschaft vor. In heutiger Sprechweise würde man sagen, die Masse ist proportional der Anzahl Protonen und Neutronen. Um genauer zu sein muß man eine Massenskala definieren. Man kann z.B. mit ein und derselben Kraft mit verschiedenen Massen Beschleunigungsversuche machen. Eine Kraftskala ergibt sich dann aus Beschleunigungsversuchen mit einer Masse und verschiedenen Kräften. Wenn a und m festgelegt sind, definiert das Aktionsgesetz die Kraft. Die Definition der Kraft über die Beschleunigung kann leicht zu dem Mißverständnis führen, daß in einer statischen Situation keine Kräfte vorhanden sind. Dies ist aber nicht richtig. Zwar verschwindet dann die Summe aller Kräfte auf einen Körper, aber es kann innere Kräfte in einem Körper geben, die z.B. bei Festigkeitsbetrachtungen eine Rolle spielen. Ein anderes Beispiel ist ein Magnetvertschluß. 44 Das Aktionsgesetz F = ma legt die Dimension der Kraft fest: [F] = [m] [a] =kgm/s2 . Hierfür gilt die Abkürzung N (Newton). Ein Newton ist die Kraft, die notwendig ist, einen Körper der Masse 1kg die Beschleunigung 1m/s2 zu erteilen. Ein Körper der Masse 1kg wird im Erdfeld an der Erdoberfläche im freien Fall um 9,81 m/s2 beschleunigt, d.h. auf 1kg wirkt die Gravitationskraft von 9,81 N. Wenn die Kräfte, die auf einen Körper wirken, und seine Masse bekannt sind, kann man das Aktionsgesetz benutzen, um die Beschleunigung zu ermitteln und daraus durch zweimalige Integration die Bewegung r(t) abzuleiten. Dies ist eine der Grundaufgaben der Dynamik. Beispiele: Schiefer Wurf: Fx = 0, also ax = 0. Fy = -gm, also ay = -g. Die weitere Rechnung wurde oben in der Kinematik vorgeführt. Kreisbewegung: a = Rω2 = v2/R Die Kreisbewegung wird durch eine Kraft F = mRω2, die auf den Kreismittelpunkt gerichtet ist, erzwungen (Zentripetalkraft). β) Zerlegung von Kräften Da Kräfte durch F = ma definiert sind, haben sie wie a Vektorcharakter. Man kann daher eine Kraft als Summe mehrerer Kräfte auffassen (Kraftzerlegung) oder mehrere Kräfte zu einer resultierenden zusammenfassen. Dabei gilt die bei Vektoren eingeführte Dreiecks -, bzw. Parallelogrammkonstruktion. Beispiel: Schiefe Ebene (s. Abb. 33) Welche Gesamtkraft beschleunigt den Körper auf der schiefen Ebene? Lösung: Zerlege die Gewichtskraft FG in eine Tangentialkomponente Ft und eine Normalkomponente Fn. Fn wird durch die Kraft, die durch die Auflage auf den Körper ausgeübt wird, kompensiert. Die 45 Abb. 33: Kräftezerlegung an der schiefen Ebene Ft = FG sinα Fn = FGcosα Abb. 34: Kräftezerlegung beim Fadenpendel resultierende Kraft ist Ft. Die gleiche Zerlegung gilt für das Fadenpendel. Der Faden übt eine Kraft aus, die die Richtung des Fadens besitzt (Abb. 34). Daß die Kraft entlang eines gewichtslosen Fadens überall gleich ist, erleichtert manchmal die Lösung dynamischer Probleme. Betrachte das Beispiel von Abb. 35 . Hier gilt Ma = F1 mg - F2= ma F1 = F2 daraus folgt und mg - Ma = ma mg a= M+m a=g 1M 1+ Abb. 35: Hier wird über den Faden eine zusätzliche Kraft zu der Schwerkraft ausgeübt 46 d) Das Reaktionsprinzip α) Begründung des Reaktionsprinzips Das Reaktionsprinzip besagt, daß Kräfte zwischen Körpern immer in entgegengesetzt gleichen Paaren auftreten. Man spricht daher in der Physik anstatt von Kräften häufig von Wechselwirkungen. Das Reaktionsprinzip zeigt die Erfahrung. Heute würde man es am deutlichsten mit der Unmöglichkeit eines Perpetuum Mobile begründen (s. Abb. 36). Abb. 36: Würde das Reaktionsprinzip nicht gelten, müßte sich das Gebilde von zwei Massen von selbst in Rotation versetzen. Bringt man zwei Körper m1 und m2, von denen m1 auf m2 die Kraft F21 und m2 auf m1 die Kraft F12 ausübt, am Umfang eines Rades an, so würde dieses einen Antrieb erfahren, wenn F12 ungleich -F21 wäre. Die Angriffspunkte der entgegengesetzten Kräfte liegen im allgemeinen an unterschiedlichen Stellen. Bei Körpern, die auf einer Unterlage liegen, wird die Schwerkraft von der elastischen Kraft der Unterlage kompensiert. β) Definition des Impulses Betrachtet man zwei Körper mit den Massen m1 und m2, zwischen denen eine Kraft wirkt (Abb. 37), so gilt Abb. 37: Zur Definition des Impulses • F 12 = m 1 v 1 , • und F 21 = m 2 v 2 • • • • wegen F12 = - F21 folgt daraus m 1 v 1 = −m 2 v 2 , d.h. m 1 v 1 + m 2 v 2 = 0 und daher m 1 v 1 + m 2 v 2 = const. Physikalische Größen, die bei bestimmten Prozessen konstant bleiben, sind angenehm für die Beschreibung von Vorgängen. Man nennt sie Erhaltungsgrößen. Man definiert daher 47 mv = p p ist der Impus eines Körpers (englisch momentum). Bei mehreren Körpern ist pges = m1 v1 + m2 v2 + ... = Σmi vi der Gesamtimpuls. Der Gesamtimpuls ist die vektorielle Summe der Einzelimpulse. Das Aktionsgesetz schreibt sich dann • F= p γ) Der Impulssatz Aus dem im vorigen Abschnitt gesagten folgt sofort, daß der Gesamtimpuls von Körpern, die nur inneren Kräften ausgesetzt sind, konstant bleibt. In der klassischen Mechanik ist der Impulssatz äquivalent mit dem Reaktionsprinzip. In der relativistischen Mechanik zeigt sich, daß das Reaktionsprinzip nicht mehr gilt, während der Impulssatz nicht angetastet wird. Nach einem Satz von Emmy Nöther (1882 - 1935) ist der Impulssatz eine Folge der Tatsache, daß der Raum homogen ist, d.h. daß Experimente an verschiedenen Stellen des Raumes gleich ausfallen. Beispiele: In Antriebssystemen von Raketen, Flugzeugen und Schiffen wird Masse nach hinten ausgestoßen. Da der Gesamtimpuls - bei Vernachlässigung der Reibung - konstant bleiben muß, resultiert ein Antrieb des Fahrzeuges. Bei Hochheben eines Gewichtes wird die Erde - wenigstens im Prinzip - beschleunigt. Die Impulserhaltung wird mit Personen auf Rollbrettern demonstriert, die aufeinander Kräfte ausüben. e) Historische Randbemerkungen Im 16. Jahrhundert wurde die Physik in drei Richtungen erweitert: Die Bedeutung des quantitativen Experimentes wurde erkannt. Man erkannte, daß die auf der Erde gültige Physik auch am Himmel gilt. Die Begriffe von Masse und Kraft kristallisierten sich heraus. Aus heutiger Sicht muß man sagen, daß die Newtonschen Axiome weder vollständig noch minimal sind. Das erste folgt aus dem zweiten. Der besondere Hinweis des ersten Axioms ist historisch verständlich. Wie man aus relativistischen Effekten weiß, enthält Newtons Mechanik 48 die nicht korrekte Annahme vom absoluten Raum und absoluter Zeit, d.h. man setzt voraus, daß unabhängig von Körpern ein fundamentales Bezugssystem und eine Uhrzeit definiert werden können, die für alle anderen Bezugssysteme gilt. Da dies nicht möglich ist, wird es schwierig, ein "Inertialsystem" anzugeben, d.h. ein Koordinatensystem, in dem sich ein kräftefreier Körper ohne Beschleunigung bewegt. Auf der Erde gibt es nur in gewisser Näherung ein Inertialsystem, da die Erde um ihre eigene Achse rotiert und eine Umlaufbahn um die Sonne vollführt. Auch die Sonne bewegt sich im Milchstraßensystem auf einer gekrümmten Bahn. 2. Kräfte a) Die Grundkräfte Um die Bewegung aus der Wirkung der Kräfte berechnen zu können, benötigt man genauere Angaben über die Kräfte. Die verschiedenen in der Natur auftretenden Kräfte lassen sich auf wenige Grundkräfte zwischen Elementarteilchen zurückführen. Gravitation (Massenanziehung) elektrostatische Kraft (Kraft zwischen ruhenden Ladungen) magnetische Kraft (zusätzliche Kraft zwischen bewegten Ladungen) starke Wechselwirkung (Kräfte zwischen Quarks) schwache Wechselwiorkung (Kraft zwischen Neutrinos) Nach heutigem Wissen können die elektrostatische, die elektromagnetische und die schwache Kraft als verschiedene Erscheinungsformen einer Kraft verstanden werden. Dies leistet die "vereinheitlichte Theorie". Alle diese Kräfte sind Fernkräfte in dem Sinne, daß keine Berührung zwischen Oberflächen von wechselwirkenden Körpern stattfindet. Zwischen den Elementarteilchen sind in jedem Fall, auch wenn wir nicht den Eindruck haben, riesige Zwischenräume. Die im täglichen Leben vorkommenden Kräfte lassen sich entweder auf Gravitation oder - wie bei Reibung, Elastizität, Kräften durch chemische Prozesse oder Wärme - auf elektromagnetische Kräfte zurückführen. Scheinkräfte wie die Corioliskraft oder die Zentrifugalkraft muß man in Rechnung stellen, wenn man eine Bewegung in einem beschleunigten Bezugssystem beschreibt. Im unbeschleunigtem System, also einem Inertialsystem, sind Scheinkräfte überflüssig. 49 b) Die Gravitation α) Historische Vorbemerkungen An der Erdoberfläche ist die Gravitationskraft FG = mger. Newton bemerkte, daß ein waagerechter Wurf mit zunehmender Anfangsgeschwindigkeit stetig in eine Umlaufbahn um die Erde übergeht (Abb. 38). Abb. 38: Wie man einen waagerechten Wurf in eine Planetenbahn überführen kann. Umgekehrt kann man eine Umlaufbahn etwa des Mondes um die Erde lokal als Näherung einer Wurfparabel betrachten. Aus der kinematisch bekannten Wurfparabel ergibt sich die Erdanziehung im Abstand des Mondbahnradius von der Erde. Diese kann man nun vergleichen mit der bekannten Erdanziehung an der Erdoberfläche und so eine Aussage über die Abhängigkeit der Erdanziehung in Abhängigkeit vom Abstand des Körpers vom Erdmittelpunkt erhalten. Wir gehen diesen Weg im folgenden nicht, sondern einen etwas eleganteren, indem wir die Erdanziehung der Zentripetalkraft mrω2 gleichsetzen. Das Ergebnis ist das gleiche wie wie bei einem Vergleich mit der Wurfparabel. Die Abhängigkeit der Kraft vom Abstand der Massen ergibt sich dann aus Keplers dritten Gesetz, das die Halbachsen der Bahnellipsen der Planeten mit ihrer Umlaufszeit T verknüpft. In der Näherung von Kreisbahnen mit dem Radius r 3 besagt das Keplersche Gesetz: r 2 = const und damit r 3 ω 2 = const für alle Planeten. Setzt man T voraus, daß die Zentripetalkraft von der Massenanziehung herrührt, die eine Funktion des Abstandes zwischen Sonne und Planeten ist, also die Form |F| = f(r) besitzt, so gilt für zwei Planeten m 1 r 1 ω 21 = f(r 1 ) m 2 r 2 ω 22 = f(r 2 ) Rechnet man ω auf die Umlaufszeit T um und dividiert beide Gleichungen, so erhält man T 21 T 2 = m 1 r 1 f(r 2 ) m 2 r 2 f(r 1 ) 50 Das 3. Keplersche Gesetz ist nur erfüllt, wenn f(r) ∼ m2 r d.h. wenn f(r 1 ) = m1c m c und f(r 2 ) = 22 . 2 r r β) Das Gravitationsgesetz Abb. 39: Zwei Massen im Abstand r ziehen sich an. Wir verallgemeinern die Anziehung zwischen Sonne und Planeten auf die Anziehung zweier beliebiger Körper mit den Massen m1 und m2 (Abb. 39). Vorläufig sehen wir von speziellen Effekten, die durch die Ausdehnung der Körper hervorgerufen werden ab, d.h. wir stellen uns die Körper als kleine Kugeln vor. Wegen der Symmetrie der Anordnung nehmen wir an, daß die Anziehungskraft F zwischen den Körpern beiden Massen proportional ist. Wir schreiben daher für den Betrag der Kraft F=γ m1m2 r2 (1) und vektoriell F = −γ m1m2 r r2 r Die Proportionalitätskonstante γ nennt man die Gravitätskonstante. Für sie ergibt sich experimentell der Wert γ = 6,67 10−11 Nm2/kg2 (s. nächsten Abschnitt). Aus Gleichung (1) folgt für einen Körper an der Erdoberfläche (r = RE) und damit g = γ M2 mg = γ mM 2 R R (RE : Radius der Erde, M: Masse der Erde, m: Masse des Körpers) Wenn γ bekannt ist, läßt sich also aus den bekannten Größen Erdbeschleunigung g und Radius der Erde RE die Masse der Erde bestimmen. 51 In Laborexperimenten rechnet man gewöhnlich mit einer konstanten Erdanziehung. Um den relativen Fehler zu bestimmen, den man macht, wenn man für g den Wert an der Erdoberfläche nimmt, obwohl man sich in einer Höhe h befindet, entwickelt man F(r) in der Umgebung von r = RE in einer Taylorreihe. F(h) = γmM (R E + h) 2 = γmM R 2E 1 1 + h RE 2 df Für die Funktion f(∆x) = (1 + ∆x)n ergibt die Taylorentwicklung f(∆x) ≈ f(0) + ∆x dx ∆ = df = n erhhält man (1 + ∆x)n ~ 1 + n∆x. Mit mit f(0) = 1 und f/(∆x) = n(1 + ∆x)n - 1, also dx ∆x=0 ∆x = h/RE und n = 2 ergibt sich schließlich F(h) = γmM 1−2 h 2 RE R Der prozentuale Fehler ist also 2h/RE. γ) Messung der Gravitationskonstanten Abb. 40: Gravitationswaage nach Cavendish. Die Massen M können auf die andere Seite der Massen m herumgeschwenkt werden. Die Gravitationskonstante kann durch Messungen im Labor bestimmt werden. Dies erfolgte erstmals durch Cavendish 1787 (Henry Cavendish 1731 - 1810). Zwei Massen m hängen an einem Torsionsfaden, dessen Verdrehung über einen Spiegel empfindlich gemessen werden kann (Abb. 40). Bringt man zur Zeit t = 0 zwei Massen M in die Nähe der aufgehängten Massen, so fangen diese aufgrund der gegenseitigen Anziehungskraft an, sich zu bewegen. Aus der Beschleunigung dieser Bewegung und aus der neuen Ruhelage ergibt sich γ. 52 c) Kraft zwischen ausgedehnten Körpern α) Integration über Massenelemente Bei ausgedehnten Körpern muß über die Kräfte zwischen allen Einzelteilchen summiert werden. Für die Kraft zwischen einem punktförmigen Teilchen der Masse mp und einer homogenen Kugel ergibt sich (s. Abb.41) Abb. 41: Um die Kraft auf einen homogenen Körper auszurechnen, muß im allgemeinen Fall integriert werden. F ≈ γm p Σ ∆m i r i r2 ri Nach dem Grenzübergang F = γm p ∫ r3 dm r dm = ρdxdydz r = r p − s = (x p − x) + (y p − y) + (z p − z) 2 2 2 Die Integration ist nach geeigneter Transformation durchführbar (s. z.B. Alonso - Finn BdI, Kap. 13.7). Es ergibt sich der Satz: Homogene Kugeln haben im Außenraum die gleiche Gravitationswirkung wie ein Massenpunkt der gleichen Masse im Mittelpunkt der Kugel. Vorsicht: Dieser Satz gilt für Kugeln. Für Körper mit anderen Formen gilt er im allgemeinen nicht, auch wenn man den Mittelpunkt durch den Schwerpunkt ersetzt, wie man sofort am Beispiel des Ringes erkennt. Würde nämlich ein Ring durch einen Massenpunkt im Scherpunkt, der im Mittelpunkt des Ringes liegt, zu ersetzen sein, ergäbe sich auf einen anderen Körper, der sich im Schwerpunkt befindet, eine unendliche Kraft F =lim γ r→0 mM R 2 In Wirklichkeit heben sich die Kräfte, die alle Teilelemente des Ringes auf eine Masse im Mittelpunkt ausüben, gegenseitig auf. Es gibt eine sehr elegante Möglichkeit, zu beweisen, daß eine Kugel im Außenraum die gleichen Anziehungskräfte hat wie ein Massenpunkt im 53 Zentrum. Zu diesem Zweck symmetrisiert man das Problem, indem man nicht die Wechselwirkung zwischen zwei Massen betrachtet, sondern die Veränderung des Raumes, die durch eine Masse in ihrer Umgebung hervorgerufen wird. Diese Veränderung nennt man Feld. β) Feldstärke Die Kraft in der Umgebung einer Masse M hängt von M aber auch von der Probemasse mp ab, auf der diese Kraft ausgeübt wird. Um eine von der Probemasse unabhängige Größe zu erhalten, definiert man die Feldstärke G des Gravitationsfeldes: G = mF = −γ M2 rr p Jedem Punkt in der Umgebung der Masse M ist also ein Feldstärkevektor zugeordnet. Man sagt, in der Umgebung der Masse M existiert ein Feld, in diesem Fall ein kugelsymmetrisches Feld. G hat die gleiche Richtung wie F. Man erhält die Kraft, die im Feld G auf eine Masse m ausgeübt wird aus F = mG γ) Der Fluß Wir stellen uns jetzt eine strömende Flüssigkeit vor. An jedem Ort in einem gewissen Raum hat die Flüssigkeit eine lokale Geschwindigkeit v(r). Es liegt also ein Geschwindigkeitsfeld vor. Als Fluß durch die Fläche A bezeichnet man dann das Flüssigkeitsvolumen, das in einer Zeiteinheit durch A strömt. Beispiel: Wie hängt der Verkehrsfluß mit der Verkehrsdichte und der Geschwindigkeit der Fahrzeuge zusammen? Abb. 42: Die Anzahl der Fahrzeuge (schwarze Punkte), die in einem Zeitintervall die Kontrollfläche K passieren, sind alle die, die sich zwischen K und dem letzten Fahrzeug befinden, das K in dem betrachteten Zeitintervall K N: Gesamtzahl der Wagen, l: Gesamtstrecke, n = N/l: Verkehrsdichte In der Zeit ∆t fahren alle Fahrzeuge durch die Kontrolle K, die nicht weiter als l = v∆t vom Kontrollpunkt entfernt sind. Durch die Verkehrsdichte ausgedrückt sind dies ∆N = ln also ∆N = vn∆t Fahrzeuge. Als Fluß ergibt sich also 54 Φ = ∆N = nv ∆t Abb. 43: Im dreidimensionalen Fall strömt das schaffrierte Volumen durch die Fläche A. In einer dreidimensionalen Strömung definiert man als Dichte n = N/V, worin V das Volumen ist, das N Teilchen enthält. Um alle Teilchen zu erfassen, die durch die Fläche A strömen, muß man jetzt die Flüssigkeitsmenge betrachten, die in der Zeit ∆t durch A strömt. In Abb. 43 ist sie schraffiert gezeichnet. Das Volumen dieser Flüssigkeitsmenge ergibt sich aus Grundfläche A mal Höhe h = l cosα. Die Anzahl der Teilchen, die in der Zeit ∆t durch A strömen ist also ∆N = nV = nAh = nAl cos α = nAv∆t cos α und der Fluß ∆N = nA • v ∆t Mit N = nV wird daraus für den Fluß ∆V = A • v ∆t Man definiert daher für ein beliebiges Vektorfeld v(r) den Fluß des Feldes durch die Fläche A als Φ = A•v , wenn v über A konstant ist, sonst Φ = ∫ v • dA . Die Bedeutung des Begriffes Fluß rührt daher, daß der Gesamtfluß, der durch eine Fläche geht, die eine Quelle ganz umschließt, unabhängig von der Form und Größe der Fläche ist. Als Fluß des Gravitationsfeldes definiert man Φ = A • G , oder allgemein Φ = ∫ G • dA Wir stellen uns dieses Integral als Summe aller Flüsse durch die Flächenelemente ∆Ai vor. Φ ≈ Σ Gi • Ai 55 δ) Das Gesetz von Gauß Für eine Punktmasse gilt für den Fluß durch eine Kugeloberfläche mit dem Radius r, in deren Mittelpunkt die Masse liegt Φ = A • G = AG = 4πr 2 γM = 4πγM = const r2 Der Gesamtfluß ist also unabhängig vom Radius der Fläche. Daraus folgt sofort, wie aus der Analogie zum Fluß in einem Strömungsfeld mit einer lokalisierten Quelle zu ersehen ist, daß der Gesamtfluß durch eine geschlossene Fläche, die die Masse umgibt, auch unabhängig von der Form der Fläche ist, denn im stationären Zustand muß die gesamte Flüssigkeitsmenge, die die Quelle liefert, auch durch diese Fläche strömen. Die obige Formel für den Gesamtfluß des Gravitationsfeldes einer Punktmasse gilt aber auch für beliebige Massenverteilungen mit der Gesamtmasse M. Dies liegt daran, daß sich die Flüsse einzelner Massen linear superponieren, d.h., daß der Fluß durch ein Flächenelement A von mehreren Massen gleich der Summe der Flüsse der einzelnen Massen durch dieses Flächenelement ist (Abb. 44). Abb. 44: Der Fluß des Feldes der einzelnen Massen addiert sich zum Gesamtfluß. m m Φ ges = γ Σ 3i r i • A = γ Σ 3i r i • A = Σ Φ i r r Der Fluß durch eine geschlossene Fläche kann durch Summierung der Flüsse durch die Teilflächen erhalten werden. D.h. der Gesamtfluß durch eine geschlossene Fläche um eine Masse M, die sich aus Teilmassen mi zusammensetzt: M = m1 + m2 + ... = Σmi ist gleich der Summe der Flüsse durch diese geschlosene Fläche die von den einzelnen Teilmassen ausgehen. Da der Fluß für jede Teilmasse unabhängig von der Größe und Form der geschlossenen Fläche ist, gilt das auch für den Gesamtfluß aller Massen und damit für den Fluß von M. Diese Tatsache wird als Gesetz von Gauß bezeichnet. Wir formulieren es so: 56 Der gesamte Fluß der Gravitationsfeldstärke einer Masse M durch eine geschlossene Fläche, die M ganz umgibt, ist Φ = 4πγM , unabhängig von der Form und Größe der Fläche. Der Gesamtfluß kann also sofort angegeben werden. ε) Beispiele i. Gravitationsfeld einer ausgedehnten Kugel im Abstand r Abb. 45: Aus dem Fluß im Abstand r läßt sich bei einer Kugel die Feldstärke des Gravitationsfeldes berechnen. Der Fluß durch eine konzentrische Kugelfläche mit dem Radius r (wobei r größer als der Kugelradius sein muß) ist nach dem Gesetz von Gauß Φ = ∫ G • dA = 4πγM Da aus Symmetriegründen G konstant und G parallel zu A ist, gilt ∫ G • dA = G ⋅ 4πr 2 Daraus folgt G = γ M2 undF = γ mM 2 Für die Kraftwirkung außerhalb einer homogenen Kugel kann diese durch einen Massenpunkt der Masse M im Mittelpunkt der Kugel ersetzt werden. ii. Kraft im Innern einer Kugelschale Abb. 46: Zur Berechnung des Gravitationsfeldes im Innern einer Kugelschale. Die Kugelschale ist in Abb. 46 schraffiert gezeichnet. Um die Feldstärke im Innern auszurechnen wird eine Kugelfläche betrachtet, die ganz im Innern der Schale liegt. Wegen der gleichen 57 Symmetrie wie im vorigen Beispiel erhält man das gleiche Ergebnis. Nur umschließt die Kugelfläche in diesem Falle keine Masse, d.h. M = 0. Daraus folgt Φ = 0 und damit G = 0. Im Innern der Kugelschale gibt es keinerlei Gravitationskraft. Während das Ergebnis von Aufgabe i. oft intuitiv richtig geraten wird, ist das von Aufgabe ii. weit weniger unmittelbar einsichtig. Mit dem Gesetz von Gauß kann man also Feldstärken und damit auch Kräfte ausrechnen. Dummerweise funktioniert das Verfahren nur, wenn man, wie in den obigen Beispielen aus Symmetriegründen von vorneherein sagen kann, daß die Feldstärke - zumindest über bestimmte Raumbereiche - konstant bleibt. In praxi gibt es also nur sehr wenige Situationen, in denen man das Gaußsche Gesetz zur Berechnung einer Feldstärke wirklich anwenden kann. Für Abschätzungen und grundsätzliche Betrachtungen ist es aber ein sehr mächtiges Hilfsmittel. d) Andere Grundkräfte α) Die elektrostatische Kraft Für die Kraft zwischen ruhenden geladenen Teilchen gilt das Coulombgesetz. F= Q1Q2 1 r 4πε 0 r 2 r Die Form ist identisch mit dem Gravitationsgesetz. Daher gelten die Ausführungen, die für das Gravitationsgesetz gemacht wurden auch für das Coulombgesetz. Q sind Ladungen, die im Gegensatz zur Masse auch negative Werte annehmen können. Die Dielektrizitätskonstante ε0 ist wie γ eine experimentell zu ermittelnde Konstante 1 = 9 ⋅ 10 9 Nm 2 4πε 0 (As) 2 Die Ladungen von Elementarteilchen sind ganze Vielfache der Elementarladung e 0 =1, 6 ⋅10 −19 As . Ausnahmen bilden die Quarks mit 1/3 und 2/3 der Elementarladung. Diese werden aber nicht einzeln beobachtet. Das Gesetz von Gauß heißt in der Elektrostatik Q ∫ E • dA = ε E ist die elektrische Feldstärke, die ähnlch wie bei der Gravitation gebildet wird 58 E= F Qp F ist die Kraft, die durch das Feld auf die Probeladung ausgeübt wird. β) Die Lorentzkraft Bewegte Ladungen erfahren zusätzlich die Lorentzkraft F = Qv × B γ) Kernkräfte In der Kern- und Elementarteilchenphysik spielen außer den bisher behandelten Kräften die starke und die schwache Wechselwirkung eine Rolle. Es gibt Teilchen wie die Neutrinos, die nur die schwache Wechselwirkung zeigen. Andere wie die Elektronen zeigen die schwache und die elektromagnetische Wechselwirkung. Die Quarks zeigen neben diesen beiden Wechselwirkungen die starke Wechselwirkung, die dann alle übrigen Kräfte dominiert. Die starke Wechselwirkung kann auf eine Größe zurückgeführt werden, die der Ladung in der Elektrostatik analog ist. Man nennt sie Farbladung. Es gibt drei verschiedene Farbladungen und ihre komplementären Ladungen. Die Quarks streben die Gesamt"farbe" weiß an. Dies ist möglich, indem sich zwei Quarks mit komplementären Farben verbinden. Man erhält dann Mesonen. Es ist aber auch möglich, indem sich drei Quarks mit allen drei unterschiedlichen Grundfarben verbinden. Man erhält dann Baryonen, z.B. Protronen und Neutronen. In der Quantenfeldtheorie benötigt man weitere Teilchen, die für den Quantencharakter bei der Kraftüberttragung sorgen. Bei der Gravitation sind dies Gravitonen, bei der Elektromagnetik Photonen, bei der starken Wechselwirkung Gluonen, bei der schwachen Wechselwirkung W und Z Teilchen. Die Kraftteilchen können selber Kräften ausgesetzt sein wie bei den Gluonen oder neutral erscheinen wie bei den Photonen. e) Kräfte zwischen makroskopischen Körpern Bisher wurden Kräfte zwischen einzelnen Körpern betrachtet, von deren Ausdehnung abgesehen wurde. Streng genommen gelten die besprochenen Kraftgesetze für Massenpunkte. In praxi können wir uns darunter die elementaren Teilchen der Materie vorstellen. Die Kräfte zwischen zusammengesetzten Körpern ergeben sich dann durch Addition der Kräfte zwischen allen Elemenarteilchen. Diese Addition ist in den seltensten Fällen wirklich durchführbar. In einigen Fällen gibt es für die Kraft eines zusammengesetzten Körpers einfache Erfahrungssätze. Diese werden im folgenden besprochen. Sie haben natürlich nicht den fundamentalen 59 Charakter wie die Grundkräfte und deswegen auch nur einenbegrenzten Gültigkeitsbereich. Typisch für diese makroskopischen Kräfte sind Materialkonstanten, die durch eine übergeordnete Theorie oder experimentell bestimmt werden müssen. α) Kraft durch elastische Verformung Abb. 47: Das Spannungs - Dehnungs - Diagramm von festen Körpern. Dehnt man einen Körper, etwa einen Draht mit dem Querschnitt A, indem man an beiden Enden eine Kraft F aufwendet, so ergibt sich für die relative Längenänderung dl/l in Abhängigkeit von der angewandten Spannung σ = F/A typischerweise das in Abb.47 dargestellte Verhalten: Bei kleinen Auslenkungen ist die Dehnung der Spannung proportional σ = F = E dl A l Die Proportionalitätskonstante E nennt man den Elastizitätsmodul. Diese lineare Näherung des eigentlichen Spannungs/Dehnungs Gesetzes nennt man das Hookesche Gesetz, den Bereich, in dem es gilt, den Proportionalitätsbereich (in Abb. 47 geht er bis zum Punkt P). Überschreitet man den Bereich, muß man höhere Glieder der Taylorentwicklung mit berücksichtigen. Ab einer bestimmten Grenze (E) verformt sich ein Körper bleibend. Der Elastizitätsbereich ist überschritten. Bei noch größeren Verformungen fängt der Körper an, zu fließen (F) oder er bricht. Die Festigkeit eines Körpers ist die Grenzspannung, bei der er reißt. Ähnliche Gesetze wie für die Dehnung gelten für die Scherung, d.h. die Belastung eines Körpers mit einer Kraft, die parallel zur belasteten Fläche ausgerichtet ist. Bei der Dehnung einer Spiralfeder wird der Draht torsionell verformt. Für den Zusammenhang von äußerer Kraft und Längenenderung der Feder gilt in einem weiten Bereich das Hookesch Gesetz F = Dx D ist die Federkonstante, die die Steifigkeit der Feder beschreibt. 60 β) Reibungskraft i. Reibung zwischen festen Körpern Abb. 48: Ein fester Körper mit glatter Oberfläche auf einer festen Unterlage. Bei festen Körpern mit ebenen Grenzflächen ist die Reibungskraft FR parallel zur Berührungsfläche ausgerichtet und der Kraft, die beide Körper aufeinanderdrückt, der sogenannten Normalkraft, proportional (Abb. 48). Bei Grenzflächen zwischen festen Körpern ist FR von der Flächengröße unabhängig. Der Grund liegt darin, daß nur wenige Auflagepunkte existieren, deren Anzahl etwa unabhängig von der Flächengröße ist. F R = µF N Der Reibungskoeffizient µ wird experimentell bestimmt. Er unterscheidet sich für Haft-, Gleit-, und Rollreibung. Eine nahezu reibungsfreie Bewegung kann auf einer Luftkissenbahn realisiert werden. Durch das Wechselspiel von Gleit- und Haftreibung können interessante Bewegungsabläufe resultieren etwa wie bei dem Spielzeug Hackspecht. Eine einfache Möglichkeit zur Bestimmung des Reibungskoeffizienten besteht darin, einen Körper auf eine schiefe Ebene zu lege und den Neigungswinkel zu messen, bei dem er anfängt zu gleiten (dies ergibt den Koeffizienten der Haftreibung), oder bei dem er gerade noch gleitet (dies ergibt den Koeffizienten der Gleitreibung). Nach Abb. 49 ist Abb. 49: Bestimmung des Reibungskoeffizienten auf der schiefen Ebene. F t = mg sin α F N = mg cos α 61 Im Grenzfall ist Ft = FR = µFN, also mg·sinα = µmg·cosα und µ = tan α ii. Reibung in Flüssigkeiten und Gasen Wir stellen uns zunächst einen Körper in einer mit der Geschwindigkeit v strömenden Flüssigkeit vor, etwa ein Fahrzeug, das sich mit der Geschwindigkeit v in der umgebenden Luft bewegt. Bei hohen Geschwindigkeiten erzeugen die anströmenden Teilchen die Reibung durch Stoß auf die Wand. Man erhält dann eine Reibungskraft, die proportional zum Impusverlust aller Teilchen ist. Der Impulsverlust wird ein bestimmter Bruchteil ihres Anfangsimpulses sein. Wenn ∆N Teilchen in der Zeit ∆t anströmen, gilt F R ∼ ∆N mv ∆t Nach Abschnitt C.2.c gilt ∆N = vnA . Hierin ist n die Anzahl der Teilchen pro Volumen. Die ∆t Reibungskraft ist also proportional F R ∼ Anmv 2 F R = c W A 1 ρv 2 2 Man schreibt cW ist der Widerstandsbeiwert, der von der Form und der Oberflächenbeschaffenheit des Körpers abhängt, nm = ρ ist die Dichte der Flüssigkeit bzw. des Gases. Bei kleineren Geschwindigkeiten stoßen die strömenden Teilchen nicht mehr frontal gegen den Körper, sondern sie umströmen ihn auf einer glatten Bahn. Man spricht dann von laminarer Strömung. Die Reibung entsteht durch Impulsaustausch von Teilchen, die zwischen aneinander vorbeigleitenden Flüssigkeitsschichten ausgetauscht werden. Diese Reibung nennt man innere Reibung von Flüssigkeiten. Sie wird durch den Koeffizienten der Viskosität η beschrieben. Nach Newton definiert man für eine ebene Strömung in Richtung x, deren Geschwindigdv keit sich in einer Richtung y senkrecht zu den Flüssigkeitsschichten ändert: x ≠ 0 dy FR = η dv x A dy Im Gegensatz zur Reibung zwischen festen Körpern ist die innere Reibung von der Fläche abhängig. Der Viskositätskoeffizient hat gemäß der obigen Definition die Dimension 62 [η] = Ns/m2. Strömungen werden genauer im Kapitel Hydrodynamik (Kapitel D.4.c) behandelt. Zur Berechnung einfacher Bewegungen unter dem Einfluß einer Reibungskraft benötigen wir im folgenden nur die Reibung auf eine Kugel mit dem Radius R bei laminarer Strömung (s. Abb. 50). Abb. 50: Die Stromlinien bei laminarer Strömung um eine Kugel. Hierfür gilt das Stokesche Gesetz F R = 6πηRv Bei laminarer Strömung ist die Reibungskraft also proportional zur Geschwindigkeit. Bei höheren Geschwindigkeiten ist sie, wie wir gesehen hatten, proportional zu v2. In der Nähe der Schallgeschwindigkeit nimmt FR dramatisch zu. Insgesamt ergibt sich für FR/v2 in Abhängigkeit von v nebenstehender Verlauf (Abb. 51). Bei kleinen Geschwindigkeiten ist FR/v2 ~ 1/v (FR ~ v), in einem weiten Bereich ist FR/v2 konstant (FR ~ v2). Abb.51: Wie die Reibungskraft an einem Körper in einer Strömung von der Geschwindigkeit der Strömung abhängt. 3. Beispiele für einfache Bewegungen a) In zäher Flüssigkeit fallende Kugel Abb. 52: Auf eine in einer zähen Flüssigkeit fallenden Kugel wirkt neben der Schwerkraft die Reibungskraft, eventuell noch die Auftriebskraft. 63 Die Bewegungsgleichung lautet • m v = FG − FR FG ist die um den Auftrieb verringerte Gewichtskraft. Im folgenden wird angenommen, daß der Auftrieb vernachlässigbar ist FG = mg. Für die Reibungskraft wird das Stokessche Gesetz vorausgesetzt: FR = mαv, wobei α = 6πηR/m. Damit erhält man aus der Bewegungsgleichung eine Differentialgleichung für v • v = g − αv Man dividiert durch die rechte Seite und kann sofort integrieren. dv dt dt ∫ g − αv = ∫ g − αv = t dv Das erste Gleichheitszeichen verwendet die Substitutionsregel ∫ F[z(x)]dx = ∫ F(z) dx dz dz Man substituiert g - αv = z. Mit dz = -αdv erhält man 1 −α ∫ dz = − 1 ln z − c = − 1 ln (g − αv) − c = t z α α Die Integrationskonstante c wird aus den Anfangsbedingungen bestimmt. Es soll gelten für t = 0 v = 0. Dies in die Endformel eingesetzt ergibt 1 ln g c = −α Damit wird das Gesamtergebnis 1 ln (g − αv) + 1 ln g = t −α α ln g − αv g = −αt ln (g − αv) − ln g = −αt 64 Um das v(t) Gesetz zu erhalten, muß nach v aufgelöst werden. Zunächst wird nach dem Argument von ln: (1 - αv/g) über die Beziehung lnex = x aufgelöst - α 1 − g v = e −αt Das v(t) Gesetz lautet damit g v = α (1 − e −αt ) =v 0 (1 − e −αt ) Für t >> 1/α wird v = v0. v0 ist die asymptotisch erreichte Grenzgeschwindigkeit. g gm ∼ R 2 da m = ρ 4π R 3 v0 = α = 6πηR 3 Abb. 53: Oben: die e - Funktion. Unten: die Entwicklung der Geschwindigkeit des fallenden Tropfens. Die Grenzgeschwindigkeit v0 ist nach einigen Zeiten t0 = 1/α erreicht, was u.U. eine sehr kurze Zeit sein kann. Man kann also so rechnen, als ob der Körper abgesehen von einer kurzen Anfangsphase mit der Geschwindigkeit v0 fliegt. Daher fallen große Regentropfen schneller als kleine. In Wolken sind die Wassertröpfchen extrem klein. Sie fallen daher so langsam, daß sie praktisch schweben. In der anfänglichen Beschleunigungsphase entspricht das Verhalten von v dem der Ladung Q beim Aufladen eines Kondensators. dv/dt nimmt laut Bewegungsgleichung mit steigendem v ab. Beim Kondensator nimmt dQ/dt durch das Gegenfeld ab. b) Reibungsfreie Bewegung auf einer schiefen Ebene Die antreibende Kraft in Bewegungsrichtung ist (s. Abb. 54) Ft = mg·sinα. Es ergibt sich also eine konstant beschleunigte Bewegung mit der gegenüber dem freien Fall reduzierten Beschleunigung a = g·sinα 65 Abb. 54: Die schiefe Ebene eignet sich dazu, eine gleichförmig beschleunigte Bewegung zu untersuchen. Um v(t) und s(t) zu finden geht man also wie bei der Behandlung der gleichförmig beschleunigten Bewegung in Kap. B.e vor. c) Die Atwoodsche Fallmaschine Abb. 55: Bei der Atwoodschen Fallmaschine ist die Trägheit durch die Summe der Massen, die antreibende Kraft durch die Differenz der Gewichte der Massen gegeben. Betrachtet wird ein System aus zwei Massen, die an den beiden Seiten eines Fadens hängen, der über eine Rolle geführt wird (Abb. 55). Auf die Massen wirkt neben der Schwerkraft die Kraft, die von der jeweils anderen Masse über den Faden übertragen wird. Wenn man in solcher Situation unsicher ist, ob eine Kraft übertragen wird, schneide man den Faden in einem Gedankenexperiment durch und prüfe, ob die Dynamik sich ändert. Die Kraft F, mit der der Faden gespannt wird, wird zunächst als Unbekannte eingeführt. Es ergeben sich zwei Bewegungsgleichungen für die Massen m1 und m2, aus denen die unbekannte Kraft F eliminiert werden kann. •• m2g − F = m2 x •• F − m1g = m1 x Durch Addition beider Gleichungen erhält man •• (m 2 − m 1 )g = (m 1 + m 2 ) x •• x= m2 − m1 g m1 + m2 66 Bei dieser Betrachtung wurde die Trägheit der Rolle vernachlässigt. Man erhält also wieder eine gleichförmig beschleunigte Bewegung. Die zu beschleunigende Masse ist hier m1 + m2, die antreibende Kraft (m2 - m1)g. Die Fadenspannung ergibt sich aus einer der beiden Ausgangsgleichungen zu F= 2m 1 m 2 g m1 + m2 die Kraft, die die Aufhängung aufbringen muß ist 2F d) Die Rakete Abb. 56: Zur Ableitung der Raketengleichung. dm ist ein Massenelement des Treibstoffs. Alle Geschwindigkeiten werden in Vorwärtsrichtung als positiv gerechnet. Betrachtet wird eine Rakete im Weltraum in so großer Entfernung von den anderen Himmelskörpern, daß die Gravitationskräfte keine Rolle spielen. Im ruhenden Bezugssystem ist die Geschwindigkeit der Rakete v, die des Gases vgas, die Ausströmgeschwindigkeit des vom Antrieb ausgestoßenen Gases von der Rakete aus betrachtet ve, wobei die positive Richtung für alle Geschwindigkeiten in Bewegungsrichtung der Rakete zeigen soll. ve und vgas hängen über die Raketengeschwindigkeit v voneinander ab. v + ve = vgas. Um auszurechnen, wie sich v in Abhängigkeit vom Massenausstoß entwickelt, wird der Impulssatz dp/dt = 0 für das gesamte System betrachtet. Wenn die Raketenmasse um |dm| abnimmt, nimmt die Masse des ausgestoßenen Gases um |dm| zu: dmRakete = - dmgas. p(t + dt) = (m + dm)(v +dv) − dmv gas Beim Grenzübergang verschwinden Terme zweiter Ordnung p(t + dt) = mv +mdv + vdm − dmv gas Da v + ve = vgas und damit vdm - vgasdm = -vedm, wird daraus 67 p(t + dt) = mv +mdv - v e dm Die Impulsänderung dp = p(t + dt) - p(t) wird damit dp = mdv - vedm Diese soll verschwinden, da nur innere Kräfte wirken mdv = vedm, d.h. dv = v e dm m Diese Gleichung läßt sich sofort integrieren: v = velnm + C Die Integrationskonstante C wird durch die Anfangsbedingungen festgelegt: v = v0, wenn m = m0. Eingesetzt ergibt dies: C = v0 - velnm0 und v = velnm + v0 - ve lnm0 mit dem Ergebnis m v = v 0 − v e ln m0 Da m0 > m und nach Definition ve < 0, nimmt v zu. Bei chemischen Raketen kann die Ausströmgeschwindigkeit ve einen gewissen Wert nicht überschreiten. Außerdem hat m0/m einen maximalen Wert, da man ein gewisses Strukturgewicht m0 braucht, um den Treibstoff m - m0 zu halten. Als Konsequenz kann die Rakete eine gewisse Endgeschwindigkeit nicht überschreiten. Als Ausweg bieten sich mehrstufige Raketen an und elektrische Antriebe, die sehr viel höhere Ausstoßgeschwindigkeiten erlauben als chemische Antriebe, meisten allerdings nur relativ kleine Massendurchflüsse. e) Dynamik der Kreisbewegung Für den allgemeinen Fall spaltet man die Bewegungsgleichung in einen tangentialen und einen normalen Anteil auf (s. Abb. 58). Da p = p·et und et von der Zeit abhängt, gilt F= dp • • =p e t + p e t dt 68 Abb. 57: Die Kreisbewegung wird in eine tangentiale und eine normale Bewegung aufgespalten. • • Hier sind F t =p e t die tangentiale Impulsänderung und F n = p e t . Nach dem bei der Kinematik der Kreisbewegung gesagtem (Kap. B.2.f) kann man hierfür schreiben F n = mRω 2 e n • Bei einer gleichförmigen Kreisbewegung ist p = 0 . Der Körper erfährt nur eine Beschleunigung mRω2 senkrecht zur Bahn. Diese muß durch eine Kraft, die senkrecht zur Bahn steht und konstanten Betrag besitzt, erzeugt werden. Umgekehrt kann man sagen, daß ein Körper, der nur eine konstante Beschleunigung senkrecht zu v erfährt, eine Kreisbewegung ausführt. f) Geladenes Teilchen im Magnetfeld Abb. 58: Die Lorentzkraft steht immer senkrecht auf der Geschwindigkeit. Daher ergibt sich eine Kreisbewegung. Die Kraft auf ein geladenes Teilchen der Ladung e0 im Magnetfeld ist F = e0v × B Nach Definition des Vektorproduktes (s. Abb. 58) steht F immer senkrecht zu v. Damit steht auch a senkrecht zu v. Die Teilchen vollführen also eine Kreisbahn. (Wenn v eine Komponente in B - Richtung hat, laufen sie auf einer Spirale). Die Zentripetalkraft ist die Lorentzkraft. mrω 2 = e 0 vB Mit v = ωr erhält man mrω 2 = e 0 ωrB. Hieraus ergibt sich die Kreisfrequenz des Um- laufes, die Gyrations- oder Zyklotronfrequenz ωc und der Radius der Kreisbahn, der sogenannten Gyrationsradius. e0B ωc = m v = vm rc = ω e0B 69 Abb. 59: Prinzipieller Aufbau eines Zyklotrons Im Zyklotron (Abb. 59) werden Teilchen beschleunigt, indem sie durch ein Magnetfeld nahezu auf Kreisbahnen gehalten werden und dadurch wiederholt in einem elektrischen Feld zwischen den D förmigen Elektroden eine Beschleunigung in Bahnrichtung erhalten. Der Radius der Bahn nimmt mit zunehmender Geschwindigkeit zu, die Frequenz bleibt, solange klassisch gerechnet werden kann, konstant. Eine andere Anwendung der Gyrationsbewegung ist der Einschluß von geladenen Teilchen in heißen Gasen senkrecht zum Magnetfeld. g) Kurvenneigung Abb. 60: Die Fahrbahn muß in der Kurve geneigt sein, um eine radiale Kraftkomponente der Schwerkraft zu erhalten, die die Kreisbewegung ermöglicht. Die optimale Neigung der Fahrbahn liegt dann vor, wenn der Motorradfahrer bei Kurvenfahrt senkrecht zur Straßendecke steht (s. Abb. 60). Die Schwerkraft hat zwei Aufgaben: Aufbringen der Auflagekraft FN und der Zentripetalkraft Fp. Wir zerlegen daher die Schwerkraft in eine horizontale Komponente und eine, die senkrecht auf der Fahrbahn steht. Dann ist der Winkel α in dem Kräfteparallelogram in Abb. 60 gerade der Neigungswinkel der Bahn. Aus dem Kräfteparallelogramm ermittelt man tan α = F p mRω 2 v 2 = mg = FG Rg h) Das Geoid Abb. 61: Die Oberfläche stellt sich so ein, daß sie senkrecht auf der Komponente steht, die übrig bleibt, wenn man die Zentripetalkraft die die Kreisbewegung besorgt, abzieht. Anschaulicher ist die Erklärung über Scheinkräfte (s. Abb. 106). 70 Ein frei bewegliches Massenelement an der Oberfläche der Erde bewegt sich auf der Oberfläche solange, bis es keine parallel zur Oberfläche wirkende Kraft mehr spürt. Die Schwerkraft FG, die zum Erdmittelpunkt gerichtet ist, muß die Normalkraft FN und die für die Kreisbewegung erforderliche Zentripetalkraft Fp aufbringen. Die entsprechende Kraftzerlegung wird in Abb. 62 gezeigt. Man erkennt, daß die Erdoberfläche, die sich ja senkrecht zu FN einstellen muß, gegen der Kugeloberfläche geneigt ist. Die radiale Richtung, die auf den Erdmittelpunkt zeigt, ist verschieden von der vertikalen Richtung, die ein Lot anzeigt. 4. Drehimpuls und Drehmoment Während die Grundgesetze der Dynamik wie die meisten Grundgesetze der Physik leicht hinzuschreiben sind, ist ihre Anwendung im allgemeinen außerordentlich mühselig. In der Regel muß man daher fast immer drastische Vereinfachungen vornehmen. Selbst dann wären viele Probleme nicht zu bewältigen, wenn man nicht auf einige nützliche Hilfsbegriffe wie Impuls, Drehimpuls, Energie zurückgreifen könnte. Um diese Hilfsbegriffe geht es in den folgenden Abschnitten. Drehimpuls und Drehmoment sind Größen, die besonders für die Beschreibung von Drehbewegungen geeignet sind. Sie sind aber für eine beliebige Bewegung eines Massenpunktes definiert. Drehmoment und Drehimpuls erfordern einen Bezugspunkt. Bei einer Drehung um eine Achse wählt man häufig als Bezugspunkt einen Punkt auf dieser Drehachse. Bei einer Bahnbewegung etwa der Planeten ist das Kraftzentrum ein geeigneter Punkt. Man kann aber auch jeden beliebigen anderen Punkt wählen. a) Der Drehimpuls Man definiert den Drehimpuls eines Massenpunktes bezüglich eines Bezugspunktes als (2) L=r×p Abb. 62: Zur Definition des Drehimpulses Dies ist gleichbedeutend mit L = mr × v . r ist dabei der Vektor, der vom Bezugspunkt zum Massenpunkt zeigt. Da bei einer ebenen Bewegung, wenn r in der Bahnebene liegt, der 71 Vektor ω senkrecht zu r und v steht, steht in dieser Geometrie L parallel zu ω, und man kann schreiben L = mr2ω Wenn r nicht in der Bahnebene liegt, hat L nicht die gleiche Richtung wie ω. Die Richtung von L ändert sich während der Bewegung. Zerlegt man v in einen radialen und einen azimutalen Anteil (s. Abb.63) Abb. 63: Zerlegung der Geschwindigkeit in Radial - und Azimutalanteil. v = vθ +vr erhält man, da r × v r = 0 L = mr × (v θ + v r ) = mr × v θ + mr × v r = mr × v θ Für den Drehimpuls ist also nur die zu r senkrechte Geschwindigkeitskomponente maßgeblich. Für eine ebene Bewegung, bei der r in der Ebene der Bewegung liegt, gilt • • v θ = rω, ω =θ und damit L = mr 2 θ = mrv θ b) Das Drehmoment Durch Ableitung des Drehimpulses nach der Zeit erhält man dL = dr × p + r × dp dt dt dt Da dr = v und p = mv, verschwindet der erste Term auf der rechten Seite. Da außerdem dt dp = F , erhält man dt dL = r × F dt 72 Abb. 64: Zur Definition des Drehmomentes. Die radiale Komponente von F liefert keinen Beitrag. Es ist daher sinnvoll, die rechte Seite als eine neue Größe zu definieren. Man nennt sie das Drehmoment. (3) M= r×F Man erhält dann für die Änderung des Drehimpulses eine Gleichung, die völlig analog zum Aktionsgesetz ist. Man muß nur die Kraft durch das Drehmoment und den Impuls durch den Drehimpuls ersetzen. (4) M = dL dt Das Drehmoment übernimmt also bei Drehbewegungen die Rolle der Kraft in Translationen, der Drehimpuls die Rolle des Impulses. Mit der gleichen Argumentation wie oben beim Drehimpuls findet man, daß zum Drehmoment nur die Kraftkomponente beiträgt, die senkrecht auf r steht. Bei der Beschreibung von Drehbewegungen ist es häufig zweckmäßig, Polarkoordina• • ten einzuführen. Statt s nimmt man den Drehwinkel θ, statt v = s nimmt man ω = θ . Der Vergleich von p = mv und L = mr2ω zeigt, daß man statt der Masse bei Drehbewegungen zweckmäßigerweise das Trägheitsmoment J = mr2 verwendet. Man definiert daher das Trägheitsmoment eines Massenpunktes auf einer Kreisbahn mit Radius R: (5) J = mR 2 c) Der Flächensatz Abb. 65: Beim Flächensatz geht es um die Fläche, die der Fahrstrahl r überstreicht. 73 Wenn kein äußeres Drehmoment wirkt (M = 0), d.h. wenn F = 0, oder wenn F parallel zu r steht, d.h. eine Zentralkraft wirkt, wird nach Gleichung (4) dL = 0 und L bleibt konstant. Dardt aus folgt zunächst, daß die Bewegung eben ist. Außerdem ist L = mrv konstant, d.h. je größer r, z.B. der Abstand zum Kraftzentrum ist, desto kleiner wird die Geschwindigkeit. Nach Kepler drückt man diese Tatsache mit dem Flächensatz aus. Die bei dem Fortschreiten um einen Winkel dθ vom Fahrstrahl, d. h. dem Strahl, der vom Kraftzentrum zum umlaufenden Körper zeigt, überstrichene Fläche ist nach Abb. 65 dA = 1 r ⋅ rdθ 2 Die Gesamtfläche bei Fortschreiten um einen endlichen Winkel ist dann θ2 Σ 12 r 2 ∆θ = 12 ∫ θ ∆θ→0 A = lim r 2 dθ 1 Damit wird die Geschwindigkeit, mit der die überstrichene Fläche sich ändert dA = dA dθ = 1 r 2 dθ dt dθ dt 2 dt Dieser Ausdruck ist konstant, da nach dem Drehimpulssatz beim Fehlen äußerer Drehmomente L = mr2dθ/dt konstant ist. Der Drehimpulssatz und der Flächensatz beschreiben also den gleichen Sachverhalt. Für die Planetenbewegung besagt der Drehimpulssatz, daß der Fahrstrahl von der Sonne zu einem Planeten in gleichen Zeiten gleiche Flächen überstreicht. Man beachte, daß der Drehimpuls eines Körpers auf einer Bahn auch dann noch konstant bleiben kann, wenn äußere Kräfte auf den Körper wirken, nämlich, wenn diese Zentralkräfte sind. Man beachte außerdem, daß auch ein gleichförmig geradlinig bewegter Körper einen Drehimpuls bezüglich eines Punktes, der nicht auf seiner Bahn liegt, hat. Für eine geradlinige Bewegung ist L = mrv sinα = m·d·v = const. (s. Abb.66). Abb. 66: Auch eine geradlinige Bewegung hat einen Drehimpuls 74 5. Arbeit, Leistung, Energie a) Grundbegriffe Der Begriff Arbeit leitet sich aus den schon in der Antike bekannten Tatsachen her, daß man mit einfachen Maschinen wie Hebelarmen oder Flaschenzügen zwar die Kraft, die notwendig ist, ein Gewicht zu heben, verkleinern kann, dafür aber eine entsprechend größere Strecke zurücklegen muß. D.h. F·s bleibt gleich. Man sagt daher, wenn ein Körper durch eine Kraft verschoben oder verformt wird, leistet die Kraft eine Arbeit. Bei konstanter Kraft ist die Arbeit W = Fs·s, wobei Fs die Komponente der Kraft in Richtung der Verschiebung ist. Bei unterschiedlicher Richtung von F und s kann man die Kraftkomponente von F in Richtung s durch F und den Winkel ausdrücken: W = F·s·cos α. Abb. 67: Nur die Kraftkomponente in Richtung der Verschiebung leistet Arbeit. Für eine veränderliche Kraft gilt für genügend kleine Wegstrecken ∆s ∆W = F(s) · ∆s Daher ist die allgemeine Definition der Arbeit s2 W = ∫ F • ds (6) s1 Die Dimension der Arbeit ist [W] = Nm = kgm2/s2 =J(Joule). Die Leistung ist ein Maß dafür, wieviel Arbeit pro Zeiteinheit verrichtet wird P = dW dt Die Dimension der Leistung ergibt sich aus der Definition [P]=Nm/s = Joule/s = W (Watt). 75 Energie ist die Fähigkeit, Arbeit zu leisten. Sie hat also die gleiche Dimension wie Arbeit. Wirkungsgrad η ist das Verhältnis von Nutzarbeit zu aufgewendeter Arbeit, ist also eine dimensionslose Konstante, im allgemeinen kleiner als eins. b) Berechnung des Integrals ∫ F • ds ∫ F • ds ist eine neue Form eines Integrals. Bisher war ds ein Skalar. Es gibt verschiedene Möglichkeiten, aus dem Skalarprodukt Integrale der üblichen skalaren Schreibweise zu erhalten, indem man formal die verschiedenen Schreibweisen des Skalarproduktes anwendet. F • ds = F x dx + F y dy + F z dz ∫ F • ds = ∫ F x dx + ∫ F y dy + ∫ F z dz Man erhält die Summe von drei Integralen über die verschiedenen Koordinaten. Oder F • ds = (F cos α)ds Hier muß man sich Gedanken machen, wie sich in dem konkreten Beispiel α entlang des Weges ändert. Ist diese Funktion bekannt, liegt wieder ein normales Integral vor. Besonders einfach wird die Berechnung in diesem Fall, wenn α konstant oder wenigstens stückweise konstant ist. Wenn Fs (s) = Fs(s)cosα(s) bekannt ist, erhält man s2 W = ∫ F s (s)ds s mit der Umkehrung F s (s) = dW(s) ds Wenn die Bahnkurve in Parameterdarstellung bekannt ist, r = r(t), transformiert man im Integral die Variablen x,y,z auf t: r2 t2 W = ∫ F(r) • dr = ∫ F[r(t)] • dr = ∫ F(t) • dr dt r1 t1 dt 76 Die Arbeit hat ein Vorzeichen. Wenn man als Kraft die äußere Kraft wählt, die auf das System wirkt, heißt positive Arbeit, daß an dem System Arbeit geleistet wird. Die Energie des Systems erhöht sich. Negative Arbeit ist vom System geleistete Arbeit. Nach dem Reaktionsprinzip existiert zu jeder Kraft eine gleich große Gegenkraft. Wenn man diese Gegenkraft, die vom System auf die Umgebung wirkt, zur Berechnung der Arbeit verwendet, ist positive Arbeit die, die das System leistet. Man sagt, ∫ F(r) • dr ist ein Kurvenintegral entlang der Kurve C. C Beispiel: i. Welche Arbeit benötigt man zum Ausziehen einer Feder um die Strecke h? Kraftgesetz: F = Dx h h W = ∫ Dxdx = 1 Dx 2 = 1 Dh 2 0 2 0 2 ii. Arbeit der Zentripetalkraft bei gleichförmiger Kreisbewegung Parameterdarstellung der Bahn (s. Abb. 68): x = Rcos ωt y = Rsin ωt dx = -Rωsin ωt dy = Rωcos ωt Fx = -(mv2/R)cosωt Fy = -(mv2/R)sinωt W = ∫ F x dx + ∫ F y dy = mv 2 ω ∫ sin ωt cos ωtdt − ∫ cos ωt sin ωtdt = Abb. 68: Welche Arbeit leistet die Zentripetalkraft? 77 Dieses Ergebnis ergibt sich auch sofort aus der Bedingung, daß die Zentripetalkraft senkrecht auf der Bewegungsrichtung des Körpers steht. c) Die potentielle Energie α) Was ist potentielle Energie Bei manchen Kraftfeldern F(r) wie dem Gravitationsfeld ist die Arbeit, die man benötigt, um einen Körper von einem Anfangspunkt zu einem Endpunkt zu bewegen, unabhängig von der Form des dazwischen liegenden Weges. Diese Kraftfelder heißen konservativ. Als Beispiel wird im folgenden gezeigt, daß das Gravitationsfeld in der Nähe der Erdoberfläche, d.h. bei F = const konservativ ist. Dazu betrachten wir einen Körper, der in diesem Feld auf einer schiefen Ebene von A nach B bewegt wird (Abb. 69). Abb. 69: Die Arbeit beim Heben einer Masse m auf der schiefen Ebene. Dabei leistet das Gravitationsfeld die Arbeit W = Fts = mgs sin α = mgH Die Arbeit ist die gleiche, wie wenn der Körper senkrecht die Strecke H fallen würde. Daher ist sie auch auf einer aus schiefen Ebenen mit unterschiedlicher Neigung zusammengesetzten Bahn wie in Abb. 70 und folglich für eine Bahn beliebiger Form mgH. B B A ∫ A F • ds =∫ A F • ds = −∫ B F • ds C C (7) C Abb. 70: Die Arbeit ist nur von H, nicht von der Neigung der Ebene abhängig. daher ergibt sie sich auch bei zusammengesetzten Ebenen aus der Gesamthöhe. Im Integral ganz rechts durchläuft man die Bahn C2 von B nach A. Gleichung (7) besagt, daß die bei der Bewegung des Körpers von A nach B hinengesteckte Energie vollständig 78 Abb. 71: Die Arbeit entlang eines geschlossenen Weges zurückgewonnen werden kann, wenn der Körper zum Anfangspunkt zurückkehrt. Dabei kann die Form des Rückweges sich von der des Hinweges unterscheiden. Gleichung (7) kann auch geschrieben werden B A ∫ A F • ds +∫ B F • ds C =0 C In einem konstanten Kraftfeld ist die Arbeit entlang eines geschlossenen Weges unabhängig von der Form des Weges 0 ∫ F • ds =0 Der Kreis am Integralzeichen zeigt bei einem Linienintegral an, daß über einen geschlossenen Weg integriert werden muß. Das Integral besagt anschaulich, daß man bei einer Radtour in bergigem Gelände, die zum Ausgangspunkt zurückführt, genau so viel Energie in den Gefällestrecken gewinnt, wie man auf den Steigungen hineingesteckt hat, unabhhängig davon, wie Strecken mit Steigung und Gefälle auf der gesamten Tour angeordnet sind. Reibungseffekte müssen allerdings vernachlässigbar sein. Die obige Überlegung kann man sofort auf ein Zentralfeld, in dem die Kraft nur vom Abstand zum Zentrum abhängt, erweitern. An jedem Ort kann die Kraft F und das Wegelement ∆s in eine radiale und eine azimuthale Komponente zerlegt werden. F = F θ + Fr Damit wird die Arbeit entlang ∆s ∆W = F·∆s = Fθ ∆sθ + Fr ∆r 79 Da Fθ = 0 - Dies gilt für alle Zentralfelder- ist ∆W = Fr∆r, und rB W = ∫ F r dr rA Die Arbeit längs des krummlinigen Weges von A nach B ist die gleiche wie wenn der Körper vom Anfangs- zum Endradius bewegt wird und und deshalb unabhängig von der Form des Weges. Konservativ sind alle Zentralfelder, ebenso elastische Kräfte. Nichtkonservativ sind Reibungskräfte. Bei konservativen Kräften kann man die Arbeit, die angewandt werden muß, um einen Körper von einem festen Anfangspunkt zu einem beliebigen anderen Punkt im Raum zu bringen als Feldgröße definieren. Da diese Arbeit bei festem Anfangs - und Endpunkt unabhängig vom Weg ist, kann man jedem Punkt im Raum einen bestimmten Arbeitswert zuordnen. Diesen nennt man potentielle Energie. Merke: Eine potentielle Energie kann nur bei konservativen Kräften sinnvoll definiert werden Die Potentielle Energie ist bezüglich eines beliebigen Anfangspunktes definiert. Den Anfangspunkt muß man am Anfang einer Betrachtung festlegen. β) Äquipotentialflächen Abb. 72: Das Gravitationsfeld einer Kugel besteht aus radial gerichteten Kräften und kugelförmigen konzentrischen Äquipotentialflächen. Bewegt man sich in einem Kraftfeld senkrecht zur örtlichen Kraftrichtung, so wird keine Arbeit geleistet. Alle Punkte, die durch eine solche Bewegung erreichbar sind, haben gleiche potentielle Energie. Sie liegen auf einer Fläche. Man nennt diese Flächen daher Äquipotentialflächen. Bei kugelsymmetrischen Massen sind es konzentrische Kugelflächen, in homogenen Kraftfeldern (F = const.) sind es parallele Ebenen. Zur Definition der potentiellen Energie benutzt man daher statt eines Anfangspunktes eine Anfangs Äquipotentialfläche, der man willkürlich das Potential 0 erteilt. Die Willkür stört in der Anwendung nicht, da man sich nur für Differenzen der potentiellen Energie interessiert. Bei ebenen Problemen nimmt man häufig die Fläche mit der niedrigst vorkommenden 80 potentiellen Energie, z.B. den Laborfußboden. Bei kugelsymmetrischen Anordnungen bevorzugt man eine Fläche im Unendlichen. γ) Das Vorzeichen Man definiert die potentielle Energie des Kraftfeldes F(r) über r W pot (r) = −∫ F(r) • dr (8) r0 r0 ist ein Punkt auf dem Anfangsniveau. Durch das Minuszeichen erreicht man, daß Wpot posi- tiv wird, wenn man Arbeit in das System hineinsteckt, d.h. wenn ∫ F ext • dr > 0, aber zur Berechnung der potentiellen Energie nicht die äußere Kraft Fext sondern die Kraft des Feldes F = -Fext verwendet wird. Abb. 73: In der Definition des Potentials steht die innere Kraft des Systems. Diese ist z.B. beim Erdfeld nach unten gerichtet. Bewegt sich z.B. ein Körper im Erdfeld etwa auf grund seiner anfänglichen kinetischen Energie nach oben, so ist er nur der Anziehungskraft ausgesetzt, und diese ist entgegen seiner Bewegungsrichtung ausgerichtet (Abb. 73). FG = -mg h W pot = −∫ (−mg)dx = mgh Die potentielle Energie nimmt also zu, wie wir erwarten, wenn ein Körper angehoben wird. δ) Arbeit im Potentialfeld Der Potentialbegriff erlaubt es, Arbeit, die an einem Körper bei der Bewegung im Potentialfeld geleistet wurde, durch Differenzen der potentiellen Energie auszudrücken. Die Arbeit, die die innere Kraft bei einer Bewegung von A nach B leistet, ist B r0 B A B A A r0 r0 r0 W AB = ∫ F • dr = ∫ F • dr + ∫ F • dr = −∫ F • dr + ∫ F • dr 81 W AB = W pot (A) − W pot (B) (9) Beispiel: Die potentielle Energie des Gravitationsfeldes einer Punktmasse M Die Kraft auf eine Probemasse m im Abstand r ist gegeben durch r F = −γ Mm 2 r Damit wird die potentielle Energie W pot = −∫ r r0 r r 1 −γmM 1 = −γmM 1 − 1 = γmM = −γMm dr dr ∫ r0 r 2 r r0 r 0 r0 r2 Das Anfangsniveau setzt man so, daß der zweite Term in der eckigen Klammer verschwindet r0 = ∞ Die potentielle Energie ist also W pot = −γMm 1r Abb. 74: Das Gravitationspotential einer Punktmasse oder einer Kugel. ε) Das Potential Um eine Größe unabhängig von der Probemasse m zu erhalten, definiert man ähnlich wie bei der Feldsstärke G =F/m das Potential W pot V= m Damit wird das Potential eines Massenpunktes (oder einer Kugel) der Masse M 82 γM V=− r η) Potentialkurven Abb. 75: Potentialkurven erlauben eine anschauliche Vorstellung von den möglichen Bewegungsvorgängen. Bewegt sich ein Körper reibungsfrei im Gravitationsfeld der Erde in der Nähe der Erdoberfläche (bei F = const) auf einem Höhenprofil h(x), so hat er die potentielle Energie mgh(x) und das Potential gh(x). Dieses bestimmt die Kraft und damit die Bewegung. Die tangentielle Komponente der Schwerkraft ist Ft = mg sinα. Für α << 1 gilt sin α ~ tanα ~ α und damit F t ≈ mgα ≈ mg dh(x) dx (α ≈ tan α = dh(x) ) dx Andererseits bewegt sich ein Körper in einem vorgegebenen Feld mit der potentiellen Energie W(x) unter der Kraft Fx = dW(x) dx Wenn man mgh(x) mit W(x) und Ft mit Fx identifiziert - was bei kleinen Winkeln nicht all zu kühn ist - erkennt man, daß beide Bewegungen gleich sind. Wir können uns also die Bewegung eines beliebigen Körpers im Potential V(x) durch die Bewegung einer Kugel im Höhenprofil h(x) ~ V(x) veranschaulichen. Da uns von unserer Erfahrung Bewegungen im Potentialgebirge an der Erdoberfläche vertraut sind, gibt uns dies die Möglichkeit intuitiv Bewegungsabläufe voraus zu sagen und damit Lösungsansätze für die Differentialgleichungen, zu denen theoretische Betrachtungen führen, anzugeben. Dieses Verfahren läßt sich auch auf zweidimensionale Potentialverteilungen V(x,y) erweitern. Man betrachtet dann die Bewegung einer Kugel im Gebirge h(x,y), das sich über der xy - Ebene erhebt. Beispiele: 83 i. Molekül mit Ionenbindung Abb. 76: Typisches Potential für die Bindung in einem Molekül. r ist der Abstand der Atome. Für Ionenbindung kann die Bewegung eines Atoms im Feld des anderen oft durch ein Lennard - Jones Potential angenähert werden. 6 r r W pot = −2 r0 + r0 12 Der Verlauf ist in Abb. 76 dargestellt. Der Gleichgewichtsabstand ergibt sich aus −12 r 60 7 + 12 r 12 0 13 dW pot = 0. dr = 0 , mit der Lösung r = r0. Für r < r0 hat man eine abstoßende Kraft, für r > r0 eine anziehende. Die Energie W0 ist erforderlich, um den Abstand der Atome von r0 auf unendlich zu vergrößern. Dies entspricht der Dissoziation der Moleküls. W0 ist die Dissoziationsarbeit. ii. Die Wasserstoffusion Abb.77: Außerhalb von r0 herrscht das Coulombpotential, innerhalb die Kernkräfte. Bei der Verschmelzung zweier Deuteronen, d.h. zweier Kerne, die aus einem Proton und einem Neutron bestehen, zu Helium wird Energie frei. Bei großen Abständen gilt das Coulombpotential V pot = 1 e0 4πε 0 r 84 Etwa im Abstand des Deuteronendurchmessers r0 = 10-15 m beginnen die anziehenden Kräfte der starken Wechselwirkung. Das Potential hat qualitativ den Verlauf von Abb. 77. Die zu überwindende Potentialbarriere hat die Höhe 2 1, 6 2 (19 −19 ) e0 1 9 = 9 ⋅ 19 eV 0 = Joule ≈ 2, 7 ⋅ 10 −13 Joule 4πε 0 r 0 10 −15 Dies entspricht nach der Definition E kin = 3 kT einer Temperatur 2 T= 2, 7 ⋅ 10 −13 E kin = = 10 10 K −23 1, 5k 1, 5 ⋅ 1, 4 ⋅ 10 Quantenmechanisch gibt es eine gewisse Wahrscheinlichkeit, daß Teilchen mit kleinerer Energie den Potentialwall überwinden. d) Die kinetische Energie Abb. 78: Am Ende des Falls kann der Körper noch Arbeit leisten. Er besitzt also Energie. Um festzustellen, ob irgendein System einen Energieinhalt hat, kann man untersuchen, ob es möglich ist, mit diesem System eine Spiralfeder zusammen zu drücken oder ein Gewicht zu heben. Eine Masse mit der Geschwindigkeit v hat die Fähigkeit, eine Feder zusammenzudrükken. Also besitzt sie aufgrund ihrer Bewegung eine Energie. Wir nennen diese Energie kinetische Energie. Die kinetische Energie bestimmt man über die Arbeit, die bei der Beschleunigung von v0 auf v aufgewandt wurde. Behauptung: diese ist bis auf eine Konstante W = 1 mv 2 2 Beweis: Wir beweisen, daß d W(s) = F s (s) , wobei wir für W = 1/2 mv2 setzen und Fs die Kraft ist, die ds die Beschleunigung erzeugt hat. d 1 mv 2 = mv dv = mv dv dt = m dv = F s ds 2 ds dt ds dt 85 Dies gilt für einen beliebigen Weg, entlang dem sich der Körper in einem beliebigen Kraftfeld bewegt hat. Durch Integration erhält man ∫ F s ds = 2 mv 2 + C 1 Die Integrationskonstante C ergibt sich durch die Anfangsbedingungen: bei s = 0 sei v = v0. Also C = -(1/2)mv02 Die aufgewendete Arbeit findet sich vollständig in der Zunahme von (1/2)mv2 wieder. ∫ F s ds = 2 mv 2 − 2 mv 0 1 1 2 (10) Am konkreten Beispiel der schiefen Ebene läßt sich verfolgen, wie man zu der Form Ekin = (1/2)mv2 kommt. Wir stellen uns dazu vor, der Begriff der kinetischen Energie (und damit der Energiesatz) seien noch nicht bekannt. Um die Endgeschwindigkeit auf der schiefen Ebene auszurechnen, stellen wir die Bewegungsgleichung auf und drücken die Endgeschwindigkeit durch H aus. Die Bahnbeschleunigung auf der schiefen Ebene ist (s. Abb. 54) a = g sinα Durch zweimalige Integration erhält man v = gt sin α + v s = (1/2)gt2sinα + v0t Durch Elimination von t erhält man mit t = s= g(v-v 0 ) 2 g sin α 2g sin α 2 2 +v 0 v - v0 g sin α (v-v 0 ) g sin α gs sin α = gH = 1 (v-v 0 ) 2 + 2v 0 (v-v 0 ) = 2 1 v 2 − 2vv + v 2 + 2vv − 2v 2 0 0 0 0 2 86 gH = 1 v 2 − 1 v 20 2 2 Die Endgeschwindigkeit ist nur von der durchlaufenen Höhe und der Anfangsgeschwindigkeit abhängig, nicht von α, daher auch nicht von der Bahnform abhängig. Multipliziert man mit m, erhält man den Energiesatz für dieses Problem mgH + 1 mv 20 = 1 mv 2 2 2 e) Der Energiesatz der Mechanik Aus den Gleichungen (9) und (10) ergibt sich sofort der Energiesatz für die Bewegung eines Körpers unter dem Einfluß einer konservativen Kraft. W kin (A) + W pot (A) = W kin (B) + W pot (B) (11) Die Summe aus kinetischer und potentieller Energie eines Körpers bleibt konstant, solange nur konservative Kräfte auf ihn wirken. Beim Auftreffen eines Körpers auf einer Unterlage nach dem freien Fall wird zumindest ein Teil der kinetischen Energie in Energie der chaotischen Bewegung der Atome umgewandelt. Diese heißt Wärme. Wenn Wärme eine Rolle spielt, gilt der Energiesatz in der obigen Form nicht. Dies ist der Grund, warum sich der Energiesatz erst verhältnismäßig spät durchgesetzt hat. Im allgemeinen Fall muß man neben der kinetischen und der potentiellen Energie andere Energieformen mit berücksichtigen. Die Grundkräfte zwischen Teilchen sind im allgemeinen konservativ, d.h. man kann für sie eine potentielle Energie definieren. Nur bei der magnetischen Kraft liegen die Verhältnisse komplizierter. Bei der Bewegung eines ausgedehnten Körpers bewegt sich jedes der Teilchen, aus denen der Körper besteht, in einem Potentialfeld. Wenn keine Energie in kinetische oder potentielle Energie der ungeordneten Bewegung ("innere Energie") überführt wird, gilt der Energiesatz in der einfachen Form der Gleichung (11) für das gesamte System. Daher ist die Arbeit, die man bei einem Hebel oder Flaschenzug an einer Seite hineinsteckt, die gleiche, wie die an der anderen Seite geleistete. f) Verschiedene Energieformen Die meisten Energieformen, mit denen man es im täglichen Leben zu tun hat, kann man auf die potentielle Energie einer der Grundkräfte und die kinetische Energie zurückführen. 87 Chemische Energie ist die elektrostatische Energie der Moleküle, Kernenergie beruht im wesentlichen auf der potentiellen Energie der starken Wechselwirkung. Bei der Kernenergie wird eine Eigenart der Energie wichtig, die für alle Energien gilt, aber klassisch im allgemeinen keine Rolle spielt: Erhöht man die Energie in einem System, so erhöht sich laut Relativitätstheorie die Masse nach der Einsteinschen Formel W = mc02 . Darin ist c0 = 3·108 m/s die Lichtgeschwindigkeit. Im täglichen Leben ist die Massenerhöhung wegen des Faktors c2 im allgemeinen verschwindend klein. Für Kernbausteine ist die Massenänderung durch Veränderung der Anregungsenergie ein entscheidender Faktor. Wärmeenergie hat mit der Energie der ungeordneten Bewegung der Teilchen zu tun. Die genaue Begriffsbildung ist verwickelt und wird im Teil Wärme dieses Kurses erörtert. Einfach definiert sind die Begriffe innere Energie und Temperatur. Die innere Energie U ist die Summe von mittlerer kinetischer und potentieller Energie der ungeordneten Bewegung aller Teilchen eines Körpers. Die Temperatur ist proportional zur mittleren kinetischen Energie der Translation der ungeordneten Bewegung pro Teilchen. Man definiert für N Teilchen 1 mv 2 = 1 N 2 i=N Σ= 12 m i v 2i = 32 kT Hierin sind k = 1,38·10-23 J/K die Boltzmann Konstante und T die absolute Temperatur in Kelvin, wobei die Umrechnung in die Celsiusskala durch eine lineare Abhängigkeit mit 273K = 0C und 373K = 100C gegeben ist. g) Anwendungen des Energiesatzes α) Der Looping Abb. 79: Ein Körper wird bei A losgelassen und rutscht reibungsfrei herunter. Fällt er bei B herunter? 88 Ein Fahrzeug werde im Punkt A losgelassen, um reibungsfrei eine schleifenförmige Bahn zu durchfahren (s. Abb. 79). Bei welcher Höhe h muß es starten, um bei B nicht herunter zu fallen? Der Grenzfall liegt vor, wenn bei B die Schwerkraft gerade gleich der Zentripetalkraft ist. (Dann ist die Auflagekraft gerade Null). 2 mg = m v R → v 2 = Rg Nach dem Energiesatz Wpot(A) + Wkin(A) = Wpot(B) + Wkin(B) gilt für v0 = 0 Wpot(A) = mgH, Wkin(A) = 0, Wpot(B) = 0, Wkin(B) = (1/2)mv2 gH + 0 = 0 + 1 mv 2 2 mit v2 = Rg und H = h - 2R wird daraus g(h − 2R) = 1 Rg 2 → h = 5R 2 β) Der harmonische Oszillator Eine Masse m hänge an einer elastischen Feder. Für die Kraft, die die Feder auf die Masse ausübt, wenn sie um die Strecke x aus der Gleichgewichtslage ausgelenkt wird, gilt F = -Dx. Daher lautet das Aktionsgesetz •• m x = −Dx Für die Bewegung erhält man eine Differentialgleichung •• x= − D mx 89 Wer die Theorie der Differentialgleichungen kennt, hat vermutlich keine Schwierigkeit mit der Lösung. Man macht eine sinusförmige Bewegung als Lösungsansatz Wir finden einen solchen Lösungsansatz über das Potential und die Analogie mit der Bewegung einer Kugel in dem entsprechenden Gebirge. Die potentielle Energie ist W pot = −∫ Fdx = 1 Dx 2 2 Das Potential hat also einen parabelförmigen Verlauf. Eine Kugel in einem derartigen Gebirge würde eine Schwingung vollführen. Wir machen also den Ansatz x = sinωt und setzen dies in die Differentialgleichung ein, wobei • x = x 0 ω cos ωt •• x = −x 0 ω 2 sin ωt Es ergibt sich −x 0 ω 2 sin ωt = − D m x 0 sin ω Der Ansatz löst also die Differentialgleichung, wenn ω2 = D/m. Der Körper schwingt sinusförmig (harmonisch) mit der Kreisfrequenz ω= D m Die Schwingungsfrequenz beträgt damit f = 1 D , die Periode T = 2π m . 2π m D Berücksichtigt man, daß zur Zeit t = 0 die Schwingung nicht im Nulldurchgang sein muß (anders ausgedrückt, daß der Anfangspunkt der Zeitmessung willkürlich ist), erkennt man, daß x = x0sin(ωt + ϕ0) 90 auch eine Lösung ist. Dies ist sogar die allgemeine Lösung. ϕ0 heißt die Anfangsphase und wird im Bogenmaß gemessen. ϕ = ωt variiert während einer Schwingungsperiode von 0 bis 2π. x0 ist die Amplitude der Schwingung. Formal ergeben sich die Konstanten ϕ0 und x0 aus den Anfangsbedingungen, d.h. der Auslenkung und Geschwindigkeit zur Zeit t = 0. γ) Das Fadenpendel Abb. 80: Das Fadenpendel, manchmal auch "mathematisches Pendel" genannt. Wenn man von der Bewegungsgleichung (= dem Aktionsgesetz) ausgeht, muß man einmal integrieren, um die Geschwindigkeit zu erhalten. In den meisten Fällen kann man schon diese Integration nicht wirklich ausführen. Der Energiesatz bringt hier eine große Hilfe, da er v ohne Integration liefert. Als Beispiel wird das Fadenpendel (Abb. 80) betrachtet. Die Differentialgleichung für die Bewegung läßt sich leicht hinschreiben. Da Ft = -mg sinα und der zurück•• gelegte Weg die Bogenlänge ist s = lα, wird die Bewegungsgleichung F t = m s •• −mg sin α = l α m und die Differentialgleichung der Bewegung •• g α = − sin α l Für kleine Winkel gilt die Näherung sinα = α erhält man die gleiche Differentialgleichung wie bei der harmonischen Schwingung. Es ergibt sich also auch hier eine harmonische Schwingung. Man erhält mit dem gleichen Verfahren wie beim Federpendel ω 2 = gl , T = 2π g l Für große Amplituden ist man auf den Energiesatz angewiesen. Setzt man im Aufhängepunkt des Fadens Wpot = 0, schreibt sich der Energiesatz 91 -mgl cosα0 = -mgl cosα + mv2/2 v2 = 2gl(cosα - cosα0) ldα v kann man auf α umschreiben mit v = ds = . dt dt dα = dt 2gl l cos α − cos α 0 2g dα = dt l cos α − cos α 0 t 2g =∫ l dα cos α − cos α 0 Das Integral enthält das Weg - Zeit Gesetz implizit. Dieses kann z.B. durch numerische Integration oder Reihenentwicklung gewonnen werden. Integrale dieser Art definieren elliptische Funktionen. Qualitativ kann man aus dem Energiesatz folgern, daß auch bei großen Amplituden noch eine periodische Schwingung vorliegt. Diese ist allerdings nicht harmonisch, da die Bewegung nicht durch die Differentialgleichung einer harmonischen Schwingung beschrieben wird. δ) Anwendung des Energiesatzes bei Anwesenheit von Reibung. Abb. 81: Im Gebiet (1) wird der Wagen beschleunigt. Im Gebiet (2) durch die Reibung abgebremst. Ein Wagen fahre reibungsfrei eine schiefe Ebene hinunter und laufe anschließend waagerecht aus (Abb. 81). Wie weit kommt er? Da der Wagen am Anfang und am Ende des Vorgangs ruht, wird seine gesamte anfängliche potentielle Energie in Reibungsarbeit auf den beiden Streckenabschnitten l und L 2 verbraucht. Wpot = WR1+ WR2 92 WR1 = FRl = µFNl = µmglcosα = µmgL1 WR2 = FRL2 = µmgL2 mgh = µmgL1 + µmgL2 L2 = H − µL 1 H = µ − L1 µ ε) Wieviel Leistung liefert maximal ein Fluß mit einer Durchflußmenge Q = dm/dt und einem Gefälle von H? Ein Massenelement Wasser hat am Anfang des Gefälles die potentielle Energie dmgH. Pro Sekunde liefert der Fluß (dm/dt)gH = QgH an Energie. Diese Leistung steht zur Verfügung. P = Qmg Die vollständige Umsetzung setzt voraus, daß am Ende die kinetische Energie des Wassers verschwindet und daß keine Energie in Wärme umgewandelt wurde. ζ) Mit welcher Geschwindigkeit fließt eine Flüssigkeit am Boden eines bis zur Höhe H gefüllten Behälters aus? Betrachte die Gesamtenergie des Systems, bevor und nachdem dm ausgeströmt ist. Die Abnahme der potentiellen Energie ist dmgH, die Zunahme der kinetischen Energie (1/2)dmv2. Abb. 82: Wie man den Energiesatz bei Strömungsproblemen anwenden kann. dmgH = (1/2)dmv2 Es folgt die Ausströmgeschwindigkeit v 2 = 2gH 93 h) Kraft bei mehrdimensionalen Potentialen Im eindimensionalen Potential, d.h. einem Potential, das nur von einer Ortsvariablen s abhängt, gilt Fs = − dW(s) ds Bei mehrdimensionalen Potentialen, etwa einem Höhenprofil W(x,y) = mgh(x,y) kann man das Problem auf das eindimensionaler Potentiale zurückführen, indem man zunächst eine der Ortsvariablen konstant läßt. Für die Kraftkomponente in x - Richtung erhält man F x = − dW (y bleibt konstant) dx dW Für die Kraftkomponente in y - Richtung Fy = − (x bleibt konstant) dy ∂W ∂x ∂W Fy = − ∂y Fx = − Man schreibt Fx Der Vektor gibt an jeder Stelle die Richtung des maximalen Gefälles im Potentialge Fy birge an (Abb. 85). Man schreibt F = - grad W oder F = −∇W (sprich "Gradient W"). Der Operator ∇= ∂ ∂x ∂ ∂y ∂ ∂z heißt der Nabla - Operator. Abb. 83: Die Äquipotentiallinien sind die Höhenlinien im Potentialgebirge. Sie gestatten es, die Größe und Richtung der Kraft zu ermitteln. 94 6. Das Keplerproblem a) Historisches Unter dem Keplerproblem verstehen wir die Aufgabe, bei gegebenen Kraftfeld F = γmM 2 die Bahnkurve eines Satelliten r = r(θ) zu bestimmen. Es zeigt sich, daß die Bahnkurve ein Kegelschnitt ist, d.h. je nach Anfangsenergie eine Ellipse, Parabel oder Hyperbel. Abb. 46 und 85:Satellitenbahnen sind Kegelschnitte. Die Kepleraufgabe ist nicht nur in der Astronomie von Bedeutung sondern auch für Stöße zwischen Teilchen, bei denen die Coulombkräfte, für die von der Form her das gleiche Kraftgesetz wie bei der Gravitation gilt, maßgeblich sind. Solche Stöße verwendet man in der Kernphysik zur Untersuchung der Materie. In der Plasmaphysik bestimmen sie die "Transportphänomene" wie elektrische Leitfähigkeit, Wärmeleitfähigkeit, Diffusion und Viskosität. Bei bekannten Daten der Planetenbahn (s. Abb.86) (Halbachse a, Exzentrizität ε, Neigung gegen die Erdbahn i, Ausrichtung der Schnittlinie Ω und der Ellipsenachse ω) und bekanntem Bewegungsablauf, kann die Bahn am Himmel bestimmt werden. Abb. 86: Bestimmungsgrößen (= Bahnelemente) von Satellitenbahnen. Die Bewegung am "Himmel" wird in einem Koordinatensystem dargestellt, das in den Fixsternen verankert ist, dem sogenannten Äquatorialsystem. Die wesentliche scheinbare Bewegung der Fixsterne kommt durch die Erdrotation zustande (Abb. 87). Die Bahnbewegung der Erde erzeugt wegen des großen Abstandes der Fixsterne gegen den Bahnradius nur für einzelne 95 Abb. 87: Im Äquatorialsystem haben Fixsterne eine im wesentlichen feste Position. Das Horizontsystem ist im Beobachtungsort fest verankert. Sterne Abweichungen an der Grenze der Meßmöglichkeit. Wegen der Neigung der Erdachse gegen die Erdbahn umwandert die Sonne im Laufe eines Jahres am Himmel einen Großkreis, der gegen den Äquator geneigt ist, die Ekliptik. Abb. 88 und 89: Die Ekliptik ist der Weg am Himmel, den die Sonne nimmt. Wenn alle Planetenbahnen in einer Ebene verlaufen würden, würden die Planeten von der Erde aus gesehen auf der Ekliptik entlang wandern (Abb. 90). Dabei ergibt sich beim Überholvorgang eine kurzzeitige rückläufige Bewegung, wie in Abb.90 am Beispiel des Mars demonstriert wird. Wegen der leicht unterschiedlichen Neigungen der Bahnen laufen der Mond und die Planeten auf einer Straße endlicher Breite entlang der Ekliptik. Während der rückläufigen Bewegung ergeben sich am Himmel charakteristische Schleifen (Abb.91). Abb. 90: Erde (innen) und Mars (außen) auf ihren Bahnen. Der Abstand der Punkte entspricht einem Monat. Die Linien geben die Blickrichtung an, unter der der Mars von der Erde erscheint. Abb. 91: Durch den in Abb. 90 beschriebenen Mechanismus ergibt sich am Himmel eine schleifenförmige Bahn. 96 Abb. 92: So stellte sich Klaudius Ptolomäus das Zustandekommen der Schleifenbahn vor. Die Aufgabe der Astronomie bis Kepler bestand darin, diese Scleifenbahnen zu erklären und vorherzusagen. Bis Kopernikus (1473 - 1543) herrschte das geozentrische Weltsystem vor. Zur Erklärung der scheinbaren Planetenbahn wurde angenommen, daß sich der Planet auf einem Kreis bewegt, dessen Mittelpunkt wiederum auf einer Kreisbahn um die Erde umläuft. Die klassische Beschreibung dieses Weltbildes stammt von Klaudius Ptolomäus (70 - 147 n. Ch.) und ist uns über die Araber im "Almagest" überliefert. Um Unregelmäßigkeiten im Laufe der Sonne zu verstehen, wird die Erde als außerhalb des Kreiszentrums angenommen, ähnlich für Mond und Planeten. Aus heutiger Sicht entspricht dies der Approximation der eigentlichen Ellipsenbahn durch eine exzentrische Kreisbahn. Daß am Himmel der idealen Figur des Kreises gegenüber der Ellipse der Vorzug zu geben ist, war im Altertum selbstverständlich. Abb. 93: Wie Eratosthenes den Erdradius bestimmte Es gab bereits im Altertum Ausmessungen des Planetensystems. Eratosthenes (276 - 195 v.Ch.) bestimmte den Erdradius ziemlich genau aus den unterschiedlichen Sonnenhöhen an verschiedenen gegraphischen Breiten (Abb. 93). Aristarch v. Samos (280 v. Ch.) bestimmte das Verhältnis Mondbahnradius RM zu Erdbahnradius RS aus dem Winkel zur Sonne bei Halbmond. Hipparch von Niccea (160 - 125 v. Ch.) bestimmte durch Parallaxenmessung, d.h. durch Bestimmung der Verschiebung des Mondes gegenüber den Fixsternen bei Beobachtung von verschiedenen Orten der Erde, den Abstand Erde - Mond recht genau zu 59 Erdradien. Abb. 94: Aus dem Winkel zwischen Sonne und Mond bei Halbmond läßt sich das Verhältnis der Entfernungen Erde/Mond und Erde/Sonne bestimmen. 97 Mit der gleichen Methode bestimmte er den Sonnenabstand zu 1200 Erdradien. Der wahre Wert beträgt etwa RS/RE = 24000. Diese Messung war also mit einem Fehler von einem Faktor 20 behaftet, war trotzdem um vieles genauer als alles andere, was es zu der Zeit gab. Die allgemeine Ansicht war, die Sonne befände sich direkt über den Wolken. Kepler (Johannes Kepler, 1541 - 1630) leitete seine Gesetze aus sehr genauen Beobachtungen von Tycho Brahe (1546 - 1601) am Planeten Mars her. Tycho Brahe war Hofastronom am Kaiserhof in Prag, Kepler sein Assistent und späterer Nachfolger. Kepler fand für die Bewegung der Planeten: Die Planeten bewegen sich auf Ellipsenbahnen, in deren einen Brennpunkt die Sonne steht. In gleichen Zeiten werden vom Fahrstrahl gleiche Flächen überstrichen. a3/T2 ist gleich für alle Planeten. (a ist die große Halbachse der Ellipsenbahn, T die Umlaufszeit). b) Einige Eigenschaften von Kegelschnitten Kegelschnitte sind die Schnittkurven, die man erhält, wenn man einen Doppelkegel mit einer Ebene schneidet (Abb. 85). α) Die Ellipse Abb. 95: Geometrie der Ellipse Die Ellipse ist die Menge aller Punkte, deren Summe der Abstände zu zwei festen Punkten konstant ist. Die festen Punkte nennt man Brennpunkte. Mit dieser Definition wird zunächst die Ellipsengleichung in Polarkoordinaten abgeleitet (s. Abb. 95). r/ + r = 2a Nach dem Kosinussatz gilt also r/ = 2a - r 98 r/2 = r2 + (2εa)2 - 2(2εa)r cosθ r/ wird ersetzt (2a - r)2 = r2 + 4ε2a2 - aεar cosθ 4a2 - 4ar + r2 = r2 + 4ε2a2 - 4εar cosθ a2(1 - ε2) = ar(1 - εcosθ) 1 1 − ε cos θ r = a(1 − ε 2 ) (12) ε ist die Exentrizität. Sie läßt sich aus a und b ausdrücken. Nach Abb. 96 gilt a2 = b2 + (εa)2 b2 = a2(1 - ε2) (13) Abb. 96: Zusammenhang von a, b und ε. In kartesischen Koordinaten gilt 2 x2 + y = 1 2 2 Die Ellipse ist also ein in y - Richtung um den Faktor b/a gestauchter Kreis. Die Fläche wird durch die Stauchung um den Faktor b/a gegenüber der Kreisfläche reduziert. A = πa2b/a = πab. A = πab 99 Damit r im Endlichen bleibt, muß für die Ellipse ε < 1 gelten. β) Die Hyperbel Abb. 97: Geometrie der Hyperbel Die Hyperbel ist die Menge aller Punkte mit konstanter Abstandsdifferenz r/ - r = 2a. Es ergeben sich mit dieser Definition zwei Hyperbeläste. Geht r vom linken Brennpunkt aus und zeigt auf den rechte Hyperbelast (Abb. 97), so leitet man wie oben bei der Ellipse die Darstellung in Polarkoordinaten ab. Die funktionale Abhängigkeit r(θ) ist die gleiche wie bei der Ellipse. Zum Unterschied ist hier ε > 1, und es gibt daher einen gewissen Winkel θ = θa, bei dem r gegen unendlich strebt: cosθa =1/ε. Die Asymptoten bei den Winkeln ±θ a haben die Steigung tan 2 θ a = 1 − 1 = ε2 − 1 = b ( ) a cos 2 θ 2 Der Scheitelpunkt liegt wie bei der Ellipse im Abstand a vom Zentrum der Figur, der Brennpunkt im Abstand εa. In kartesischen Koordinaten erhält man 2 x2 − y = 1 2 2 γ) Die Parabel Läßt man in der allgemeinen Polarkoordinatendarstellung ε gegen 1 und a gegen unendlich gehen, so daß (1 - ε2) konstant bleibt, erhält man eine Parabel (Abb. 98). r= p 1 − cos θ Abb. 98: Die Parabel in Polarkoordinaten. F ist der Brennpunkt. 100 Für θ → 0 geht r → ∞ und tanθ → ∞. Es gibt keine Asymptote. Einen gedrehten Kegelschnitt erhält man, indem man in der Polarkoordinatendarstellung θ durch θ - θ0 ersetzt. Nach dem Additionstheorem gilt cos(θ - θ0) = cosθ cosθ0 + sinθsinθ0 und damit für einen beliebigen Kegelschnitt mit der Abkürzung p = a(1 - ε2) 1 = 1 (1 − ε cos θ cos θ − ε sin θ sin θ) 0 0 r p Statt der Konstanten ε und θ0, die sich aus den Anfangsbedingungen ergeben, kann man schreiben -εcosθ0 = A und -εsinθ0 = B Wenn man außerdem statt der Konstanten a nach der Definition von p die Konstante p einführt, hat die allgemeine Gleichung eines Kegelschnittes in Polarkoordinaten daher die Form 1 = 1 (1 + A cos θ + B sin θ) r p c) Herleitung der Bahngleichung α) Die Differentialgleichung der Bahn Wir gehen aus vom • Drehimpulssatz L = mr 2 θ = const und Energiesatz 1 mv 2 + 1 mv 2 − γmM = E r 2 r 2 θ γmM Bei abstoßenden Kräften würde der das Potential beschreibende Term − r das umgekehrte Vorzeichen haben. E ist die Gesamtenergie. Im folgenden werden vr und vθ durch r, L und dr/dθ ausgedrückt. 101 • dθ = r/ L 2 v r =r = dr = dr dt dθ dt • L v θ = r θ = r L 2 = mr (r/ =dr/dθ) Der Energiesatz hat damit die Form 1 mr /2 L 2 + 1 m L 2 − γmM = E 2 4 2 2 r 2 2 2 r /2 + 1 = 2γm M 1 + 2mE 2 2 2 4 r Da die Ellipsenbahn besonders einfach in 1/r darzustellen ist, wird transformiert ρ = 1r → ρ /2 + ρ 2 = dρ = − 12 dr dt r dθ 2γm 2 M 2 ρ + 2mE 2 Die Konstanten auf der rechten Seite werden abgekürzt α = ρ /2 + ρ 2 = αρ + β 2γm 2 M 2 , β = 2mE 2 (15) Durch Differenzieren nach θ wird daraus eine lineare Differentialgleichung mit konstanten Koeffizienten ρ // + ρ = 1 α 2 (16) β) Lösung der Differentialgleichung Man löst eine solche inhomogene Differentialgleichung, indem man zuerst die dazugehörige homogene Gleichung löst: ρ// + ρ = 0 mit der allgemeinen Lösung 102 ρ = ρ0sin(θ - θ0) = ρ0(sinθ cosθ0 - cosθ sinθ0) =Bsinθ + Acosθ und dann eine spezielle Lösung der ursprünglichen inhomogenen Gleichung rät. Hierfür bietet sich die rechte Seite der inhomogenen Gleichung an. Man geht also mit dem Ansatz ρ = (1/2)α + Acosθ + Bsinθ in die Gleichung (16) und stellt fest, daß hiermt die Gleichung gelöst wird. Die Bahnkurve ist also ein Kegelschnitt. γ) Abhängigkeit der Bahndaten von E und L Durch geeignete Wahl der Anfangsrichtung, für die θ = 0 gilt, genügt es von der Lösung ρ = (α/2) - Bcosθ (17) auszugehen. Durch Vergleich mit der Form von Gleichung (12) erkennt man, daß α 1 ε = und B = 2 a(1 − ε 2 ) a(1 − ε 2 ) (18) Andererseits soll nach Gleichung (15) gelten ρ /2 + ρ 2 = αρ + β mit α= 2γm 2 M 2 und β = 2mE 2 (19) Wir gehen also mit dem Lösungsansatz Gleichung (17) in diese Gleichung ein, wobei ρ / = B sin θ = B 2 − B 2 cos 2 θ und ρ /2 = B 2 − B 2 cos 2 θ Durch das Einsetzen erhält man 103 B 2 − B 2 cos 2 θ + α2 α2 − αB cos θ + B 2 cos 2 θ = − αB cos θ + β 4 2 Die linke Seite vereinfacht sich zu B2 + α2 − αB cos θ 4 Man erkennt, daß beide Seiten für alle θ übereinstimmen, wenn B2 + α2 α2 = +β 4 2 (20) Aus Vergleich der Gleichungen (18) und (19) ergibt sich sofort der Gesamtimpuls 2γm 2 M 2 = 2 L a(1 − ε 2 ) L 2 = a(1 − ε 2 )γm 2 M (21) Aus dieser Beziehung ergibt sich das dritte Keplersche Gesetz. Nach dem Flächensatz ist, wenn jetzt A die vom Fahrstrahl überstrichene Fläche ist, • • A = 1 r2 θ = 1 L 2 2m • Da die Fläche der Ellipse AE = πab/T ist, gilt für einen Umlauf A = πab und damit T •2 2 2 L 2 = 4m 2 A = 4m 2 a b2 π 2 In Gleichung (21) eingesetzt 2 2 2 4m 2 π a 2 b = a(1 − ε 2 )γm 2 M (1 - ε2) kann nach Gl. (13) durch die Halbachsen der Ellipse ausgedrückt werden: 1 - ε2 = b2/a2. Dies ergibt a 3 = γM T 2 4π 2 104 unabhängig von ε und m. Setzt man in Gleichung (20) die Beziehungen Gl. (18) ein, erhält man 1 ε2 − = 2mE 2 2 2 2 2 2 L2 a (1 − ε ) a (1 − ε ) oder E = −L 2 1 . Setzt man hier L2 aus Gl. (21) ein, ergibt sich für die 2 2ma (1 − ε ) 2 Gesamtenergie E=− γmM 2a (22) Die Gesamtenergie hängt nur von a ab, ist also bei gleichem a unabhängig von der Exzentrizität der Ellipse. Bahnen mit unterschiedlicher Exzentrizität unterscheiden sich im Drehimpuls. Die Gesamtenergie ebenso die kinetische Energie beim Abstand a sind vom Betrage her halb so groß wie die negative potentielle Energie im Abstand a. Für alle anderen Abstände verringert sich die kinetische Energie in dem Maße, wie sich die potentielle erhöht (s. Abb. 99). Abb. 99: Bei der Keplerbewegung hat die kinetische Energie und die Gesamtenergie den gleichen Betrag. Um zu berechnen, wo sich ein Körper zu einer vorgegebenen Zeit auf dem Kegelschnitt befindet, dient die Keplersche Gleichung. Für Hyperbeln, die z.B. beim Stoß gleich geladener Teilchen vorkommen, gilt Gl. (22) mit positivem Vorzeichen von E. 7. Scheinkräfte a) Was sind Scheinkräfte ? Befindet sich ein Fahrer der Masse m in einem mit der Beschleunigung a beschleinigten Fahrzeug, so muß dieses die Kraft F = ma aufbringen, um den Fahrer mit zu beschleunigen. Der 105 Abb. 100: Der Fahrer wird beim Beschleunigen in die Rücklehne gedrückt. Dies ist eine Scheinkraft. Fahrer im Auto spürt eine Kraft, die ihn in die Sitzpolster drückt, d.h. im mitbeschleunigten System scheint eine Kraft F = -ma entgegengesetzt zur Beschleunigung zu wirken. Diese Kraft braucht man nicht zu berücksichtigen, wenn man den Vorgang von einem unbeschleunigten System aus betrachtet. Man nennt solche Kräfte, die in beschleunigten Bezugssystemen beobachtet werden, Scheinkräfte. Formal ergibt sich (s. Abb. 101) Abb. 101: Wenn die Beschreibung der Bewegung von m von einem Inertialsystem (ex , ey ) aus erfolgt, treten keine Scheinkräfte auf, aber im beschleunigten System (e*x, e*y) •• F=m r r = r∗ + r0 •• •• F = m r 0 + m r∗ •• ∗ mr •• = F − m r0 (23) r* beschreibt die Lage der Masse m im beschleunigten Bezugsystem, r0 die Lage des beschleunigten Bezugssystems von einem Inertialsystem aus betrachtet. Gleichung (23) besagt, daß man in einem beschleunigten Bezugsystem, wenn man in ihm so rechnen will als ob man sich in einem Inertialsystem befände, zu den tatsächlichen Kräften F die Scheinkräfte •• F s = −m r 0 hinzuzählen muß. Wenn sich das System mit konstanter Geschwindigkeit bewegt, treten keine Scheinkräfte auf. Beispiel 106 In einem beschleunigten Fahrstuhl erhöht sich das Gewicht, wenn die Beschleunigung nach oben gerichtet ist und erniedrigt sich, wenn die Beschleunigung nach unten weist. Im freien Fall gilt Fs = - mg. Das scheinbare Gewicht ist daher 0. Der Körper befindet sich in Schwerelosigkeit. Das gleiche würde auch gelten, wenn der Fahrstuhl auf einer Wurfparabel im schrägen Wurf fliegen würde, solange nur die Gravitationskraft wirkt. Eine solche Situation kann durch den freien (unangetriebenen) Flug einer Rakete auf einer Wurfparabel realisiert werden. Die Scheinkraft ist auch dann •• F s = −m r = −mg und damit entgegengesetzt und vom Betrage her gleich groß wie die Schwerkraft. Abb. 102: Fällt ein Fahrstuhl frei, so herrscht in ihm Schwerelosigkeit. b) Scheinkräfte im rotierenden System α) Formale Herleitung Um Scheinkräfte in einem rotierenden System zu berechnen, betrachtet man eine Bewegung, die im ruhenden System durch r(t) beschrieben wird. Drückt man die Beschleunigung im ruhenden System a durch Beschleunigung a* und Geschwindigkeit v* im bewegten System aus, •• ∗ so stellt man fest, daß neben a ∗ = x zwei weitere Terme auftauchen, die mit der Masse multipliziert zur Zentrifugal - und Corioliskraft führen. Wir betrachten zunächst einen beliebigen Vektor G, der sich in einem festen Bezugssystem in einem Zeitintervall dt um dGfest und in einem mit konstanter Winkelgeschwindigkeit ω rotierenden Bezugssystem gemessen um dGrot ändert. Abb. 103: dGfest und dGrot sind die Änderungen des Vektors G vom festen bzw. vom rotierenden System aus gemessen. dGzus ist der zusätzliche Effekt durch die Rotation. 107 Die Gesamtveränderung ist die, die im festen System gemessen wird. Sie setzt sich aus der Änderung im rotierenden System dGrot und der zusätzlichen Änderung durch die Rotation dGzus zusammen (Abb. 103). dGfest = dGrot + dGzus Die Änderung durch die Drehung ergibt sich nach Abb. 104 aus dG zus = dϕ × G Abb. 104: Der Zusammenhang von dϕ und dGzus. Division durch dt und Berücksichtigung von ω = dϕ ergibt dt dG = dG + ω × G dt fest dt rot (23) G kann ein beliebiger Vektor sein, der sowohl im ortsfesten wie im rotierenden Koordinatensystem dargestellt werden kann. Für einen körperfesten Vektor gilt z.B. dG = 0 dt rot → Für einen raumfesten Vektor G dG = 0 → dt fest dG = ω × G dt fest dG = −ω ω×G dt rot Für G = r erhält man die Transformation der Geschwindigkeiten dr = dr + ω × r dt fest dt rot Da dr = v und dr = v ∗ die Geschwindigkeiten im festen bzw. im rotierenden Bedt fest dt rot zugssystem sind, erhält man als Transformation der Geschwindigkeiten v = v ∗ + ω×r (24) 108 Gleichung (23) gilt auch, wenn man für G v einsetzt. Dies liefert uns die gewünschte Transformation der Beschleunigungen. dv = dv + ω × v dt fest dt rot In den beiden Termen auf der rechten Seite wird v aus Gleichung (24) eingesetzt. Die Ableitungen der Geschwindigkeiten sind die Beschleunigungen im festen bzw. im rotierenden System. Es folgt ∗ a = dv dt + ω × dr dt + ω × v ∗ + ω × (ω × r) = a ∗ + 2ω × v ∗ + ω × (ω × r) Neben der Beschleunigung im rotierenden System a* erscheinen rechts zwei Terme von der Dimension einer Beschleunigung, die multipliziert mit der Masse die Scheinkräfte ergeben. Rechnet man also im rotierenden System so, als ob es ein Inertialsystem wäre, muß man die Scheinkräfte F z = −mω × (ω × r) = m(ω × r) × ω und F c = −2mω × v = 2mv × ω zu den wahren Kräften addieren. β) Die Zentrifugalkraft Die Kraft F z = m(ω × r) × ω = mv × ω ω hat radiale Richtung Abb. 105: v×ω 109 ist die Zentrifugalkraft. Sie zeigt radial nach außen und hat den Betrag mrω2. Bei der rotierenden Erde ist die Zentrifugalkraft von der geographischen Breite λ abhängig. Nimmt man für die Erde die Gestalt einer Kugel mit dem Radius R an, so hat man Fz = mRω2cosλ Die Resultierende von Fz und der Schwerkraft FG ist die Gesamtkraft auf ein Teilchen an der Oberfläche der Erde. Solange sie eine Komponente parallel zur Oberfläche hat, werden sich Teilchen entlang der Oberfläche verschieben. Das nimmt erst dann ein Ende, wenn sie genau senkrecht zur Oberfläche steht. Die Erdoberfläche hat daher nicht Kugelgestalt sondern die Gestalt einer abgeplatteten Kugel (eines Geoids) wie übertrieben in Abb. 106 dargestellt. Abb. 106: Die Gesamtkraft auf ein Teilchen an der Erdoberfläche ist FG + Fz im rotierenden System. Die Erdoberfläche stellt sich senkrecht zu dieser Kraft ein, da eine Verschiebung des Teilchens möglich ist. Die senkrecht zur Oberfläche wirkende Komponente der Zentrifugalkraft Fz cosλ führt zu einer Verringerung der effektiven Gravitationskraft. Man sieht, daß man die Diskussion der Kraftverhältnisse an der Erdoberfläche vom ruhenden System aus betreiben kann, wie wir es im Kapitel C.3.h gemacht haben, oder vom bewegten System aus, wobei als Zusätzliche Kräfte Scheinkräfte eingeführt werden müssen. Die Schlußfolgerungen sind die gleichen. Ähnlich kann man die für Kurvenfahrt optimale Neigung der Fahrbahn anschaulich sehr bequem mit der Zentrifugalkraft diskutieren (Abb. 107). Man sagt, die Neigung der Fahrbahn muß so sein, daß die Resultierende aus Gewichtskraft FG und Zentrifugalkraft senkrecht zur Fahrbahn stehen. Abb. 107: Ähnlich wie beim Geoid muß bei der Kurvenfahrt die Resultierende Kraft senkrecht auf der Fahrbahn stehen. 110 γ) Die Corioliskraft i. Woher kommt die Corioliskraft? Die Corioliskraft tritt nur bei Körpern auf, die sich vom rotierenden System aus gemessen bewegen. Man macht sich ihre Ursache am besten durch einen Wurfversuch am Nordpol klar, wo die Drehachse senkrecht zur Erdoberfläche steht (Abb. 108). Abb. 108: Der Mittelpunkt des Kreises ist der Nordpol. Im Abstand ρ wird ein Stein radial nach außen geworfen. Durch die Eigenbewegung der Erde erhält er eine azimutale Geschwindigkeitskomponente. Diese ist kleiner als die am Zielpunkt. Ein mitrotierender Schütze würde sein Ziel verfehlen, da er dem Geschoß eine seitliche Anfangsgeschwindigkeit v = ρω durch die Erddrehung mitliefert, und das Ziel im Abstand r sich bei der Rotation schneller (V = ωr) bewegt als der Schütze im Abstand ρ < r. Das Ziel hat sich in der Zeit ∆t von A nach B bewegt, das Geschoß von A nach C. Die seitliche Abweichung vom Ziel ist also s = AB - AC = rω∆t - ρω∆t = (r -ρ)ω∆t (r - ρ) kann durch die Geschwindigkeit in Abschußrichtung v0 ausgedrückt werden. Wenn man annimmt, daß die seitliche Bewegung sehr klein gegen die in Schußrichtung ist, erhält man (r - ρ) = v0∆t s = v 0 ω∆t 2 Vergleicht man dieses Ergebnis mit dem Weg - Zeit - Gesetz einer Bewegung mit konstanter Beschleunigung, so erkennt man, daß die seitliche Bewegung im rotierenden System mit konstanter Beschleunigung ac = 2v0ω verläuft. 2v0ω ist der Betrag der Beschleunigung, den wir 111 von der Corioliskraft her erwarten. Bei bei beliebiger geographischer Breite gibt es eine vertikale und eine horizontale Komponente der Corioliskraft. ii. Corioliskraft bei horizontaler Bewegung Abb. 109: Nur ω⊥ führt zu einer Beeinflussung der horizontalen Bewegung. Man zerlegt ω in eine vertikale und eine horizontale Komponente (Abb. 109). Die Horizontalkomponente bewirkt eine senkrechte Kraft, die bei Bewegung auf einer Unterlage keinen Einfluß auf den Bewegungsablauf hat. ω⊥ steht immer senkrecht auf v und erzeugt eine konstante Beschleunigung 2v×ω ω. Abb. 110: ω⊥ steht immer senkrecht auf v. Es resultiert wie beim Elektron im Magnetfeld eine Kreisbewegung. Am Äquator ist ω⊥ = 0 und damit ac = 0. Auf der Nordhalbkugel ergibt sich immer eine Ablenkung nach rechts, auf der Südhalbkugel nach links. Dies führt zu den charakteristischen Wirbeln in der Bewegung von Luft und Wasser, die auf der Nord - und Südhalbkugel umgekehrten Drehsinn haben. Abb. 111: Der Umlaufsinn des Windes in Hoch- und Tiefdruckgebieten rührt von der Corioliskraft her. iii. Corioliskraft bei vertikaler Bewegung Bei vertikaler Bewegung bewirkt die parallel zur Oberfläche stehende Komponente von ω, ω// = ωcosλ eine geringfügige seitliche Ablenkung. Beim freien Fall ist diese immer nach Osten gerichtet (s. Abb. 112). Für die Berechnung der seitlichen Ablenkung gehen wir genau 112 wie oben bei der Betrachtung des Schusses am Nordpol davon aus, daß die Bewegung nur wenig gestört wird und daher die Geschwindigkeit, die man in der Formel für die Corioliskraft einsetzen muß, die ungestörte Geschwindigkeit des freien Falls ist. vy = gt Fc = 2mω//v = 2mωcosλ = 2mgωt cosλ = m(dvx/dt) vx = gωcosλ t2 Nach Integration erhält man 3 x = gω(cos λ) t 3 Abb. 112: Auch auf einen Körper im freien Fall wirkt die Corioliskraft. 113 KAPITEL D Dynamik von Massenpunktsystemen 1. Der Massenmittelpunkt a) Das Hebelgesetz Unter dem Schwerpunkt von zwei starr verbundenen Massen versteht man den Punkt der Verbindungslinie, bei dem das System unterstützt werden muß, um im Gleichgewicht zu bleiben. Abb. 113: Bei symmetrischen Körpern liegt der Schwerpunkt in der Mitte. Wir vermuten, der Schwerpunkt unterteilt die Verbindungslinie im Verhältnis der Massen, wobei der kürzere Teil der Verbindungslinie neben der größeren Masse liegt. Man nennt diesen Satz auch das Hebelgesetz. Das Hebelgesetz war schon im Altertum bekannt. Nach Archimedes kann man es ableiten, wenn man annimmt, daß bei gleichen Massen der Schwerpunkt in der Mitte der Verbindungslinie liegt. Abb. 114: Nach Archimedes kann man das Hebelgesetz für rationale Verhältnisse aus dem symmetrischen Fall (Abb. 113) herleiten. Man teilt die Masse m1 (s. Abb. 114) in zwei gleiche Teile und schiebt sie außeinander so daß ihr Schwerpunkt fest bleibt und eine Hälfte auf dem Unterstützungspunkt liegt. Diese trägt dann nicht mehr zum Gleichgewicht bei und kann auch entfernt werden. Da der Schwerpunkt der beiden Teilmassen von m1 an seinem Ort geblieben ist, herrscht nach wie vor Gleichgewicht. Damit ist das Hebelverhältnis 2 : 1 bei einem Massenverhältnis 2 : 1 bewiesen. Durch Aufteilung der Masse m2 im Verhältnis 2 : 1 und Anwendung des im ersten Schritt bewiesenen Satzes beweist man das Hebelverhältnis 2 : 3 und so durch geschickte Aufteilung der Massen für alle rationalen Verhältnisse. Heute leitet man das Hebelgesetz am einfachsten aus dem Energiesatz her. Man denkt sich eine massenfreie Stange, an deren beiden Enden die Kräfte m1g und m2g angreifen. Die Stange werde an dem Punkt unterstützt, der zu einem Gleichgewicht führt. Kippt man die Stange so, 114 Abb. 115: Rechts und links muß nach dem Energiesatz gleche Arbeit geleistet werden. daß das eine Ende um die Strecke s1 verrückt wird, so leistet die Kraft m1g eine Arbeit m1gs1. Da sich jedes Teilchen der gesamten Anordnung in einem Potentialfeld aufhält, gilt der Energiesatz und damit m1gs1 = m2gs2. Wegen des Strahlensatzes hängen die Verschiebungen der Enden von den Längen der Teilarme des Hebels ab (Abb.117): s1/s2=l1/l2, und daher m1 l2 m2 = l1 Wer sagt es denn! Da g im Prinzip von der Position auf der Erde und damit von x abhängig ist, könnte man streng genommen zwischen Schwerpunkt, beschrieben durch die Koordinaten x1 (s) und x2 (s) vom Schwerpunkt aus gerechnet m1gx1(s) + m2gx2(s) = 0 und dem Massenmittelpunkt, gekennzeichnet durch die Position m1x1(MM) + m2x2(MM) = 0 (1) Unterscheiden. x1(MM) und x2(MM) sind die Koordinaten der beiden Massen vom Massenmittelpunkt gemessen. Im folgenden wird auf diese Unterscheidung keinen Wert gelegt. Wir meinen den Massenmittelpunkt, wenn wir Schwerpunkt sagen. b) Der Schwerpunkt beliebiger Massenpunktsysteme Auf n Massen verallgemeinert lautet die Definition des Schwerpunktes nach Gleichung (1) Σ m i x (s)i = 0 entsprechend für die anderen Koordinaten Σ m i y (s)i = 0 und Σ m i z (s)i = 0 115 n allgemein Σ= m i r (s)i = 0 Diese Definition hat die etwas unbequeme Eigenschaft, daß sich der Koordinatenursprung, von dem aus die Positionen der Massen gemessen werden, im Schwerpunkt befinden muß. Um eine Definition für ein beliebiges Koordinatensystem zu erhalten, betrachten wir Abb. 116. ri ist die Position der Masse i von diesem Koordinatensystem aus. rs die Position des Schwerpunktes. Dann gilt laut Abb. 116 ri = ri(s) + rs Σ m i (r i − r s ) = 0 Σ m i r i = Σ m i r s = r s m ges mges ist die Gesamtmasse des Systems. Damit erhält man für die Position des Schwerpunktes Σmr rs = m i i ges (2) Abb. 116: Die geometrischen Verhältnisse bei der Berechnung des Schwerpunktes. c) Schwerpunkt als Mittelwert der gewichteten Massenpositionen Gleichung (2) hat die Form einer gewichteten Mittelwertbildung. Betrachtet man z.B. die Körperlänge einer Gruppe von Studenten. mi Studenten mögen die Länge ri haben. Dann ist der Mittelwert r= Σ miri Σ mi 116 mi ist gewissermaßen das Gewicht, mit dem jede Länge berücksichtigt wird. Ein demokratischer Mittelwert ist das arithmetische Mittel. Man kann auch bei anderen Mittelwertbildungen ein gewichtetes Mittel einführen. Es sei z.B. bei einer Entscheidung über eine quantifizierbare Größe, etwa die Note für eine Leistung, die Meinung des Studenten MS, die Meinung des Professors MP. Dann erhielte man bei demokratischer Mittelwertbildung MD = MS + MP 2 Wichtet man mit der Kompetenz der Parteien, hätte ein gewichtetes Mittel die Form MG = mSMS + mPMP m +m Abb. 117: Die Formel für den Schwerpunkt ist die Gleiche wie diejenige die man üblicherweise zur Bildung des gewichteten Mittelwertes anwendet d) Schwerpunkt kontinuierlicher Massenverteilungen α) Der Übergang von diskreten zu kontinuierlichen Massen Für Künstler, die komplizerte Skulpturen schaffen, ist die Lage des Schwerpunktes eine wesentliche Größe. Der Schwerpunkt sollte im allgemeinen oberhalb der Fläche liegen auf der die Statue unterstützt wird. Um die Lage des Schwerpunktes abzuschätzen, unterteilt man die gesamte Figur in Teilelemente, deren Masse ∆mi und Schwerpunktslage ri man abschätzen kann, etwa in Abb. 118 das Schwert, den Unterarm, den Oberarm u.s.w.. Die Lage des Schwerpunktes ergibt sich aus Abb. 118: Bei unregelmäßigen Körpern kann man in der Praxis als dm Massenelemente beträchtlicher Ausdehnung nehmen, z.B im abgebildeten Fall die Hand, das Schwert, den Kopf. 117 rs = Σ r i ∆m i m ges Im Grenzfall ∆m → 0 ∫ rdm rs = m ges Abb. 119: dm bei einer eindimensionalen Massenverteilung β) Das Massenelement Um uns klar zu werden, was dm bedeutet, betrachten wir eine eindimensionale Massenverteilung wie in Abb. 119. Wir können uns etwa einen Löffel vorstellen, bei dem wir letztendlich die Lage seines Schwerpunktes in seiner Längsrichtung ermitteln wollen. m(x) ist die Masse vom Anfang des Löffels bis zur Position x. ∆m ist dann die Masse zwischen den Positionen m(x) und m(x + ∆x) ∆m = m(x + ∆x) − m(x) = m(x) + dm ∆x − m(x) = dm ∆x dx dx m(x + ∆x) wurde dabei einer Taylorentwicklung bis zum ersten Gliede unterzogen. dm/dx = ρ heißt die Massenbelegung oder die Liniendichte. Entsprechend gibt es dm/dA die Flächendichte und dm/dV die Volumendichte. Die Verteilung der Masse wird also praktischerweise nicht durch m(x) sondern ρ(x) dargestellt. Wenn ρ unabhängig von x ist, spricht man von einem homogenen Körper. Ähnlich wird bei Geschwindigkeitsverteilungen von Teilchen nicht die Zahl der Teilchen mit der Geschwindigkeit v, N(v), dargestellt, sondern die Anzahl der Teilchen deren Geschwindigkeit zwischen v und v + dv liegt: ∆N = f(v)∆v. Für ∆v → 0 geht auch ∆N → 0. Kein Teilchen hat nämlich mit beliebiger Genauigkeit irgend eine vorgegebene Geschwindigkeit. Der Schwerpunkt eines kontinuierlichen Körpers ergibt sich also aus rs = ∫ rdm ∫ dm Für einen homogenen Körper mit konstanter Dichte ρ und dm = ρdV rs = ∫ rdV = ∫ rdV V ∫ dV (3) 118 V ist das Volumen des Körpers. Die Gl. (3) enthält drei Gleichungen für die drei kartesischen Koordinaten des Schwerpunktes. Abb. 120: Zuerst summiert man über alle Volumenelemente bei festgehaltenen zwei Koordinaten und laufender dritten. γ) Wie berechnet man Volumenintegrale? Einen geometrisch einfachen Körper kann man durch Integration behandeln. Dazu unterteilt man ihn in Teilmassen, indem man ihn mit einem Koordinatengitter durchsetzt, so daß für einen Schnitt eine Koordinate, z.B. ξ konstant gehalten wird. der benachbarte Schnitt läuft dann bei ξ + ∆ξ. In kartesischen Koordinaten (s. Abb. 120) hat man Volumenelemente ∆V = ∆x∆y∆z. In Zylinderkoordinaten, in denen die Position durch r,θ,z beschrieben wird, ist das Volumenelement ∆V = r∆r∆θ∆z (s. Abb. 121). Wer es nicht glaubt, berechne ein Würfelvolumen auf der Erdoberfläche, indem er dieses durch den Erdradius, die geographische Breite und eine Koordinate ∆z in Ost - West Richtung ausdrückt! Abb. 121: Das Volumenelement in Zylinderkoordinaten. Man summiert, indem man zuerst zwei Koordinaten konstant läßt, z.B. in kartesischen Koordinaten x und y. Es ergibt sich der Schwerpunkt für eine Reihe von Volumenelementen. Er hängt natürlich von dem speziell gewählten xi und yj ab (Abb. 120). Im allgemeinen ergibt sich eine Funktion von x und y, so daß man nach diesem Schritt den Schwerpunkt für jede der Reihen, die durch ein bestimmtes i und j gekennzeichet sind (i, j = 1,2, ....), kennt. rs = 1 V Σi Σj Σk r i (x, y, z)∆z ∆x∆y = V1 Σi Σj r(x, y)∆x∆y 119 Abb. 122: Bei der nächsten Integration summiert man über alle Volumenelemente einer Scheibe. Als nächstes läßt man eine der übrigen Koordinaten konstant, z.B. y und erhält den Schwerpunkt jeder Scheibe (Abb. 122). rs = 1 V Σ r(x)∆x Die letzte Summation ergibt den Schwerpunkt. Im Grenzübergang wird aus aus jeder Summation eine Integration rs = 1 V ∫ ∫ ∫ rdxdydz (4) Man löst dieses sogenannte Volumenintegral, indem man wie bei der Summation nur eine Koordinate variabel läßt. Die Integrationsgrenzen sind durch die Körperform bestimmt und hängen im allgemeinen von den noch nicht abgearbeiteten Variabeln ab. Beispiel: Schwerpunkt einer homogenen Dreiecksfläche konstanter Dicke d. Abb.123: Berechnung des Schwerpunktes eines Dreiecks Das allgemeine Dreieck kann wie in Abb. 123 aus rechtwinkligen Dreiecken zusammengesetzt werden. Daher wird im folgenden nur ein rechtwinkliges Dreieck in dem dafür bequemsten Koordinatensystem berechnet. Nach Gleichung (4) gehen wir von der Formel aus xs = 1 1 ∫ ∫ ∫ xdxdydz bhd 120 erster Schritt: x und y sind konstant d x s = 2 ∫ ∫ ∫ dz dxdy = 2 bhd bh 0 ∫ ∫ xdxdy (das Integral in der Klammer ergibt d) zweiter Schritt: x wird konstant gelassen 0 x s = 2 ∫ ∫ dy xdx bh y y0 Hierin ist ∫ dy = y 0 = b x h Die obere Grenze ist durch die Berandung des Körpers gegeben und hier von x abhängig. Die letzte Integration ergibt dann die Lage des Schwerpunktes in x Richtung. x s = 22 b b 2 b3 = 2 b 2 = x dx ∫ b2 3 3 Die Lage des Schwerpunktes in y - Richtung ergibt sich mit der gleichen Betrachtung, in z Richtung ist die Lage trivialerweise xz = d/2. Bei der letzten Integration müssen alle möglichen Werte der letzten Variablen ausgeschöpft werden. Z.B. wäre bei der Integration über den Quadranten eines Kreises y0 = R2 + x2 Bei der Integration über x wären die Grenzen 0 und R. Abb. 124: Die Grenzkurve eines Kreisquadranten δ) Experimentelle Bestimmung der Lage des Schwerpunktes Außerhalb des Schwerpunktes aufgehängte Körper hängen so, daß der Schwerpunkt unterhalb des Unterstützungspunktes liegt. Der Schwerpunkt liegt also auf einer Geraden, die durch den 121 Abb. 125: Wie man die Lage des Schwerpunkts eines Autos in horizontaler Richtung bestimmen kann. Unterstützungspunkt geht und vertikale Richtung hat. Durch Aufhängen an zwei unterschiedlichen Unterstützungspunkten erhält man zwei Geraden, in deren Schnittpunkt der Schwerpunkt liegt. Wenn ein Körper nicht bequem aufgehängt werden kann wie etwa ein Auto, kann man auch folgenderweise vorgehen: Man wiegt das Fahrzeug an der Hinterachse, indem man es auf der Vorderachse aufliegen läßt und an der Hinterachse auf eine Waage stellt. Das Gewicht sei dann FH. Entsprechend wiegt man es unter der Vorderachse. Das entsprechende Gewicht sei FV. Anwendung des Hebelgesetzes ergibt FHL = Mgs FVL = Mg(1-s) Durch Division der beiden Gleichungen erhält man FV 1 = s − 1 F und damit l = F V + 1, s FH s=lF 1 V +1 FH FHl FH FV = g + 1 M = sg FH 2. Bewegung des Schwerpunktes a) Das Aktionsgesetz Auf ein System von Teilchen wirken äußere Kräfte F1, F2, ...und innere Kräfte, d.h. irgendwelche Wechselwirkungen zwischen zwei Teilchen des Systems, F12, F21, F13, ...Für jedes Teilchen gilt das Aktionsgesetz • m 1 v 1 = F 1 + F 12 ... 122 Abb. 126: Zwei Massen unter dem Einfluß von inneren und äußeren Kräften • m 2 v 2 = F 2 + F 21 ... ... Die Gleichungen für alle Teilchen werden rechts und links addiert. Dabei heben sich nach der Regel actio = reactio alle inneren Kräfte heraus, da es zu jeder Kraft eine gleich große entgegengesetzte gibt: F12 = - F21. Man erhält also Σ m i v i = Σ F ext • Die linke Seite kann man mit Hilfe der Definition des Schwerpunktes (Gleichung (2)) um• • • schreiben, denn aus x s m ges = Σ m i x i folgt durch Differentiation v s m ges = Σ m i v i . v s ist die Beschleunigung des Schwertpunktes. m ges v s = Σ F ext • (5) Der Schwerpunkt eines Systems von Massen bewegt sich unter einer äußeren Kraft so, als ob die gesamte Masse im Schwerpunkt vereinigt wäre. Ohne äußere Kraft bewegt sich also der Schwerpunkt mit konstanter Geschwindigkeit. Bei einer Explosion fallen die Einzelteile nach allen möglichen Richtungen auseinander, aber der Schwerpunkt bleibt - zumindest solange die Splitter frei fliegen - an der Stelle, an der der explodierende Körper anfangs gestanden hatte. b) Das Zweikörperproblem, reduzierte Masse Bewegen sich zwei Körper unter der gegenseitigen Wechselwirkung, etwa wie die Erde um die Sonne, so ist die äußere Kraft null und der Schwerpunkt ruht in einem Inertialsystem. Die Kraft auf jeden Körper hat die Richtung der Verbindungslinie der beiden Körper und zeigt daher immer auf den Schwerpunkt. Man kann daher die Bewegung durch eine Zentralkraft, die vom Schwerpunkt ausgeht, beschreiben. Das Problem ist auf das Keplerproblem zurückgeführt. Die Körper bewegen sich auf Kegelschnitten um den Schwerpunkt. Würde man das Koordinatensystem in den Schwerpunkt eines der beiden Körper legen, dürfte das Aktionsgesetz nicht ohne weiteres als Grundlage der Beschreibung verwendet werden, da hierfür das 123 Abb. 127: Zur Definition der reduzierten Masse zugrundegelegte Koordinatensystem ein Inertialsystem sein müßte. Formal kann man die Bewegung auch in einem Koordinatensystem, das im Zentrum der Sonne verankert ist, beschreiben. Man muß dann allerdings statt der wahren trägen Masse des umlaufenden Körpers seine reduzierte Masse µ nehmen, die im folgenden erläutert wird. Zunächst wird die Relativgeschwindigkeit v12 = v1 - v2 eingeführt (s. Abb. 127). Für jeden Körper einzeln gilt • F v 1 = m12 1 • F 21 v2 = m 2 Durch Subtraktion beider Gleichungen erhält man mit der Bedingung F12 = - F21 • • • v 12 = v 1 −v 2 = F 12 m1 + m1 1 2 1 = 1 + 1 , wobei µ die reduzierte Masse ist, lautet die BewegungsgleiMit der Definition µ m1 m2 chung dann • µ v 12 = F 12 Sie enthält die Beschleunigung von einem der beiden Körper aus gemessen, die wahre Anziehungskraft - d.h. für das Gravitationsgesetz ist die wahre Masse einzusetzen - und als träge Masse die reduzierte Masse. Beispiel: System Proton - Elektron memp me me 1 1 m p = 1840 µ = m e + m p = m e 1 + m e ≈ m e 1 − m p mp D.h. man kann so rechnen, als ob das Proton unbeweghlich im Zentrum steht, das Elektron aber eine um 0,06% verminderte träge Masse hätte. 124 3. Dynamische Hilfsbegriffe a) Der Impuls Nach Definition des Schwerpunktes gilt r s = m1 ges und daher Σ miri m ges r s = Σ m i r i = Σ p i = p ges • • Die Summe aller Einzelimpulse ist genau so groß wie der Impuls der Gesamtmasse im Schwerpunkt des Teilchensystems. Bezogen auf den Schwerpunkt ist der Gesamtimpuls p ges = mgesvs = 0. b) Der Drehimpuls α) Die Bewegungsgleichung für Rotation Wir haben wieder ein Teilchensystem mit den Massen m1, m2, u.s.w. auf die äußere Kräfte Fi und innere Kräfte Fik wirken. Der Gesamtdrehimpuls L bezüglich eines beliebigen Bezugspunktes ist die Summe der Drehimpulse der Einzelteilchen. L = L 1 + L 2 + ... = r 1 × p 1 + r 2 × p 2 ... Für die einzelnen Drehimpulse gilt nach dem Aktionsgesetz für Drehungen (Kap. C.4.a) • L 1 = r 1 × F 1 + r 1 × F 12 + ... • L 2 = r 2 × F 2 + r 2 × F 21 + ... Durch Addition erhält man • L = r 1 × F 1 + r 2 × F 2 + (r 1 − r 2 ) × F 12 + ... Bei Zentralkräften ist F12 parallel zu (r1 - r2) und damit das durch F12 bewirkte Drehmoment Null. D.h., wenn alle inneren Kräfte Zentralkräfte sind, gilt bezüglich eines beliebigen Drehpunktes in einem Inertialsystem 125 • (6) L = M ext Die Änderung des Gesamtdrehimpulses ist also nur durch die externen Drehmomente bestimmt. Beim Fehlen äußerer Kräfte bleibt L konstant. Der Drehimpulssatz gilt im allgemeinen nur für ein Inertialsystem. Beschreibt man die Bewegung aber vom Schwerpunkt aus, so gilt der Drehimpulssatz auch, wenn der Schwerpunkt beschleunigt wird. Um dies zu beweisen, drückt man den Drehimpuls L in einem Inertialsystem und das gesamte Drehmoment der äußeren Kräfte durch entsprechende Größen im Schwerpunktsystem aus, indem man transformiert ri = rs + ri(s) Abb. 128: Transformation in das Schwerpunktsystem (s. Abb.128). ri ist der Ortsvektor des iten Teilchens in einem Inertialsystem, ri(s) der im Schwerpunktssystem. Die Bewegung des Schwerpunktes, die nicht geradlinig, gleichförmig zu verlaufen braucht, bezeichnet man als Translation. Mit obiger Transformation ergibt sich L = Σ ri × p i = Σ rs × p i + Σ ri × p i (s) Die beiden Terme auf der rechten Seite lassen sich vereinfachen Σ r s × p i = r s × Σ p i = r s × p ges Σ r (s)i × p i = Σ r (s)i × m i r s + Σ r (s)i × p (s)i • • (s) (s) da p i = m i r s + p i . Andererseits ist nach Definition des Schwerpunktes Σ r i m i × r s = 0 also Σ r (s)i × p i = Σ r (s)i × p (s)i 126 Der Gesamtdrehimpuls von einem Inertialsystem aus gesehen besteht also aus einem Drehimpuls des Schwerpunktes L s = r s × p ges = m ges r s × v s und einen Drehimpuls um den Schwerpunkt L (s) =Σ r i × p i (s) (s) L = L s + L (s) = r s × p ges + Σ r i × p i (s) (s) (7) Ebenso gilt für das Drehmoment M ext = M s + M (s) wobei M s = r s × F ext das Drehmoment der äußeren Kräfte bezüglich des Koordinatenur(s) sprungs und M = Σ r i × r i bezüglich des Schwerpunktes ist. Nach Gleichung (6) gilt M ext = dL . Setzt man hier Gleichung (7) ein, erhält man dt (s) • • • (s) M ext = r s × p ges + r s × p ges +L • • • • da r s × p ges = m ges r s ×r s = 0 und r s ×p s = r s × F ges = M s , andererseits M ext = M s + M (s) gilt hier • (s) M (s) =L wie anfangs behauptet. Die Gesamtbewegung eines Körpers kann also immer als Überlagerung einer Translation des Schwerpunktes und einer "Rotation" um den Schwerpunkt aufgefaßt werden, wobei man sich unter einer Rotation hier nicht unbedingt die Drehung eines starren Körpers vorstellen muß, sondern eine beliebige Bewegung der verschiedenen Punktmassen von einem Koordinatensystem aus gemessen, das im Schwerpunkt ruht. Für die Translation ist die Summe der äußeren Kräfte, für die Rotation die Summe der äußeren Drehmomente bezüglich des Schwerpunktes verantwortlich. Die inneren Kräfte haben auf die Größe Ls und pges keine Auswirkung. β) Anwendungen Bei Fehlen äußerer Drehmomente bleibt der Gesamtdrehimpuls erhalten. Aus diesem Grund benötigt ein Hubschrauber einen Drehmomentenausgleich durch einen seitlichen Propeller oder einen zweiten Rotor. Bei einem sich zusammenziehenden Stern (oder in ein Ausflußloch 127 fließendem Wasser) nimmt die Winkelgeschwindigkeit bei der Kontraktion zu, denn da L konstant ist und L = mr2dθ/dt gilt, muß dθ/dt zunehmen, wenn im Mittel r kleiner wird. Im freien Fall können Turmspringer oder Katzen den Gesamtkörper drehen ohne äußere Drehmomente. Im Prinzip ist dies bei der Katze möglich durch Drehen des Schwanzes. Messungen haben ergeben, daß dieser Mechanismus die Geschwindigkeit, mit der Katzen sich drehen, nicht erklären kann. Abb. 129: Es gibt verschiedene Möglichkeiten für die Katze, durch innere Kräfte ihren Körper zu drehen. Ein Modell für die Katzenrolle ist das Abrollen zweier Zylinder mit Kegelspitzen (Abb. 129). Die Abrollbewegung ist durch innere Kräfte möglich. Dadurch ergibt sich ein Drehimpuls in den Achsen der Zylinder und ein entgegengesetzter Drehimpuls des Gesamtkörpers. Teilchen haben einen Spin, den man sich mechanisch als Drehimpuls um die Körperachse vorstellt. Der Drehimpuls hat die Dimension [L] = [mrv] = kgm 2 s −1 = Js Größen der Dimension Js (Wirkung) sind gequantelt, d.h. es gibt kleinste Portionen. Der kleinste vorkommende Drehimpuls ist 1/2h, wobei h = 10-34Js. Der Spin eines Teilchens ist daher ebenfalls gequantelt. Wegen der Quantelung von Drehimpulsen können sich diese bei zwei Teilchen nur so addieren, daß wieder ein Vielfaches des Elementarquantums herauskommt. Ein System aus zwei Teilchen mit dem Einzeldrehimpuls (1/2)h (Spin 1/2) hat also den Spin 0 oder 1. Der Spin hat für jedes Teilchen einen fest vorgegebenen Wert. Es gibt Teilchen mit ungeradzahligem Spin (1/2, 3/2, ...) (Fermionen), und geradzahligem Spin (Bosonen). Fermionen und Bosonen zeigen besonders hinsichtlich ihrer Statistik stark unterschiedliches Verhalten. Die Drehimpulserhaltung schließt gewisse Zerfälle aus. Beim Beta Zerfall eines Neutrons hatte man zunächst nur ein Proton und ein Elektron entdeckt. Da beide Teilchen einen Spin 1/2 haben, zusammen also einen geradzahligen Spin aufbringen, das Ausgangsteilchen einen Spin 1/2 hat, wurde die Beteiligung eines weiteren Teilchens mit Spin 1/2 128 gefordert, um die Drehimpulserhaltung zu retten. Dieses Teilchen wurde Neutrino genannt und später direkt nachgewiesen. c) Energie Während die inneren Kräfte zum Drehimpils nicht beitragen, tragen sie zur Gesamtenergie eines Teilchensystems bei. Die Gesamtenergie erhält man durch Integration der Bewegungsgleichung über dri und Summation über alle Teilchen m i a i = F i +Σ F ik Die linke Seite ergibt wie im Kap. C.5 Σ m i ∫ a i • dr i = Σ 12 m i v 2i − Σ 12 m i v 20 = E kin − E kin0 Der erste Term auf der rechten Seite ergibt die Arbeit der äußeren Kräfte Σ ∫ F i • dr i = W ext der zweite die Arbeitsleistung der inneren Kräfte Σ ∫ F ik • dr i + ∫ F ki • dr k = Σ ∫ F ik • dr ik = Wint (rik = ri - rk) Wenn die inneren oder äußeren Kräfte konservativ sind, kann man für sie ein Potential definieren -Wint = Epot int - Epot int 0 -Wext= Epot ext - Epot ext 0 Der Energiesatz hat dann die Form Ekin + Epot ext + Epot int = E0 E0 ist die Gesamtenergie. Für eine sich zu einem Stern zusammenziehende Teilchenwolke spielt die äußere potentielle Energie keine Rolle. Je kleiner die interne potentielle Energie bei 129 der Kontraktion wird, desto größer wird die kinetische Energie. Diese geht über in Rotationsenergie und kinetische Energie der ungeordneten Bewegung der Teilchen. Die mittlere kinetische Energie der ungeordneten Bewegung im Schwerpunktsystem Ekin(s) pro Teilchen ist proportional zur Temperatur T. Die Kontraktion des Sternes führt also im allgemeinen dazu, daß sich der Stern aufheizt. Umgekehrt kühlt sich ein Gas, das man in einer Düse entspannt, ab, weil die Translationsenergie zunimmt. In der Physik der Gase spielt die äußere potentielle Energie häufig keine Rolle. Statt dessen (s) interessiert man sich dafür, wo die äußere Arbeit verbleibt. W ext = E kin + E potint ist im Grunde genommen der erste Hauptsatz der Wärmelehre. 4. Stoßgesetze a) Was ist ein Stoß? Abb. 130: Was heißt schon Berührung? Ein Stoß ist eine kurzzeitige Krafteinwirkung, bei der nicht der Verlauf im Einzelnen, sondern nur das Resultat interessiert. Z.B. möchte man beim Stoß von zwei Kugeln aus der Anfangssituation die Bewegung nach dem Stoß vorhersagen. Bei einem Stoß brauchen sich zwei Körper nicht zu berühren. Z.B. spricht man von einem Stoß, wenn zwei elektrisch geladene Teilchen nahe aneinander vorbeifliegen. (Genaugenommen gibt es überhaupt keine Berührung zweier Körper, wenn man die Kontaktstelle mit atomarer Auflösung betrachtet.) Charakteristisch für einen Stoß ist, daß die Wechselwirkung nur in einem begrenzten Gebiet wirksam ist. Stoßprozesse sind besonders in der Teilchenphysik von Bedeutung, da die meisten Informationen über Teilchen durch Stoßexperimente gewonnen wurden. Bei Stoßprozessen zwischen atomen oder Elementarteilchen sind die Teilchen vor und nach dem Stoß nicht identisch, da Umsetzungen stattgefunden haben. Bei einer Stoßionisation z.B. hat man nach dem Stoß mehr Teilchen als vorher. Häufig nehmen Teilchen Energie auf z.B. bei Stoßanregung. Statt der Erhaltung der individuellen Teilchen gelten Erhaltungssätze für charakteristische Eigenschaften der Teilchen wie Spin, Ladung, Leptonenzahl (= Zahl der Teilchen mit nur schwacher Wechselwirkung) u.s.w. Stöße behandelt man, indem man Erhaltungssätze, z.B. die Erhaltung der 130 Gesamtenergie und des Gesamtimpulses, auf die Situation vor und nach dem Stoß anwendet. Ähnliche Methoden verwendet man bei Stoßwellen. b) Grundbegriffe Wir betrachten zwei Teilchen m1 und m2 mit den Geschwindigkeiten v1 und v2 vor dem Stoß und u1 und u2 nach dem Stoß (s. Abb. 130). Die Erhaltungssätze sind dann Energiesatz: 1 m v2 + 1 m v2 = 1 m u2 + 1 m v2 + Q 1 1 2 2 1 1 2 2 2 2 2 2 Impulssatz: m1v1 + m2v2 = m1u1 + m2u2 Q ist die Wärmetönung des Prozesses. Bei Q = 0 ist der Stoß elastisch. Die Hauptaufgabe besteht darin, aus m1, m2, v1, v2 die 6 unbekannten Größen u1 und u2 auszurechnen. Vollständig läßt sich dieses Problem lösen, wenn sich die Schwerpunkte der Teilchen auf einer Geraden bewegen - man spricht dann vom zentralen Stoß - und wenn der Stoß elastisch verläuft. Das Problem ist meistens in einem im Labor festen Koordinatensystem gestellt, läßt sich aber besonders einfach im Schwerpunktsystem der Teilchen behandeln, da hier die Impulse der beiden Abb. 131: Bei den Stoßgesetzen geht es um den Zusammenhang der Geschwindigkeiten vor und nach dem Stoß. Teilchen untereinander, sowie vor und nach dem Stoß dem Betrage nach gleich sind. Die möglichen Orte der Spitzen der Vektoren u1 und u2 liegen also auf einem Kreis. c) Elastischer zentraler Stoß α) Das Target ruht Da es sich um einen zentralen Stoß handeln soll, gibt es nur eine Koordinate. Wir können z.B. annehmen, es sei die x - Koordinate. Die Geschwindigkeiten können dann als Skalare geschrieben werden. Das ruhende Teilchen habe den Index 2 (v2 = 0). Energie - und Impulssatz haben dann die Form 131 m1 v1 = m1u1 + m2 v2 m1v12 = m1u12 + m2v22 Die Gleichungen werden so umgeschrieben, daß die Daten des ersten Teilchens links stehen. Die zweite Gleichung ergibt m1(v12 - u12) = m2u22 m1(v1 - u1)(v1+ u1) = m2u22 Die erste Gleichung ergibt m1(v1 - u1) = m2u2 Dividiert man nun beide Gleichungen, erhält man v1 + u1 = u2 Man Eliminiert u2, indem man in die Impulsbilanz einsetzt. m1v1 = m1u1 + m2v1 + m2u1 u 1 =v 1 m1 − m2 m1 + m2 (8) m − m2 m + m2 + m1 − m2 = v1 1 u 2 = v 1 + u 1 = v 1 1 + 1 m1 + m2 m1 + m2 u 2 =v 1 2m 1 m1 + m2 (9) Diskussion Für m1 = m2 = m wird u1 = 0 und u2 = v1. Die Teilchen tauschen die Geschwindigkeiten aus. Die Energie des ersten Teilchens wird vollständig auf das zweite Teilchen übertragen. Der Schwerpunkt bewegt sich im Laborsystem mit v1/2. Im Schwerpunktsystem bewegt sich m2 mit v1/2 in entgegengesetzter Richtung. Nach dem 132 Zusammenstoß kehren beide Teilchen ihre Geschwindigkeiten um. Dadurch bewegt sich im Laborsystem m1 mit u1 = v1/2 - v1/2 = 0 und m2 mit v1/2 + v1/2 = v1. Für m2 << m1 wird u1 = v1 und u2 = 2v1. Das erste Teilchen behält seine Geschwindigkeit bei, während das zweite Teilchen mit doppelter Geschwindigkeit des ersten Teilchens den Stoßbereich verläßt. Da im zweiten Teilchen wegen der kleinen Masse praktisch keine kinetische Energie steckt und sich m1 weiterhin mit v1 bewegt, wird so gut wie keine Energie übertragen. Der Schwerpunkt des Systems ruht im wesentlichen im schweren Teilchen. Im Schwerpunktsystem wird m2 an m1 reflektiert. Wenn m2 >> m1 wird u1 = -v1. m1 wird reflektiert, währen m2 in Ruhe bleibt. β) Die Energieübertragung Mit den Formeln aus dem vorigen Abschnitt erhält man für die Energieübertragung q q= 1 m u2 2 2 2 1 m v2 2 1 1 m 4 m 21 m 2 4v 21 m 21 = = (m 1 + m 2 ) 2 m 1 v 21 (1 + mm 21 ) 2 Zur Abkürzung wird das Massenverhältnis x genannt q(x) = 4x (1 + x) 2 Das Maximum dieser Funktion erhält man duch Nullsetzen der Ableitung dq (1 + x) 2 − 2x(1 + x) (1 + x) − 2x =4 = 4(1 + x) 4 dx (1 + x) (1 + x) 3 Abb. 132: Der Bruchteil der Energie, der auf den Stoßpartner übertragen wird, hängt vom Massenverhältnis ab. Das Maximum liegt also bei x = 1, d.h. m1 = m2. Es gibt eine Reihe von Anwendungen. Z.B. müssen in einem Kernreaktor die durch die Reaktion entstehenden Neutronen abgebremst 133 werden, da sonst die Wahrscheinlichkeit dafür, eine weitere Spaltung zu verursachen zu klein wäre. Hierfür dient der Moderator. Als Moderator verwendet man bevorzugt wasserstoffhaltige Substanzen wie H2O (Leichtwasser), D2O (Schwerwasser), aber auch andere leichte Elemente, damit der Massenunterschied nicht zu groß ist. (H - Atome und Neutronen besitzen etwa die gleiche Masse). Abb. 133: Viele Stoßprobleme gestalten sich besonders einfach in einem Koordinatensystem, das im Schwerpunkt ruht. γ) Beide Teilchen bewegen sich Um aus den Gleichungen (8) und (9) die Formel für den Stoß auf ein Teilchen zu erhalten, das sich bewegt, transformiert man sie auf ein Bezugssystem, das sich mit v0 bewegt. Die Geschwindigkeiten im bewegten System werden mit großen Buchstaben bezeichnet (s. Abb. 133). Für alle Geschwindigkeiten gilt v = V + v0. 0 = V 2 + v 0 → V2 = - v 0 v 1 = V 1 + v 0 = V 1 - V2 u1= U1 + v0 = U1 - V2 u 2 = U 2 + v 0 = U 2 - V2 Setzt man dies in die Gleichungen (8) und (9) ein, so erhält man U 1 − V 2 = (V 1 − V 2 ) U1 = m1 − m2 m +m V 1 (m 1 − m 2 ) + V 2 (m 1 − m 2 ) + V 2 (m 1 + m 2 ) m +m U1 = V 1 (m 1 − m 2 ) + 2m 2 V 2 m1 + m2 Wegen der Symmetrie des Problems kann man die Indizes vertauschen. 134 U2 = V 2 (m 2 − m 1 ) + 2m 1 V 1 m1 + m2 Abb. 134: Den Stoß zweier Kugeln, die nicht frontal aufeinander stoßen kann man wie einen frontalen Stoß behandeln, der senkrecht zur Tangentialebene verläuft. d) Stoß mit seitlicher Impulsänderung Treffen zwei Kugeln nicht frontal aufeinander, so wirkt doch die wesentliche Kraft senkrecht auf die Berührungsfläche. Wenn man diese Richtung kennt, könnte man v1 und v2 in Komponenten parallel und senkrecht zu ihr zerlegen. In der Tangentialrichtung ergibt sich keine Impulsübertragung, in der senkrechten gilt das bisher gesagte. Häufig kennt man die Richtung der Berührungsfläche nicht. Läßt man sie offen, kann man eine allgemeine Aussage über den Ort der Spitzen von u1 und u2 machen. Es gilt der Energiesatz in der gleichen Form wie im vorigen Abschnitt und der Impulssatz für den vektoriellen Impuls. Wir betrachten den Fall v2 = 0 und interessieren uns für p2 = m2u 2 , dessen Komponenten wir deshalb x und y nennen. Nach Abb. 135 erhält man x2 + y2 = m22u22 (m1v1 - x)2 + y2 = m12 u12 Abb. 135: Das Dreieck der beteiligten Impulse. Das Teilchen 2 ruht vor dem Stoß. Der Energiesatz lautet m1v12 = m1u12 + m2u22 Man eliminiert u12 und u22, v 1 wird als Parameter belassen. m 1 v 21 = m1 (m 1 v 1 − x) 2 + y 2 + m1 (x 2 + y 2 ) = m 1 v 21 − 2v 1 x + m1 x 2 + m1 y 2 + m1 x 2 + m1 y 2 1 2 1 1 2 2 1 x2 + 1 y2 0 = −2v 1 x + µ µ x 2 + y 2 − 2µv 1 x = 0 135 Durch Hinzufügen der quadratischen Ergäzung auf beiden Seiten erhält man (x − µv 1 ) + y 2 = (µv 1 ) 2 2 Abb. 136: Der Impuls des anfangs ruhenden Teilchens kann unterschiedliche Richtungen annehmen. Die Spitzen aller möglichen Impulsvektoren liegen auf einem Kreis. Bei gleichen Massen ist dies der Thaleskreis und es liegt ein rechter Winkel zwischen den Flugrichtungen nach dem Stoß. Es ergibt sich ein Kreis mit dem Radius und der Verschiebung µv1 (Abb. 136). m2 µv 1 = m v ist der um das Massenverhältnis reduzierte Anfangsimpuls des Teilm +m 1 1 chens 1. Wenn m1 = m2, liegt der Mittelpunkt des Kreises auf der Mitte des Vektors m1v1. D.h. die Spitzen der Vektoren m2u2 liegen auf dem Thaleskreis. Die Bewegungsrichtungen der Teilchen bilden nach dem Stoß einen rechten Winkel. e) Der inelastische Stoß Abb. 137: Beim volständig inelastischen Stoß kleben die Stoßpartner nach dem Stoß zusammen. Wenn die Wärmetönung Q bekannt ist, können u1 und u2 wieder aus Impuls- und Energiebeziehung berechnet werden. Wenn Q nicht bekannt ist, aber beide Körper nach dem Stoß aneinander kleben, spricht man vom vollkommen unelastischen Stoß (Abb. 137). Dann gilt u1 = u2 = u. u läßt sich alleine durch den Impulssatz bestimmen. m1v1 + m2v2 = (m1 + m2)u u= m1v1 + m2v2 m +m Beispiel: das ballistische Pendel 136 Abb. 138: Mit dem ballistischen Pendel läßt sich die Anfangsgeschwindigkeit von Geschossen mit Hilfe der Gesetze des inelastischen Stoßes bestimmen. Zur Bestimmung der Geschwindigkeit eines Geschosses schießt man in einen als Pendel aufgehängten Behälter, in dem das Geschoß stecken bleibt. Aus der Auslenkung des Pendels ergibt sich sofort mgh und daraus die kinetische Energie unmittelbar nach dem Stoß. 1 m u 2 = m gh 2 2 2 Nach den Stoßgesetzen gilt (immer m2 >> m1 und v2 = 0 vorrausgesetzt) m u = m1 v1 2 Durch Eliminieren von u erhält man 2 1 m 1 v 2 = gh 2 m2 1 m 2 v 21 = 2gh m 2 1 137 KAPITEL E Mechanik von Flüssigkeiten und Gasen 1. Vorbemerkungen über Gase, Flüssigkeiten und feste Körper Gase, Flüssigkeiten und Festkörper sind Vielteilchensysteme. Die einzelnen Teilchen bewegen sich nach den Gesetzen der Mechanik im Kraftfeld der übrigen Teilchen und der Außenwelt. Die inneren Kräfte sind am größten im festen Körper, wo sie nur ein Schwingen der Atome um ihre Ruhelage zulassen, schwächer in der Flüssigkeit, wo eine Verschiebung der Atome gegeneinander möglich ist und die schnellsten Atome den Verband verlassen können. Im Gas bewegen sich die Teilchen überwiegend frei zwischen kurzzeitigen Wechselwirkungen beim Stoß mit anderen Teilchen oder der Wand. Durch die Vielzahl der Stöße wird eine Kraft auf die Wand ausgeübt, die sich als Druck bemerkbar macht. Flüssigkeiten und Gase zeigen gemeinsam keine Formstabilität, mit Ausnahme von Flüssigkeiten in kleinen Mengen, die zur Tropfenbildung neigen. Flüssigkeiten unterscheiden sich von Gasen sehr stark in der Dichte. Die Dichte von Wasser, 1kg/l ist typisch für Flüssigkeiten, die von Luft, 1,3g/l typisch für Gase. Gase sind im Gegensatz zu Flüssigkeiten stark komprimierbar. Eine ideale Flüssigkeit ist nicht komprimierbar und hat keine Scherkräfte, d,h, Kräfte, die bei der Verschiebung zweier Flüssigkeitsschichten gegeneinander auftreten, d.h. keine Viskosität. 2. Druck in Gasen Abb. 139: Auf einer genügend kleinen Fläche bemerkt man die Stöße der einzelnen Teilchen. Der Druck wird durch die Stöße der Teilchen mit der Wand verursacht. Die Kraftwirkung auf eine genügend kleine Fläche der Wand besteht aus einer Folge von Kraftimpulsen. Der Mittelwert der Kraft wird durch Verschmierung über die Zeit t0 erhalten. Ft 0 = ∫ F(t)dt F = 1 ∫ F(t)dt t0 138 Wir nehmen an, alle Teilchen haben eine Geschwindigkeit v auf die Wand zu. Die Teilchendichte n, d.h. die Anzahl der Teilchen pro Volumen, und ihre Masse sei bekannt. Der Druck auf die Fläche soll berechnet werden. Die Größe ∫ F(t)dt nennt man Kraftstoß. Sie ergibt sich aus Newtons Bewegungsgleichung. • P = F(t) durch Integration. Der Impuls ist hier groß geschrieben, um ihn vom Druck p zu unterscheiden ∫ F(t)dt = P 2 − P 1 = 2mv Stößt ein Teilchen mit dem Anfangsimpuls mv auf eine Wand, so kehrt der Impuls um wie bei einem Stoß mit einer unendlich großen Masse. Die Impulsänderung ist also 2mv. Damit wird F = 1 ∫ F(t)dt = 2mv t0 2 für z Stöße F = 2mv z = 2mvν t ν ist die Stoßfrequenz. Für einen Teilchenstrahl, der senkrecht zur Fläche gerichtet ist, braucht man nur alle Teilchen abzählen, die in der Zeit t auf die Fläche treffen werden. Das sind in Abb. 140 alle Teilchen, die sich in dem Volumen der Grundfläche A und der Höhe vt befinden. Abb. 140: Die Stoßzahl auf eine Wand läßt sich durch die Dichte und Geschwindigkeit der Teilchen ausdrücken. ν = N = nAvt = nAv t t und F = 2mnv 2 A 139 Der Druck ist definiert als p = F mit der Dimension [p] = N2 = Pa (Pascal). Der normale A Druck der Atmosphäre ist 1bar = 105 N/m2. Der Druck, den ein Teilchenstrahl ausübt, ist also p = 2mnv2. Bei isotroper Geschwindigkeitsverteilung fliegen sicher weniger Teilchen auf die Wand als bei einem auf die Wand gerichteten Teilchenstrahl. Bei korrekter Vorgehensweise muß man eine Mittelung über alle Geschwindigkeiten in Richtung und Größe vornehmen. Die Mittelung hat allerdings nur einen Einfluß auf einen Faktor vor dem Ausdruck für den Druck auf die Wand. Die Abhängigkeit kommt korrekt heraus, wenn man statt der Mittelung von davon ausgeht, daß alle Teilchen die gleiche Geschwindigkeit besitzen. Der Druck muß unabhängig von der Form des Gefäßes sein. Wir dürfen daher annehmen, das Gas befände sich in einem Würfel. Auf jede Fläche ströme 1/6 aller Teilchen. Die Zahl 6 rührt von den drei Dimensionen mit ihren je zwei Richtungen her. Abb. 141: Wegen der Isotropie der Geschwindigkeitsverteilung treffen auf jede Wand eines Würfels nur 1/6 aller Teilchen. Die Stoßzahl ist jetzt ν = 1 nAv 6 und damit p = 1 nmv 2 3 Man geht zurück auf die Gesamtzahl der Teilchen N = nV pV = 1 Nmv 2 3 und definiert 1 mv 2 = 3 kT mit der Boltzmannkonstanten k = 1,38 10-23 J/K und erhält die allge2 2 meine Zustandsgleichung für ideale Gase 140 pV = NkT Hieraus folgt, da individuelle Eigenschaften der einzelnen Gase nicht vorkommen, der Satz von Avogadro: Zwei verschiedene Gase mit gleichem p,V und T enthalten die gleiche Anzahl der Teilchen In einem Gasgemisch muß für N die Gesamtzahl der Teilchen eingesetzt werden, dabei ist zu beachten, daß man in einem ionisierten Gas die freien Elektronen als Teilchen mitzählen muß. Die Menge des Gases, die die Avogadrozahl NA = 6·1023 Teilchen enthält, nennt man ein Mol. 1 Mol wiegt in g soviel, wie das Atomgewicht ausmacht. Führt man die Anzahl der Mole nm = N/NA ein, schreibt sich die Zustandsgleichung pV = n m (kN A )T Und nach einführen der Gaskonstante R = kNA = 8,3 J/K erhält man die übliche Form pV = n m RT (10) Die Zustandsgleichung für ideale Gase enthält die Sonderfälle des Boyle - Mariotteschen Gesetzes pV = const für T = const und des Gay - Lussacschen Gesetzes p/T = const für V = const. 3. Hydrostatik Die Hydrostatik befaßt sich mit den Druckverhältnissen in ruhenden Flüssigkeiten. Druck ist in Flüssigkeiten und Gasen isotrop, d.h. unabhängig von der Ausrichtung der Fläche auf der er ausgeübt wird. a) Das Eigengewicht ist vernachlässigbar Wenn das Eigengewicht keine Rolle spielt, ist ist der Druck sogar in der ganzen Flüssigkeit konstant. Drückt man einen Kolben in ein Gefäß, sodaß keine Kompressionsarbeit im Medium verrichtet wird, muß nach dem Energiesatz gelten F1s1 = F2s2 und wegen der Konstanz des Volumens 141 Abb. 142: Die Tatsache, daß - bei Vernachlässigung des Eigengewichtes der Druck in einer Flüssigkeit überall gleich ist, folgt aus dem Energiesatz A1s1 = A2s2 Durch Division beider Gleichungen ergibt sich F1 F2 also p1 = p2 = A A Man nutzt die gleichmäßige Druckausbreitung in Flüssigkeiten in der Hydraulik zur Krafttransformation aus, z.B. in Hebebühnen, Bremsen, oder zur Kraftübertragung zur Bewegung von Maschinenteilen wie Flugzeugrudern, Baggerarmen und dergleichen. b) Druck aufgrund des Eigengewichts α) Zylindrisches Gefäß Abb. 143: In einem zylindrischen Gefäß ist der Druck am Boden die Gewichtskraft des Wassers geteilt durch die Bodenfläche. In einem zylindrischen Gefäß hat man am Boden den Druck F G ρVg ρhAg = = = ρhg A A A (11) Dies ist der Satz von Stevin (Simon Stevin 1548 - 1620). Er bildet die Grundlage zum Messen von Drucken mit flüssigkeitsgefüllten U - Rohren. Eine 10 m hohe Wassersäule macht einen Druck von 10·103·9,81 Pa ≈ 1 bar. Sie kann daher vom Luftdruck im Gleichgewicht gehalten werden. Größere Saughöhen von Wasserpumpen sind nicht möglich. Da die Dichte von Quecksilber 13,5 mal so hoch ist, wie die von Wasser, entsprechen 740 mm Hg - Säule 1 bar. 142 1 mm Quecksilbersäule übt den Druck von 1 Torr aus. Die Einheit Torr ist nach dem italienischen Physiker Evangelista Torricelli (1608 - 1647) benannt. β) Das hydrostatische Paradoxon Abb. 144: In diesem Gefäß ist der Druck genau so groß wie in einem zylindrischen mit gleicher Grundfläche und damit kleiner als das Gewicht der Flüssigkeit geteilt durch die Bodenfläche Der Druck durch das Eigengewicht einer Flüssigkeit ist unabhängig von der Form des Gefäßes. In dem in Abb. 144 dargestellten Gefäß ist er z.B. kleiner als das Gesamtgewicht des Wassers geteilt durch die Grundfläche. Den Grund für dieses Verhalten versteht man am besten, wenn man sich vorstellt, man führe in ein mit Flüssigkeit gefülltes Gefäß wie in Abb.145 eine Trennwand ein, so daß zunächst beide Teilvolumen verbunden bleiben. Durch das Einbringen dieser Wand ändern sich die Druckverhältnisse nicht. Versperrt man jetzt die Verbindung der beiden Teilvolumina, ändert sich noch immer nichts am Druck. Nimmt man jetzt die Flüssigkeit aus dem oberen Teil des Gefäßes, ändert sich am Druck wieder nichts, weil keine Verbindung zwischen den Teilvolumina bestand. Die kleinere Wassermenge erzeugt den gleichen Druck wie die ursprüngliche größere. Die fehlenden Kräfte werden durch Reaktionskräfte der Zwischenwand erzeugt. Abb. 145: In dem durch die gestrichelten Flächen abgeteilten Teilvolumen ist der Druck genau so groß wie in dem gesamten Volumen. c) Der Auftrieb α) Satz von Archimedes Ein in eine Flüssigkeit eingetauchter Körper erfährt aufgrund des Satzes von Stevin auf seiner Unterseite eine größere Kraft als auf seiner Oberseite. Die Resultierende ist die Auftriebskraft. Bei einem Quader der Grundfläche A und der Höhe h ist die Kraft auf die Grundfläche FU = ρFlg(H+h)A, auf die Deckfläche FO = ρFlgHA. Die Gesamtkraft FA = FO - FU = ρFlghA ist 143 Abb. 146: Durch den Druckunterschied zwischen der oberen und unteren Begrenzungsfläche des Würfels entsteht ein Auftrieb. gleich dem Gewicht der verdrängten Flüssigkeit. Einen Körper beliebiger Form denkt man sich aus derartigen Quadern zusammengesetzt. Man erhält den Satz von Archimedes: Der Auftrieb ist gleich dem Gewicht der verdrängten Flüssigkeitsmenge Nach Stevin beweist man den Satz wie folgt: Man ersetzt einen Körper beliebiger Form durch einen Flüssigkeitskörper der gleichen Form. Dieser wird in Ruhe bleiben, da jetzt ja eine homogene Flüssigkeit vorliegt, für die es keinen Anlaß gibt, sich zu bewegen. Er erfährt also einen Auftrieb, der gleich seinem Gewicht ist. Da bei dem ursprünglichen Körper alle äußeren Verhältnisse die gleichen sind, ist auch der Auftrieb gleich. Im folgenden werden einige Anwendungen des Satzes von Archimedes gezeigt. β) Schiffshebewerke Da bei schwimmenden Körpern die verdrängte Flüssigkeit soviel wiegt wie der gesamte Körper, wird ein Wasserbecken, in das ein Schiff fährt, dadurch nicht schwerer. Man kann also zum Heben von Schiffen in solchen Becken das Gewicht durch ein Gegengewicht ausgleichen und muß nur noch die Reibungskräfte überwinden. γ) Bestimmung der Dichte eines Körpers Man wägt einen Körper in Luft, erhält das Gewicht FL = mKg, taucht ihn in Wasser und erhält das Gewicht FW = mKg - VKρWg. Der zweite Term berücksichtigt den Auftrieb. VK ist das Volumen des Körpers, ρW die Dichte des Wassers. Durch Division beider Gleichungen erhält man ρW VKρW FW =1− m =1− ρ K K FL ρK = 1 ρ W F 1 − FW Da nur das Verhältnis der Gewichte eingeht, kann man die Wägung mit einer ungeeichten Feder durchführen. Mit dieser Methode konnte Archimedes angeblich die Echtheit einer goldenen Krone überprüfen. Gold hat eine deutlich höhere Dichte als die Metalle, mit denen man es 144 fälschen kann. Die Methode ist auch geeignet, um bei bekannter Dichte eines Körpers die einer Flüssigkeit zu bestimmen. δ) Das Aräometer Abb. 147: Im Aräometer wird der Auftrieb zu Bestimmung der Dichte einer Flüssigkeit ausgenutzt. Das Aräometer ist ein Schwimmkörper zur Bestimmung der Dichte einer Flüssigkeit, z.B. zur Messung von Konzentrationen. Jeder schwimmende Körper sinkt so tief ein, bis die verdrängte Flüssigkeit genau so viel wiegt, wie der gesamte Körper. Wenn die Flüssigkeit spezifisch schwerer ist, wird deshalb der Körper weniger tief einsinken als wenn sie leichter ist. Um eine möglichst empfindliche Anzeige zu machen, wird der Körper wie in Abb. 147 geformt. Dadurch verdrängt er im Bereich der Anzeige nur wenig mehr, wenn er eine größere Höhe eintaucht. d) Die Barometrische Höhenformel Da Luft komprimierbar ist, ändert sich mit dem Druck die Dichte = ρ kT p = NkT = Nm kT m V V m (12) m ist die Masse eines Moleküls. Dadurch ist der Satz von Stevin, der für konstante Dichte abgeleitet wurde, nicht mehr gültig. Um den Druck in Abhängigkeit von der Höhe p(h) zu berechnen, teilt man die Luftsäule in Schichten der Höhe ∆h, die so klein sind, daß sich innerhalb p nicht ändert. Dann gilt ∆p = −ρg∆h Abb. 148: In der Athmosphäre gilt der Satz von Stevin wegen der Kompressibilität der Luft nur für kleine Höhenunterschiede. 145 (Der Druck nimmt mit steigender Höhe ab). dp wird über Gleichung (12) durch dρ ersetzt. dp = kT m dρ also kT dρ = −ρgdh m ρ wird auf die linke Seite geschafft dρ mg = − dh ρ kT Integration rechts und links: ∫ρ ρ 0 ρ dρ ρ ρ = [ln ρ] ρ 0 = ln ρ 0, ln ρ/ρ 0 = − ergibt ∫ h dh = h mgh kT rechts und links wird der Exponent gebildet, und dabei ausgenutzt, daß elnx = x. ρ mgh/kT = e −E pot /kT ρ0 = e (13) Wegen Gleichung (12) ist das Verhältnis der Dichten gleich dem der Drucke. Schreibt man außerdem den Exponenten in dimensionsloser Form, erhält man p −h/h 0 p0 = e mit h0 = 8000m. Dichte und Druck fallen bei konstanter Temperatur exponentiell ab (Abb. 149). Da die Temperatur in K gemessen wird, ist die Annahme konstanter Temperatur nicht allzu kühn. Bei h = h0 hat der Druck auf 1/e abgenommen. Abb. 149: Die Abnahme der Dichte der Luft mit der Höhe nach der barometrischen Höhenformel. 146 e) Die Oberflächenspannung α) Was ist Oberflächenspannung? Kräfte zwischen den Molekülen der Flüssigkeit (Kohäsionskräfte) und zwischen der Flüssigkeit und einer Wand (Adhäsionskräfte) modifizieren das Verhalten der Flüssigkeit über kleine Distanzen, z.B. in Tropfen und in wandnahen Zonen. Diese Phänomene beschreibt man durch Oberflächenspannung. Im Innern einer Flüssigkeit heben sich alle Kohäsionskräfte auf. An der Oberfläche sind nur ein Teil der Kohäsionskräfte vorhanden (s. Abb.150). Abb. 150: Auf Teilchen an der Oberfläche wirkt eine andere Gesamtkraft durch die Nachbarteilchen als auf Teilchen im Innern. Ein Teilchen hat durch diese Kräfte an der Oberfläche eine höhere Energie als im Zentrum. Die Kräfte besitzen eine Reichweite von etwa 10-7cm. Da die Flüssigkeit bestrebt ist, den Zustand kleinster Gesamtenergie einzunehmen, hält sie die Oberfläche möglichst klein. Dieses Bestreben, die Oberfläche zusammen zu ziehen, erscheint wie eine Kraft, die tangential zur Oberfläche wirkt und die zusätzlich zur Gravitation auftritt. Beim Vergrößern der Oberfläche um ∆A muß eine Energie ∆E aufgebracht werden, die proportional zur Oberfläche ist. ∆E = σ∆A (14) σ ist die Oberflächenspannung. Sie hat nach ihrer Definition in Gleichung (13) die Dimension [σ] = Nm2 = Nm −1 σ = 0,008N/m für Wasser. σ ist stark von der Verunreinigung abhängig. Zieht man mit einem Drahtbügel eine Flüssigkeitslamelle aus einer Oberfläche, so ist Fs = ∆E = σ∆A = 2σls 147 Abb. 151: Zur Messung der Oberflächenspannung wird mit einem Drahtbügel eine Lamelle aus der Flüssigkeit gezogen. Die Lamelle hat eine Oberfläche 2l·s (rechts). σ = F/2l Der Faktor 2 rührt daher, daß eine Flüssigkeitslamelle zwei Oberflächen besitzt (s. Abb. 151), und daher ihre Gesamtoberfläche 2sl ist. Die Kraft ist nicht von der Fläche sondern nur von der Länge, über die F angreift, abhängig. Die Oberflächenspannung kann man zur Beeinflussung der Benetzung einer Fläche und zur Herstellung von Minimalflächen anwenden. Ihre Messung dient z.B. zur Bestimmung der Reinheit einer Flüssigkeit. β) Die Seifenblase Abb. 153: Die Arbeit, eine Seifenblase um ∆r aufzublasen. Um den Druck in einer Flüssigkeitskugel aufgrund der Oberflächenspannung auszurechnen, betrachten wir die Arbeit ∆E, die der innere Druck p bei einer Vergrößerung des Radius um ∆r leistet. ∆E p = F∆r = pA∆r = p4πr 2 ∆r Dies entspricht einer Vergrößerung der Oberflächenenergie ∆E O = σ∆A Da A = 4πr2 folgt durch Differentiation dA = 8πr und damit ∆EO = σ8πr∆r. Die hineingedr steckte Arbeit wird in Energie der Oberfläche gewandelt. Also gilt ∆Ep = ∆EO und damit 148 p4πr2∆r = σ8πr∆r p = 2σ r Wegen der äußeren und inneren Oberfläche der Haut einer Seifenblase gilt für diese p = 4σ r Der Druck in einer kleinen Seifenblase ist größer als in einer großen. γ) Die Haftspannung Abb. 153: Die Wölbung der Oberfläche am Rand hängt mit den Oberflächenspannungen an den verschiedenen Grenzflächen zusammen. Wenn wir bisher von Oberflächenspannung gesprochen haben, haben wir an die Grenzfläche zwischen Flüssigkeit und Luft gedacht. Natürlich gibt es auch eine Oberflächenspannung an der Grenzfläche zwischen Flüssigkeit und einer Wand. Der Koeffizient der Oberflächenspannung hängt von dem angrenzenden Medium ab. Im Randbereich von Flüssigkeiten in Gefäßen sind daher drei verschiedene Oberflächen mit den Kräften Fik = σikl maßgeblich (s. Abb. 153). Die Neigung der Oberfläche stellt sich so ein, daß - wenn möglich - sich diese drei Kräfte im Gleichgewicht befinden. Da alle drei Kräfte an der gleichen Randlänge l angreifen, kann man bei der Aufstellung der Kräftebilanz statt der Kräfte die ihnen proportionalen Oberflächenspannungen σik verwenden. σH = σ23 - σ13 ist die Haftspannung (s. Abb. 154). Wenn σH > 0, ist die Flüssigkeit nicht benetzend wie in Abb. 154. Die Neigung der Oberfläche stellt sich so ein, daß sich die Komponenten der Kräfte in Wandrichtung kompensieren σ12cosθ = σH 149 Abb. 154: Benetzende und nicht benetzende Flüssigkeiten. Für σH < 0 ist die Flüssigkeit benetzend. cosθ ist dann kleiner 0 und der Winkel θ wird stumpf. Für |σH | > σ12 nennt man die Flüssigkeit vollständig benetzend. Sie kriecht an der Wand hoch. δ) Kapillarität In Röhrchen, die in eine Flüssigkeitsoberfläche getaucht werden und die dünner sind als die Ausdehnung der Randzone, steigen benetzende Flüssigkeiten auf (Abb. 155), nicht benetzende werden nach unten gedrückt. Die Flüssigkeitsoberfläche nimmt Kugelgestalt an, da dies eine Minimalfläche bei festem Volumen ist. Man kann also die Formel für den Innendruck von Kugeln verwenden und diesen dem hydrostatischen Druck gleichsetzen. ρgh = 2σ R Diese Formel erlaubt es, aus der gemessenen Steighöhe auf die Oberflächenspannung zu schließen, wenn man den Krümmungsradius der Oberfläche ermittelt. Manchmal wird statt dessen auch der Haftwinkel θ gemessen. Dieser hängt mit R zusammen (s. Abb. 155) über cosθ = r/R. Abb. 155: Bei genügend dünnen Kapillaren ist die Oberfläche kugelförmig, und man kann mit dem Druck von Kugelflächen rechnen. 150 Abb. 156: Die Stromlinie ist eine Kurve, die überall tangential zur Geschwindigkeit verläuft. 4. Hydrodynamik a) Das Geschwindigkeitsfeld α) Grundbegriffe Die Strömung einer Flüssigkeit beschreibt man durch das Geschwindigkeitsfeld v(x,t). Die Kurven, die in jedem Punkt tangential zu v verlaufen, nennt man die Stromlinien. Durch jeden Punkt läuft eine Stromlinie. In diesem Sinne ist die Anzahl der Stromlinien unendlich. Ist v nicht explizit von der Zeit abhängig, nennt man das Geschwindigkeitsfeld stationär und die Stromlinie ist mit der Bahn eines Teilchens identisch. Die Zeitableitung der Geschwindigkeit ∂v an einem Ort schreibt man , die für ein Flüssigkeitsteilchen dv . Die letztere nennt man ∂t dt auch die substantielle Ableitung. In einer stationären Strömung ist also ∂v = 0 . Eine Flußröhre ∂t ist eine Röhre, deren Wand parallel zu den Stromlinien liegt. β) Der Fluß Φ Das Volumen, das pro Sekunde durch die Fläche A tritt, nennt man den Fluß durch diese Fläche. Nach dem in Kapitel C.2.c gesagten errechnet sich der Fluß aus Φ = ∫ v • dA Für eine Strömung, bei der die Geschwindigkeit über den Querschnitt konstant ist, vereinfacht sich dies zu Φ = v • A = vAcosα = v ⊥ A Abb. 157: Der Fluß durch die Kontrollflächen 1 und 2 ist im stationären Zustand gleich. 151 wobei v⊥ die Geschwindigkeitskomponente senkrecht zur Fläche A ist. Der Fluß, der durch eine bestimmte Kontrollfläche einer Flußröhre fließt, ist unabhängig von der genauen Form der Kontrollfläche. γ) Die Kontinuitätsgleichung Hat man keine Quellen (b.z.w. Teilchenverluste) in einer stationären Strömung, gilt Massenerhaltung, d.h. die gesamte Masse, die pro Sekunde durch eine Fläche strömt, ρΦ = ρv⊥A ist an jeder Stelle der Flußröhre die gleiche. ρv ⊥ A = const entlang der Flußröhre In einer inkompressiblen Flüssigkeit ist ρ = const und daher Av ⊥ = const entlang der Fluß- röhre. d.h. bei Querschnittsverengungen muß die Geschwindigkeit entsprechend erhöht sein. Dieser Effekt ist aus dem täglichen Leben bei Menschenströmen durch einen schmalen Durchlaß bekannt. δ) Anzahl der Stromlinien Zur graphischen Veranschaulichung eines Strömungsfeldes zeichnet man eine beliebige aber endliche Zahl von Stromlinien. Da in einer inkompressiblen stationären Strömung die Zahl der Stromlinien in einer Flußröhre konstant ist, und ebenso der Fluß Φ konstant ist, ist Φ proportional zur Anzahl der Stromlinien N: Φ ~ N. Die Ausdrucksweise "Zahl der Stromlinien" bekommt dadurch einen quantitativen Sinn. Wenn wir "Zahl der Stromlinien" sagen, meinen wir den Fluß oder eine zum Fluß proportionale Größe. Da außerdem Φ = v⊥A, ist v⊥ ~ Φ/A. Die Geschwindigkeit läßt sich aus der Stromliniendichte ablesen. z.B. muß in einer Windströmung über ein Hausdach die Geschwindigkeit des Windes im Firstbereich größer sein als in der ungestörten Strömung. Bei Geschwindigkeiten, die sehr viel kleiner als die Schallgeschwindigkeit sind, kann die Kompressibilität der Luft im allgemeinen vernachlässigt werden. Abb. 158: Über dem Hausdach ist die Windgeschwindigkeit größer als in der ungestörten Strömung. 152 b) Die Bewegungsgleichung α) Die Eulerschen Gleichungen Abb. 159: Kräfte auf ein Volumenelement. In einer Stromröhre mit veränderlichem Querschnitt soll sich Flüssigkeit unter dem Einfluß des Druckes in x - Richtung bewegen. Die Kräfte auf ein Flüssigkeitsvolumen der Größe dV = dAdx (s. Abb. 159) werden betrachtet, wobei äußere Kräfte Fext (z.B. Gravitation) und Druckkräfte Fp = pdA unterschieden werden. Kräfte, Masse, und potentielle Energie werden auf ein Einheitsvolumen bezogen. f = dF , dV ρ = dm dV Dann gilt für die Kraft auf das Volumen in eine Richtung x, da die Gesamtkraft die Differenz der Kräfte auf die Stirnflächen ist, dFp = pdA - (p + dp)dA = -dAdp= -dA(dp/dx)dx dF p = − fp = − dp dV dx dp dx Die Gravitationskräfte pro Volumen schreiben sich fG = dF G dmg = = ρg dV dV Dividiert man die Newtonsche Bewegungsgleichung durch das Volumen, erhält man • ρv =− dp + ρg dx 153 Im dreidimensionalen Raum gilt für jede Koordinate eine solche Gleichung • ∂p • ∂p • ∂p ρ v x = − dx + f ext,x ρ v y = − ∂y + f ext,y ρ v z = − ∂z + f ext,z Indem man den Vektor schreiben ∂p ∂x ∂p ∂y ∂p ∂z = gradp einführt, kann man die Bewegungsgleichung vektoriell • ρ v = − gradp + f ext (15) gradp ist ein Vektor, der die Größe und Richtung der Druckkräfte anzeigt. Gleichung (15) • nennt man die Eulerschen Gleichungen für die Bewegung veiner nichtviskosen Flüssigkeit. ist die substantielle Ableitung dv . Wenn die Bahn eines Massenteilchens x(t) ist und die Strödt mung eindimensional und stationär verläuft, wird dv(x) dv dx = = v dv dt dx dt dx Obgleich alle Zeitableitungen verschwinden (es wurde eine stationäre Strömung vorausgesetzt), ergibt sich eine Geschwindigkeitsänderung. Diese entsteht dadurch, daß sich Teilchen im Verlaufe ihrer Bewegung in Gebieten unterschiedlicher Geschwindigkeit aufhalten. Vektoriell ergibt sich dieser "konvektive Term" zu (v•∇)v. c) Der Satz von Bernoulli α) Herleitung Durch Integration der Bewegungsgleichung über den Ort erhält man den Energiesatz, durch Integration der Eulerschen Gleichungen den Satz von Bernoulli. Für eine eindimensionale Strömung (z.B. entlang einer Flußröhre) gilt 154 Abb. 160: Eine Flußröhre ist von Stromlinien ummantelt d 1 ρv 2 = ρv dv = ρv dv dt = ρ v• (oder vektoriell grad 1 ρv 2 = ρ v• ) 2 ds 2 ds dt ds Wenn die äußeren Kräfte ein Potential haben, ist F ext = − d E pot ds f ext = − d e pot ds (oder vektoriell Fext = -grad Epot) wobei e pot = Die Druckkräfte haben die Form f p = − dp ds dE pot dV (oder vektoriell f p = −gradp) Damit lautet die Eulergleichung d 1 ρv 2 + d p + d e = 0 pot ds ds 2 ds Integriert man über die Koordinate entlang der Flußröhre s, erhält man die Bernoulli Gleichung (Daniel Bernoulli, 1700 - 1782) 1 ρv 2 + p + e = const pot 2 (16) In dieser Gleichung ist der Sonderfall der Hydrostatik enthalten. Indem v = 0 gesetzt wird, ergibt sich der Satz von Stevin einschließlich der gleichmäßigen Ausbreitung der von außen aufgeprägten Drucke. Das früher schon mal behandelte Ausströmen aus einem Loch am Boden eines Gefäßes erhält man, indem man an den beiden Stellen 1 und 2 (Abb. 161) den Umgebungsdruck p1 = p2 = p einsetzt, und das ganze Gefäß als Stromlinie ansieht. Mit v1 = 0, v2 = v, ρgh1= 0, ρgh2 = ρgh wird Bernoullis Satz dann 1 ρv 2 + p = ρgh + p und 2 v = 2gh 155 Abb. 161: Die maximale Ausströmgeschwindigkeit ergibt sich aus dem Satz von Bernoulli. Abb. 162: Druckverhältnisse in einer Düse Was wir schon kennen. Für Strömungen, in denen die Potentialunterschiede keine Rolle spielen, setzen wir in der Bernoulli Gleichung epot,1 = epot,2 und erhalten 1 ρv 2 + p = 1 ρv 2 + p 1 2 2 1 2 2 Mit dieser Gleichung ergibt sich in einer Verengung in einer Düse wie in Abb. 163 der geringste Druck in der Strömung. Diese Tatsache erscheint zunächst paradox, da man meint, hier müßte sich das strömende Medium zusammendrücken und damit auch einen höheren inneren Druck verursachen. Man nennt dieses Ergebnis daher manchmal auch das hydrodynamische Paradoxon. Der Demonstrationsversuch zeigt, daß in der Tat in der stärksten Verengung der Druck am kleinsten ist. Der Physikalische Grund liegt darin, daß in der Düse aufgrund der Kontinuitätsgleichung die größte Geschwindigkeit vorliegen muß. Diese Erhöhung der Geschwindigkeit bei Hineinfließen in die Verengung muß durch Druckkräfte erzeugt werden. Das ist nur möglich, wenn der Druck an der Stelle höherer Geschwindigkeit kleiner wird. β) Anwendungen Abb. 163: Die Venturidüse Die Druckerniedrigung in Verengungen wird in der Venturidüse zum Messen von Geschwindigkeiten ausgenutzt. In der Wasserstrahlpumpe (oder anderen Treibmittelpumpen) benutzt man den Unterdruck zum Pumpen, im Bunsenbrenner zum Ansaugen von Luft. Tragflächen 156 Abb. 164: Die Wasserstrahlpumpe Abb. 165: Die Wirkung des Tragflächenprofils haben ein Profil, das die Luft zum überwiegenden Teil über die Oberseite lenkt. Dadurch wird oben der Druck kleiner als unten, was zu einem Auftrieb führt: Fauf = (pu - po)A. Aus dem gleichen Grund werden Hausdächer durch den Wind nicht nach unten gedrückt, sondern nach oben gehoben. Abb. 166: Oben: Anordnung zur Messung des statischen Druckes. Mitte: Messung des Gesamtdruckes Unten: :Messung des Staudruckes mit dem Prandtlschen Staurohr. Den statischen Druck p in der Bernoulligleichung mißt man mit einem mit der Strömung schwimmenden Manometer. Da die Teilchen keine gerichtete Geschwindigkeit senkrecht zu den Stromlinien haben, kann man auch ein feststehendes Manometer benutzen, dessen Eintrittsöffnung parallel zu einer Stromlinie ausgerichtet ist. Richtet man die Eintrittsfläche senkrecht zur Stromlinie aus, so wird unmittelbar vor der Öffnung v = 0. Die Strömung ist hier also stark gestört. Für eine Stromröhre, die das Gebiet mit v = 0 durchsetzt, heißt dies, daß aufgrund der Bernoulli Gleichung p0 = ½ρv2 + p = 0 + p1 entlang der Stromlinie konstant ist. Der gemessene Druck ist gleich dem Gesamtdruck p0 der ungestörten Strömung. Das Prandtlsche Staurohr (Abb. 166 unten) mißt die Differenz p0 - p = ½ρv2 und kann daher zur Geschwindigkeitsmessung verwendet werden. 157 d) Innere Reibung von Flüssigkeiten α) Was ist Viskosität? Bei einer laminaren Strömung üben benachbarte Schichten, die eine unterschiedliche Geschwindigkeit haben, eine Kraft in Strömungsrichtung aus. Wegen der innigen Berührung dieser Schichten ist die Reibungskraft im Unterschied zu der Situation bei Festkörperobereflächen Abb.167: Die Viskosität rührt von Reibung zwischen benachbarten Flüssigkeitsschichten unterschiedlicher Geschwindigkeit her. zur Fläche der Schicht proportional. Nach Newton ist sie außerdem der Änderung der Geschwindigkeit senkrecht zur Strömungsrichtung proportional F x = ηA dv x dy η ist die Viskosität mit der Einheit [η] = Ns/m2 = Pas = kgm-1s-1 = 10 poise. Neben dieser sogenannten dynamischen Zähigkeit benutzt man auch die kinematische Zähigkeit ν = η/ρ oder die Fluidität σ = 1/η. Für ein Gas läßt sich die Viskosität aus einer mikroskopischen Beschreibung, der kinetischen Theorie, ermitteln. Die Anzahl der zwischen zwei benachbarten Gasschichten überwechselnden Teilchen ist nvthA, wenn vth die mittlere thermische Geschwindigkeit der Teilchen ist. Außerdem muß für die Größe des Impulses, den ein Teilchen mitbringt, m∆v, der Geschwindigkeitsunterschied zu der Schicht betrachtet werden, aus der der Impuls kommt, d.h., die die freie Weglänge λ von der betrachteten Schicht entfernt liegt. Entwickelt man die Strömungsgeschwindigkeit bezüglich der Koordinate x senkrecht zur Strömung und setzt für dx die freie Weglänge d.h. die Strecke, die ein Teilchen fliegt, ohne gestoßen zu haben ein, so erhält man ∆v = dv λ dx Die Kraft auf eine Schicht der Strömung ist dem Impulsübertrag auf diese Schicht pro Zeit proportional 158 F ∼ nv th A ⋅ m∆v = nmv th λA dv dx Man erkennt, daß sich der Newtonsche Ansatz reproduzieren läßt und daß Tab. 1: Die Viskosität von Wasser in Abhängigkeit von der Temperatur η ∼ nmv th λ Man beachte, daß die Viskosität um so größer wird, je seltener Stöße zwischen Teilchen stattfinden. Außerdem nimmt bei Gasen η mit der Temperatur zu (T ~ vth2). Bei Flüssigkeiten nimmt η mit steigender Temperatur ab, wie von Schmierölen bekannt ist. Die Temperaturabhängigkeit der Viskosität von Wasser ist in Tabelle I dargestellt. Empirisch läßt sich das Verhalten recht gut mit η(t) = aeb/T beschreiben. Um dies zu verstehen, stellt man sich die Flüssigkeitsschten als feste Schichten mit gewellter Oberfläche vor, die aneinander vorbei gleiten. Die thermische Bewegung entspricht einer Schüttelbewegung der Schichten. Hierdurch bleibt die Berührung auf die Erhebungen der gewellten Oberflächen beschränkt. Vornehmer ausgedrückt, müssen die Teilchen zum Platzwechsel einen Potentialwall überwinden. Aufgrund der Boltzmannverteilung nn ∼ e −∆E/kT geht dies bei höheren Tempera0 turen leichter. β) Die Grenzschicht Strömt Flüssigkeit laminar über eine Wand, so bleibt die wandnächste Schicht an dieser haften. In einem Bereich in der Nähe der Wand ändert sich die Geschwindigkeit, außerhalb liegt die ungestörte Strömung vor. Der Bereich, in dem sich v ändert, heißt die laminare Grenzschicht. In ihr treten viskose Kräfte auf. Die Dicke läßt sich durch folgenden Gedanken abschätzen: Wenn man eine feste Fläche parallel zu seiner Oberfläche um eine Distanz l durch die zähe Flüssigkeit zieht, leistet man die Arbeit 159 Abb. 168: Zur Definition der Schichtdicke W R = F R l = ηA dv l dy Geht man von einer linearen Geschwindigkeitsänderung aus und nennt die Halbwertsbreite v des Geschwindigkeitsprofils die Schichtdicke D, so ist dv = 0 und die Reibungsarbeit dy 2D W R = ηA v0 l 2D Nimmt man an, daß sich die geleistete Arbeit ganz in der kinetischen Energie der beschleunigten Flüssigkeit wiederfindet, so ist Av E kin = 1 mv 20 = 1 ρADv 20 = η 0 l 2 2 2D Dies ist eine Bestimmungsgleichung für die Schichtdicke. D= ηl v0ρ (17) Bei kleiner Viskosität ist die Schichtdicke klein, daher ist dv/dx groß, so daß die Reibungskräfte trotzdem groß sein können. γ) Die stationäre Rohrströmung i. Das Geschwindigkeitsprofil Nach dem Ansatz von Newton sind die Reibungskräfte auf eine zylindrische Flüssigkeitsschicht vom Radius r (Abb. 169) Abb. 169: Die Flächen konstanter Geschwindigkeit sind bei der Rohrströmung Zylinderflächen. 160 F z = η2πrl dv dr Die Kraft wird durch den Druck auf die Zylinderfläche mit dem Radius r aufgebracht Fz = Apπr2 Daher gilt dv = ∆p r dr 2lη Das positive Vorzeichen rührt daher, daß die Flüssigkeit bei in positiver x - Richtung abnehmenden Druck, eine in radialer Richtung abnehmende Geschwindigkeit erhält. Durch Integration ergibt sich v(r) = ∆p 2 r +C 4lη Die Integrationskonstante C bestimmt sich aus der Bedingung v(R) = 0. C=− und damit ∆p 2 R 4lη v(r) = ∆p 2 ∆p 2 2 (r − R 2 ) = − (R − r ) 4lη 4ηl Da r < R ergibt sich bei in positiver x - Richtung abnehmendem Druck eine Geschwindigkeit in x - Richtung. Die Geschwindigkeit besitzt in Abhängigkeit von der radialen Position ein Parabelprofil (Abb. 170). Die äußere Kraft ∆pπR2 kompensiert die Reibungskräfte. Sie ist proportional zu v(0). Abb. 170: Das Geschwindigkeitsprofil ist parabelförmig. ii. Die Durchflußmenge 161 Die Durchflußmenge (der Volumenstrom) durch einen schmalen Ring der Fläche dA = 2πrdr ist ∆p Φ = dV =vdA = π(R 2 r − r 3 )dr dt 2ηl Abb. 171: Das Flächenelement, über das hier integriert wird, ist ein Ring der Breite dr. Durch Integration erhält man das Hagen - Poiseuillesche Gesetz. dV = ∆p π R 2 R 2 − R 4 4 8ηl 2 dt dV = ∆p πR 4 dt 8ηl (18) 8ηl ist der Ströπ 4 mungswiderstand. Das Gesetz kann zur Bestimmung von η benutzt werden. Der Widerstand Das Hagen - Poiseuille Gesetz ist das Ohmsche Gesetz für Strömungen. wächst bei kleiner werdendem Radius mit R4.. Dies hat katastrophale Auswirkungen bei der Arterienverkalkung im Alter. δ) Das Stokessche Gesetz Abb. 172: Stromlinienbild einer umströmten Kugel. Bei der laminaren Umströmung einer Kugel rührt der Widerstand ebenfalls von der Reibung zwischen benachbarten Flüssigkeitsschichten her und nicht von einer direkten Impulsübertragung auf die Stirnflächen der Kugel. Ohne Reibung wären die Druckkräfte aufgrund des Satzes von Bernoulli bei symmetrischem Stromlinienbild symmetrisch. Die Teilchen gewinnen durch ein Druckgefälle von A nach B (Abb. 172) kinetische Energie, die es ihnen erlaubt, 162 gegen das Druckgefälle von B nach C anzulaufen. Die resultierende Kraft ist Null. Mit Reibung ergibt sich nach Stokes F = 6πηrv ε) Die Reynoldszahl Physikalische Probleme, die theoretisch nur unzureichend zu beschreiben sind, behandelt man häufig, indem man Unteresuchungen an Modellen macht und die Ergebnisse auf das ursprüngliche Problem überträgt. Dabei wird vorausgesetzt, daß sich das Modell und das ursprüngliche System ähnlich verhalten. Der Zusammenhang zwischen analogen Größen im Modell und im Original wird durch Skalierungsgesetze beschrieben. Abb. 173: Geometrisch ähnliche Figuren. Für geometrische Ähnlichkeit fordert man, daß das Verhältnis analoger Längen gleich bleibt. In dem Boot von Abb. 173 z.B. l1 h1 = l2 h2 Bei Ähnlichkeit bezüglich eines physikalischen Problems muß das Verhältnis anderer relevanter physikalischer Größen konstant bleiben. Ein solches Verhältnis ist eine dimensionslose Zahl. Bei laminaren Strömungsproblemen muß man fordern, daß außer der geometrischen Ähnlichkeit auch Ähnlichkeit bezüglich der Dicke der Grenzschicht besteht. Nach Gleichung (17): l1 D1 = = l2 D2 η1 l1 v1ρ1 η2 l2 v2ρ2 Daraus folgt, daß v1ρ1l1 v2ρ2l2 η1 = η2 163 vρl Re = η Die dimensionslose Zahl muß im ursprünglichen Problem und im Modell gleich groß sein, wenn die laminare viskose Strömung korrekt modelliert werden soll. Die Reynoldszahl kann als Verhältnis der Trägheitseinflüsse ½ρv2 und der Reibungseinflüsse ηv/l aufgefaßt werden. Eine föllig reibungsfreie laminare Strömung ist instabil, da in einer zufälligen lokalen Verengung der Strömung nach Bernoullli der Druck kleiner als in der Umgebung wird, so daß sich die Strömung weiter Abb. 174: Eine kleine Störung in einer reibungsfreien Strömung verstärkt sich auf Grund des Bernoulli Effektes. einschnürt. Dem wirkt die Viskosität entgegen, die Geschwindigkeitsunterschiede ausgleicht. Wenn die viskosen Kräfte klein sind, entsteht Turbulenz, d.h. ein Gemisch von Wirbeln verschiedener Größe, wodurch der Reibungswiderstand erhöht wird. Der Umschlag von laminarer in turbulente Strömung erfolgt für eine gegebene Anordnung bei einer bestimmten Reynoldszahl. Für Abschätzungen ist es manchmal gut, sich zu merken, daß der Umschlag bei Re = 1000 erfolgt. Der genaue Wert der Reynoldszahl hängt natürlich davon ab, auf welche charakteristische Länge man sie bezieht. Nimmt man die typische Größe von Wirbeln, erfolgt der Umschlag bei Re ≈ 1. Neben der Reynoldszahl gibt es in der Hydrodynamik eine ganze Reihe von dimensionslosen Zahlen: Machzahl, Prandtlzahl, Pitotzahl, Picletzahl, für Probleme der Stoßwellenbildung, des Wärmeübergangs an Oberflächen u.s.w. Oft führt die Forderung nach Einhaltung mehrerer Ähnlichkeitsbedingungen zu Widersprüchen, so daß ein Modell nur gewisse Aspekte eines physikalischen Problems simulieren kann. 164 KAPITEL F Mechanik starrer Körper 1. Das Modell des starren Körpers Der starre Körper ist ein Vielteilchensystem mit konstanten Abständen zwischen den Teilchen. In Realität gibt es keine volkommen starre Körper. Nach der Relativitätstheorie sind sie sogar prinzipiell unmöglich, da man sonst Signale mit einer größeren Geschwindigkeit als der Lichtgeschwindigkeit übertragen könnte. Für die Mechanik von Festkörpern ist der starre Körper ein gutes Modell, solange man sich nicht für elastische Verformungen, z.B. Wellen interessiert. Die Bewegung ist wie bei allen Vielteilchensystemen als Überlagerung einer Translation des Schwerpunktes und einer Rotation um den Schwerpunkt zu beschreiben. Die Bewegungsgleichung zur Translation ist identisch mit der eines Massenpunktes, der sich am Ort des Schwerpunktes aufhält • F ext = m ges v s (1) vs ist die Schwerpunktsgeschwindigkeit mit 1 r s = m ∫ rdm ges m ges = ∫ dm Die Rotation wird beschrieben durch M = dL , dt (2) wobei M das gesamte äußere Drehmoment und L der Drehimpuls ist. 2. Statik In der Statik bewegt sich der Körper nicht. Aus den Bewegungsgleichungen (1) und (2) folgt dann mit dvs/dt = 0 und dL/dt = 0 Σ M i,ext = 0 (3) 165 Abb. 175: Zur Definition des Drehmomentes und Σ F i,ext = 0 (4) Gleichung (3) ist das Hebelgesetz, wobei M = r × F . Für die Beträge heißt dies, M = rFsinα = lF. l = rsinα heißt der Kraftarm. Er ist nach Abb. 175 das Lot vom Drehpunkt auf die Kraftrichtung. Der Drehpunkt kann bei statischen Problemen beliebig gewählt werden. Man wählt zweckmäßigerweise einen Angriffspunkt einer der Kräfte als Drehpunkt. Dadurch verschwindet das Drehmoment dieser Kraft. Abb. 176: Die Drehrichtung der Garnrolle hängt von der Richtung des Drehmomentes bezüglich des Auflagepunktes ab. Als Beispiel betrachten wir die Garnrolle in Abb. 176. Bei Fadenstellung (2) bewegt sie sich nach rechts, bei Fadenstellung (1) nach links. Dies läßt sich sofort einsehen, wenn man den Berührungspunkt A als Drehpunkt betrachtet. Nimmt man statt dessen den Mittelpunkt der Rolle, muß man das Drehmoment durch die Reibungskraft an der Auflagestelle mit berücksichtigen. Zur vollständigen Lösung eines statischen Problems sind Gleichung (3) und (4) erforderlich. Beispiele: In Abb. 177 ist nach den Auflagekräften F1 und F2 gefragt. Lösung: Der Drehpunkt sei die linke Auflage. Die Gleichungen für Gleichgewicht lauten dann 166 Abb. 177: Ein einfaches Problem der Statik: Wie groß sind die Auflagekräfte? Σ Fi = 0 : F1 + F2 = FG Σ Mi = 0 : FGx = F1l Man erhält zwei Gleichungen für die Unbekannten F1 und F2 F 2 = F G 1 − x l F1 = FG x l Beispiel: Die angelehnte Leiter (Abb. 178). Abb. 178: Wann fängt die angelehnte Leiter an zu rutschen? Man kann wieder nach den Auflagekräften fragen, außerdem nach dem Winkel α, bei dem die Leiter anfängt zu rutschen. Die Grundgleichungen lauten: Σ F = 0: ΣM=0 F G = F1 + F4 F3 = F2 F G l cos α = F s l cos α + F 2 l sin α 2 Bei dem Grenzwinkel, bei dem die Leiter zu rutschen anfängt, sind die Reaktioskräfte gerade gleich den Reibungskräften, die wegem Ft = µFN gegeben sind durch 167 F3 = F1µ1 F4 = F2µ2 Man erhält also fünf Gleichungen für die vier unbekannten Kräfte und den Grenzwinkel α. Abb. 179: Eine Kugel in einer Mulde ist im stabilen, auf einer Kuppe im labilen und auf einer Ebene im indifferenten Gleichgewicht. Abb. 180: Die Kiste ist im stabilen Gleichgewicht, obgleich sich der Schwerpunkt oberhalb der unterstützenden Fläche Abb. 181: Zwei Fälle von labilem Gleichgewicht Ob ein System im Gleichgewicht bleibt, muß durch eine Stabilitätsbetrachtung geklärt werden. Dazu entfernt man das System etwas aus der Gleichgewichtslage und sieht zu, ob es in die Gleichgewichtslage zurückkehrt. Wenn ja, ist das System stabil, wenn die Abweichung vom Gleichgewicht wächst, ist das System labil, sonst indifferent. Die Abbildungen 179- 181 zeigen einige Situationen zur Illustrierung der verschiedenen Gleichgewichtsbegriffe. In Abb. 181 b handelt es sich um ein dynamisches System, etwa ein in eine Drehbank eingespanntes Kabel. Liegt dieses in der Achse des Drehfutters, befindet es sich im Gleichgewicht. Die kleinste Ausbeulung führt zu Zentrifugalkräften, die bestrebt sind, die Ausbeulung zu vergrößern. 3.Grundbegriffe zur Beschreibung einer Rotation a) Das Trägheitsmoment Bei der Rotation eines starren Körpers führen alle Teilchen eine Kreisbewegung mit der gleichen Winkelgeschwindigkeit ω aus. ω zeigt in Richtung der momentanen Drehachse, für die wir im folgenden die z - Achse wählen. ω kann sich im Laufe der Bewegung relativ zum Körper oder im Raum ändern. Versuche mit dem Gyroskop und einem unsymmetrischen Kreisel demonstrieren beide Effekte. Im folgenden wird vorrübergehend eine körper- und raumfeste Achse angenommen. 168 Zur Berechnung der dynamischen Größen wird der Körper in Massenelemente ∆mi unterteilt. Damit können die in Kapitel C.4 eingeführten Größen für die Drehbewegung eines Massenpunktes benutzt werden. Wenn Mi das Drehmoment auf das ite Massenelement ist, schreibt sich die Bewegungsgleichung • • M 1 + M 2 + ... = ∆m 1 r 21 ω + ∆m 2 r 22 ω +.. Da alle Massenelemente mit der gleichen Winkelgeschwindigkeit rotieren, kann man diese ausklammern und erhält • M ges = J ω Hierin ist (5) J = lim ∆m→0 Σ r 2i ∆m i = ∫ r 2 dm (6) das Trägheitsmoment bezüglich der betrachteten Achse. ri ist der Abstand des Massenelementes ∆mi von der Achse. Die Rotationsenergie ergibt sich zu E rot = Σ 1 v 2i ∆m i = 1 Σ r 2i ∆m i ω 2 2 2 E rot = 1 Jω 2 2 (7) b) Der Drehimpulsvektor Abb.182: Hier zeigt der Drehimpulsvektor nicht in Richtung der Drehachse Für einen Massenpunkt gilt L = ms × v . L zeigt also im allgemeinen nicht in Richtung der Drehachse (s. Abb. 182). Die Komponente des Drehimpulses in Richtung der Drehachse ist L z = L sin α = msvsin α = mr 2 ω 169 Für einen kontinuierlichen Körper gilt daher L z = ω ∫ r 2 dm = J (z) ω Abb. 183: Bei axialsymmetrischen Körpern zeigt der Drehimpuls entlang der Achse. Ist der Körper symmetrisch, d.h. gehört zu jedem Massenelement ein zweites, das an dem zur Achse gespiegelten Ort des Massenelementes liegt (Abb. 183), so sind L und ω parallel und es gilt L = J(z)ω. Alle Achsen, für die dies gilt, heißen Hauptachsen. In der theoretischen Mechanik zeigt man, daß es für jeden Körper (also auch unsymmetrische Körper) drei Hauptachsen gibt, die senkrecht aufeinander stehen. Die Trägheitsmomente der Hauptachsen heißen Hauptträgheitsmomente. Die Trägheitsmomente für alle anderen Richtungen werden durch ein Ellipsoid beschrieben, dessen Hauptachsen die Hauptträgheitsachsen sind (Abb. 184). Abb. 184: Das Trägheitsmoment für die Achse a ergibt sich aus dem Trägheitsellipsoid. Beispiele: Abb. 185: Der Zylinder hat eine Symmetrieachse. Das Trägheitsellipsoid ist ein Rotationsellipsoid. Der Würfel hat drei Symmetrieachsen. Das Trägheitsellipsoid ist eine Kugel Bei einer Kugel bilden drei beliebige senkrecht zueinander stehende Achsen Hauptträgheitsachsen. Das Trägheitsellipsoid ist eine Kugel. 170 Bei einem Zylinder ist die Figurenachse eine Hauptträgheitsachse. Allgemein ist eine Symmetrieachse eines Körpers eine Hauptträgheitsachse, wie aus der Definition der Hauptträgheitsachse zu ersehen ist. Die andern beiden Achsen stehen senkrecht zu dieser Achse und senkrecht zueinander, aber sonst beliebig. Abb. 186: Modell der Unwucht Bei der Rotation eines Körpers um eine Achse, die nicht Hauptachse ist, werden aufgrund der Zentrifugalkräfte zusätzliche Kräfte auf die Lager der Achse ausgeübt. (Ohne diese müßte L nach dem Drehimpulssatz raumfest bleiben). Der Körper ist nicht ausgewuchtet. Der Drehimpuls ergibt sich für ω = ωxex + ωyey + ωzez L = J (x) ω x e x + J (y) ω y e y + J (z) ω z e z Die Bewegungsgleichung für die Rotation (Gleichung (5)) schreibt sich vektoriell • M =L (8) Man beachte: Es gibt in der Natur einen kleinsten Betrag für den Drehimpuls L min = 1 h 2 2π ! = h/2π = 10 -34 kgm2/s ist das Plancksche Wirkungsquantum. c) Berechnung des Trägheitsmomentes α) Das Integral zur Berechnung des Trägheitsmomentes Für einen homogenen Körper lohnt es sich, die konstante Dichte ρ einzuführen. ∆m = ρ∆V 171 Abb. 187: Bei homogenen Körpern berechnet man das Trägheitsmoment über ein Volumenintegral. Das Trägheitsmoment wird dann eine geometrische Größe: J = ρ ∫ r 2 dm Die Berechnung des Integrals gestaltet sich im allgemeinen als schwierig. Ein wichtiger erster Schritt besteht daher darin, ein geeignetes Koordinatensystem auszuwählen. Für kartesische Koordinaten, in denen die z - Achse die Drehachse ist, hat das Integral die explizite Form J = ρ ∫ ∫ ∫ (x 2 + y 2 )dxdydz Zur Lösung des Integrals wird wie bei der Berechnung des Schwerpunktes nacheinander eine der Ortsvariablen variiert, die übrigen konstant gelassen. Dabei berücksichtigt man, daß die Integrationsgrenzen, die durch die Berandung des Körpers gegeben sind, von den konstant gelassenen Variablen abhängen können. Bei zusammengesetzten Körpern kann man die Trägheitsmomente der Einzelteile addieren. Man beachte, daß die Größe des Trägheitsmomentes von der Lage der Achse abhängt. Die gesamte Information über alle Trägheitsmomente eines Körpers steckt in den Hauptträgheitsmomenten und dem Abstand der Drehachse vom Schwerpunkt. β) Beispiele i. Dünnwandiges Rohr, die Drehachse ist die Figurenachse Abb. 188: Das Trägheitsmoment eines dünnwandigen Rohres ergibt sich ohne Rechnung. Teile das Rohr in beliebige Massenelemente ∆m. Alle haben den gleichen Abstand R zur Drehachse. 172 J = lim ∆ → Σ R 2 ∫ dm = R 2 ∫ dm = R 2 m ges ii. Kreisscheibe, Drehachse ist die Figurenachse Abb. 189 und 190: Das Volumenelement bei der Berechnung des Trägheitsmomentes einer Kreisscheibe bez. der Figurenachse. Man wähle Zylinderkoordinaten, d.h. man unterteile die Scheibe durch Schnitte r = const, ϕ = const und z = const, im Abstand ∆r, ∆ϕ und ∆z. Das Volumenelement hat die Größe ∆V = ∆r∆z(r∆ϕ) Das zu lösende Integral wird J = ρ ∫ ∫ ∫ r 3 drdϕdz Im ersten Schritt wird über z integriert, wobei r und ϕ konstant bleiben. Abb.191: Das Volumen nach der Integration über z. D J = ρ ∫ ∫ ∫ dz r 3 drdϕ = ρD ∫ ∫ r 3 drdϕ 0 D ist die Dicke der Scheibe. Im zweiten Schritt wird über ϕ integriert, wobei r konstant gelassen wird. Abb. 192: Das Volumen nach der Integration über ϕ. Bis hier her kommt man ohne Rechnung aus. 173 R 2π J = ρD ∫ ∫ dϕ r 3 dr = 2πρD ∫ r 3 dr 0 0 Dieses Zwischenergebnis hätte man auch direkt hinschreiben können, wenn man eine ringförmige Unterteilung der ursprünglichen Scheibe vorgenommen hätte. Das Trägheitsmoment eines Ringes ist dann dJ = ρ2πrdrDr2. Im dritten Schritt wird über r integriert. 4 J = πρD R 2 An dieser Stelle ist es von Vorteil, die Gesamtmasse des Körpers einzuführen: mges = ρπR2D J = 1 m ges R 2 2 iii. Dünne Kreisscheibe, Achse liegt in der Ebene der Scheibe. Abb. 193: Jetzt liegt die Drehachse in der Kreisscheibe. Angpaßte Koordinaten wären Polarkoordinaten. Zu Übungszwecken wird mit kartesischen Koordinaten gerechnet. Die y - Achse sei die Drehachse. Das Volumenelement ist dV = dxdydz. Der Abstand zwischen der Drehachse und dem Volumenelement ist x, die Dicke der Scheibe wieder D. Die Integration über z ist trivial. Die Integration über y erstreckt sich von yu bis yo, welche Funktionen von x sind, die die Form der Berandung beschreiben yo J (y) = ρ ∫ ∫ ∫ x 2 dxdydz = ρD ∫ ∫ dy x 2 dx = ρD ∫ (y o − y u )x 2 dx yu Die Funktionen der Berandung folgen aus der Kreisgleichung 174 yo = R2 − x2 yu = − R2 − x2 Das letzte Integral hat dann die Form J (y) = 2ρD ∫ +R −R x 2 R 2 − x 2 dx = 2ρDR 3 ∫ +R −R x 2 1 − x 2 dx R2 R2 Zur weiteren Vereinfachung wird substituiert: x = sin ϕ R x = -R → ϕ = − π/2 wobei die Grenzen geändert werden: x = +R → ϕ = + π/2 dx = Rcosϕdϕ und Bei dieser Substition wird eigentlich nichts anderes gemacht, als die Koordinate x durch die besser angepaßte Koordinate ϕ zu ersetzen. Hätte man gleich am Anfang die Koordinaten r und ϕ eingeführt, hätte man sich diesen Rechenschritt gespart. Das Integral hat nun die Form I=R∫ +π/2 −π sin 2 ϕ cos 2 ϕdϕ Die Quadrate wird man los, indem man zum doppelten Winkel übergeht 2sinϕcosϕ = sin2ϕ sin22ϕ = ½(1-cos4ϕ) +π/2 I = 1R ∫ (1 − cos 4ϕ)dϕ = π R −π/2 8 8 J (y) = π ρDR 4 = 1 m ges R 2 4 4 Das gleiche Ergebnis kann ohne viel Rechnerei aus einer Symmetriebetrachtung gewonnen werden. Für flächige Körper gilt J (z) = ∫ (x 2 + y 2 )dm = J (x) + J (y) 175 Ist der Körper wie im Fall der Kreisscheibe symmetrisch bezüglich Vertauschung von x und y, gilt J(x) =J(y), daher J(z) = 2J(y). Da J(z) = ½mgesR2, folgt sofort J (y) = 1 m ges R 2 . 4 γ) Der Satz von Steiner Das Trägheitsmoment bezüglich einer Achse z*, die nicht durch den Schwerpunkt geht, kann auf das Trägheitsmoment bezüglich einer Achse z, die durch den Schwerpunkt geht und zu z* parallel ist, zurückgeführt werden (s. Abb. 194). Abb. 194: Transformation zur Ableitung des Satzes von Steiner. J ∗ = ∫ r ∗2 dm = ∫ (r − a) 2 dm = ∫ (r 2 − 2a • r + a 2 )dm = ∫ r 2 dm + ∫ a 2 dm − 2a • ∫ rdm Da r vom Schwerpunkt aus gerechnet wird, ist r s = ∫ rdm = 0. Daraus folgt der Satz von Steiner (9) J∗ = Js + a2m δ) Trägheitsmomente einiger Körper. Abb. 195 - 198: J = 1 mR 2 2 2 2 J = m R + L 4 12 2 2 J = m l + b 12 J = 2 mR 2 5 176 4. Beispiele zur Bewegung starrer Körper Im folgenden werden Bewegungen betrachtet, bei denen die Drehung eines Körpers eine Rolle spielt. Im wesentlichen handelt es sich um Anwendungen der Gleichung (8). Einige der Beispiele wurden schon früher einmal behandelt, wobei dann der Effekt der Drehung vernachlässigt wurde. Z.B. wurden Versuche an der schiefen Ebene immer mit rollenden Körpern durchgeführt, aber es wurde argumentiert, als ob die Körper reibungsfrei rutschten. Wir werden jetzt sehen, wie die Überlegungen modifiziert werden müssen und in wieweit die früheren Betrachtungen berechtigt waren. a) Achse ist raum - und körperfest, das äußere Drehmoment ist konstant Abb. 199: Die Atwoodsche Fallmaschine. Die Trägheit der Rolle wird mit berücksichtigt. Als Beispiel wird die Atwoodsche Fallmaschine mit Berücksichtigung des Trägheitsmomentes der Rolle behandelt (Abb. 199). Man muß bedenken, daß die Kräfte, die der Faden auf die Rolle ausübt, nicht einfach die Schwerkräfte der Massen m1g und m2g sind, wie man sich klar machen kann, wenn man in Gedanken die Fäden oberhalb der Masse durchschneidet. Diese Kräfte werden also als Unbekannte F1 und F2 angesetzt. Drehung der Rolle • (F 1 − F 2 )R = J ω (10) Translation von m1 und m2 • • m1g − F1 = m1 v1 = m1R ω • m 2 g − F 2 = −m 2 R ω Diese Gleichungen werden nach F1 und F2 aufgelöst und in Gleichung (10) eingesetzt m 1 g − m 1 R ω• −m 2 g − m 2 R ω• R = J ω• 177 • (m 1 − m 2 )g = J + (m 1 + m 2 )R ω R • ω = α0 = (m 1 − m 2 )gR J + (m 1 + m 2 )R 2 Durch Integration erhält man wie bei der geradlinigen Bewegung unter konstanter Kraft ω = α0t + ω0 ϕ = ½α0t2 + ω0t + ϕ0 • • Diskussion: Für J << (m1 + m2)R2 wird (m 1 + m 2 )R ω= (m 1 + m 2 ) v = (m 1 − m 2 )g. Die antreibende Kraft ist (m1 - m2)g, die träge Masse m1 + m2. Für J >> (m1 + m2)R2 wird • (m 1 − m 2 )gR = J ω . Die Trägheit des Systems ist nur durch die Scheibe bestimmt. Das äußere Drehmoment ist (m1 - m2)gR. (m1 + m2)R2 ist das Trägheitsmoment der an den Fäden hängenden Massen. Die Kraft auf das Lager kann aus der Kräftebilanz berechnet werden: F1 + F2 + msg = FL Hierin ist ms die Masse der Scheibe und FL die Kraft auf das Lager. b) Achse körperfest, Hauptträgheitsachse, wird bei der Bewegung parallel verschoben Als Beispiel wird die Walze auf einer schiefen Ebene betrachtet (Abb. 200). Hier darf die tangentiale Reaktionskraft F1 nicht vergessen werden. Das Vorhandensein einer solchen Kraft erkennt man, wenn man sich den Grenzfall verschwindender Reibung vorstellt. Die Bewegungsgleichung setzt sich wieder aus einem Anteil für Translation und einem für Rotation zusammen Abb. 200: Beim Herabrollen spielt das Trägheitsmoment eine Rolle. Translation: Rotation • m v = Ft − F1 • • F 1 R = J ω == J v R 178 Die Variablen v und ω hängen über die Abrollbedingung voneinander ab. Im Schwerpunktsystem der Rolle ist die Geschwindigkeit der Unterlage v = ωR. Daher ist im Laborsystem v die Geschwindigkeit der Rolle. Elimination von F1 ergibt • • m v = mgsinα − J2 v R 1 + J v• = gsinα mR 2 Da J = ½mR2 ist J/(mR2) = 1/2. Die Bewegung ist von der Masse und vom Radius unabhängig. g = 2 g ersetzt wäre. Bei gleicher Masse aber ungleichmäSie läuft so ab, als ob g durch J 1+ 2 3 ßiger Massenverteilung wird eine Walze, die ein größeres Trägheitsmoment besitzt, zu jedem Zeitpunkt langsamer laufen. Diese Tatsache kann man aus dem Energiesatz direkt ablesen. Die potentielle Energie wird im Anfangspunkt Null gesetzt. Zählt man die vertikale Koordinate y nach unten positiv, heißt der Energiesatz −ymg + 1 mv 2 + 1 Jω 2 = 0 2 2 1 m + J v 2 = mgy 2 R2 Man erkennt, daß anstelle der Masse bei der reinen Translation die Größe m + J2 auftritt, Diese Größe kann man als effektive träge Masse auffassen. c) Achse körperfest, Hauptträgheitsachse, kein äußeres Drehmoment Man erreicht eine solche Situation durch eine Cardanische Aufhängung (Abb. 201). • Da L = J (z) ω und M =L , und nach Vorraussetzung M = 0, bleibt L konstant. L und damit ω behalten die Richtung bei. Diese Aufhängung des Kreisels wird zur Richtungskontrolle oder -anzeige z.B. im künstlichen Horizont benutzt. Abb. 201: Cardanische Aufhängung eines Kreisels 179 d) Körperfeste Achse,die eine Hauptträgheitsachse ist; Drehmoment senkrecht zu L Abb. 202: Die Reaktion eines Kreisels auf eine äußere Kraft • Auf den Kreisel in Abb. 202 soll die Kraft F wirken. M und damit wegen M =L die Änderung des Drehimpulses ∆L stehen senkrecht auf F. Der Kreisel weicht seitlich aus, da sich die Drehachse auf den neuen Wert L + ∆L einstellt. Wird das Drehmoment durch das eigene Gewicht des Kreisels erzeugt (Abb. 203), ergibt sich ein dL, das immer senkrecht auf dem momentanen L steht. Die Kreiselachse umläuft einen Kegelmantel. Man sagt, er vollführt eine Präzessionsbewegung. Die Präzessionsfrequenz ωp ergibt sich aus dϑ = dL L sin α dϑ = ω = dL 1 = M p dt L sin α L sin α dt Abb. 203: Die Präzession des Kreisels Man kann diesen Zusammenhang auch vektoriell schreiben M = ωp × L Umgekehrt übt ein Kreisel, der zu einer Präzessionsbewegung gezwungen wird, z.B. die Kurbelwelle im Motor bei Kurvenfahrt, ein Drehmoment auf die Lager aus M K = −M = L × ω p 180 Abb. 204: Ein oberhalb des Schwerpunktes unterstützter Kreisel präzediert in umgekehrter Richtung Dies bewirkt in kleinen Motorflugzeugen eine zusätzliche Auf - oder Abwärtsbewegung bei Kurvenfahrt. Unterstützt man einen Kreisel oberhalb des Schwerpunktes, oder kehrt man die Drehrichtung um, so kehrt sich die Richtung der Präzession um. Wegen der Abweichung der Erde von der Kugelgestalt übt die Anziehung der Sonne auf diese ein Drehmoment aus. Dies führt zu einer Präzession der Erdachse mit einer Umlaufperiode von 26000 Jahren. Eine andere Erklärung für die Präzession Abb. 205: Die Präzession kann man auch mit der Corioliskraft erklären. Um die Präzession des Kreisels von einer anderen Seite zu beleuchten, betrachten wir die Kräfte, die ein Kreisel auf seine Lager ausübt, wenn er eine Präzession beschreibt. Statt des vollen Kreisels betrachten wir einen Ring. Da sich jeder axialsymmetrische Kreisel aus Ringen zusammensetzen läßt, können wir unsere Ergebnisse auf einen beliebigen axialsymmetrischen Kreisel erweitern. Zur Vereinfachung des Problems wird angenommen, die Rotationsachse L steht senkrecht auf der Präzessionsachse ωp. Die Situation ist die gleiche wie bei einem Zug, der längs eines Meridians um die Erde fährt. Durch die Corioliskraft erfährt er eine Ablenkung senkrecht zur Fahrtrichtung, die auf der Nordhalbkugel nach rechts, auf der Südhalbkugel nach links zeigt. Dies bewirkt also ein Drehmoment das senkrecht zu ωp und L steht, wie wir es auch aus den Kreiselgesetzen gefolgert haben. 181 e) Anwendungen der Kreiselgesetze α) Wendeanzeiger Abb. 206: Der Wendeanzeiger. Die Aufhängung ist in Abb. 206 angedeutet. Da die Drehachse versucht, sich in die neue Richtung L + ∆L zu orientieren, werden Kurven, d.h. Drehungen um die vertikale Achse angezeigt. β) Der Kreiselkompaß Abb. 207: Der Kreisel im Kreiselkompaß erhält ein Drehmoment nach Norden. Hier ist der Kreisel so gelagert, daß die Achse immer horizontal, also parallel zur Erdoberfläche liegt. Durch die Erdrotation entsteht ein Drehmoment auf die Lager, das den Kreisel in die Nord - Südrichtung auszurichten versucht. Zur Vermeidung von Schwingungen muß die Bewegung um die vertikale Achse gedämpft werden. γ) Spielkreisel Der klassische Spielkreisel (Peitschen Top) ist in Abb. 208 dargestellt. Wir nehmen an, er stellt sich durch eine Störung schräg. Wegen des endlichen Krümmungsradius an der Spitze rollt. Abb. 208: Der klassische Spielzeugkreisel richtet sich auf rollt diese am Boden ab. Da der Schwerpunkt ungefähr im Raum stehen bleibt und oberhalb des Krümmungsmittelpunktes der Kugelfläche der Spitze liegt, zeigt L × ω p in eine Richtung, die 182 das Aufrichten des Kreisels bewirkt (Abb. 208). Der Umkehrkreisel (Abb.209) rollt umgekehrt auf dem Boden ab, da sei Schwerpunkt unterhalb vom Krümmungsmittelpunkt liegt. Abb. 209: Der Umkehrkreisel δ) Dynamische Stabilisierung des Fahrrads Das Fahrrad erfährt durch die Kreiselgesetze eine gewisse Stabilisierung. Wenn es umzukippen droht (Abb. 210), entsteht ein Drehmoment M, das eine Lenkung in Kipprichtung bewirkt. Dieser Lenkeinschlag wirkt dem Kippen entgegen. Abb. 210: Die Kreiselkräfte auf die Räder bewirken beim Fahrrad eine gewisse Stabilisierung 183 KAPITEL G Schwingungen 1. Allgemeines Schwingungen sind Vorgänge, die sich wiederholen. Sehr viele physikalische Systeme können Schwingungen ausführen. Neben den bekannten mechanischen Systemen wie Pendel, Schallerzeuger und Wassersäulen schwingen Moleküle, elektronische Schaltungen, Sterne (z.B. δ Cepheiden) möglicherweise das ganze Weltall. Oft ist die Schwingung eines Signals mit der Rotation von Quelle oder Empfänger verbunden wie bei der Helligkeit des Tageslichts oder bei Pulsaren, Sternen, die von diskreten Stellen ihrer Oberfläche Radiosignale aussenden. Schwingungen werden für die Zeitmarkierung z.B. in Uhren und Oszillographen, in Radiosendern, Musikinstrumenten und vielen anderen Systemen angewendet. Sie bilden die Grundelemente von Wellen. Die Schwingungslehre bildet daher die Grundlage der Lichttheorie. Eine streng periodische Schwingung wiederholt sich nach der Periodendauer T: f(t) = f(t + T) 2. Die harmonische Schwingung a) Darstellung Die einfachste periodische Schwingung ist die harmonische, in der sich eine physikalische Größe sinusförmig mit der Zeit ändert. x(t) = x 0 sin (ωt + ϕ 0 ) (1) x kann irgendeine physikalische Größe sein wie die Ortskoordinate, der Druck, die Temperatur, Feldstärke und vieles mehr. In Gleichung (1) ist x der Momentanwert dieser Größe, |x0| das Maximum nennt man die Amplitude, ω = 2π/T = 2πf die Kreisfrequenz und (ωt + ϕ0) die Phase. Die Phase wird wie ein Winkel im Bogenmaß gemessen und variiert während einer Periode von 0 bis 2π. ϕ0 ist die Anfangsphase, d.h. die Phase zur Zeit t = 0. Beliebige periodische Schwingungen kann man aus der Überlagerung von harmonischen Schwingungen zusammensetzen. Man kann die harmonische Schwingung darstellen als Projektion einer gleichförmigen Kreisbewegung eines Punktes (Abb. 211). 184 Abb. 211: Die harmonische Schwingung kann als Projektion einer Kreisbewegung aufgefaßt werden. x = x 0 cos (ϕ + ϕ 0 ) = x 0 cos (ωt + ϕ 0 ) = x 0 [cos ωt cos ϕ 0 − sin ωt sin ϕ 0 ] Abb. 212: Statt der Zeit, die in einer Periode von 0 bis T läuft, kann man auch die Phase, die von 0 bis 2π läuft, als unabhängige Variable nehmen. Statt der beiden unabhängigen Parameter x0 und ϕ0 kann man A = x 0 cos ϕ 0 und B = −x 0 sin ϕ 0 (2) einführen. Dadurch ergibt sich die zu Gleichung (1) äquivalente Form x = A cos ωt + B sin ωt (3) Dies heißt, daß jede harmonische Schwingung als Überlagerung einer unverschobenen Sinus und einer unverschobenen Kosinusschwingung gleicher Frequenz dargestellt werden kann. Insbesondere ist nach Gleichung (2) und (3) cos(ωt−π/2) = sinωt, eine Beziehung die sich direkt aus der Definition am rechtwinkligen Dreieck ablesen läßt. Eine Kosinusschwingung ist eine phasenverschobene Sinusschwingung. Die Darstellung durch komplexe Zahlen lernen wir im Abschnitt 4. dieses Kapitels kennen. b) Die Kinematik der harmonischen Schwingung Wir setzen eine harmonische Schwingung der Form x = x 0 cos (ωt + ϕ 0 ) voraus und ermitteln durch Differentiation den zeitlichen Verlauf von Geschwindigkeit und Beschleunigung 185 • v = x = −x 0 ω sin (ωt − ϕ 0 ) •• a = x = −x 0 ω 2 cos (ωt + ϕ 0 ) Die Geschwindigkeitsamplitude ist v0 = x0ω, die Beschleunigungsamplitude a0 = x0ω2 . Die Phasenverschiebung zwischen v und x ist π/2. Durch Aufzeichnen der Funktionen x(t) und v(t) z.B. für ϕ0 = 0 stellt man fest, daß das Maximum von v vor dem von x erreicht wird, wenn man die sich am nächsten liegenden Maxima vergleicht. Man sagt, v eilt vor x. Die Phasenverschiebung zwischen a und x beträgt π. Man kann also für die Momentanwerte schreiben a(t) = - ω2x(t), und damit •• x = − ω2x (4) Bei einer harmonischen Schwingung eines physikalischen Systems gilt für die schwingende Größe eine Differentialgleichung der Form von Gleichung (4), die sogenannte Schwingungsgleichung. Umgekehrt kann man sagen, daß ein System eine Schwingung ausführen kann, wenn sich für eine physikalische Größe x , die das System bestimmt, eine Gleichung der Form (4) aufstellen läßt. c) Die Schwingung eines Massenpunktes α) Allgemeine Betrachtung Für den Schwerpunkt eines Körpers, der sich auf einer beliebigen Kurve bewegen kann, gilt die Bewegungsgleichung •• m s = Ft wenn Ft die zur Kurve tangentiale Kraft ist. Damit sich hieraus eine Schwingungsgleichung der Form von Gleichung (4) ergibt, muß die Kraft eine Abhängigkeit Ft = -Ds (5) von der Koordinate auf der Bahn haben. Die Schwingungsgleichung lautet dann 186 •• s = −D ms Der Körper kann also eine harmonische Schwingung ausführen mit der Kreisfrequenz ω= D m (6) In vielen praktischen Fällen liegt nicht das einfache Kraftgesetz von Gleichung (5) vor. Häufig kann man dann aber noch F(s) durch eine Taylorentwicklung linearisieren, so daß wenigstens für kleine Auslenkungen s F(s) = - Ds gilt. Die Schwingung ist dann nue für kleine Auslenkungen harmonisch. β) Energieverhältnisse Da nach den Gleichungen (5) und (6) F = - mω2s gilt, erhält man für die potentielle Energie x W pot = −∫ F(s)ds = 1 mω 2 x 2 0 2 und W kin = 1 mv 2 2 Setzt man x = x0sin(ωt + ϕ0) und v = x0 ωcos(ωt + ϕ0), erhält man W ges = W pot + W kin = 1 mω 2 x 20 sin 2 (ωt + ϕ 0 ) + 1 mω 2 x 20 cos 2 (ωt + ϕ 0 ) = 1 mω 2 x 20 2 2 2 Die Gesamtenergie ist also unabhängig von der Zeit, wie der Energiesatz der Mechanik für dissipationsfreie Systeme fordert. Die Energie des Systems wechselt zwischen kinetischer und potentieller Energie. Bei Schwingungen hat man generell zwei Energieformen, die das System annehmen kann, z.B. elektrische und magnetische Feldenergie. Um eine harmonische Schwingung eines Körpers zu erhalten, muß die potentielle Energie einen parabelförmigen Verlauf Wpot = ½mω2x2. besitzen. Abb. 213: Vorraussetzung für eine harmonische Schwingung ist ein parabelförmiges Potential. 187 Bei nicht parabelförmigen Potentialtöpfen erhält man keine harmonische Schwingung. Solange Wpot + Wkin = const gilt, ist diese aber noch periodisch, wie man sich an der Bewegung einer Kugel in dem entsprechenden Potentialtopf klar macht. Für kleine Amplituden lassen sich die meisten Potentialmulden durch eine Parabel annähern, so daß dann eine harmonische Schwingung resultiert. γ) Das Federpendel i. Die Schwingungsgleichung Abb.214: Das Federpendel Eine Masse m hänge an einer elastischen Feder, für die FF = - Dx gilt. x wird von der Stellung, bei der die Feder entspannt ist, gemessen. Auf m wirkt außerdem die Schwerkraft FG = mg. In der Ruhelage x0 gilt F = FF + FG = 0. Daraus folgt Dx0 = mg und daher bei beliebiger Auslenkung F(x) = -D(x0 + ξ) +mg = -Dξ wobei ξ die Auslenkung aus der Gleichgewichtslage ist. Das Kraftgesetz für die Auslenkung aus der Gleichgewichtslage mit Schwerkraft ist also das gleiche wie das für die Auslenkung der entspannten Feder ohne Schwerkraft. Die Bewegungsgleichung lautet damit •• m ξ = −Dξ und die Schwingungsgleichung •• ξ = −D mξ Die Masse schwingt also harmonisch um die Gleichgewichtslage. (6) 188 ii. Bestimmung der Frequenz Wir machen den Ansatz ξ = sinωt und bilden die zweite Ableitung, um mit dem Ansatz in die Schwingungsgleichung zu gehen • ξ = ω cos ωt •• ξ = −ω 2 sin ωt Einsetzen in Gleichung (6) ergibt ω2 = D m Die allgemeine Lösung lautet ξ = A sin ωt + B cos ωt oder ξ = ξ 0 cos (ωt + ϕ 0 ) iii. Bestimmung der Konstanten Wir betrachten als Beispiel die erste Form der Lösung und bestimmen die Konstanten A und B aus den Anfangsbedingungen. Zur Zeit t = 0 sei die Auslenkung ξ = ξ0 und v = v0. Einsetzen ergibt ξ0 = Asin(0) + Bcos(0) Daraus folgt sofort B = ξ0. v0 = Aωcos(0) - Bωsin(0) Daraus folgt A = v0/ω. Die Lösung hat also die Form v ξ = ω0 sin ωt + x 0 cos ωt Für den Sonderfall, v0 = 0, d.h die Situation, in der die Masse anfangs ausgelenkt und dann losgelassen wurde, erhält man eine reine Kosinusschwingung, wobei die Anfangsauslenkung die Amplitude bestimmt. d) Die Schwingung eines ausgedehnten Körpers (Das physikalische Pendel) 189 Für die Drehschwingung eines ausgedehnten Körpers mit dem Drehwinkel θ um eine feste Achse gilt die Bewegungsgleichung • •• M=Jω =Jθ Wenn M = -kθ ist, ergibt sich die Schwingungsgleichung •• θ = −kθ J Beispiel: Das physikalische Pendel Abb. 215: Zur Aufstellung der Schwingungsgleichung eines ausgedehnten Körpers geht man von der Bewegungsgleichung für eine Drehung aus. Nach Abb. 215 ist l der Abstand zwischen Drehpunkt und Schwerpunkt. Dann gilt für das Drehmoment M = mglsinθ Die Bewegungsgleichung hat die Form •• −mgl sin θ = J θ Und die Schwingungsgleichung •• θ =− mgl sin θ J Da J ~ m, ist die Bewegung von der Masse des Körpers unabhängig. Die Schwingungsgleichung ist nicht die der harmonischen Schwingung. Für kleine Auslenkungen gilt die lineare Näherung sinθ = θ. Und die Schwingung ist harmonisch. 190 •• mgl θ J Das Pendel schwingt harmonisch mit der Kreisfrequenz θ =− ω= mgl J Das Pendel schwingt nur, wenn l ≠ 0. Der Schwerpunkt liegt also nicht im Drehpunkt, aber für die Bewegung ist das Trägheitsmoment in Bezug auf den Drehpunkt maßgeblich. Dieses kann mit dem Satz von Steiner auf das Trägheitsmoment in Bezug auf den Schwerpunkt Js zurückgeführt werden. J = Js + l2m Für die Kreisfrequenz erhält man dann ω2 = Wenn Js 2 mgl g = ⋅ 2 Js + l m l 1 +1 2 Js (8) << 1 d.h. das Trägheitsmoment bezüglich einer Drehung um den Schwerpunkt sehr viel kleiner als das Translationsträgheitsmoment ml2 ist, wird der zweite Faktor gleich eins und es ergibt sich die Näherung des mathematischen Pendels ω= g l Eine Taylorentwicklung der exakten Formel Gleichung (8) führt zu ω≈ g 1 − 1 J 2 2 ml l 1 J s gibt die Korrektur dafür an, daß der Körper bei der Pendelbewegung des Schwerpunk2 2 tes gleichzeitig eine Drehung um den Schwerpunkt vollführt (Abb. 216). 191 Abb. 216: Die Masse an einem Faden führt eine Translationsbewegung, d.h eine Pendelbewegung des Schwerpunktes und eine Rotation um den Schwerpunkt durch. 3. Überlagerung von harmonischen Schwingungen gleicher Frequenz a) Anwendung der Additionstheoreme Sollen zwei Schwingungen gleicher Frequenz x1 = A1cos(ωt + ϕ1) x2 = A2cos(ωt + ϕ2) addiert werden, was physikalisch durch die Addition der Drucke von zwei Schallwellen auf dem Trommelfell oder der Feldstärke zweier elektromagnetischer Wellen auf einem Lichtdetektor realisiert wird, müssen zu jeder Zeit die Momentanwerte der Schwingungen addiert werden. x res = x 1 (t) + x 2 (t) = A 1 cos (ωt + ϕ 1 ) + A 2 cos (ωt + ϕ 2 ) = A 1 cos ϕ 1 cos ωt − A 1 sin ϕ 1 sin ωt + A 2 cos ϕ 2 cos ωt − A 2 sin ϕ 2 sin ω Abb. 217: Man addiert zwei Schwingungen, indem man ihre Momentanwerte addiert. xres hat also die Form x res = B 1 cos ωt − B 2 sin ωt mit (9) B 1 = A 1 cos ϕ 1 + A 2 cos ϕ 2 B 2 = A 1 sin ϕ 1 + A 2 sin ϕ 2 Die Terme der Gleichung (9) können wieder zusammengefaßt werden zu der Form 192 x res = A res cos (ωt + ϕ res ) mit B 1 = A res cos ϕ res B 2 = A res sin ϕ res Durch Addieren und Quadrieren der letzten Gleichungen ergibt sich A 2res = B 21 + B 22 = (A 1 cos ϕ 1 + A 2 cos ϕ 2 ) + (A 1 sin ϕ 1 + A 2 sin ϕ 2 ) 2 2 (10a) Durch Division dieser beiden Gleichungen tan ϕ res = B 1 A 1 sin ϕ 1 + A 2 sin ϕ 2 = B 2 A 1 cos ϕ 1 + A 2 cos ϕ 2 (10b) Die Überlagerung zweier harmonischer Schwingungen gleicher Frequenz ergibt also wieder eine harmonische Schwingung dieser Frequenz. Amplitude und Phase kann man im Prinzip durch die Gleichungen (10a) und (10b) ermitteln. Zweckmäßiger ist im allgemeinen die Verwendung eines Zeigerdiagramms. b) Zeigerdiagramm Abb. 218: Die Formeln für die Addition zweier harmonischer Schwingungen lassen sich am Zeigerdiagramm ablesen. Die Umrechnungsformeln lassen sich an einem Zeigerdiagramm der Gestalt von Abb. 218 ablesen. Man erkennt dies an der Darstellung einer Schwingung als Projektion eines sich drehenden Zeigers. Sollen zwei Schwingungen addiert werden, müssen ihre Momentanwerte, d.h. die Momentanwerte ihrer Projektionen addiert werden. Man kann statt dessen zunächst die beiden Zeiger nach den Regeln der Vektoraddition addieren und von dem resultierenden Zeiger die 193 Projektion bilden. Dies wird in Abb. 218 für den Zeitpunkt t = 0 vorgenommen. Für spätere ∼ ∼ Zeitpunkte ändert sich die Figur nicht, da sich die Zeiger A 1 und A 2 mit gleicher Drehzahl drehen. Man ordnet also einer Schwingung einen Zeiger zu, indem man als Länge des Zeigers die Amplitude der Schwingung, als Winkel mit der x - Achse die Anfangsphase wählt. Man addiert diese Zeiger wie Vektoren. c) Beispiele i. Zwei Schwingungen gleicher Amplitude haben eine Phasenverschiebung von π. Wie groß ist die Amplitude der aus ihrer Überlagerung resultierenden Schwingung? Abb. 219: Die beiden Zeiger sind um 180° zueinander gedreht. Sie repräsentieren damit zwei Wellen mit 180° Aus dem Zeigerdiagramm Abb. 219 ist abzulesen, daß ∼x res = ∼x 1 + ∼x 2 = 0 Die Überlagerung zweier Wellen kann also zum Verschwinden jeglicher Wellenbewegung führen. Diesen Fall nennt man destruktive Interferenz. ii. Zwei Schwingungen x1 = 3cosωt und x2 = 4sinωt sollen addiert werden. Welche Amplitude und welche Phasenverschiebung gegen x1(t) hat die resultierende Schwingung? Abb. 220: Das Zeigerdiagramm für die Überlagerung zweier Wellen mit 90° Phasenverschiebung. Das Zeigerdiagramm ist in Abb. 220 wiedergegeben. Da die ursprünglichen Schwingungen eine Phasenverschiebung von 90° haben, handelt es sich um ein rechtwinkliges Dreieck. Die Amplitude der resultierenden Schwingung ergibt sich aus dem Satz von Pythagoras, die gesuchte Phasenverschiebung aus der Definition des Tangens. 194 A res = 3 2 + 4 2 = 5 tan ϕ res = 4 , ϕ res = 53, 1 0 3 Man erkennt, daß die Lösung dieser Art von Aufgaben auf die Berechnung von Dreiecken hinausläuft. Wenn das Dreieck nicht rechtwinklig ist, bietet sich der Kosinussatz an. A 2res = A 21 + A 22 + 2A 1 A 2 cos (ϕ 2 − ϕ 1 ) iii. Drei Schwingungen gleicher Amplitude und gleicher gegenseitiger Phasendifferenz sollen überlagert sich insgesamt auslöschen . Abb. 221: Drei gleiche Schwingungen mit jeweils 120° Phasenverschiebung addieren sich zu Null. Man variiert den gegenseitigen Winkel im Zeigerdiagramm so lange, bis die Summe der drei Vektoren verschwindet. Die Figur schließt sich dann zu einem Polygon (Abb. 221), in diesem Fall zu einem gleichseitigen Dreieck mit drei gleichen Winkeln von 60°. Die Phasenverschiebung wird nach dem oben gesagten durch die Außenwinkel gegeben, in diesem Fall ϕ 0 = 2π 3 Diese Situation liegt bei Wechselstrom vor. Wenn in den drei Phasen die gleichen Ströme fließen, ergeben sie an einem Knotenpunkt, an dem sie zusammenfließen, den Gesamtstrom 0. 4. Schwingung als komplexe Zahl a) Komplexe Zahl Abb. 222: Zeiger als komplexe Zahl 195 Der Zeiger, dessen Projektion eine Schwingung ergibt, kann statt in kartesischen Koordinaten in der komplexen Zahlenebene dargestellt werden. Er repräsentiert dann eine komplexe Zahl. Eine komplexe Zahl hat die Form ∼x = a + ib wobei i die imaginäre Einheit, d.h. die Lösung der Gleichung x2 = -1 ist. Es gilt also i2 = -1. Das Argument ϕ der komplexen Zahl ist der Winkel mit der reellen Achse (s. Abb. 222). ∼ ) = ∼x cos ϕ a = Re(x ist der Realteil von ∼x ∼ ) = ∼x sin ϕ b = Im(x ist der Imaginärteil von ∼x ∼ ϕ = artan b a = arg (x ) ist das Argument von ∼x ∼x = a 2 + b 2 ist der Betrag von ∼x ∼x ∗ = a − ib ist die konjugiert komplexe Zahl zu ∼x Der Betrag läßt sich auch schreiben ∼x = ∼x ⋅ ∼x ∗ , da ∼x ⋅ ∼x = (a + ib)(a − ib) = a 2 − (ib) 2 b) Algebraische Operationen mit komplexen Zahlen Bei algebraischen Operationen behandelt man i wie eine normale Konstante. Dadurch, daß man i2 durch -1 ersetzen darf, ist es bei Addition, Multiplikation und Division zweier komplexer Zahlen immer möglich, das Ergebnis in die Form a + ib zu bringen. Addition: ∼x 1 + ∼x 2 = a 1 + ib 1 + a 2 + ib 2 = (a 1 + a 2 ) + i(b 1 + b 2 ) Multiplikation: ∼x 1 ⋅ ∼x = (a 1 + ib 1 )(a 2 + ib 2 ) = a 1 a 2 + i 2 b 1 b 2 + ib 1 a 2 + ib 2 a 1 = a 1 a 2 − b 1 b 2 + i(b 1 a 2 + a 2 b 1 ) 196 Division ist Multiplikation mit dem Kehrwert. Es genügt daher zu zeigen, daß der Kehrwert einer komplexen Zahl in die Form a + ib überführt werden kann. 1 = a − ib = a − ib = a − i b 1 a + ib (a + ib) (a − ib) a 2 + b 2 a 2 + b 2 a 2 + b 2 c) Der Satz von Moivre Funktionen von komplexen Zahlen erhält man, wenn man in die Taylorentwicklung einer reellen Funktion als unabhängige Variable eine komplexe Zahl einsetzt. Da jeder Term als Produkt komplexer Zahlen wieder eine komplexe Zahl ist, ist auch der resultierende Funktionswert eine komplexe Zahl. Der Satz von Moivre (manchmal auch Satz von Euler genannt) verknüpft die komplexe Funktion sin und cos mit der Exponentialfunktion. Um diese Verknüpfung zu verstehen, betrachten wir die Reihenentwicklungen dieser drei Funktionen nach einer komplexen Variablen. 2 3 e x = 1 + x + x + x + ... 1! 2! 3! 2 3 4 e ix = 1 + i x − x − i x + x + ... 1! 2! 3! 4! Entsprechend stellen wir die Reihen für sinx und cosx auf. Durch Vergleich dieser drei Reihen ergibt sich der Satz von Moivre. e ix = cos x + i sin x Jede komplexe Zahl a + ib =|x|(cosϕ + isinϕ) kann also durch die oft bequemere Funktion |x|eiϕ dargestellt werden. Beispiel: Wie berechnet man i ? Abb. 223: Wie man aus einer komplexen Zahl über den Satz von Moivre die Wurzel zieht. 197 In der komplexen Zahlenebene (Abb. 223) erkennt man, daß i das Argument π/2 und den Betrag 1 hat. Das Argument wird mit dem Faktor i in den Exponenten der e - Funktion geschrieben, der Betrag vor die e - Funktion. π i = ei 2 Hier kann man die Wurzel leicht ziehen und dann mit dem Satz von Moivre zurückverwandeln e iπ/2 = e iπ/4 = cos π + i sin π = 1 2 + i 1 2 4 4 2 2 Beim Wurzelziehen aus einer komplexen Zahl wird also ihr Argument halbiert und aus ihrem Betrag die Wurzel gezogen. d) Anwendung der komplexen Zahlen auf Schwingungsprobleme Hat man eine Schwingung x = Acos(ωt + ϕ0) so kann man ihr über den Satz von Moivre eine komplexe Zahl zuordnen, indem man y = Asin(ωt + ϕ0) als Imaginärteil hinzufügt. Liegt die ursprüngliche Schwingung in der Form x = Asin(ωt + ϕ0) vor, so verwandelt man sie mit der Beziehung sinα = cos(α - π/2) in die Kosinusform. Die zugeordnete komplexe Zahl hat also die Form ∼x = A [cos (ωt + ϕ 0 ) + i sin (ϕt + ϕ 0 )]= Ae (ωt+ϕ 0 ) = Ae iϕ 0 e iωt ∼ A = Ae iϕ 0 ist die komplexe Amplitude. Sie enthält die Information über die Amplitude der Schwingung ∼ A= A 198 (Dies folgt sofort aus A = A cos ϕ 0 + i sin ϕ 0 = A cos 2 ϕ 0 + sin 2 ϕ 0 ) und die Anfangsphase ∼ ϕ 0 = arg A ∼ A ist also in der komplexen Zahlenebene ein Zeiger, dessen Länge durch die Schwingungsamplitude und dessen Richtung gegenüber der reellen Achse durch die Anfangsphase gegeben ist. Es gibt drei Möglichkeiten von einer komplexen Darstellung auf eine reelle zurückzukommen. Man addiert zu einer komplexen Schwingung die dazugehörige konjugiert komplexe ∼x + ∼x ∗ = (a + ib) + (a − ib) = 2Re(x∼ ) Man betrachtet den Realteil von ∼x als einzig interessierende Größe Man nimmt ∼x als Amplitude und arg(x∼ ) als Anfangsphase. Vorsicht! Terme, in denen das Produkt zweier Schwingungen auftaucht, etwa wie bei Energiebetrachtungen, dürfen nicht ohne weiteres komplex geschrieben werden. Am besten schreibt man solche Terme reell, etwa 1 ∼x + ∼x ∗ ∼x + ∼x ∗ . ( 1 1 )( 2 2) 4 Man überlagert zwei Schwingungen, indem man ihre komplexen Amplituden addiert. Bei gleicher Frequenz erhält man für die Summe der Schwingungen ∼ iωt ∼ ∼x 1 = A und ∼x 2 = A 2 e iωt 1e ∼ iωt ∼ iωt ∼ ∼ iωt ∼x res = A + A2e = A1 + A2 e 1e und damit für die Amplituden ∼ ∼ ∼ A res = A 1 + A 2 Die Zeigeraddition von Schwingungen läßt sich also auch formal über die Darstellung von Schwingungen mit komplexen Zahlen einsehen. 199 5. Die gedämpfte Schwingung a) Die freie gedämpfte Schwingung Abb. 224: Ein System, bei dem die Dämpfung proportional zur Geschwindigkeit ist. An einer Masse greife zusätzlich zu einer rückstellenden Kraft F1 = - Dx eine Reibungskraft an die ähnlich wie bei der Stokesschen Reibungskraft proportional zur Geschwindigkeit sein •• möge: F 2 = −bv = − b x . Die Bewegungsgleichung lautet dann •• • m x = −Dx − b x Und die Schwingungsgleichung daher •• b x• + D x = 0 x +m m (11) ∼ ∼ Man löst sie mit dem Ansatz ∼x = Ae λt . Dann ist ∼ ∼ ∼x• = ∼ λe λt = λ∼x , •• ∼ ∼ ∼ ∼ ∼ x = λ 2 Ae λt = λ 2∼x Einsetzen in Gleichung (11) ergibt die charakteristische Gleichung ∼ 2∼ b ∼∼ D ∼ λ x + m λx + m x = 0 ∼2 b ∼ D λ + mλ + m = 0 mit der Lösung 2 ∼ λ 1,2 = − b ± b − D m 2m 2m ∼ λ 1,2 = −δ ± δ 2 − ω 20 (12) 200 mit δ= b 2m Dämpfung und ω 20 = D m Frequenz bei verschwindender Dämpfung Die allgemeine Lösung lautet dann ∼ ∼ x = ∼c 1 e λ 1 t + ∼c 2 e λ 2 t x kann als reelle Lösung aufgefaßt werden, ∼c 1 und ∼c 2 sind komplexe Konstanten, die aus den Anfangsbedingungen bestimmt werden müssen. Die Lösungen unterscheiden sich grundsätzlich bei positivem und negativem Radikand in Gleichung (12). Wenn δ 2 > ω02, d.h. im Falle großer Dämpfung, sind die λi reell. Es ergeben sich Lösungen der Form e-Kt, wobei K reell ist. Es erfolgt keine Schwingung. Die Auslenkung sinkt nach ihrem Maximum monoton auf 0. Wenn δ 2 < ω02, d.h. im Falle kleiner Dämpfung, ist der Radikand negativ und es kann ein i herausgezogen werden δ 2 − ω 20 = (−1) ω 20 − δ 2 = iω Das System schwingt also mit der Frequenz ω, die gegeben ist durch ω 2 = ω 20 − δ 2 Die allgemeine Lösung hat die Form ∼ x = Ae (−δ+iω)t + Be (−δ−iωt) = e −δt (Ae iωt + Be −iωt ) (13) ∼ ∼ A und B sind durch die Anfangsbedingungen festgelegte Konstanten, die im allgemeinen ∼ ∼ komplex sind A = a 1 + ib 1 B = a 2 + ib 2 . Setzt man diese in Gleichung (13) bei reellen An∼ ∼ fangsbedingungen ein, so zeigt sich, daß B = A ∗ . (Dies ist klar, da die linke Seite von 201 Gleichung (13) reell sein soll und e-iωt das konjugiert komplexe zu eiωt ist). Dadurch ergibt sich eine reelle Gesamtlösung der Form x = 2e −δt [a 1 (e iωt + e −ωt ) − ib 1 (e iωt − e −iωt )]= 2e −δt (a 1 cos ωt − b 1 sin ωt) = Ae −δt cos (ωt − ϕ) Abb. 225: Die Amplitude der gedämpften Schwingung nimmt exponentiell ab. x0 = Ae-δt kann als eine zeitabhängige Amplitude aufgefaßt werden. Das System schwingt also mit abnehmender Amplitude (Abb. 225) und einer Frequenz ω, die etwas kleiner als die der ungedämpften Schwingung ist. Bei sehr kleiner Dämpfung, δ << ω0 ist diese Abweichung wegen des quadratischen Zusammenhangs 2 ω 2 = ω 20 − δ 2 = ω 20 1 − δ 2 ω schon bei nicht all zu kleinen δ/ω zu vernachlässigen. Das Amplitudenverhältnis im Abstand der Periode ist x 0 (t + T) e −δ(T+t) = −δt = e −δT = const x 0 (t) e δT = ln x 0 (t) = Λ nennt man das logarithmische Dekrement x 0 (t + T) ω 2π 2π = = ist die Güte des Schwingkreises. δ Tδ Λ Die zeitliche Abnahme der Amplitude ist proportional zur Amplitude selbst dx 0 = −δx 0 (t) dt Dieses Verhalten ist typisch für Absorption, Zerfall oder Ähnliches. b) Die erzwungene Schwingung 202 α) Die Schwingungsgleichung Ein schwingungsfähiges System soll durch eine äußere periodische Kraft etwa wie in Abb. 226 angetrieben werden Abb. 226: Die erzwungene Schwingung wird von außen periodisch angeregt. F = F 0 e iωt Nach einer Einschwingzeit stellt sich eine sinusförmige stationäre Schwingung mit der Frequenz ω ein. Diese Frequenz ist diejenige, mit der die äußere Kraft schwingt. Sie hat mit der Frequenz der freien Schwingung des Systems ω0 nichts zu tun. Man interessiert sich in diesem ∼ Fall für die Frequenzabhängigkeit der Schwingungsamplitude A(ω) und die Phasenverschiebung zwischen äußerer Kraft und Schwingung des Systems ∼ ∼ ϕ = arg (x∼ ) =atan Im A /Re A . •• • m x + b x + Dx = F 0 e iωt Bewegungsgleichung •• b x• + D x = F 0 e iωt x +m m m Schwingungsgleichung Mit den Abkürzungen δ = b/2m, ω02 = D/m und f = F0/m hat die Schwingungsgleichung die Form •• • x + 2δ x + ω 20 x = fe iωt (14) β) Lösung für den eingeschwungenen Zustand Um die Lösung für den eingeschwungenen Zustand zu finden, genügt es, eine spezielle Lösung anzugeben. Dafür macht man einen Ansatz, der aus der rechten Seite der Gleichung (und eventuell ihren Ableitungen) zusammengesetzt ist. 203 • x = Ae iωt x = iωAe iω •• x= − ω 2 Ae iωt x und A sind hier komplexe Größen. Einsetzen in die Schwingungsgleichung ergibt A −ω 2 e iωt + 2δiωe iωt + ω 20 e iωt = fe iωt Hieraus folgt die komplexe Amplitude zu A= f ω − ω 2 + 2δiω 2 (15) Rational machen des Nenners ergibt A= f ω 20 − ω 2 − 2iδω 2 ω 2 − ω 2 + (2δω) 2 0 (16) Durch Multiplikation von Gleichung (15) mit dem konjugiert Komplexen erhält man die Amplitude A2 = f2 2 ω 2 − ω 2 + (2δω) 2 0 (17) aus Gleichung (16) den gesuchten Phasenwinkel −2δω = 2δω tan ϕ = ImA = 2 ReA ω − ω 2 ω 2 − ω 2 γ) Diskussion Regt man mit der Frequenz an, mit der das System frei schwingt (ω = ω0), so ist der erste Term im Nenner Null. Die Amplitude ist dann also in der Nähe des Maximums. Wenn ω sich im Bereich des Maximums praktisch nicht ändert, liegt das Maximum sogar genau bei ω = ω0. f Diese Situation nennt man die Resonanz. In der Resonanz ist A = . Die Amplitude ist 2δω 204 dann um so größer, je kleiner die Dämpfung ist. Dies kann in Brücken, die einer periodischen Kraft ausgesetzt werden oder rotierenden Maschinenteilen zu Schädigungen führen. Die Phasenverschiebung ist Null für kleine Frequenzen, -π/2 bei Resonanz (die Schwingung hinkt um π/2 hinter der Anregung) und π bei ω >> ω0 (Abb. 227 ). Für kleine Dämpfung δ << ω0 wird die Abb. 227: Abhängigkeit der Amplitude und der Phasenverschiebung der erzwungenen Schwingung von der Frequenz. Breite der Resonanzkurve A(ω) klein, so daß alle interessierenden Amplituden in einem Frequenzbereich sehr dicht um die Resonanzfrequenz liegen: ω0 - ω = ∆ω << ω0. Dann ist ω 0 + ω ∼ 2ω 0 ω 20 − ω 2 = (ω 0 − ω)(ω 0 + ω) ∼ 2∆ωω Die Frequenzabhängigkeit der Amplitude (Gleichung (17) ) vereinfacht sich dann zu A = f2 2 4∆ω Die Funktion f(∆ω) = 2 ω 20 + 4δ 2 ω 20 = f2 4ω 20 δ 2 1 1 + ∆ω δ 2 1 ist eine Glockenkurve (Lorenztprofil, s. Abb. 228). 1 + (∆ω/δ) 2 Abb.228: Für kleine Dämpfungen geht die Resonanzkurve in ein Lorentzprofil über. 205 Die Halbwertsbreite, d.h. die Breite bei halber Zentralamplitude ist δ. Je mehr die Schwingung gedämpft wird, desto breiter ist die Resonanzkurve. Spektrallinien, die aus gedämpften Schwingungen stammen, besitzen Lorentzprofile. Um an Spektrallinien Präzisionsmessungen der Wellenlänge durchführen zu können, etwa zur Festlegung des Urmeters, müssen Linien kleiner Dämpfung ausgewählt werden. Das Himmelsblau stammt aus Streuung des Sonnenlichtes an Sauerstoffmolekülen, die ihre Resonanz im ultravioletten Spektralbereich haben, d.h. bei hohen Frequenzen relativ zum sichtbaren Spektralbereich. Für (∆ω/δ) >>1 geht das Abb. 229: Die Streuintensität am Sauerstoff nimmt im sichtberen Spektralbereich mit der 4. Potenz der Frequenz ab. Daher erscheint der Himmel blau. Dies ist eine Folge der erzwungenen Schwingung der O2 - Moleküle im Licht der Sonne.. Lorentzprofil mit 1/(∆ω)2 . Die Resonanzkurve steigt also zu hohen Frequenzen hin an. Daher wird blaues Licht besser gestreut als rotes. δ) Der Einschwingvorgang Die allgemeine Lösung der Schwingungsgleichung (14) ist die Summe einer speziellen Lösung und der allgemeinen Lösung des homogenen Anteils der Schwingungsgleichung •• • x +2δ x +ω 20 x = 0 Die spezielle Lösung haben wir bisher betrachtet. Sie stellt eine stationäre Schwingung dar und beschreibt daher den eingeschwungenen Zustand. Die allgemeine Lösung des homogenen Anteils gibt den Einschwingvorgang wieder, d.h. die Anpassung zwischen den Anfangsbedingungen und der eingeschwungenen Lösung. Sie ist, wie man an der Differentialgleichung ersehen kann, eine gedämpfte Schwingung, die in der charakteristischen Zeit 1/2δ abklingt (vergleiche Gleichung (11)). Das Einschwingen nimmt also umso mehr Zeit in Anspruch, je weniger das System gedämpft ist. Im ungedämpften Fall würde die Einschwingzeit unendlich lang sein und die Amplitude in der Resonanz unaufhörlich wachsen. 6. Überlagerung von Schwingungen ungleicher Frequenz oder ungleicher Richtung a) Schwebungen 206 Zwei Schwingungen sollen fast gleiche Frequenz haben ω1 ≈ ω2 = ω ω 1 − ω 2 = ∆ω << ω Die Addition der Schwingungen als komplexe Zahlen ist nach wie vor möglich, da hierbei nicht auf den Sonderfall ω1 = ω2 eingeschränkt werden mußte. Im Zeigerbild ergibt sich als Unterschied zu dem Fall gleicher Frequenzen daß die Zeiger, die die beiden betrachteten Abb. 230: Jetzt laufen die Zeiger mit unterschiedlicher Frequenz um. Schwingungen darstellen, mit leicht unterschiedlicher Drehzahl rotieren. Nach n Umdrehungen überholt der schnellere Zeiger den langsameren. Die resultierende Amplitude schwankt zwischen A1 + A2 und |A1 - A2|. Dieses Phänomen nennt man Schwebung (englisch beat). Abb. 231: Bei einer Schwebung ändert sich die Amplitude mit der Differenzfrequenz der beiden Wenn bei einer Umdrehung der zusätzlich vom schnelleren Zeiger zurückgelegte Winkel ∆ϕ ist, benötigt man von einer Begegnung der Zeiger zur nächsten n = 2π Umdrehungen. ∆ϕ Da ω1 = 2π/T, ω2 =(2π + ∆ϕ)/T, gilt ∆ϕ/T = ∆ω und nachdem man T durch 2π/ω ersetzt, ∆ϕ/2π = ∆ω /ω und damit n= ω ∆ϕ Für die Schwebungsperiode erhält man hiermit 207 T s = nT = ω T = 2π ∆ω ∆ω Da ωs = 2π/Ts, ergibt sich ω s = ∆ω Die Frequenzdifferenz der Schwingungen ist genau die Schwebungsfrequenz. Dies ermöglicht sehr genaue Messungen des Frequenzunterschiedes zweier Schwingungen. Der Nonius nutzt diesen Vorteil bei Raumfrequenzen aus. b) Überlagerung von Grundschwingungen und ihren Oberschwingungen Die Schwingung mit einem ganzzahligen Vielfachen einer Grundfrequenz ω nennt man eine Oberschwingung der ursprünglichen Schwingung. Also x = xnsin(nωt) (mit n = 1, 2, ..) sind Oberschwingungen von x = x0sinωt. Durch Überlagerung einer Grundschwingung und ihrer Abb. 232: Oben: Die ersten drei Glieder der Fourier Entwicklung eins periodischen Rechtecks. Unten: Die Summe der Einzelschwingungen. Oberschwingungen entsteht eine nicht sinusförmige Schwingung mit der gleichen Periode wie die Grundschwingung. Als Beispiel sind in Abb.232 die Glieder der Reihe 4 sin ωt + 1 sin 3ωt + 1 sin 5ωt + ... F(t) = π 3 5 und die sich ergebende Summe dargestellt. Im Grenzwert n → ∞ ergibt sich eine Rechtecksfunktion. Die Umkehr dieser Aussage ist der Satz von Fourier Jede stückweise glatte Funktion mit der Periode T = 2π ω , F(t) , läßt sich durch eine Reihe der Form ∞ ∞ = = F(t) = a 0 + Σ a n sin(nωt)+ Σ b n cos(nωt) darstellen. Die Koeffiziente an und bn errechnen sich aus 208 T T T a 0 = 1 ∫ F(t)dt, a n = 2 ∫ F(t)sin nωtdt, b n = 2 ∫ F(t)cos nωtdt T0 T0 T0 Der Beweis erfolgt am besten über den Ansatz F(t) = ∞ a n e inωt Σ =−∞ Man multipliziert rechts und links mit e-ikωt und integriert über eine Periode. Da für n ≠ k sich in T periodische Funktionen ergeben, wird das Integral über T Null und auf der rechten Seite bleibt nur der Term mit n = k übrig. Er ergibt a n = 1 ∫ F(t)e −inωt dt T Durch Zusammenfassen der Terme mit positivem und negativem n ergibt sich die reelle Darstellung. Durch Frequenzanalyse kann man Aussagen über die an einer Schwingung beteiligten Prozesse gewinnen. Spektroskopie ist ein Beispiel von Frequenzanalyse in der Optik. In der Hochfrequenztechnik werden die Eigenschaften eines Übertragers oder Verstärkers im Frequenzraum angegeben. Ein realer Übertrager überträgt nicht alle Frequenzen gleichmäßig. Das Ausgangssignal hat daher eine andere Zusammensetzung als das Eingangssignal. Es erscheint verzerrt. Die Form des Ausganssignals kann ermittelt werden, indem man das Eingangssignal einer Fourieranalyse unterzieht, die einzelnen Amplituden mit dem Frequenzgang des Übertragers multipliziert und wieder überlagert. Ist der Zusammenhang zwischen Eingangssignal Ue und Ausgangssignal Ua wie in Abb.233 nicht linear, so wird aus einem sinusförmigen Eingangssignal ein nicht sinusförmiges Ausgangssignal. Die Fourieranalyse muß daher Oberschwingungen zeigen. Diese können erwünscht sein, z.B. wenn man aus einer gegebenen Schwingung eine mit höherer Frequenz erzeugen will (Frequenzverdopplung ist in der Lasertechnik ein übliches Verfahren), sie können in anderen Situationen wie Audioverstärker unerwünscht sein. Der Anteil der entstandenen Oberwellen bestimmt den Klirrfaktor. 209 Abb. 233: Eine nichtlineare Charakteristik zwischen Ausgang und Eingang führt zu Verzerrungen und damit zur Erzeugung von Oberfrequenzen. k= Σ A 2n n=2 A1 c) Überlagerung von Schwingungen verschiedener Schwingungsrichtungen Von den vielen Phänomenen, die durch die Überlagerung von Schwingungen entstehen, betrachten wir die Addition zweier Schwingungen entlang zweier senkrecht zueinander stehender Richtungen ex und ey im Raum (Abb. 234). Abb. 234: Die Überlagerung von zwei Schwingungen, deren Polarisationsrichtungen senkrecht aufeinander stehen.. x = x 0 cos ω 1 t y = y 0 cos (ω 2 t + ∆ϕ) Die Schwingungen sind dann vektoriell zu addieren. Der Summenvektor beschreibt eine Kurve in der x - y Ebene deren Parameterdarstellung durch die Zeitabhängigkeit seiner Koordinaten x(t), y(t) , gegeben ist, die hier die Auslenkungen der Einzelschwingungen sind. Die Kurve, die die Spitze des Summenvektors beschreibt, erhält man durch Elimination der Zeit. Für den Fall, daß mω2 = nω1, d.h., daß die Frequenzen der Schwingungen sich wie ganze Zahlen verhalten, entstehen die sogenannten Lissajous Figuren. Wir betrachten nur den Fall gleicher Frequenzen. 210 x = x 0 cos ωt y = y 0 cos (ωt + ∆ϕ) i. Die Phasenverschiebung ist Null Dann erhält man durch Division der beiden Gleichungen x = y x0 y0 y(x) ist eine Gerade. Die resultierende Schwingung ist linear polarisiert. ii. ∆ϕ = −π/2 x = x0cosωt y = y0sinωt Durch Quadrieren und Summieren erhält man 2 2 x + y =1 x0 y0 y(x) ist eine Ellipse, im Sonderfall x0 = y0 ein Kreis. Die Schwingung ist elliptisch oder zirkular polarisiert. iii. ∆ϕ = π y x x0 = − y0 Die Schwingung ist wieder linear polarisiert. Die Richtung der Geraden, auf der die Schwingung verläuft, hat in der x - y Ebene negative Neigung. 211 KAPITEL H Spezielle Relativitätstheorie 1. Einleitung a) Womit befaßt sich die Relativitätstheorie Die spezielle Relativitätstheorie befaßt sich formal mit der Transformation von physikalischen Gesetzen von einem Inertialsystem S in ein anderes S´, das sich gegenüber S gleichförmig geradlinig mit der Geschwindigkeit v bewegt. Ohne Verlust der Allgemeinheit legen wir die x Achse in die Bewegungsrichtung und wählen als Zeitnullpunkt die Zeit, bei der die Ursprünge der beiden Koordinatensysteme zusammenfallen. Dann gilt in der klassischen Physik Abb. 235: In der speziellen Relativitätstheorie geht es um die Transformation aller möglicher physikalischer Größen von einem Inertialsystem zu einem anderen, daß sich in x Richtung gegenüber dem ersten bewegt. x´ = x - vt t´ = t y´ = y z´ = z Diese Transformationsgleichungen nennt man die Galilei Transformation. Da die Newtonsche Bewegungsgleichung nur eine Aussage über die Beschleunigung macht, und die Galilei Transformation Beschleunigungen nicht ändert, gelten die Newtonschen Axiome in S und S´ und man kann mit mechanischen Experimenten nicht unterscheiden, ob ein System in Ruhe ist oder nicht. In der Relativitätstheorie fordert man darüber hinaus, daß man prinzipiell nicht entscheiden kann, ob man sich in einem ruhenden oder einem bewegten System befindet, also insbesondere nicht durch Experimente mit Licht. Führt man diesen Gedanken konsequent durch, so stellt man fest, daß die Galilei Transformation ausgebessert werden muß. Man ändert sie so ab, daß sie für v << c erhalten bleibt. Bei großen Geschwindigkeiten ergeben sich substantielle Änderungen. Insbesondere wird sich zeigen, daß gleich gebaute Uhren nicht 212 gleich schnell gehen, d.h. t ≠ t´, und daß ebenso das Ergebnis von Längen - oder Massenmessungen von der Relativgeschwindigkeit von S und S´ abhängt. Die Relativitätstheorie führt zu einem Raum - Zeit Begriff, der dem "gesunden Menschenverstand" zu widersprechen scheint. Ebenso werden gegenüber der klassischen Physik die Begriffe Masse und Energie revolutioniert. Die Relativitätstheorie hat deswegen über die Physik hinaus Bedeutung erlangt, da sie zu einer Erweiterung des Denkens über Raum, Zeit und Energie führt. b) Der Äther Im Altertum bis ins 18. Jahrhundert benutzte man den Ätherbegriff, um den leeren Raum anzufüllen, wie z.B. bei Aristoteles, und um sich die Kraftübertragung zwischen entfernten Körpern mechanisch vorstellen zu können. Bei Aristoteles überträgt der Äther die Kraft zwischen den Himmelssphären. Bei Descartes besteht der Äther aus verschiedenen Teilchen, für die verschiedenen Kraftarten. Newton macht keine detaillierte Theorie des Äthers, benötigt den Äther auch nicht für die Lichtausbreitung, da er die Korpuskulartheorie des Lichtes vertritt, glaubt aber an die Existenz des Äthers, auf den man den absoluten Raum beziehen kann. Er meint, wenn der Äther nur 700 000 mal dünner und elastischer als Luft ist, würde die Störung der Planetenbewegung durch ihn in 10 000 Jahren nicht bemerkbar sein. Seit der Entdeckung der Wellennatur des Lichtes durch Thomas Young (1801) benötigte man den Äther für den Ausbreitungsmechanismus dieser Wellen. Faraday vermutete in den Spannungszuständen des Äthers die Ursache für elektromagnetische Kräfte. James Clark Maxwell entwickelte mit einem mechanischen Modell vom Äther das theoretische Gebäude des Elektromagnetismus, das interessanterweise noch heute gültig ist und die erste mit der Relativitätstheorie kompatible Theorie darstellt. Als Heinrich Hertz die von Maxwell vorhergesagten elektromagnetische Wellen experimentell herstellte, schien klar, daß der Äther das Übertragungsmedium für elektromagnetische Kräfte und damit für das Licht ist. Am Ende des 19. Jahrhunderts war der Äther ein zentraler Begriff in der Physik und die Bestimmung der Eigenschaften des Äthers ein wichtiges Anliegen. c) Versuche zur Bewegung der Erde durch den Äther α) Aberration des Lichtes James Bradley entdeckte 1725, daß sich die Position von Sternen jahreszeitlich ändert. Die scheinbare Position beschreibt eine Ellipsenbahn, die ein Bild der Projektion der Erdbahn in der Beobachtungsrichtung ist. Dieser Effekt läßt sich mit der vektoriellen 213 Abb.236: Durch die Aberration des Lichtes beschreiben Fixsterne am Himmel Ellipsen, die eine Projektion der Erdbahn um die Sonne darstellen. Geschwindigkeitsaddition der Geschwindigkeit der Erde auf ihrer Bahn und der Lichtgeschwindigkeit erklären, wenn der Äther nicht mit der Erde mitbewegt wird (Abb. 236). β) Versuche von Fizeau Fizeau maß die Lichtgeschwindigkeit in strömenden Medien und fand einen Mitführkoeffizienten. Es ergab sich in einem strömenden Medium für die Geschwindigkeit cmit in Bewegungsrichtung c mit = nc + v 1 − 12 (n ist der Brechungsindex des Mediums, v seine Geschwindigkeit und c die Lichtgeschwindigkeit). Da der Brechungsindex der Luft sehr nahe an 1 liegt, ergibt sich praktisch keine Mitführung des Äthers durch die Lufthülle der Erde. Soweit stimmen die Ergebnisse. Allerdings schlugen alle Versuche, die Relativbewegung der Erde zum Äther zu messen, fehl. γ) Die Versuche von Trouton und Nobel Trouton und Nobel versuchten die Kräfte des Äthers auf einen geladenen Kondensator festzustellen. δ) Versuche von Michelson und Morley Abb. 237: Das Michelson Interferometer Am bekanntesten ist der Versuch von Michelson und Morley 1881 Berlin, 1886 USA. Michelson baute ein Interferometer auf, wie es im Prinzip in Abb. 237 dargestellt ist. Ein Lichtstrahl 214 wird durch einen teildurchlässigen Spiegel so aufgeteilt, daß beide Teilstrahlen senkrecht zueinander stehende Wege durchlaufen. Nach Überlagerung beider Strahlen kann man die Phasenverschiebung feststellen. Wenn einmal der Strahl (1) parallel zur Geschwindigkeit der Erdrotation dann durch Drehen der ganzen Anordnung senkrecht dazu ausgerichtet wird, ergibt sich eine unterschiedliche Beeinflussung durch den Ätherwind und damit eine unterschiedliche Phasendifferenz. Bei Bewegung parallel zu v sollte auf dem Hinweg c´ = c + v, auf dem Rückweg c´ = c - v gelten. Hierin ist c die Geschwindigkeit des Lichtes im ruhenden Äther, c´ im bewegten System. Die für Hin - und Rücklauf benötigte Zeit beträgt dann 1 D 2Dc 2D t1 = c D −v + c+v = 2− 2 = c − 2 2 Bei einer Bewegung der Apparatur senkrecht zur Ausbreitungsrichtung des Lichtes sollte nach Abb. 238 auf Hin - und Rückweg gelten: c 2 = c 2 − v 2 und t 2 = 1 2D = 2D c 1 − v 2 /c 2 c2 − v2 Abb.238: Dieses Dreieck würde man in der klassischen Physik bei der Geschwindigkeitsaddition zeichnen. Die Zeitdifferenz t1 - t2 sollte bei Drehung der Apparatur um 90° das Vorzeichen ändern. Das Michelson - Morley Experiment zeigte keine Änderung des Interferenzmusters bei Drehung der Apparatur. Daraus ließ sich ableiten, daß die Relativbewegung gegenüber dem Äther kleiner als 1 km/s sein mußte, obgleich die Erddrehung alleine zu einer Geschwindigkeit v = 30 km/s führt. Das Michelson Experiment wurde seit dem in unterschiedlichen Varianten wiederholt, z.B. mit γ - Quanten, d.h. elektromagnetischer Strahlung von 1022 Hertz, mit bewegten Quellen, Sternen als Lichtquellen, mit größerer Genauigkeit. Heute könnte man eine Geschwindigkeit von 3 cm/s nachweisen. Keins der Experimente zeigt eine Relativbewegung der Apparatur zum Äther. Es gab verschiedene Erklärungsversuche, z.B. daß sich alle Körper in der Geschwindigkeitsrichtung relativ zum Äther zusammenziehen. Diesen Effekt nennt man die Lorentzkontraktion. 215 Man erhält dann allerdings Probleme bei Rotationsbewegungen. Die eleganteste Lösung ist die von Albert Einstein, dargelegt in seinem 1905 erschienenen Artikel "Zur Elektrodynamik bewegter Körper". Einstein folgerte aus dem negativen Ausgang des Michelson - Morley Experimentes, daß es keine Relativbewegung zum Äther gibt, da es keinen Äther gibt. 2. Aufbau der Relativitätstheorie a) Die Grundpostulate α) Relativitätsprinzip Die Naturgesetze nehmen in allen Inertialsystemen die gleiche Form an β) Prinzip der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit Die Lichtgeschwindigkeit im Vakuum hat in jedem Inertialsystem den Wert c = 3·108m/s. Hieraus ergeben sich sofort einschneidende Folgerungen. b) Direkte Folgerungen der Grundpostulate α) Die Gleichzeitigkeit ist relativ Zwei Ereignisse, die in einem Inertialsystem gleichzeitig erfolgen, sind in einem andern nicht unbedingt gleichzeitig. Wir wollen uns nicht mehr darauf verlassen, daß es Uhren gibt, die in verschiedenen Inertialsystemen gleich laufen. Wir müssen also eine Meßanordnung angeben, die es gestattet, gleichzeitige Ereignisse zu erkennen. Für die Entwicklung der Relativitätstheorie sind solche Meßanordnungen charakteristisch. Auch zur Messung von Längen und Zeiten werden bestimmte Meßverfahren ersonnen. Gedanklich besonders einfach sind solche, die sich auf die Ausbreitung von Licht stützen, da postuliert wird, daß sich dieses in allen Inertialsystemen mit gleicher Geschwindigkeit ausbreitet. Wir nennen zwei Ereignisse gleichzeitig, wenn sie von einem Lichtblitz ausgelöst werden, der von einem Punkt ausgeht, der genau in der Mitte zwischen beiden Ereignissen liegt, bzw. wenn von ihnen ausgehende Lichtsignale gleichzeitig in einem Punkt in der Mitte ankommen. Für die Gleichzeitigkeit zweier Ereignisse die am gleichen räumlichen Punkt stattfinden, bleibt die alte Definition. Orte und Zeiten werden in einem Inertialsystem mit den üblichen Methoden d.h. mit Maßstäben und Uhren gemessen. Nachdem man diese abgelesen hat, werden die Werte unter Berücksichtigung der Laufzeit der Nachricht an eine Kommandozentrale übergeben. Beispiel: Die Begegnung zweier Galaxien. Im oberen Teil der Abb. 239 ist die Situation aus der Sicht von Galaxie B, im unteren Teil aus Sicht von Galaxie A dargestellt. Wenn die Mitten übereinander liegen, wird in der Mitte ein 216 Abb. 239: Was von einem System aus als gleichzeitig erscheint, kann von einem dazu bewegten System durchaus als nacheinander beurteilt werden. Lichtblitz gezündet. Aus der Sicht der Galaxie B kommt der Blitz zuerst am hinteren Ende von A an, dann gleichzeitig an beiden Enden der Galaxie B und zuletzt am vorderen Ende von A. Aus Sicht der Galaxie A kommt der Blitz zuerst am Ende von B an, dann an beiden Enden von A und am Schluß an der Spitze von B. Was in einer Galaxis als gleichzeitig interpretiert wird, erfolgt also in der anderen nacheinander. β) Gleichgebaute Uhren gehen in verschiedenen Inertialsystemen nicht gleich schnell. Zum Beweis konstruieren wir eine Lichtuhr, in der ein Lichtstrahl zwischen zwei Spiegeln mit dem Abstand l hin und her reflektiert wird und die Perioden gezählt werden. In einem ruhenden Bezugssystem S seien zwei synchronisierte Uhren A und B. In einem bewegten System S´ ist eine gleich gebaute Uhr C, die die gleiche Zeit anzeigt, wie A, wenn A und C am gleichen Ort sind (Abb. 240). Abb.240: Unten ist ein ruhendes System S mit zwei synchronisierten Uhren, die nacheinander abgelesen werden. Oben ist ein bewegtes System S´, mit einer gleich gebauten Uhr. Diese wird bei der Begegnung mit A auf 0 gestellt und bei der Begegnung mit B abgelesen. Sie zeigt eine andere 217 Wenn das Licht in der Uhr C einmal hin und her gelaufen ist, zeigt C die Zeit t´ = 2l/c an. Von S aus gesehen dauert das Hin- und Herlaufen länger, da der Weg längs der Hypothenuse zurückgelegt wird. Die angezeigte Zeit ist t = 2H/c. H läßt sich aus dem rechtwinkligen Dreieck ausrechnen. 2 (vt/2) 2 + l 2 t= c Quadrieren und Ausnutzen der Bedinging t´ = 2l/c, also l = ct´/2 ergibt 2 2 tc − tv = l 2 = ct / 2 2 2 t=t 2 1 1 − (v/c) 2 Beispiel: 3 c . Es folgt 1 − (v/c) 2 = 1/2 und t = 2t´. 2 Die Uhren im bewegten System scheinen also langsamer zu laufen. Von Uhr C aus gesehen Es sei v = wird mit zwei Uhren in S verglichen, über deren Gleichzeitigkeit keine Aussage gemacht werden kann. Vergleicht man zwei Uhren in S´ auf gleiche Weise mit A, ergibt sich die Aussage t´ = 2t. Diese Aussagen ist auch für anders gebaute Uhren korrekt. Gäbe es Uhren, die bei dem Vergleich zu einem anderen Ergebnis führen würden, könnte man unter den verschiedenen Inertialsystemen eins auswählen, nämlich das, mit dem kleinsten Gangunterschied zwischen den Uhren. Dieses wäre ein Verstoß gegen das Relativitätsprinzip, das ja die Auszeichnung eines der Inertialsysteme verbietet. Man kann also auch biologische Uhren verwenden. Bei dem obigen Beispiel würde das heißen, daß z.B. der Mensch C wäre mit der dargestellten Methode gemessen nur halb so alt wie Mensch B. γ) Längen werden unterschiedlich gemessen Wie beim Zeitvergleich ist der Längenvergleich senkrecht zu v unkritisch. Aber parallel zu v hängt das Ergebnis einer Längenmessung eines bewegten Körpers von der Definition der Gleichzeitigkeit ab. Will man von S aus die Länge eines bewegten Objektes messen, so wird man gleichzeitig zwei Markierungen anbringen. Von S´ aus gesehen erfolgen die 218 Markierungen nicht gleichzeitig, so daß man die Längenmessung gegenüber der eigenen als falsch beurteilt. c) Lorentztransformation α) Herleitung der Transformationsformeln Zur formalen Herleitung der Transformationsgleichungen, die x, t in x´, t´ transformieren, machen wir folgende Voraussetzungen: Eine in S geradförmige, gleichförmige Bewegung eines Massenpunktes ist auch von S´ aus gesehen gleichförmig, geradlinig. Diese Forderung folgt aus dem Relativitätsprinzip. Wenn nämlich von S´ aus die Bewegung nicht gleichförmig, geradlinig wäre, wäre S vor S´ ausgezeichnet Die Lichtgeschwindigkeit ist in S und S´ gleich groß. Für v → 0 ergibt sich die Galilei Transformation. Aus der ersten Forderung folgt, daß die Transformationsgleichungen linear sein müssen. Setzt man außerdem den Zeitnullpunkt so fest, daß bei t = 0 und x = 0 auch x´ = 0 und t´ = 0, so bleibt die Form x´ = Ax + Bt t´ = Cx + Dt (1) Der Ursprung von S´soll sich in S mit der Geschwindigkeit v bewegen. Wegen der dritten Forderung muß sich dann der Ursprung von S in S´ mit -v bewegen. Aus x´ = 0 folgt dann Adx + Bdt = 0 und aus dx/dt = v folgt dann v = − B A Aus x = 0 folgt x´ = Bt und t´ = Dt und aus dx´/dt´ = -v folgt dann v = − B D Aus dieser Beziehung liest man ab D=A B = -vA Berücksichtigt man dies in Gleichung (1), erhält man x´ = Ax - vAt 219 t´ = Cx + At (2) Wegen der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit muß gelten x´2 = (ct´)2 (3) x2 = (ct)2 (4) Gleichung (2) wird in Gleichung (3) eingesetzt: (Ax - vAt)2 = (Cx + At)2c2 Die Klammern werden ausmultipliziert A2x2 - 2A2xvt + v2A2t2= c2C2x2 + 2c2CAxt + c2A2t2 und nach Potenzen von x bzw. t geordnet x2(A2 - c2C2) - 2xtA(Av + c2C) + t2A2(v2 - c2) = 0 Vergleicht man die Koeffizienten mit denen von Gleichung (4) in der Form x2 - (ct)2 = 0, so erhält man A2 - c2C2 = 1 vA + c2C = 0 (v2 - c2)A2 = -c2 Aus der letzten Gleichung folgt sofort A= 1 1 − v 2 /c 2 Hiermit läßt sich aus der zweiten Gleichung C berechnen 220 C = − v2 A = c −v/c 2 1 − v 2 /c 2 In Gleichung (2) eingesetzt führt zur Lorentz Transformation x/ = x − vt 1 − v 2 /c 2 t/ = t − (v/c 2 )x (5) 1 − v/c 2 Zur Symmetrisierung setzt man ct = τ und ct´ = τ´. τ ist also die Zeit in Einheiten der Laufzeit des Lichtes über die Distanz von 1m gemessen. Die Lorentz Transformation hat dann die Form x/ = x − vc (tc) 1 − v 2 /c 2 t/c = (tc) − vc x 1 − v 2 /c 2 Mit den Abkürzungen β = v/c und γ = 1 ergibt sich die übersichtliche Form der 1 − β2 Lorentztransformation x / = γ(x − βτ), τ / = γ(τ − βx) β) Diskussion der Lorentz Transformation i. Übergang zur Galilei Transformation Abb. 241: Die Funktion γ(β) hat einen relativ scharfen Knick bei β = 1. Entwickelt man die Transformationsformeln in einer Taylorentwicklung nach β bis zum linearen Glied, d.h. so, daß β so klein sein soll, daß alle Terme mit β2 = (v/c)2 vernachlässigt 221 werden können, während solche mit v/c mitgenommen werden, so geht γ gegen 1. Für βτ wird wieder vt geschrieben. Die Transformation für x lautet dann x´ = x -vt vt ist von der Größenordnung x und muß deshalb berücksichtigt werden. Die Transformation der Zeit lautet also t´ = t - (v/c2)x = t - (v2/c2)(x/v). Wegen der gleichen Größenordnung von x und vt fällt hier der zweite Term weg. Die Lorentz Transformation geht also für kleine Relativgeschwindigkeiten v in die Galilei Transformation über. Wie Abb. 241 zeigt, bleibt γ in einem weiten Bereich der Geschwindigkeiten nahe 1, so daß die Abweichung von der Galileitransformation erst in der Nähe der Lichtgeschwindigkeit zum Tragen kommt. ii. Die Umkehrtransformation Durch Auflösen der Lorentz Transformation nach x und τ erhält man mit 1 - β2 = 1/γ2 x / = x − βτ γ τ / = τ − βx γ Durch Multiplikation der ersten Gleichung mit β erhält man βx / τ / τ 2 γ + γ = τ( 1 − β ) = γ 2 → τ = γ(τ / + βx / ) Durch Multiplikation der Zweiten Gleichung mit β und Addition mit der ersten Gleichung x/ + β τ/ = x 1 − β2 ( ) γ γ → x = γ(x / + βτ / ) Wie zu erwarten, ergeben sich die Transformationsgleichungen für x und τ aus den Gleichungen für x´ und τ´, indem man v durch -v ersetzt. iii. Die Zeitdilatation Eine Uhr, die in x´ = 0 ruht, zeigt die Zeit τ´. Wie groß ist dann τ? 222 Aus der Lorentztransformation mit x´ = 0 folgt τ´ = γ(τ - βx) und x = βτ. Durch Eliminieren von x erhält man τ´ = γ(τ − β2τ) = γ(1 − β2)τ = τ/γ τ / = τγ (6) Da γ > 1, zeigt die Uhr in S´ weniger an als die in S. Eine Uhr, die in x = 0 ruht, zeigt die Zeit τ. Wie groß ist τ´? Aus der Lorentz Transformation mit x = 0 folgt τ / = γτ . Die Uhren im jeweils anderen System zeigen jeweils eine kleinere Zeit an. Dies ist nicht paradox, da der Zeitvergleich einer Uhr in S mit mehreren Uhren in S´gemacht wird, über deren Gleichzeitigkeit man nichts weiß und umgekehrt. Beim Zwillingsparadoxon vergleicht man nur zwei Uhren. dafür muß aber die eine von ihnen zwischendurch beschleunigt werden. iv. Die Längenkontraktion Ein Maßstab, der so gelegt ist, daß die Enden bei x1´ = 0 und x2´ = L in S´ ruhen, wird von S aus zur Zeit τ = 0 gemessen. Dann ergibt die Lorentz Transformation L / = γL (7) Der Maßstab erscheint von S aus in Bewegungsrichtung kontrahiert. v. Die Geschwindigkeitstransformation • Ein Körper habe in S die Geschwindigkeit u = x . Welche Geschwindigkeit mißt man in S´? Durch Differentiation der Lorentz Formeln nach der Zeit erhält man dx´ = γ(dx - βdτ) = γ(ux - β)dτ dτ´ = γ(dτ − βdx) = γ(1 - βux)dτ und damit / ux − β u /x = dx / = 1 − βu x dτ 223 Da dy´ = dy und dz´ = dz, ergeben die anderen Komponenten u /y = dy / 1 = uy / γ(1 − βu x ) dτ / 1 u /z = dz / = u z γ(1 − βu x ) dτ Um die Zeit in die Sekundenskala zurück zu transformieren, beachtet man, daß dτ = cdt. u = dx = dx = vc dτ cdt v /x = vx − v v⋅v 1 − 2x v /y = v y v /z = vz 1 − β2 1− v⋅v x (8) 2 1 − β2 1− v⋅v x 2 v . Setzt man beispielsweise v/ = c, so Nach vx aufgelöst ergibt die erste Gleichung v x = c +v⋅v x / 1 + 2x folgt v x = c + vv = c . Klassisch würde man in diesem Beispiel vx= v + c erwarten. Relativi1+ stisch ist die resultierende Geschwindigkeit kleiner. Durch die Regeln der Geschwindigkeitstransformation bleibt die resultierende Geschwindigkeit unter c. Hier muß eine Warnung angebracht werden! Rechnerisch können Geschwindigkeiten größer als c vorkommen, z.B. wenn in einem System zwei Lichtstrahlen gegeneinander laufen, geht die Änderung des Abstandes der Strahlenfronten mit 2c. Ebenso kann der Schnittpunkt zweier leicht geneigter Geraden, die fast senkrecht zur Geschwindigkeit verlaufen eine beliebig hohe Geschwindigkeit haben (s. Abb. 242). Diese ist allerdings physikalisch nicht relevant. Insbesondere kann man mit ihr keine Signale übertragen. Die maximale Geschwindigkeit eines Teilchens ist die des Lichtes im Vakuum c0. In Medien, in denen die Lichtgeschwindigkeit kleiner als die des Vakuums ist, können sich Körper mit einer größeren Geschwindigkeit v bewegen als die des Lichtes in diesem Medium c < v < c0. 224 Abb. 242: Es gibt auch in der Relativitätstheorie Geschwindigkeiten, die größer als die Lichtgeschwindigkeit sind. vi. Transformation des Impulses Um die Transformation des Impulses senkrecht zur Relativbewegung der Systeme S und S´ zu ermitteln, wird gefordert, daß bei einem Stoß von jedem System aus die Impulserhaltung gelten soll. Es wird ein zentraler Stoß von zwei gleichen Teilchen im Schwerpunktsystem betrachtet (s. Abb. 243). Abb. 243: Die Impulserhaltung soll von jedem System aus gelten. Die Massen m und die Geschwindigkeiten u beider Teilchen sind vor und nach dem Stoß gleich groß. Von einem System S aus betrachtet, das sich mit v = ux parallel zur x - Achse bewegt, und einem S´, daß sich mit v = -ux bewegt, müssen die Figuren wegen der Gleichheit der beiden Teilchen völlig symmetrisch aussehen. Daher ist die senkrechte Komponente des Impulses p2⊥ die Größe, die man erhält, wenn man p1 von dem System S nach S´ transformiert p2⊥´ = p1⊥ Abb. 244: Der gleiche Stoß wie in Abb. 243 von verschiedenen Inertialsystemen aus gesehen. Da gefordert wurde, daß bei einem Stoß weiterhin p1⊥ = p2⊥ gelten soll, erhält man aus p2⊥´ = p1⊥ und p1⊥ = p2⊥ 225 p1⊥ = p1⊥´. Daher ändert sich bei Lorentztransformation die senkrecht zu v stehende Komponente des Impulses nicht! p⊥ = p⊥´ vii. Transformation der Masse Die Masse definiert man über p = mv Da wir zunächst nur die Transformation von p⊥ kennen, betrachten wir ein Teilchen, das sich in S senkrecht zur Geschwindigkeitsrichtung der beiden Systeme zueinander bewegt. Um einfache Verhältnisse zu erhalten, soll vy sehr klein sein, so daß von S aus gesehen noch keine relativistischen Effekte berücksichtigt werden müssen. Für ein Teilchen, das sich entlang der y Achse bewegt, ist p⊥ = m0uy Von S´ aus gesehen p⊥´ = mvuy´ Wegen der Transformation von uy mit ux = 0 erhält man uy´ = uy/γ und wegen p⊥ = p⊥´ mv uy/γ = m0uy 226 mv = m v = γm 0 m0 1− (9) v 2 (c) m0 ist die Ruhemasse, mv die dynamische Masse. mv wächst bei steigender Geschwindigkeit gegen unendlich, wenn die Geschwindigkeit sich der Lichtgeschwindigkeit nähert. Man kann also keinen Körper mit konstanter Kraft auf eine höhere Geschwindigkeit als die Lichtgeschwindigkeit beschleunigen. c ist der asymptotische Grenzwert. Bei der Konstruktion von Teilchenbeschleunigern muß dieses Anwachsen der Masse berücksichtigt werden. Mit der Transformationsformel für m und u lassen sich die Transformationsformeln für alle übrigen Komponenten von p ableiten. Ebenso die Transformationsformeln für die Kraft: • (10) F= p viii. Die kinetische Energie Die kinetische Energie errechnet man wie in der klassischen Mechanik aus der Arbeit, die man verrichtet, um ein Teilchen von 0 auf v zu beschleunigen. mu E kin = ∫ Fds = ∫ d (mu)ds = ∫ d(mu) ds = ∫ ud(mu) dt dt Durch partielle Integration ∫ udV = [uV] − ∫ Vdu mit V = mu und dV = d(mu) v ∫0 ud(mu) = v v [mu 2 ] 0 − ∫0 mudu = m0v2 1 − (v/c) 2 v −∫ 0 m 0 udu 1 − (u/c) 2 Das Integral wird gelöst mit der Substitution ξ = 1 - (u/c)2, wobei dann dξ = − 22 udu . v ∫0 udu 1 − (u/c) 2 2 = −c 2 v ∫0 dξ v = −c 2 1 − u 2 /c 2 0 ξ 227 Dadurch wird die kinetische Energie m0v2 E kin = + m 0 c 2 1 − v 2 /c 2 − m 0 c 2 1 − v /c Der zweite Term wird mit der Wurzel erweitert E kin = 2 2 m0v2 + m0c2 − m0v2 1 − v /c 2 2 − m 0 c 2 = (m − m 0 )c 2 (11) E kin = (m − m 0 )c 2 Der Gewinn an kinetischer Energie entspricht dem Gewinn an Masse. Für kleine Geschwindigkeiten kann der Wurzelausdruck im Nenner entwickelt werden 1 − 1 ≈ m 0 c 2 1 − 1 β 2 − 1 = 1 m 0 v 2 E kin = m 0 c 1 − β2 2 2 2 Man erhält also den klassischen Ausdruck für die kinetische Energie zurück. Der relativistische Ausdruck für die kinetische Energie (Gleichung 11) legt nahe, daß die Ruhemasse auch in andere Energieformen umgewandelt werden kann. Man bezeichnet E = E kin + m 0 c 2 = m0c2 1 − v /c 2 2 = mc 2 (12) die Gesamtenergie des Körpers. Oft ist es bequemer die Gesamtenergie in Abhängigkeit von m0 und p auszudrücken statt von m0 und v. Aus p = mv E = mc2 folgt v = (p/E) c2. Eingesetzt in Gleichung (12) in der Form E2(1 - v2/c2) = (m0c2)2 ergibt E 2 − p 2 c 2 = (m 0 c 2 ) d) Minkowski Diagramme 2 (13) 228 α) Was sind Minkowski Diagramme ? Ein Minkowski Diagramm stellt den x/t Raum des Systems S in rechtwinkligen Koordinaten dar. Das Weg - Zeit Gesetz des Ursprungs von S´, x´ = 0, wird als Achse t´eingezeichnet. Da x´ = γ(x − βτ) τ´ = γ(τ − βx) erhält man für x´ = 0 die Gerade τ = (1/β)x. Die Gerade τ´ = 0 wird als Achse x´ eingezeichnet. aus τ´ = 0 folgt τ = βx. Die x´ und τ´ Achsen sind symmetrisch zur Winkelhalbierenden von τ und x. τ´ und x´ spannen ein schiefwinkliges Koordinatensystem auf, in dem man die Lage eines Ereignisses (x´, τ´) ablesen kann, indem man durch den Punkt (x´, τ´) Parallele zu den Achsen τ´ und x´ zeichnet und die Achsenabschnitte abliest (Abb. 246). Abb. 245: Zwei gegeneinander bewegte Koordinatensysteme im Minkowski Raum dargestellt. Abb. 246: Wie man in einem schiefwinkligen Koordinatensystem die Koordinaten abliest. Gleichzeitig kann man die zu x´, τ´ gehörenden Werte x, τ im Koordinatensystem x/t wie üblich ablesen. Um dies quantitativ möglich zu machen, müssen die Einheitsabschnitte auf den Achsen angegeben werden. x = 1, τ = 0 und x = 0, τ = 1 können direkt eingetragen werden (Abb. 247). Der Einheitsabschnitt auf der x´ - Achse ist gegeben durch x´= 1, τ´ = 0 γ(x − βτ) = 1 γ(τ − βx) = 0 229 Aus der letzten Gleichung folgt τ = βx. Dies in die vorletzte eingesetzt γ(x − β2x) = 1, und mit der Definition von γ: x = γ > 1. Entsprechend erhält man für den Einheitsabschnitt auf der τ´ Achse τ´= 1, x´= 0 γ(x − βτ) = 0 γ(τ − βx) = 1 = γ(1 − β2)τ und damit τ = γ > 1. β) Zeitdilatation und Längenkontraktion im Minkowski Diagramm Abb. 248: Zeitdilatation am Minkowski Diagramm abgelesen. Wenn τ´ = 1 und x´ = 0 folgt nach Abb. 248 τ > 1. Abb. 249 zeigt, wie sich die Längenkontraktion im Minkowski Diagramm darstellt. Ein Einheitsstab, der in S´ ruht, wird in S ausgemessen. Man hat also zwei in S gleichzeitige Ereignisse, sagen wir bei τ = 0. In S´ hatte man durch gleichzeitige Messung der Enden, etwa zur Zeit τ´ = 0 die Länge L´ gemessen. An der Konstruktion von Abb. 249 erkennt man, daß die in S gemessene Länge kürzer ausfällt. Abb. 249: Längenkontraktion abgelesen am Minkowski Diagramm. γ) Gegenwart, Vergangenheit und Zukunft 230 Abb. 250: Die zeitliche Reihenfolge der Ereignisse A und C (gekennzeichnet durch die dicken Punkte) kehrt sich beim Übergang vom System S nach S´ um. Abb. 251: Wieso die Kausalität verletzt würde, wenn man Signale mit Überlichtgeschwindigkeit senden könnte Es gibt Ereignisse A und C (s. Abb. 250), für die in S gilt τC > τA und in S´ gilt τC´ < τA´. Diese Tatsache erweckt zunächst den Eindruck, in der Relativitätstheorie sei die Kausalität verletzt. Um das zu verdeutlichen, werden zwei Ereignisse A und B (Arbeit und Bericht) betrachtet (Abb. 251), die in S nacheinander liegen. Wenn es gelänge, von B aus eine Nachricht nach C , das in S´ ruht, zu schicken und von dort nach A, wobei das Signal von B nach C in S betrachtet und das Signal von C nach A von S´aus betrachtet mit positiver Zeitrichtung liefe, könnte man in A Informationen über die Zukunft erhalten (oder die Vergangenheit beeinflussen). Da solche Möglichkeit unser Weltbild erheblich stören würde, schließt man derartige Signale aus. Im Minkowski Diagramm haben sie Steigungen < 1 und damit Geschwindigkeiten v > c. Um die Kausalität zu wahren, dürfen in der Relativitätstheorie keine Signale mit v > c möglich sein. Es gibt daher auch keine starren Körper. Abb. 252: In der Relativitätstheorie muß neu definiert werden, was Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft heißt. Abb. 252 zeigt einen Minkowski Raum mit zwei Ortskoordinaten. In ihm liegen alle Ereignisse, die von A beeinflußbar sind, in einem Kegel mit der Steigung 1 um die positive τ - Achse. Der Raum, der innerhalb dieses Kegels liegt, umfaßt alle Ereignisse, die in der Zukunft von A 231 Liegen. Die Ereignisse in einem Kegel um die negative τ - Achse können A beeinflussen. Sie bilden die Vergangenheit von A. Alle Ereignisse, die zwischen den Kegeln liegen, können A nicht beeinflussen und von A nicht beeinflußt werden. Sie bilden die Gegenwart. Gegenwärtige Ereignisse können durch geeignete Lorentz Transformationen so transformiert werden, daß die Reihenfolge der Zeitpunkte sich umkehrt. Abstände zwischen gegenwärtigen Ereignissen sind raumartig, die übrigen zeitartig. δ) Der relativistische Doppler Effekt Im System S sei ein Sender, der im Abstand TS Signale aussendet. Wenn der Sender sich mit der Geschwindigkeit v vom Empfänger entfernt, treffen die Signale um ∆TS = vTS/c später ein, da ihre Laufzeit sich durch die zusätzliche Entfernung vTS erhöht. Der Empfänger mißt die Signale also im Zeitabstand T E = T S + vc T s = 1 + vc T s Wegen der Zeitdilatation geht die Senderuhr langsamer TS = T /S 1 − v 2 /c 2 Setzt man dies in die Gleichung für TE ein, erhält man TE = T /S 1 + vc 1 − v 2 /c 2 T E = T /S 1 + v/c 1 − v/c (14) Hiermit läßt sich die Frequenzverschiebung von Licht berechnen, das von einer Quelle ausgeht, die sich relativ zum Beobachter mit der Geschwindigkeit v bewegt. ε) Ein Zwillingsparadoxon Es werde ein Zeitvergleich zwischen einer in einem Inertialsystem ruhenden Uhr A und einer zweiten B durchgeführt, die sich mit konstanter Geschwindigkeit v fortbewegt, umkehrt und mit gleicher Geschwindigkeit zurückkommt. Die Zeit für das Umkehren der Geschwindigkeitsrichtung soll so kurz sein, daß sich in Ihr die Anzeige der Uhren nicht ändert. Wegen der Zeitdilatation müssen wir folgern, daß bei der Rückkehr die Uhr B eine kleinere Zeit als die Uhr A anzeigt. Stellt man sich vor, daß A und B eineiige Zwillinge seien, so muß man folgern, 232 daß nach der Rückkehr B Jünger als A ist. Um Die Ursache für diese paradox erscheinende Behauptung zu verfolgen, diskutieren wir ein konkretes Beispiel. Wir betrachten Zwillinge A und B, von denen B sich mit der Geschwindigkeit v/c = 3/5 2,5 Jahre lang(von der Erde aus gemessen) von A entfernt und innerhalb von 2,5 Jahren zurückkommt, so daß er insgesamt von A aus gesehen tA = 5 Jahre unterwegs ist. Die Uhr von B zeigt dann Abb. 253: Die von B ausgesandten Signale. Abb. 254: Die von A ausgesandten Signale. t B = t A 1 − v 2 /c 2 = t A 1 − 9/25 = 4 Jahre an. Um ihr Alter zu vergleichen senden sie in gleichen Abständen, etwa alle Jahre Signale aus. Das nach einem Jahr von der Erde ausgesandte Signal erreicht B wegen des Dopplereffektes nach der Zeit TB = 1 + v/c T = E 1 − v/c 1 + 3/5 = 2 Jahre 1 − 3/5 d.h. genau auf der Hälfte der Reise. In dieser Zeit hat B zwei Signale ausgesandt, die A in den ersten vier Jahren erreichen. Auf dem Rückflug sendet A vier Signale. In der Formel für den Dopplereffekt ersetzt man v durch -v. Der Zeitabstand der in B empfangenen Signale ist dann 233 T B = T A 1 − v/c = T A 1 = 1 Jahr 2 2 1 + v/c d.h. die vier Signale werden in den 2 Jahren des Rückfluges empfangen, während B noch zwei Abb. 255: Die Zeitdilatation kann man mit Atomuhren im Flugzeug direkt messen. Signale aussendet, die von A im letzten Jahr empfangen werden. Die Verhältnisse sind in den Abb. 253 und 254 in Minkowski Diagrammen dargestellt. A sendet also fünf Signale, von denen B eins auf dem Hinflug und vier auf dem Rückflug empfängt. B sendet vier Signale aus, von denen zwei A in den ersten 4 Jahren und zwei im letzten Jahr empfängt. Der Weltraumreisende B ist also nach der Rückkehr um ein Jahr jünger als sein stationärer Zwillingsbruder A. Durch die mitgeteilten Signale kennt jeder das Alter des anderen. e) Experimente mit Uhren 1971 machten Hafele und Keating ein Experiment, bei dem sie mit vier kommerziellen Atomuhren in Linienflugzeugen einmal in westlicher und einmal in östlicher Richtung die Welt umflogen und die Anzeige der bewegten und stationär auf der Erde verbliebenen Uhren miteinander verglichen. Zur Berechnung des erwarteten relativistischen Effektes betrachtet man das System von einem Inertialsystem aus. Die Bewegung der Uhr auf der Erde durch deren Rotation und ein Gravitationseffekt aus der allgemeinen Relativitätstheorie, der von der gleichen Größenordnung wie der Geschwindigkeitseffekt ist, müssen mit berücksichtigt werden. 1975 - 76 führte eine Gruppe aus Maryland eine Präzisionsmessung durch. Atomuhren wurden über Zeiten von 15 - 20 Stunden in 10 km Höhe geflogen. Der Gang der Uhren wurde durch Laserblitze übertragen. Die Flugbahn wurde mit Radar überwacht. Aufgrund des Gravitationseffektes gehen in dieser Zeit die Flugzeuguhren um 53ns schneller, aufgrund des Geschwindigkeitseffektes um 6ns langsamer. Es ergab sich eine Übereinstimmung mit dem theoretischen Effekt mit einer Meßunsicherheit von etwa 1,6%. Der Gravitationseffekt ist ein Effekt der allgemeinen Relativitätstheorie. Seine Größe kann man ableiten, wenn man weiß, daß die Energie eines Photons E = hν 234 ist, mit h = 6,6·10-34Js. Seine Masse ist gegeben durch mc2 = E, also m = hν/c2. Der Unterschied in potentieller Energie im Gravitationsfeld ist ∆E pot = mgH = hν2 gH Man nimmt an, daß die Energieabnahme des Photons gleich der Differenz der durchlaufenen potentiellen Energie ist. ∆E = h∆ν = 2hν c gH ∆ν = ∆t = Hg 2 ν t Da man das Licht als eine spezielle Uhr ansehen kann, deren Zeitanzeige durch die Anzahl der Perioden des Lichts gegeben ist, kann man Licht zum Vergleichen zweier Uhren in unterschiedlicher Höhe verwenden. Um den Gang der Uhr A im Tal der Station B auf dem Berg mitzuteilen, wird Licht von A nach B gesandt. Dabei verliert es Energie und damit Frequenz. Die Uhr im Tal scheint also langsamer zu gehen. f) Experimente mit Elementarteilchen Die Zahl zerfallender Elementarteilchen nimmt exponentiell ab wie beim radioaktiven Zerfall. Nach einer Halbwertszeit tH ist nur noch die Hälfte der anfänglichen Teilchenzahl vorhanden. Myonen sind elektronenartige Teilchen mit einer Masse mµ =206 me, die mit einer Halbwertszeit tH = 1,52 µs in ein Elektron und zwei Neutrinos zerfallen. µ− → e− + νe + νµ 1941 entdeckten Rossi und Hall, daß Myonen, die durch kosmische Strahlung am oberen Rand der Atmosphäre erzeugt werden und auf die Erdoberfläche fallen, eine längere Halbwertszeit haben als ruhende Myonen. Sie würden ohne Zeitdilatation die Erdoberfläche nicht erreichen. Von den Myonen aus gesehen wird die Dicke der Erdatmosphäre kontrahiert. Quantitativ wurden Experimente mit Myonen an Beschleunigern durchgeführt (z.B. Meyrin, Cern). Man bringt Myonen auf eine Geschwindigkeit 0,99942·c. Nach der Reletivitätstheorie ist dann die Lebensdauer 235 τ= τ0 1 − v 2 /c 2 = 44, 6µs Das Experiment gab Übereinstimmung innerhalb einer Fehlergrenze von 0,2%. g) Andere Evidenzen Heute ist der Beitrag relativistischer Effekte nicht nur im wissenschaftlichen Interesse, sondern er muß bei einer ganzen Reihe von technischen Geräten berücksichtigt werden, damit diese ordnugsmäßig funktionieren. Bei der Funknavigation ist die erforderliche Genauigkeit nur auf grund der Unabhängigkeit der Lichtgeschwindigkeit vom Referenzsystem möglich. Teilchenbeschleuniger müssen die Massenzunahme der Teilchen berücksichtigen, um im richtigen Moment beschleunigende Felder anzuwenden.