32 Übersichtsarbeit Unangenehme Gefühle in den Beinen* W. Blättler1; F. Amsler2 1Wädenswil, Schweiz; 2Amsler Consulting, Basel, Schweiz Gefühl ist alles; Name ist Schall und Rauch. (Faust zu Margarethe, in Marthens Garten; J.W. von Goethe) Natürlich ist es Hybris, Beinbeschwerden in den Kontext der Gretchenfrage zu stellen. Aber die Aussage „Gefühl ist alles“ stimmt für Vieles – auch für Beinbeschwerden. Mit der Aussage „Name ist Schall und Rauch“ meint Faust: die Bezeichnung für das Gefühl, sein Name, ist unwesentlich; er sagt nicht, das Gefühl selbst sei unwesentlich. Das despektierliche „Nur ein Gefühl!“ klingt überhaupt nicht an; Fausts Ernsthaftigkeit bezüglich Gretchens Gefühlen ist unzweifelhaft. Hätte Faust gesagt, solche Gefühle kämen bei uns Menschen immer wieder vor, verschwänden aber wie Schall und Rauch, dann hätte er das neurobiologische Phänomen, das wir zur Erklärung der Gefühle in den Beinen darstellen möchten, trefflich beschrieben (1, 2). Patienten, vor allem weiblichen Geschlechts, suchen wegen Beinbeschwerden medizinischen Rat in auf Venenkrankheiten spezialisierten Zentren, aber auch beim Hausarzt. Menschen mit einer besonderen beruflichen Belastung gelten als besonders gefährdet, solche Beschwerden zu entwi- Korrespondenzadresse Dr. Werner Blättler Einsiedlerstr. 8 Wäldenswil,, Schweiz Tel. +41-44/7862625 E-Mail: [email protected] Discomfortable feelings in the legs Phlebologie 2014; 43: 32–35 DOI: 10.12687/phleb2177-01-2014 Eingereicht: 06. Dezember 2013 Angenommen: 08. Januar 2014 * Transkript des Festvortrags anlässlich der Eröffnung der 55. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phlebologie, Hamburg 2013 ckeln. Es ist aber wohl dokumentiert, dass diese Beschwerden auch in der Normalbevölkerung häufig vorkommen (3). Sie werden als Ausdruck einer Krankheit verstanden, einer „Maladie veineuse fonctionelle“(4), oder einfach mit dem Spruch „nur Gefühle“ oder „just feelings“ als psychogenes Phänomen qualifiziert. Über einen Zeitraum von 25 Jahren haben wir diese Beschwerden in mehreren Kollektiven systematisch mittels Fragebogen und gründlicher phlebologischer Untersuchung bezüglich ihrer somatischen und psychischen Dimensionen untersucht. Beinbeschwerden von Patientinnen Das Spektrum der in freier Assoziation gegenüber dem Arzt geäußerten Beinbeschwerden ist groß. Das zur Beschreibung verwendete Vokabular weist oft persönliche Züge auf, doch werden die Beschwerden regelmäßig als ein unangenehmes Gefühl von Schwellung und Schmerz in den Beinen bezeichnet. Die Lokalisation kann umschrieben oder diffus, ein- oder beidseitig sein. Ein eigentlicher Schmerz, vergleichbar mit einem Kopf-, Zahn-, oder Gliederschmerz, wird typischerweise negiert. Krämpfe und Muskelschmerzen, wie nach einer heftigen Anstrengung, werden als „etwas anderes“ wahrgenommen. Dem Arzt imponieren die Beschwerden als harmlos und unspezifisch und frustrieren ihn, besonders wenn eine noch so gründliche allgemeine und phlebologische Untersuchung keinen von der Norm abweichenden somatischen Befund ergibt. Auffallend und häufig ist jedoch eine depressive Verstimmung zu erkennen, die mit einer verringerten Lebensqualität dieser Patientinnen einhergeht. Patientin und Arzt sind sich oft einig, dass das Problem auf eine Venenkrankheit zurückzuführen sei, auch wenn aktuell keine objektivierbaren Probleme bestünden. Patientinnen mit typischen Beschwerden ohne somatischen Befund wurden ausführlichen psychiatrischen Untersuchungen unterzogen (5). Befragungen mit dem standardisierten AMDP-System (Arbeitsgemeinschaft für Methodik und Dokumentation in der Psychiatrie) zeigten, dass das körperliche Symptom Schweregefühl in den Beinen (73 %) neben Müdigkeit (88 %) die höchste Prävalenz von allen erfragten AMDP-Symptomen aufwies. Auch Einund Durchschlafstörungen waren bei den betroffenen Patientinnen besonders häufig (je 65 %). Auf der syndromalen Ebene zeigten die Symptome Hypochondrie (85 %), Ängstlichkeit (77 %) und Störung der Vitalgefühle (73 %) die höchste Inzidenz. Bei der psychologischen Exploration war die Diagnose einer Depression in 84 % der Fälle (Hamilton Skala >12) und einer schweren Depression in 42 % der Fälle (Hamilton Skala >17) zu stellen. Ein von den Patientinnen selbst auszufüllender Fragebogen (SCL-90 R) zeigte das häufige Vorliegen einer Neigung zu Somatisierung, Zwanghaftigkeit, Depressivität und Ängstlichkeit. Die Patientinnen wiesen bei einer Nachkontrolle die gleichen Beschwerden und psychischen Befunde auf wie bei der Erstvorstellung (6). Patientinnen, welche im gleichen Zeitraum wegen einer primären Varikose oder einem venösen Beingeschwür behandelt wurden, zeigten bei dieser Untersuchung keine Abweichung von der Norm (7). Die psycho-analytisch orientierte fachärztliche Befragung weiterer Patientinnen mit dem typischen Beschwerdebild offenbarte u. a. ein geringes Selbstwertgefühl, eine starke Abhängigkeit von der Meinung anderer, den häufigen Wunsch davon laufen zu können und die Unfähigkeit die Beine libidinös zu besetzen (8). © Schattauer 2014 Phlebologie 1/2014 Downloaded from www.phlebologieonline.de on 2017-06-03 | IP: 88.99.70.242 For personal or educational use only. No other uses without permission. All rights reserved. 33 W. Blättler, F. Amsler: Unangenehme Gefühle in den Beinen Beinbeschwerden von Menschen mit berufsbedingt erhöhtem Risiko Beschäftigte in Frisör-Salons wurden sehr ausführlich bezüglich eventuell vorhandener Beinbeschwerden befragt und klinischphlebologisch sowie mittels Duplex-Ultraschall und Plethysmographie untersucht (9). Ein aus Daten der Literatur und der eigenen Erfahrung zusammengestellter Fragebogen mit 60 Fragen wurde 98 Frisören beiderlei Geschlechts zur Beantwortung gegeben. Die statistische Bearbeitung der Ergebnisse erlaubte eine Zusammenfassung der Fragen und Antworten in 11 Dimensionen. Die wichtigsten Dimensionen Schmerz und Schwellung, Gefühl von Schwellung allein, Gefühl behindert zu sein und Schmerz allein zeigten eine sehr hohe interne Konsistenz (Cronbach-α: 0,96, 0,93, 0,91, 0,87) sowie eine hohe Prävalenz (51 %, 45 %, 36 %, 54 %). Die hohen Werte des Cronbach-α zeigen, dass die Fragen zwar unterschiedlich formuliert werden können, letztlich aber die gleiche dimensionale Bedeutung haben. Die Prävalenz lag etwas tiefer als bei den Menschen, welche wegen dieser Beschwerden ärztliche Hilfe in Anspruch genommen haben. Die Frisör-Studie beinhaltete eine therapeutische Intervention mit medizinischen Kompressionsstrümpfen. Im Rahmen eines randomisierten Cross-over-Designs musste die eine Hälfte der Frisöre drei Wochen auf den Beginn der Behandlung warten, während die andere Hälfte sofort damit beginnen konnte. Schmerz und Schwellung nahmen in der Gruppe mit Kompression deutlich und hochsignifikant ab, in der Gruppe mit erst in Aussicht gestellter Kompressionsbehandlung aber ebenfalls signifikant. Nach dem Wechsel der Intervention nahmen die Beschwerden in der jetzt den Strumpf verwendenden Gruppe weiter ab, während sie bei denen, welche jetzt ohne Strumpf auskommen mussten, wieder zunahmen. Die durch die Kompression beeinflussbaren Symptome betrafen neben den Gefühlen von Schwellung und Schmerz auch Depressivität, Schlafstörungen und das Gefühl unattraktive Beine zu haben. Absolut parallele Befunde ergaben die Messung der Volumina der Unter- schenkel. Auch diese nahmen mit Kompression sehr deutlich ab, signifikant allerdings auch ohne Kompression. Die Besserung der subjektiven und objektiven Parameter in Erwartung der Behandlung ist im Sinne des Hawthorne-Effekts zu interpretieren (10). Die Aussicht auf eine Behandlung löst Gefühle von Hoffnung und Vertrauen aus und führt zu einer Besserung der Symptome. Beinbeschwerden in der Durchschnittsbevölkerung Die Bonner Venenstudie ist eine umfassende Querschnittsuntersuchung bezüglich Venenerkrankungen in der Bevölkerung der Region Bonn. Die Bedeutung der Beschwerden wurde untersucht mittels eines neuen kurzen Fragebogens, welcher aufgrund früherer Erfahrungen konzipiert wurde (11). Die Idee war, mit Fragen zu Beschwerden und Befindlichkeit allein, d.h. ohne Einbezug von Fragen zur Anamnese und zu eventuell vorhanden Befunden, zwischen psychisch und somatisch bedingten Beschwerden unterscheiden zu können. Von 1 800 befragten Menschen gaben 53 % Beschwerden an. Erhöhte Scores in der psychischen Komponente wiesen 40 % der Befragten auf und in der somatischen Komponente 37 %. Der Einschluss zusätzlicher detaillierter Fragen zu den vorhandenen Symptomen und Beschwerden erhöhte den diagnostischen Wert hinsichtlich des Vorhandenseins einer eigentlichen Venenerkrankung nicht. Höhere Scores in der psychischen Komponente der Beschwerden waren mit seltenerem Vorhandensein einer sichtbaren Venenerkrankung vergesellschaftet. Die Menschen mit hohen Scores in der psychischen Komponente unterschieden sich von jenen mit einem hohem Score in der somatischen Komponente bezüglich Alter, Körperbau, sozio-ökonomischem Status, durchgemachten Venenerkrankungen und andern Merkmalen. Die Schilderung der Beschwerden und die Reduktion der Lebensqualität waren hingegen in den beiden Gruppen gleich, wenn auch in ihrer quantitativen Ausprägung unterschiedlich. Die real vorhandenen Parameter wie Alter, Geschlecht und BMI, aber auch das Vorhandensein von Ödemen und Varizen etc. erklärten etwa 14 % der somatischen Komponente der Beeinträchtigung und etwa 7% der psychischen Komponente der Beeinträchtigung. Der große Teil der Symptome konnten jedoch mittels objektiven Parametern nicht begründet werden. Dies war der überraschendste und zunächst verwirrende Befund: mehr als die Hälfte der Bevölkerung beklagt venöse Beinbeschwerden und davon bleiben fast 80 % unerklärlich. In einer andern Studie wurden 254 venengesunde Freiwillige für eine Reihenuntersuchung zur Anatomie der oberflächlichen Beinvenen rekrutiert (12). Die Beine wurden klinisch, die Venen mittels DuplexUltraschall untersucht. Zusätzlich wurden die Teilnehmenden befragt zu Beschwerden in Form eines (gelegentlichen) Vorhandenseins von Schwellungs- oder Schweregefühlen in den Beinen und zu einer allfälligen Angst davor, Krampfadern zu bekommen. Menschen ohne objektive Befunde und ohne Angst vor Krampfadern hatten nur selten Beschwerden. Mehr als doppelt so häufig Beschwerden bekundeten Menschen mit einem bisher unbekannten Rückfluss in der Vena saphena magna, aber ohne Angst vor Krampfader. Noch mehr Beschwerden hatten jene Menschen, welche völlig gesunde Venen hatten, aber Angst vor Krampfadern äußerten. Bei ihnen war das Ausmaß des Gefühls von Schwellung und Schwere gleich groß wie bei Patienten, welche sich wegen einer Stammvarikose der Vena saphena magna in einer phlebologischen Praxis vorgestellt hatten. Dass es bei kranken Menschen einen Zusammenhang zwischen Schmerz und Angst gibt ist wohl bekannt. Hier aber handelte es sich weder um kranke Menschen noch um eigentliche Schmerzen. Es scheint eine weit verbreitete intuitive Konnotation zu geben von Schwellungsgefühlen und virtueller und subklinischer Venenerkrankung. Phlebologie 1/2014 © Schattauer 2014 Downloaded from www.phlebologieonline.de on 2017-06-03 | IP: 88.99.70.242 For personal or educational use only. No other uses without permission. All rights reserved. 34 W. Blättler, F. Amsler: Unangenehme Gefühle in den Beinen Phlebo-neuronaler Zusammenhang Patienten, Menschen mit mutmaßlich erhöhtem Risiko und Angehörige der Normalbevölkerung berichten die gleichen Beschwerden. Diese werden als venös bedingt verstanden. Differenzialdiagnostische Möglichkeiten sind nicht ersichtlich. Nach allen Befunden drängt es sich auf, von einer nosologischen Einheit zu sprechen. Diese umfasst den Ort, wo die Beschwerden verursachende Volumenzunahme entsteht und die Gefühle, welche dadurch ausgelöst werden. Es handelt sich demnach um eine funktionelle oder somatoforme Störung, in andern Worten um „medically unexplained symptoms“ (13, 14). Daran beteiligt ist die venöse Mikrozirkulation der Beine, wo eine bestimmte Information generiert wird, die Übertragung ins Zentralnervensystem und die somatosensorischen Areale in der Hirnrinde, wo die Gefühle entstehen. Die drei Teile sollen in vereinfachter Weise dargestellt werden. Die Hämodynamik der Unterschenkel wird bestimmt vom arteriellen Einstrom und der venösen Drainage. Der Einstrom hängt von der Nachfrage der Muskulatur ab. Der periphere arterielle Widerstand und die Pulsrate kompensieren die Nachfrage quasi automatisch. Die Drainage des Blutes erfolgt durch ein System, welches als Schlauchquetschpumpe beschrieben werden kann. Die Funktionseinheit besteht aus den dorsalen Muskeln des Unterschenkels, welche von einer nicht dehnbaren Hülle umschlossen sind, und den durch sie verlaufenden Venen. Jede Muskelkontraktion quetscht die Venen; die zum Herzen gerichtete Strömung wird durch das Vorhandensein von Klappen gewährleistet. Darüber hinaus verhindern diese eine gravitations-bedingte Volumen- und Druckzunahme in den Venen. Die Betätigung der Pumpe erfolgt automatisch, wenn sich die Beine aktiv bewegen. Beim bewegungslos stehenden oder sitzenden Menschen nimmt die venöse Drainage drastisch ab. Trotz gleichzeitiger Abnahme des arteriellen Einstroms kann es zu einer Dilatation der Venen, einer Aktivierung der Leukozyten und einer Freisetzung nozizeptiver Substanzen kommen. Eine Volumenzunahme der Unterschenkel von 50 bis 150 ml ist nach etwa 3 Minuten ruhigen Stehens nachweisbar (15). Diese Phänomene lösen Muskelkontraktionen aus, die im Sinne eines Grundreflexes der homöostatischen Kontrolle zu deuten sind, ohne bewusste Wahrnehmung. Über den Zustand der peripher-venösen Zirkulation, wie über das gesamte „milieu interne“, wird das zentrale Nervensystem ständig informiert. Die Leitung der Körperinformationen (Gefäßtonus, Blutflussmenge, pH, pO2, pCO2, Entzündungsstoffe, …) erfolgt über unmyelinisierte Cund A-Fasern sowie über den Sympathikus. Die Informationen über die Körperposition und -bewegung werden über A-Fasern geleitet. Die Wahrnehmungen erreichen schließlich die somatosensorischen Areale, zuletzt den als Insel bezeichneten Großhirnabschnitt. Der primär unbewusste Prozess ist mannigfaltigen Einflüssen aus andern Quellen (Exterozeption) und dem Abgleich mit dem Bild vom Körper, welches durch die Somatoperzeption gestaltet wird, unterworfen. Interferenzen aus andern Hirnregionen können zu sofortigen Reaktionen führen (z.B. zum Bewegen der Beine durch Aufstehen, zur Erstarrung durch Schreck oder zur Lähmung durch Scham). Das Entstehen negativer Gefühle wird begünstigt durch eine Verstärkung körperlicher Signale (z.B. bei körperlicher Dekonditionierung), eine reduzierte Filteraktivität (z.B. bei Angst und depressiver Verstimmung) und negative Emotionen. Die Gefühle werden entsprechend der Störung verbal als Schwellung und Schweregefühl benannt, gelegentlich auch mit Ausdrücken, welchen den autobiographischen Kontext erkennen lassen. Klinisch sind die Beschwerden bei Vorhandensein einer objektivierbaren Venenerkrankung verständlich. Nach der Darstellung des phlebo-neuronalen Zusammenhangs leuchten aber auch die funktionellen Störungen ein. Sie dürften danach eigentlich nicht mehr als medically unexplained symptoms bezeichnet werden. Die leichte Kompression der Unterschenkel durch elastische Stümpfe stellt eine therapeutische Maßnahme dar, die, bedarfsgerecht eingesetzt, als nützlich wahrgenommen wird (17). Die vorgebrachte neurobiologische Erklärung macht auch begreiflich, dass das In-Aussicht-stellen einer solchen Therapie Gefühle von Vertrauen und Hoffnung auslöst, welche die negativen Gefühle in den Hintergrund drängen (dies als Beispiel einer exterozeptiv verursachten Abschwächung negativer Gefühle). Diese Überlegungen lassen vermuten, dass der Effekt der Strümpfe auch mit anderen Mechanismen als der Verbesserung der Hämodynamik erklärt werden kann. Implikationen der neurobiologischen Überlegungen Grundreflexe, wie Immunantworten und Stoffwechselsteuerungen, sind der niedrigste Ausdruck der homöostatischen Steuerung, Gefühle der höchste mentale Ausdruck davon. Gefühle, entstanden durch Wahrnehmungen aus dem Körperinnern, sind mit Emotionen beladen (8). So ist das Gefühl geschwollene Beine zu haben mit andern negativen vitalen Gefühlen vergesellschaftet wie schlechtem Schlaf, geringem Selbstwertgefühl, Depression und allgemein reduzierter Lebensqualität. Der Umgang mit betroffenen Menschen sollte berücksichtigen, dass Gefühle der seelische Ausdruck einer körperlichen Störung sind und dergestalt eine nicht zu trennende Einheit von Seele und Körper darstellen. Wenn also Menschen über Beinschmerzen und Schwellungsgefühl berichten, dann beschreiben sie wirkliche Gefühle. Gefühle, auch wenn sie durch die gleiche Wahrnehmung ausgelöst und die mit gleichen Ausdrücken kommuniziert werden, sind persönlich und wechselhaft. Es wird nie möglich sein, die Verknüpfungen aufzudecken. Der Volksmund kennt Metaphern, welche, quasi, Verständnis für die neurobiologischen Zusammenhänge verraten. So kann für Menschen, welche Beinbeschwerden verspüren ohne ein sichtbares Problem aufzuweisen gelten, dass sie das Gras wachsen hören. Und das schnelle Verschwinden und Wiederauftreten von Beinbeschwerden kann als Wechselbad der Gefühle bezeichnet werden. Es macht daher wenig Sinn, die Beschwerden durch Befragen weiter systemisch-konstruktivistisch klären zu wollen. Vielmehr soll von einem Defizit-orientierten Modell Abstand ge- © Schattauer 2014 Phlebologie 1/2014 Downloaded from www.phlebologieonline.de on 2017-06-03 | IP: 88.99.70.242 For personal or educational use only. No other uses without permission. All rights reserved. 35 W. Blättler, F. Amsler: Unangenehme Gefühle in den Beinen nommen und eine Ressourcen-bezogene kognitiv-mentale Perspektive unter Einbezug salutogener Erkenntnisse gewählt werden (18). Aus diesen Überlegungen ergeben sich therapeutische Konsequenzen. Wenn ein venöser Schaden nicht erfasst und ein psychologisches Problem nicht vermutet werden kann, bleibt die Diagnose, die der Mensch sich selbst gibt: Gefühl von… Dies bedeutet für den Therapeuten Zuhören, Interesse und Verstehen zeigen, Nichtwissen teilen, und – die Medikation eines leichten Kompressionsstrumpfes (1). Die zielorientierte Zuwendung und empathische verbale Begleitung sind wichtige Bestandteile der Intervention. Nur Unverständige negieren die Wirkung einer bedarfsabhängigen diskreten Kompressionstherapie und kommentieren Gefühle despektierlich. Sich Faust als Vorbild zu nehmen kann empfohlen werden! Die Komplexität der Verbindung von Art der Störung und Gefühlen mündet in der einfachen, altbekannten therapeutischen Empfehlung. Dies mag durchaus ein Lächeln auslösen, aber niemals ein überhebliches. Es bleibt – bei aller zu fordernder Ernsthaftigkeit – ein Gefühl von Ironie. Wie das gemeint ist, beschreibt ein kurzer Vers von Robert Gebhardt. In Berlin, 1913, pilgerten viele Menschen mit ihrem Weltschmerz, der als Neurasthenie bezeichnet wurde, zu Rudolf Steiner. Hermann Hesse war dort. Auch Franz Kafka hatte eine Audienz bei Steiner. Wie das gegangen sein könnte: Brief Reports Kafka sprach zu Rudolf Steiner: „Von euch Jungs versteht mich keiner“ Darauf sagte Steiner: „Franz, ich versteh Dich voll und ganz“ (Robert Gernhardt) 7. Danksagung 9. Die Autoren bedanken sich bei den Psychologen Beda Spuhler und John Bendix für wichtige aufklärende Hinweise. Interessenkonflikt Die Autoren geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht. Literatur 1. Amsler F, Blättler W. Compression therapy for occupational leg symptoms and chronic venous disorders – a meta-analysis of randomised controlled trials. J Vasc Surg 2008; 35: 366–372. 2. Amsler F, Rabe E, Blättler W. Leg symptoms of somatic, psychic and unexplained origin in the population-based Bonn Vein Study. Eur J Vasc Endovasc Surg 2013; 46: 255–262. 3. Blaettler W, Amsler F, Mendoza E. The relative impact on leg symptoms of fears of getting varicose veins and of great saphenous vein reflux. Phlebology 2013; 28: 347–352. 4. Blättler W, Davatz U. 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